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Zypern - ein EU-Dilemma? / Heinz-Jürgen Axt - [Electronic ed.] - Bonn, 2001 - 17 S. = 54 KB, Text. - (FES-Analyse)
Electronic ed.: Bonn : FES Library, 2001

© Friedrich-Ebert-Stiftung


INHALT




  • Der Fortschrittsbericht der Europäischen Kommission zeigt, dass die Republik Zypern erfolgreiche Anstrengungen in Richtung Beitrittsfähigkeit gemacht hat. Gleichzeitig zeichnen sich keine konkreten Fortschritte bei der Lösung des Volksgruppenkonflikts ab. Die Perspektive der EU-Mitgliedschaft hat entgegen den Hoffnungen keineswegs als Katalysator zur Lösung des Zypernkonflikts gewirkt.
  • Die im Mai 2001 anstehenden Parlamentswahlen in der Republik Zypern lassen bis zum Sommer kaum größere Initiativen oder Fortschritte erwarten.
  • In Griechenland hat man wiederholt mit dem Veto gegen die Osterweiterung gedroht, sollte der Beitritt Zyperns verzögert werden. Die Verantwortlichen in der Republik Zypern haben in den letzten Jahren immer deutlicher ihre Bereitschaft zu erkennen gegeben, gegebenenfalls auch ohne Einbeziehung des nördlichen Inselterritoriums der EU beitreten zu wollen.
  • Die Europäische Union hat bislang noch keine Formel entwickelt, was geschehen soll, wenn Zypern zwar erfolgreich die Beitrittsverhandlungen abgeschlossen hat, der Volksgruppenkonflikt aber noch immer nicht beigelegt ist. Vor allem hat die EU keine Antwort auf die Frage, wie im Falle des Beitritts – etwa im Kontext eines gestuften Modells, wonach zunächst der Süden beitritt und später der Norden nachfolgt – verhindert werden soll, dass die Union als Partei in den Zypernkonflikt einbezogen wird.
  • Sollte es zum isolierten Beitritt des Südteils kommen, ist damit zu rechnen, dass sich der Norden noch enger an die Türkei anschließt. Die Beziehungen der EU zur Türkei würden belastet.
  • Um zu verhindern dass nach der Zustimmung der Parlamente der EU-Mitgliedstaaten zum Beitritt Zyperns die Erweiterung der EU um Zypern gestoppt wird, muss die EU Antworten auf diese Probleme finden. Den eher optimistischen Einschätzungen der Erfüllung der politischen Kriterien durch Zypern müssen die eher skeptisch stimmenden Tendenzen gegenübergestellt werden.

Mit Ablauf des alten Jahrhunderts taten sich Hoffnungen für Zypern auf: Die Beitrittsverhandlungen mit der Europäischen Union (EU) schritten zügig voran, die Gespräche zwischen den Führern beider Volksgruppen waren wieder aufgenommen worden, die Ernennung der Türkei zum offiziellen Beitrittskandidaten der EU durch den Europäischen Rat von Helsinki im Dezember 1999 ließ eine kompromissbereite Haltung des Landes zum Zypernkonflikt erwarten. Was ist daraus geworden, wie sieht die vorläufige Bilanz zu Beginn des Jahres 2001 aus?

Diese Analyse beschreibt die wirtschaftlichen und sozialen Entwicklungen sowieArt die aktuellen Vermittlungsbemühungen im Konflikt der Volksgruppen und den lösende damit verbundenen EU-Beitrittsprozess. Im folgenden werden die Eigenbezeichnung der beiden Inselteile „Republik Zypern„ und „Türkische Republik Nordzypern„ (TRNZ) benutzt, ohne damit Aussagen über deren völkerrechtliche Anerkennung o.ä. zu machen.

Die Republik Zypern vertritt gemäß Beschluss des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen (VN) von 1964 und international akzeptierter Rechtsauffassung die gesamte Insel, obwohl deren Regierung nur noch aus griechischen Zyprern besteht und die Kontrolle lediglich über den Südteil Zyperns ausgeübt werden kann. Gemäß der international akzeptierten Rechtsposition verhandelt die Regierung der Republik Zypern mit der EU über den Beitritt der gesamten Insel. Die TRNZ als der vorwiegend von türkischen Zyprern, in zunehmendem Maße aber auch von Siedlern aus dem türkischen Anatolien besiedelte Nordteil der Insel beteiligt sich nicht an den Verhandlungen mit der EU. Auch wenn die TRNZ international nur von der Türkei anerkannt wird, besitzt sie aus politikwissenschaftlicher Perspektive die Qualität eines Staates mit einer entsprechenden Regierung.

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Wirtschaftliche und soziale Entwicklungen in der Republik Zypern

Unter den Beitrittskandidaten der EU nimmt die Republik Zypern hinsichtlich der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit eine Spitzenstellung ein. Nach den letzten verfügbaren Daten erreichten die 667.000 griechischen Zyprer 1999 ein Bruttoinlandsprodukt (BIP) von 8,5 Mrd. Euro. Mit einem BIP pro Einwohner von 12.800 Euro, was immerhin 81 Prozent des durchschnittlichen BIP pro Kopf der EU entspricht, überflügelte die Republik Zypern damit sogar die EU-Mitgliedstaaten Griechenland und Portugal.

tiefgreifende Strukturwandel der zyprischen Wirtschaft läßt sich anschaulich aAn der sich wandelnden Zusammensetzung des Außenhandels lässt sich anschaulich ein tiefgreifender Strukturwandel nachweisen. Von 1960, dem Gründungsdatum der Republik, bis 1974, als die Insel de facto geteilt wurde, hat Zypern vorwiegend Agrarprodukte (Zitrusobst) und Mineralien (Kupfer und Asbest) exportiert. In der nachfolgenden Zeit machten Konsumgüter, vorwiegend der Bekleidungsindustrie, das Gros der Exporte aus. Seit den achtziger Jahren schieben sich immer stärker Tourismus und Dienstleistungen in den Vordergrund.

Struktur der griechisch-zyprischen Wirtschaft 1999

Sektor

% der Bruttowertschöpfung

% der Erwerbspersonen

Land- und Forstwirtschaft

4,2

9,3

Industrie (ohne Baugewerbe)

13,4

14,0

Baugewerbe

7,7

8,3

Dienstleistungen

74,7

68,4

Quelle: Europäische Kommission, Regelmäßiger Bericht 2000 der Kommission über die Fortschritte Zyperns auf dem Weg zum Beitritt, Brüssel, 8.11.2000, S. 109 und 111.

