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Naher/Mittlerer Osten und Nordafrika nach dem 11. September : neue Chancen für die Krisenregion? / Andrä Gärber - [Electronic ed.] - Bonn, 2001 - 18 S. = 59 KB, Text . - (FES-Analyse) Electronic ed.: Bonn : FES Library, 2002 © Friedrich-Ebert-Stiftung
Gefühlswelten in der Region erste Gemeinsamkeiten Stimmungslage in der Region auch tiefgreifende Unterschiede
In der Region des Nahen und Mittleren Ostens (Mashrek) und Nordafrikas (Maghreb) hat sich die allgemeine Fassungslosigkeit über das, was der einzigen Weltmacht, den USA, am 11. September 2001 widerfahren ist, gelegt. Mittlerweile hat die politische Lage in der Arabischen Welt und in den Ländern, die ihre Stabilität entscheidend mitprägen, im Iran und in der Türkei sowie in Israel, deutlich an Konturen gewonnen. Schon vor dem 11. September haben die Länder dieser Region, die wie keine andere von weltpolitisch bedeutsamen Konflikten geprägt ist (zwei Hauptkonflikte der nahöstliche Territorialkonflikt und der Hegemoniekonflikt am Persischen Golf und eine Vielzahl von nationalen und zwischenstaatlichen Subkonflikten), immer wieder die Titelseiten der internationalen Presse gefüllt. Jetzt steht sie aber zweifelsohne im Brennpunkt des Weltinteresses: Die arabisch-islamische Welt ist wieder einmal als das Feindbild en vogue. Schon nach dem zweiten Golfkrieg waren sich die Analysten weitgehend einig, dass die Araber und der islamische Neo-Fundamentalismus besser, der (gewaltbereite) Islamismus die Russen und den Kommunismus als Feindbilder des Westens abgelöst haben. Dabei bedarf der Begriff Islamismus einer Erläuterung: Der Islamismus ist eine sozioökonomische und politische Bewegung, die unislamische bzw. importierte Regierungs-, Wirtschafts- und Gesellschaftsformen ablehnt und deren Ersatz durch eine islamische Ordnung fordert. Die Dynamik des Islamismus aber auch seine Gefährdung liegen darin begründet, dass das weltanschauliche Konstrukt von seinen Verfechtern nicht als synkretistisch, sondern als organisch und islamisch verstanden wird. Beim Islamismus handelt es sich nicht nur um eine religiöse Erneuerung, sondern auch um den Versuch, vor allem politische Ordnungsvorstellungen religiös zu legitimieren. Der Islamismus ist keineswegs monolithisch, sondern sehr heterogen und spaltet sich seit der Islamischen Revolution im Iran in konservative und sozialrevolutionäre Richtungen auf. Die konservative Strömung des Islamismus, eher ein Mitläufer, instrumentalisiert den Islam als Mittel zur Systemstabilisierung und zur politischen Einflussnahme auf andere muslimische Länder. Die heterogene sozialrevolutionäre Strömung des Islamismus versucht hingegen, über gewaltfreie Mittel der politischen Partizipation oder durch militante radikale Gruppierungen das politische System zu verändern, und versteht sich als genuin islamische Opposition zu den säkularen Parteien. Auf den ersten Blick scheinen die arabischen Länder in sprachlicher, kultureller und religiöser Hinsicht sehr homogen zu sein. Sie sind auch zweifelsohne historisch eng miteinander verflochten und laden förmlich zur oberflächlich vereinheitlichenden Beschreibung ein. Dennoch verbietet es die Einkommens-, Vermögens- und Entwicklungsschere, die sich in dieser Region extrem weit öffnet, die Situation in der arabisch-islamischen Welt mit leichtfertig homogenisierenden Stereotypen erklären zu wollen. Die äußerst heterogenen politischen Systeme der Länder dieser vergleichsweise konfliktautonomen und unzureichend integrierten Region zwingen vielmehr zu einer differenzierten Beschreibung der politischen Lage. Gefühlswelten in der Region erste Gemeinsamkeiten Mitgefühl, Ohnmacht, Hass und Schadenfreude... Allen Staaten in der Region - bis auf den Irak - war gemeinsam, dass sie die Terroranschläge vom 11. September scharf verurteilt und ihr Mitgefühl für die unschuldigen Opfer dieser verheerenden Attentate schockiert, fassungslos und mit Entsetzen zum Ausdruck gebracht haben. Allen Staaten - bis auf den Irak - war auch gemeinsam, dass es keine Massendemonstrationen gab, die die Terroranschläge befürworteten oder feierten. In allen Staaten der Region - bis auf Israel - gibt die große Mehrheit der Menschen sowohl auf der Straße als auch unter den säkularen Intellektuellen aber zu bedenken, dass die amerikanische Nahostpolitik ein wichtiger auslösender Faktor für die menschenverachtenden Terroranschläge in New York und Washington sei. Dabei zielt die Kritik im wesentlichen auf zwei Punkte: zum einen auf die pro-israelische Politik der USA, zum anderen auf die Tatsache, dass die Empörung der westlichen Öffentlichkeit sowohl bei den palästinensischen Opfern des israelischen Staatsterrorismus als auch bei den irakischen Opfern der Sanktionen fehle. Der Westen provoziert mit diesem double standard Frustration, Ohnmacht, Hass und legt damit auch den Nährboden für eine ständige Radikalisierung der Massen. Die Präsenz von bis zu 7000 amerikanischen Soldaten in Saudi-Arabien ist dagegen hauptsächlich ein saudisches Problem, das vor allem dem Umfeld von Osama bin Laden ein Dorn im Auge ist. In allen Staaten - bis auf das jüdische Israel - gab es heimliche und auch offen zur Schau getragene Schadenfreude über die Verwundbarkeit des amerikanischen Goliath. Die Bilder der Opfer in New York und Washington nicht in den Medien zu zeigen, sie quasi einer internationalen Zensur zu unterwerfen, aber gleichzeitig die Bilder des Zusammenbruchs der Twin Towers, die in der arabisch-islamischen Welt keine