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TEILDOKUMENT:


[Seite der Druckausg.: 43 ]

Podiumsdiskussion und Plenumsdebatte:
Zukunftsfähige Arbeitsplätze durch Innovation und ökologische Modernisierung – Ist das Bündnis für Arbeit zur Umsetzung bereit?


Teilnehmer:

Karl-Heinz Barz
Vorstandsmitglied der Asea Brown Boveri AG

Professor Dr. Wolfgang Engelhardt
Präsident des Deutschen Naturschutzringes (DNR)

Michael Müller
Vorsitzender der Naturfreunde, Mitglied des Präsidiums des Deutschen Naturschutzringes (DNR), stellvertretender Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion

Dr. Reinhard Klimmt
Bundesminister für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen

Heinz Putzhammer
Mitglied des Geschäftsführenden Bundesvorstandes des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB)

Moderation: Marion von Haaren
Westdeutscher Rundfunk (WDR)

Marion von Haaren

Ich begrüße Sie zur Podiumsdiskussion mit dem Thema „Wo stehen wir beim Bündnis für Arbeit und Umwelt„? Haben wir genügend zukunftsfähige Arbeitsplätze durch Innovation und ökologische Erneuerung?

Es ist das erste Mal, daß eine solche Veranstaltung in einem großen Bündnis von Umweltfreunden und engagierten Umweltschützern gemeinsam mit dem Deutschen Gewerkschaftsbund stattfindet. Ich denke, es ist wirklich eine tolle Leistung, daß das geschafft worden ist, ein solches Bündnis zusammenzubekommen.

Die politische Debatte in diesem Lande wird derzeit überwiegend von Verteilungskämpfen bestimmt. Im Mittelpunkt stehen dabei das Sparpaket und die Rentenreform. Seit gut einem Jahr haben wir eine rot-grüne Regierung. Sie hatte sich zur Aufgabe gemacht, die enorm hohe Arbeitslosigkeit abzusenken und den Umweltschutz in Deutschland, anders als zuletzt die alte Bundesregierung, wieder stärker voranzubringen. Bisher allerdings, denke ich, fällt die vorläufige Bilanz nach fast 13 Monaten recht mager aus.

Woran liegt es bzw. was wurde bisher in den letzten Monaten erreicht? Welche Chancen hätte der verstärkte Umweltschutz, nicht nur für die Rettung der Natur, sondern eben auch für den Arbeitsmarkt, aber auch für die Industrie? Welche Felder sollten sofort angepackt und bearbeitet werden? Welche längerfristigen positiven Perspektiven gibt es in Deutschland in der Zusammenführung von beidem, Umweltschutz und verstärkter Investition? Welche Widerstände ge-

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sellschaftlicher, politischer Art sind zu brechen, und welche Strategien kann man anwenden, um diese Widerstände ein Stück weit auszuschalten? Und wie sehen die gesamtpolitischen Perspektiven in diesem Lande aus, nicht zuletzt auch bei den Verbrauchern, bei den Arbeitnehmern? Wie kann man die Akzeptanz wecken und weiter fördern? Das soll uns in den nächsten Stunden beschäftigen.

Herr Klimmt, Sie sind frischgebackener Verkehrsminister. Wenn man an die Verkehrspolitik in diesem Lande denkt, denkt man im Moment, zumindest was die öffentliche Diskussion angeht, zuallererst mal an den Transrapid. Ist der Transrapid ein Beispiel für Umweltschutz und Arbeitsplätze?

Minister Klimmt

Der Transrapid wurde von einem gewerkschaftsorientierten und aus dem Gewerkschaftsbereich kommenden Bundesverkehrsminister in Gang gesetzt. Das war noch Georg Leber, der den Auftrag gegeben hat, diese Technologie zu überprüfen. Dies nur zur Erinnerung, damit man weiß, daß das etwas mit dem Gedanken der Innovation zu tun hat, mit Stärkung von Verkehrsmitteln, die dazu beitragen sollen, Mobilität möglichst vernünftig und technisch vertretbar zu bewältigen. Das war der Ausgangspunkt. So ist das eine lange Geschichte. Es sind jetzt mittlerweile 25 Jahre, die das Thema uns beschäftigt, und es sind auch schon eine ganze Menge von öffentlichen Geldern, 2 Mrd. an Forschungsgeldern und anderes, in dieses System investiert worden. Ich will über die technische Qualität hier jetzt gar nicht diskutieren, weil die Situation, in der wir uns momentan befinden, eine ganz andere ist, unabhängig von der technischen Qualität.

Tatsache ist, daß der Bund gesagt hat: Wir stellen von unserer Seite aus für den Fahrweg 6,5 Mrd. zur Verfügung. Das ist auch so in der Koalitionsvereinbarung von SPD und Bündnis 90/ Die Grünen festgehalten, und nicht mehr. Und diejenigen, die im Konsortium das Betriebssystem herstellen sollen, und diejenigen, die es betreiben sollen, das ist nun mal bei uns die Bahn AG, müssen feststellen, ob sie mit den Konditionen zurechtkommen. Wenn das so wäre, daß das unter diesen Bedingungen vernünftig technisch machbar wäre, dann würde selbstverständlich der Transrapid, so wie es besprochen worden ist, gebaut. Momentan liegt von Seiten der Bundesregierung unsere Erklärung auf dem Tisch, daß wir zu den Vereinbarungen stehen. Jetzt müssen die anderen Partner sich erklären, daß sie aus ihrer Sicht verantwortlich handeln können. Das ist also ein Problem technischer Innovation und unter welchen Bedingungen sie umgesetzt werden kann. Aber das, was etwa unser Thema angeht, ein Bündnis für Arbeit und gleichzeitig für die Umwelt, ist in dem Ressort, das ich zu vertreten habe, in vielen anderen Bereichen eigentlich viel stärker fokussiert. Ob es die Verkehrsentwicklung betrifft, aber auch die Raumplanung und zum Beispiel, was man im Bauwesen macht. Da liegt die eigentliche Musik drin, wenn es um dieses Thema geht.

Marion von Haaren

Herr Klimmt, jetzt sind Sie mir ein bißchen ausgewichen.

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Minister Klimmt

Ja.

Marion von Haaren

Es ging um die ganz konkrete Frage: Ist der Transrapid eine Technologie, die uns sowohl hinsichtlich des Umweltschutzes als auch bei den Arbeitsplätzen voranbringt?

Minister Klimmt

Frau von Haaren, Sie haben ja wohl mitbekommen, daß ich nicht aus Dummheit ausgewichen bin, sondern aus politischer Klugheit. Denn in dieser Frage gibt es eine klare und eindeutige Linie der Bundesregierung. Die habe ich umschrieben und definiert, und das gilt, und an dieser Linie orientiert werden die Bundesregierung und ich als Bundesverkehrsminister operieren.

Marion von Haaren

Herr Barz, Umweltauflagen sind seit Jahren in Deutschland ein Reizthema. Die deutsche Wirtschaft ärgert sich darüber und sagt: Wir müssen eigentlich viel mehr deregulieren, wir brauchen weniger Vorschriften. Sieht das Ihr Unternehmen, das ja eine Menge Güter und Dienstleistungen im Umweltschutzbereich produziert, genauso?

Karl-Heinz Barz

Wir haben wirklich eine erhebliche Regelungsdichte in Deutschland, und dazu kommen noch die EU-Regelungen. Die summieren sich nach unseren Zahlen auf in einer Größenordnung von 10.000 Einzelregelungen, mit denen wir leben müssen. Wir können mit dieser Regelungsdichte umgehen, mittlerweile. Wir haben es in den letzten 20 Jahren alle gelernt, nicht nur mein Unternehmen, alle Unternehmen haben es gelernt. Und ich meine, das ist ein Asset der deutschen Industrie, aus dem sie etwas machen muß. Es geht nicht an, daß wir sagen: Wir wollen das alles weg haben, wir wollen den totalen Freiraum haben für jeden und für jede. Ich glaube, wir haben große Vorteile gehabt, alle, auch als Einzelbürger in diesem Staat. Deshalb müssen wir versuchen, das weiterzuentwickeln, aber weiterentwickeln bitte nicht erst in Deutschland, sondern weiterentwickeln jetzt in der EU, auch in den Ländern, die in die EU eingeladen werden. Das ist für uns eine vordringliche Aufgabe, und deshalb möchte ich dies so auch als Wunsch an die Politik formulieren.

Marion von Haaren

Herr Barz, noch eine Frage an Sie persönlich: Sie wissen, daß es im Vorfeld dieser Veranstaltung eine Menge Absagen gegeben hat. Sämtliche Organisationen der Wirtschaft, der Verbände haben es abgelehnt, an dieser Veranstaltung teilzunehmen. Wie beurteilen Sie das? Ihr Unternehmen ist ja Mitglied beim BDI. Und wie sehen Sie diese Politik?

Karl-Heinz Barz

Lassen Sie mich das ganz offen hier ansprechen. Warum ich hier sitze, geht sicherlich auch auf ein Gespräch zurück, was wir mit dem Wirtschaftsminister Herrn Dr. Müller hatten, der in unserem Hause war vor mehreren Wochen. Wir

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haben uns dort verständigt, daß wir nicht die deutsche Industrie vertreten, sondern uns selbst, denn wir sind ein umweltengagiertes Unternehmen und gern bereit, hier eine Position zu vertreten.

Marion von Haaren

Aber es ist schon schade, daß die Verbände es insgesamt abgelehnt haben.

Karl-Heinz Barz

Es hätte zu einer lebhafteren Diskussion führen können, nennen wir es mal so.

Marion von Haaren

Herr Professor Engelhardt, der Verteilungskampf in Deutschland geht im Moment vor Umweltschutz. Das Thema Natur hat im Moment wenig Konjunktur. Wir streiten uns um Prozentpunkte bei der Sozialversicherung, bei Lohnnebenkosten. Können wir uns diese Pause im Moment eigentlich wirklich leisten?

Prof. Dr. Engelhardt

Ich möchte zunächst noch etwas zum Thema Deregulierung ergänzen. Denn es wird uns, den Umweltverbänden, insbesondere von einigen hochrangigen Repräsentanten der Wirtschaft ja immer wieder vorgeworfen, daß wir zu sehr auf das staatliche Ordnungsrecht beim Umweltschutz pochen würden. Dabei könne und solle man doch besser alles dem Markt überlassen. Dazu ist unsere Meinung seit langem völlig eindeutig. Selbstverständlich kann der Markt sehr vieles, auch Positives für den Umweltschutz regeln. Aber nicht alles. Ohne ein bestimmtes Ordnungsrecht durch den Staat geht es ganz bestimmt nicht. Das lehrt uns reiche Erfahrung über Jahrzehnte hinweg. Ich will das jetzt nicht ausführen, aber es ist durchaus für unser heutiges Thema einschlägig. Wenn ich nur daran denke, als die Umweltverbände vor zig Jahren das Bleitetraethyl, also die Verbleiung aus dem Benzin, weghaben wollten, aus guten Gründen. Was sagte der damalige Vorstandsvorsitzende von BMW? „Dann bleiben alle Autos stehen!„ Wörtlich, ich habe das selbst gehört. Als dann der Deutsche Bundestag das Anti-Bleigesetz verabschiedet hatte, blieb natürlich kein einziges Auto stehen, auch kein Porsche und auch kein BMW. Als unsere Flüsse, und die Älteren unter Ihnen werden sich ja noch daran erinnern, von Schaumbergen besetzt waren an der Oberfläche, von Detergenzien verursacht, und der Bundestag auf Druck der Umweltverbände das Waschmittelgesetz durchbringen wollte, kam die Antwort aus der entsprechenden Industrie: „Dann zurück zur Kernseife!„ So war das. Aber als dann der Bundestag das Gesetz verabschiedet hatte, siehe da, am nächsten Tag waren in allen Supermärkten die Detergenzien-freien Waschmittel in den Regalen. Der einzige Grund der Verzögerungstaktik war nur der, daß die betreffenden Firmen ihre Altbestände noch absetzen wollten. Ich könnte noch eine ganze Reihe solcher Beispiele aus meiner jahrzehntelangen Erfahrung bringen, das will ich jetzt nicht tun. Worauf ich hinaus will ist das: Wenn wir immer auf die Meinungsäußerungen des einen oder anderen hochrangigen Repräsentanten eines Wirtschaftszweiges oder Dachverbandes reagieren würden, und diese Mahnung richte ich besonders an die Bundesre-

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gierung, dann kämen wir überhaupt nicht weiter auf diesem Gebiet.

