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Singapur und die Asienkrise / Rolf Hanisch - [Electronic ed.] - Bonn, 2001 - 19 S. = 62 KB, Text . - (FES-Analyse)
Electronic ed.: Bonn : FES Library, 2001

© Friedrich-Ebert-Stiftung


INHALT





[Essentials]

  • Die von Thailand ausgehende „Asienkrise„ hat kein Land der Region unberührt gelassen, auch Singapur nicht. Singapur verfügt jedoch über starke makroökonomische „Fundamentals„. hohe Haushalts- und Leistungsbilanzüberschüsse, eine hohe Investitions- und eine noch höhere Sparrate sowie über eine geringe Inflation.
  • Die Wirtschaftsentwicklung wird von einer handlungsfähigen und interventionistischen technokratischen Regierung gesteuert, die sich für gute Arbeit üppig honoriert, den Staat aber nicht als Beute auffasst. Die Wirtschaft wird dominiert durch transnationale Konzerne und staatlich kontrollierte Unternehmen, die rentabel arbeiten.
  • Durch die enge Verflechtung des Stadtstaates als Handels-, Finanz- und Dienstleistungszentrum und durch den Tourismus mit den benachbarten Krisenstaaten wurde auch Singapur durch die Regionalkrise realwirtschaftlich „angesteckt„. Es kam zu Einbrüchen bei den Umsätzen und den Gewinnen, nicht jedoch zu nennenswerten Insolvenzen.
  • Die Währungsunsicherheit führte zu einem Kapitalabfluss, nicht aber zu einer aktiven Spekulation gegen den Singapur-Dollar. Zum Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit wertete Singapur seine Währung ab.
  • Die Vermögenswertblase in den Bereichen Immobilien und Börse, die schon 1996 ihren Höhepunkt erreicht hatte, platzte durch die Regionalkrise und erreichte 1999 ihren tiefsten Stand.
  • Im Vergleich zu den Nachbarstaaten erlebte der Stadtstaat 1998 - trotz späten Eingreifens durch die Regierung - eine „weiche Landung„. 1999 wurde wieder ein (für Singapur) mittleres, 2000 ein hohes Wachstum erzielt.
  • Während der Krise wurde eine Vision entwickelt, wie Singapur „innerhalb der kommenden Dekade zu einer entwickelten und global wettbewerbsfähigen Wissensökonomie„ werden soll. Den Weg dorthin sieht man in einer noch umfassenderen Globalisierung, der konsequenten Nutzung der modernen Technologien und im weiteren Ausbau des Bildungssystems, von Forschung und Entwicklung.

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Die Asienkrise und Singapur

Im Juli 1997 musste Thailand nach einigen spekulativen Währungsattacken den Baht frei floaten und damit drastisch abwerten. Die Währungskrise traf Thailand nicht schuldlos, wohl aber unvorbereitet. Sie weitete sich zur „Asienkrise„ aus, als auch die Währungen vieler Nachbarstaaten unter Druck gerieten und gleichfalls drastisch abwerten mussten. Diese Entwicklung zog eine Wirtschafts- und Sozialkrise, in einigen Ländern (Indonesien und Malaysia) auch eine politische Krise nach sich. In Indonesien kam es zu einem Regime- und zwei Regierungswechseln, in Thailand und den Philippinen zu zwei, in Korea zu einem Regierungswechsel, die mehr oder weniger stark auch durch die Krise und das Krisenmanagement mitverursacht wurden. Die Thailand-Krise steckte die anderen Regionalökonomien zunächst an, indem Spekulanten meinten, auch in diesen ähnliche Schwachstellen und Ungleichgewichte zu entdecken, und darauf reagierten. Inländische und ausländische Eigner von liquidem Kapital ohne kurzfristig spekulative Absichten, zogen ihre Mittel aus den gefährdeten Währungen ab, um Vermögensverluste zu vermeiden.

In einer Abwertungsspirale oder einem Börsenkrach ist eine kühle und sachliche Analyse kaum noch möglich. Die normative Kraft des Faktischen bestimmt den Handlungsablauf. Die Kurse fallen, weil relevante Teilnehmer wollen bzw. glauben, dass sie fallen - und damit wiederum andere mitreißen. Dieser in der Publizistik „Herdentrieb„ bezeichnete Prozess kann zeitweise zu ungerechtfertigten Übertreibungen der möglicherweise notwendigen Korrektur führen. Vorraussetzung hierfür ist ein offenes Kapitalverkehrsregime. Ökonomien, deren Währungen nicht direkt betroffen sind, werden von der Krise angesteckt, wenn ihre Realwirtschaften mit den Krisenökonomien vernetzt sind bzw. sie sich mit diesen in einer Weltmarktkonkurrenz befinden.

Der wohlhabende und effizient geführte Stadtstaat Singapur lag geographisch nahezu im Herzen des Taifuns. Die Makroökonomie befand sich in bester Ordnung, die Mikroökonomie im wesentlichen auch. Durch seine realwirtschaftliche Einbettung in die Krisenregion war der Handelsstaat trotzdem verwundbar und blieb daher von der Krise nicht unberührt. Dank seiner Eigenarten gelang ihm aber eine „weiche„ und schließlich auch nur kurze Landung.

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Singapurs „Fundamentals„

Wie die anderen Krisenländer (mit Ausnahme der Philippinen) hat auch der Stadtstaat in den letzten Jahrzehnten eine stürmische Entwicklung erlebt, die ihn 1997 (vorübergehend) an die Spitze in der Welt (gemessen am p.c. BIP in KKP-$) brachte. Voraussetzung dafür war u.a. eine hohe Investitions-, wie auch eine hohe Sparrate, die ab Mitte der 80er Jahre die binnenländische Investitionsrate immer deutlich übertraf. Ferner vermochte der Stadtstaat einen gleichmäßig hohen Zustrom ausländischer Direktinvestitionen anzuziehen, der, gemessen an der Bruttokapitalbildung, höher liegt als in jedem anderen Land der Welt und dessen absolute Höhe nur von sehr wenigen dynamischen Großstaaten übertroffen wird. Der staatliche Haushalt konnte nicht nur - wie in einigen anderen Krisenstaaten - ausgeglichen werden, sondern erwirtschaftete erhebliche Überschüsse. Unter Einbeziehung der ausgeschütteten Gewinne der öffentlichen Unternehmen, der Zins- sowie der Veräußerungseinnahmen (insbesondere für Land) lagen die laufenden sowie die Entwicklungsausgaben des öffentlichen Haushalts (ohne die Kredite der öffentlichen Unternehmen) deutlich unter den aggregierten Staatseinnahmen - in den letzten Jahren bei weniger als der Hälfte. Damit konnten beträchtliche staatliche Reserven gebildet werden. Diese beliefen sich 1996/97 auf netto nicht weniger als 108 Mrd. US-$ (152 Mrd. S$, 114 % des BSP). Sie erhöhten sich auch in der Krise weiter (1998/99: 138 Mrd. US-$, 158 % des BSP).

