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Indonesien / Rolf Hanisch - [Electronic ed.] - Bonn, 2001 - 21 S. = 68 KB, Text . - (FES-Analyse)
Electronic ed.: Bonn : FES Library, 2001

© Friedrich-Ebert-Stiftung


INHALT




  • Die Asienkrise traf Indonesien heftiger als die anderen Krisenländer. Durch das fehlende Vertrauen in das Krisenmanagement und die politische Entwicklung fiel die Erholung bisher nur moderat aus.

  • Der vergangene Boom und die politisierten Rentenbeziehungen haben die Bildung großer Vermögen in Unternehmenskonglomeraten ermöglicht. Die Krise hat diese Unternehmen, die sich zuletzt auch im Ausland hoch verschuldeten, und viele inländische Banken in die Insolvenz getrieben.

  • Bisher gelang es den Wirtschaftseliten, eine Ratifizierung ihres Scheiterns durch Hinhaltetaktiken bei den Umschuldungs-/Umstrukturierungs- und Insolvenzverfahren weitgehend zu vermeiden. Selbst nach Übernahme der Unternehmen durch eine staatliche Auffang- und Abwicklungsbehörde verblieb bei ihnen meist das Management und damit die Kontrolle über „ihre„ ehemaligen Unternehmer.

  • Die Armut, in den Boomjahren deutlich rückläufig, nahm in der Krise drastisch zu und schwächt sich erst jetzt wieder ab. Auch die Unter- und Mittelschichten erlebten zum Teil gravierende Einkommensverluste. Im politischen Transitionsprozess traten jedoch nur die Studenten kollektiv in Erscheinung, deren Berufsaussichten sich durch die Krise weiter drastisch verschlechtert haben. Sie hatten einen wesentlichen Anteil am Sturz Suhartos und seines Regimes.

  • Die Wirtschaftskrise führte zu einer Destabilisierung des Staatsverbandes und zu einer Liberalisierung und Demokratisierung des politischen Systems. Die inzwischen demokratisch legitimierte Regierung ist jedoch noch sehr instabil, die Demokratie noch längst nicht konsolidiert. Das hat wiederum auch Konsequenzen für den wirtschaftlichen Reform- und Erholungsprozess.

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Die Asienkrise in Indonesien

Die Asienkrise wurde Mitte 1997 von Thailand ausgelöst. Sie riss auch Indonesien in ihren Strudel. Die indonesische Rupiah wurde in der Spitze um 84 % (im September 1998) abgewertet und pendelt seither zwischen 7000 und 9.000 Rupiah/US$. Die Börse fiel um gut ein Drittel. Dollaranleger, die nicht rechtzeitig das Weite suchten, verloren bis zum November 2000 fünf Sechstel ihrer Anlage. Zu Beginn der Krise standen die Kurse noch auf einem Allzeithoch - offenbar Ausdruck des ungebrochenen Optimismus in die Zukunft. Das BIP brach um -13,2 % (1998) ein. Der Absturz war also in Indonesien wesentlich tiefer und gravierender als in den anderen Krisenstaaten.

Im Unterschied zu den Nachbarstaaten nahm nämlich in Indonesien das Vertrauen in die Problemlösungsbereitschaft des amtierenden Suharto-Regimes sehr bald dramatisch ab. Das Krisenmanagement war gekennzeichnet durch möglicherweise für die Situation übertriebene Reformforderungen des IWF auf der einen und einer intransingenten Verteidigung der Kumpanei- und Familienprivilegien auf der anderen Seite. Das führte schließlich zu einer völligen Desillusionierung über das Suharto-Regime und löste weitere Krisen aus, die sich mit der Währungs- und Wirtschaftskrise wechselseitig verschärften.

Das autoritäre Suharto-Regime suchte Legitimation in seinen wirtschaftlichen Erfolgen und musste nun zwangsläufig in eine politische Krise geraten. Die Nachfolgefrage für den alternden und kränkelnden Staatschef kam auf die Tagesordnung und mündete schließlich im bis heute nicht abgeschlossenen Transitionsprozess in Richtung auf eine Demokratisierung des politischen Systems. Diese Übergangsphase ist mit höchst instabilen politischen Institutionen und Prozessen verbunden. Das belastet die wirtschaftliche Erholung und behindert eine konsequente Reformpolitik.

Die Wirtschaftskrise und die Probleme des Regimes deckten die Krise der nationalen Identität und des Staatsverbandes auf: Die Unabhängigkeitsbewegung im lusophonen Ost-Timor erreichte ihr Ziel der Abspaltung vom indonesischen Staatsverband, freilich erst nach brutalem Gemetzel und Brandschatzung der indonesischen Soldateska und ihrer zivilen Hilfstruppen. Die Unabhängigkeitsbewegungen in Irian Jaya und vor allem Aceh erhielten neuen Auftrieb. Auf den Molukken und anderswo brach ein „Religionskrieg„ zwischen Muslimen und Christen aus, dessen eigentliche Ursachen und Hintermänner ungeklärt sind. Indonesier chinesischer Herkunft, Träger und Gewinner des bisherigen Booms, wurden zu Sündenböcken ge-macht, ihre Häuser und Geschäfte zeitweise gebrandschatzt, Frauen vergewaltigt und ermordet. Die Konsequenz, Flucht der Menschen und des Kapitals, konnte nicht überraschen.

Die Zusammenhänge zwischen allen Krisenebenen sind offensichtlich. Wirtschaftlich ist von Bedeutung, dass es, anders als in den Nachbarstaaten, nicht gelang, die Exporte wesentlich auszuweiten, was man nach der dramatischen Abwertung hätte erwarten dürfen. Verantwortlich hierfür waren zunächst niedrige Weltmarktpreise für indonesische Exporte, die sich allerdings im Jahr 2000 deutlich erholten. Eine andere Besonderheit ist gleichfalls von Belang. Die Flucht des „kurzfristigen„ Kapitals, Portfolioinvestitionen, kurzfristige Kredite und liquides einheimisches Kapital, verursachte und vertiefte den Währungsverfall. Das war in Indonesien nicht anders als in den Nachbarländern. Dort blieben aber die ausländischen Direktinvestitionen und wuchsen sogar in einigen Ländern. Zwar kehrte spekulatives Portfoliokapital zeitweise nach Indonesien zurück und verursachte eine kurzfristige Hausse an der abgestürzten Börse, die Kapitalverkehrsbilanz für ausländische Direktinvestitionen ist aber seit der Krise negativ. Das ist ein wichtiger Indikator für die allgemeine Vertrauenskrise in die weitere Entwicklung.

Die gesamten Auslandsschulden Indonesiens schossen in der Krise von 110,1 Mrd. $ (Ende 1996) auf 150,9 Mrd. $ (1998) in die Höhe. Das entspricht nun stattlichen 146 % des BSP (1996: 49 %). 1999 führten Verhandlungen über eine Umstrukturierung von 34 Mrd. $. nur bei den staatlichen Schulden (80 %) sowie den privaten Bankschulden, nicht aber bei den Auslandsschulden der privaten Unternehmen (15 %) zu begrenzten Erfolgen. Die im Juli 1998 eingerichtete Regierungsagentur INDRA, die Privatunternehmen bei der Umstrukturierung ihrer Auslandsschulden u.a. durch günstige Rupiahkredite unterstützen sollte, blieb wirkungslos. Die wenigen Umstrukturierungen erfolgten im Rahmen der „Jakarta Initiative„, die von der Habibie-Regierung und der Weltbank im September 1998 ins Leben gerufen wurde und in der sich 330 Unternehmen mit etwa einem Drittel der privaten Auslandsschulden versammeln. Bis zum Februar 2000 hatten gerade 19 Schuldner Umstrukturierungsabkommen mit ihren Gläubigern abgeschlossen. 46 hatten eine „prinzipielle Einigung„ erzielt und befanden sich auf dem Niveau eines informellen Stillhalteabkommens.