Aber jetzt komme ich zur konkreten Frage. Verteilungskampf und so weiter ist zweifellos ein ganz ernstes Problem. Wir sehen das auch. Ich würde vielleicht nicht so sehr das Gewicht legen auf das Wort „Verteilungskampf„, obwohl natürlich da sehr viel Wahres dran ist. Wenn wir integrierenden Umweltschutz voranbringen wollen, dann wird es unvermeidlich sein, daß in der einen oder anderen Branche Arbeitsplätze verloren gehen. Ich bin immer dafür, wenn wir ein schwerwiegendes Problem zu diskutieren und zu lösen haben, – und worüber wir heute reden in dieser Tagung, ist vielleicht das schwierigste Problem, vor dem unser Land seit Jahrzehnten gestanden ist – dann hat es keinen Sinn, daß man mit verdeckten Karten spielt, sondern man muß die Probleme offen ansprechen, sonst kann man sie auch nicht lösen. Also, es wird unvermeidbar sein, daß in der einen oder anderen Branche Arbeitsplätze wegfallen werden. Aber nicht nur aus Umweltschutzgründen. Denken Sie an den Steinkohlebergbau, an die Weltmarktpreise, da fallen auch Arbeitsplätze weg. Aber auf anderen Sektoren werden eben neue, und wie wir fest annehmen und hoffen, viel mehr Arbeitsplätze geschaffen werden.

Aber die Hauptschwierigkeiten sehe ich seitens der Umweltbewegung gar nicht so sehr in diesem Punkt. Ich möchte einmal etwas provozierend sagen: Wir stehen in der Umweltbewegung auf nationalem Gebiet – mit einigen Ausnahmen auf dem ökologischen Sektor – im technisch-hygienischen Bereich sehr gut da. Wir sind da nach wie vor an der Weltspitze, da gibt es gar keinen Zweifel. Aber der Himmel über der Ruhr ist eben wieder blau, was Willy Brandt damals gefordert hatte, unsere Flüsse sind nicht mehr von Schaumbergen bedeckt. Ich könnte jetzt andere Beispiele bringen, die den Bürger und die Bürgerin täglich betreffen, ob man in dem Gewässer baden darf oder nicht, ob das Kind Husten bekommt wegen Luftverschmutzung und so weiter. Das ist faßbar, und da setzt man sich ein. Aber worum es bei uns jetzt geht, denn wir wissen das ja alle, aber wir vergessen es immer wieder, das ist doch die globale Situation. Nicht nur das Stichwort „Globalisierung des Welthandels„, wichtig genug, sondern die ganze Globalisierung ist für unsere Bürgerinnen und Bürger weit weg.

Marion von Haaren

Die Frage möchte ich weiterreichen an jemanden, der ja innerhalb der SPD auch an der Regierung beteiligt ist. Herr Müller, die Umweltinvestitionen insgesamt sind eher auf dem Rückzug, wenn man den Zahlen glauben darf. Dennoch sagen uns die Industrie und die großen Verbände und das sagt auch Prof. Engelhardt, Deutschland steht gut da im internationalen Vergleich, jetzt sollen erst mal die anderen ran, Europa und die übrigen Staaten dieser Erde. Ist das die richtige Strategie, das Politikfeld auf Europa verlagern und in die internationalen Gremien?

Michael Müller

Ich stimme Wolfgang Engelhardt völlig zu, daß wir zwar auf der einen Seite im technologischen Bereich sehr weit vorne liegen, aber daß das

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nicht unbedingt stimmt für die Umsetzung. Aus meiner Sicht gibt es wie in kaum einem andern Land einen eklatanten Widerspruch in der Bundesrepublik zwischen den vorhandenen technologischen Möglichkeiten und der Nutzung dieser Möglichkeiten.

Marion von Haaren

Können Sie da Beispiele nennen?

Michael Müller

Das geht von den ungeheuren Kapazitäten oder Möglichkeiten, die wir haben im ganzen Energiebereich, über Chancen in der Material- und Werkstoff-Forschung bis Gott weiß wohin.

Marion von Haaren

Gibt es Länder in Europa oder weltweit, die mit Energie heute besser umgehen als wir?

Michael Müller

Intelligenter macht das auf jeden Fall Dänemark. Auch was sich jetzt beispielsweise in England vollzieht, finde ich hoch interessant, wo eine Ökosteuer eine Dynamik auslöst, indem sie von Jahr zu Jahr an bestimmte Energiereduktionen anknüpft. Spannend ist auch, was man in Österreich macht, die Kopplung der Mehrwertsteuer an den Verbrauch eines Autos und so weiter. Es gibt viele solcher Beispiele. Das heißt auch, daß es eigentlich kein einzelnes Musterland gibt. Es gibt sehr viele, sehr unterschiedliche Aspekte, die sehr positiv sind und die man nutzen sollte.

Die Bundesrepublik ist aus meiner Sicht ein Land, das von der wissenschaftlichen und von der technologischen Infrastruktur her größere Möglichkeiten als andere Länder hat, die aber nur unzureichend genutzt werden. Ich halte es beispielsweise im Augenblick für einen Skandal auf der europäischen Ebene, daß die Bundesrepublik – das war noch die alte Regierung, aber ich sage auch was gleich zu der neuen Regierung, um diese Kritik nicht einseitig zu verteilen – das Projekt mit der Solarthermie kurz vor dem Erreichen der Marktreife von solarthermischen Kraftwerken abgebrochen hat. Um die Marktreife zu erreichen, fehlten nur noch wenige Millionen. Obwohl das eine der wichtigsten Zukunftstechnologien überhaupt ist, wurde das Projekt abgebrochen. Das halte ich für unverantwortlich.

Wir haben hier in der Bundesrepublik, das will ich deutlich sagen, den Konflikt mit dem Wirtschaftsministerium, das die Energieforschung zurückfahren will. Ich glaube, daß das unmöglich ist. Gerade Energieforschung braucht Kontinuität in der Mittelvergabe, um langfristig forschen und umsetzen können. Das werden wir als SPD-Fraktion nicht mitmachen. Und ich nehme auch an, daß das auch zwischen den beiden Koalitionsfraktionen Einverständnis erzielt.

Doch ich will auf den Kern der Frage aus meiner Sicht zurückkommen: In der Bundesrepublik verstehen wir Umweltschutz so, daß wir sagen: Es kann eigentlich alles so weiterlaufen wie bisher, wir müssen nur nach den Möglichkeiten ein bißchen mehr Umweltschutz dranhängen. Ich glaube, daß der eigentliche Kern der ökologischen Modernisierung ein anderes Verständ-

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nis von Ökonomie und von technologischer Entwicklung und von wirtschaftlicher Entwicklung ist.

Beispielsweise paßt es im Energiebereich nicht zusammen, auf der einen Seite öffentlich Klimaschutz- und Energieeinsparung zu proklamieren, und auf der anderen Seite Strukturen zu fördern, die genau das Gegenteil, nämlich die immer stärkere Herausbildung von Größe und letztlich nur von Absatzstrategien, bewirken. Das paßt nicht zusammen. Deshalb ist aus meiner Sicht das eigentliche Problem die politische Gestaltungsfrage. In diesem Sinne ist das Wichtigste, daß die Ökologie eine Chance ist, aus dieser tiefgreifenden Stagnation und Lähmung unserer Gesellschaft herauszukommen.

Wenn ich aus dieser Stagnation herauswill, muß ich wissen, zum letzten Mal sind wir aus einer tiefgreifenden Stagnation und Krise unserer Gesellschaft herausgekommen, als wir letztlich den Sozialstaat gegen vermachtete, strukturierte Status quo-Interessen durchgesetzt haben. Das bedeutet für die ökologische Modernisierung: Ich muß Bündnisse in der Gesellschaft finden, die gegen die Verkrustung des Status quo stehen. Das ist der Punkt, um den es eigentlich geht. Und das ist beispielsweise mit diesen Verbänden eigentlich nicht hinzukriegen, denn die Verbände einigen sich in der Regel nur auf den kleinsten gemeinsamen Nenner und den Status quo, aber nicht auf die Innovation. Das ist das Hauptproblem heute bei uns.

Marion von Haaren

Heute wird ja viel von Yello-Strom gesprochen, da ist überall in der Werbung und in der Presse nachzulesen, wie toll das alles ist und wie billig. Wir wissen auch, daß da, wie so schön gesagt wurde, in der Schweiz gewaschener französischer Atomstrom dahintersteht. Herr Professor Engelhardt, in Frankreich hat es bei den letzten Parlamentswahlen ja einen deutlichen Ruck hin zu mehr Grüner Politik gegeben. Ich sage das gar nicht in parteipolitischer Hinsicht, sondern als Tendenz. Wie ist denn die Entwicklung in Frankreich bei den Naturfreunden, bei den Umweltschutzorganisationen? Inwieweit wird Energiepolitik auch unter europäischer Perspektive politisch diskutiert? Gibt es da vielleicht auf französischer Seite Verbündete, die auch ein Stück des Ansatzes, den wir heute diskutieren, unterstützen? Haben Sie dort Ansprechpartner, gibt es da Kontakte? Wie sieht das konkret aus?

Prof. Dr. Engelhardt

Ich würde da keine sehr großen Hoffnungen auf unsere Kolleginnen und Kollegen gerade in Frankreich setzen. Die Umweltbewegung in Frankreich ist, genau genommen, schwach. Das ist einfach Faktum. Es gibt auch europäische Länder, wo es gut funktioniert, wie in den Niederlanden, Dänemark, überhaupt die nordischen Länder. Aber Frankreich ist kein gutes Beispiel. Es gibt eine ganze Reihe von kleineren und kleinen Umweltschutzorganisationen, aber sie haben keinen großen Dachverband wie wir. Und es ist fast unmöglich, da entsprechend zu agieren. Ich weiß von den Kolleginnen und Kollegen drüben, wenn die in ihrem Land wichtige umweltpolitische Entscheidungen vorbereiten wollen, müssen sie jedesmal ad hoc die ganze Corona wieder zusammenholen. Das ist ein Weg,

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der führt meistens zum Mißerfolg. Wir haben in Brüssel das EEB, das Europäische Umweltbüro, unser Generalsekretär im Deutschen Naturschutzring, Herr Röscheisen, ist dort einer der Vizepräsidenten. In Brüssel wird ja auch ein großer, wenn nicht der größte Teil der Umweltpolitik gemacht. Dort haben wir diese Anlaufstelle, und dort sind aus allen europäischen Ländern die Umweltorganisationen vertreten.

