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Griechenland : Bewegung in der Außenpolitik und Stillstand in der Sozial- und Wirtschaftspolitik / Heinz-Jürgen Axt - [Electronic ed.] - Bonn, 2002 - 17 S. = 60 KB, Text . - (FES-Analyse)
Electronic ed.: Bonn : FES Library, 2002

© Friedrich-Ebert-Stiftung


INHALT






  • Griechenland trägt zunehmend dazu bei, die internationalen Beziehungen zu stabilisieren. Das betrifft aktuell insbesondere den Kampf gegen den internationalen Terrorismus. Der Antiamerikanismus regt sich – ganz anders als während des Kosovo-Krieges – nicht. Die Beziehungen Griechenlands zu den nördlichen Nachbarn auf dem Balkan verbessern sich zusehends. Die früher so strittige Mazedonienfrage beschäftigt derzeit mehr das Protokoll als die Außenpolitik. Der Handel Griechenlands mit Mazedonien, Bulgarien und auch Albanien blüht. Griechische Investitionen schaffen Arbeitsplätze in den Nachbarstaaten.

  • Das Klima der Beziehungen zur Türkei hat sich verbessert. Die früher oft vorherrschende bellikose Rhetorik ist kaum noch zu hören. Konkrete Vereinbarungen festigen die Zusammenarbeit. Freilich lassen die vertrauensbildenden Maßnahmen nicht erkennen, auf welche Weise man sich an die Lösung der substanziellen Streitfragen heranwagen will. Bei den Differenzen in der Ägäis und in der Zypernfrage sind die türkisch-griechischen Konflikte unverändert. Das spürte auch die EU, als sie auf dem Europäischen Rat von Laeken im Dezember 2001 die Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik weiterentwickeln und den Zugriff des Euroheers auf NATO-Kapazitäten regeln wollte. Wegen griechisch-türkischer Differenzen blieb es bei unverbindlichen Absichtserklärungen .

  • Auch wenn jetzt wieder Verhandlungen zwischen den Führern beider Volksgruppen auf Zypern begonnen haben und bis Mitte 2002 eine Lösung für das Zypernproblem gefunden werden soll, so muss sich die EU doch darauf einstellen, dass unter den Beitrittskandidaten für 2003/04 auch ein noch immer geteiltes Zypern sein kann. Obwohl in den meisten EU-Ländern Vorbehalte gegen die Aufnahme lediglich eines, des griechischen Teils Zyperns bestehen, ist dieses Szenario nicht auszuschließen. Verantwortlich dafür ist die beharrliche Athener Diplomatie, die der EU das Zugeständnis abgerungen hat, auch ohne Lösung des Volksgruppenkonflikts könne Zypern den Weg in die Union finden. Athen hat mit einem Veto gegen die gesamte Osterweiterung der EU gedroht, was seine Wirkung auf die EU-Partner erkennbar nicht verfehlt hat.

  • Ministerpräsident Simitis, der die Wahlen von 2000 – wenn auch knapp - gewonnen hatte, hat seine Position in der Regierungspartei PASOK gestärkt. Die „Modernisierer„ haben gegenüber den „Traditionalisten„ an Boden gewonnen. Diese Entwicklung hat gleichwohl bislang nicht bewirkt, dass nicht nur – als Voraussetzung für den Beitritt zum Euro-Club – die nominelle Konvergenz mit der EU erreicht wurde, sondern dass auch die zentralen Strukturreformen angegangen werden. Noch immer steht insbesondere die Lösung der Probleme in der Rentenversicherung aus. Eine Einigung mit den Gewerkschaften kam nicht zustande. Die Reformen wurden verschoben. Der zuständige Minister räumte bei der letzten Kabinettsumbildung sein Ressort.


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Griechenland und die Konfliktherde der internationalen Politik

Nach dem 11. September 2001 hat die griechische Regierung nicht gezögert, alle Maßnahmen der amerikanischen Regierung zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus politisch zu unterstützen. Bi- und multilateral (NATO) sind von Griechenland keine Einwände gegen das Vorgehen der US-Regierung erhoben worden. Das ist insofern bemerkenswert, als noch während des Kosovo-Kriegs 1999 ein anderes Bild vorherrschte. Zwar unterstützte die griechische Regierung damals politisch die NATO-Maßnahmen gegen Serbien. Militärisch beteiligte sich Griechenland indessen nicht. Vor allem trafen die NATO-Aktionen bei der griechischen Bevölkerung auf massive Ablehnung. Bis zu 90% der Befragten sollen sich damals gegen die Bombardierung Jugoslawiens ausgesprochen haben. Und auch die Sympathien für Milosevic waren deutlich höher als in den übrigen EU-Ländern.

Der in Griechenland seit Ende der sechziger Jahre wegen den vermuteten Unterstützung der Athener Militärjunta durch die USA verbreitete Antiamerikanismus regte sich bei den Militärschlägen gegen die Gefolgsleute von Osama bin Laden und das Taliban-Regime nicht, sieht man einmal vom extrem linken politischen Spektrum ab. Es mag dabei eine Rolle gespielt haben, dass es diesmal um islamistische und fundamentalistische Terrorgruppen und nicht um Angehörige der orthodoxen Glaubensgemeinschaft ging. Die Kommunistische Partei hatte in den ersten Tagen nach dem 11. September Demonstrationen organisiert, die jedoch auf wenig Resonanz stießen. Ein Telefongespräch von Außenminister Papandreou mit seinem amerikanischen Kollegen unmittelbar nach den Terroranschlägen hat offensichtlich die Gemüter in Griechenland beruhigen können, hat Powell doch nicht nur die übergreifende Gefährdung durch den internationalen Terrorismus verdeutlicht, sondern auch in Aussicht gestellt, dass sich die USA in Zukunft neben dem israelisch-palästinensischen Konflikt auch stärker um das Zypern-Problem kümmern.

Im November 2001 brach der griechische Außenminister zu einer Vermittlungsreise nach Pakistan, Indien und dem Irak auf. Der Regierung in Teheran – zum Iran pflegt Griechenland traditionell enge Bindungen – unterbreitete Papandreou die Vorstellungen Pakistans zur Lösung des Afghanistan-Problems. Griechenland konnte auf diese Weise zur Festigung der Anti-Terror-Koalition mit islamischen Ländern beitragen. Athens gute Beziehungen zu Syrien, die von Papandreous Vater Andreas bereits in den achtziger Jahren geknüpft worden waren, wurden ebenfalls in den Dienst einer Stärkung der von den USA geführten Antiterror-Koalition gestellt.