Mit den einheimischen Banken gingen die Schuldner nicht besser um. Die problematischen Vermögenswerte der Banken schossen steil nach oben, von 33 Trillionen Rupiah (6,6 %) auf 277 Trillionen Rs (38 %). Der Anteil der Ausleihungen, die von den Schuldnern nicht mehr bedient wurden (NPL), stieg von 10 % (Ende 97) auf 50 % (Ende 98) aller Kredite. Am schlimmsten traf es, wie könnte es anders sein, die Staatsbanken, aber auch viele Privatbanken waren praktisch bankrott. Bis Ende 1999 konnte die Zentralbank für 954 Großschuldner (im Durchschnitt etwa 35 Mill. $ Verbindlichkeiten) Umstrukturierungspläne mit den Gläubigerbanken vermitteln. Für 7.509 kleinere Schuldner (im Durchschnitt 0,4 Mill. $) gelang dies ohne die staatliche Hilfe. Damit wurden 51 Trillionen Rupiah oder 57 % der verbliebenen Problemkredite des Jahres 1999, aber nur 18 % des Standes von Ende 1998 umstrukturiert. Ein wirklich funktionierendes Zwangsinstrument gegen säumige Schuldner gibt es praktisch bis heute nicht.

Ein Insolvenzgesetz aus der holländischen Zeit (1905) wurde praktisch nicht angewendet. Auf Veranlassung des IWF wurde ein neues Insolvenzgesetz erlassen und im September 1998 eine dafür zuständige spezielle Gerichtsbarkeit eingerichtet. Das Gesetz schreibt eine flotte rechtliche Klärung vor, 1998 wurden aber nur 30, 1999 genau 100 Fälle an das Gericht herangetragen und verhandelt. Die Kreditgeber gewannen gerade ein Fünftel der zudem meist noch nicht einmal strittigen Verfahren. Das Insolvenzgesetz hat das Vertrauen der Beteiligten in den Rechtsstaat also kaum verbessert sondern eher noch weiter geschwächt. Bei den kümmerlichen Gehältern in der Justiz – selbst Richter am Supreme Court verdienen weniger als 200 US$ im Monat - kann deren Verhalten nicht überraschen. Auch eine auf IWF-Druck eingerichtete „Unabhängige Kommission zur Überprüfung von Staatsbeamten„, die u.a. auch die Vermögensverhältnisse der Richter unter die Lupe nehmen und allgemein die Korruption im Justizsystem untersuchen soll, wird hier kurzfristig nur wenig ändern können.

Die Zahlungsunfähigkeit und Unwilligkeit der Schuldner zur Restrukturierung musste die indonesischen Banken in existenzbedrohende Schwierigkeiten bringen. Es traf mit deren Managern und Eigentümern - z.T. im Konglomeratverbund mit ihren Schuldnern - keine Unschuldigen. Sie hafteten als Eigentümer auch nur bedingt. Da die Unternehmen und Banken in ihrem Besitz rechtlich selbständige Einheiten sind, können die Eigentümer nicht gezwungen werden, ihre überschuldeten Unternehmen durch Kapitalspritzen aus anderen Unternehmen zu sanieren.

Das Debakel blieb nicht auf diese Mit-Täter beschränkt, auch die Spargroschen der Mittelschichten, formal nicht versichert, standen auf dem Spiel. Einen Kollaps des Finanzsystems konnte der Staat mithin auch aus gesamtwirtschaftlichen Interessen nicht zulassen. Für die Bankenrehabilitation musste man Anleihen auflegen, die etwa 50 % des aktuellen BSP entsprechen und deren Zinsbelastung allein im Haushaltsjahr 1999/00 auf etwa 2,8 %, im Jahr 2000/01 sogar auf 4,7 % des BSP veranschlagt wird. Die dadurch notwendige Ausweitung der Geldmenge trug zur Inflation bei. Damit müssen diese Maßnahmen praktisch auch von den Unterschichten bezahlt werden, die keine Steuern bezahlen.

Bei den Umstrukturierungen handelt es sich zudem meist um die Umwandlung von Schulden in Kapitalanteile, Verlängerung von Kreditlaufzeiten und Schuldennachlässe und um relativ wenig Vermögensverkäufe. Insider äußerten, es handele sich im wesentlichen um „Buchführungsübungen„, die „nett aussehen und schön klingen„, um mehr aber nicht. Es fehle die Beteiligung von ausländischen „strategischen Investoren„, die nicht nur kurzfristig die Nachfrage nach Rupiah erhöhen und deren Wechselkurs stabilisieren, sondern – viel wichtiger - langfristig die Unternehmenskultur verändern helfen und die Unternehmen damit wettbewerbsfähiger machen. Ausländischen Banken bietet man zwar die rechtliche Möglichkeit, sich in indonesische Institute einzukaufen und diese damit zu sanieren. Das Interesse ist jedoch - anders als etwa gegenüber Thailand - nicht besonders groß. Einige wenige Versuche wurden durch die Belegschaft bzw. das Management und eine nationalistische Agitation verhindert. Bisher gelang es der IBRA nicht, größere Unternehmen bzw. Unternehmensanteile zu veräußern.

Nachdem alle gesellschaftlichen Schichten und Gruppen in den drei Boomjahrzehnten profitiert hatten, traf auch die Wirtschaftskrise alle, wenn auch wie zuvor in ungleicher Weise.

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Die „Kumpanei„ der Reichen und der Super-Reichen

Die neue Ordnung Suhartos hat eine kleine Gruppe von Reichen und Superreichen hervorgebracht, die es bisher im Lande in dieser Form nicht gegeben hatte. Es handelt sich um die oberen Ränge der Politik, der Bürokratie und des Militärs, die keine Skrupel hatten, ihre politische Macht auch für den eigenen bzw. familiären wirtschaftlichen Nutzen einzusetzen. Ferner gehören dazu Freunde und Kumpane sowie Unternehmer aus der Privatwirtschaft, die über persönliche Beziehungen zu Entscheidungsträgern und politischen Machthabern große Wirtschaftsunternehmen aufbauen und z.T. riesige Vermögen ansammeln konnten. Schließlich sind hier die Unternehmer und Spitzenmanager zu nennen, die, ohne relevante politisch-administrative Beziehungen, auf den z.T. eingeschränkten Teilmärkten sich zu behaupten und sogar zu größeren Unternehmen zu expandieren wussten.

Etwa 64.000 Haushalte (0,15 % aller Haushalte) verfügen über ein (liquides) Anlagevermögen von über 1 Mill. $. Der Anteil der Superreichen ist damit zwar in Indonesien deutlich niedriger als in den Nachbarstaaten, dafür haben sie mit durchschnittlich 4 Mill. $ höhere Vermögen als ihre Nachbarn. Unternehmensberater haben deswegen in Indonesien den zweitgrößten Markt für das Privatkundengeschäfte in Asien ausgemacht.

Auch das Produktivvermögen wird in weiten Teilen der Wirtschaft durch einige Dutzend bis maximal einige hundert große Konglomerate dominiert, teilweise sogar monopolisiert. Diese Familienunternehmen sind meist um den Familienpatriarchen der ersten Generation zentriert. Managementpositionen werden bevorzugt mit Söhnen und anderen Verwandten besetzt, erst in jüngerer Zeit beginnen einige größere Konglomerate ihr Management durch Außenseiter zu professionalisieren. Ziel ist es, die Unternehmensdaten im Familienkreis zu halten und einer öffentlichen Kontrolle und Rechenschaftspflicht zu entziehen. Steuern zahlen sie auf der Basis von Selbsteinschätzungen - seit den 80er Jahren werden immerhin die Namen der 150 größten Steuerzahler veröffentlicht. Die Entfaltung und Expansion der Konglomerate war in dieser Form nur durch staatliche Protektion und Förderung möglich, etwa bei der Auftrags-, Lizenz- und Kreditvergabe durch staatliche Banken. Dieser Fördermaßnahmen erfolgten nicht aufgrund sachlich-rationaler Entscheidungen bzw. in transparenten Verfahren, sondern aufgrund der persönlichen Beziehungen zwischen dem Präsidenten auf der obersten und von Ministern, Generälen und Staatsbeamten auf den unteren Ebenen mit den Wirtschaftsakteuren. Auch die Normerzwingung bei Gesetzen und staatlichen Regulierungen war allgemein schwach, gelegentlich aber auch recht hoch gehängt und penibel durch langwierige bürokratische Verfahren eingefordert. Kumpane mit dem kurzen Weg zum Präsidenten konnten auf diese Weise auch Ministerentscheidungen überspielen und diese durch direkten Kontakt zum Präsidenten desavouieren. Beide Seiten profitierten auf Kosten der Allgemeinheit, der ausgeschlossenen Mitbewerber, der Verbraucher, der Steuerzahler.