Marion von Haaren

Also da ist dann auch die stärkste Lobby.

Prof. Dr. Engelhardt

Sicher, und das muß auch so sein: In meinem Verband sind 107 juristische Organisationen mit 5,2 Mio. Einzelmitgliedern, in anderen Ländern sind es schon wegen der Bevölkerungsgröße natürlich nicht so viele. Aber immerhin. Jetzt stelle man sich einmal vor, es würden zu der Umweltkommissarin in Brüssel für ein bestimmtes Anliegen aus den 16 Ländern sagen wir mal 500 Organisationen antanzen. Die Folge wäre, daß die Kommissarin sagen würde: So geht es nicht. So geht es auch nicht. Es genügt schon, wenn 16 kommen würden.

Marion von Haaren

Herr Klimmt, ein großer Erzeuger von CO2-Emissionen ist nach wie vor der Straßenverkehr. Als frischgebackener Verkehrsminister muß ich Sie da natürlich fragen: Welche konkreten Vorstellungen haben Sie denn für die Legislaturperiode, um hier Einhalt zu gebieten? Vorhin hat Prof. Engelhardt erwähnt, daß bei der Diskussion, ob das Benzin Blei enthalten solle, die Befürchtung bestand, daß die Autos stehen bleiben. Heute bleiben sie tatsächlich stehen, aber nicht, weil es kein Blei mehr gibt, sondern weil wir mittlerweile die Straßen verstopft haben. Welche Perspektiven können Sie denn heute unter dem Aspekt „Arbeitsplätze und Umweltschutz„ uns mitgeben in Sachen Verkehr?

Minister Klimmt

Ich glaube, daß wir die Mobilität als solche in unserer Gesellschaft einfach akzeptieren müssen. Die Kongreßteilnehmer sind auch alle auf irgendeine Art und Weise hier angereist, und sicherlich sind nur wenige zu Fuß gekommen. So müssen wir von unterschiedlichen Verkehrsträgern ausgehen. Zu ihnen gehört auch das Auto. Ich glaube, daß diese Gesellschaft das Auto auch als ein Stück individueller Freiheit begreift, mithin ist es kein realistischer Weg, das Auto abzudrängen und zu sagen: Ihr müßt euch an Alternativen orientieren. Es geht vielmehr um die sinnvolle Nutzung der verschiedenen Verkehrsträger, die wir haben, das Automobil, die Eisenbahn, auch das Flugzeug. Es ist halt nun mal so, wenn man nach New York will, das geht beim besten Willen nicht mit der Eisenbahn. Insofern muß man die verschiedenen Verkehrsträger so einsetzen, daß sie den meisten Nutzen bringen und am wenigsten Schaden anrichten.

Dazu gehört auch, und das ist ein sehr, sehr wichtiger Punkt, der gerade auch für die Induzierung von Arbeitsplätzen von Bedeutung ist, daß man an den Aggregaten selber etwas tut, um damit die von ihnen für die Umwelt ausgehende Gefährdung zu reduzieren. Das heißt, am

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Auto kann man sehr viel machen, um auf diese Art und Weise dazu beizutragen, daß etwa der Ausstoß von Schadstoffen reduziert wird. Und da gibt es in der Automobilindustrie und den angrenzenden Bereichen ein erhebliches Arbeitsplatzpotential. Ich halte es für wichtig, daß wir über entsprechende Verordnungen von unserer Seite aus nachhelfen, damit dann auch solche innovatorischen Prozesse in Gang gesetzt werden.

Marion von Haaren

Unterstützen Sie den Vorschlag einer Entfernungspauschale statt einer Kilometerpauschale?

Minister Klimmt

Ja, das ist eine Position, die ich immer vertreten habe. Wir wollen mit der Entfernungspauschale dafür Sorge zu tragen, daß die Verkehrsträger miteinander gleichgestellt sind, wenn es darum geht, daß jemand seinen Arbeitsplatz erreichen will. Ich werde mich jedenfalls weiter dafür einsetzen.

Der nächste Punkt, der für mich von Bedeutung ist, daß wir die Verkehrsträger stärken, die besonders umweltfreundlich sind. Das bedeutet einmal, den ÖPNV, den Öffentlichen Personennahverkehr in den Ballungsräumen, überhaupt im Nahbereich einzusetzen. Gleichzeitig müssen wir uns mit dem Verkehrszuwachs, den wir einfach haben, auseinandersetzen. Bisher haben wir es noch nicht geschafft, Wirtschaftswachstum und Verkehrswachstum voneinander zu entkoppeln. Dieser Verkehrszuwachs – sowohl beim Güter- als auch beim Personenverkehr – vollzieht sich momentan aufgrund von Unzulänglichkeiten der Ausstattung der Schienenwege fast ausschließlich auf der Straße. Ihn müssen wir versuchen, stärker auf die Schiene zu lenken und beim Güterverkehr dafür Sorge zu tragen, daß auch die Wasserstraße, die ja auch einen hohen ökologischen Stellenwert hat, genutzt wird. Dieses ist die Aufgabe der Verkehrspolitik. Nur werden wir das nicht erreichen, wenn wir meinen, man müsse zum Beispiel das Auto zwangsweise stillegen.

Wir werden also in die Verkehrswege, und dazu gehört auch das Automobil, zukünftig auch weiter Geld stecken. Ein wichtiger Punkt ist, daß wir beim Güterverkehr die Konkurrenzfähigkeit der Bahn gegenüber dem LKW, der ja sehr flexibel ist, stärken. Einmal muß die Leistungsfähigkeit der Bahn verbessert werden. Dabei müssen wir ihr helfen. Wir müssen Elemente wie den kombinierten Verkehr nach vorne bringen.

Und auf der anderen Seite muß man dort, wo bei uns beispielsweise der LKW begünstigt ist, gerade, was den Transitverkehr angeht, über Road-Pricing nachdenken. Ich denke, daß wir im Jahr 2002 mit der Telematik und all den anderen Möglichkeiten soweit sind, daß wir wirklich pro Kilometer entfernungsabhängig dann auch die LKW belasten können, die unsere Straßen verstopfen. Das sind Ansatzpunkte, wo die Förderung der Schiene mit entsprechenden Maßnahmen im Straßenverkehr kombiniert werden kann. Ich bin ganz stolz darauf, daß es mir gelungen ist, zusammen mit den Franzosen, den Italienern und Österreichern für LKW das Sonntags- und Feiertagsfahrverbot aufrecht zu erhalten und deutlich gemacht zu haben: Es gibt Alternativen zum LKW, die liegen auf der Schiene, die während dieser Fahrverbote (und natürlich nicht nur dann) genutzt werden kann. In die-

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sem Sinne ist die Politik der Bundesregierung darauf gerichtet, die Schiene zu stärken, ohne das Auto, das sage ich jetzt noch mal deutlich, zu verteufeln.

Marion von Haaren

Trotzdem noch mal die Nachfrage: Das Road-Pricing läuft ja auf eine Verteuerung auch des LKW-Verkehrs, des LKW-Transports hinaus. Haben Sie das mit der ÖTV abgesprochen?

Minister Klimmt

Ich glaube, wir sind uns alle einig, auch die Verkehrsträger selber, daß es um einen fairen Wettbewerb geht. Und es ist auch denjenigen, die Lastwagenspeditionen betreiben, klar, daß es auch andere Angebote geben muß. Beim kombinierten Verkehr kann der LKW zum Beispiel die lange Strecke mit der Bahn überwinden und dann am Zielort seine Flexibilität nutzen, um in die Straßen und zu den Empfängern zu fahren, die keinen unmittelbaren Gleisanschluß haben. Und das sind die meisten. Ich glaube, hier sind die erfolgversprechendsten Ansätze zu suchen. Es geht nicht darum, die Lastwagen zu verschrotten. Das wird gar nicht gehen, denn der kurze Weg wird einfach über LKW abzuwickeln sein. Es geht darum, für die langen Strecken eine Alternative zu finden. Entweder ganz auf der Bahn zu transportieren bzw. den kombinierten Verkehr wirklich leistungsfähig zu machen.

Marion von Haaren

Herr Müller, der Benzinpreis ist in Deutschland ein politischer Preis. Egal, ob er jetzt politisch induziert ist oder durch die Rohölsituation. Die Grünen haben vor Jahren die Öffentlichkeit aufgeschreckt mit den 5 DM. Ist der Preis heute noch zu niedrig? Wie sind die Perspektiven? Wir wissen, es gibt Steigerungsschritte, 6 Pfennig. Da muß nur mal eben wieder was passieren auf dem Rohölmarkt, dann sind die 6 Pfennig kaum mehr zu spüren. Wenn die Preise wieder herunter gehen, merkt man die 6 Pfennig nicht. Gibt es eine Steuerungswirkung, die derzeit vom Benzinpreis ausgeht? Und wenn nicht, wo läge diese Steuerungsgröße?

Michael Müller

Was mir im Augenblick bei der Preisbildung auffällt, ist dieses unterschiedliche Verhalten der Energiekonzerne im Strombereich und im Mineralölbereich. Im Strombereich sehen wir auf einmal, was die Konzerne über Jahre für Extra-Profite gemacht haben, denn sonst könnten sie die Preise jetzt nicht so radikal senken. Und bei der ökologischen Steuerreform ist es so, daß sie die Öko-Steuern ausnutzen, um sehr viel mehr draufzulegen, was im Grunde genommen überhaupt nicht nachvollziehbar ist.

Die Preise im Benzinbereich sind deutlich stärker gestiegen als es die Belastung durch die ökologische Steuerreform, und auch aus meiner Sicht, auch die auf die Preisbildung auf den Spotmärkten rechtfertigt. Man hat hier ganz hübsch zugelangt, hat das ausgenutzt und macht natürlich auf der Welle auch Politik. Insofern liegen die Preise heute aus meiner Sicht deutlich über dem, was bei der ökologischen Steuerreform hätte herauskommen dürfen. Darüber müssen wir auch weiter politisch reden. Wir ha-

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ben ja zwei weitere Stufen mit jeweils 6 Pfennig, und das heißt, wir kommen dann schon an eine Größenordnung, die in der Bundesrepublik spürbar wird. Das kriegen wir auch als Reaktion aus verschiedensten Bereichen sehr stark mit. Ich würde davor warnen, zu glauben, die Reduktion des Benzinverbrauchs allein über das Instrument „Preis„ erreichen zu können. Wir müssen auch in dem Bereich sehr viel klarer auch zu ordnungsrechtlichen Schritten kommen. Ich halte nach wie vor eine Flottenverbrauchsregelung für ein richtiges Instrument, d.h., einen ganz klaren technischen Wert der ständigen Minimierung des Benzinumsatzes vorgeben. Das ist auch möglich. Benzinmotoren sind heute mit das Ineffizienteste, was es gibt, weil sie einseitig auf Höchstgeschwindigkeit und Beschleunigung ausgerichtet sind.

Marion von Haaren

Darf ich da noch mal nachfragen: Flottenverbrauch. Das heißt, eine bestimmte Festlegung?