Stabilitätsfaktor auf dem Balkan

Seit dem Ende des Kalten Krieges hat sich Griechenland innerhalb eines Jahrzehnts von einem Stör- zu einem Stabilitätsfaktor auf dem Balkan entwickelt. Griechenland hat – wenn auch eher im Stillen – seine Außen- und Sicherheitspolitik gegenüber dem Balkan neu ausgerichtet. Mittlerweile stehen, wenn es um die Beziehungen zu den Balkanländern geht, in Griechenland ökonomische Nutzenkalküle im Vordergrund. In der griechischen Innenpolitik haben die Kräfte des Ausgleichs gegenüber denen der Polarisierung die Oberhand gewonnen.

Mit dem Ende des Kalten Krieges war es zu heftigen Auseinandersetzungen mit den Balkanländern gekommen. Längst überwunden geglaubte Hypotheken der Geschichte wurden wieder virulent. Das betraf zum einen die griechische Minorität im südlichen Albanien (griechisch: Nordepirus) und zum anderen die „Mazedonienfrage„. Griechenland war alsbald in fast jede Himmelsrichtung in Konflikte verwoben: nach Nordwesten mit Albanien wegen der Epirus-Griechen, nach Norden mit Skopje wegen der strittigen Namensfrage, nach Osten – so wie eh und je – mit der Türkei wegen des Agäis-Disputs und der muslimisch-türkischen Minderheit und nach Süden wegen der Zypernfrage. Heute kann Griechenland auf weitgehend entspannte bilaterale Beziehungen zu den Ländern des Balkans verweisen. Auch beteiligt sich Athen aktiv an diversen multilateralen Initiativen. Exemplarisch sei verwiesen auf den Stabilitätspakt für Südosteuropa, den „South East European Co-Operation Process„, den „Royaumont Prozess„, die „South East Europe Co-Operative Initiative„ und die „Schwarzmeer Kooperations-Zone„.

Mehrere Faktoren haben den Wandel der griechischen Balkanpolitik in den 90er-Jahren begünstigt: Offensichtlich hat zum einen in Griechenland die strategische Einsicht an Einfluss gewonnen, dass man sich nicht Konflikte und Spannungen an nahezu allen Fronten leisten kann. Je mehr sich die Beziehungen zu den nördlichen Nachbarn entspannen, desto mehr kann man sich auf die Auseinandersetzung mit der Türkei konzentrieren. Hier steht eine Lösung der Kernstreitigkeiten noch immer aus. Auch haben zum anderen moderate Politiker mit Ministerpräsident Simitis an der Spitze in der Regierungspartei ihre Stellung gefestigt. Unter den Wählern findet die Regierung ihre – wenn auch knappe – Mehrheit. Die jüngste Entwicklung hat bestätigt, dass nationalistische Parolen und populistische Attitüden die Wähler kaum noch ansprechen. Diese Varianten haben sich – nach exzessivem Gebrauch in den achtziger und frühen neunziger Jahren – offensichtlich tot gelaufen.

Vor allem haben sich die wirtschaftlichen Austauschbeziehungen zwischen Griechenland und seinen Nachbarn auf dem Balkan in einer Art vertieft und ausgeweitet, dass eine Belastung der politischen Beziehungen nur abträglich wäre. In Sofia und Skopje geben griechische Händler und Geschäftsleute den Ton an. Biere und Säfte mit dem Hinweis „Made in Greece„, Eis der Firma „Delta„ und Wurstwaren des Herstellers „Nikas„ füllen die Regale der Supermärkte. Autohändler aus Athen und Thessaloniki haben Vertretungen gegründet und griechische Banken Filialen eröffnet. Griechen haben sich zu den größten Arbeitgebern im Raum Skopje entwickelt. Die „Griechischen Ölwerke„ haben die OKTA-Raffinerie in Mazedonien (nach griechischem Sprachgebrauch: der Ehemaligen Jugoslawischen Republik Mazedonien) übernommen. Die Summe dieser Investition, die auf viele politische Hindernisse stieß, wird auf über 150 Mio. US-Dollar geschätzt. Die griechische „Titan„ hat in der Zementindustrie investiert, ebenso „Michailidis„ in der Tabakindustrie. Die „National-Bank Griechenland„ hat die „Stopanska Banka„ übernommen, „Alpha Pisteos„ die „Kredita Banka„ gekauft. Bier wird von der „Athener Brauerei„ jetzt auch in Mazedonien gebraut.

Angaben über Auslandsinvestitionen werden in Griechenland traditionell nur unzulänglich ausgewiesen. Immerhin weiß man, dass die griechischen Investitionen auf dem Balkan über 2,5 Mrd. Euro ausmachen. Über 5.500 Unternehmen sind in der Region mit griechischer Beteiligung gegründet worden. In Bulgarien stehen griechische Firmen auf der Liste der ausländischen Investoren an der Spitze. Dasselbe gilt für die Republik Mazedonien. Allein in Skopje sollen Unternehmen mit griechischer Beteiligung mehr als 5.000 Arbeitsplätze geschaffen haben. Auch in Rumänien investieren griechische Unternehmen. Die „Griechische Telekommunikations Organisation„ (OTE) hat mit einer Investition von 675 Mill. US-Dollar 35 Prozent der „Rumänischen Telekommunikations-Gesellschaft„ (ROMTELECOM) aufgekauft. Die OTE-Tochter „Globul„ hat in Bulgarien einen festen Kundenstamm gewonnen. Und in Mazedonien hat OTE ein Angebot von 25 Mio. Dollar unterbreitet, um eine zweite Lizenz für Mobilfunk zu erwerben. Der griechische Staat will Investitionen der griechischen Wirtschaft im benachbarten Balkan mit Zuschüssen, Zinssubventionen und leichtverzinslichen Krediten begünstigen.

Besonders aussagekräftig ist die Entwicklung des Außenhandels seit Beginn der 90er Jahre. Die Zahlen (vgl. Tabellen im Anhang) sprechen für sich:

Bulgarien: Der Außenhandel Griechenlands, also Importe und Exporte zusammen, ist von 1992 bis 1999 um 137 Prozent gestiegen. Bei den Exporten Griechenlands waren es 146 Prozent.

Albanien: Der griechische Außenhandel stieg von 1992 bis 1997 sogar um 446 Prozent. Während sich die Einfuhren aus Albanien nur knapp verdoppelten, wuchsen die griechischen Exporte um 597 Prozent.