Auch internationale Reserven in Form von Devisen und Vermögen vermochte Singapur in ähnlicher Weise anzusammeln. Anders als die anderen Krisenstaaten in den Jahren unmittelbar vor dem Crash verfügte der Stadtstaat über einen soliden positiven Leistungsbilanzsaldo, d.h. er exportierte etwas mehr Waren als er importierte und hatte gleichzeitig eine deutlich positive Dienstleistungsbilanz. Der Saldo belief sich in den letzten Jahren auf nicht weniger als 15-16 % des BSP. Ein Teil dieser Überschüsse wurde im Ausland angelegt. Direktinvestitionen im Ausland wurden vom Staat gefördert, andere Anlagen nicht behindert. Trotz der nach wie vor hohen ausländischen Direktinvestitionen im Lande, ist Singapur seit den 80er Jahren Netto-Kapitalexporteur. Das Anlagevermögen ausländischer Unternehmen in Singapur wird mittlerweile mit 93,5 Mrd. US-$ (Ende 1997) beziffert. Das Anlagevermögen in Singapur niedergelassener Unternehmen, von denen etwa die Hälfte in ausländischer Hand sind, im Ausland beläuft sich 1997 auf 47,5 Mrd. US-$, der Wert der Portfolioinvestitionen auf 15,2 Mrd. US-$ und weitere Vermögensanlagen (insbesondere auf Geldkonten sowie Kredite) auf 36,3 Mrd. US-$. Die Devisenreserven der Monetary Authority (MAS) betragen Ende 1997 80,5 Mrd. US-$. Dem stehen Auslandsschulden über 8,4 Mrd. US-$ (1995) gegenüber, darunter 1,2 Mrd. $ in kurzfristigen Verbindlichkeiten. Sie sind also unerheblich.

Nicht weniger wichtig als diese quantifizierbaren wirtschaftlichen, sind wohl die politischen „Fundamentals„. In Singapur fehlt die Kumpanei-Wirtschaft, die individuelle Verquickung der politisch-bürokratischen und der wirtschaftlichen Elite. Die politisch-bürokratische Elite arbeitet nicht für Gottes Lohn, wie offiziell ihre armen Verwandten in den Nachbarstaaten. Sie bezahlt sich üppige Gehälter, mit Abstand die höchsten in der Welt, die sich an den Managergehältern in der Privatwirtschaft orientieren. Sie werden über dem Tisch ausgezahlt und nicht darunter verschoben. Allerdings entwickeln sich in letzter Zeit trotzdem zarte Bande zwischen den Bürokraten und der Wirtschaft - etwa durch Beraterverträge von Abgeordneten mit Wirtschaftsunternehmen.

Die freie Entfaltung der Zivilgesellschaft, in der Interessengruppenansprüche artikuliert werden, ist stark eingeschränkt. So sichert sich der technokratisch geführte Staatsapparat große Autonomie, sachlich zweckmäßige Entscheidungen zu fällen und auch umzusetzen. Zur Verankerung in der Gesellschaft bedient er sich dabei zahlreicher ständiger und ad hoc-Beratungsgremien. In diesen arbeiten unter dem Vorsitz meist eines Ministers und neben höheren Beamten und Politikern auch Vertreter der Privatwirtschaft mit. Letztere werden nicht notwendigerweise durch Verbände legitimiert, oft handelt es sich um Manager großer (auch ausländischer) Unternehmen, die aufgrund ihrer funktionalen Expertise in diese Ausschüsse berufen werden. Diese Gremien beraten und informieren mit großer Aussicht auf Akzeptanz die Technokraten über gesellschaftliche Interessen und Wünsche. Ziel ist es, die Gefühlslage, die Meinungen und die Wünsche der Bevölkerung zu erfassen, da man inzwischen erkannt hat, dass eine effiziente technokratische Politik ohne diese gesellschaftliche Rückkoppelung kaum möglich ist. Der Staatsapparat bewahrt sich so aber auch seine Stabilität und Autonomie, wird weder durch Individualinteressen vereinnahmt und privatisiert, noch durch gesellschaftliche Partikularinteressen ernsthaft unter Druck gesetzt.

Für den Bereich des Privat- und des Strafrechts – mit Einschränkungen für das Staatsrecht und die Bürgerrechte – hat sich ein Rechtsstaat entwickeln. Der Staat, d.h. die Regierung durch das Parlament, setzt die Regeln fest. Auslegungsstreitigkeiten und Regelverstöße können mit Aussicht auf sachliche Entscheidung vor Gericht gebracht werden bzw. werden von staatlichen Organen sanktioniert.

Das hat auch Konsequenzen für den Unternehmensbereich und die sog. „corporate governance„. Anderswo in der Region haben unkalkulierbare Rechtsverhältnisse, insbesondere für die chinesischen Minderheiten, zur Herausbildung von Familienunternehmen bzw. zu durch Familienmitglieder (nicht professionellen Managern) geführten Konglomeraten in größeren (chinesischen) Netzwerkökonomien beigetragen. Durch diese vermag man sich gegenüber Außenseitern - auch dem Steuer- und Regulierungsstaat! – abzuschotten. Geschäfte werden auf der Basis gegenseitigen Vertrauens und per Handschlag, nicht mit schriftlichen Verträgen gemacht, da letztere im Zweifelsfall schwierig einzuklagen wären. Dieses rechtlich ungesicherte Terrain wird durch die Beziehungspflege zu Mitgliedern der politisch-administrativen Elite abgesichert. So entwickelt sich die Kumpanei- und Klientelwirtschaft. Die Jagd nach politisch vermittelten Renten und mehr oder weniger jederzeit abrufbaren Staatshilfen schafft ein „moral hazard„-Problem, verdrängt zunehmend risikobewusste und langfristig orientierte unternehmerische Entscheidungen und macht diese Unternehmenskonglomerate so verwundbar, wie die Krise dann schonungslos aufdeckte. In Singapur aber ist die Situation eine andere.

Ein privates Unternehmertum vermochte sich hier über den mittelständischen und den Bankenbereich hinaus nur rudimentär zu entwickeln. Zunächst wurde dieses vom Staat aktiv ignoriert. Seit etwa zwei Jahrzehnten gibt es eine Förderung mit mäßigem Erfolg. Die korporative Ökonomie wird nach wie vor von transnationalen Konzernen (TNK) sowie staatlichen Unternehmen („Government-linked companies„: GLC) dominiert. Etwa zwei Drittel der Börsenkapitalisierung wird von GLC, also teilprivatisierten staatlichen Unternehmen, gehalten. Im Gegensatz zu der sonst weithin üblichen Praxis in der Region werden in Singapur GLC nicht als „Versorgungsunternehmen„ für Manager und Belegschaft geführt. Sie werden, wie die TNK ohnehin, von professionellen Manager-Bürokraten geleitet, die nach Leistungskriterien ausgewählt werden und die zusammen erhebliche Gewinne erwirtschaften. Dass die Unternehmen und die Unternehmerkultur in Singapur sich von der in der Region üblichen unterscheiden, wird auch dadurch deutlich, dass Unternehmer bei ihren Direktinvestitionen im Ausland (etwa in China) erhebliche Anpassungsprobleme zu überwinden haben und sich umstellen müssen, wollen sie erfolgreich sein. Das gelingt offenbar nur nach einigen Verlusten, über die wir allerdings nicht sehr viel wissen.

Mangelnde Transparenz scheint ein gemeinsames Problem von Singapur und den benachbarten Krisenländern zu sein. Sie wurde zumindest für die letzteren als die Krise mitverursachendes Defizit diagnostiziert. Auf den ersten Blick erscheint Singapur besonders intransparent. Anders als in einigen Krisenstaaten gibt es keine freien Medien und keinen investigativen Journalismus. Da die scheinbar freien, staatlich nicht zensierten Medien in den Nachbarstaaten jedoch häufig Teil größerer Wirtschaftskonglomerate sind bzw. die Journalisten kümmerlich bezahlt werden und daher korrupt sind, ist der Wirtschaftsjournalismus dort entsprechend dürftig und unzuverlässig. Für Singapur hingegen bekommt er - was die regionale sowie die Unternehmensberichterstattung im Stadtstaat betrifft - vergleichsweise wohlwollende Beurteilungen. Kritische politische Berichterstattung aber wird nicht geduldet. Ausländische Medien, die aufgrund der verbreiteten Englischkenntnisse potentiell ein großes Auditorium haben können, werden bei Kritik systematisch abgestraft und inzwischen wohl auch, wie nicht wenige ausländische und einheimische Wissenschaftler im Lande, bis zur Selbstzensur eingeschüchtert. Es spricht aber für den Standort Singapur (und wohl gegen diese Kommerzunternehmen), dass dennoch viele Medienkonzerne hier ihr regionales Zentrum errichtet haben, von dem aus sie über und für die Region, nicht jedoch über die Stadt berichten.