Michael Müller

Nein, beim Flottenverbrauch ist es so, daß man die Zahl der Autos, die Hubraumklassen und alles miteinander gewichtet und dann vorgibt, wie hoch beispielsweise die CO2-Emissionen insgesamt für die Flotte sein dürfen. Daraus ergibt sich dann der Benzinverbrauch. Das ist technisch möglich, wir haben auch bereits unterschiedliche Modelle berechnet. Der entscheidende Punkt ist, um das noch mal deutlich zu machen: Bei einem Benzinmotor wird weniger als 20 Prozent der eingesetzten Energie wirklich in Bewegung umgesetzt. Man könnte deutlich höher gehen, nur es wären andere Autos. Aber technologisch wäre das möglich. Allerdings ist heute die gesamte Philosophie darauf ausgerichtet, daß jedes Auto mindestens 180 Stundenkilometer und mehr fährt, und wenn es Beschleunigungswerte von unter 10 Sekunden bis auf 100 haben soll, dann ergibt sich eine klare Konsequenz: Man kann noch so viel an Effizienzverbesserungen machen, alle Effizienzvorteile werden fast immer wieder relativ überkompensiert durch die Geschwindigkeits- und die Beschleunigungsentwicklung.

Marion von Haaren

Also was wäre da Ihr Plädoyer?

Michael Müller

Höhere Effizienz und Ausnutzung der Motoren technologisch vorschreiben.

Marion von Haaren

Festlegen.

Michael Müller

Technologisch vorschreiben. Das ist aus meiner Sicht möglich. Wäre auch der beste Weg. Das haben wir in der Fraktion mehrfach diskutiert. Das ist allerdings, das muß man schon sagen, ein schwieriger Weg, weil er auch nicht so einfach in offenen Märkten durchsetzbar ist. Aber es hat auch auf europäischer Ebene solche Initiativen gegeben. Es ist also nicht so, daß das isoliert nur in der Bundesrepublik diskutiert wird. Ich finde schon sehr spannend, gerade in

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diesem Sektor zu beobachten, wie hier zwei ganz starke Wirtschaftsbranchen in der letzten Zeit wie bekloppt gegeneinander gekämpft haben, nämlich die Mineralölwirtschaft und die Automobilindustrie. Denn die Automobilindustrie braucht für die Magermotoren sehr viel schwefelärmeres Benzin. Aber die Mineralölwirtschaft will das nicht, weil sie an den heutigen Kapazitäten festhält, an denen sie immer noch gut verdient. Insofern ist es auch hier nicht nur eine Frage der Auseinandersetzung mit Verbänden, sondern zum Teil auch mit unterschiedlichen Interessen innerhalb der Wirtschaft.

Marion von Haaren

Da sind wir doch bei Herrn Barz genau richtig. Herr Barz, es gibt ja eine merkwürdige Entwicklung im Bereich Automobilsektor. Wir haben auf der einen Seite immer leistungsfähigere Motoren im unteren Segment, die also relativ wenig Energie brauchen, Stichwort Drei-Liter-Auto, auf der anderen Seite haben wir die Ausweitung des Segments der wirklich sehr kraftvollen Motoren, die – immer noch – enorm viel Sprit fressen. Soll man das weiter so laufen lassen? Soll man nur sagen: Wir regeln das über den Benzinpreis? Oder wäre dieser Vorschlag von Michael Müller sinnvoll, zu sagen: Wir geben bestimmte technische Verbrauchswerte vor?

Karl-Heinz Barz

Ich halte nichts von technischen Limitierungen. Ich glaube, wir begrenzen die Kreativität unserer Ingenieure dann wirklich in einem Kernelement. Ich höre immer: Wir reden über mehr Verordnungen, mehr Ordnungsrecht. Hier ist vielleicht ein Punkt, wo man dem Herrn Henkel beipflichten kann. Der hat einmal gesagt: Wir müssen aufpassen, im Wettbewerb stehen wir auch. Und Wettbewerb nicht nur im europäischen Kontext; es gibt einen Wettbewerb, der sehr viel weiter geht. Und ich möchte nicht in einer Situation enden, die ich bildhaft so umschreiben möchte: Wenn wir auf der Straße fahren, sind die Verordnungen und Regeln und Strafbußen, die uns alle drohen, die Leitplanken. Aber es ist äußerst unangenehm, wenn Sie auf einer Straße vor lauter Leitplanken überhaupt nichts mehr sehen. Da sind links und rechts Leitplanken. Und am Schluß fahren wir nur in einem ganz großen Kreisverkehr und sind keinen einzigen Meter weitergekommen.

Marion von Haaren

Aber Herr Barz, wenn der Autofahrer betrunken ist oder bestimmte Dinge nicht mehr wahrnimmt, weil das Gesichtsfeld immer enger wird, dann sind die Leitplanken vielleicht auch ganz sinnvoll. Mit Ihrer Position habe ich etwas Schwierigkeiten, weil Sie eingangs ja auch ein paar andere Sachen gesagt haben. Wir haben ja Verordnungen gehabt, die uns weitergebracht haben. Stichwort Katalysatordebatte. Was war damals das Wehklagen groß aus dem Bereich der Industrie. Es war der Untergang der deutschen Automobilindustrie. Heute fahren wir mit diesem Ding, und ich merke immer, wenn man aus dem Ausland nach Deutschland zurückkommt, wie rein die Luft bei uns ist. Wenn man mal in die wunderbaren Wachstumsregionen, zum Teil sind sie es ja auch nicht mehr, nach Asien fährt und sieht, daß dort die Botschaftsangehörigen mit Atemmasken durch die Innenstädte gehen müssen, dort

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ist der Katalysator noch nicht. Aber ich weiß nicht, ob die erfolgreicher sind mit ihrer Automobilindustrie. Das kann ich nicht beurteilen. Ich sage nur, es gibt ja etliche Gegenbeispiele.

Karl-Heinz Barz

Wir müssen gucken, wo wir unsere Mittel einsetzen. Sie sagen mit Recht: Wenn wir nach Deutschland kommen, scheint alles sehr in Ordnung zu sein. Ich war gerade letzte Woche in Peking, und dort ist weiterhin die Luft sehr belastet, obwohl man jetzt gerade die Stadt wegen der 50 Jahr Feier „gecleant„ hat. Aber man muß fragen: Erreichen wir wirklich insgesamt mehr mit dem Mitteleinsatz, wenn wir das in Deutschland einsetzen? Die deutsche Industrie muß sich das fragen. Und die Bundesregierung muß sich fragen: Wo will sie die deutsche Industrie unterstützen? Hier, nur im deutschen Markt den deutschen Kunden befriedigen? Oder muß sie nicht versuchen, das Geld so einzusetzen, daß auch weltweit eine tatsächliche Verbesserung erfolgt und daß die deutsche Industrie ihren Exportmarkt zukünftig langfristig absichert und dort nicht auf Platz 2 oder 3 zurückfällt. Aber ich meine, bei unserer Exportabhängigkeit, und da schaue ich auf die Arbeitsplätze, müssen wir viel mehr darüber sprechen: Was kann die deutsche Industrie tun im Ausland? Was kann die Bundesregierung …

Marion von Haaren

Also Exportförderung.

Karl-Heinz Barz

Exportförderung, aber auch die richtigen Produkte anbieten. Es bringt nichts, daß wir hier versuchen, noch mehr regulierend in unsere Produktentwicklung einzugreifen, die dann vielleicht nicht in einem anderen Land verkaufbar ist.

Marion von Haaren

Aber Sie würden doch zugeben Herr Barz, daß so etwas wie der Katalysator ja nicht nur eine Technologie ist, die für Deutschland oder Europa sinnvoll ist, sondern gerade auch in den Schwellenländern, wo mittlerweile ganz viele Automobile und LKW eingesetzt werden, aber zu einer katastrophalen Belastung der Umwelt geführt haben.

Karl-Heinz Barz

Absolut. ABB, d.h. Mitarbeiter von uns, haben die Lanta-Sonde erfunden. Wir waren immer stolz, daß wir auf diesem Gebiet technisch führend sind. Man muß sich natürlich fragen, ob man nicht, wenn man Entwicklungshilfe gibt und andere Länder unterstützt, daran vielleicht auch ein paar Bedingungen knüpft, ein wenig verkürzt gesagt.

Minister Klimmt

Ich bin kein Verordnungswütiger. Ich glaube, daß man die freie Entscheidung zum Beispiel des Autofahrers oder Verkehrsteilnehmers soweit wie möglich offen halten muß, auch, um seine Verantwortlichkeit zu stärken. Nicht, daß man nachher meint, man brauche auf nichts mehr zu achten, weil man überall Vorschriften und Leitplanken hat. Die Verantwortlichkeit des Einzelnen ist übrigens auch für den ökologi-

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schen Gedanken von zentraler Bedeutung. Das kannn man nicht alles über Verordnungen regeln, es bedarf des Bewußtseins.

Aber selbstverständlich gibt es Bereiche, wo man Verordnungen benötigt. Sie haben selbst das Thema Promillegrenze genannt. Bei uns geht es halt nicht, daß man mit Alkohol oder Drogen Auto fährt, weil man andere gefährdet. Ich halte es auch für richtig, daß wir den Sicherheitsgurt eingeführt haben und viele andere Dinge, die mit Sicherheit zu tun haben. Gerade diese Ausrichtung der deutschen Automobilindustrie auf den Bereich Sicherheit trägt ja auch dann zum Exporterfolg bei. In der Tat muß man darauf achten, daß man mit staatlichen Vorgaben nicht Entwicklungen abwürgt, sondern daß man nur dort eingreift, wo eine effektive Verbesserung erreicht wird. Es kann nicht angehen, aus einem preußischen Gängelungswahn heraus zu glauben, ein Mensch, der frei entscheidet, wird nur Fehler machen. Nein, die freie Entscheidung, die Fähigkeit dazu muß selbstverständlich durch unsere Gesellschaft gefördert und nicht unterdrückt werden.

Marion von Haaren

Also mit anderen Worten Herr Klimmt, Sie werden sich mit Herrn Müller noch mal darüber abstimmen, ob es diese Beschränkungen geben soll beim Motor. So habe ich das jetzt verstanden als ein Stück weit Gegenrede.

Minister Klimmt

Jede technische Vorgabe, und wir haben ja massenhaft Vorgaben bei uns, muß geprüft werden, ob sie nützlich ist oder unnütz. Vorgaben im technischen Bereich brauchen wir auch in der Harmonisierung im europäischen Sektor und weltweit. Darüber muß man selbstverständlich reden. Das macht ja auch einen Sinn. Und damit kann man in der Tat auch wieder neue technische Entwicklungen generieren und damit wieder auch neue Arbeitsplätze.