Republik Mazedonien: Offizielle Außenhandelszahlen weist Griechenland für dieses Land erst seit 1995 aus, als man sich im Rahmen des Interim-Abkommens auf Kompromisse in den meisten der bilateralen Differenzen hatte einigen können. Nur die Namensfrage wurde bekanntlich damals ausgespart. Legt man also die Zeitspanne von 1995 bis 1999 zugrunde, dann hat der bilaterale Handel mit der Republik Mazedonien um sage und schreibe 730 Prozent zugenommen. Auch hier ist die enorme Handelsexpansion auf die Exporte aus Griechenland zurückzuführen. Diese nahmen um 875 Prozent zu. Nach Deutschland ist Griechenland der wichtigste Handelspartner der Republik Mazedonien.

• Zum Vergleich: Die Entwicklung des gesamten Außenhandels Griechenlands blieb demgegenüber deutlich zurück. So wuchsen die Importe von 1991 bis 1997 lediglich um 45% und die Exporte gar nur um 34%.

Infrastrukturmaßnahmen bi- und multilateraler Art werden der Stabilisierung des Balkans ebenfalls förderlich sein. Exemplarisch seien erwähnt: Erstens die Öl-Pipeline, die derzeit von der griechischen Hellenic Petroleum (Hellpe) erstellt wird und mit der die OKTA-Raffinerie in Skopje mit Rohöl aus Thessaloniki versorgt wird. Zweitens die sogenannte „Achse 10„ als Straßen- und Schienenverbindung zwischen Thessaloniki und Salzburg. Unlängst wurde zwischen Griechenland, Jugoslawien, Bulgarien, Slowenien, Ungarn, Kroatien, Mazedonien und Österreich vereinbart, die derzeit oft desolaten und zerstörten Verkehrswege wiederherzustellen. Auf der Tagesordnung steht auch eine Überprüfung der Zollabfertigung. Denn heutzutage wird auf dem Weg von Thessaloniki nach Salzburg ein Lastwagen insgesamt sechsmal Zollkontrollen unterworfen. Es bedarf kaum einer weiteren Erläuterung, dass Griechenlands ökonomische Perspektiven, soweit es um die Balkanländer geht, durchaus positiv sind. Die allgemeine Beruhigung der Lage und die vom Stabilitätspakt für den Balkan ausgehenden Impulse dürften gerade auch die Anbieter von Waren und Dienstleistungen sowie die Investoren aus Griechenland begünstigen. Konflikte, wie sie in Mazedonien aufgetreten sind, können die positive Bilanz allerdings erheblich beeinträchtigen.


Beziehungen zur Türkei

Das Klima in den Beziehungen zur Türkei hat sich seit 1999 deutlich verbessert. Zahlreiche bilaterale Treffen fanden statt und Vereinbarungen wurden unterzeichnet. Der Erklärung der Türkei zum offiziellen Beitrittskandidaten der EU durch den Europäischen Rat von Helsinki hat sich Griechenland nicht länger widersetzt. Die Streitfragen über die Rechte in der Ägäis und das Zypernproblem entzweien die Türkei und Griechenland aber noch immer. Das hat sich erst kürzlich wieder bestätigt, als der Europäische Rat von Laeken im Dezember 2001 sich darum bemüht hat, Fortschritte bei der Umsetzung der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP) festschreiben wollte. Wegen griechischer Einwände konnten nur unverbindliche Regelungen getroffen werden.

Seit dem Treffen der beiden Außenminister Georgios Papandreou und Ismail Cem in New York im Juni 1999 wurden zwischen Griechenland und der Türkei eine ganze Serie bilateraler Gespräche geführt, die in konkrete Vereinbarungen einmündeten. Die Rhetorik ist, wenn es um die Türkei geht, in Griechenland deutlich maßvoller geworden. Im Rahmen des bilateralen Dialogs hat man sich auf die Behandlung des folgenden Themenkatalogs geeinigt: Förderung des Tourismus, Kooperation in der Umweltpolitik, Verstärkung der kulturellen Zusammenarbeit, Intensivierung des bilateralen Handels, Bekämpfung des Flüchtlings-Schlepperwesens, Unterbindung des Rauschgiftschmuggels, Kampf gegen die organisierte Kriminalität und Bekämpfung des Terrorismus. Konkrete Absprachen wurden bei folgenden Themen erreicht: Intensivierung der technologisch-wissenschaftlichen Kooperation und Abschluss eines entsprechenden Investitionsrahmens, Übereinkommen über ein Doppelbesteuerungsabkommen, Verstärkung der Zusammenarbeit in der Schiffahrt, Verlängerung der Egnatia-Straße vom Adria-Hafen Igoumenitsa bis Istanbul, Ausbau der Eisenbahnverbindung Thessaloniki-Istanbul und Modernisierung der Zollsysteme.

Als am 11. Oktober 2000 griechische Marineeinheiten im Raum Izmir eine Landeoperation im Rahmen der NATO-Übung „Destined Glory„ durchführten, unterbrachen türkische Sender ihre Programme, um dieses Ereignis direkt zu übertragen. Zum ersten Mal seit knapp 30 Jahren landeten ebenfalls griechische Militärjets auf türkischem Boden. Die Öffentlichkeit beider Länder, aber auch die NATO registrierten mit Genugtuung, dass es überhaupt zur gemeinsamen Durchführung des Manövers im Rahmen der NATO gekommen war. Aber schon am 12. Oktober kamen die alten Streitfragen wieder hoch. Man stritt darüber, ob über den Inseln Lemnos und Ikaria die Luftkorridore beflogen werden dürften. Die griechische Seite war dafür, die Türken dagegen. Das gemeinsame Manöver fand ein Ende, indem die Athener Regierung den Rückzug ihrer Verbände anordnete. Zu Luftzwischenfällen kam es auch, als vier türkische Flugzeuge zwei griechische Bomber behinderten, die auf dem Weg zum griechisch-zyprischen Manöver „Nikiforos„ waren. Trotz der Zwischenfälle einigten sich der griechische und türkische Außenminister wenige Tage nach den Vorfällen darauf, den Annäherungsprozess fortzusetzen.