Obgleich die Republik Zypern eine privatwirtschaftlich organisierte Volkswirtschaft aufweist – der Anteil des privaten Sektors am BIP beträgt 80 Prozent, und die Preisbildung erfolgt überwiegend frei –, spielt der Staat dennoch eine durchaus wichtige wirtschaftliche Rolle. Das wird u.a. bei den Arbeitnehmer-/Arbeitgeberbeziehungen sowie bei der Festsetzung von Preisen für bestimmte Güter deutlich. Preiskontrollen gibt es für Brot, Milch und Zement. Inländischen Treibstofflieferanten wird eine im Voraus festgelegte Gewinnspanne garantiert, für Treibstoffe gilt eine Preisobergrenze. Die jüngsten Preisanhebungen auf den internationalen Rohölmärkten haben dazu geführt, dass der Staat keine Einnahmen aus Verbrauchssteuern bei Treibstoffen mehr erzielt, sondern den Anbietern Subventionen gewähren muss. Der Staat ist an einigen Unternehmen noch in beträchtlichem Maß beteiligt, eine Strategie für die Privatisierung steht aus. Der Mineralölindustrie, dem Finanzgewerbe und dem Luftverkehr werden beträchtliche staatliche Beihilfen gewährt.

Mit derDie Entwicklung der Republik Zypern zu einem internationalen Dienstleistungs- und regionalen Wirtschaftszentrum ging einher mit der Expansion des Offshore-Bereiches. Unternehmen, deren Hauptsitz außerhalb Zyperns liegt, genießen auf der Insel beträchtliche steuerliche Anreize. gefördert worden. Allerdings ist international kritisiert worden, daß diese Tätigkeit als Geldwaschanlage benutzt wird. Auf internationale Kritik, gerade auch der EU, dass Zypern so als Geldwaschanlage benutzt wird, hat die Republik Zypern mit verstärkten Kontrollen reagiert. Verdächtige Transaktionen werden gemeldet. Internationale Organisationen, darunter auch der Europarat und die OECD, stellen mittlerweile den seit 1996 verstärkten zyprischen Bemühungen ein gutes Zeugnis aus. 1999 wurden die Bestimmungen erneut verschärft, bis 2005 will die Regierung die Vorzugsbehandlung abgeschafft haben.

Der Außenhandel ist traditionell defizitär. Nach den letzten verfügbaren Daten von 1998 belief sich das Handelsbilanzdefizit auf 2.175 Mio. Euro. Einfuhren in Höhe von 3.130 Mio. Euro stehen Ausfuhren mit einem Wert von 955 Mio. Euro gegenüber. Die EU ist der bevorzugte Handelspartner. 51 Prozent der Ausfuhren und 57 Prozent der Einfuhren entfallen auf die Union. Der Überschuss bei den Dienstleistungen, insbesondere durch den Tourismus in Höhe von 1.632 Mio. Euro (1998), konnte nicht verhindern, dass das Leistungsbilanzdefizit mit 537 Mio. Euro einen Anteil von 2,6 Prozent des BIP erreichte. Die Auslandverschuldung nahm entsprechend von 60,4 Prozent des BIP 1995 auf 155,4 Prozent 1999 zu.

Die makroökonomische Entwicklung der Republik Zypern ist dadurch gekennzeichnet, dass trotz unverändert hohen Wachstums die Risiken zunehmen. 1999 stieg das BIP im dritten Jahr raschen Wachstums um 4,5 Prozent. Vorläufige Daten für 2000 sagen einen Anstieg von 5 Prozent voraus. Während der Tourismus und die Dienstleistungen überdurchschnittlich zulegten, schrumpfte die Landwirtschaft, nicht zuletzt bedingt durch längere Perioden der Trockenheit. Als Folge einer expansiven Haushaltspolitik hat sich die Inflation beschleunigt. Im Juni 2000 rechnete man mit einer jahresdurchschnittlichen Rate von 5,3 Prozent (1,3 Prozent 1999).

Das Haushaltsdefizit konnte 1999 mit 4,1 Prozent des BIP zwar gegenüber dem Vorjahr (5,5 Prozent) abgebaut werden. Doch wird diese Entwicklung auf konjunkturelle Sonderfaktoren zurückgeführt, was bei entsprechender Abschwächung der Konjunktur die Verschuldung wieder ansteigen lässt. Mit dem im Oktober 2000 vorgelegten Haushaltsplan soll das Haushaltsdefizit auf 3,2 Prozent des BIP zurückgeführt werden. Der Politik gelingt es aber nicht, die Staatseinnahmen zu verbessern. Eine Anhebung der Mehrwertsteuer wurde vom Parlament lange hinausgezögert. Als dann im Juli 2000 eine Erhöhung um 2 Prozent beschlossen wurde, setzte das Parlament auf der anderen Seite erhebliche Ausgaben und Steuervergünstigungen durch, die die zusätzlichen Steuereinkünfte aufzehrten. Im April 2000 wurden Steuersenkungen in Höhe von rund 69 Mio. Zypern-Pfund angekündigt, um die Belastung der Bürger zu reduzieren. Die gesamte Staatsverschuldung übersteigt das von der Regierung gesetzte Ziel von 60 Prozent des BIP.

Auch die Entwicklungen am zyprischen Aktienmarkt sind zu einem Risiko für die makroökonomische Stabilität geworden. Nachdem 1999 der Marktindex um 850 Punkte gestiegen war, folgte im ersten Halbjahr 2000 ein drastischer Kursverfall. Mitte Juli 2000 war der Marktindex gegenüber dem November des Vorjahres um 50 Prozent gefallen. Der Finanzminister erklärte als vorrangiges Ziel, das Vertrauen der Investoren zurückzugewinnen.

Im internationalen Vergleich weist Zypern eine niedrige Arbeitslosenrate auf. 3,6 Prozent der Erwerbspersonen waren 1999 ohne Beschäftigung. 25.000 Gastarbeiter sind im Süden Zyperns registriert. Der expandierende Dienstleistungssektor hat das Angebot an Arbeitsplätzen in besonderer Weise erhöht. Die angespannte Arbeitsmarktlage und die relative Stärke der Gewerkschaften dürften im Jahr 2000 nach allgemeiner Einschätzung zu einem beschleunigten Lohnzuwachs geführt haben. Auch hat die Regierung auf Druck der Arbeitnehmervertreter die Anhebung der Mehrwertsteuer in die Anpassung der Lebenshaltungskosten für 2000 einbezogen, obwohl als Ausgleich dafür die bereits erwähnten Maßnahmen ergriffen worden waren.