Michael Müller

Ich finde, man soll hier keine falschen Fronten aufbauen, und ich fand, das war schon ein bißchen schief. Denn ich glaube nicht, daß ein beispielsweise verbrauchsarmer PKW kein Exportschlager ist. Im Gegenteil. Ganz im Gegenteil. Ein effizienter Motor als Teil eines modernen Fahrzeugs ist sicherlich auch ein Aushängeschild für die Kreativität und die Leistungsfähigkeit von Technikern und Wissenschaftlern in der Bundesrepublik. Der Tatbestand ist doch ein anderer. Der Tatbestand ist, daß wir in der Frage der Verbrauchsreduktion seit Jahren beim Auto viel zu langsam vorankommen im Verhältnis zu dem, was möglich wäre. Was wird gemacht? Man schafft sich ein paar Alibi-Autos, die zeigt man groß in der Werbung, und oben laufen Autos, die immer mehr verbrauchen. Das ist keine saubere Entwicklung. Ich will auch nicht das Alibi-Drei-Liter-Auto. Ich will eine generelle Senkung als politische Vorgabe, und, das finde ich richtig, als generelle Senkung des Energieverbrauchs beim Auto. Das ist möglich, das ist keine falsche Position, sondern das ist im Interesse des Gemeinwohls und auch im Interesse der Innovationsfähigkeit der deutschen Wirtschaft.

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Marion von Haaren

Das heißt, 200 fahren können mit möglichst nur noch 5 Litern.

Michael Müller

Ich sage noch mal, wo immer es geht. Wenn Sie das in Selbstverantwortung tun, okay. Nur ich stelle fest: Die deutsche Automobilindustrie hat sich beispielsweise verpflichtet, eine bestimmte Verbrauchsreduktion zur CO2-Verringerung zu machen. Und dies kommt nicht voran. Ich stelle das einfach nur fest. Mehr sage ich hier gar nicht. Und wenn das so ist, dann müßte man auch politisch handeln. Es tut mir leid. Die Chance war da.

Und ein zweiter Punkt zur Regulierung. Ich glaube, diese Debatte wird ziemlich falsch geführt. Ich kann mir überhaupt keine komplexe, moderne Gesellschaft – bei aller Notwendigkeit, Selbstverantwortung und Eigenverantwortung zu stärken – vorstellen, die ohne Regeln auskommt. Das soll mir mal einer vormachen, wo es so eine Gesellschaft gibt. Es muß Institutionen des Gemeinsinns und des Gemeinwohls geben. Wir können nicht auf der einen Seite diesen Verfall an Gemeinsinn in der Gesellschaft beklagen und gleichzeitig alles tun, daß er auch noch beschleunigt wird. Das paßt nicht zusammen. Das muß man dann auch mal benennen. Es geht um etwas anderes, und das, finde ich, muß man ansprechen. Es geht darum, ob unsere Regelungssysteme richtig sind.

Marion von Haaren

Das ist der Punkt.

Michael Müller

Das ist der Punkt. Und darüber kann man reden. Wir haben zum Teil in unserem Regelsystem noch Grundpositionen aus dem preußischen Ordnungsrecht, sozusagen das alte Preußische Landrecht. Davon haben wir sehr viel auf das Umweltrecht übertragen. Dieser Glaube, man könne sozusagen immer mit dem erweiterten Polizeirecht Entwicklungen verhindern, ist erstens schon von der Problemlage her schief und führt zweitens natürlich zu wachsender Undurchschaubarkeit durch immer größere Komplexität und Bürokratisierung. Das wollen wir ja gar nicht. Aber daß man keine Regeln braucht, ist nicht die Alternative. Die Alternative ist, daß man sinnvolle, innovationsorientierte, an qualitativen Zielen ausgerichtete Regeln findet. Das ist der Punkt, über den wir dann reden müssen. Nur eins geht nicht, die heutigen Regeln zu kritisieren, aber gleichzeitig keine neuen zu wollen. Das geht nicht.

Heinz Putzhammer

Noch eine Anmerkung zur Frage der Unterstützung des Exports. Das scheint mir wichtig zu sein, denn das ist ein Punkt, wo man wieder auf das Thema Umwelt und Arbeitsplätze zurückkommen kann. Dabei liegt mir daran, die verschiedenen Vorgehensweisen von den Vereinigten Staaten von Amerika und von Deutschland zu vergleichen, denn die beiden sind ja nach den Tabellen der letzten Jahre jeweils an der Spitze des Exports von Umwelttechnologie. Da muß man sich mal wirklich anschauen, was in den USA alles gemacht wird, um diesen Spitzenplatz zu halten, wie die Regierung in ihren Be-

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ziehungen zu anderen Ländern, in ihrer Zusammenarbeit mit den Firmen in Amerika, wie sie auch mit finanziellen Mitteln, mit Beratung, mit Management, mit Diplomatie und so weiter dafür sorgt, daß die Firmen im Ausland Absatzchancen haben und Geld verdienen. Das wünschte ich mir von unserer Regierung auch!

Der zweite Punkt: Wie kam man denn dahin, daß Deutschland Exportweltmeister wurde? Hat sich dieser technologische Fortschritt quasi im Selbstlauf entwickelt? Das sehe ich nicht so. Ich glaube vielmehr, daß die aktive staatliche Umweltpolitik der Vergangenheit, die die Latte immer höher gesetzt hat, dazu gezwungen hat, daß Fortschritte gemacht worden sind. Das aber ist eben kein Nachteil, sondern das hat dazu geführt, daß in Deutschland bestimmte Standards, auch technologische, früher bewältigt worden sind. Das wiederum erlaubte, wenn es darum ging, Weltmärkte zu besetzen, daß die Deutschen schneller waren, weil sie das schon entwickelt hatten. Hier kommt also der aktiven staatlichen Umweltpolitik auch in Zukunft eine wichtige Aufgabe zu.

In dem Zusammenhang spielt natürlich auch die Ordnungspolitik nach wie vor eine Rolle. Da stimme ich Michael Müller völlig zu. Es kommt darauf an, daß es richtige Ordnungspolitik ist, und man sollte es da so halten wie seinerzeit die spanische Inquisition. Manchmal muß man die Folterinstrumente nicht anwenden. Manchmal genügt das Zeigen der Instrumente. Aber das Zeigen der Instrumente muß auch eine glaubhafte Drohung sein. Und da bin ich nicht immer überzeugt, daß bei dem, was die Regierung bisher gemacht hat, die Drohung immer so glaubhaft war, daß sie auch gewirkt hätte.

Marion von Haaren

Das haben Sie jetzt nett gesagt, nicht?

Heinz Putzhammer

Auch was die Bemerkungen zum freien Wettbewerb betrifft, stimme ich Michael Müller ausdrücklich zu. Bestimmte Dinge kann man dem freien Spiel der Kräfte auf dem Markt überlassen. Auf dem Markt regieren die Preise, und alles, was in die Preisbildung eingeht, entscheidet dann über die Preise, die erzielt werden, und über die Möglichkeiten, sich auf dem Markt zu behaupten. Umweltpolitik ist eben genau ein Politikfeld, wo Kosten, die in der Natur, in der Umwelt, in der Landschaft, bei den Menschen entstehen, in die Preisbildung nicht eingehen. Deshalb ist es eben ein verzerrter Wettbewerb, wenn nicht zusätzlich der Staat versuchen würde, diese externen Kosten durch seine eigenen Maßnahmen wieder in den Griff zu bekommen und damit die Wettbewerbssituation erst wieder herzustellen, die durch die Tatsache, daß solche Kosten nicht in die Preisbildung eingehen, verzerrt worden ist.

Marion von Haaren

Jetzt hat auch Herr Barz genickt.

Prof. Dr. Engelhardt

Ein Nachtrag zum Export deutscher Industrieerzeugnisse. Es wurde das Saubermachen von Pekinger Luft erwähnt, das hat ja jetzt nur zu dem Jubiläum stattgefunden. Nächste Woche ist es wieder genauso schlimm wie vorher. China ist heute der bevölkerungsreichste Staat der Erde

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und wird im Jahr 2030 etwa 1,5 Mrd. Menschen aufweisen, Indien wird dann China überholt und in 30 Jahren einen Zuwachs von über 50 Prozent gegenüber der derzeitigen Bevölkerung haben. Da liegen die großen Probleme. Auch für den deutschen Export. Ich bin sehr wohl der Meinung, daß in unserem Land das eine oder andere noch verbessert werden kann und muß. Aber es sind Kleinigkeiten im Vergleich mit dem, was da drüben los ist und was man dort mit vernünftigem Einsatz erreichen könnte. Ganz konkret: In China müssen in den nächsten Jahren 500 moderne Kohlekraftwerke gebaut werden. Es werden keine Gaskraftwerke gebaut. Auch kaum Atomkraftwerke, sondern Kohlekraftwerke, denn China hat riesige Steinkohlevorkommen. Über 90 Prozent der Kohlekraftwerke, die heute in China funktionieren, stammen aus dem Beginn dieses Jahrhunderts und sind totale Dreckschleudern. Für den CO2-Gehalt der Atmosphäre ist es verdammt gleichgültig, ob dieses CO2 in Frankreich produziert wird oder in China, aber dort sind die Hauptquellen.

Nun hätte doch die einschlägige deutsche Industrie, wenn eine entsprechende Wirtschaftspolitik betrieben würde, ein riesiges Betätigungsfeld einschließlich der Sicherung deutscher Arbeitsplätze auf Jahrzehnte hinaus, allein in der Modernisierung der Energieerzeugung, sagen wir mal bloß in China. Zudem verfügt Deutschland über erhebliche politische Vorteile. Wir sind politisch gegenüber China unbelastet. Nicht so die USA aus bekannten Gründen, nicht so Japan, aus vielleicht noch bekannteren Gründen. Das wäre eine Chance, um hier Arbeitsplätze zu schaffen und dort für den Klimaschutz Entscheidendes zu tun.

Marion von Haaren

Herr Barz, das gefällt Ihnen sicherlich. Ist die Firma ABB möglicherweise dort schon in Verhandlungen, oder gibt es da vorbereitende Maßnahmen, und wenn nicht, was würden Sie sich wünschen aus dem Bereich der Politik?

Karl-Heinz Barz

Ich darf da ein Beispiel anführen: Meine norwegischen Kollegen haben in Polen 30 Heizkraftwerke im letzten Jahr umgerüstet, die wirkliche Dreckschleudern waren, und da ist ein Gaskraftwerk gebaut worden. Oder in Norwegen hat man auch ein Kohlekraftwerk dieses alten Standards abgelöst durch ein Wasserkraftwerk. Diese Investitionen sind in diesen Ländern gemacht worden, man hat Emission Trading Documents zu nutzen versucht. Das ist ein Finanzierungsinstrument, bei dem man die „Verschmutzungsrechte„ bzw. die durch Modernisierungsinvestitionen eingesparten Emissionen gewissermaßen abkauft, aber irgendeiner muß sie bezahlen. Wir warten heute noch darauf, daß es eine Regierung in Norwegen oder in Deutschland bezahlt. Wir wissen, daß die USA sich auf eine solche Sache vorbereiten und dabei sind, ernsthaft zu prüfen, ob man nicht in New York eine Emissionsterminbörse einführt. Man kauft dann Zertifikate und handelt sie. Die Frage ist, ob Deutschland hier nicht eine Chance versäumt, zum Beispiel am Standort Frankfurt, wo immer. Ich wünschte mir, daß man die in Kyoto eingegangene Verpflichtung mit diesem Emission Trading weiter auslotet. Man ist hier in den letzten zwei Jahren keinen Zentimeter wirklich voran gekommen, zumindest aus deutscher Sicht. Dabei wäre das

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wirklich ein hervorragendes Finanzierungsinstrument bzw. Co-Finanzierungsinstrument, um solche Investitionen zu machen.