Den politischen Machthabern, zunächst ziemlich mittellos und legal nur mit äußerst kargem Salär alimentiert, gelang durch privat vereinnahmte Zuwendungen (Korruption), auch durch direkte Entnahme und Diebstahl von staatlichen Mitteln sowie durch Selbstprivilegierung bei der Lizenz- und Auftragsvergabe eine „ursprüngliche Akkumulation„ und - meist im Huckepackverfahren mit ihren privaten Geschäftspartnern - die Konstituierung auch als private Unternehmer, genauer, als rentenkapitalistische Kumpanei-Unternehmer.

Die Konglomerate kontrollieren Unternehmen in den unterschiedlichsten Tätigkeitsfeldern, ohne dass diese in irgendeiner Weise wirklich integriert würden bzw. eine strategische Ausrichtung bzw. Weiterentwicklung erkennbar ist. Man ergriff jede günstige Gelegenheit, die sich politisch bot, ohne besondere Planung, gelegentlich auch ohne eigene Expertise und Erfahrung. Gern nahm man in diesen Fällen (in joint ventures) ausländische Unternehmen mit ins Boot, die das notwendige know how und Kapital beitragen konnten. Die Kumpane boten dabei nicht selten kaum wesentlich mehr als ihre politisch relevanten Beziehungen und die Lizenzen usw. Sie hatten dennoch keine Schwierigkeiten, ihre ausländischen Partner zu finden. Diese wollten in der Boomökonomie vertreten sein und wussten, dass es ohne diese Kumpane nicht oder nur unter großen Schwierigkeiten gehen würde. Heute, unter den Bedingungen der Krise und der politischen Transition, dürften die ausländischen Partner der joint ventures für die Konglomerate eine weitere Funktion erfüllen: Sie bieten einen gewissen Schutz gegen Angriffe, die die Transnationalen Konzerne mittreffen müssen. So lange man auf ausländische Direktinvestitionen noch Wert legt, wird man in diesen Fällen sensibel und in jedem Fall durch rechtsstaatliche und transparente Verfahren vorgehen müssen.

Bei den einheimischen Wirtschaftsakteuren in der Allianz handelt es sich vor allem um Sino-Indonesier. Das hat zum Teil biographisch-historische Gründe. Viele der dann einträglichen Freundschafts- und Geschäftsbeziehungen wurden schon in den 50er Jahren begründet. Außer europäischen (vor allem niederländischen) Unternehmen, die man damals vertrieb, gab es praktisch nur chinesische Unternehmer. Diese hatten und haben die zutreffende Reputation, als Wirtschaftsakteure besonders erfolgreich zu sein. Eine Rentenpartnerschaft mit ihnen versprach also besonderen Gewinn. Viele Mitglieder der administrativ-prätorianischen Führungsschicht sowie andere Pribumis meist mit Beziehungen vermochten sich auf diese Art und Weise in der Privatwirtschaft zu etablieren, die größten und erfolgreichsten Konglomerate blieben jedoch in sino-indonesischer Hand - wenn man von der Suharto-Familie absieht. So ergab z.B. eine Untersuchung der 200 umsatzstärksten Konglomerate für 1988, dass 73 von Sino-Indonesiern, 18 von Mitgliedern aus dem bürokratisch-prätorianischen Bereich, 44 von weiteren Pribumis und elf vom Staat kontrolliert wurden. 1996 wurden unter den 30 größten Konglomeraten sogar nur drei gezählt, die eindeutig im Pribumi-Besitz sich befanden. Diese 30 Konglomerate kontrollieren 2.072 Unternehmen, die 776.000 Arbeiter und Angestellte (5 % der Lohnempfänger) beschäftigten, die einen Umsatz von zusammen 171.853 Mrd. Rupiah erwirtschafteten, was etwa 33 % des BSP entsprach.

Durch und mit ihren Konglomeraten wurden ihre Eigentümerfamilien immens reich. Eine relativ breite Schicht wird ein Vermögen und Unternehmenswerte in der Größenordnung wie die Habibie-Familie (geschätzt 60 Mill. $) akkumuliert haben. In der Spitze wurden Milliarden-Dollar-Vermögen gebildet. Der Umfang dieser Vermögen ist allerdings schwer zu bestimmen, da, anders als in den Industriestaaten, nur ein Teil der Unternehmen an der Börse notiert sind und damit ihr Wert über die jeweilige Börsenkapitalisierung bestimmt werden kann.

Die Dominanz der Sino-Indonesier in der Privatwirtschaft hatte für das bürokratisch-prätorianische Suharto-Regime auch eine gewollte politische Dimension. Bei dieser Bevölkerungsgruppe handelte es sich (bis heute) um Pariah-Unternehmer, die nicht in die indonesische Gesellschaft assimiliert und in die polity integriert worden sind, auch wenn sie formal indonesische Staatsbürger mit besonders markierten Pässen, allerdings unter indonesischen Namen, werden konnten. Aus den politischen Machtzentren der Regierung, der Verwaltung, dem Militär und der Regierungspartei Golkar hielt man sie jedoch heraus. Damit war sichergestellt, dass der Boom nicht - wie z.B. in Thailand - eine Bourgeoisie hervorbrachte, die nun auch politische Ansprüche anmeldete und auf eine Demokratisierung der bürokratischen Politik drängte. Außerdem eigneten sie sich im Notfall als Sündenböcke, gegen die man die rassistisch-nationalistische Volkswut munitionieren und lenken konnte.

Der Boom brachte es nun aber mit sich, dass sich, unterhalb der Kumpanei-Unternehmer und großen Konglomerate, aus eigener Kraft eine Unternehmerschicht entwickelte, dabei keine bzw. keine nennenswerten Förderungen erfuhr, in ihrer Entfaltung jedoch durch aktive und passive Diskriminierung durch die Kumpanei-Wirtschaft behindert wurde. Von dieser Seite wurde seit den 80er Jahren Druck gegen die chinesischen Konglomerate entfaltet, deren Rolle auch im Parlament und den Medien zunehmend einer kritischen Betrachtung unterzogen wurden. Man sparte dabei die Pribumi-Konglomerate implizit aus. Eine Thematisierung der Suhartos war ganz tabuisiert und wurde im Zweifelsfall sanktioniert. Das Regime versuchte, diesen Druck aufzufangen. Einmal wurden dreißig Konglomerate öffentlich verpflichtet, 30 % ihres Aktienkapitals Genossenschaften zur Verfügung zu stellen, dann erklärten sich einige Konglomerate bereit, die Armen durch Sonderzuwendungen zu unterstützen, schließlich sollten die Banken einen größeren Teil ihrer Kredite an die kleineren Unternehmer geben. Selbst mit einem Kartellgesetz befassten sich jahrelang die zuständigen Ministerien - verabschiedet wurde es nie. Das war letztlich symptomatisch für die mittleren Unternehmer in der neuen Ordnung, sie wurden in vielfacher Weise durch die Kumpanei-Wirtschaft behindert.

Man kann also davon ausgehen, dass diese Unternehmer ohne besondere Beziehungen ein Interesse an der Überwindung der Kumpanei-Wirtschaft der Konglomerate haben, die ohne Ablösung des Suharto-Regimes nicht möglich schien. Suhartos Abgang dürften sie daher kaum bedauert haben. Eine sichtbare aktive politische Rolle im Transitionsprozess haben sie allerdings nicht gespielt. Ihre Geschäfte dürften durch das Chaos und die Wirtschaftskrise auch gelitten haben, dennoch müssten sie die relativen Gewinner sein. Sie werden Marktanteile hinzugewonnen haben. Ihre Entfaltung wurde bisher u.a. auch dadurch gebremst, dass sie größere Schwierigkeiten als die Kumpanei-Konglomerate hatten, im In- und insbesondere im Ausland Kredite aufzunehmen. Das müsste sich nun in der Krise als Vorteil erweisen, denn sie dürften kaum so überschuldet sein. Der durch die stark gestiegenen Zinsen im Inland und der drastischen Abwertung für die Schulden im Ausland eskalierende Schuldendienst, der viele Konglomerate in die Zahlungsunfähigkeit trieb, müsste sich für sie deutlich harmloser gestalten. Empirische Daten hierüber liegen allerdings noch nicht vor.