Die Administration betreibt eine selektive Informationspolitik und hält auch die Privatunternehmen, insbesondere die Banken, dazu an. Auf der einen Seite werden umfangreiche, auch sinnvolle und aussagefähige Daten erhoben und veröffentlicht. Der Benutzer kann sicher davon ausgehen, dass diese so korrekt wie möglich erhoben und auch nicht manipuliert werden. Auf der anderen Seite werden einzelne als sensibel erachtete Bereiche, und hier handelt es sich um zahlreiche Finanzdaten, von der Regierung jedoch nicht veröffentlicht. Sie lässt sich auch nicht durch Anfragen im Parlament und der Öffentlichkeit dazu bewegen. Private Recherchen oder undichte Stellen sucht sie durch z.T. drakonische Strafen zu unterbinden.

Die mangelnde Transparenz ist nur ein begrenztes Problem, da sie erstens nicht zum Amtsmissbrauch und unrechtmäßiger Selbstprivilegierung im großen Stil im öffentlichen Sektor genutzt wird. Auch schlichtes Managementversagen versucht man nicht unter den Teppich zu kehren, sondern zu sanktionieren, wenn auch nicht unbedingt in der Öffentlichkeit. Die Administration verfügt zweitens über die von ihr als sensitiv erachteten Informationen. Sie kann sie berücksichtigen und mit ihnen arbeiten. Das ist in den Nachbarländern häufig nicht der Fall. Drittens müsste eigentlich die selektive Transparenz Gift für den Finanzplatz Singapur mit dem Anspruch auf regionale oder gar weltweite Bedeutung sein, da Finanzmanager eigentlich auf ungefilterte, umfassende und schnelle Informationen angewiesen sind. Die Klagen der Finanzwelt über fehlende Transparenz halten sich jedoch in Grenzen. Gelegentlich werden Finanzjournalisten und Manager mit vertraulichen Informationen versorgt und damit eingebunden.

Die Asienkrise gab allerdings den Anstoß, auch über die Informationspolitik nachzudenken. Ein Committee on Banking Disclosure untersuchte die Veröffentlichungspraxis in anderen Ländern und legte im Mai 1998 seine Empfehlungen für eine größere Publizitätspflicht der örtlichen Banken vor. Ein ausländisches Public Relations-Unternehmen wurde Ende 1998 beauftragt, eine Einstellungsanalyse der Journalisten und Geschäftsleute über deren Informationsbedürfnisse durchzuführen. Der Befund und die Empfehlungen dieser Untersuchung wurden nicht veröffentlicht, möglicherweise weil er keinen zwingenden Handlungsbedarf signalisierte.

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Singapur wird „angesteckt„

Der Stadtstaat konnte sich der regionalen Krise natürlich nicht ganz entziehen. Singapur ist realwirtschaftlich mit den Krisenländern eng und in den letzten Jahren in zunehmendem Maße verknüpft. Ca. 60 % der Exporte gehen nach Asien, etwa zu gleichen Teilen (27 %) in die ASEAN-Staaten und nach NO-Asien. Bei der Ausweitung dieses regionalen Handels handelt es sich zunehmend um intra-Firmenhandel, also dem Handel zwischen verschiedenen Produktionsstandorten der TNK. Auf ihn entgallen im Jahr 1996 insgesamt 65 % des Handels mit Malaysia (1992: 50 %), 53 % mit Thailand (1992: 48 %), 58 % mit Nordasien - aber nur 45 % mit Nordamerika und 38 % mit der EU. Unternehmen aus Singapur haben im Jahr 1996 57 % ihrer Direktinvestitionen im Ausland in Asien platziert, allein 29 % in den ASEAN-Staaten. Hinzu kommen Portfolioinvestitionen, Kredite u.a., über deren Anlage keine regionale Aufschlüsselung veröffentlicht wird. Singapur ist als Dienstleistungs-, Handels- und Touristenzentrum vielfach mit den Staaten der Region verknüpft. Etwa ein Drittel der ausländischen Direktinvestitionen im Lande - mit dem Schwerpunkt Finanzsektor, verarbeitende Industrie und Handel - haben ihren Ursprung in asiatischen Ländern, die damit etwa ein Zehntel der produktiven Investitionen im Lande kontrollieren. Die Tourismusindustrie vermochte in den letzten Jahren nur noch durch den Zustrom von asiatischen Besuchern (1996: 73 % aller Einreisenden) etwas zu wachsen. Allerdings hielt sich diese Zielgruppe kürzere Zeit auf und kaufte weniger im inzwischen recht teuren „Einkaufsparadies„.

Seit 1978 waren fast alle Währungskontrollen abgeschafft worden. Die einzige Einschränkung blieb die Trennung des heimischen Kredit- vom Asian Dollar Markt, d.h., es durften keine Ausleihungen außer Landes in S$ vorgenommen werden. Man suchte damit die Internationalisierung der eigenen Währung zu verhindern und eine mögliche Spekulation mit ihr zu behindern. Die Währung ist zu mehr als 100 % durch Devisenreserven in einem Currency Board System gedeckt und wird durch die Monetary Authority of Singapore (MAS) in einem engen Schwankungsband gegenüber den Währungen der wichtigsten Handelspartner reguliert. Man konnte damit die Währungsvolatilität relativ niedrig halten, wertete allerdings nominal zwischen 1987 und 1995 um 32 % und real um 18 % gegenüber dem US-$ auf und hielt damit die Preissteigerungsrate im Lande niedrig.

Während der Asienkrise hat es offenbar keine Spekulation gegen den S$ gegeben. Die Kapitalverkehrsbilanz weist für 1997 und die folgenden Jahre allerdings eine Ausweitung des Defizits aus. 1997 war als auffälligste Kapitalbewegung ein drastischer Anstieg des Abflusses der „anderen Investitionen„ (im wesentlichen also von Krediten) der Banken und des Nicht-Bankensektors festzustellen, der allerdings durch einen vergleichbaren Zufluss in diesem Bereich nahezu ausgeglichen wurde. 1998 flachten die Abflüsse wieder deutlich ab, während die Zuflüsse einen vorübergehenden dramatischen turn around mit Nettoabflüssen (von 53 Mrd. S$ in 1997 auf - 26 Mrd. S$ in 1998) erlebten. Insbesondere die ausländischen Banken im Lande sahen sich - aufgrund der Währungsunsicherheit - veranlasst, Geldtransfers aus dem S$ heraus vorzunehmen. Gleichzeitig wurden Kredite an den Asian Dollar Market vermehrt zurückgezahlt. Die amtliche Statistik verzeichnet nicht den Anteil des kurzfristigen Kapitals. Zu- und Abflüsse des Portfoliokapitals weisen keine wesentlichen Veränderungen auf. Die Direktinvestitionen ins Ausland erlebten 1997 noch einen Anstieg, 1998 vorübergehend einen Netto-Rückfluss.