Marion von Haaren

Das ist also ein marktwirtschaftliches Instrument, wo man nicht eine weltweite Verordnung erläßt und sagt: weltweit darf es nur so und soviel sein, ihr müßt das einhalten, das gibt sonst Bußgelder oder Strafen. Man muß vielmehr marktwirtschaftlich handeln. Herr Müller, wie weit sind denn da die Vorbereitungen? Gibt es weitergehende Überlegungen dazu oder arbeitet man in Frankfurt schon an einer solchen Börse?

Michael Müller

Nein, aber diese Debatte gibt es ja schon seit längerem. Es geht da um „joint implementation„ oder um Handel von Emissionsrechten. Zu solchen Überlegungen muß man aus meiner Sicht im Sinne einer internationalen Kooperation – ohne jedes einzelne Instrument jetzt gleich gutzuheißen – grundsätzlich Ja sagen. Aber es muß eine klare Grundlage geben, und es darf nicht dazu führen, daß sich das einzelne Land seinen Verpflichtungen völlig entzieht. Es kommt also darauf an, wie die Instrumente ausgerichtet sind.

Wir sind der Auffassung, jedes Land muß ein bestimmtes Maß an Eigenleistung bei der Emissionsreduktion erbringen. Was darüber hinaus ist, kann man über solche Mechanismen regeln. Aber bisher sind wir noch sehr wenig weit in diesen Fragen, denn in der Regel gibt es im Augenblick international ein Gefeilsche, um möglichst gar nichts zu tun.

Man muß zum Beispiel mal ein bißchen die amerikanischen Motive sehen. Die USA versuchen mit solchen Strategien, sich selbst vom Klimaschutz zu befreien. Zum Teil rechnen sie da ihre Wälder ein als Beitrag zum weltweiten Klimaschutz und sagen: Wir haben so viele emissionsabbauende Wälder, wir haben eigentlich noch viele Gutschriften, um noch mehr CO2 zu produzieren. Solche Argumente hört man da. Was da abläuft ist zum Teil sehr, sehr problematisch. Wir versuchen jetzt, auf den Klimakonferenzen einen nächsten Schritt zu machen, daß man sich auf einen einheitlichen Standard einigt. Wenn das geht, dann kann man auch solche Instrumente anwenden.

Marion von Haaren

Herr Klimmt, es geht ja offenbar um einen Mix von Instrumenten, sowohl national als auch international. Wir haben jetzt ein bißchen kreuz und quer diskutiert anhand verschiedener Felder. Bei dem einen überwiegt eigentlich mehr der Wunsch nach Freiwilligkeit, das heißt, auf marktwirtschaftliche Instrumente zu setzen. Bei der Politik hier am Tisch verstehe ich, daß es zumindest bei Herrn Müller etwas stärkere Regulierungen geben soll. Wie stellen Sie sich das in der Perspektive vor? Wir können theoretisch ja auch sehr schnell damit konfrontiert werden, daß wir feuerwehrmäßig eingreifen müssen. Die globale Situation im Bereich Natur/Umwelt ist ja ziemlich düster. Die Ereignisse vor 14 Tagen, die Zunahme der Hurrikans, die Zunahme der Überschwemmungen; Naturkatastrophen werden häufiger und gravierender, die Versicherungswirtschaft reagiert mittlerweile darauf mit horrend hohen Prämien. Ein bißchen ketzerisch:

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Können wir uns solche Diskussionen noch lange leisten oder muß es nicht auch von Seiten der Politik eine Art Soforthilfeprogramm geben, wo man sagt: Das muß alles schneller gehen.

Minister Klimmt

Es gibt ja eine ganze Reihe vernünftiger Ziele. Jetzt geht es darum, sie so umzusetzen, daß die Menschen bereit sind, diesen Weg mitzugehen. Bei unserem heutigen Thema über den Zusammenhang von Ökologie und ökonomischem Erfolg, das heißt Arbeitsplätze und gleichzeitig ökologische Nachhaltigkeit, gibt es meines Erachtens viele Dinge, die man praktisch tun kann und praktisch tun muß.

Nehmen wir nur die Energieversorgung. Da besteht Einigkeit über die Notwendigkeit der weiteren Förderung der regenerativen Energien. Gleichzeitig müssen wir etwa die Forschungsarbeiten bei der Brennstoffzelle intensivieren oder auch traditionelle Technologien weiter entwickeln. Es ist ja leider nicht so, daß wir sagen könnten, in 10 oder 20 Jahren werden überall auf der Welt Solaranlagen oder Windkraftanlagen uns hinreichend mit Energie versorgen. Bedenken wir, daß die Steinkohle der wohl am längsten reichende traditionelle Energieträger ist. Unsere weltweit führende Steinkohletechnologie ist weiter zu entwickeln, auch etwa die Abbautechnik. Das ist ökologisch verantwortlich zu machen und hat dann die Chance, durchaus auch in einem Bereich wie der Steinkohle, den viele schon abgeschrieben haben, Ökonomie und Ökologie in Einklang zu bringen.

Weitere Chancen liegen beim Verkehr. Wir haben bei der Entwicklung moderner Technologien in der Kommunikationsgesellschaft mit der Telematik einen Wachstumsmarkt vor uns, der Schadstoffemissionen, Verschwenden von Energie, Zeit und anderen Ressourcen zu vermeiden erlaubt, wenn man etwa mit Informationsübermittlung per elektronischer Steuerung dazu beiträgt, daß der Verkehr flüssiger wird. Wenn so etwas praktischen Nutzen bringt, dann ist und wird es auch ein ökonomischer Erfolg. Ich denke gerade daran, wie 1990 Markus Meckel noch herumgelaufen ist mit einem tragbaren Telefon, das war ein richtiger Koffer. Mit dem war der damalige Außenminister der ehemaligen DDR immer erreichbar. Wenn es geklingelt hat, haben wir immer gesagt: Jetzt ruft Gorbatschow oder Reagan an, und dann ging der Markus Meckel mit seinem Riesenkoffer raus, um seine wichtigen Staatsgeschäfte zu regeln. Heute läuft jeder mit immer kleiner werdenden Handys herum. Was sich in den letzten zehn Jahren in dem Bereich der Telekommunikation getan hat, ist unglaublich, weil die Leute das auch tatsächlich wollen. Damit sind eine ganze Reihe von anderen technischen Innovationen verbunden, die, wie die Satellitensysteme, wie das GPS-System, in der Lage sind, uns zu helfen und gleichzeitig ein ökonomischer Erfolg sein werden. Nur ist GPS halt USA. Und deswegen machen wir jetzt mit dem Galileo ein europäisches Programm, wo auch deutsche Unternehmen …

Marion von Haaren

Hört sich auch viel schöner an.

Minister Klimmt

Ja, Galileo, das ist wie Aufklärung der See, das ist wirklich etwas Wunderbares. Das Programm

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wird uns dann auch ökonomische Chancen eröffnen und gleichzeitig helfen, den Verkehr etwas besser zu bewältigen. Denn auf Mobilität, einfach so zu solch schönen Kongressen wie dem heutigen zu reisen, wird ja von uns keiner verzichten wollen. Wir wollen uns berühren können. Man kann das natürlich alles irgendwann auch über die Glotze machen, die hier ja auch heute beteiligt ist, und viele sind dann auch erfreut, daß sie das hier mitverfolgen können. Aber miteinander nachher noch reden zu können, ist schon noch ein besonderer Wert. Das heißt, Mobilität ist einfach ein Bestandteil unserer Gesellschaft, wir müssen sie nur vernünftig organisieren.

Marion von Haaren

Noch eine abschließende Frage. Mobilität ist ja auch Reiseverkehr, ist Reisen machen. Der Anstieg der Flugreisen in den letzten Jahren, gerade bei den Deutschen, ist ja sehr deutlich zu spüren. Wir hören immer davon, daß die Leute weniger im Portemonnaie haben. Bei den Reiseveranstaltern merkt man das merkwürdigerweise nicht. Ich habe oft den Eindruck, daß die Flugreisen sehr billig sind. Ist das nicht auch Ihre Meinung? Ich meine jetzt nicht unbedingt den Hotelaufenthalt, sondern insbesondere die Flugreise. Wenn ich mir angucke, wie die Bahnpreise sind, und wenn ich dann mal so vergleiche, was eine Flugreise kostet nach Mallorca, dann wundere ich mich doch sehr darüber, was es da für eine Verzerrung gibt.

Minister Klimmt

Also, Sie haben wirklich schwierig angefangen, und jetzt hören Sie auch noch schwierig auf.

Marion von Haaren

Ja, immer zu den Lustthemen, Herr Klimmt, ist doch klar.

Minister Klimmt

Jetzt werde ich richtig in die Zange genommen. Also, ich wünsche und gönne das den Menschen bei uns, daß sie Urlaub machen können auch in den Gefilden, wo sie Sonne sicher haben. Als allgemeinen Punkt sage ich nur, daß wir selbstverständlich den Wettbewerb der Verkehrsträger so organisieren müssen, daß Belastungen und Entlastungen so verteilt sind, daß es zu einem fairen Wettbewerb kommt. Und mehr kriegen Sie aus mir jetzt nicht heraus.

Marion von Haaren

Sie haben das so allgemein gesagt, da kann man so viel darunter verstehen, unter dieser Antwort, Herr Klimmt. Es wäre schön, einfach zum Abschluß, wenn Sie uns noch irgend etwas mitgeben, worauf wir uns einstellen können. Kerosinsteuer zum Beispiel, wie ist das bei Ihren europäischen Verkehrsministern? Sind die da taub auf dem Ohr, oder gibt es Verständnis dafür?

Minister Klimmt

Das wird ja überall diskutiert. Aber ich bin als Bundesverkehrsminister hier, bei Kerosinsteuer und solchen Dingen hat der Finanzminister die entsprechende Hoheit. Ich sage Ihnen, mir geht es um einen fairen Wettbewerb. Und mein Ziel ist es und auch das Ziel der Bundesregierung, daß im Bereich der Nahverkehre der ÖPNV gestärkt und nicht geschwächt wird. Und daß

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gleichzeitig die Schiene gestärkt und nicht geschwächt wird. Das sollte Ihnen reichen, weil damit die grobe Linie vorgegeben ist, nämlich ökologisch verantwortliche Verkehrspolitik umzusetzen, so wie sie in der Koalitionsvereinbarung beschrieben ist.

Marion von Haaren

Herr Klimmt, ich bedanke mich ganz herzlich, daß Sie hier waren und stellvertretend für die Bundesregierung diesen schwierigen Part übernommen haben, weil der Bundeswirtschaftsminister verhindert war.

Jetzt zu allgemeinen Fragen.