Eigentlich bot die politische und wirtschaftliche Krise eine günstige Gelegenheit, die bisherigen politischen und wirtschaftlichen Eliten von ihren Kommandohöhen abzulösen und gesellschaftlich zurück in die Mittelschichten zu degradieren. Dies gelingt allerdings nur bedingt: Die Eliten der neuen Ordnung mussten um ihr Überleben kämpfen, trugen hierdurch zu einer erheblichen Destabilisierung des gesamten Systems bei und erschwerten die wirtschaftliche Reform und den Neuaufbau nach dem crash. Es wird einige individuelle Verlierer geben. Die alten Eliten verlieren ihre monopolistische Dominanz in dem sich nun entwickelnden pluralistischen und etwas rechtsstaatlicheren, partizipatorischen und marktwirtschaftlicheren System. In der sich nun konstituierenden veränderten Politik, Administration und Ökonomie werden sie aber als wesentliche Akteure erhalten bleiben, auch wenn ihnen ein Zangenangriff auf ihre Wirtschaftsmacht und gesellschaftliche Stellung droht. Dabei handelt es sich erstens um den Verlust der bisherigen wirtschaftlichen Privilegien und die drohende gerichtliche Überprüfung ihrer unsauberen und auch früher schon illegalen Geschäfte sowie zweitens um den Verlust ihrer überschuldeten Unternehmen, da sie ihre Verbindlichkeiten nicht mehr erfüllen konnten. An beiden Fronten konnten sie sich bisher, wenn auch mit Verlusten, recht passabel zur Wehr setzen.

Zum ersten Schritt wurde Suharto noch im Amt durch den IWF gezwungen: Aufhebung einiger Monopole, Stornierung zahlreicher Großprojekte (für die Kumpanei-Kontraktoren bedeutete dies nur den Wegfall zukünftiger Gewinne), Schließung und Übernahme zahlreicher privater Banken, die, aufgrund der Einstellung des Schuldendienstes ihrer Kreditnehmer, zahlungsunfähig geworden waren. Die bisherigen Eigentümer mochten sich durch diese Maßnahme enteignet fühlen. Ein betroffener Präsidentensohn versuchte, in den Gebäuden und mit dem Personal „seiner„ Bank diese unter anderem Namen als Neugründung fortzuführen. Tatsächlich handelte es sich jedoch um die Sozialisierung der Verluste, die im wesentlichen durch ein unfähiges, habgieriges und korruptes Management verursacht worden waren. Dieses war gekennzeichnet durch eine fahrlässige oder doch unprofessionelle expansive Kreditvergabe, bei der die Wirtschaftlichkeit der kreditierten Projekte sowie die Sicherheiten nicht oder nicht realistisch geprüft worden waren. Im Boom konnten diese Defizite immer noch überspielt werden, in kritischen Situationen konnte man auf staatliche Hilfe zurückgreifen. In der Krise wurden diese Praktiken nun schonungslos aufgedeckt. Weit schlimmer stand es dabei sogar noch mit den staatlichen Banken, die sich bei ihrer personalisierten und politisierten Ausleihpraxis offenbar noch sicherer wähnten als die Privatbanken.

Mit dem Sturz des Autokraten kamen auch die illegalen Bereicherungspraktiken der Suhartos und ihrer größten Kumpane auf die politische Agenda. Suharto hatte sich offenbar in dieser Hinsicht von seinem Nachfolger und auch dem Generalstabschef Wiranto vor seinem Rücktritt noch Zusicherungen machen lassen. Aufgrund des öffentlichen Drucks sah sich Habibie jedoch gezwungen, eine Untersuchung zu eröffnen. Ein im Februar 1999 mitgeschnittenes und dann veröffentlichtes Telefongespräch mit seinem Generalstaatsanwalt machte allen deutlich, dass es um eine symbolische Veranstaltung zur Beruhigung der Öffentlichkeit ging.

Suharto hatte während seiner Amtszeit die von ihm eingeforderten Sonderzuwendungen vornehm in sieben gemeinnützige Stiftungen einzahlen lassen, über die er dann, ohne irgend jemandem rechenschaftspflichtig zu sein, frei verfügte. Fest steht, dass diese Stiftungen nicht nur gemeinnützige Projekte förderten, sondern ihr Kapital in der Wirtschaft anlegten. Erst im Dezember 1998 sah sich Suharto gezwungen, die Kontrolle über die Stiftungen (mit einem Gesamtvermögen von rund 530 Mill. $) aufzugeben. Unter Habibie wurde das Verfahren gegen ihn schließlich eingestellt, unter Wahid wieder eröffnet. Jedes Mal, wenn Suharto einvernommen werden sollte, explodierten Bomben in Djakarta, zuletzt in der Parkgarage der Börse. Der gerade ernannte Verteidigungsminister, aber auch der durchaus glaubwürdige und angesehene Generalstaatsanwalt gaben bei dieser Gelegenheit ihre „private Auffassung„ zu bedenken, ob es im nationalen Interesse nicht besser wäre, auf das Strafverfahren gegen Suharto zu verzichten, um weitere Gewalttaten und die Destabilisierung des Landes zu verhindern. So seien die Untersuchungen zu den sechs Bombenattentaten immer dann versandet, wenn die Spuren in Richtung Suharto-treuer Armeekreise zu weisen begannen. Beide hielten daher eine außergerichtliche Einigung mit den Suhartos über eine „Entschuldigung für die Korruption„ und die Rückzahlung eines Teils des unrechtmäßig angehäuften Reichtums für erwägenswert.

Präsident Wahid hielt noch dagegen und kündigte die Verhaftung des jüngsten Suharto-Sohnes, Tommy, als Drahtzieher der Bombenattentate an. Konkrete Erkenntnisse gegen Tommy lagen jedoch nicht vor. Im sich entwickelnden Rechtsstaat konnten die Justizorgane nicht einfach auf einen Wink des Präsidenten handeln. Noch im selben Monat (September 2000) stellte das Gericht das Verfahren gegen Suharto sen. aus Gesundheitsgründen ein, obwohl zwei Ärztekommissionen seine Verhandlungsfähigkeit festgestellt hatten und man gegen ihn mit Genehmigung des Obersten Gerichts auch in Abwesenheit hätte verhandeln können. So blieb bisher nur der Prozess gegen Tommy Suharto. In erster Instanz wurde er freigesprochen, in zweiter Instanz kurz nach Absetzung des Verfahrens gegen seinen Vater wurde er zu 18 Monaten Haft verurteilt. Zur Anklage gelangte ein vergleichsweise kleineres und für den Klan wohl alltäglicheres Vergehen: Ein Grundstückstausch mit einem zu Lasten des Staates festgestellten Schaden von ca. 11 Mill. $.

Auch den wirtschaftlichen Offenbarungseid und den Zusammenbruch vermochten die Konglomerate bisher zu verhindern, obwohl die Abwertung und die steigenden Zinsen die hoch verschuldeten Unternehmen schwer traf. Viele konnten ihre Zinsen nicht mehr zahlen, einige taten vielleicht auch nur so. Die Konglomeratschefs versuchten, die Krise auszusitzen, offenbar in der Hoffnung, dass der Staat ihnen schon wieder aus ihren Problemen heraushelfen würde. Das tat er dieses Mal (zunächst?) nicht, denn er war dazu nicht in der Lage. Die verschuldeten Unternehmen bedienten ihre Verbindlichkeiten nicht, bekommen dafür keine neuen Kredite und versuchen, ihre Geschäfte, so gut wie es eben geht, weiter zu führen. Gegenüber den Gläubigern versuchen sie sich taub zu stellen. Zahlreiche Banken wurden zwar geschlossen bzw. vom Staat (durch die IBRA) übernommen und rehabilitiert - und mit ihnen die Unternehmen, die ihre Verbindlichkeiten gegenüber diesen Banken nicht bedienen konnten. Die eigentlich bankrotten (Alt-)Eigentümer behielten aber meist die operative Kontrolle in diesen IBRA-Unternehmen und können damit die Eigentumsfrage faktisch in der Schwebe halten. Sie haben damit auch die Möglichkeit, unter geschickter Einbeziehung der ihnen verbliebenen Ressourcen und Unternehmen, sich für ein come-back gut zu positionieren, wenn die allgemeine wirtschaftliche Lage sich durch einen erneuten Aufschwung entspannt.