Durch die drastische Abwertung der Währungen der Nachbarländer drohte eine Verschlechterung der Wettbewerbsposition Singapurs, hielte es selbst die Relation zum Dollar stabil. Die MAS vergrößerte daher das Interventionsband und ließ den S$ gegenüber dem US-$ abwerten (bis Ende 1998 um - 18,6 %). Man wertete damit auch gegenüber dem Yen, den NT $ und dem HK $ ab, alles in allem blieb der S$ aber gegenüber den übrigen ASEAN-Währungen und dem Won durch die Krise aufgewertet. Tatsächlich erlebte auch Singapur - gerechnet in US-$ - einen Einbruch seiner Waren- (12 %, 1998) und Dienstleistungsexporte (37 %), aber auch der Warenimport- (23 %) und Dienstleistungsimportausgaben (9 %). Für die Binnenwirtschaft errechnete sich (in S$) eine Stagnation der Warenexporte und ein Rückgang der Warenimporte (13,6 %).

Auch die Tourismuswirtschaft wurde durch die regionale Krise in Mitleidenschaft gezogen. Besucher aus Asien (1998: 13 % weniger) und insbesondere Südostasien (19 % weniger) kamen deutlich spärlicher als im Jahr zuvor und suchten ihren Aufenthalt auch noch sparsam zu gestalten. So gaben Besucher aus Südostasien 1998 im Vergleich zu drei Jahren vorher 30 % weniger pro Aufenthaltstag aus (alle Touristen zusammen 7 % weniger). Dies hing eng mit dem Rückgang der rein touristischen Besucher, die in Hotels übernachteten, zusammen.

Der Rückgang des Tourismus verschärfte die Situation im Hotelgewerbe und im Einzelhandel, die sich beide vorher schon in Schwierigkeiten befanden. Der Immobilienmarkt hatte bis 1996 einen Boom erlebt. An ihm beteiligten sich auch (teil-) privatisierte staatliche Unternehmen, zu deren Tätigkeitsfeldern die Immobilien- und Projektentwicklung bisher eigentlich nicht gehört hatten, die diesen lukrativen Markt aber nicht anderen allein überlassen wollten. Angeführt von den Wohnungseigentumspreisen auf dem freien Markt (1990-96: 305 %) waren die Preise für Industrieland (251 %), Büros (172 %) und für Einzelhandelsgeschäfte (129 %) kräftig gestiegen. Inzwischen hatten sich jedoch Leerstände gebildet, und die Mietpreise für Einzelhandelsgeschäfte befanden sich in einem deutlichen Abwärtstrend. Die Regierung versuchte gegenzusteuern, indem sie ihre Landverkäufe ausweitete. Das hatte den Effekt, dass sie ihre Einnahmen in den drei Jahren 1995 bis 1997 gegenüber den drei Jahren zuvor nominal verdoppelte und die Landverkäufe seit 1994/95 zum wichtigsten Einnahmeposten (28 %) - noch vor der Einkommenssteuer - aufstiegen. Zu einer deutlichen Dämpfung der Vermögenswertblase haben sie jedoch nicht beigetragen. Auch die Einschränkung der Wohnungskredite an Ausländer sowie die Einführung einer Spekulationssteuer auf Immobilien bei einem vorzeitigen Verkauf (Mitte 1996), „war zu wenig, kam zu spät„. Die Krise führte nun zu einem deutlichen Einbruch, der erst im dritten Quartal 1999 seinen Boden finden sollte. Die Immobilienpreise für Einzelhandelsgeschäfte fielen auf das Niveau von 1988, die von Büroräumen auf das Niveau von 1990, die Büromieten fielen auf den Stand von 1994, die Einzelhandelsmieten auf unter die Hälfte von 1990, die Hotelzimmerpreise etwa auf den Stand von 1990 zurück.

Insgesamt brach die Wirtschaftsleistung des Hotel- und Gaststättengewerbes 3,5 % (1998) und des Groß- und Einzelhandels 4,1 % ein. Ab dem zweiten Quartal 1999 vermochten beide Wirtschaftszweige sich jedoch wieder zu erholen. Unter diesen Bedingungen konnte es nicht überraschen, dass der Bausektor auch in Singapur am stärksten einbrach (1998 noch + 4,4 %, 1999: - 11,8 %), während die Industrie, die schon 1996 und 1997 ein deutlich schwaches Wachstum erlebte, nur moderat sank (1998: - 0,6 %) und 1999 schon wieder zweistellig wuchs (+ 13,8 %). Während der Staat mit seinen Investitionen gegenzusteuern versuchte, wollte der Privatsektor in der Krise deutlich weniger investieren (1998: - 9,9 %, 1999: - 4,7 %). Auch die Geschäfte des Finanzsektors gingen daher deutlich schlechter. Dieser wurde außerdem direkt durch seine Kredite an die Krisenländer - die etwa 15 % des gesamten Anlagevermögens entsprachen - in Mitleidenschaft gezogen. Der Beitrag des Finanzsektors zum BIP schrumpfte um 8,1 % (1998) und konnte sich auch 1999 noch nicht wieder erholen. Die Banken sahen sich einer zunehmenden Zahl von Kreditnehmern gegenüber, die ihre Verbindlichkeiten nicht mehr bedienten (Non-performing loans = NPL). Für diese mussten Rückstellungen vorgenommen werden, was mit einem erheblichen Verfall der Gewinne bezahlt wurde. Allerdings war der Anstieg der NPL im Verhältnis aller Kredite im regionalen Krisenvergleich eher moderat. Die Banken in Singapur gerieten nicht an den Rand des Abgrunds und darüber hinaus wie in einigen anderen Krisenländern.

Insgesamt gelang Singapur eine weiche Landung. Die Börse nahm die Entwicklung im Stadtstaat vorweg und überzeichnete sie, wie üblich: Bei deutlich erhöhten und in diesen Jahren auch weiter steigenden Umsätzen brach sie 24,3 % (1997) und weitere 7,6 % (1998) ein. Das BIP verzeichnete 1997 noch ein beachtliches und bisher übliches Wachstum von 8,4 %, das sich dann 1998 dem Nullpunkt näherte (0,4 %). 1999 stieg das BIP schon wieder um 5,4 %, 2000 sogar um 10,1 %. Der Straits Times Index boomte 1999 um 78 % zu einem Allzeithoch und flachte dann wieder ab. Anfang 2001 lag der Index etwa auf dem Niveau von vor der Krise. Die Wachstumsaussichten der Wirtschaft für 2001 werden nicht sehr rosig eingeschätzt, man rechnet mit 4 bis 5 %.

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Strategie in der Krise

Es wäre überraschend, wenn der interventionistische Staat in Singapur nicht auch versucht hätte, in der Krise gegenzusteuern, diese abzufedern, aus dieser das Beste zu machen. Man suchte durch kurzfristige Maßnahmen die Absatz- und Kostensituation der Unternehmen im Lande zu verbessern. Angesichts des umfangreichen Staatsschatzes und der üppigen bisherigen Haushaltsüberschüsse wartete man allerdings relativ lange mit fiskalischen Maßnahmen zur Belebung der Nachfrage. Erst Mitte 1998 verabschiedete man einen Nachtragshaushalt, dem folgte im November 1998 ein umfangreiches Steuersenkungspaket, u.a. mit einer 10 %igen Verminderung der ohnehin niedrigen Körperschafts- und Einkommenssteuer. Gleichzeitig wurden die Investitionen in den öffentlichen Wohnungsbau, den Ausbau der Metro, in die Abwasser- und Müllbeseitigung sowie die Landgewinnung erheblich (1998/99 um insgesamt 37 %) ausgeweitet. Die öffentlichen Investitionen konnten damit den Einbruch der privaten Investitionen zwar nicht vollständig ausgleichen, aber doch abmildern. Das gelang für den privaten Verbrauch nicht. Folgt man der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung, so ging dieser in dem Maße zurück, wie die private Sparrate zunahm. In unsicheren Zeiten wird gespart, nicht konsumiert.