Assoziationen hervorrufen und mithin Emotionen erregen können, immer wieder zu wiederholen, haben die Ausbreitung dieser Schadenfreude nicht unbedingt verhindert. Zweifelsohne gab es auch kleinere Kundgebungen wie etwa in den palästinensischen Gebieten, die die Tatsache feierten, dass nun der arrogante Weltpolizist im eigenen Land erlebte, was man vor Ort erdulden muss: Ohnmacht und Hilflosigkeit im Angesicht der Willkür des Stärkeren. Nicht immer wurden dabei diese Kundgebungen mit der gebotenen journalistischen Sorgfalt aufbereitetet und in den Medien präsentiert: beispielsweise wurden Bilder einer kleinen Kundgebung gleichzeitig als Demonstrationen in Ost-Jerusalem, in Ramallah und in Nablus verkauft. Zugleich gab es aber auch Ungläubigkeit, dass Araber und Muslime zu solch einer Tat technisch in der Lage sein könnten. Und natürlich die in der arabisch-islamischen Welt weit verbreiteten und bekannten Verschwörungstheorien, die aber wohl nur dazu dienten, die Fassungslosigkeit über ein im Namen des Islam verübtes Verbrechen zu verarbeiten. So glaubt man in der arabischen Welt vornehmlich an eine zionistische Verschwörung gegen die Araber; im Iran eher an eine Verschwörung der Vereinigten Staaten, die mit der militärischen Präsenz in Afghanistan und Zentralasien den Iran strategisch einzukreisen und den Islam zu schwächen versuchen. In allen Staaten bis auf Israel grassiert auch die Angst, dass die sicht- und fühlbare anti-arabische und anti-muslimische Stimmung in Europa und Nordamerika zu weiteren Übergriffen gegen die Immigranten aus der arabisch-islamischen Welt in diesen Ländern führen wird. ...aber kaum wirkliche Selbstkritik In allen Staaten der Region - bis auf Israel - fehlt aber die breite interne gesellschaftliche Auseinandersetzung, die den offensichtlichen Mangel an politischer Legitimität in weiten Teilen der arabisch-islamischen Welt thematisiert und die den Nährboden des Islamismus und des islamistischen Terrors, der sich mittlerweile fast ausnahmslos in den Ländern der arabisch-islamischen Welt ausgebreitet und sich weltweit vernetzt hat, untersucht. Und nicht zuletzt fehlt eine breite interne gesellschaftliche Auseinandersetzung, die das Verhältnis zwischen Moderne und Islam hinterfragt. In keinem Staat - bis auf den Iran - haben die Angriffe auf das islamische Afghanistan, nicht einmal die Verstärkung dieser Angriffe, bislang zu Massenprotesten geführt. Das liegt in den Ländern, in denen man weit verbreitete Sympathien für Osama bin Laden wie in Saudi-Arabien, im Sudan oder im Jemen vermutet, zweifelsohne an dem funktionierenden Repressionsapparat, größere Demonstrationen gegebenenfalls zu unterbinden. Weitaus wichtiger und entscheidend ist aber, dass Afghanistan ganz einfach geographisch und kulturell zu weit entfernt vom Maghreb und Mashrek ist, um Massensolidarität in den Straßen der arabischen Welt vergleichbar mit den Großkundgebungen während des zweiten Golfkrieges zu erzeugen. Stimmungslage in der Region auch tiefgreifende Unterschiede Hinter diesen Gemeinsamkeiten verbergen sich aber tiefgreifende Unterschiede, die sich im Umgang der einzelnen Länder in der Region mit dem Phänomen des (gewaltbereiten) Islamismus in der Vergangenheit deutlich manifestiert haben. Bitterkeit und Genugtuung in den autoritären Präsidialregimes Eine erste Gruppe von Staaten, die autoritären Präsidialregime Algerien, Tunesien, Ägypten und Syrien, empfindet tiefe Genugtuung über die späte Bestätigung ihrer Politik gegenüber dem gewaltbereiten Islamismus. In Algerien fühlen sich in der Regierung auf jeden Fall die Hardliner - die Eradicateurs - bestärkt, die schon immer der Auffassung waren, dass dieser Art politischer Bewegung nur mit dem Mittel der eisernen Hand der Garaus gemacht werden kann. Jede Art von Dialog mit den Islamisten wird von ihnen als Schwäche ausgelegt und abgelehnt, ohne ihre eigene undemokratische Politik nur im Ansatz zu hinterfragen. Aber auch Bitterkeit ist zu spüren, dass in der westlichen Welt keine Gedenkminuten für die in die Zehntausende gehenden Opfer der Afghanen in Algerien eingelegt wurden. Denn von vielen der in Algerien tätigen islamistischen Terroristen ist bekannt, dass sie in Afghanistan ausgebildet worden sind und ihre ersten militärischen Erfahrungen in den Reihen der afghanischen Opposition gegen die Sowjetunion gewonnen haben. Nach der Niederlage der Sowjets sind sie in ihr Ursprungsland zurückgekehrt, wo sie unter dem Namen Afghanen die Kernzelle terroristischer Banden bildeten. Im gleichgeschalteten Tunesien gab es öffentlich weder Sympathie- noch Antipathiekundgebungen. Der tunesische Präsident wies nur in einer öffentlichen Erklärung darauf hin, dass sein Land schon sehr früh die Gefahren des islamistischen Terrors erkannt und rechtzeitig darauf reagiert habe. Um seine Aussagen zu unterstreichen, wurden in der Presse ausführliche Auszüge eines Interviews abgedruckt, das der Präsident im Jahre 1994 der französischen Zeitung Figaro gewährt hatte. In Algerien und Tunesien erinnerte man durchaus mit Genugtuung den Westen" an seinen Teil der Verantwortung für die Ereignisse vom 11. September: Die europäischen Länder und die USA hätten in den letzten Jahren zunehmend den Islamisten - unter dem Schutz des Asylrechts - Unterschlupf gewährt und sie von ihrem Terrain aus ihre Tätigkeiten fortführen lassen. Mit großer Befriedigung wird auch in Ägypten die veränderte Haltung der europäischen Staaten zur Frage der Behandlung von ägyptischen Staatsbürgern wahrgenommen. Eine Reihe von