In den Arbeitsbeziehungen innerhalb der Republik Zypern herrscht Bedeutung, daß zwischen den politisch unterschiedlich ausgerichteten Gewerkschaften einerseits und den Arbeitgeberverbänden andererseits ein prinzipiell entspanntes Klima, das stark sozialpartnerschaftliche Züge trägt. Beide Seiten gestehen dem Staat hier eine wichtige Rolle zu, was wiederum den Verbänden einen erheblichen Einfluss auf die politische Sphäre gesichert hat. Zweimal im Jahr werden im Rahmen der „Automatic Cost of Living Allowance„ (C.O.L.A.) die Einkommen der Inflationsentwicklung angepasst. Nach dem System des „tripartism„ werden zwischen Staat, Gewerkschaften und Arbeitgebern zentrale Fragen des Wirtschafts- und Arbeitslebens geregelt.

Seit langem ist die Gesundheitsversorgung in der Kritik. Eine landesweite und staatlich organisierte Versorgung fehlt. Die Gewerkschaften haben den Mangel partiell durch eigene Gesundheitseinrichtungen kompensiert. Das hat allerdings dazu geführt, dass gewerkschaftlich nicht organisierte Erwerbstätige medizinisch nur unzureichend versorgt wurden. Jüngst hat man mit weitreichenden Reformen im Gesundheitswesen begonnen. Es wird angestrebt, dass landesweit ein gleichberechtigter Zugang zur medizinischen Versorgung gewährleistet wird. Arbeitgeber, Arbeitnehmer und die öffentliche Hand sollen sich an der Finanzierung beteiligen. Der Anstieg der Gesundheitskosten soll durch Globalbudgets und Arzneimittellisten eingedämmt werden.

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Wirtschaftliche und soziale Entwicklungen in der TRNZ

Die TRNZ liegt in der wirtschaftlichen Entwicklung deutlich gegenüber der Republik Zypern zurück. Das von den Behörden offiziell genannte Pro-Kopf-BIP von 4.500 Dollar wird allgemein als zu hoch eingestuft gewertet. Der Etatismus ist unverkennbar. Der Staat ist nicht nur der größte Arbeitgeber, er kommt auch für mehr als 50 Prozent der Sachinvestitionen auf. Zudem verfügt er über das Monopol beim Ankauf von landwirtschaftlichen Produkten, womit die Preise gestützt werden. Die Fluggesellschaft, die Stromversorgung, die Telekommunikation, Tabakerzeugnisse, der Schiffsverkehr und die Treibstoffversorgung befinden sich in Staatsbesitz. Der Tourismus stagniert, weil die Einreise nur über die Türkei möglich ist. 80 Prozent der Touristen kommen aus der Türkei. Neben den damit verbundenen (eher bescheidenen) Deviseneinnahmen tragen in jüngster Zeit Studenten aus der Türkei, die an einer der fünf Universitäten in der TRNZ studieren, zur Verbesserung der Leistungsbilanz beidie an einer der fünf Universitäten in der TRNZ studieren. Nachdem ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs aus dem Jahre 1994 die bis dahin gängige Praxis zur Umgehung der Vorschrift unterbunden hat, ist die Warenausfuhr in die EU dadurch beeinträchtigt, dass Zollpapiere in der Republik Zypern ausgestellt werden müssen. Die zyperntürkische Seite betont immer wieder, dass damit ein Embargo gegen die TRNZ praktiziert werde, was die wirtschaftliche Entwicklung des Nordens behindere.

Im Januar 2000 kam es zu einer ernsthaften Bankenkrise, als zunächst die Tochtergesellschaften türkischer und dann auch inländischer Banken unter Staatsaufsicht gestellt werden mussten. Kredite waren im Übermaß vergeben worden, und die Justizbehörden leiteten strafrechtliche Maßnahmen gegen das Management der betroffenen Banken ein.

Die TRNZ ist in hohem Maße von der Türkei abhängig. Rund 40 Prozent der gesamten Staatsausgaben wurden 1999 durch die Finanzhilfe aus der Türkei gedeckt. Das waren immerhin 200 Mio. Dollar. Zwischen der Türkei und der TRNZ besteht eine Währungsunion, wodurch auch die hohe Inflation mit knapp 55 Prozent aus der Türkei importiert wird. Seit einiger Zeit drängt die Türkei die Führung der TRNZ, die Finanzen zu konsolidieren. Die Türkei selbst muss einen Sparkurs verfolgen, weshalb sie entsprechende Schritte im Norden Zyperns anmahnt. Es war die türkische Regierung, die einen entsprechenden Plan entwickelte. Mittlerweile wurde in der TRNZ ein „Wirtschaftspaket„ beschlossen, das die Kürzung von Subventionen und Sozialleistungen, die Einführung neuer Steuern, die Kürzung von Löhnen und Gehältern sowie die Privatisierung staatlicher Betriebe vorsieht. Anfang Dezember 2000 wurde deshalb von einem breiten Oppositionsbündnis aus 41 Gewerkschaften, Parteien und Organisationen ein unbefristeter Generalstreik ausgerufen. Wenn dabei immer wieder der Slogan „Dies ist unser Land„ ertönt, dann deutet das auf den Druck der Türkei hin, die ihre Transferzahlungen offensichtlich begrenzen und die Eigenanstrengungen der TRNZ intensivieren will. Der türkische Ministerpräsident Bülent Ecevit hat denn auch betont, wegen der Finanzkrise in der TRNZ werde die Türkei keine neuen Finanzmittel bereitstellen, denn diese Gelder würden nicht gut verwaltet, sondern in einer Art Dauerwahlkampf für populistische Zwecke ausgegeben.

Spannungen mit dem türkischen Militär im Norden Zyperns wurden sichtbar, als im Juli 2000 der Herausgeber der Zeitung „Avrupa„ (Europa) wegen angeblicher Spionage gegen die TRNZ und Weitergabe geheimer Informationen an die griechischen Zyprer verhaftet wurde. Der OSZE-Medienbeauftragte ebenso wie 37 Abgeordnete des Europäischen Parlaments forderten die Freilassung. In einer Presseerklärung setzten sich führende Vertreter von Parteien und Gewerkschaften dafür ein, dass das Militär und die Polizei ziviler Kontrolle durch die gewählte Re-gierung unterstellt werden. In der TRNZ wiederholen sich damit aus der Türkei hinlänglich bekannte Vorgängewie sie in der Türkei in Bezug auf die rund um die dominante Stellung des Militärs. Mittlerweile wurde der Beschuldigte aus Mangel an Beweisen wieder auf freien Fuß gesetzt.