Der Finanzminister rechnete aufgrund sinkender Steuereinnahmen und steigender Ausgaben mit einem Haushaltsdefizit für 1998/99 von 0,5 % und für 1999/2000 sogar von 3,5 % des BIP. Diese „Defizitfinanzierung„ bezog sich allerdings nur auf die laufenden (überwiegend Steuer-)Einnahmen im Verhältnis zu den laufenden und den Investitions-Ausgaben. Unberücksichtigt blieben die Investitions- und Kapitaleinnahmen des Staates, die immerhin mit 35-40 % zu den staatlichen Gesamteinnahmen beitragen. Tatsächlich wies dann in beiden Jahren am Ende auch der operative Haushalt Überschuss aus. Für den Haushalt 2000/01 wurden einige Steuersenkungen schon wieder zurückgenommen und wieder ein Überschuss des operativen Haushaltes veranschlagt.

Die laufenden Ausgaben werden kontrolliert. Dies gelang durch das Einfrieren und dann Anfang 1999 durch eine Kürzung (um 1 bis 5 %) der Beamtengehälter und eine Absenkung um 10 % der Ministergehälter. Allerdings hatte man die Politiker- und Beamtengehälter in den Jahren vor der Krise beträchtlich angehoben. Mitte 2000 erklärte man die Krise für beendet und hob die Gehälter im öffentlichen Dienst um durchschnittlich 13 % - mit einer Bandbreite zwischen 4 und 50 % am oberen Ende! - an. Der Premier durfte sich jetzt eines Jahreseinkommens von 1,9 Mill. S$ (1,1 Mill. US-$) und ein Juniorminister immer noch von fast 1 Mill. S$ erfreuen. Diese deutliche Anhebung der ohnehin hohen Gehälter, die sich an den Spitzeneinkommen in der Privatwirtschaft orientieren, war vorher schon kontrovers, stieß nun allerdings in der Öffentlichkeit auf breite Ablehnung, was sich selbst in den Medien niederschlug.

Fiskalische Gründe für die Absenkung und dann Anhebung der Gehälter im öffentlichen Dienst gab es natürlich nicht. Man versuchte damit vielmehr die als notwendig erachtete allgemeine Lohnkostensenkung als Teil einer umfassenden Kostensenkungsstrategie (u.a. auch durch verbesserte Abschreibungsmöglichkeiten, Gebührensenkungen usw.) für die privaten Unternehmen zu legitimieren, um diese auch von dieser Seite in der Krise zu stärken.

Gleichzeitig suchte man durch Lohnflexibilität, Entlassungen und Arbeitslosigkeit weitgehend zu vermeiden. Die Voraussetzungen dafür waren nicht schlecht. In Singapur herrscht praktisch Vollbeschäftigung. In allen Bereichen werden Ausländer beschäftigt (1998: 28 % der Arbeitskräfte). Besonders stark sind diese in den Billiglohngruppen (1998 erhielten 44 % der Arbeitskräfte pro Monat unter 2000 S$) vertreten. Diese eigentlich unerwünschten, dennoch gleichwohl immer stärker gebrauchten ungelernten Arbeiter sind eine industrielle Reservearmee, mit der man ziemlich rüde umspringt und deren Verwurzelung im Stadtstaat man zu verhindern versucht. Die bisher auf zwei Jahre ausgelegten Arbeitsverträge wurden 1998 auf ein bis zwei Jahre verkürzt - um hier noch flexibler handeln zu können.

Um die Beschäftigung von ungelernten Arbeitskräften zu entmutigen, verteuerte man deren Beschäftigung durch eine Abgabe, die nach der öffentlichen Wünschbarkeit gestaffelt ist. Als Kostenentlastungsmaßnahme für die Unternehmen wurde diese in der Industrie und in der Marine 1998 gesenkt. Ausgenommen wurde die recht hohe Abgabe für Hausangestellte sowie für ungelernte Arbeiter auf dem Bau. Gleichzeitig schrieb man einen Qualifizierungsnachweis für Bauarbeiter vor, den diese in ihren Heimatländern zu erbringen haben. Man sucht durch diese und andere Maßnahmen die Produktivität im Bausektor zu steigern, dessen Kosten zu senken und diesen auch exportfähig zu machen.

Durch die Krise in den Nachbarländern befürchtete man eine Verschärfung des Problems der illegalen Einwanderung, eine Überflutung durch Armutsflüchtlinge. Der illegale Grenzübertritt nach beiden Seiten und das Überziehen der Aufenthaltsfrist waren bisher schon strafbar. Die Sanktionen, wie Gefängnis, Geldstrafen, Stockhiebe, wurden 1998 noch einmal verschärft. Strafbar wurde auch der „versuchte illegale Grenzübertritt„. Die Beweislast für die Unschuld wurde dem Ausländer aufgebürdet. Auch Arbeitgeber, die Illegale beschäftigen, machen sich strafbar. Die Kontrollen wurden intensiviert. 1997 wurden 14.000 „Illegale„ aufgegriffen, 1998 waren es sogar 23.000 - die höchste Zahl seit 1990.

Im Bereich der Lohnpolitik für singapureanische Beschäftigte hat inzwischen der Staat nur noch relativ begrenzte Einwirkungsmöglichkeiten, auch wenn der von ihm kontrollierte (tri-laterale) National Wage Council eher allgemeine „Empfehlungen„ aussprechen kann. Die relativ hohen Löhne werden mehr oder weniger auf dem Markt ausgehandelt. Allerdings hat man im Anschluss an die Krise Mitte der 80er Jahre auf eine flexible Lohngestaltung gedrungen, die sich seither aus einem Basislohn, einer Jahresvergütung und weiteren Boni zusammensetzt. Der variable Lohnanteil betrug 1987 noch im Durchschnitt 12 % am Gesamtlohn, inzwischen liegt er bei etwa 17 %. Die Unternehmen, die in Schwierigkeiten sind, haben nun die Möglichkeit, durch Kürzung der Boni ihre Lohnkosten zu senken. Es liegen allerdings keine Daten darüber vor, in welchem Umfang wie viele Unternehmen von dieser Option Gebrauch gemacht haben. Insgesamt halbierte sich der Zuwachs der durchschnittlichen Monatslöhne auf 2,8 % (1998) und 2,7 % (1999).

Unmittelbaren Einfluss kann der Staat noch auf die Abgabenhöhe für den Central Provident Fund nehmen. Diese - übrigens schlecht verzinste - Zwangssparabgabe war ursprünglich als kapitalgedeckte individuelle Altersversicherung eingerichtet worden, kann inzwischen aber für bestimmte Ausgaben zum Teil schon vor dem Ausscheiden aus dem Erwerbsleben in Anspruch genommen werden. Die mit Abstand wichtigste Nutzung erfolgt für den Kauf von Eigentumswohnungen. Die Abgabe beläuft sich seit 1994 auf 40 % des Bruttolohnes, wovon je die Hälfte vom Arbeitgeber und vom Arbeitnehmer aufzubringen ist. Das bedeutet, dass sie die Lohnsumme um 20 % erhöht. Das ist nicht wenig für Unternehmen im Stress. Eine Senkung des Arbeitgeberanteils muss bei den vielen Arbeitnehmern jedoch besonders unpopulär sein, die damit ihre Hypotheken bezahlen. Die Regierung zögerte deshalb recht lange, bis sie den Arbeitgeberbeitrag auf 10 % halbierte (im November 1998 zum 1. Januar 1999). Ab April 2000 wurde er nur leicht auf 12 % angehoben - was wohl nicht unwesentlich den Unmut über die üppige Anhebung der Ministergehälter fütterte.