Auch der von der Europäischen Kommission im November 2001 vorgelegte Bericht über die Fortschritte der Türkei auf dem Weg zum EU-Beitritt würdigt die Verbesserung der türkisch-griechischen Beziehungen. Grundlage seien die bilateralen Gespräche und der geschaffene Kooperationsrahmen gewesen. Die Verpflichtung zur gegenseitigen Unterrichtung über Militärmanöver in der Ägäis sowie zur Räumung von Landminen, aber auch die Einrichtung einer direkten Telefonleitung zwischen den Außenministerien und der Austausch der Zeitpläne für Militärmanöver werden als wichtige vertrauensbildende Maßnahmen gewertet, die ein Klima schaffen, „das Fortschritte bei der friedlichen Beilegung von Streitigkeiten zwischen beiden Ländern gemäß den Schlußfolgerungen des Europäischen Rates von Helsinki und der Beitrittspartnerschaft mit der Türkei ermöglichen wird.„

So sehr die von der Kommission vorgezeichnete Entwicklung zu begrüßen wäre, so sehr verbleiben Zweifel, dass der Optimismus gerechtfertigt ist. Die eigentlichen Streitfragen sind bislang überhaupt nicht angesprochen worden. Auch lassen beide Seiten keine Strategie erkennen, wie die vertrauensbildenden Maßnahmen in substanzielle Verhandlungen über die eigentlichen Kontroversen überführt werden könnten. Statt dessen wird auf beiden Seiten sofort mit nationalen und Sicherheitsinteressen argumentiert, wenn sich z.B. die EU anschickt, ihre Krisenreaktionsstreitkräfte auszubauen. Das Misstrauen überwiegt, dass diese Truppen die eigenen Sicherheitsbelange beeinträchtigen könnten. Je mehr die Behandlung der substanziellen Streitfragen verschoben wird, desto mehr droht die Gefahr, dass sich das Momentum der bilateralen Entspannung zwischen den beiden Ägäisanrainern wieder verflüchtigt. Dabei spielen innenpolitische Faktoren natürlich eine wichtige Rolle: Die Annäherung ist dem Wirken der beiden gegenwärtigen Außenminister und Ministerpräsidenten geschuldet. Beide Regierungen, insbesondere jedoch die in Ankara, können aber keineswegs auf gesicherte politische Mehrheitsverhältnisse im eigenen Parlament vertrauen.

Von zentraler Bedeutung für das bilaterale Verhältnis ist auch die Rolle der EU: Zeichnet sich eine Annäherung zwischen der EU und der Türkei ab, entspannt das auch das Verhältnis zwischen Griechenland und der Türkei, weil man in der Türkei Griechenland nicht länger als Gegner einer Aufwertung der Türkei durch die EU sieht. Die türkische Seite sah sich in dieser Hinsicht bestätigt, als Griechenland bei der Formulierung der EU-Beitrittspartnerschaft mit der Türkei im Dezember 2000 immer wieder Vorbehalte wegen der Ägäis-Streitigkeiten und der Zypernfrage anmeldete. Auch ist nicht auszuschließen, dass die in der übrigen EU vorhandenen Reserven gegen einen Beitritt der Türkei zur EU der Regierung in Athen angelastet werden. Schließlich würde ein Beitritt Zyperns, d.h. seines griechisch-zyprischen Teils, zur EU, mit dem man gegenwärtig ja durchaus für das Jahr 2004 rechnen muss, zu einer Belastung nicht nur des europäisch-türkischen, sondern auch des griechisch-türkischen Verhältnisses führen.

Dass die Vertrauensbildung zwischen Griechenland und der Türkei noch wenig stabil ist, hat sich gezeigt, als der Europäische Rat von Laeken im Dezember 2001 Fortschritte bei der Umsetzung der ESVP beschließen wollte. Nachdem der Europäische Rat von Helsinki im Dezember 1999 die ESVP etabliert und damit die Westeuropäische Union (WEU) abgewickelt hatte, ist es zu ernsten Differenzen zwischen der Türkei und der EU gekommen. Auf europäischer Seite sprach man von einer Blockade der Türkei gegen die Weiterentwicklung der ESVP und insbesondere gegenüber der Möglichkeit, von europäischer Seite auch die Kapazitäten der NATO nutzen zu können. Die Türkei wiederum hob hervor, dass ihr in der WEU Beteiligungsrechte in höherem Maße als in der ESVP zugestanden worden seien. Als einem nicht der EU angehörenden NATO-Mitglied hatte die Türkei in der WEU den Status eines „assoziierten Mitglieds„, dem weitgehende Rechte, allerdings unter Ausschluss des vollen Stimmrechts, zugestanden wurden. In der ESVP wurden die Beteiligungsrechte gegenüber dem WEU-Status reduziert.

In der Folge gestand die Türkei der ESVP den Rückgriff auf NATO-Mittel lediglich von Fall zu Fall zu. Außerdem verlangte die Türkei eine automatische Berechtigung zur Teilnahme an EU-geführten Operationen. Man wollte sich von einem Veto – etwa Griechenlands – davon nicht ausschließen lassen. Im Vorfeld des Europäischen Rates von Laeken wurde den türkischen Bedenken in einem Kompromisspapier, das von den USA und Großbritannien mit der türkischen Seite verhandelt wurde, Rechnung getragen. Beim Einsatz der EU-Eingreiftruppe sollten danach türkische Sicherheitsinteressen berücksichtigt werden. Auch sollte bei Einsätzen in der geographischen Nähe des türkischen Territoriums und im Falle einer Beeinträchtigung der türkischen Sicherheit die Türkei in der ESVP nicht nur konsultiert werden, sondern auch mitwirken können. Der NATO angehörende Nichtmitglieder der EU sind entsprechend dem Kompromissvorschlag an Operationen der Union zu beteiligen, wenn sie dies wünschen.