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Stand der Konfliktlösung seit dem Europäischen Rat von Helsinki

Die Ernennung der Türkei zum Beitrittskandidaten der EU hat Hoffnungen auf einen positiven Verlauf der Gespräche zwischen den Führern beider Volksgruppen auf Zypern geweckt. Der Europäische Rat von Helsinki hatte am 11. Dezember 1999 mit Blick auf Zypern beschlossen, „dass eine politische Lösung den Beitritt Zyperns zur Europäischen Union erleichtern wird. Sollte bis zum Abschluss der Beitrittsverhandlungen keine Lösung erreicht werden, so wird der Rat über die Frage des Beitritts beschließen, ohne dass die vorgenannte politische Lösung eine Vorbedingung darstellt. Dabei wird der Rat alle maßgeblichen Faktoren berücksichtigen„.

Der Europäische Rat betont hiermit, ohne die Lösung des Volksgruppenkonflikts explizit zur Vorbedingung des Beitritts zu machen, die Bedeutung einer Konfliktlösung. Ohne diese wird dem griechischen Teil Zyperns keine unkonditionierte Beitrittszusage gegeben. Griechenlands Forderung, dass auch eine geteilte Insel quasi automatisch in die EU aufgenommen würde, wenn die Beitrittsverhandlungen mit positivem Ergebnis abgeschlossen sind, wird nicht entsprochen. Vielmehr behält sich der Europäische Rat das Recht vor, über den Beitritt Zyperns unter Berücksichtigung aller maßgeblichen Faktoren zu entscheiden, worunter auch die politischen zu verstehen sind. Die Zypern-Passage erweist sich als ein Kompromiss, in den neben den griechischen auch die Interessen und Prioritäten der übrigen Partner eingeflossen sind.

Gemeinhin ging man davon aus, dass die Ernennung der Türkei zum EU-Beitrittskandidaten – ein Status, der dem Land auf dem Europäischen Rat von Luxemburg im Dezember 1997 ja noch verweigert worden war – dazu führen werde, dass die Türkei die Bemühungen um eine Beilegung der Differenzen zwischen den Volksgruppen auf Zypern stärker unterstützen und in diesem Sinne auch auf die politische Führung in der TRNZ Einfluss nehmen werde. Immerhin – so wird argumentiert – liege der Schlüssel für eine Annäherung zwischen beiden Volksgruppen in Ankara, mithin werde die Türkei nach der erfolgten europapolitischen Aufwertung auch eine Beilegung des Zypernkonflikts nach Kräften fördern. Am Verlauf der im Herbst 1999 aufgenommen Annäherungsgespräche („prox-imity talks„) zwischen den Führern der beiden Volksgruppen ist zu prüfen, inwieweit sich diese Hoffnung erfüllt hat.

Im Rahmen einer Initiative der G-8-Staatengruppe forderte der Sicherheitsrat in seiner Resolution 1250/1999 den Generalsekretär der Vereinten Nationen im Juni 1999 auf, die Führer beider zyprischen Volksgruppen zu Verhandlungen einzuladen. So kam es Anfang Dezember 1999 zu einer ersten Runde von Gesprächen, die allerdings nicht den Charakter von direkten Verhandlungen hatten. Vielmehr wurden „Gespräche aus nächster Nähe„ geführt, d.h., der Generalsekretär traf sich mit jeweils einem der beiden politischen Führer und übermittelte so diesem jeweils die Ansichten der Gegenseite. Nachdem der Europäische Rat von Helsinki der Türkei in der Frage des Status eines EU-Beitrittskandidaten entgegengekommen war, konnten die Gespräche weitergeführt werden. Hätte sich die EU gegen die Aufwertung der Türkei entschieden, wären die proximity talks wahrscheinlich bereits zu diesem Zeitpunkt von türkisch-zyprischer Seite beendet worden. Die Führung der türkischen Zyprer geht nämlich davon aus, dass erst die Einbeziehung auch der Türkei in den europäischen Integrationsprozess jenes Gleichgewicht (nicht zuletzt gegenüber Griechenland) schafft, das auch einen EU-Beitritt Zyperns auf stabiler Grundlage ermöglicht.

Die zweite und dritte Runde der Gespräche fand im Februar und Juli 2000 statt, ohne dass auf substantielle Fragen eingegangen worden wäre. Erst während der vierten Runde im September sollen nach Aussage des zuständigen VN-Sonderbeauftragten de Soto eingehende Erörterungen über elementare Streitfragen stattgefunden haben. Offizielle Vorschläge oder gar Stellungnahmen beider Seiten dazu erfolgten aber nicht. Die vorläufig letzte Gesprächsrunde fand im November 2000 statt. Daran nahm auch der Führer der Zyperntürken teil. Denktasch verlangte einmal mehr die Anerkennung der TRNZ als Vorbedingung für die Aufnahme neuer Gespräche, die seither ausgesetzt sind. Vermittlungsversuche müssen wieder von vorn beginnen. Angeblich sondieren die USA bereits Möglichkeiten einer „Zwei-Staaten-Lösung„ auf Zypern.

Bei den proximity talks treten wie bei allen anderen vorangegangenen Verhandlungen Glafkos Klerides und Rauf Denktasch nicht als Präsidenten der Republik Zypern bzw. der TRNZ sondern lediglich als Führer ihrer Volksgruppen auf. Das ist die Vorbedingung dafür, dass solche Gespräche überhaupt stattfinden können, denn für die griechischen Zyprer existiert die TRNZ völkerrechtlich nicht. Die Regierung der Republik Zypern sieht sich (in Übereinstimmung mit den einschlägigen Resolution der VN) als die einzige legitime Vertretung Zyperns.