Die Lohnstückkosten in der Industrie konnten insgesamt um 1,4 % (1998) und stattliche 18 % (1999) gesenkt werden. Zusammen mit der Reduzierung anderer Belastungen - Servicekosten, Steuern und Abgaben - liegt der Stückkostenindex der Industrie („Unit Business Cost Index„) inzwischen wieder auf dem Niveau von 1989-90.

Es kam auch in Singapur zu Entlassungen, folgt man den amtlichen Daten, überwiegend in der Industrie und insbesondere in der Elektroindustrie, weniger im Bau- und dem Finanzsektor, wie in den anderen Ländern. Die Arbeitslosigkeit verdoppelte sich von 45.000 (1997, 2,4 % der Beschäftigten) auf 90.000 (1999, 4,6 %). Das ist weniger als in der Krise Mitte der 80er Jahre (1986: 6,5 %) - optisch zwar auch weniger als in den Nachbarländern, aber doch in deren Sichtweite. Dieser formale Vergleich übersieht allerdings, dass praktisch nur Lohnempfänger arbeitslos werden können. Kleine Selbständige und ihre mitarbeitenden Familienangehörigen verlieren in der Krise selten ihren eigenen Arbeitsplatz. Sie können ihre Arbeitszeit nicht mehr vollständig auslasten, werden also unterbeschäftigt bzw. müssen ihre Arbeitsproduktivität noch weiter absenken, arbeiten also u.U. länger für einen geringeren Ertrag. In den Agrarstaaten ist der Anteil der Lohnempfänger an der Beschäftigung deutlich niedriger als in Singapur. In Indonesien sind z.B. 33 % der Beschäftigten Lohnempfänger, in Singapur 85 %. In der Krise stieg in Indonesien die Arbeitslosigkeit nur schwach von 5 % (Ende 1996) auf 6,4 % (Ende 1999) aller Beschäftigten an. Bezieht man die Arbeitslosigkeit nur auf alle Lohnempfänger, bietet sich ein anderes Bild. Sie stieg von 13 % auf 17 %.

Auch in Singapur waren von der Arbeitslosigkeit am stärksten die jungen Leute, d.h. die Berufseinsteiger, betroffen. Sie blieben allerdings kürzer arbeitslos als die Älteren. Es traf hier die weniger qualifizierten Arbeitskräfte etwas stärker als die qualifizierten. Aber auch die Hochschulabgänger mussten meist etwas länger ihren Erstjob suchen als zuvor. So hatten 1997 95 % innerhalb von sechs Monaten nach dem Examen eine Anstellung gefunden, 1998 waren es nur 83 %.

Auch in Singapur gibt es unfreiwillige Teilzeitarbeiter bzw. Unterbeschäftigte 2,3 % aller Arbeitskräfte waren es im Juni 1999. Die Krise hat sicherlich auch die zuvor ausgeprägte Neigung zum „Job-hopping„ verstärkt, die unter allen Bildungsschichten und zwischen den Geschlechtern etwa gleich ausgeprägt ist und insbesondere von den Zwanzig- bis Dreißigjährigen gepflegt wird. In den zwei Jahren bis zum Juni 1999 hatten 17,4 % ihren Arbeitsplatz ein oder sogar mehrmals (5,5 %) gewechselt. Ab Mitte 1999 wurden die Arbeitskräfte wieder knapp und die Unternehmen stießen zunehmend wieder auf Schwierigkeiten, ihre Vakanzen für qualifizierte Arbeitskräfte zu besetzen.

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Der Blick nach vorn

Da Krisen sowohl langfristige Verwerfungen einleiten bzw. verstärken können, die ein Kurs-Halten auf den bisherigen Gleisen schwieriger machen, wie sie auch neue Möglichkeiten bieten, die es zu nutzen gilt, beschränkt man sich in Singapur natürlich nicht nur auf Krisenmanagement. Auch in Singapur sucht die Regierung in Krisensituationen Rat. Nicht in der Absicht, kontroverse und schwierige Entscheidungen vor sich herzuschieben, sondern um sich von Fachleuten durchdachte Konzepte entwickeln zu lassen, um die Privatwirtschaft mit ihren praktischen Kenntnissen und Interessen einzubinden, ohne aber dabei die Autonomie der Entscheidungsformulierung aufzugeben. Die so besorgten Empfehlungen haben jeweils gute Chancen, politisch akzeptiert und umgesetzt zu werden, häufig schon vor Abgabe des Gesamtberichts. Man will in keinem Fall „zu spät„ kommen. So wurde kurz vor der Krise ein „Committee on Singapore’s Competitiveness„ eingesetzt, das im Oktober 1998 seinen Bericht mit Empfehlungen vorlegte, wie Singapur „innerhalb der kommenden Dekade zu einer entwickelten und global wettbewerbsfähigen Wissensökonomie„ werden könne. Eine weitere „Financial Sector Review Group„ befasste sich ausschließlich mit dem Finanzsektor, ihr Unterausschuss „Committee on Banking Disclosure„ legte im Mai 1998 seine Empfehlungen vor. Weitere Ausschüsse dachten über so unterschiedliche Bereiche wie kreative Kunsterziehung sowie Produktivität und Effizienzsteigerung in der Bauindustrie und anderes mehr nach.

Eine Revision der bisherigen Entwicklungsstrategie wird nicht empfohlen, das wäre auch unsinnig. Es wird aber darüber nachgedacht und die Schlussfolgerungen werden weitgehend umgesetzt, wie Singapur seine Stellung im sich weiter globalisierenden System ausbauen kann. Man scheint sich dabei im Stadtstaat weitgehend einig zu sein, dass ein „Halten„ der Position, im Sinne der Fortschreibung der bisherigen Politik und Strategie, in der dramatisch sich wandelnden Welt kaum möglich ist. Wenn Singapur sich nicht mitverändert, wird es kaum seinen Wohlstand bewahren können. Aufgrund der Verwundbarkeit als Kleinstaat hat man die Vorstellung, „Weltklasse„ sein zu müssen, um nicht unterzugehen. Wie die sich globalisierenden Konzerne, die zunehmend anstreben in ihren Kerngebieten zu den drei Weltmarktführern zu gehören, sucht Singapur Inc. in allen staatlichen und staatlich vermittelten Tätigkeitsfeldern einen derartigen Spitzenplatz in der Welt zu erringen. Allerdings wird man sich zunehmend bewusst, dass der Staat eigentlich nur die Rahmenbedingungen effizient gestalten sollte und kann. Die wirtschaftliche Dynamik muss dann von den Wirtschaftsunternehmen entfaltet werden.

Der Ansatzpunkt muss die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen sein, die kreativ, risikobereit und risikobewusst geführt werden müssen, die die modernen Technologien nutzen und sich an deren Entwicklung beteiligen - und deren freier Markt möglichst die ganze Welt ist. Singapur ist deshalb auch Verfechter des freien Welthandels oder doch wenigstens des regionalen bzw. bilateralen Freihandels - was immer möglich und durchsetzungsfähig ist. Die WTO stagniert seit Seattle. Die ASEAN kommt mit Zollsenkungen nur behäbig voran. 1992 wurde für 2008 eine ASEAN Free Trade Area (Afta) vereinbart. Bis 2003 soll es zu einer fast vollständigen Abschaffung der Zölle für 60 % der Produktlinien für die Alt-Mitglieder der Gemeinschaft kommen. Ob das Ziel realisiert wird, ist eher ungewiss. Singapur begann daher einen Alleingang. Im November 2000 schloss es - sehr zum Missfallen einiger ASEAN-Partner - einen bilateralen Freihandelsvertrag mit Neuseeland. Verhandlungen in diese Richtung wurden mit Australien, Kanada, Indien, Japan, Mexiko, Chile und den USA aufgenommen. Der Europäischen Union wurden Avancen gemacht, die darauf allerdings noch nicht reagierte. Die eigenen Unternehmen sucht man durch Marktöffnung und Marktstärkung mittels weiterer Internationalisierung und Deregulierung noch wettbewerbsfähiger zu machen.