Diese Regelungen gingen indessen der griechischen Seite zu weit. Athen erklärte, dass es den mit der Türkei gefundenen Kompromiss nicht zustimmen könne. Um ein formelles griechisches Veto auf dem Europäischen Rat zu verhindern, zog die belgische Präsidentschaft das Kompromisspapier zurück. Die „Formel von Istanbul„, die dem Euroheer den Rückgriff auf Kapazitäten der NATO sichern sollte, war damit gegenstandslos. Wieder einmal machten sich die griechisch-türkischen Differenzen bemerkbar und verhinderten in diesem Falle, dass statt konkreter Vereinbarungen mit der NATO, die die Einsatzfähigkeit der ESVP gesichert hätten, nur allgemeine Absichtserklärungen verkündet werden konnten. In den Schlussfolgerungen des Europäischen Rats von Laeken heißt es denn auch: „Um die Europäische Union in die Lage zu versetzen, Operationen zur Krisenbewältigung im gesamten Spektrum der Petersberg-Aufgaben ... durchzuführen, müssen noch erhebliche Fortschritte erzielt werden ... Die Union beabsichtigt, die Sicherheitsvereinbarungen mit der NATO fertig zu stellen und die Vereinbarungen über den gesicherten Zugang zur Einsatzplanung der Allianz, die Annahme der Verfügbarkeit von vorab identifizierten Mitteln und Fähigkeiten der NATO und über die Bestimmung einer Reihe der Union zur Verfügung gestellter Führungsoptionen zu schließen.„ Die griechischen wie auch die türkischen Sensibilitäten sind sicher daher zu erklären, dass die ESVP auch im Bereich des östlichen Mittelmeers zum Einsatz kommen könnte. Die Beilegung von möglichen Konflikten in der Ägäis könnte ebenso zum Aufgabenspektrum der ESVP gehören wie die Sicherung der Grenzen zwischen griechischen und türkischen Zyprern. Hier könnte die ESVP möglicherweise an die Stelle der UN-Blauhelme treten.

Die ESVP spielt auch bei ersten Überlegungen eine Rolle, wie die militärische Strategie Griechenlands den geänderten Bedingungen nach dem Ende des Kalten Krieges anzupassen ist. Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang eine vom griechischen Verteidigungsminister Tsochatzopoulos in Auftrag gegebene Studie, die die Anforderungen an die Sicherheitspolitik bis 2015 skizzieren sollte. Nach Ansicht der von Margarita Mathiopoulos geleiteten Kommission sollte sich die griechische Politik von der einseitigen Fixierung auf die „türkische Bedrohung„ befreien. Besondere Aufmerksamkeit wird dem Balkan und dem Transkaukasus gewidmet. Auf dem Balkan könne sich Griechenland als Exporteur von Demokratie, Marktwirtschaft und Stabilität profilieren. Dazu müssten sich Griechenlands Streitkräfte auch bei multilateralen Einsätzen engagieren. Peace keeping erweise sich als Aufgabe von besonderer Bedeutung. Der Umbau der Streitkräfte zur Bereitstellung von Interventionskapazitäten sei zu forcieren, damit auch die Integration in die ESVP gelinge. Bezüglich der Türkei wird festgestellt, dass sich zwar die Beziehungen atmosphärisch entspannt hätten, dass aber noch keine der strittigen Fragen geklärt worden sei. Deshalb müsse Griechenland – wie bisher – auch weiterhin dafür Sorge tragen, sich in multilaterale Sicherheitsstrukturen der NATO und der ESVP einzubinden. Das sichere nämlich Athen den Beistand der Partner in der Auseinandersetzung mit der Türkei. Außerdem würden die griechisch-türkischen Spannungen deeskalieren, weil jede türkische Aggression als Angriff auf die neue regionale Sicherheitsarchitektur erscheine. Auch in dieser Studie kommen also zentrale Motive wieder zum Vorschein, wie sie Athen bei den jüngsten Verhandlungen zur ESVP geltend gemacht hat.

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Hellas in Euroland

Mit Datum vom 3. Mai 2000 hatte die Europäische Kommission den Beitritt Griechenlands zur Euro-Zone empfohlen. In Santa Maria da Feira hatte der Europäische Rat die Aufnahme Griechenlands in die dritte Stufe der Währungsunion förmlich besiegelt. Dieser Krönung des von Ministerpräsident Simitis betriebenen politischen Kurses war eine strikte Konsolidierungs- und Austeritätspolitik vorangegangen, um die nominelle Konvergenz zu erlangen. Die Inflation wurde ebenso wie das Haushaltsdefizit gesenkt. Nicht anders als bei einigen anderen Mitgliedsländern musste allerdings auch im Falle Griechenlands eine „politische„ Interpretation der Konvergenz-Kriterien erfolgen, um Hellas die Euro-Reife zu bescheinigen. Anders als die Politiker sprachen die Europäische Zentralbank (EZB) und Finanzkreise die „wunden Punkte„ an. So ließ die EZB verlauten, dass eine langfristige Konsolidierung der Staatsfinanzen eine durchgreifende Sanierung insbesondere der Rentenversicherung verlange. Auch müssten Verkrustungen am Arbeitsmarkt beseitigt werden. Es wurde bezweifelt, dass der Rückgang beim Schuldenstand von Dauer sein werde. Ähnlich äußerte sich auch der Präsident der Hessischen Landeszentralbank, indem er die Nachhaltigkeit der makroökonomischen Konvergenz in Zweifel zog und auf die Praxis „buchhalterischer Maßnahmen„ verwies. Mit substanziellen Strukturreformen tut sich Griechenland in der Tat schwer (s.u.).

Ungeachtet dieser kritischen Kommentare hat Griechenland am 1. Januar 2002 gemeinsam mit elf anderen EU-Partner den Euro als neue Währung und normales Bargeld eingeführt. Besondere organisatorische Umstellungsschwierigkeiten sind nicht bekannt geworden. Der Ministerpräsident verbrachte die Silvesternacht symbolisch in den Räumen der Bank von Griechenland und verkündete bei dieser Gelegenheit, nach der nominellen Konvergenz wolle Griechenland nunmehr auch die reale erreichen, also den Lebensstandard seiner Bürger an den EU-Durchschnitt anpassen. Zur Erreichung dieses Ziels kann die Regierung die Umsetzung von Strukturreformen nicht länger vor sich herschieben, insbesondere, wenn, wie Simitis erklärte, ein „neuer Sozialstaat„ entstehen soll.

