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TEILDOKUMENT:

I. Überblick und Grundsätze

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I. Überblick und Grundsätze

Die Städtebau- und Wohnungspolitik liegt in der Europäischen Union in der Kompetenz der Mitgliedstaaten. Dasselbe gilt für das Bauwesen, soweit es um Fragen der baulichen Sicherheit geht. Innerhalb der Bundesrepublik Deutschland sind für diese Politikfelder im Wesentlichen die Länder und Gemeinden zuständig. Gleichwohl befasst sich die Europäische Union seit Anfang der 90er Jahre insbesondere über die Struktur-, Regional- und Umweltpolitik sowie über die gemeinschaftsrechtlichen Verfahrensregelungen auch mit Fragen, die sich auf den Städte- und Wohnungsbau auswirkens1. Daneben kommt es durch harmonisierte bautechnische Regelungen zu Vorgaben im Bauwesen, deren Umsetzung in Deutschland auf Schwierigkeiten stößt2.

Der unmittelbare und mittelbare Einfluss der Europäischen Union auf die Politikbereiche Städtebau, Wohnen und Bauen wirkt sich auf dreierlei Weise aus:

  • Einmal über die Prozesspolitik, wobei insbesondere finanzielle Anreize der EU-Strukturpolitik die Mitgliedstaaten und ihre Länder (Regionen) dazu veranlassen, sich entsprechend den Leitvorstellungen der EU zu verhalten.
  • Zum andern über die Ordnungspolitik, wobei den Mitgliedstaaten ein einheitlicher Rechtsrahmen verbindlich vorgegeben wird. Dies trifft vor allem auf die Richtlinien zur EU-Umweltpolitik (z.B. zur Umweltverträglichkeitsprüfung) und zur EU-Wettbewerbspolitik (z.B. zur Abschaffung der Gewährträgerhaftung) zu. Betroffen sind hiervon auch die Stadtentwicklungs- und die Wohnungsbaupolitik.
  • Schließlich soll mit industriepolitischen Rechtsakten der gemeinsame Binnenmarkt vorangebracht werden (z.B. mit der EU-Bauproduktenrichtlinie).

Eine Zusammenstellung in der Anlage3 gibt einen Überblick über die wichtigsten Richtlinien des Rates, über finanzielle Maßnahmen der EU

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sowie über Richtlinienentwürfe und Mitteilungen der Kommission mit Auswirkungen auf die Städtebau-, Wohnungs- und Baupolitik in Deutschland.

Die Europäische Union ist gelebte Wirklichkeit, niemand stellt sie in Frage. Es geht auch nicht um die Renationalisierung von Aufgaben. Die EU soll sich auf den ihr vertraglich zugewiesenen Politikfeldern bewähren. Deutschland unterstützt sie dabei durch konstruktive Mitwirkung in den beratenden und kontrollierenden Ausschüssen und in den sonstigen Gremien. Nur über eine aktive Beteiligung an der Formulierung von Inhalten künftiger europäischer Strukturpolitik lässt sich im übrigen auch erreichen, dass Deutschland an den Strukturfondsmitteln angemessen beteiligt bleibt.

Die kontinuierliche Ausweitung europäischer Regelungsbereiche hat jedoch dazu beigetragen, dass auch Politikfelder erreicht werden, die an sich allein den Mitgliedstaaten - in Deutschland zudem überwiegend den Ländern - vorbehalten sind. Der schleichende Einfluss europäischer Vorgaben äußert sich auch auf diesen Gebieten in Zielfestlegungen und in der Vorgabe von Verwaltungsverfahren. - Zu den Aufgaben der Europäischen Union gehört es auch, das Subsidiaritätsprinzip zu beachten, soweit (Teil-)Lösungen auf nationaler Ebene besser erfolgen können, und zugleich Festlegungen zu vermeiden, die Aufgabengebiete betreffen, die Sache der Mitgliedstaaten sind.