europäischen Staaten ist nun endlich bereit, massive Maßnahmen jetzt bis hin zur Auslieferung an die ägyptischen Behörden gegen in Ägypten angeklagte mutmaßliche Terroristen zu ergreifen, die im Ausland politisches Asyl genießen. Hier kommt auch zum Ausdruck, wie sehr die ägyptische Führungsschicht in der Vergangenheit unter den Verurteilungen durch die USA und die europäischen Länder in der Menschenrechtsfrage und wegen ihres Vorgehens gegen einheimische "Terroristen" gelitten und dieses Verhalten als Ausdruck des Mangels an Respekt und der ausländischen Arroganz erlebt hat. Gleichzeitig drängt Ägypten bereits seit zehn Jahren mit aller Kraft darauf, die internationale Auseinandersetzung und Kriegführung gegen den Terrorismus unter die Ägide der Vereinten Nationen zu stellen, die Definition von Terrorismus und das Vorgehen gegen den Terrorismus zum Thema einer großen internationalen Konferenz zu machen. Nach den Terrorattacken auf New York und Washington am 11. September hat sich Syrien ebenfalls sofort bereit erklärt, in einer Antiterrorallianz mitzuwirken. Auch die syrische Regierung hat bereits 1982 in Hama die islamistischen Gruppierungen mit der ganzen Härte des staatlichen Gewaltmonopols zerschlagen und auch das libanesische Militär bei der Niederschlagung der Aufstände in Dinnieh im Libanon 1999/2000 unterstützt. Brisant an diesem Angebot ist nicht nur, dass Syrien wegen seiner Verbindungen zur libanesischen Hizbullah und den palästinensischen Gruppierungen, die den Oslo-Friedensprozess auch mit Gewalt ablehnen (die Damaskus-Gruppe der 10), auf der US-Liste der "Terrorismus unterstützenden Staaten" steht. Ebenso brisant ist es, dass Syrien seinen Sitz im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen im Januar 2002 übernehmen wird. Der syrische Balanceakt wird darauf abzielen, den Widerstand gegen Israel aufrechtzuerhalten und die von Damaskus betonte Unterscheidung zwischen Terrorismus und legitimem Widerstand, hinter der natürlich wichtige Beweggründe stehen, international durchzusetzen. Zunächst ist in diesem Zusammenhang das vitale Interesse Syriens zu nennen, die Hizbullah im Libanon nicht als indirektes Druckmittel im Rahmen der syrischen Nadelstichpolitik gegen Israel zu verlieren. Natürlich ist auch die Legitimierung des palästinensischen Befreiungskampfes von strategischer Bedeutung für den einzig verbliebenen militärisch potenten Frontstaat. Nicht zuletzt ist es für den syrischen Öffnungsprozess grundlegend, von der US-Liste der Terrorismus unterstützenden Staaten gestrichen zu werden. Daher wird Syrien alles daran setzen, ein glaubhafter Partner in der Antiterrorallianz zu sein. Bestätigung und Ermutigung in den offenen, kapitalarmen Monarchien Im Gegensatz zu den autoritären Präsidialregimes ist es der offenen, reformorientierten, aber kapitalarmen Monarchie Jordanien durchaus gelungen, die islamistische Bewegung in den politischen Prozess zu integrieren und nicht zu stigmatisieren oder gar zu marginalisieren. König Hussein setzte schon früh darauf, die islamistische Bewegung durch die Mitarbeit in der jordanischen Regierung und die Teilnahme an der parlamentarischen Arbeit einzubinden und damit zu entzaubern. Auch dem gewaltbereiten Zweig der islamistischen Bewegungen wurde dadurch die Legitimationsbasis erfolgreich entzogen. Diese Politik wird auch von seinem Nachfolger, König Abdallah II, fortgesetzt. Der junge König Mohammed VI scheint diese Politik in seinem ebenfalls kapitalarmen, aber reformorientierten Marokko auch verfolgen zu wollen. Beide Königshäuser bieten den Islamisten wegen ihrer direkten Abstammungslinie bis zum Propheten Mohammad natürlich nur wenig Angriffsfläche. Entsetzen und Scham in den Erdölmonarchien Ganz anders stellt sich die Situation auf der Arabischen Halbinsel dar für die kapitalreichen, aber gesellschaftlich geschlossenen Erdölmonarchien, die sich im Golfkooperationsrat zusammengeschlossen haben. Die auf dem Reißbrett der britischen Kolonialmacht kreierten Zwergstaaten Bahrain, Katar, Kuwait, Vereinigte Arabische Emirate (VAE) und Oman fühlen sich nach dem zweiten Golfkrieg nur durch bilaterale Schutzverträge mit den westlichen Mächten - vor allem mit Frankreich und den Vereinigten Staaten - sicher und zogen es vor, auf den arabischen Beistand durch Ägypten und Syrien, wie er in der Damaskus-Deklaration von 1991 vorgesehen war, zu verzichten. Ähnliches gilt für Saudi-Arabien. Dennoch ist in Saudi-Arabien aber vieles anders. Seit 1945 stehen die Saudis mit den Amerikanern in einer unheiligen symbiotischen Beziehung: Die Saudis verkaufen Öl an die Amerikaner und lassen amerikanische Militärstützpunkte auf saudischem Boden zu. Dafür verkaufen die Amerikaner den Saudis Waffen, schützen sie militärisch und sehen über die gravierendsten Menschenrechtsverletzungen in Saudi-Arabien nonchalant hinweg. Jetzt stellt sich heraus, dass Riad ein wesentlicher Teil des islamistischen Terrorproblems ist und nicht Teil seiner Lösung. Schon seit Jahrzehnten ist bekannt, dass Saudi-Arabien den Export von religiösen Schriften, die mit seiner Islam-Auffassung in Übereinstimmung stehen, und den Ausbau der religiösen, materiellen Infrastruktur in Form von Moscheen finanziert. Ebenfalls seit Jahrzehnten ist bekannt, dass die Wahhabiten-Bewegung, die auch heute noch die Grundlagen der Staatsreligion in Saudi-Arabien bildet, aufgrund ihrer intoleranten Haltung gegenüber ihren muslimischen Glaubensbrüdern und ihrer gemeinhin als geistesfeindlich bekannten Auffassungen unter dem Verdacht der