Im Rahmen der griechischen Europapolitik steht unverändert ein Ziel ganz obenan: die Integration zumindest des griechischen Teils Zyperns in die EU. Der Erklärung der Türkei zum EU-Beitrittskandidaten und Beitrittspartnerschaft stimmte Griechenland erst zu, nachdem die übrigen EU-Partner abermals die Beitrittsperspektive Zyperns auch ohne Lösung des Volksgruppenkonflikts bekräftigt hatten. Es ist den EU-Partnern bewusst, dass sie mit einem Veto gegen die EU-Osterweiterung rechnen müssen, sollte 2004 nicht auch Zypern zu den EU-Beitrittsländern gehören. Der UN-Generalsekretär wie auch der türkische Außenminister ließen kürzlich verlauten, dass eine Lösung des Zypernkonflikts bis Ende 2002 erreichbar sein sollte. Seit dem 11. September 2001 rechnet man auf Zypern auch damit, dass sich die amerikanische Regierung um eine stärkere Vermittlung auf Zypern bemühen werde, damit das gesamte östliche Mittelmeer und der angrenzende Nahe Osten stabilisiert werden können. Mitte Januar 2002 sind erstmals seit langer Zeit auch wieder direkte Verhandlungen zwischen den Führern beider Volksgruppen in Zypern aufgenommen worden. Das dabei verlautbarte Ziel ist es, bis Mitte des Jahres eine Lösung der strittigen Fragen zustande zu bringen. Noch ist freilich Skepsis angebracht. Zu oft schon haben die diametral entgegengesetzten Vorstellungen der Führungen beider Volksgruppen ähnliche Vorstöße scheitern lassen. Die griechischen Zyprer beharren auf einem starken Bundesstaat, während die türkischen Zyprer de facto einen eigenen Nationalstaat anstreben, der nur in einer lockeren Konföderation mit dem Rest der Insel verbunden ist. Die EU-Partner tun gut daran, sich auf das Szenario des Beitritts einer geteilten (und von Athen nachhaltig unterstützten) Insel einzustellen.

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Die Regierungspartei PASOK auf Modernisierungskurs

Bei den Wahlen vom 9. April 2000 hatte die PASOK unter Ministerpräsident Simitis noch einmal eine – wenn auch knappe – Mehrheit erringen können. Nur das in Griechenland geltende verstärkte Verhältniswahlrecht sorgte dafür, dass die Sozialisten im Parlament über eine absolute Mehrheit verfügen. Die oppositionelle Neue Demokratie war bis auf 72.705 Stimmen an das Wahlergebnis der PASOK herangekommen. In der PASOK mehrten sich die kritischen Stimmen gegen den Modernisierungskurs von Simitis. Die PASOK müsse ihr soziales Profil schärfen, war eine der immer wieder erhobenen Forderungen. Der Ministerpräsident hatte zwar während des Wahlkampfs versucht, dieser Erwartung entgegenzukommen – Arbeitsplätze, Steuererleichterungen und Einkommensverbesserungen wurden in Aussicht gestellt -, bei der Regierungsbildung sorgte Simitis gleichwohl dafür, dass die ihn unterstützenden „Modernisierer„ die Oberhand behielten. „Traditionalisten„ wie z.B. Verteidigungsminister Tsochatsopoulos gehören zwar ebenfalls dem Kabinett an, können dort aber nicht den politischen Kurs bestimmen.

Die Position von Simitis wurde vom 6. Parteitag der PASOK im November 2001 gestärkt. Der Ministerpräsident wurde erneut zum Parteivorsitzenden gewählt. Gut 71 Prozent der Delegierten stellten sich hinter Simitis, das waren fast 7 Prozent mehr als beim vorangegangenen Parteitag 1999. Im neuen Zentralkomitee werden 116 der insgesamt 180 Mitglieder dem Kreis der Modernisierer um Simitis zugerechnet. Im alten ZK konnte er lediglich auf 104 Mitglieder bauen. Dass zugleich aber auch der Gewerkschaftsflügel im ZK gestärkt wurde, ist ein Zeichen für die sich zuspitzenden Auseinandersetzungen um zentrale sozialpolitische Themen wie z.B. die Sozialversicherung.

Der traditionell als innerparteilicher Herausforderer von Simitis gehandelte Verteidigungsminister Tsochatsopoulos konnte seine Position in der Partei nicht stärken. War er 1999 noch mit den meisten Stimmen in das ZK gewählt worden, so musste er zwei Jahre später mit dem vierten Platz vorliebnehmen. Noch im November 2000 hatte Tsochatsopoulos den Kurs von Simitis kritisiert. Als Minister, so Tsochatsoloulos, könne er sich nicht mehr als Mitglied einer sozialistischen Regierung empfinden. Vieles von dem, was die Regierung tue, erfolge im Rahmen einer liberalen Wirtschaftspolitik. Das Wahlergebnis von 2000 sei eine dringliche Warnung an den Ministerpräsidenten gewesen. Er könne nicht länger allein den Kurs der Partei und Regierung bestimmen. Tsochatsopoulos erinnerte an die Traditionen der PASOK, die er schließlich zusammen mit Andreas Papandreou aufgebaut habe. Die Erinnerung an den Parteigründer Papandreou war in diesem Zusammenhang als Aufforderung zur Kurswende sowohl im Politikstil als auch –inhalt zu verstehen. Der betont sachliche Stil von Simitis solle danach dem „volksnäheren„, ja populistischen Stil eines Papandreou weichen und statt der Konsolidierung der öffentlichen Finanzen die staatliche Finanzierung sozialpolitischer Programme im Vordergrund stehen. Andere führende Vertreter wie z.B. der ehemalige Minister Arsenis unterstützten die Kritik an Simitis. Da Tsochatsopoulos auf dem Parteitag für seinen Kurs aber nicht die erhoffte Unterstützung fand, blieb ihm nichts anderes übrig, als in seiner Abschlussrede der Regierung und dem Ministerpräsidenten seine Unterstützung zuzusichern.

Gestärkt durch den Parteitag bildete der Ministerpräsident im Oktober 2001 seine Regierung um. Tsochatsopoulos musste den Posten des Verteidigungsministers räumen. Er übernahm das Entwicklungsressort, was seinen politischen Einfluss schwächte und in der Regierung auch jenen Kräften mehr Handlungsspielraum einräumte, die den Einfluss der Militärs auf die Außenpolitik zurückdrängen wollen. Das ist gerade für die Türkeipolitik von Belang, war es doch hier der in der Presse als „verteidigungspolitischer Falke„ titulierte frühere Verteidigungsminister gewesen, der vor einer zu raschen Annäherung warnte und die traditionell sicherheitspolitisch dominierte Türkeipolitik favorisierte. Neuer Verteidigungsminister wurde Jannos Papantoniou, der als Minister für Wirtschaft und Finanzen, gleichsam als „griechischer Karl Schiller„, seit 1993 den von Simitis verfolgten Stabilisierungskurs durchsetzen half, um Griechenland für den Euro reif zu machen. Tassos Giannitsis übernahm den Posten des ersten stellvertretenden Außenministers, um die griechische EU-Präsidentschaft im ersten Halbjahr 2003 vorzubereiten. Dass damit ein enger Vertrauter von Simitis sein früheres Ressort für Arbeit und Sozialversicherung an den ehemaligen Regierungssprecher Reppas abgeben musste, hatte auch damit zu tun, dass es Giannitsis nicht gelungen war, einen Kompromiss mit den Gewerkschaften zur Lösung der Probleme in der Sozialversicherung herbeizuführen. Mit dieser Aufgabe wurde neben Reppas auch der frühere Präsident der Anstalt für Arbeit (OAED) Spyropoulos als Staatssekretär betraut. Letzterer ist in der PASOK für die Beziehungen zu den Gewerkschaften zuständig. Simitis‘ Bemühen ist also unverkennbar, das in der letzten Zeit beschädigte Verhältnis zu den Arbeitnehmerorganisationen wieder zu verbessern. Allein sieben Staatssekretäre sollen in der neu ernannten Regierung dafür Sorge tragen, dass die Olympischen Spiele in Athen im Jahre 2004 ordnungsgemäß durchgeführt werden können.