Bartelt (Bundesverband Windenergie)

Frau von Haaren, Sie haben am Anfang gefragt: Warum kommen denn Köpfe von bestimmten Spitzenverbänden nicht hierhin? Unser Verband hat es geschafft in den letzten 15 Jahren, gegen die massive Gegenwehr von einigen dieser Herren, die hier heute nicht gekommen sind, 20.000 Arbeitsplätze zu schaffen. Mit Sonnenenergie, Wasserkraft, Biomasse und Geothermie sind es sogar 30.000 Arbeitsplätze. Wir schaffen aber zur Zeit erst 2 Prozent des gesamten Strombedarfs, haben aber 17 Prozent der Arbeitsplätze, das heißt etwa achtmal soviel wie im gesamten konventionellen Bereich. Trotzdem ist es laut einer ganz neuen Studie des Wuppertal-Instituts möglich, in den nächsten 50 Jahren sogar 100 Prozent der gesamten Energie aus diesen erneuerbaren Energien herzustellen, die immer da sind, die nie zu Ende gehen. Mit einer erheblich größeren Zahl von Arbeitsplätzen. Ich lasse mal offen, ob das achtmal mehr sind oder dann fünf- oder viermal, wenn wir auch sehr effizient sind. Man kann die, die heute nicht da sind, so schlecht fragen, warum sie nicht da sind. Aber ich würde gerne Herrn Putzhammer fragen – mir hat Ihr Statement heute gut gefallen – warum ist bei den Gewerkschaften zur Zeit so ein starker Trend gegen den Einstieg in die erneuerbaren Energien und für die Wahrung dieser alten, gefährlichen und arbeitsschwachen Energien?

Heinz Putzhammer

Die Tatsache, daß die Gewerkschaften auch diese Veranstaltung maßgeblich vorbereitet haben, zeigt ja schon, daß wir sehen, daß wir an der Stelle etwas tun müßten. Ich sage mal zur Einleitung, wie die Situation bei den Gewerkschaften ist, denn man muß da ja niemandem etwas vormachen. Gewerkschaften sind Mitgliedsorganisationen. Sie können Politik nicht in Talkshows machen, sondern alles, was wir fordern, und vor allen Dingen, wenn wir es auch durchsetzen wollen, muß mit den Mitgliedern abgestimmt sein und muß auch den Interessen der Mitglieder entsprechen. Das macht unsere Stärke aus. So. Deswegen ist natürlich klar, daß es je nach Beschäftigungsbereichen auch teilweise differenzierte Ansichten über die Notwendigkeit der Beibehaltung von Arbeitsplätzen, der Beibehaltung von Industrien, aber auch der Änderungspotentiale in diesen jeweiligen Industrien gibt. Und vor dem Hintergrund sehe ich natürlich, daß bis zum jetzigen Zeitpunkt auch die Tatsache der millionenfachen Arbeitslosigkeit dazu beigetragen hat, daß die Leute, die noch einen Arbeitsplatz haben, dann besonders erpicht darauf sind, daß sie ihren Arbeitsplatz nicht verlieren. Das erschwert erst einmal unsere

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Argumentation gegenüber den Arbeitsplatzbesitzern.

Aber auf der anderen Seite – und das ist genau der Versuch auch mit dieser Tagung, mit diesem ganzen Programm – ist das auch die Chance für eine neue Diskussion, weil wir überzeugt sind, daß das Arbeitsplatzproblem nur zu lösen ist, wenn man nicht sich bemüht, Altes um jeden Preis zu erhalten, sondern wenn man sich bemüht, neue Regelungen hinzukriegen, neue Beschäftigungsfelder zu entdecken und den Übergang zu neuen Beschäftigungsmöglichkeiten in sozial verträglicher Weise zu organisieren. Dann haben wir die Mitglieder auf unserer Seite, und dann sind wir stärker als wenn nur ein paar Funktionäre, ob das ich bin oder sonst irgend jemand ist, vor Mikrophonen große Töne spucken würden. Deswegen kommt es darauf an, daß wir diese Diskussion mit unseren Mitgliedern unter Berücksichtigung der Interessen unserer Mitglieder führen, aber da ist mir nicht bange. Immer mehr setzt sich eben die Erkenntnis durch, daß große Beschäftigungspotentiale gerade darin liegen, daß wir uns auf den Strukturwandel einlassen, daß wir auch neue, innovative Formen von Beschäftigungsmöglichkeiten, von Investitionen und so weiter unterstützen. Da nehmen wir unsere Mitglieder mit, und das würde uns, glaube ich, auch noch mehr stärken.

Christoph Egli

Mich hat an der Diskussion gestört, daß Sie in Bezug auf die Frage, wie neue Arbeitsplätze geschaffen werden könnten, nur von Industrie geredet haben. Sie haben nur davon geredet, deutsche Industrieprodukte in die ganze Welt zu verkaufen. Aber jeder, der sich damit beschäftigt, wird doch sagen, daß Sie mit klassischen Industrieprodukten in Deutschland keine neuen Arbeitsplätze mehr werden schaffen können. Ich hätte gern eine Antwort darauf, wie neue Arbeitsplätze in Verbindung mit Umwelt geschaffen werden können. Denn nur mit klassischer Industrieprodukten sehe ich dafür keine Möglichkeit.

Karl-Heinz Barz

Ich versuche mal, darzustellen, wie wir uns darauf eingestellt haben. Wir haben uns vor zwei Jahren entschieden, daß wir mehr ein Know-how-orientiertes und Service-orientiertes Unternehmen werden wollen, weil wir glauben, daß man mit den Arbeitsbereichen, wie wir sie in der Bundesrepublik haben, nur sehr hochwertige Leistungen exportieren kann. Im Inland den Wettbewerb, den kennen Sie, das brauche ich nicht auszuführen. Wir und andere auch sind tätig im Software-Bereich, Stichwort Energy Trading. Wenn Sie einmal Kunde werden von Yello-Strom – ich will keine Werbung machen –, so steht dann da ein Software-System dahinter, das Ihnen am Schluß eine Rechnung schreibt. Denn das Hauptinteresse von Yello-Strom ist, Ihnen eine Rechnung zu schicken und Geld dafür zu nehmen. Solche Systeme zu entwickeln ist natürlich eine Aufgabe, die auch die deutsche Industrie macht.

Oswald Richter

Ich habe hier gehört, daß der Schienenverkehr und der ÖPNV gefördert werden sollen. Die Frage nach den hohen Fahrpreisen bei der Bahn wurde angesprochen. Vor fünf Jahren ist die Bahnreform mit dem erklärten politischen Ziel,

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mehr Verkehr auf die Schiene, mit großem Brimborium gestartet worden, Reichsbahn und Bundesbahn wurden privatisiert. Wenn man jetzt Bilanz zieht nach fünf Jahren, muß man feststellen, die Bahn hat Marktanteile verloren. Das politische Ziel der Bahnreform ist völlig verfehlt worden. Und in der zweiten Stufe Bahnreform, wie sie seit Anfang des Jahres realisiert wird, kommt immer mehr zum Tragen, daß insbesondere eine große Problematik bei der Bahn existiert, und das ist die Fahrwegfinanzierung. Sprich, die Transportgesellschaften, wie sie jetzt so nett heißen, Reise- und Touristik für den Fernverkehr, DB Regio für den Nahverkehr oder auch private Bahngesellschaften, die ja sich jetzt im regionalen Bahnmarkt tummeln, was ja durchaus aus Sicht des Wettbewerbs begrüßenswert ist, müssen Trassenpreise an die Bahn AG, an die Netz AG zahlen. Und diese Netzpreise sind in Deutschland exorbitant hoch im Vergleich zu anderen Ländern. Es gibt Länder wie Dänemark oder Holland, da sind sie sehr niedrig oder kaum vorhanden. Und wenn ich als Busunternehmer bei uns quer durch Deutschland fahre, dann zahle ich zwar meine Fahrzeugsteuern und meine Mineralölsteuern, aber ich zahle keinen Trassenpreis, wenn ich von Berlin nach München mit dem Bus unterwegs bin, im Gegensatz zur Bahn. Die Frage ist: Wie können wir wirklich das Ziel, mehr Verkehr auf die Schiene zu bringen, verwirklichen und dieses Problem gleichzeitig lösen?

Michael Müller

Wir haben ein Grundproblem, das im Augenblick nur bei der Energieversorgung aufgebrochen ist, nämlich: Wie kann man unter den Bedingungen von Globalisierung und liberalisierten Märkten solidarische Infrastruktur, solidarische Daseinsvorsorge organisieren? Dieses Problem wird sich in der nächsten Zeit genau so zeigen bei der Wasserwirtschaft, bei ÖPNV, bei den Sparkassen, im Gesundheitssystem etc. Wir haben deshalb auf Druck der beiden Koalitionsfraktionen und in Zusammenarbeit mit der ÖTV eine Arbeitsgruppe gebildet, um folgendes zu versuchen: 1. auf europäischer Ebene Initiativen zu ergreifen, damit diese Fragen in der Zukunft anders geregelt werden können, also sehr viel stärker unter dem Gesichtspunkt der Absicherung von sozialer Daseinsvorsorge bzw. von solidarischen Infrastrukturleistungen, und 2. Wir wollen definieren, welche Initiativen wir heute in der Bundesrepublik brauchen, um diese Bereiche absichern zu können.

Derzeit diskutieren über mehr als 50.000 Arbeitsplätze, die in der Energiewirtschaft und insbesondere bei den Stadtwerken durch die Liberalisierung des Strommarktes abgebaut werden. Das ist keine Kleinigkeit. Das heißt, wenn wir es nicht hinkriegen, entweder andere Übergangsregelungen oder andere Handlungsmöglichkeiten der öffentlichen Hand zu schaffen, dann wird das ein großes beschäftigungspolitisches Problem, und vor allem auch eine wachsende Ungleichheit in der Versorgung unterschiedlichster Regionen. Dann kriegen wir Verhältnisse wie in einigen anderen Ländern, wo bestimmte öffentliche Serviceleistungen in großen Städten billig sind, aber im ländlichen Bereich überaus teuer werden.

Marion von Haaren

Kann man vielleicht noch etwas sagen zur Verschiebung der Marktanteile? Was kann denn die

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Politik im Moment tun, wie kann sie gegensteuern, damit die Bahn wieder mehr Marktanteile bekommt?

Michael Müller

Zum ÖPNV: Nicht nur wegen der Quersubventionierung, die ja jetzt sehr gefährdet ist, wäre der beste Weg, wenn man einen Teil der Ökosteuer nimmt, um die öffentlichen Verkehrssysteme zu finanzieren. Ich glaube, daß es keinen anderen sinnvollen Weg gibt. Ich habe es auch innerhalb der Umweltbewegung immer für falsch gehalten, von einer strikten Aufkommensneutralität zu reden. Ich war stets der Auffassung, daß ein Teil des Öko-Steuer-Aufkommens sehr viel sinnvoller eingesetzt werden sollte für ökologische Innovationen und zur Förderung von Investitionen in bestimmten Bereichen. Jetzt gibt es da ein leichtes Umdenken, denn wir stehen vor dem Problem, daß, wenn der Trend so weitergeht, uns etwa drei Milliarden DM fehlen, nur um die heutige Struktur des öffentlichen Nahverkehrs aufrecht zu erhalten. Deshalb muß man an diese Frage heran. Es darf nicht sein, daß unter einer rot-grünen Bundesregierung der ÖPNV zurückgeht. Das darf nicht sein. Dasselbe gilt auch für die öffentlichen Fahrstrecken. Wir sind da in einer ähnlichen Debatte. Zudem gibt es da auch noch andere, nicht nur ökonomische Fragen.

Loni Ackermann

Ich lebe in Berlin, Prenzlauer Berg. Meine erste Frage geht an den Veranstalter: Welche Anstrengungen wurden unternommen, damit die Frauenquote auf dem Podium erreicht wäre? Ich meine dabei nicht Frau von Haaren, das ist ja eine Arbeiterin. Ich meine die Darstellerquote.