Deutsche Präsenz zu Fragen der Raum- und Stadtentwicklung lässt sich in Brüssel allerdings nicht optimal wahrnehmen, da dieser Bereich innerhalb der Europäischen Kommission in einer Weise aufgeteilt ist, die für Deutschland zur Vertretung durch mehrere Bundesressorts führt (Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen, Bundeswirtschaftsministerium, Bundesumweltministerium und Bundesfinanzministerium). Zwischen diesen Ressorts bestehen naturgemäß gelegentlich Interessenkonflikte. Der Bundesfinanzminister befürchtet zusätzliche finanzielle Forderungen der Kommission, der Bundeswirtschaftsminister sieht die Strukturfonds primär als Instrument seiner eigenen Strukturpolitik und sieht die "quot;Konkurrenz" der Stadtentwicklung mit Argusaugen. Die geteilte Außenvertretung

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hat in Brüsseler Sitzungen schon dazu geführt, dass Deutschland zu Fragen der Stadtentwicklung mangels Präsenz sachkundiger Vertreter keine Stellungnahmen abgeben konnte. Wichtig wäre, innerhalb der Bundesregierung insoweit die Stellung des Bundesministeriums für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen zu stärken.

Bei Fragen europäischer Strukturpolitik liegt ein Problem zudem darin, dass für den Bereich der Stadtentwicklung inzwischen vier Ebenen aktiv sind (EU-Kommission, Bundesregierung, Länder und Kommunen), wobei sie ihre Zielsetzungen nicht mit einander abstimmen. Die Kommission hat zudem keine Bedenken, auch unmittelbar mit den Kommunen zu kooperieren und mit ihnen Programme und Projekte abzuwickeln. Im Blick auf die gerade in Deutschland geführte Debatte zur Zusammenführung von Ausgaben- und Aufgabenverantwortung ist diese Entwicklung kein Fortschritt.

Auf der Basis des EU-Vertrages sollten, soweit die Städtebau-, Wohnungs- und Baupolitik betroffen ist, folgende Grundsätze das politische Handeln im Verhältnis zur Europäischen Union bestimmen:

  1. Die Politikfelder Planen, Bauen und Wohnen kennen zahlreiche Querverbindungen zu Aufgabengebieten, die in die Zuständigkeit der europäischen Union fallen. So gilt die Entwicklung der Städte zugleich als Kernelement moderner Strukturpolitik, die Städte sind zudem bebaute Umwelt, Standort für Wirtschaft, Bildung und Wissenschaft, zum Teil bilden sie auch Brennpunkte sozialer Spannungen. Unter diesen Aspekten wendet sich die EU-Kommission legitimer Weise auch den Städten zu.
  2. Entgegenzutreten ist jedoch dem Bestreben der Kommission, ihre Zuständigkeiten im Wege des Quereinstiegs mit dem Ziel voranzutreiben, ihren Einfluss auf die Städtebau-, Wohnungs- und Baupolitik auszubauen. Ganz abgesehen davon, dass dies nach dem EU-Vertrag und dem Grundgesetz nicht ihre Aufgabe ist und auch nicht werden kann, wäre dies für Deutschland nachteilig, denn die Aufgaben und Erwartungen in den verschiedenen Regionen der Bundesrepublik, die dort möglichen Lösungswege und die Vorstel-
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    lungen der Menschen zur Lösung der Probleme sind sehr differenziert zu sehen und meist nur mit nationalen bzw. regionalen Festlegungen sinnvoll aufzuarbeiten.

  4. Die Europäische Kommission, aber auch die in Brüssel hauptsächlich agierenden Bundesressorts (Wirtschaft, Umwelt, Finanzen) müssen in Zukunft rechtzeitiger und umfassender über Themen berichten, die für die Bereiche "quot;Städtebau, Bauen und Wohnen" wichtig sind, damit die bei Bund, Ländern und Kommunen für diese Bereiche Verantwortlichen Gelegenheit zur Mitwirkung erhalten.
  5. Deutschland muss für die Bereiche Planen, Wohnen und Bauen seine Präsenz auf Arbeitsebene in Brüssel erhöhen. Bis ein neues Vorhaben der EU die politischen Gremien erreicht, hat es sich häufig schon in einem Maß verfestigt, dass es kaum noch grundsätzlich verändert werden kann. Auch kann ein Mitgliedstaat zum Störenfried werden, wenn er so spät noch grundlegende Änderungen fordert.

© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | September 2003

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