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Aufgeschobene Strukturreformen

Griechenland hatte die Qualifikation zur Teilnahme an der dritten Stufe der Währungsunion zwar mit einer Verbesserung der makroökonomischen Kenndaten, insbesondere der Verschuldung und der Inflation, erlangen können. Wichtige Strukturreformen schiebt die Regierung indessen bis heute vor sich her. Das betrifft die Deregulierung und die Privatisierung des öffentlichen Sektors. Staatsunternehmen wie die Olympic Airways, die Telekommunikation und die Elektrizitätswirtschaft warten noch immer auf eine vollständige Privatisierung. Art. 106 der Verfassung bietet noch immer die gesetzliche Grundlage dafür, dass Fortschritte unterbleiben, weil dem Staat mindestens 51 Prozent der Eigentumsrechte bei öffentlichen Wirtschaftsunternehmen vorbehalten bleiben sollen. Der genannte Verfassungsartikel schreibt dem Staat die Aufgabe der Planung und Koordinierung aller wirtschaftlichen Aktivitäten zu und beschränkt die Möglichkeiten der Übernahme bestimmter Wirtschaftsbereiche durch Private. Im Herbst 2000 wurde zwar eine Reform des Arbeitsrechts beschlossen. Kritiker halten sie jedoch für nicht weitgehend genug, um die Verkrustungen des Arbeitsmarkts zu überwinden und die Arbeitsverhältnisse in stärkerem Umfang zu flexibilisieren. Ebensowenig ist das seit langer Zeit verkündete Ziel erreicht, die personelle Überbesetzung des öffentlichen Dienstes zu reduzieren. Zwar macht Simitis nicht mehr so wie Andreas Papandreou in den achtziger Jahren davon Gebrauch, seinen Wählern im öffentlichen Dienst Arbeitsplätze zuzusichern, damit der Wahlerfolg gesichert ist. Doch gelingt es auch Simitis bislang nicht, die chronisch überbesetzte Verwaltung zu „verschlanken„. Das vielleicht größte Problem stellt sich in der Alters- und Sozialversicherung. Die überaus großen Defizite lassen eine Zahlungsunfähigkeit in der Rentenversicherung wahrscheinlich werden. Die Regierung reagierte darauf, indem sie ihren früheren Minister für Soziales Giannitsis vorschickte, der den Dialog zur Sozialreform mit den Gewerkschaften voranbringen sollte.

Die im Frühjahr 2001 präsentierten Regierungsvorschläge zur Rentenreform wollten die Zahlungsfähigkeit der Rentenversicherung für 20 bis 25 Jahre sichern. Zu diesem Zweck wurde eine einheitliche Altersgrenze von 65 Jahren vorgeschlagen. Mindestens 15 Versicherungsjahre sollten Rentenempfänger vorweisen. Damit sollte die derzeit gültige und für Arbeitnehmer günstige Regelung abgeschafft werden, dass diese schon im Alter von 58 nach 35 Dienstjahren in den Genuss der vollen Rente kommen. Im öffentlichen Dienst und bei einigen Banken kann man sich gar nach 25 Dienstjahren im Alter von 60 unter Gewährung der vollen Leistungen pensionieren lassen. Frauen mit einem minderjährigen Kind können sich schon nach 17,5 Dienstjahren aus dem Arbeitsleben verabschieden. Landwirte – eine stets wahlentscheidende Klientel – entrichten gar keine Beiträge zur Sozialversicherung. Viele Arbeitnehmer nehmen nach Erhalt der Rente eine zweite Beschäftigung auf. Wegen der vergleichsweise günstigen Regelungen für die Rentner und die zunehmende Überalterung der griechischen Gesellschaft waren einschneidende Reformen nicht länger aufzuschieben. Doch hatte die Regierung den Widerstand der Gewerkschaften unter- und ihre Kompromissbereitschaft überschätzt. Die Gewerkschaften riefen den Generalstreik aus, der nach ihren Angaben der größte seit 20 Jahren gewesen sein soll. Im Sommer 2001 sah sich die Regierung genötigt, ihre Reformpläne zurückzunehmen.

Die Perspektiven, mit einem neuen Reformansatz die Rentenprobleme zu lösen, verdunkeln sich angesichts der im Jahr 2004 anstehenden nationalen Wahlen. Noch ist nicht erkennbar, dass die Opposition von der Neuen Demokratie, aber auch die oppositionellen Kräfte in der PASOK vom Popularitätsverlust des Ministerpräsidenten und seiner Regierung dauerhaft profitieren können. Es zeichnet sich freilich bereits jetzt ab, dass die nächsten Wahlen mit innen- und sozialpolitischen Themen verloren oder gewonnen werden. Erfolge etwa in der Türkei- oder Zypernpolitik könnten da der amtierenden Regierung nur in begrenztem Maße helfen. Das sind nicht unbedingt die besten Voraussetzungen für diejenigen politischen Kräfte, die an einer Neuorientierung des Landes in der Innen- aber auch Außenpolitik interessiert sind.