In diesem Zusammenhang verdient ein Ereignis besondere Beachtung: Als der Sicherheitsrat der VN das Mandat der Friedensstreitkräfte UNFICYP (United Nations Forces in Cyprus) für den neuen Zwölfmonatszeitraum ab Juli 2000 zu verlängern hatte, hatte der VN-Generalsekretär in seinem Bericht vermerkt, dass jede Seite für sich und niemanden sonst spreche. Zusätzlich verlangte die türkisch-zyprische Seite, dass auch sie der Verlängerung des Mandats der UNFICYP zuzustimmen habe. Im Dezember 1999 hatten die griechischen Zyprer bei der Verlängerung des UNFICYP-Mandats einen auf Initiative der USA eingefügten Passus hingenommen, worin die Türkei (als Garantiemacht) erklärte, dass sie die Argumentation der türkisch-zyprischen Seite unterstütze, wonach UNFIYP nur mit dem Einverständnis beider Seiten in Zypern operieren dürfe. Die griechisch-zyprische Seite protestierte energisch, und Klerides drohte damit, nicht mehr an den proximity talks teilzunehmen. Der Grund lag darin, dass die griechisch-zyprische Seite eine Aufwertung und gar Anerkennung der TRNZ befürchtete. Erst nachdem dieser Passus aus dem Bericht des Generalsekretärs wieder herausgenommen worden war, erklärte sich die Führung der griechischen Zyprer zu weiteren Gesprächen bereit. Als Reaktion auf die Streichung des Zusatzes zur VN-Resolution wurden von türkisch-zyprischer Seite am 15. Juni Maßnahmen gegen die UNFICYP getroffen. Die Einreise in die TRNZ ist seit dem 30. Juni nur noch über den Checkpoint Ledra-Palace (in Nikosia) möglich, die Bewegungsfreiheit in der Pufferzone wurde eingeschränkt. Außerdem muss die VN ihre Fahrzeuge bei tür-kisch-zyprischen Gesellschaften versichern. Gebühren für Wasser, Strom und Dienstleistungen sind an die zuständigen Stellen der TRNZ zu zahlen. Die VN haben diesen Schritt ebenso bedauert wie das kurze Zeit später erfolgte 300 m weite Vordringen türkischer Truppen in die Pufferzone in der Nähe des Ortes Strovilia.

Gleichberechtigung mit der Gegenseite ist für die türkischen Zyprer ein zentrales Motiv. In ihrer Wahrnehmung der Geschichte ist sie ihnen seit Gründung der Republik Zypern im Jahr 1960 vorenthalten worden. Das ist auch der Grund dafür, dass von seiten der TRNZ heute so nachdrücklich auf der Anerkennung bestanden wird. Solange diese nicht gewährt wird, ist für die türkischen Zyprer auch ein Beitritt zur EU wenig attraktiv, was allzu häufig übersehen wird. Der Zypernkonflikt lässt sich auf die Frage zuspitzen, ob die türkischen Zyprer eine „Minderheit„ oder ein eigenständiges „Volk„ darstellen. Die griechischen Zyprer begreifen die türkischen Inselbewohner eher als Minderheit, womit diese – bei Gewährleistung von Minderheitenrechten – letztlich auch das demokratische Mehrheitsprinzip zu akzeptieren hätten. Bei der Gründung der Republik Zypern waren knapp 80 Prozent der griechischen Bevölkerungsgruppe zuzurechnen. Die türkischen Zyprer nehmen sich dagegen als eigenes Volk mit eigener Religion, Kultur und Identität wahr und leiten daraus das Recht auf nationale Selbstbestimmung ab.

Rauf Denktasch hat diese Position noch einmal bekräftigt, als er aus Anlass des 26. Jahrestags der Landung türkischer Truppen auf Zypern am 20. Juli 2000 forderte, in Zypern müsse eine „Konföderation„ zweier gleichberechtigter Staaten geschaffen werden. Damit widersprach er der ursprünglich (u.a. in den Abkommen von 1978 und 1979) auch von ihm akzeptierten Formel, dass eine Lösung des Volksgruppenkonflikts in der Schaffung einer „bikommunalen und bizonalen Föderation„ zu suchen sei. Diese Konstruktion, die 1992 auch vom VN-Generalsekretär in sein „Set of Ideas„ aufgenommen worden war, sieht vor, dass wenige Aufgaben wie z.B. die Außen- und Verteidigungspolitik, die Zentralbank, Zölle und Einwanderung der Zentralgewalt der Föderation vorbehalten sind, während alle übrige Aufgaben im Verantwortungsbereich der politischen Führungen der beiden Volksgruppen in ihren jeweiligen Staaten und den ihnen vorbehaltenen Territorien verbleiben. Nach Ansicht von Denktasch hat die Entfremdung zwischen beiden Volksgruppen der Föderation den Boden entzogen. Die Formel von der bizonalen und bikommunalen Föderation hat allerdings seit jeher eher den Charakter eines Formelkompromisses gehabt, weil beide Seiten ihre ganz unterschiedlichen Interpretationen der Ursachen des Zypernkonflikts und seiner Lösung damit in Verbindung gebracht haben. Wenn für die Zyperntürken die Gewaltenteilung zugunsten der Föderation zu stark ausfällt, so ist sie für die Zyperngriechen zu schwach. Sie wünschen sich eine starke und das Majoritätsprinzip betonende Zentralgewalt.

Trotz der erneut zwischen beiden Volksgruppen aufgebrochenen Gegensätze konnte im beiden Volksgruppen aufgebrochenen Gegensätze konnte im September 2000 bei der vierten Gesprächsrunde zwischen Klerides und Denktasch über vier formlose „non-papers„ gesprochen werden. VN-Sondervermittler de Soto hatte u.a. folgende Ideen präsentiert: Bezüglich des Territorialdisputs sollten Dörfer in der Nähe der Demarkationslinie mit überwiegend griechischer Bevölkerung an die zypern-griechische und Dörfer mit vorwiegend türkischer Bevölkerung an die zypern-türkische Seite zurückgegeben werden. Die Städte Famagusta und Morphou, jetzt in der TRNZ gelegen, sollten an die griechischen Zyprer zurückgegeben werden. Zur Gewährleistung der Sicherheit soll der Garantievertrag aus dem Jahr 1960, der Großbritannien als ehemalige Kolonialmacht sowie Griechenland und die Türkei als Garantiemächte einsetzt, bekräftigt, sollen nicht-zyprische Truppen von der Insel abgezogen und eine internationale Truppe unter VN-Mandat mit einem griechischen und türkischen Truppenteil auf Zypern stationiert werden. Das grundsätzliche Recht auf Rückgabe von Vermögen, das infolge der Ereignisse von 1974 aufgegeben werden musste, wird durch eine Reihe von Ausnahmeregeln eingeschränkt. Entschädigungen sollen in solchen Fällen gezahlt werden, wo eine Eigentumsrestitution nicht möglich erscheint. Damit wird insbesondere zypern-türkischen Bedenken entsprochen. Zur Verfassungsfrage äußern sich die vorgelegten Papier sehr unbestimmt, so dass sowohl eine föderale als auch eine eher konföderale Konstruktion möglich erscheinen.