Häresie stand und erst durch ihren mit Petro-Dollars erkauften politischen Erfolg allgemein als orthodox anerkannt ist. Nicht genug: Saudi-Arabien ist auch noch Hüterin der zwei heiligen Stätten des Islam (Mekka und Medina), Sitz der 57 Staaten zählenden Organisation der Islamischen Konferenz (OIC), der Islamischen Weltliga und der Islamischen Entwicklungsbank. Saudi-Arabien hat sich so zum international wichtigsten Repräsentanten der konservativen Strömung des Islamismus gemacht: Saudi-Arabien unterstützt mehrere islamistische Bewegungen in anderen Ländern und wird von diesen aus Überzeugung oder aus pragmatischen Gründen als legitim im Sinne des Islam anerkannt, während andere islamistische Bewegungen - wie dies schon die Moscheebesetzungen in Mekka 1979 und 1987 deutlich dokumentierten und die jüngsten Bombenanschläge in Saudi-Arabien bestätigten sie als unislamisch und illegitim attackieren. Folgerichtig hatte auch Saudi-Arabien neben den VAE und Pakistan als einziger Staat das Taliban-Regime bis zu den Ereignissen vom 11. September diplomatisch anerkannt, ein Regime, dessen Islam-Auffassung der der Wahhabiten-Bewegung mehr als ähnelt. Jetzt stellt sich ferner heraus, dass mindestens zwölf der bislang identifizierten Selbstmordattentäter aus Saudi-Arabien stammen und nicht etwa unter den usual suspects islamistischer Selbstmordattentäter, Iranern oder Palästinensern, zu finden waren. Der engste Verbündete der Amerikaner hat zwar die Anschläge vom 11. September scharf verurteilt, zeigt aber bislang nur sehr wenig Bereitschaft, mit den amerikanischen Sicherheitsdiensten zu kooperieren oder den Luftwaffenstützpunkt Prinz Sultan für Militäraktionen der Anti-Terror-Koalition freizugeben. Angst in den Schurkenstaaten Im Gegensatz zu dem vermeintlich starken Front- bzw. Schurkenstaat Syrien und dem nur scheinbar in disguise agierenden Schurkenstaat Saudi-Arabien herrscht in den anderen schwachen oder auf internationalen Druck geschwächten arabischen und islamischen Staaten, die den Terrorismus unterstützen (so wird der gängige Begriff Schurkenstaat (rogue state) seit kurzem von der US-Administration ersetzt) - Jemen, Libanon, Libyen, Sudan, Irak und Iran - nicht nur physische Angst vor möglichen amerikanischen Vergeltungsschlägen. Mindestens ebenso groß ist die politische Angst, als die Staaten in der Region, die den Terrorismus nach US-Definition unterstützen, erneut gebrandmarkt zu werden und die Chancen auf eine Reintegration in die Weltgemeinschaft auf Dauer zu verlieren. Der Jemen, wiedervereinigt zwar, aber äußerst verarmt, ist der einzige Staat auf der Arabischen Halbinsel, der nicht in den feudalen Golfkooperationsrat darf. Er muss sich trotz der seit langem bestehenden Zusammenarbeit zwischen der jemenitischen Führung und den im Jemen stationierten amerikanischen Sicherheitsdiensten als potentielles Ziel amerikanischer Vergeltungsanschläge begreifen. Das amerikanische Militärschiff U.S.S. Cole wurde vor Aden am 12. Oktober 2000 von Selbstmordbombenattentätern in die Luft gejagt. Al Qaeda soll darüber hinaus Ausbildungslager im Jemen haben. Nicht nur deswegen herrscht im Jemen Angst. Der Jemen ist marginalisiert, nicht nur als Antipode mit demokratischem Potential gegenüber den feudalen Erdölmonarchien des Golfkooperationsrates, sondern auch als der einzige - wegen seiner Bevölkerungszahl - potentielle Widerpart Saudi-Arabiens um die Vorherrschaft auf der Arabischen Halbinsel. Auch im Libanon herrscht Angst, dass der Zedernstaat wegen der Militäroperationen der Hizbullah ein direktes Ziel der (militärischen) Antiterrorkampagne sein könnte. Eine Angst, die von allen Konfessionen und Gruppierungen - angeführt von der Troika an der Spitze des Staates, dem christlichen Staatspräsidenten Emil Lahoud, dem sunnitischen Ministerpräsidenten Rafiq Hariri und dem schiitischen Parlamentspräsidenten Nabih Berri, geteilt wird. Beirut betont daher wie Syrien - insbesondere vor dem Hintergrund der Eskalation des israelisch-palästinensischen Konflikts - die notwendige Unterscheidung zwischen Terrorismus und legitimem Widerstand. Angesichts des konfessionellen Balanceakts im Libanon sorgt man sich, dass eine Antiterrorkampagne, die als eine gegen die Muslime im Libanon gerichtete Aktion wahrgenommen wird, das fragile politische System nachhaltig aus dem Gleichgewicht bringen könnte. Obwohl die Vereinigten Staaten die Sanktionen gegen Libyen bereits im Juli 2001 um weitere fünf Jahre verlängert haben, verurteilte Muammar Al Ghaddafi trotzdem die Anschläge scharf und betonte das Recht der Vereinigten Staaten, sich zu rächen. Ghaddafis neu entdeckte Amerikanophilie wird sich angesichts der im La-Belle-Prozess in Berlin vorgelegten Beweise und Indizien, die auf einen libyschen Staatsterrorismus in der Vergangenheit nachdrücklich hinweisen, wohl doch nicht positiv auf das bestehende Sanktionsregime auswirken. Das islamistische Regime Bashars im vom Bürgerkrieg zerrissenen Sudan, das von 1991 bis 1996 Osama bin Laden Unterschlupf gewährte, verurteilte die Anschläge scharf, hat aber gleichzeitig auch Angst. Die Bevölkerung befürchtet, dass die Vereinigten Staaten den Sudan wieder militärisch angreifen könnten. Zu gegenwärtig sind die Erinnerungen an die US-Angriffe auf Khartum im August 1998 als Antwort auf die Terroranschläge auf die US-Botschaften in Nairobi und Daressalam, die mutmaßlich von bin Laden orchestriert wurden. Die Angst des Regimes, dass die seit 1996 auf dem Sudan lastenden Sanktionen der Vereinten Nationen (VN) wegen der