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Staat und Kirche – ein Dauerthema

„Die vorherrschende Religion in Griechenland ist die östlich orthodoxe Kirche Christi„ stellt die griechische Verfassung in Artikel 3 fest. Enger als in jedem anderen europäischen Land ist der Staat mit der Kirche verbunden. Dies muss als Erbe der byzantinischen Zeit und der engen Verschmelzung des Kaisers mit dem orthodoxen Kirchenfürsten („Cäsaropapismus„) gesehen werden. Diese Tradition hat in Griechenland zu einer bemerkenswerten Regelung geführt: Die Religionszugehörigkeit eines jeden Staatsbürgers ist neben seinem Beruf, dem Namen und Beruf des Ehegatten sowie den Fingerabdrücken im Personalausweis vermerkt. Damit werden ethnische Minderheiten in Griechenland automatisch stigmatisiert, ist doch schon in ihren Personaldokumenten erkennbar, dass sie nicht zur (orthodoxen) Mehrheitspopulation gehören. Die verpflichtende Angabe der Religionszugehörigkeit geht im übrigen auf eine Initiative der nationalsozialistischen Besetzung während des Zweiten Weltkriegs zurück, um Juden leichter aussondern zu können. Die Kirche sah nach 1945 allerdings keine Veranlassung, an dieser Praxis etwas zu ändern, die Politik freilich auch nicht. Es bedurfte erst massiver Kritik von Menschenrechtsorganisationen und des Drucks der Europäischen Union, dass die Regierung Simitis im Mai 2000 beschloss, in neuen Personalausweisen alle sensiblen Daten, darunter auch die Religionszugehörigkeit, zu streichen. Das führte zu massivem Protest der orthodoxen Kirche. Besonders der Erzbischof von Athen Christodoulos tat sich hervor. Bei einer Massenveranstaltung von mehr als 100.000 Protestierenden rief er aus: „Wir müssen bleiben, was wir sind: In erster Linie Griechen und orthodoxe Christen und erst in zweiter Linie Europäer.„

Die Aussage wirft ein bezeichnendes Licht auf die Verbindung konservativer Kirchenkreise mit nationalistischen und antieuropäischen Tendenzen. Große Teile der Orthodoxie, wie sie von Christodoulos vertreten werden, haben auch heute nicht ihren Frieden mit der Europäischen Union gemacht, da sie für sie in Fortführung der Traditionen Westroms steht, wogegen man sich in Griechenland als Erbe Ostroms zu wenden habe. Zwar startete die Kirche eine groß angelegte Unterschriftensammlung, doch ist die für die Zeit der Kommunalwahlen im Herbst 2001 angekündigte Mobilisierung der eigenen Anhänger weitgehend ausgeblieben. Derzeit ist ein Stillstand im Dialog zwischen Kirche und Staat zu registrieren.

In den Beziehungen zu Deutschland tut sich noch immer das Problem auf, dass die Frage der Entschädigung von Opfern des nationalsozialistischen Regimes nicht gelöst werden konnte. Die Auseinandersetzung spitzte sich zu, als im Juli 2001 die Rechtsvertreter der Geschädigten die Zwangsvollstreckung des Goethe-Instituts in Athen vorbereiteten, um aus den Erlösen die eigenen Klienten zu entschädigen. Die Bundesregierung bewirkte eine einstweilige Verfügung, wodurch die Pfändung zunächst einmal ausgesetzt wurde. Nunmehr ist das Ergebnis der Hauptverhandlung abzuwarten. Die griechische Regierung hält sich aus dem Streit weitgehend heraus, weigert sich allerdings auch, den Justizminister zu veranlassen, seine Unterschrift unter das Pfändungsersuchen zu setzen. Dies, so argumentiert man insbesondere auf deutscher Seite, sei aber eine zwingende Voraussetzung, damit die Pfändung rechtskräftig werden könne. Das Bestreben der Athener Regierung ist unverkennbar, es nicht zu ernsthaften Belastungen in den Beziehungen zu Deutschland kommen zu lassen. Als letztes innenpolitisch relevantes Ereignis ist auf die Verabschiedung der neuen Verfassung im April 2001 zu verweisen. Ein verbesserter Datenschutz, die Verankerung des Wehrersatzdienstes und das Verbot der Todesstrafe in Friedenszeiten können zwar als Fortschritte gewertet werden, viele „heiße Eisen„ blieben dabei aber unangetastet, darunter auch die zuvor erwähnte problematische Regelung des Verhältnisses zwischen Kirche und Staat.

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Anhang

Tabelle 1

Außenhandel Griechenlands mit Bulgarien (in Mio. US-Dollar) *

    * [Quelle dieser und der beiden nachfolgenden Tabellen: Wirtschafts- und Handelsabteilung der Griechischen Botschaft in Berlin.]



Ausfuhren

Einfuhren

Handelsbilanz

Gesamt

1992

167,2

160,9

6,3

328,1

1993

303,3

198,2

105,1

501,5

1994

413,1

317,7

95,4

730,8

1995

447,0

484,0

-37,0

931,0

1996

324,0

368,0

-44,0

692,0

1997

316,0

411,0

-95,0

727,0

1998

443,0

393,0

50,0

836,0

1999

411,0

365,0

46,0

776,0

2000 1. Quartal

109,0

94,0

15,0

203,0



Tabelle 2

Außenhandel Griechenlands mit der Ehemaligen Jugoslawischen Republik Mazedonien
(in Mio. US-Dollar)


Ausfuhren

Einfuhren

Handelsbilanz

Gesamt

1995

43,487

14,694

28,793

58,181

1996

236,799

39,256

197,543

276,055

1997

272,993

60,742

212,251

333,735

1998

258,880

58,775

200,105

317,655

1999

423,798

59,259

364,539

483,057

Jan.-Sept. 2000

322,398

47,186

275,212

369,584




Tabelle 3

Außenhandel Griechenlands mit Albanien (in Mio. US-Dollar)


Ausfuhren

Einfuhren

Handelsbilanz

Gesamt

1992

41,2

18,0

23,1

59,2

1993

126,3

15,4

110,9

141,7

1994

213,2

35,3

177,9

35,3

1995

261,2

37,5

223,7

298,7

1996

322,9

35,9

287,0

358,8

1997

287,3

35,8

251,5

323,1

1998 1. Quartal

85,3

17,4

67,9

102,7




Tabelle 4

Außenhandel Griechenlands gesamt (in Mio. ECU)*

    * [Intra- und Extra-EU-Handel. Quelle: Statistisches Bundesamt, Statistisches Jahrbuch 1999 für das Ausland, S. 87f.]



Ausfuhren

Einfuhren

Saldo

Index a)





Ausfuhren

Einfuhren

1990

6.237

15.585

-9.348



1991

6.946

17.358

-10.412

111

111

1992

7.525

18.329

-10.804

121

116

1993

7.209

18.799

-11.590

116

121

1994

7.905

18.081

-10.176

127

116

1995

8.451

19.800

-11.349

135

127

1996

8.857

21.242

-12.385

142

136

1997

9.392

22.610

-13.218

151

145

a) 1990 = 100


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