Bisher war der Industriesektor voll globalisiert, große Teile des Dienstleistungs- und Infrastruktursektors jedoch nicht. Man sucht nun, weitere Sektoren zu deregulieren und gleichzeitig deren transnationale Durchdringung zu ermöglichen und internationale Expansion zu stimulieren. Im April 2000 liberalisierte man den Telekommarkt. Der Energie- und der Versicherungssektor sollen folgen. Der Medien-, Gesundheits-, Erziehungs- und Transportsektor sind im Gespräch. Wichtig ist vor allem der Bank- und Finanzsektor. Hier unterliegen ausländische Banken noch mannigfaltigen Restriktionen. Diese sollen „behutsam„ innerhalb von fünf Jahren abgebaut werden, um mehr Wettbewerb zu ermöglichen. Zum anderen gilt nicht nur der Regierung der heimische Markt als zu eng für die neun singapureanischen Banken. Sie sieht langfristig hier nur Platz für zwei Banken. Das größte (zudem staatlich kontrollierte) Institut, die Development Bank of Singapore (DBS), legte man mit der Post Office Savings Bank zusammen. Nach einigen Aufkäufen in Thailand, den Philippinen und Indonesien ist sie damit inzwischen zur größten Bank in Südostasien geworden. Inzwischen erfolgte auch der Zusammenschluss von zwei kleineren Banken, gleichfalls mit staatlicher Beteiligung. Die Bereitschaft der privaten - auch hier von Eigentümerfamilien kontrollierten – Banken, sich zusammenzuschließen, scheint jedoch nicht sehr groß zu sein. Immerhin werden alle Banken nun von der Regierung zu größerer Transparenz gezwungen. Mitte 2000 wurde ihnen außerdem eine Frist von drei Jahren gesetzt, um sich von ihren Beteiligungen in anderen Wirtschaftssektoren - insbesondere Immobilien, Hotel-, Konsumgüter- und Elektroindustrie - steuerbegünstigt zu trennen, damit sie sich auf ihr Kerngeschäft konzentrieren können.

Durch ein Bündel von Reformen sucht man auch, die Aktien-, Anleihen- und Future-Märkte zu stärken. Die Emission und der Handel von Anleihen war bisher ein eher unattraktives Geschäft, das durch zahlreiche Vorschriften behindert wurde und nur eine geringe Liquidität aufwies. Ausländischen Unternehmen wurde es nun u.a. erlaubt, Anleihen in S$ zu geben. Der Staat und öffentlich-rechtliche Anstalten sowie Staatsunternehmen treten nun regelmäßig als Emittenten auf und wickeln ihre Platzierungen zum Teil über private Fondsmanager ab, um diese zu stärken und an Singapur zu binden. Der Aktien- und der Devisenmarkt wurde zum ersten vollintegrierten Handelsplatz für Wertpapiere und Derivate in Asien zum 1. Dezember 1999 zusammengefasst. Die Singapore Exchange (SGX) ging zahlreiche Kooperationen mit anderen Börsen ein. Die Zulassungsbedingungen für Neuemissionen wurden erleichtert, die Transparenzvorschriften verschärft. Ein größerer Teil der im Central Provident Fund zwangsgesparten und dort nur kümmerlich verzinsten Gelder durfte nun an der Börse angelegt werden. Weitere staatliche Unternehmen wurden über die Börse teilprivatisiert - und stießen jeweils auf großes Anlegerinteresse. Anders als in den Nachbarstaaten gelang es damit auch nach 1997, zahlreiche neue Unternehmen an die Börse zu bringen sowie die Umsätze zu steigern und die Liquidität zu verbessern.

Zu einer vollen Privatisierung der staatlich kontrollierten Unternehmen kann man sich bisher allerdings noch nicht durchdringen, obwohl deren Grenzen zunehmend diskutiert werden. Sie wurden insbesondere bei Risikoanlagen im benachbarten Ausland und China sowie bei Übernahmeversuchen anderer Unternehmen deutlich. Die staatlich kontrollierten Unternehmen gelten als ordentlich und bieder geführt. Das Management gilt jedoch als risikoscheu, zu wenig aggressiv, wenig kreativ. Es sind eben eher effiziente Beamte, weniger risikofreudige und risikobewusste Manager. Um dieses Problem zu umgehen, hat man sich nach 1997 bemüht, ausländische Spitzenmanager für die staatlich kontrollierten Unternehmen zu gewinnen, was in einer Reihe von Fällen, darunter für die beiden größten Banken, gelang. Engpässe scheint es auch im Mittelmanagement zu geben, wie sich bei der Vorbereitung von Übernahmen („due diligence„) zeigte.

Entsprechende Expertise sowie Vertrautheit mit den Rechtsfragen der internationalen Finanz- und Kapitalmärkte fehlt auch in den 729 Anwaltskanzleien mit ihren 3.300 Anwälten im Stadtstaat. Deren Anzahl galt 1996 für das kleine Land als eher noch zu groß, so dass man die Hochschulabgänger von 250 p.a. (1993 bis 1996) auf 185 (1996 bis 1997) und 73 (1998) absenkte. Gegenüber den guten Jahren während des Immobilienbooms halbierten sich zudem noch die durchschnittlichen Einkommen der Anwälte (auf 10.000 S$ in 1998). Dennoch macht Masse nicht Klasse. Die meist viel zu kleinen Anwaltskanzleien - etwa die Hälfte sind Ein-Personen-Betriebe - können die wachsenden Aufgaben im modernen Wirtschafts- und Gesellschaftsrecht nicht erfüllen. Die Regierung sucht daher die Bildung großer Wirtschaftskanzleien, auch durch limitierte Öffnung gegenüber ausländischen Großkanzleien, die joint ventures und Partnerschaften mit singapureanischen Kanzlei-Unternehmen eingehen können, zu fördern.

Die Asienkrise hat anderswo gezeigt, wie Ökonomien mit schwachen und nicht sachgerecht arbeitenden Bürokratien und Regulierungsbehörden abgestraft werden können. Das traf auf Singapur nicht zu. Hier sieht man inzwischen allerdings das latente Problem der Überregulierung. Der Wettbewerbsausschuss empfahl daher, die gesetzlichen Auflagen und Regulierungen auch unter Kostengesichtspunkten für die Unternehmen zu evaluieren und periodisch auf ihre Relevanz zu überprüfen. Der Bürokratie sollte ein flexiblerer Ermessensspielraum eingeräumt werden, Genehmigungsverfahren sollten transparenter gestaltet werden. Wo möglich, sollte auf die Selbstregulierung des Privatsektors vertraut werden. Die Monetary Authority (MAS) spricht inzwischen davon, von der „Regulierung„ zur „Aufsicht„ übergehen zu wollen.