Seit Jahrzehnten werden die politischen Geschicke auf Zypern und auch die Bemühungen zur Lösung des Konflikts durch einige wenige Schlüsselpersonen dominiert. Daran scheint sich in absehbarer Zeit nichts zu ändern. Rauf Denktasch ist ungeachtet aller Kritik an seiner Wirtschafts- und Sozialpolitik, aber auch seiner Klientelwirtschaft, im April 2000 in direkter Wahl erneut als Präsident der TRNZ bestätigt worden. Das Parteiensystem der Republik Zypern ist traditionell von den beiden eher konservativ orientierten Parteien Demokratische Sammlung (DISY) und Demokratische Partei (DIKO), der kommunistischen Aufbaupartei des Werktätigen Volkes (AKEL) und der sozialistischen EDEK (Vereinigte Demokratische Zentrumsunion/Sozialistische Partei) geprägt. Zwischen den Parteien herrscht in Fragen des Volksgruppenkonflikts ein weitgehender Konsens, was u.a. dadurch gefördert wird, dass einige wenige zentrale Persönlichkeiten seit langem die Politik maßgeblich beeinflussen. Die führende Rolle des EDEK-Sozialisten Vassos Lyssaridis scheint indessen mittlerweile in Frage gestellt. Zwar konnte er sich auf der Gründungsversammlung der „Bewegung der Sozialdemokraten„ noch einmal als Parteiführer durchsetzen, doch wurden die Stimmen lauter, die die Amtszeit des Vorsitzenden zeitlich begrenzen wollen. Mit dem sozialistischen Ministerpräsidenten Griechenlands kam er in Konflikt bezüglich des Abzugs von Luftabwehrraketen des Typs S-300.

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Der EU-Beitrittsprozess

Der Europäische Rat von Luxemburg hat im Dezember 1997 die Kommission aufgefordert, alljährlich einen Bericht über die von den einzelnen Kandidatenländer erzielten Fortschritte auf dem Weg zur Mitgliedschaft zu erstellen. Mit Datum vom 8. November 2000 liegt mittlerweile die dritte Ausgabe dieser Berichte, darunter auch zu Zypern, vor. Ihnen ist zu entnehmen, dass Zypern unter allen Beitrittskandidaten die größten Fortschritte gemacht hat. Der Bericht vom November 2000 dokumentiert den aktuellen Stand der Beitrittsverhandlungen und zeigt die erreichten Fortschritte, aber auch jene Bereiche auf, wo noch unerledigte Aufgaben auf Zypern warten. Eingegangen wird dabei zunächst auf die Frage, inwieweit Zypern die politischen Kriterien zum EU-Beitritt erfüllt, wie sie 1993 vom Europäischen Rat in Kopenhagen formuliert worden sind. Sodann geht es um die wirtschaftlichen Kriterien, bevor abschließend behandelt wird, inwieweit Zypern die sich aus der EU-Mitgliedschaft ergebenden Verpflichtungen durch Übernahme der Verträge, des Sekundärrechts und der sektoralen Politiken erfül-

len kann. Dabei wird auch die Leistungsfähigkeit der zyprischen Justiz- und Verwaltungsbehörden beurteilt.

Die Europäische Kommission bescheinigt der Republik Zypern ein funktionierendes demokratisches System, so dass geschlussfolgert wird: „Zypern erfüllt auch weiterhin die politischen Kriterien von Kopenhagen. Die Teilung der Insel stellt zwar nach wie vor das prädominierende politische Problem dar, aber im vergangenen Jahr wurden im Einklang mit der Beitrittspartnerschaft (mit der EU, d.V.) ernsthafte Bemühungen um eine politische Lösung unternommen.„ Die Kommission kommt zu dieser positiven Einschätzung aufgrund der folgenden Umstände. Erstens sei der VN-Friedensprozeß wieder aufgenommen worden, zweitens hätten sich die griechisch-türkischen Beziehungen verbessert, und drittens könne der neue Status der Türkei als EU-Bewerberland zur Lösung des Zypernkonflikts beitragen. Bezüglich der TRNZ bemängelt die Kommission den überaus starken Einfluss des türkischen Militärs, die Einschränkung der Bewegungsfreiheit griechischer Zyprer und Maroniten, die restriktiven Maßnahmen gegenüber den VN-Blauhelmsoldaten sowie die Maßnahmen gegen den Herausgeber der „Avrupa„. Es wird allerdings zugestanden, dass die Meinungsfreiheit im nördlichen Teil allgemein respektiert wird. Kritisiert wird auch, dass die Türkei einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte nicht Folge geleistet habe, der einer griechischen Zyprerin eine Entschädigung durch die Türkei dafür zugestanden hat, dass sie ihr im Norden befindliches Eigentum nicht nutzen kann. Es ist bemerkenswert, dass die Kommission zwar für den Süden das Funktionieren der demokratischen Institutionen einer Bewertung unterzieht, gleiches für den Norden aber unterlässt.

Schon in ihrem Bericht von 1999 hatte die Europäische Kommission festgestellt, dass die Republik Zypern über eine funktionsfähige Marktwirtschaft verfügt, die in der Lage sein sollte, „dem Wettbewerbsdruck und den Marktkräften innerhalb der Union standzuhalten„. Diese Einschätzung wurde im November 2000 generell bestätigt. Allerdings wurde auch darauf aufmerksam gemacht, dass die gesamtwirtschaftliche Stabilität seit kurzem bedroht ist, weil ein glaubwürdiges und kohärentes Konzept für die Konsolidierung der Finanzen noch nicht entwickelt sei. Protektionistische Trends in der Industriepolitik müssten abgebaut, und überhaupt müsse sich der Staat aus seinen Beteiligungen an Wirtschaftsunternehmen zurückziehen. Bezüglich des Nordens wird festgehalten: Die wirtschaftliche Entwicklung liegt hinter dem Südteil der Insel zurück. „Ein ausgeprägter Interventionismus verhindert die Ausweitung des Privatsektors, während die finanzielle Abhängigkeit von der türkischen Regierung in den letzten Jahren spürbar zugenommen hat. Die jüngste Bankenkrise führte zu einer weiteren Schwächung des bereits anfälligen und unzureichend beaufsichtigten Finanzsektors. Auch ist die Armut, vor allem in den ländlichen Gebieten, nicht zu übersehen.„ Dem von der türkischen Regierung entwickelten Plan zur Konsolidierung der Finanzen in der TRNZ werden bezüglich seines Potentials zur Steigerung des Wachstums nur geringe Erfolgsaussichten eingeräumt.