Die Krise ist für die bisherigen Wirtschaftseliten noch nicht abgeschlossen. Die Rechnungen sind noch längst nicht alle bezahlt. Die Bedingungen haben sich allgemein für sie erheblich verschlechtert. Der über Jahrzehnte eingespielte politisch-persönliche Wirtschaftsklientelismus brach weg. Es kann noch nicht ausgemacht werden, ob er nicht in anderer Form neu entsteht. Auch in der pluralistischen Parteiendemokratie werden finanzkräftige Sponsoren dringend gebraucht. Die Business-Politik-Beziehungen werden sich hier allerdings fließender als im bisherigen autoritären System gestalten. Die Philippinen und Thailand haben in Südostasien vorgeführt, wie dies funktioniert. In diesem Fall sind die Aussichten der meisten alten Kumpane, wieder dabei zu sein, nicht schlecht. Sie konkurrieren nun vermehrt mit Neu-Aufsteigern, die aber kaum die Möglichkeit haben, die alten Wirtschaftseliten komplett abzulösen. Dazu fehlen offenbar genügend qualifizierte Manager, dominieren unmittelbare Sachzwänge der Krise, fehlen der entschlossene politische Wille und eine funktionstüchtige Justiz. Im Juni 2000 sprach der Präsident davon, dass vier große Konglomerate mit zusammen 12,2 Mrd. $ Schulden gegenüber der IBRA wegen ihres Exportbeitrages „gerettet„ werden müssten. Damit verdichtet sich der Eindruck, dass der Zeitpunkt für eine wirkliche Unternehmensreform schon wieder verpasst wurde.

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Soziale Krise oder soziale Katastrophe?

In den Boomjahren hatten auch die Unterschichten ihr Haushaltseinkommen steigern können. Der Anteil der absolut Armen an der Bevölkerung ging von 40,1 % (1976) auf 11,3 % (1996) zurück. Im September 1998 wurde die Öffentlichkeit mit alarmierenden Schätzungen über den Anstieg der Armut von 22,5 Mill. (1996) auf 79,4 Mill. (bis Mitte 1998) konfrontiert, die von den inzwischen recht freien indonesischen, aber auch den internationalen Medien begierig aufgegriffen und verbreitet wurden. Illustriert wurden diese Zahlen durch Hinweise auf Betriebsschließungen, Massenentlassungen, wachsende Arbeitslosigkeit. Mehrere Interessenlagen schufen zusammen diese mediale Konjunktur.

Die Regierung Habibie hatte ein Interesse an einer Dramatisierung der sozialen Situation, da sich hierdurch die internationale Unterstützung für die Lösung der Finanzkrise zusätzlich absichern ließ. Außerdem standen erstmals freie Wahlen an, international aufgebrachte Wohltaten für eine darbende Bevölkerung konnte man sich selbst zuschreiben lassen. Die FAO und das World Food Program unterstützten wohl ungewollt dieses Anliegen als sie 1998/99 Alarm schlugen. Eine schlechte Reisernte - als Konsequenz einer (El Niño-)Dürre und nicht der „Asienkrise„ diagnostiziert - ließe eine „Nahrungsmittelkrise„ wahrscheinlich werden. Diese Meldungen lösten massive Nahrungsmittelhilfslieferungen aus. Ein Netzwerk linker südostasiatischer NGO’s berichtete allerdings, dass die Nahrungsmittelhilfe von der Regierung Habibie vor allem zur sozialen Pazifizierung und als Wahlkampfmunition eingesetzt wurde.

Die ursprünglichen Verelendungsprognosen gingen davon aus, dass die Einkommen stagnieren und durch die hohe Inflation erheblich reduziert würden. Tatsächlich stiegen nicht nur die Verbraucherpreise, sondern auch - wenn auch geringer – die Löhne sowie die landwirtschaftlichen Produzentenpreise, insbesondere für die Exportlandwirtschaft, die ja durch die Abwertung profitieren mussten. Der Realeinkommensverlust fiel entsprechend deutlich niedriger aus als zunächst angenommen. Nicht wenige landwirtschaftliche Produzenten konnten sich sogar höherer realer Einkommen erfreuen. Die Beschäftigungssituation wurde nicht nur durch die Entlassungen in der Krise bestimmt, die Arbeitslosenrate stieg nur marginal von 5 % auf 6,4 %. Frauen waren von der steigenden Arbeitslosigkeit nicht überproportional betroffen. Deutlich unterdurchschnittlich nahm allerdings der Schul- und Hochschulbesuch mit der steigenden Erwerbsbevölkerung zu. Einige Familien konnten sich die Ausbildung der Kinder nicht mehr leisten und versuchten, durch vermehrte Arbeitssuche die sinkenden Einkommen zu kompensieren.

Die Krise zwang die Unterschichten zu Anpassungsstrategien. Die sinkenden Realeinkommen suchte man durch Verlängerung der Arbeitszeiten (etwa auch durch Zusatzjobs) und durch vermehrte Kinder- und Frauenarbeit auszugleichen. Die Beschäftigungsrate der erwachsenen Bevölkerung (über 15 Jahre) stieg von 58 % (1997) auf 67,2 % (1999) erheblich an. Ein Teil der in den Städten arbeitslos gewordenen Personen kehrte in ihr Heimatdorf zurück. Nach Umfragen musste ein Drittel der Befragten auf Darlehen ausweichen, fast ein Viertel veräußerte oder verpfändete Wertsachen bzw. verbrauchte Spargelder. Man sah sich auch zu Einsparungen und wohl auch zu Umschichtungen des Verbrauchs auf billigere Angebote des informellen Sektors gezwungen, der dadurch hier und dort durch die Krise stimuliert worden sein mag. Arme wie Nicht-Arme gaben an, insbesondere beim Kleiderkauf wie auch bei den Ausgaben für „Erholung„ und Reisen sowie beim Essen gespart zu haben.

Die Befragung bestätigt, dass der vorzeitige Schulabbruch nicht im befürchteten massenhaften Umfang, sondern wohl nur in Einzelfällen stattfand. Dazu mögen auch die vier Millionen Schulstipendien beigetragen haben, die man im Schuljahr 1998/99 mit finanzieller Unterstützung der internationalen Gemeinschaft als Teil staatlicher sozialer Sicherungsmaßnahmen vergab. Zu diesem staatlichen Versuch, ein soziales Sicherheitsnetz in der Krise zu knüpfen, gehört auch der Import von billigen Reissorten, der zu subventionierten Preisen an bedürftige Familien abgegeben wurde. Die dritte Programmkomponente waren Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, die allerdings auch größere Streuverluste aufwiesen. Insgesamt wurden diese staatlichen Programme der sozialen Sicherung überhastet entworfen und ohne genaues Ziel durchgeführt. Sie wurden von Beobachtern im Lande vielfach kritisiert. Über den Umfang des Missbrauchs nicht nur von Nehmer-, sondern insbesondere von politisch-administrativer Seite kann man nur mutmaßen. Die Weltbank hielt jedenfalls von Dezember 1998 bis zu den Wahlen im Juni 1999 ihre 1 Mrd. $ Entwicklungskredite, darunter auch die Mittel für die Sozialprogramme, zurück, um sie nicht von den Politikern zweckentfremdet zu sehen.

Grundsätzlich hat die Krise die Städte stärker als die ländlichen Regionen in Mitleidenschaft gezogen, die einzelnen Regionen wurden unterschiedlich schwer getroffen, einige wurden gar Nutznießer der Krise. Das wirtschaftliche und politische Zentrum des Landes - die Hauptinsel Java - erlebte dabei den größten Einbruch. Eindeutige Beziehungen zwischen den bisherigen Armutsregionen und Armutsgruppen und den Krisenverlierern lassen sich nicht feststellen. Die Daten deuten auf eine Verschärfung der Einkommensungleichheit hin und zwar sowohl zwischen den landbesitzenden und den landlosen bzw. landarmen Landbewirtschaftern. Ersteres reflektiert offenbar die unterschiedlich rentablen Anbaukulturen und den ungleichmäßigen Einfluss der El Niño-Dürre. Letzteres verweist auf den realen Einbruch der Landarbeiterlöhne und vermutlich eine Reduktion der Transferleistungen von Familienmitgliedern aus der Stadt. Auf Java bezog ein Viertel der ländlichen Haushalte vor der Krise derartige Transfereinkommen; von ihnen profitierten überwiegend landlose und landarme Haushalte. Folgt man der amtlichen Armutserhebung auf der Basis der Verbrauchsausgaben der Haushalte, so ermittelte eine Erhebung auf der Basis eines reduzierten Samples („mini-Susenas-Survey„) im Dezember 1998 einen Anstieg der Armutsbevölkerung von 22,5 Mill. (1996) auf 34,2 Mill. (Dezember 1998). Ende 1998 scheint allerdings auch der Boden der Krise erreicht worden zu sein. Seither hat die Armutsbevölkerung wieder deutlich abgenommen.