Ereignisse des 11. September nun doch nicht aufgehoben würden, hat sich aber als unbegründet erwiesen. Mit seiner Resolution 1372 (2001) vom 28. September 2001 hob der VN-Sicherheitsrat mit sofortiger Wirkung diese Sanktionen auf. Die enge Zusammenarbeit des Regimes mit amerikanischen Sicherheitsexperten, die sich seit einem Jahr im Sudan aufhalten, die Festnahme von mehr als 150 Anhängern bin Ladens kurz nach den Anschlägen vom 11. September und nicht zuletzt der durch die in jüngster Zeit entdeckten großen Erdölvorkommen deutlich gestiegene sex appeal des Sudan für westliche Investoren haben sich doch ausgezahlt. Der Irak - und das ist nun wirklich nicht überraschend - hat die Terroranschläge vom 11. September nicht verurteilt. Nach offizieller irakischer Lesart zahlen die Vereinigten Staaten nun den Preis für ihre Verbrechen gegen die Menschheit, insbesondere für ihre einseitige und verfehlte Politik gegenüber der arabisch-islamischen Welt. Der Irak hat vielmehr die arabischen Staaten scharf kritisiert, die diese Terroranschläge angesichts des Leidens der irakischen Bevölkerung schamlos verurteilt haben, und diesen Staaten drohend empfohlen, in der Zukunft besser zu schweigen. Diese Drohgebärden verdeutlichen natürlich auch die Angst des irakischen Regimes, ad infinitum dem rigiden internationalen Sanktionsregime ausgesetzt zu bleiben. Der Iran steckt in einem tiefen Dilemma. Auf der einen Seite hat der Iran sein tiefes Mitgefühl mit den Opfern der Terroranschläge vom 11. September zum Ausdruck gebracht. Auf der anderen Seite bleiben die Vereinigten Staaten der ideologische Feind, der "große Satan", und die drei größten Terroristen sind laut Teheran Times Bush, Blair und Sharon. Zu allem Überfluss kämpft der schiitische Iran plötzlich Schulter an Schulter mit den USA gegen die sunnitischen Taliban, die seit ihrem Blutbad vor allem unter den schiitischen Hazara und der Ermordung von acht iranischen Diplomaten im afghanischen Mazar i Sharif im Jahre 1998 zu Irans Hauptfeinden in der islamischen Welt zählen. Verunsicherung in Israel Im Heiligen Land sah es zunächst so aus, als ob die palästinensische Autonomieregierung unter Führung von Jasser Arafat in ihren Bemühungen, Eigenstaatlichkeit zu erlangen, auf Jahre zurückgeworfen würde und Israel den größtmöglichen Nutzen aus den verheerenden Terroranschlägen ziehen könnte. Auch die offizielle Politik in Israel glaubte zunächst, dass die Vereinigten Staaten und der Rest der Welt endlich verstehen würden, was Israel durchmacht, und schlossen (vorschnell) daraus, dass Null-Toleranz gegenüber dem Weltterror gleichzusetzen ist mit Null-Toleranz gegenüber einem nicht näher definierten palästinensischen Terror. Im Windschatten der Anti-Terror-Koalition glaubte Ariel Sharon, nun noch härter den palästinensischen Terror bekämpfen zu können als je zuvor. Sehr schnell wurde ihm aber klar, dass seine Schlussfolgerung aus den Ereignissen vom 11. September nicht uneingeschränkt von den Vereinigten Staaten geteilt wurden. Als er auch noch sagte, Israel sei nicht bereit, wie die Tschechoslowakei, die im Rahmen einer verfehlten britischen Appeasement-Politik gegenüber Nazi-Deutschland 1938 geopfert wurde, als Morgengabe für die Araber im amerikanischen Kampf gegen den Terror zu dienen, kam es zu ernsthaften Ver-stimmungen zwischen Jerusalem und Washington. Vor diesem Hintergrund befürchten nun dieselben israelischen Offiziellen einen amerikanischen Paradigmenwechsel. Amerika könnte die israelische Politik gegenüber den Palästinensern, insbesondere die israelische Siedlungs- und Absperrungspolitik als Teil des amerikanischen Terror-Problems betrachten. Solidarität in der Türkei Die Türkei, als einziger nahöstlicher Staat auch NATO-Mitglied, hat nicht nur die Terroranschläge vom 11. September scharf verurteilt, sondern auch als einziges muslimisches Land bereits Einheiten zur Unterstützung der Nordallianz gegen die Taliban nach Afghanistan entsandt. Die türkische Regierung hat damit wieder ein klares Votum für ihre West-Orientierung nach außen abgegeben, die nach innen und in der Region aber überwiegend negativ ausstrahlt. Die Türkei, ohnehin als Rechtsnachfolger des Osmanischen Reiches historisch in der Region vorbelastet, verstrickt in einem Machtkampf mit dem Iran um die Hegemonie über die islamischen Türk-Republiken der ehemaligen Sowjetunion, hat auch durch ihre strategische Allianz mit Israel, ihre Wasserpolitik (Staudamm-Projekte) gegenüber Syrien und dem Irak sowie ihre Kurden-Politik arabischen Missmut auf sich gezogen. Von (un)wahrscheinlichen Verhaltensmustern... Die Sicherheitskonjunktur wird auf nationaler Ebene boomen. Es ist sehr wahrscheinlich, dass die autoritären Regime in der Region diese Situation in ihrem Sinne nützen werden. Denn die Ereignisse vom 11.September waren Wasser auf den Mühlen der autoritären Präsidialregime, die schon seit langer Zeit ein hartes Vorgehen gegen die Islamisten predigen. Sie sehen sich in ihrer Position gestärkt und profitieren von der gegenwärtigen "Sicherheitskonjunktur. Die Zeiten, in denen die Kritik der europäischen Regierungen wegen der Menschenrechtsfragen im Vordergrund stand, scheinen bis auf weiteres vorüber zu sein. Ein zentrales, wenn nicht sogar das wesentliche Ziel der autoritären Präsidialregime nach dem 11. September besteht in der Aufrechterhaltung der innenpolitischen Stabilität. Im Inland wird versucht werden, mit allen - auch repressiven - Mitteln Ruhe und Ordnung aufrechtzuerhalten. Ruhe und Ordnung, die notwendig sein werden, um