Sehr ausführlich geht die Kommission auf die bis Ende 2000 erzielten Fortschritte Zyperns bei der Übernahme des EU-Besitzstandes an Primär- und Sekundärrechten (Acquis Communautaire) ein. In den folgenden Bereichen hat Zypern noch die größten Anpassungsleistungen zu erbringen: Normung und Zertifizierung von Waren im Bereich des freien Warenverkehrs, Beseitigung noch verbliebener Beschränkungen im freien Kapitalverkehr, Herstellung der Freizügigkeit, kartellrechtliche Stellung von öffentlichen Unternehmen und Kontrolle staatlicher Beihilfen, Tier- und Pflanzengesundheit sowie Übernahme der Gemeinsamen Marktorganisation in der Landwirtschaft, Umsetzung von Verwaltungsvorschriften im Umweltschutz, Anpassung des Verbrauchssteuergesetzes, vollständige Abschaffung von Sonderregeln für Offshore-Unternehmen, Verbot der unmittelbaren Finanzierung des öffentlichen Sektors und Gewährleistung der Unabhängigkeit der Zentralbank als Voraussetzung zur späteren Teilnahme an der Europäischen Währungsunion, Angleichung von Rechtsvorschriften im Arbeitsrecht, der Gleichbehandlung und im Gesundheitsschutz, Stärkung der Grenzkontrollen (im Falle eines Beitritts werden Zyperns Grenzen EU-Außengrenzen), Verbesserung der Verwaltungsstrukturen und Einrichtung von Regelungsbehörden in den Bereichen freier Warenverkehr, Landwirtschaft, Energie, Telekommunikation sowie Justiz und Inneres.

Zur Beteiligung der Republik Zypern an der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) äußert sich die Kommission recht positiv. Hervorgehoben wird, dass sich Zypern aktiv am multilateralen Dialog beteiligt, dass es an den regelmäßigen Sitzungen auf den verschiedenen Arbeitsebenen teilnimmt und ein großes Interesse an der Entwicklung einer Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik zeigt. Auf der Tagung der Verteidigungsminister der EU-Länder und der Beitrittskandidaten im November 2000 in Brüssel hat der zyprische Verteidigungsminister logistische Unterstützung und Mitarbeit bei der Aufklärung angeboten. Kampftruppen für die geplante schnelle Eingreiftruppe schloss er aus, weil von seiner Regierung geplant sei, Zypern vollständig zu demilitarisieren. An den Sanktionen gegen die Bundesrepublik Jugoslawien habe sich die Republik Zypern beteiligt. Was die Stellungnahme der Kommission freilich unerwähnt lässt, ist die Tatsache, dass sich die politischen Parteien in Zypern keineswegs einheitlich auf die Seite der NATO-Länder während des Kosovo-Krieges gestellt haben. In einer Resolution drückte das griechisch-zyprische Parlament Ende März 1999 seine ungeteilte Solidarität mit der Bundesrepublik Jugoslawien aus und verurteilte die bewaffnete Aktion der NATO. Eine Verurteilung der ethnischen Säuberung unter den Kosovo-Albanern fehlte. Es war (und ist) also lediglich die Regierung, die die außen- und sicherheitspolitischen Aktivitäten der EU stützt. In der Bevölkerung und unter den Parteien finden sich etliche kritische Stimmen.

Gute Fortschritte hat nach Ansicht der Kommission Zypern in den folgenden Bereichen erzielt: Verabschiedung zahlreicher Rechtsvorschriften zum Binnenmarkt, Verkehr und Umweltschutz, Steigerung der Leistungsfähigkeit der Verwaltung, personelle Verstärkung zur Kontrolle der Geldwäsche, Anpassung des Gesellschaftsrechts, Übernahme gemeinschaftlicher Regelungen im Kartellrecht, rechtliche und administrative Regelungen in der Fischereiwirtschaft, Anpassung der Statistik, Kultur und audiovisuelle Medien, Rechtsangleichung im Bereich Justiz und Inneres.

Am 20.3.2000 hat der Rat der EU mit der Republik Zypern eine Beitrittspartnerschaft gegründet. Darin werden die prioritären Ziele zur Herstellung der Beitrittsfähigkeit sowie die von der EU dafür zur Verfügung gestellten finanziellen Mittel festgehalten. Mitte September hat die Republik Zypern der Kommission ein erstes „Nationales Programm zur Übernahme des gemeinschaftlichen Besitzstandes„ (NPAA) vorgelegt. Auf der Grundlage der Beitrittspartnerschaft zieht die Kommission folgende Zwischenbilanz bezüglich der Erreichung der kurzfristigen Prioritäten:

Priorität Zielerreichung Bemerkungen
Politische Kriterien Noch keine Ergebnisse „Zypern unternimmt weiterhin größtmögliche Anstrengungen, um unter der Schirmherrschaft der UN zu einer Lösung zu gelangen.„
Wirtschaftliche Kriterien Ziele teilweise erreicht Defizite u.a. im öffentlichen Auftragswesen, der Normung und bei staatlichen Beihilfen
Landwirtschaft Ziele teilweise erreicht
Fischerei Ziele erreicht
Umwelt Ziele teilweise erreicht Umsetzung von neu erlassenen Vorschriften dringlich
Beschäftigung und Soziales Ziele teilweise erreicht Sozialer Dialog traditionell verankert, Ausbau der Verwaltung erfolgt
Verkehr Ziele erreicht Verbesserung der Sicherheitsnormen von unter zyprischer Flagge fahrenden Schiffen
Justiz und Inneres Ziele teilweise erreicht Neue Vorschriften zum Asylrecht erlassen; Berichterstattung über Offshore-Sektor muss verstärkt werden; Umsetzung der Maßnahmen zur Kontrolle der Geldwäsche vonnöten
Leistungsfähigkeit von Verwaltungs- und Justizbehörden Ziele weitestgehend erreicht Finanzkontrolle über EU-Mittel gesichert, Verbesserung der Statistik erforderlich