Damit ergibt sich ein uneinheitliches Bild. Die Krise führte zu einem kräftigen Anstieg der Armut, wohl gar zu einer Verdoppelung, nicht aber zu einer Vervier- oder Verfünffachung. Indonesien stürzte nicht auf einen Punkt Null zurück, wurde aber wohl um etwa fünf Jahre zurückgeworfen. Das ist gewiss schlimm genug, aber kein Befund, der die bisherige Entwicklungsstrategie grundsätzlich diskreditieren könnte. Allerdings ist die Einkommenssituation für die Unterschichten immer noch prekär. Weltbank-Experten halten etwa die Hälfte der Bevölkerung gegenüber scharfen Krisen für so wenig abgesichert, dass sie potentiell unter die Armutsgrenze fallen können, die von der Weltbank höher als von der indonesischen Armutsstatistik angesetzt wird. In der aktuellen Krise taten sie es aber offenbar nicht.

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Die Unter- und die Mittelschichten

Die Abwertung, der Börsencrash, die Inflation und die Schwierigkeiten vieler Großunternehmen mussten auch die Mittelschichten, den selbständigen Mittelstand und die Angestellten und Beamten, in Schwierigkeiten bringen. Diese von der Höhe der Einkommen, ihren gesellschaftlichen Interessen und Entwicklungsperspektiven her sehr heterogenen Gruppen haben eigentlich nur sehr breit gefächerte höhere und gesichertere Einkommen gemeinsam, die es ihnen ermöglichen, einen Lebensstil zu pflegen, der über die Befriedigung der in Indonesien knapp definierten Grundbedürfnisse hinausgeht und als „American way of life„ auch in Indonesien sein Leitbild gefunden hat. Man kann daher „Mittelschichten„ nicht nur von ihrer Stellung in der Arbeitswelt, sondern auch über ihren Konsum und Lebensstil definieren. Es gibt auch in Indonesien einen „falschen Mittelstand„, d.h. Personen, die sich den Mittelschichten und ihrem Lebensstil und Verbraucherverhalten zugehörig fühlen, sich das aber allenfalls in Ansätzen leisten können und sich daher auf zur Schau gestellten, im wesentlichen symbolischen Konsum, beschränken müssen. Der Besitz eines Privatfahrzeugs scheint ein geeigneter und leicht zu ermittelnder Indikator für die quantitative Bestimmung der Mittelschichten als Konsumentengruppe zu sein. 1995 waren 2,1 Mill. PKW und 9,1 Mill. Motorräder zugelassen. Unterstellt, dass nur Beschäftigte über allenfalls jeweils ein Fahrzeug verfügen, würden dies etwa 14 % aller Beschäftigten sein.

Ein kleiner Teil der Mittel- und vielleicht auch der Unterschichten dürfte von der Krise profitiert haben. Zu ihnen gehören die Kleinunternehmer, die bisher keine Kredite in Anspruch nehmen konnten und nun durch drastisch steigende Zinsen auch nicht in die Schuldenfalle geraten konnten. Einige mögen gar in der Krise Marktanteile vom modernen Sektor zurückerobert haben. Auch die für den Export-Markt produzierenden Bauern müssen hier genannt werden. Die Kontraktion in vielen Wirtschaftsbereichen und die hohe Inflation werden jedoch zu einer Verschlechterung der Bedingungen für die Mehrheit der Mittel- und Unterschichten geführt haben. Damit wird ein kontinuierlicher und z.T. steiler Anstieg in den letzten Jahren abrupt abgebrochen. Das mittlere Management hatte so z.B. sein durchschnittliches Einkommen von 24.218 $ (1995) auf 28.342 $ (1997) erhöhen können. Bis Anfang 1998 brach es auf 8.068 $ ein. Die Einkommensverluste - ausgedrückt in Dollar, was sich durch die Verbrauchsbedürfnisse rechtfertigt - fielen in Djakarta noch dramatischer aus als in den anderen Krisenländern der Region. Die indonesischen Manager wurden damit an das untere Ende der Einkommensskala in der Region katapultiert. Sie liegen nun hinter ihren Kollegen in Ho Chi Minh Stadt und erhalten eine Vergütung, die bei 40-50 % der Referenzeinkommen in Bangkok und Manila liegt.

Man kann von einem erheblichen Legitimationsverlust des Suharto- (und auch Habibie-) Regimes bei den Mittel- und Unterschichten ausgehen. Bemerkenswert ist jedoch, dass sie - mit einer Ausnahme - im wesentlichen nicht als gesellschaftliche Akteure in Erscheinung traten, die den Zusammenbruch des autoritären Regimes (mit-)erzwangen und den Transitionsprozess vorantrieben. Sie beteiligten sich an einigen Volksaufläufen, aber agierten nicht mit einer eigenen kollektiven Identität. Das trifft insbesondere auch auf die Arbeiter in den Großbetrieben zu. Diese hatten in den Jahren vor der Krise durch eine verstärkte Streikbereitschaft auf sich aufmerksam gemacht. Diese Streiks erfolgten auf Betriebsebene zur Durchsetzung von „Brot und Butter„-Fragen. Meist sollte die Einhaltung der gesetzlichen Mindestlöhne erzwungen werden. Sie erfolgten vielfach spontan, z.T. unter organisatorischer Mitwirkung von NGO’s, durch die akademische Mitglieder der Mittelschichten agierten. Sie richteten sich gegen die korporatistisch eingebundene Staatsgewerkschaft, der unter diesem und auch internationalen Druck zuletzt allerdings größere Spielräume eingeräumt wurden. In den frühen 90er Jahren sah es sogar so aus, als ob es einem charismatischen Anwalt, Dr. Mukat Pakpahan, im Verbund mit einigen NGO’s gelingen würde, eine unabhängige landesweite Gewerkschaft aufzubauen. Dieser Versuch wurde von der demokratischen Öffentlichkeit und den Medien in Indonesien und vor allem im Ausland mit großer Sympathie verfolgt. Die Eigenangaben dieses engagierten und lauteren christlichen Aktivisten über seine Mitglieder- und Massenmobilisierungsfähigkeit wurden deshalb meist bereitwillig und unkritisch übernommen. Wie bedeutsam dieser Versuch auch gewesen sein mag, das Suharto-Regime vermochte die Gewerkschaft wohl schon 1994 weitgehend zu neutralisieren, wenn nicht effektiv zu zerschlagen. Auch nach Ausbruch der Krise und bisher während des Transitionsprozesses vermochte sich eine Arbeiterbewegung nicht zu konstituieren und durch Streiks, einen Generalstreik gar, oder andere Massenaktionen die Ablösung des alten Regimes mit voranzutreiben. Es gelang nicht einmal die Organisation von Arbeiter- und Linksparteien, die sich mit einem nennenswerten Stimmenanteil bei den Wahlen im Juni 1999 hätten durchsetzen können.

An den Rändern der Mittelschichten hatte eine Oppositions- und Demokratiebewegung schon vor der Krise Aktivisten und Mitglieder rekrutiert, zu der sich auch zahlreiche Journalisten und ihre Medien zugehörig fühlten und die, so gut es eben ging, der Demokratiebewegung und ihren Themen Gehör zu verschaffen suchten. In ihrer Mehrheit waren die Mittelschichten aber dem Suharto-Regime gegenüber eher loyal. Etwa die Hälfte von ihnen waren und sind Beschäftigte des Staates, für die ein autonomes Handeln besonders schwierig und materiell nicht opportun war, da sie ihre meist kargen Gehälter durch korruptive Einnahmen aufbesserten. Die andere Hälfte rekrutiert sich wesentlich aus der sino-indonesischen Bevölkerung. Sie sieht sich wegen ihrer (gerade von den Mittelschichten hart erarbeiteten) wirtschaftlichen Erfolge den Neidgefühlen und periodischen Mob-Attacken der pribumi-Bevölkerung ausgesetzt. Daher konnte man von ihr sichtbare und kontroverse politische Aktivitäten deshalb gleichfalls kaum erwarten. Sie konzentrierte sich lieber auf ihre wirtschaftliche Tätigkeit und hoffte in Krisensituationen (durchaus nicht immer begründet) auf den Schutz des Staates.