den bereits schon jetzt feststellbaren deutlichen Rückgang der Einnahmen aus dem Tourismus, der in diesen Staaten eine der wichtigsten Devisenquellen darstellt, nicht ins Bodenlose fallen zu lassen. Ähnliches gilt auch für die offenen, aber kapitalarmen Monarchien Jordanien und Marokko, aber aus anderen Gründen: Seit Juli 2001, als das Parlament aufgelöst wurde, wird Jordanien mit Notverordnungen (Temporary Laws) regiert. Wegen der anhaltenden Intifada al Aqsa kam es in der Vergangenheit schon zu gewaltsamen Zusammenstößen zwischen pro-palästinensischen Demonstranten und der von Transjordaniern dominierten Polizei. Das haschemitische Königreich von Jordanien, dessen Bevölkerungsmehrheit palästinensischen Ursprungs ist, bleibt vorerst gefangen in einem gefährlichen und fragilen Balanceakt zwischen den guten Beziehungen zum Westen und seiner Einbettung in der arabischen Welt bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung des Friedensvertrages mit Israel. Der marokkanische König, der auch Vorsitzender des Jerusalem-Komitees der Organisation der Islamischen Konferenz ist, ist in einer etwas entspannteren Situation. Durch die geographische Distanz ist es Marokko trotz der anhaltenden Krise im Nahen Osten möglich, den gesellschaftlichen Öffnungsprozess voranzutreiben und sogar bisher geltende Tabu-Themen: wie Sahara-Konflikt, Monarchie und Islam peu à peu aufzubrechen. Auch auf bilateraler Ebene werden die Prioritäten, die der Sicherheitspolitik eingeräumt werden, Auswirkungen haben. Es ist wahrscheinlich, dass Syrien die Ereignisse vom 11. September bezüglich seiner Rolle im Libanon nützen wird. Die Notwendigkeit der syrischen Präsenz im Libanon könnte sicherheitspolitisch begründet werden mit der Kontrolle von Hizbullah und anderen libanesischen islamistischen Gruppen, radikalen Palästinensergruppen und potentiellen konfessionellen Spannungen. Insbesondere nach den groß angelegten Angriffen auf die Shebaa-Farmen am 22. Oktober hat sich der indirekte Druck der USA auf Syrien verstärkt, Ruhe an der Grenze zu Israel zu gewährleisten. Und die Notwendigkeit von syrischer Kontrolle im Libanon würde sich natürlich noch steigern, sollte es tatsächlich eine Spaltung zwischen einem pro-iranischen und einem pro-syrischen Flügel innerhalb der Hizbullah geben. Darüber hinaus hat Syrien ein gewisses Einflusspotential auf radikale Palästinensergruppen in den Flüchtlingslagern im Libanon wie z.B. Esbat el-Ansar, der von den USA Verbindungen zum bin Laden-Netzwerk nachgesagt werden. Eine dritte Dimension könnte darüber hinaus das potentielle Aufflackern konfessioneller Spannungen darstellen, wie sie sich in den Angriffen auf zwei Kirchen in Sidon und eine Moschee in Batroun angedeutet haben. Sogar auf multilateraler Ebene wird die innere Sicherheit gestärkt werden. Sehr wahrscheinlich wird sich die multilaterale arabische Sicherheitszusammenarbeit weiter intensivieren. Schon seit Beginn der 90er Jahre arbeiten die Mitgliedsstaaten der Arabischen Liga erfolgreich im Feld der inneren Sicherheit zusammen. 1998 wurde sogar ein Abkommen zur Bekämpfung des Terrorismus geschlossen. Der Rat der arabischen Innenminister ist immer noch der einzige, der sich nach dem zweiten Golfkrieg auch mit großer Beitragsdisziplin regelmäßig trifft. Der arabisch-islamische Multilateralismus wird aber nach außen zahnlos bleiben. Es ist nämlich sehr unwahrscheinlich, dass sich die arabisch-islamische Welt in ihren multilateralen Foren auf eine gemeinsame arabisch-islamische Reaktion gegen eine äußere Bedrohung in der nahen Zukunft einigen kann.
Die arabisch-islamische Welt ist in einer komplexen Situation gefangen. Es geht nun nicht mehr einfach darum, die Terroranschläge in den Vereinigten Staaten zu verurteilen. Es geht vor allem darum, zwischen dem richtigen und dem falschen Islam zu differenzieren, den Unterschied zwischen Freiheitskämpfern und Terroristen zu definieren. Es geht auch darum, die islamischen Bruderstaaten wegen ihrer Beherbergung terroristischer Organisationen zu kritisieren, andere islamische Staaten für ihre aktive Unterstützung der amerikanischen und britischen Luftangriffe auf Afghanistan wiederum nicht zu verurteilen. Nicht zuletzt geht es darum, die restlichen islamischen Staaten gegen einen Angriff des Westens ohne hinreichenden Grund zu schützen. Bislang scheint es unmöglich, auf multilateraler Ebene gemeinsame Antworten auf diese Fragen zu finden, wie das jüngste Treffen der Organisation der Islamischen Konferenz und das erste Treffen des Central Office for the Boycott of Israel seit 1993 gezeigt haben: Der Vergleich zwischen der Abschlusserklärung der neunten außerordentlichen Sitzung der Außenminister der OIC, die in Doha (Katar) stattfand, vom 10. Oktober 2001 und dem letzten Entwurf dieser Abschlusserklärung ist in dieser Hinsicht vielsagend. Im inoffiziellen Entwurf konnten sich die Länder so schien es noch darauf einigen, Angriffe auf islamische oder arabische Staaten unter dem Vorwand des Kampfes gegen den Terrorismus abzulehnen. In der offiziellen Abschlusserklärung ist dieser Satz aber nicht mehr zu finden. Wenn schon kein Konsens über die Ablehnung von derartigen Angriffen erreicht werden kann, muss ein Konsens über eine gemeinsame Reaktion der arabisch-islamischen Welt auf potentielle Angriffe der Vereinigten Staaten auf ein arabisches Land als illusorisch erscheinen. Genauso ergebnislos verlief das erste Treffen des Central Office for the Boycott of Israel, das im Oktober in dessen Hauptsitz in Damaskus stattfand. Bei