Wie erwähnt, sind die Beitrittsverhandlungen zwischen der EU und der Republik Zypern zügig vorangekommen. Unter den Bewerberländern hält Zypern eine Spitzenstellung. Anfang November 2000 waren folgende sechzehn Verhandlungskapitel vorläufig abgeschlossen: Gesellschaftsrecht, Fischerei, Wirtschafts- und Währungsunion, Statistik, Beschäftigung und Soziales, Industriepolitik, Kleine und mittlere Unternehmen, Wissenschaft und Forschung, Aus- und Weiterbildung, Telekommunikation und Informationstechnologie, Kultur und audiovisuelle Medien, Verbraucher- und Gesundheitsschutz, Zollunion, Auswärtige Beziehungen, Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik sowie Finanzkontrolle. Bei den übrigen Beitrittskandidaten waren es zumeist nur elf Kapitel. Mitte November 2000 konnte ein weiteres Kapitel mit Zypern abgeschlossen werden. Die Verhandlungen zu den im allgemeinen eher problematischen und konfliktträchtigen Bereichen Landwirtschaft sowie Struktur- und Regionalpolitik sind zwar noch nicht vorläufig abgeschlossen worden, anders als bei den übrigen Bewerberländern sind hier aber wohl auch keine besonderen Schwierigkeiten zu erwarten. Die Landwirtschaft spielt im Falle der Republik Zypern eher eine untergeordnete Rolle und die Fortschritte bei der Übernahme des Acquis communautaire sind teilweise erheblich. Die regionalpolitischen Probleme sind ebenfalls von geringerer Bedeutung, da der Süden wohlhabend ist. Unterstützung hätte vor allem der Norden zu beanspruchen.

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Schlussfolgerungen

1. Die Republik Zypern hat erhebliche Anstrengungen unternommen, um die Beitrittsfähigkeit zur EU zu gewährleisten. Wie der Fortschrittsbericht der Europäischen Kommission vom November 2000 ausweist, hat sie dabei beträchtliche Erfolge erzielen können.

2. Andererseits zeichnen sich keine konkreten Fortschritte bei der Lösung des Volksgruppenkonflikts ab. Die vorsichtige Annäherung während der 4. Runde der proximity talks, die darin zum Ausdruck kam, dass sich die beiden Volksgruppenführer auch auf die Erörterung substantieller Fragen einließen, scheint gefährdet. Nicht zuletzt wegen des nicht erfüllten Verlangens nach Anerkennung hat der Führer der türkischen Volksgruppe die Beteiligung an weiteren Gesprächen ausgesetzt.

3. Die Perspektive der EU-Mitgliedschaft hat keineswegs, so wie von führenden Repräsentanten der EU immer wieder erhofft, als Katalysator zur Lösung des Zypernkonflikts gewirkt. Die vom Süden und Norden der Insel vertretenen Konzepte widersetzen sich bislang denkbaren Kompromisslösungen.

4. Im Mai 2001 stehen Parlamentswahlen in der Republik Zypern an, womit bis zum Sommer kaum mit größeren Initiativen von dieser Seite zu rechnen ist.

5. Es muss auf jeden Fall damit gerechnet werden, dass Griechenland als Mentor der griechischen Zyprer darauf drängen wird, dass nach Abschluss der Beitrittsverhandlungen auch der Beitritt Zyperns vollzogen wird. In Griechenland hat man wiederholt mit dem Veto gegen die Osterweiterung gedroht, sollte der Beitritt Zyperns – etwa mit dem Verweis auf den ungelösten Konflikt – verzögert werden.

6. Im Laufe der letzten Jahre haben die Verantwortlichen in der Republik Zypern immer deutlicher ihre Bereitschaft zu erkennen gegeben, gegebenenfalls auch ohne Einbeziehung des nördlichen Inselterritoriums der EU beitreten zu wollen.

7. Damit wird das Dilemma der EU offenbar: Die Union hat bislang noch keine Formel entwickelt, was in dem Fall geschehen soll, wenn Zypern zwar erfolgreich die Beitrittsverhandlungen abgeschlossen hat, der Volksgruppenkonflikt aber noch immer nicht beigelegt ist. Vor allem hat die EU keine Antwort auf die Frage, wie im Falle des Beitritts verhindert werden soll, dass die Union als Partei in den Zypernkonflikt einbezogen wird.

8. Ein solcher Fall könnte insbesondere dann eintreten, wenn – etwa im Kontext eines gestuften Modells, wonach zunächst der Süden beitritt und später der Norden nachfolgt – der formale Geltungsbereich des Acquis communautaire auf die gesamte Insel ausgedehnt wird. Unter diesen Umständen könnten nämlich die griechischen Zyprer versucht sein, dem Geltungsbereich des Besitzstandes auch mit Gewaltmaßnahmen im Norden Geltung zu verschaffen.

9. Sollte es zum isolierten Beitritt des Südteils kommen, ist damit zu rechnen, dass sich der Norden noch enger an die Türkei anschließt. Die Beziehungen der EU zur Türkei würden belastet. Die Union müsste Vorsorge treffen, dass die die beiden Volksgruppen trennende Green Line dauerhaft durch internationale Truppen – eventuell auch durch EU-eigene Kräfte – gesichert würde. Auch könnte eine De facto-Aufwertung der TRNZ erwogen werden, um zu einem geregelten Nebeneinander zu gelangen.

10. Die EU wird Antworten auf diese Probleme finden müssen, wenn sie es nicht darauf ankommen lassen möchte, dass bei Ausbleiben solcher Antworten sozusagen im finalen Akt des Beitrittsprozesses – wenn nämlich die Parlamente der EU-Mitgliedstaaten dem Beitritt Zyperns zuzustimmen haben – die Erweiterung der EU um Zypern gestoppt wird. Die eher optimistischen Einschätzung der Erfüllung der politischen Kriterien durch Zypern zeigt, dass die EU noch auf das Prinzip Hoffnung setzt. Nur so ist zu erklären, dass den aktuell positiven Elementen – Wiederaufnahme des VN-Friedensprozesses, Verbesserung der griechisch-türkischen Beziehungen und Aufwertung der Türkei zum EU-Bewerberland – nicht auch die eher skeptisch stimmenden Tendenzen gegenübergestellt werden - ausbleibende Verständigung beim Friedensprozess und dessen Infragestellung, Fortbestehen der substantiellen Differenzen zwischen Griechenland und der Türkei sowie augenscheinlicher Unwille der Türkei, wegen der doch eher vagen und langfristigen Beitrittsperspektive zur EU darauf zu verzichten, türkisch-zyprische Anliegen zu den ihren zu machen.


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