Unter diesen Bedingungen konnte sich eine unabhängige Interessenartikulation und Demokratiebewegung allenfalls unter einem Viertel der Mittelschichten entfalten. Auch die Haltung dieses Viertels gegenüber dem Suharto-Regime war allenfalls ambivalent. Nicht wenige profitierten im allgemeineren Sinne von der neuen Ordnung und verdankten dieser ihren Aufstieg. Andere litten ganz persönlich unter dem Nepotismus, der Korruption und den Monopolpraktiken des Regimes bzw. problematisierten diese Kosten. Gleichwohl schien das Regime immer noch die Gewähr vor einem Abgleiten in das Chaos und vor dem Staatszerfall zu bieten, Szenarien, die gerade Mittelschichten ängstigen konnten und die in einen Demokratisierungsprozess - wie sich dann auch zeigen sollte - nicht auszuschließen waren.

In der Krise mussten Beamte zum Beispiel zunächst auch einen Einbruch ihrer offiziellen Gehälter hinnehmen. Nach mehreren Gehaltsaufbesserungen liegen die Realeinkommen jetzt im Durchschnitt um fast 20 % über dem vor der Krise. Die pauschalen Anhebungen haben zudem die unteren Gehaltsgruppen besonders begünstigt. Damit wurde die bisher schon zu geringe Spreizung der Gehälter für leitende, mittlere und einfache Beamte noch weiter eingeebnet und der Abstand zu den Gehältern leitender Angestellter in der Privatwirtschaft noch weiter vergrößert. Der Anreiz, diese dürftigen Beamtensaläre durch legale und illegale Zusatzverdienste aufzustocken, dürfte damit kaum vermindert worden sein.

Schließlich war eine unabhängige Interessenartikulation durch die Berufs- und Unternehmerverbände kaum möglich. Diese waren durch das Regime korporatistisch eingebunden und entpolitisiert worden. Selbst als diese Staatskontrolle während der Transforma-tionsphase sich auflöste, waren sichtbare politische Aktionen von dieser Seite erstaunlicherweise immer noch nicht zu verzeichnen. Das Suharto-Regime mochte durch die Krise erheblich an Legitimität bei den Mittelschichten verloren haben, diese blieben im wesentlichen jedoch passiv.

Eine Ausnahme stellten die insgesamt 2,2 Mill. Studenten dar. Aufgrund der relativ hohen Kosten und der niedrigen Einkommen der Unterschichten sind etwa vier Fünftel von ihnen Kinder der Mittel- und Oberschichten. Studenten und ihre Hochschullehrer sind allgemein am ehesten in der Lage, Widersprüche und Ungereimtheiten in ihrer Gesellschaft zu erkennen. Die Größe der Anstalten und die Kommunikationsdichte sind besonders günstige Bedingungen für ihre Mobilisierung und Organisation. Aufgrund ihres Selbstverständnisses und ihres Statusdenkens ist ihnen die Legitimität einer autoritären Ordnung, die ihnen keine Partizipationsrechte einräumt, wohl auch mit am schwersten zu vermitteln. Auch wenn Studenten in Fragen des öffentlichen Interesses intensiver denken und gegebenenfalls handeln als andere Gruppen, tun sie dies meist nicht ohne Berücksichtigung der eigenen Interessen. Hierzu gehören die materiellen Bedingungen des Studiums und vor allem die Karriere- und Berufschancen. Tatsächlich gelingt eine Massenmobilisierung von Studenten für öffentliche Fragen meist erst dann, wenn diese ihre eigenen Berufsaussichten sehr pessimistisch sehen.

Schon vor der Krise litt der Arbeitsmarkt in Indonesien unter einer hohen Jugendarbeitslosigkeit, die sich mit steigendem Alter (ab 30 Jahren) abbaute und schließlich nahezu ganz verschwand. Seit den 80er Jahren nahm diese Arbeitslosigkeit kontinuierlich zu und war am ausgeprägtesten unter den Hochschulabgängern. Der Anstieg der Arbeitslosigkeit von Hochschulabgängern verlief parallel zur Ausweitung des Bildungssystems und reflektierte wohl z.T. auch die Expansion des Ausbildungssystems in Disziplinen (Recht, Sozial- und Kulturwissenschaften), die in dem Maße nicht nachgefragt wurden. Der höhere Schul- und dann Hochschulbesuch ist dennoch attraktiv. Der Aufstieg im Bildungssystem ermöglicht höhere Einkommen, die im Durchschnitt bei mehr als dem Vierfachen für Hochschulabsolventen gegenüber den Primärschulabgängern liegen.

Dennoch war es für viele Hochschulabgänger schwierig, einen angemessenen Arbeitsplatz zu finden. Schon in den 70er und vor allem den 80er Jahren schufen sich die sozial- und gesellschaftlich engagierten Studenten und Hochschulabgänger ihren eigenen Arbeitsmarkt: Sie gründeten NGO’s, die sich um Fragen des öffentlichen Interesses (meist Armut, Ökologie, auch Frauenförderung und Demokratie) kümmerten. In den Aufbau dieser NGO’s mussten ihre Gründer meist ihre sehr bescheidenen eigenen Mittel investieren. Der Erfolg dieser Bemühungen und die Institutionalisierung und das Wachstum dieser NGO’s hing dann davon ab, ob es gelang, Fremdmittel einzuwerben - und das bedeutete in erster Linie Hilfsgelder von internationalen NGO’s und anderen Organisationen aus dem Ausland. Ein Teil dieser heterogenen Bewegung verfolgte damit explizit oder implizit politische und das heißt oppositionelle Strategien (empowerment of the poor usw.), für die es eine andere Plattform praktisch nicht gab.

Ihr Handlungsspielraum wurde durch den Zusammenbruch der autoritären Ordnung ausgeweitet. Die Wirtschafts- und Sozialkrise wird den Zustrom ausländischer Hilfsgelder gesteigert und die finanziellen Kapazitäten - auch zur Einstellung weiterer Hochschulabgänger - ausgeweitet haben. Diese werden sich nun gezwungen sehen, länger in diesem „dritten„ Sektor zu verweilen, bevor sie eine lukrativere Stellung auf dem regulären Arbeitsmarkt finden werden. Generell dürften sich die Berufsaussichten der Studenten durch die Krise weiter drastisch verschlechtert haben. Diese trüben Berufsaussichten geben der politisierten Studentenbewegung Schubkraft.

Es gelang ihr, an den Hochschulen einen relevanten Teil der Studenten und wohl auch der Hochschullehrer zu mobilisieren und zu einer anhaltenden Protestbewegung gegen das Suharto-Regime und dann auch gegen die Habibie-Regierung zu führen. Es war die einzige gesellschaftliche Gruppe, der dies gelang. Die Studenten hatten einen wesentlichen Anteil am Sturz Suhartos und ermöglichten damit die Liberalisierung und Demokratisierung des politischen Systems. Sie begannen ihren aktiven Protest allerdings relativ spät – im Winter 1997/98 - also zu einem Zeitpunkt, als das Suharto-Regime schon deutlich angeschlagen war und die Wirtschaftskrise ihre ersten Opfer forderte. Die Studentenbewegung war auch nicht in der Lage, ihre organisatorische Vielfalt und Zersplitterung zu überwinden, sich auf langfristige Ziele - nach dem Sturz Suhartos, der Ablösung Habibies durch freie Wahlen - zu einigen. Ihr fehlt ein charismatisches Führungspersonal, das die Lösung dieser Probleme hätte vorantreiben können. Diese Sachverhalte machten die Studentenbewegung einerseits zwar weniger verwundbar gegenüber möglichen repressiven Maßnahmen, andererseits verfügte sie dadurch nur über ein Unruhepotential, das die Krise sichtbar machen und auf der Tagesordnung halten konnte, zu deren Lösung sie aber nicht beizutragen vermochte. Ihnen gelang es insbesondere auch nicht, andere Gruppen der Gesellschaft - hier ist etwa an die Industriearbeiterschaft oder allgemein die Armen zu denken, zu denen es ja mannigfaltige Kontakte der von Akademikern geführten NGO’s gab - zu mobilisieren und in einem zielorientierten Aktionsbündnis zu integrieren, durch das sie eine eigene konkrete Demokratisierungsagenda und Vorstellungen zur Lösung der großen nationalen Probleme mit einigem Nachdruck in die politische Arena hätten einbringen können.