Abwesenheit der arabischen Staaten, die mit Israel bereits einen Friedensvertrag haben (Ägypten und Jordanien) oder weiterhin trotz der seit einem Jahr andauernden Intifada Al Aqsa und des Aufrufs der Arabischen Liga, die Beziehungen mit Israel einzufrieren, diplomatische Beziehungen mit Israel aufrechterhalten (Mauretanien), konnten sich die anwesenden Staaten nicht auf die Wiederaufnahme des indirekten Wirtschaftsboykotts gegen Israel einigen. Der Flächenbrand bleibt vorerst aus. Es ist sehr wahrscheinlich, dass die Bevölkerung in den Staaten der arabisch-islamischen Welt trotz der zu erwartenden Radikalisierung der offiziellen Rhetorik ruhig bleibt, solange sich die Vergeltungsangriffe gezielt und mit großer Treffsicherheit gegen die Taliban in Afghanistan und Al Qa'eda weltweit richten. Selbst selektive Angriffe gegen die Al Qaeda in der arabischen Welt und hier sind natürlich vor allem der Jemen, Saudi-Arabien, der Sudan und der Irak betroffen werden nicht zu Massenprotesten der arabischen Straße führen. Zu deutlich ist die Verstrickung dieses Netzwerks in den internationalen Terrorismus auch in der arabischen Welt dokumentiert worden. Wenn sich aber die Angriffe der Anti-Terror-Koalition gegen Organisationen richten sollten, die nach arabisch-islamischer Überzeugung den legitimen Widerstand gegen die israelische Besatzung unterstützen wie die Hamas, der Jihad Islami (Heiliger islamischer Krieg) und die Hizbullah (Partei Gottes) oder die säkulare Palestinian Front for the Liberation of Palestine (PFLP) , werden die Regime große Mühe haben, ihre bislang dezidiert pro-amerikanische Position gegenüber einer zunehmend anti-westlichen Stimmung in der Bevölkerung zu behaupten. Ähnliches würde bei einem umfassenden und massiven Militärschlag gegen den Irak gelten, der ohne absehbare Ergebnisse über längere Zeit andauern und zunehmend zivile, unschuldige Opfer, Kolateralschäden, fordern würde. Die nadelstichartigen Luftangriffe gegen militärische Einrichtungen im Irak gehen natürlich weiter, auch wenn sie schon längst nicht mehr den Weg in die täglichen Abendnachrichten finden. ...und notwendigem Politikwechsel Verantwortlichkeiten der externen Spieler Glaubwürdigkeit schaffen bei der Lösung des arabisch-israelischen Konflikts: Als direkte Folge des 11. September hat die Bush-Regierung ihren bisherigen benign neglect des laufenden Nahost-Friedensprozesses zwischen Israel und seinem arabischen Nachbarn eingestehen müssen. Bereits am 24. September, so heißt es jetzt, wollte Präsident Bush vor den Vereinten Nationen die neue Nahost-Politik der Vereinigten Staaten vorstellen und die amerikanische Unterstützung für die Schaffung eines unabhängigen palästinensischen Staates explizit erwähnen. Aus dieser Absichtserklärung kann aber nur ein glaubwürdiger Strategie- bzw. Paradigmenwechsel in der amerikanischen Nahost-Politik werden, wenn mehrere Voraussetzungen erfüllt werden. Grundsätzlich müssen die bestehenden Einschätzungen der Länder in der Region als "moderate" arabische Partner der USA bzw. des Westens (Algerien, Tunesien, Ägypten), als dezidiert pro-amerikanische arabische Freunde (Jordanien und Marokko), als arabische Schutzbefohlene (die Staaten des Golf-Kooperationsrates), als arabisch-islamische "Schurkenstaaten" (Libyen, Sudan, Jemen, Libanon, Syrien, Irak und Iran) und als nicht-arabische strategische Alliierte (Israel und die Türkei) auf den Prüfstand gestellt werden. Vermeintliche strategische Partner der Anti-Terror-Koalition (vor allem Saudi-Arabien) erweisen sich nun als Teil des Problems. Vermeintliche Schurken (vor allem Syrien und der Iran) könnten dagegen Teil der Lösung des Problems werden. Bislang ist der laufende Friedensprozess ein regionaler Friedensprozess unter der de jure gemeinsamen Führung der USA und Russlands, dem Rechtsnachfolger der UdSSR, aber de facto unter alleiniger amerikanischer Führung, und kein internationaler Friedensprozess unter Leitung der Vereinten Nationen, da Israel den Vereinten Nationen nicht unberechtigt einen anti-israelischen Bias unterstellt . Auch die EU ist in diesem Prozess weitestgehend marginalisiert, nicht nur, weil sie wegen ihrer noch nicht ausgereiften Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) den regionalen Konfliktparteien keine hinreichenden Garantien über die Sicherung von Friedensabkommen geben kann, sondern auch, weil einige Mitgliedsländer der EU als zu pro-arabisch nach israelischer Lesart gelten. Um die breite Unterstützung der arabisch-islamischen Welt im Kampf gegen den internationalen Terror zu gewinnen und die Legitimierung des Antiterrorfeldzugs durch die Vereinten Nationen zu erhalten, müssen die Vereinigten Staaten aber ihr bisheriges Monopol und ihren Unilateralismus aufgeben und den Friedensprozess internationalisieren. Die Chancen dafür sind nicht schlecht. Die Ausgangslage ist mit der von 1991 vergleichbar. Damals kam es sehr schnell nach dem Ende des zweiten Golfkrieges auf Druck der USA zu einer Nahost-Friedenskonferenz. Auch damals befanden sich die Konfliktparteien in einer Sackgasse: Israel hatte seine Bedeutung als westliches Bollwerk gegen den Sowjetimperialismus im Nahen Osten verloren. Darüber hinaus minimierte die arabisch-amerikanische Anti-Irak-Koalition Israels strategische Bedeutung für die USA im zweiten Golfkrieg. Auch heute brauchen die Vereinigten Staaten die arabisch-islamischen Staaten, dieses Mal für ihre internationale Anti-Terror-Koalition. Um den Aufbau dieser Koalition nicht zu gefährden, spielt Israel daher