Schon seit längerer Zeit ist man sich in Singapur bewusst, dass der Stadtstaat nur an die Spitze in der Welt gelangen und sich dort halten kann, wenn er über qualifizierte Arbeitskräfte an der Basis, über kreative und innovative Mitarbeiter im Mittelbau und an der Spitze verfügt. Das Ziel ist es daher, wie man es seit einigen Jahren formuliert, Singapur in eine „hi tech, knowledge-based economy„ zu transformieren. Die humanen Ressourcen im Kleinstaat als Rekrutierungsbasis für Spitzenleute in Wissenschaft und Forschung, Technologie und Management sind natürlich sehr begrenzt. Man bemüht sich daher schon seit längerem um die Anwerbung von „ausländischen Talenten„ (so der örtliche Terminus). Der Bedarf nach ihnen wächst mit dem Anspruch, den Stadtstaat zu einem modernen Dienstleistungs- und Kompetenzzentrum für die Region weiter auszubauen. Der Status und die Behandlung der ausländischen Experten unterscheiden sich deutlich von dem der un- und angelernten ausländischen Arbeitskräfte. Die Bemühungen, Singapur für diese Zuwanderer attraktiv zu machen, hat man in letzter Zeit deutlich intensiviert. Spitzenleute in einigen Schlüsselbereichen sind in der ganzen Welt knapp. Ein Instrument ist die Vergabe von Stipendien an ausländische Studenten mit der Hoffnung, dass diese nach dem Examen im Land bleiben. Inzwischen hat man mit der Infocomm Development Authority (IDA) eine Behörde geschaffen, die sich speziell um das Expertendefizit kümmern soll. Diese beziffert das Jahreswachstum des Bedarfs auf 10 bis 12 % (oder 10.000 Personen), wovon nur etwa die Hälfte im Lande rekrutiert werden könne. Im August 2000 schloss sie mit einer indischen Behörde einen Vertrag über die Anwerbung von 1.000 IT-Spezialisten pro Jahr für Singapur ab. Gegenwärtig befinden sich etwa 80.000 „ausländische Talente„ ohne Staatsbürgerschaft sowie eine deutlich größere Zahl inzwischen mit Staatsbürgerschaft in Singapur.

Man beschränkt sich natürlich nicht auf die Anwerbungs- und Einwanderungspolitik, um die Personalengpässe zu schließen, sondern versucht auch das eigene Potential möglichst umfassend zu erschließen. Entsprechend hat man in die Schulen, Hochschulen und, als einziges Land in Asien (nach Japan), in die Arbeiterfortbildung sowie massiv in Forschung und Entwicklung investiert. Im Oktober 2000 beschloss man noch einmal die Aufstockung der Mittel für Forschung und Entwicklung in einem Fünf-Jahresplan um 75 % gegenüber der vorhergehenden Periode und die Einrichtung von zwei weiteren Forschungseinrichtungen (für Bio-Medizin sowie Natur- und Ingenieurwissenschaften). Alle Schulen wurden mit Computern ausgerüstet (ein Gerät für zwei Schüler). Die Kindergärten sollen folgen. Ab der fünften Klasse sollen Schüler lernen, eine einfache Webseite einzurichten. Der Unterricht soll einmal bis zu einem Drittel über die Computer abgewickelt werden.

Die Anstrengungen sind beeindruckend. Die tatsächlichen Ergebnisse sind aber bisher alles in allem noch nicht sehr zufriedenstellend. Studenten, die im Ausland studiert haben, haben die besseren Berufsaussichten, weil sie offenbar die besseren Leistungen bringen. Praktisch das gesamte amtierende Kabinett hat im Ausland studiert. Das Problem ist nur, dass viele vom Studium im Ausland nicht zurückkehren, andere Akademiker den Stadtstaat verlassen. Singapur leidet also auch unter einem brain drain von angeblich etwa 2000 Hochqualifizierten pro Jahr sein. Nach amtlichen Schätzungen leben inzwischen insgesamt 150.000 Singapureaner im Ausland. Viele von ihnen studierten mit Regierungsstipendien und der Verpflichtung, nach dem Studium 3 bis 5 Jahre im öffentlichen Sektor im Stadtstaat zu arbeiten.

Für die Abwanderung von Professionals wird es verschiedene Gründe geben. Das politische Klima im Stadtstaat, die politische Disziplinierung und administrative Gängelung, wird für nicht wenige dabei auch eine Rolle spielen. Es spricht für die verantwortliche politische Elite, dass ihr dieser Sachverhalt nicht entgangen ist. Auch hat man inzwischen erkannt, dass das Schul- und Hochschulsystem Disziplin und abrufbares Wissen vermittelt - mit durchaus sehr gutem Erfolg, wie etwa auch international durchgeführte Mathematik- und Physiktests belegen. Auf der Strecke bleiben jedoch Kreativität und soziale Kompetenz, auf die es in einer „Wissensökonomie„ besonders ankommt.

Man ist nun dabei, das Ausbildungssystem umzumodeln. Das Abfragewissen wird durch die Erweiterung des Bildungskanons, durch die Einübung der Kooperationsfähigkeit und anderer sozialer Kompetenzen, durch die Förderung der Verständnis- und Denkfähigkeit der Auszubildenden ergänzt. Das Auslandsstudium - als ein Pull-Faktor für Abwanderung - sucht man in der Bedeutung zurückzufahren, indem man angesehene Universitäten motiviert, einen Satelliten-Campus im Stadtstaat zu errichten. Bis 2008 sollen es insgesamt zehn sein. Mit sechs verhandelt man bzw. sie haben ihren Betrieb schon aufgenommen: Es handelt sich um klangvolle Namen: John Hopkins University, Massachusetts Institute of Technology, Georgia Institute of Technology, University of Chicago, Wharton School (alle aus den USA) sowie INSEAD (Frankreich). Die Universitäten kommen nicht für Gottes Lohn, sondern erheben saftige Studiengebühren, die aber wohl kein Problem in Singapur darstellen.

Die „Abwanderer„, die ihren Stipendienverpflichtungen nicht nachkommen, versuchte man früher durch Diffamierungsmaßnahmen (Name mit Foto auf der Titelseite der Straits Times) abzuschrecken. Inzwischen sucht man sie durch die Förderung von Clubs für Singapureaner im Ausland sowie durch ideologische Seelenmassage an die Heimat zu binden. In diese Richtung zielt auch eine größere Offenheit und Bereitschaft, den Bürgern zuzuhören. Selbst in den Medien bekommen kriti-sche Debattenbeiträge einen größeren Raum. In Anlehnung an das Vorbild im Hyde Park in London wurde eine öffentliche „Speaker’s Corner„ - bemerkenswerterweise erst nach längerem Zögern - eingerichtet. Diese Bemühungen erinnern an die Liberalisierungsversuche zu Beginn der Amtszeit des gegenwärtigen Premierministers, die nicht eine wirkliche Demokratisierung einleitete. Sie zeigen, wie schwer es der technokratischen politischen Elite fällt, wirklich Freiheit und Unabhängigkeit der Bürger und das damit verbundene Chaospotential als notwendige Voraussetzung für kreative und innovative Leistungen in allen Bereichen zu akzeptieren. Dabei sollte man jedoch nicht übersehen, dass die pluralistisch-demokratisch organisierten Staaten in der Region den Technokraten Singapurs kaum positive Argumente liefern, ihre Haltung zu überdenken. In Thailand gewann im Januar 2001 ein super-reicher Unternehmer, der sein Milliardenvermögen zum guten Teil durch Monopollizenzen verdient hatte, mit unbezahlbaren populistischen Versprechungen in einem Erdrutschsieg die Parlamentswahlen. Dass er kurz zuvor von der anti-Korrutionsbehörde schuldig gesprochen wurde, hatte offenbar keinen Wähler abgeschreckt - kommentierte fassungslos der Architekt des modernen Singapur, Lee Kuan Yew.


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