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Die politische Krise und die demokratische Transition

Die Studenten trugen gleichwohl wesentlich zur Öffnung der politischen Arena für die Massenpartizipation bei. Eine Massenmobilisierung fand aber eher gelegentlich, archaisch, spontan und kurzfristig statt, in nicht wenigen Fällen wohl auch noch gesteuert und bezahlt durch Hintermänner, also durch Mitglieder der alten Eliten. Diese wurden durch den Zusammenbruch des Suharto-Regimes nicht verdrängt, nur geschwächt. Sie mussten den Aufstieg der Gegeneliten hinnehmen, gegen die (staats-)terroristische Maßnahmen nun nicht mehr eingesetzt werden konnten, gegen die man nun intrigieren und mit denen man koalieren musste. Die Richtung und der Inhalt des Transitionsprozesses wurde vornehmlich durch diese Politik der Eliten und ihre Kuhhändel mit und gegeneinander bestimmt. Die Massen wurden nur durch Populismus, Parteimaschinen bzw. parochiale und andere Klientelbeziehungen mobilisiert und inkorporiert, nicht jedoch wirklich beteiligt.

Zu Beginn der Wirtschaftskrise zeichnete sich der Sturz Suhartos noch nicht ab. Im Mai 1997 entschied die Regierungspartei Golkar die Parlamentswahlen angeblich sogar mit einem Spitzenergebnis von 74 % der Stimmen für sich, die allerdings kaum ehrlich ausgezählt worden sein können. Im März 1998 ließ sich Suharto mit einem neuen Vizepräsidenten (B.J. Habibie) erneut per Akklamation und ohne Gegenkandidaten vom Volkskongress zum Präsidenten wiederwählen. Zwei Monate später war dann aber doch endgültig Schluss. Die Studentendemonstrationen seit Anfang des Jahres, Massenproteste gegen Benzinpreiserhöhungen und die Verschärfung der Wirtschaftskrise führten zu einem Auseinanderbrechen der Regimekoalition und zum erzwungenen Rücktritt Suhartos, in dessen Position sein Vizepräsident B.J. Habibie aufrückte. Habibie war auch in der Regimekoalition kein unbestrittener Kandidat und hatte von Anfang an Schwierigkeiten, diese auf sich zu verpflichten.

Der Rücktritt des langjährigen Autokraten signalisierte allen Beteiligten, dass die Chancen gut standen, die Parameter des politischen und gesellschaftlichen Entscheidungsprozesses neu zu bestimmen. Dies beflügelte natürlich die Opposition, die nun selbstbewusster in das politische Geschehen einzugreifen versuchte. Habibie konnte gar nicht anders, als diesem Druck nachzugeben: durch eine Liberalisierung des politischen Systems und schließlich auch durch die Abhaltung von vorgezogenen und nun erstmals wieder freien Wahlen. Diese fanden im Juni 1999 statt. Die Regierungspartei Golkar brach auf 24 % der Stimmen ein. Der Präsident und sein Vize mussten nun wie bisher durch den Volkskongress, das gewählte Parlament um Vertreter der Provinzen und gesellschaftlicher Gruppen erweitert, gewählt werden. Es stellte sich bald heraus, dass in diesem Gremium Habibie über keine Mehrheit verfügen würde, er trat zur Wahl daher gar nicht mehr an. Eindeutige Mehrheiten im Volkskongress gab es nicht, nicht einmal größere übergreifende Strömungen. Selbst die einzelnen Partei-Fraktionen vermochten nicht geschlossen zu agieren. Allerdings war fast jeder mit jedem koalitionsfähig.

In dem Kuhhandel der alten und der aufgestiegenen neuen politischen Eliten setzte sich ein gewiefter Taktiker durch: Abdurrahman Wahid (genannt: Gus Dur). Dieser hatte bei den Parlamentswahlen nur 12 % der Stimmen und damit 10 % der Mandate im Parlament, 8 % im Volkskongress, hinter sich zu bringen vermocht, die er dann aber offenbar nicht einmal geschlossen auf sich verpflichten konnte. Gus Dur war bisher ein führender Exponent der Demokratiebewegung und Vorsitzender der NU, der größten islamischen Organisation im Lande, der allgemein 30 Mill. Mitglieder (überhöht) zugeschrieben werden, die er allerdings weder in ihrer Gesamtheit, noch geschlossen in seiner Partei (der PKB) zu mobilisieren vermochte. In der Endphase des Suharto-Regimes hatte er eine eher zweideutige, gewiss keine pro-aktive Rolle beim Sturz Suhartos gespielt. Das wird seine Attraktivität für die Mitglieder der alten Eliten, die ihn dann mehrheitlich wählten, gegenüber der eigentlich aussichtsreichsten Kandidatin und relativen Wahlgewinnerin (34 % für ihre Partei PDI), Megawati Sukarnopatri, begründet haben. Da die enttäuschte und verbitterte Megawati über ihre populistisch mobilisierte Anhängerschaft über ein nicht zu unterschätzendes Störpotential verfügte, wurde sie als Vizepräsident in die Regierungskoalition eingebunden und auch gewählt.

Die große Koalition zwischen alten und neuen Eliten könnte im Sinne einer Konzentration der Kräfte in der Krise durchaus Sinn machen. Dazu bedarf es allerdings eines starken Zentrums. Dieses kann Gus Dur nicht ausfüllen. Er ist behindert durch eine angeschlagene Gesundheit (u.a. durch einen Schlaganfall), ist stark sehbehindert und gebrechlich. Er verfügt nur über eine schwache eigene Hausmacht, sein Führungsstil ist erratisch und nicht immer konsistent. Zudem sehen alle Beteiligten die Machtfrage offenbar noch nicht für geklärt an. Animositäten wurden allenfalls taktisch zurückgestellt, erlauben aber noch nicht die Kooperation auf einer breiten Vertrauensbasis. Es zeigt sich, dass die Koordination dieses bunten Kabinetts (35 Minister) sehr schwierig ist. Die zentrifugalen Kräfte überwiegen. Schon innerhalb des ersten Jahres gab es zahlreiche Ausschlüsse und Austritte. Der Demokratisierungsprozess hat zu einer wirklichen Gewaltenteilung geführt. Das macht eine zielgerichtete staatliche Politik nicht einfacher. Die Justizorgane handeln nicht einfach nur auf Anweisung (damit nicht notwendig auch rechtsförmig). Eine sichere Mehrheit besitzt die große Koalition auch im Parlament nicht. Die Abgeordneten agieren heute selbstbewusst und eigenständig, nicht notwendigerweise verantwortlich. Die Öffentlichkeit, artikuliert durch die freien Medien, erwartet Problemlösungen, baut Erwartungen auf, denen die Administration Wahid immer weniger zu entsprechen vermag. Nach einem Jahr Amtszeit kursierte schließlich eine Impeachment-Forderung, die gerade noch einmal abgewendet werden konnte. Die Probleme der Administration, auch nicht frei von Skandalen, die politischen Grabenkämpfe, die z.T. undurchsichtigen gewalttätigen Auseinandersetzungen belasten den Reformprozess und behindern die wirtschaftliche Erholung. Sie setzen auch die demokratische Weiterentwicklung aufs Spiel.

Es sieht so aus, als ob Gus Dur nur durch die Schwäche seiner Gegner bzw. möglichen Nachfolger im Amt gehalten wird. Das trifft insbesondere auch auf seine Vize-Präsidentin Megawati zu, die über eine gewissen Massenpopularität, aber auch über dezidierte Gegner verfügt und die - viel wichtiger - bisher die Zweifel an ihrer Handlungskompetenz in keiner Weise auszuräumen vermochte. In diesem Sinne ist ein Ende des gegenwärtig fragilen wirtschaftlichen und politischen Transitionszustandes nicht abzusehen.


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