nur indirekt einen Part in dieser Koalition. Damals musste Libanon, der seit dem Taif-Abkommen der Arabischen Liga im Jahre 1989 unter syrischer Kontrolle ist, seinem Bruder" folgen. Jordanien versprach sich von seiner Teilnahme an der Madrider Nahost-Friedenskonferenz am 30. September 1991 einen Ausbruch aus der politischen Isolation und ausländische Hilfe für seine am Boden liegende Wirtschaft - ebenso die Palästinenser. Auch heute wird der Libanon seinem syrischen Bruder folgen müssen. Jordanien braucht, um die innere Stabilität aufrechtzuerhalten, ein Ende der Intifada al Aqsa. Ebenso die Palästinenser, die vor einer innenpolitischen Zerreißprobe angesichts der friedenspolitischen Sackgasse stehen. Neue Wege suchen bei der Integration der Türkei und des Iran in die Region: Der laufende arabisch-israelische Friedensprozess kann nicht isoliert von dem anderen Hauptkonflikt um die Vorherrschaft am Golf in der Region betrachtet werden. Er muss vielmehr als grundlegender Teil eines umfassenderen regionalen Friedensprozesses begriffen werden, der neben Israel auch die Türkei und vor allem den Iran miteinschließt. Nur dann sind die Befürchtungen des Iran, in einer neuen regionalen Arbeitsteilung, die aus dem arabisch-israelischen Friedensprozess resultiert, keine Rolle zu spielen, zu entkräften. Nur dann können die weiter oben diskutierten Probleme der Region mit der Türkei gelöst werden. Alte Denkansätze aufbrechen bei der Lösung des Irak-Problems: Seit über zehn Jahren ist das starre Sanktionsregime der Vereinten Nationen gegen den Irak in Kraft. Es ist wohl eines der härtesten Regime, das jemals gegen einen Mitgliedsstaat der VN verhängt wurde. In mehreren Punkten müssen die Sanktionen, misst man sie an ihren ursprünglichen Zielen, als gescheitert angesehen werden. Die humanitären Folgen der zehnjährigen Blockade, die vom Regime Saddam Husseins zweifelsohne auch propagandistisch ausgenützt werden, sind als katastrophal einzustufen. Durch das fortgesetzte Leiden der irakischen Zivilbevölkerung besteht dauernd die Gefahr einer erneuten Solidarisierung arabischer Staaten mit dem Irak, die durch die anhaltende Intifada Al Aqsa noch weiter erhöht worden ist. Darüber hinaus haben die Sanktionen nicht zur Schwächung des Regimes von Saddam Hussein im Irak geführt, sondern wesentlich zu seiner Stärkung beigetragen: Der aus den Sanktionen resultierende Schmuggel hat neue Einnahmequellen für das Regime eröffnet. Das Regime hat sich auch über sein Verteilungsmonopol neue Legitimität in der irakischen Mangelwirtschaft verschafft, und nicht zuletzt konnte sich Saddam Hussein mit Erfolg als Salah Al Din (Saladdin) der Neuzeit gegen die modernen Kreuzritter, die Vereinigten Staaten, positionieren. Die bisherige undurchsichtige Arbeit der UN-Entschädigungskommission (UNCC), deren Ziel es sein soll, die betroffenen Länder mit Mitteln aus den irakischen Erdöleinnahmen (derzeit 30 Prozent) für Kriegsfolgen zu entschädigen und die unmittelbaren Kriegskosten der Golfkriegsallianz zu kompensieren, verstärkt den Eindruck auf Seiten der arabischen Öffentlichkeit, dass es sich bei dem gesamten Sanktionsregime um eine Art Siegerjustiz handelt. Gleichzeitig besteht aber ohne jeden Zweifel weiterhin die Notwendigkeit, dem aggressiven Regime Einhalt zu gebieten. Die neue US-Administration, die ursprünglich die gegen den Irak eingesetzten Mittel zwar überprüfen, insgesamt aber mit einer weiterhin konfrontativen und eher noch verhärteten Haltung gegenüber dem Irak vorgehen wollte, muss nach dem 11. September auch ihre bisherige Irak-Politik erneut auf den Prüfstand stellen. Verantwortlichkeiten der Spieler in der Region Eine glaubwürdigere, ausgewogenere Nahost-Politik der Vereinigten Staaten reicht natürlich bei weitem nicht aus, den Nährboden des (gewaltbereiten) Islamismus auszutrocknen. Algerische islamische Extremisten schneiden nicht die Hälse ihrer Landsleute wegen der pro-israelischen US-Nahost-Politik auf. Genau so wenig wie islamische Radikale auf den Philippinen ihre Geiseln töten wegen der amerikanischen Irak-Politik. Mehr Demokratie wagen: Die Staaten in der arabisch-islamischen Welt müssen sich auch selbstkritisch fragen, warum sie hinsichtlich einer Vielzahl von politischen, wirtschaftlichen und sozialen Entwicklungsindikatoren Spitzenwerte im internationalen Vergleich aufweisen, die sich gegenseitig negativ verstärken und potentiell explosiv sind. Die derzeit boomende Sicherheitskonjunktur in vielen Ländern der Region wird die gesamtgesellschaftliche Suche nach Antworten auf diese Fragen nicht aufhalten, sondern bestenfalls nur verzögern können. Sie wissen und haben es bereits durch den arabischen CNN Al Gazeera in aller Deutlichkeit erfahren, dass die ständig wachsende weltweite Informationsdichte die politische Liberalisierung mittel- und langfristig erzwingt. Die Länder in dieser Region müssen sich zwischen Repression, Stagnation und Marginalisierung, die die politischen Spannungen wei-ter erhöhen und den Extremismus nicht nur den gewaltbereiten Islamismus schüren, oder politischer Öffnung, nachhaltigem Wachstum und Integration in die Weltwirtschaft entscheiden. Auf jeden Fall müssen sie handeln. Die Länder dieser Region müssen sich der breiten gesellschaftlichen Auseinandersetzung stellen. Sie müssen sich öffnen, Islam, Säkuralismus und Moderne vereinen und mehr Demokratie wagen. Der Zeitpunkt ist günstig. Aus dieser großen Krise können große Möglichkeiten erwachsen. © Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Januar 2002 |