Meine zweite Bemerkung wäre an den Verkehrsminister gewesen, aber ich glaube, daß sie vielleicht auch in der Fraktion der Sozialdemokraten ganz gut aufgehoben wäre. Es werden neuerdings Mordgeschosse für den öffentlichen Verkehr auf den Straßen der Bundesrepublik verkauft, Motorräder, die über 320 km/h fahren. Inzwischen gibt es Berichte von Polizeibeamten, die diese Begräbnisstätten nach einem Unfall dann analysieren müssen, die entsetzlich sind. Gibt es irgendwelche Absichten, diese Todesgeschosse von den öffentlichen Straßen fernzuhalten?

Meine dritte Bemerkung ist die: Wie lange will mir diese Bundesrepublik und dieses Europa zumuten, daß ich energietechnischen Wahnsinn einkaufen muß, nämlich eine Flasche Wasser aus der Türkei und den Blumenkohl aus Sizilien?

Marion von Haaren

Herr Putzhammer, jetzt sind Sie dran. Warum haben Sie zu wenig Frauen hier auf dem Podium?

Heinz Putzhammer

Das gehört inzwischen sozusagen zur Grundausrüstung, daß man bei Veranstaltungen immer überlegt, es muß doch möglich sein, noch ein paar weibliche Teilnehmer, sowohl bei den Referenten, als auch bei den Diskutanten, auf dem Podium einzusetzen. Es ist halt schwierig. Ich kann nur sagen, wir haben es probiert. Und letzten Endes sind die übrig geblieben, die übrig ge-

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blieben sind. Schuldbewußt muß ich das zugeben.

Marion von Haaren

Wir hatten von Frau Ackermann noch eine Frage nach den Mordgeschossen, Motorräder mit 320 km/h. Herr Barz, Sie sind doch immer für die Freiheit der Entwicklung und der Ingenieure und Konstrukteure. Vielleicht sagen Sie uns mal was dazu.

Karl-Heinz Barz

Ich würde meinem Sohn verbieten, ein solches Motorrad zu kaufen.

Marion von Haaren

Aha. Aber Sie würden nicht verbieten, daß es konstruiert und verkauft wird.

Karl-Heinz Barz

Ich habe dazu ein schwieriges Verhältnis. Ich kann mir nicht vorstellen, daß es Spaß macht, mit solch einem Geschoß durch die Gegend zu fahren mit dieser Geschwindigkeit. Motorrad fahren ist sicherlich schön, aber da soll man auf einem Chopper sitzen, da gibt es wunderbare Maschinen, wo man auch noch die Landschaft betrachten kann. Irgendwo ist das perfide oder pervers, mit solchen Maschinen zu fahren.

Marion von Haaren

Ja, der schöne Spruch, den wir hatten in den 60er Jahren, „Freie Fahrt für freie Bürger„, beinhaltet das offenbar auch. Danke schön, Herr Barz. Wir merken, daß Sie da doch etwas nachdenklich geworden sind. Wir hatten eine weitere Frage von Frau Ackermann, und die hieß: Können wir uns Europa noch leisten, wenn das Tafelwasser aus der Türkei angeschleppt wird? Das bezieht sich auf eine Diskussion der letzten Jahre. Sie erinnern sich an den bekannten Joghurtbecher, der auch durch ganz Europa reiste, bis er dann schließlich für 70 Pfennig bei uns im Supermarkt landet.

Prof. Dr. Engelhardt

Das hängt wirklich ganz klar vom Verhalten der Verbraucher ab. Wenn die Leute im Supermarkt deutsches Tafelwasser kaufen, dann werden die Regale wahrscheinlich in Kürze eben nur noch solches enthalten. Aber da kann man sich ja den Mund fransig reden. Die Leute schimpfen zwar in einem fort über die holländischen Matschtomaten, aber sie kaufen sie, sonst wären sie längst nicht mehr in den Supermärkten. Wir, die Umweltverbände, tun seit Jahren, seit Jahrzehnten alles auf diesem Sektor, was möglich ist, durch Information. Mehr kann man nicht machen. Man kann die Leute nicht zwingen. Aber ich komme zurück zu dem Beispiel der Matschtomate. Es wird darüber geschimpft, daß die nach nichts schmeckt. Das ist Tatsache. Aber sie wird gekauft, weil sie ein paar Pfennige billiger ist als die vom Ökobauern. Wenn sie nicht gekauft würden, was glauben Sie, wie schnell die aus den Supermärkten verschwinden würden.

Marion von Haaren

Dieser Konflikt ist einfach da. Das Problem ist natürlich: Haben wir im Handelsbereich wirk-

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lich Strukturen, die eine solche verschwenderische Form begünstigen, oder gibt es da auch Möglichkeiten, hier ein wenig stärker steuernd einzugreifen, zum Beispiel Vertriebswege zu öffnen, andere Möglichkeiten zu schaffen?

Prof. Dr. Engelhardt

Diese Strukturen haben wir nicht. Wir praktizieren eine freie Marktwirtschaft, möglichst eine soziale dazu, und eine ökologische, wie wir wünschen. Aber das ist ja ein Prinzip der Marktwirtschaft.

Marion von Haaren

Also gibt es schon einen gewissen Nachbesserungsbedarf.

Prof. Dr. Engelhardt

Wenn Sie so wollen.

Marion von Haaren

Ich habe die Frage auch so ein bißchen als einen Aufruf verstanden, daß sich der DNR auch dieser Struktur noch mal verstärkt annimmt, denn die Diskussion wird ja heute immer beherrscht von Atomkraft und Energie, aber das, was die Leute jeden Tag einkaufen, wie sie konsumieren, das ist natürlich auch eine ganz zentrale Frage, die heute zu kurz kam.

Michael Müller

Ich arbeite im Seniorenarbeitskreis der IG Metall in Berlin und komme zu einem globalen Punkt. Dort hängt unser Globus an der Wand. Unser wunderbares Raumschiff Erde. Dieses Raumschiff saust seit 105 Mrd. Jahre durch die Welt mit den Sonnensystemen. Dieses Raumschiff ist in den letzten 100 Jahren so verschandelt worden, und wir haben es selber so ausgebeutet, daß es Zeit wird, daß dieses schöne Raumschiff Erde mal ins Dock gefahren wird, um es zu reinigen. Nicht nur das. Auch die schweren Erdgase, die wir dauernd in die Luft jagen, müssen verhindert werden. Und ferner müßte das Raumschiff Erde ins Dock gehen, weil die sogenannten fossilen Brennstoffe eines Tages zu Ende sind. Im kommenden Jahrhundert noch nicht, aber danach wird es bald so sein, daß wir keinen fossilen Brennstoff mehr haben. Das heißt, der größte Teil der vorhandenen fossilen Brennstofflager müßte gesperrt werden, müßte versiegelt werden.

Helmut Horst (Naturfreundeverband für Umweltschutz, Touristik und Kultur)

Unser Verband hat vor einem Jahr seinen dreijährig stattfindenden Kongreß abgehalten, und da hat der DGB-Vorsitzende Schulte ein ziemlich flammendes Plädoyer dafür gehalten, Arbeit und Umwelt miteinander zu verbinden. Er hat auch sehr gute Argumente gebracht. Ich dachte, das wäre alles wieder in der Versenkung verschwunden. Aber jetzt, ein Jahr später, ist dieser Kongreß ja zustande gekommen, und dafür bin ich dankbar. Ich hoffe aber, daß nun auch dieses Bündnis für Arbeit auch in Zukunft „Bündnis für Arbeit und Umwelt in der Bundesrepublik„ heißt, und daß auch die Probleme der Umwelt dort behandelt werden. Meine Frage, ob das auch so geplant wird oder ob das nur eine Annahme von mir ist.

[Seite der Druckausg.: 69 ]

Zweite Frage: Der Verkehrsminister Meyer, SPD, aus Brandenburg hat jetzt seine neue Amtszeit angetreten, im Bündnis mit der CDU, indem er nicht nur ein flammendes Plädoyer für den Transrapid, also für diese revolutionäre Technik gehalten hat, sondern auch forciert den Ausbau der Straßen, der Bundesstraßen und der Landesstraßen, in Brandenburg gefordert hat. Wie kann man vom Bündnis für Arbeit auf einen der Arbeiterbewegung nahestehenden Minister einwirken, daß er nicht solch einen Unsinn verzapft und jetzt mit Hilfe der CDU in Brandenburg eine rückwärts gewandte Politik einleitet? Herr Klimmt hat hier dreimal gesagt, daß er dagegen hier Front machen müsse, daß Leute das Auto abschaffen wollen. Niemand in diesem Saal hat das gefordert, er hat also viel Zeit für solche Argumente vergeudet. Ich hätte mir gewünscht, er hätte etwas gesagt zur Koalitionsvereinbarung zwischen Grünen und SPD, wo ja sehr viele sinnvolle Sachen zum Verkehr drin stehen, aber wo die Bundesregierung nach einem Jahr eigentlich noch nichts anzubieten hat. Meine Frage daher an Herrn Müller, ob denn seine Fraktion darauf dringt, daß dieser Koalitionsvertrag wenigstens eingehalten wird. Ich will nur ein Beispiel nennen. Es ist vereinbart worden, daß der Bundesverkehrswegeplan überprüft werden soll mit dem Ziel, den Verkehr zu verlagern auf Schiene und Wasserstraßen. Das würde ja, wenn der Herr Meyer in Brandenburg das Gegenteil fordert, daß also noch mehr Straßen gebaut werden, kontraproduktiv sein. Aber auf Bundesebene scheinen da bisher noch keine Fortschritte erzielt worden zu sein. Die Grünen haben ja nicht mehr durchdrücken können als eine Wettbewerbsgleichheit zwischen Schiene und Straße. Es wäre eigentlich erforderlich gewesen, daß die Schiene bevorzugt wird. Aber jetzt ist es in den Planungen so, daß auch in den nächsten Jahren mehr Investitionsmittel für den Straßenverkehr ausgegeben werden als für die Eisenbahn. Wie geht das zusammen?

Marion von Haaren

Herr Horst hat gefragt: Das Bündnis für Arbeit und Umwelt, ist es denn jetzt fest geplant? Ich habe immer von einem anderen Bündnis gehört, vom „Bündnis für Arbeit, Ausbildung und Wettbewerb„. Herr Putzhammer, vielleicht können Sie das noch mal aufklären. Welches Bündnis haben wir denn?

Heinz Putzhammer

Es geht nicht darum, daß der Name geändert wird, sondern das ist eine Frage der Inhalte. Und da lege ich schon Wert auf die Feststellung, daß wir nicht erst mit der heutigen Veranstaltung, sondern seit längerem vorbereitet es geschafft haben, daß die Frage „Arbeit und Umwelt„ in diesem „Bündnis für Arbeit, Ausbildung usw.„ an prominenter Stelle mit gehandelt wird. Weil wir uns davon versprechen, daß das Ding dadurch auch neuen Schwung gewinnen kann. Weil wir uns davon versprechen, daß da eine Dimension hereinkommt, die bisher vernachlässigt worden ist.

Marion von Haaren

Dann war die Frage: Verkehrsminister Meyer, Brandenburg, was macht der? Ist Sozialdemokrat und baut immer mehr Straßen. Das ist aber fast unanständig. So habe ich Herrn Horst ver-

[Seite der Druckausg.: 70 ]

standen. Herr Müller, da müssen Sie jetzt wieder herhalten.

Michael Müller

Ich heiße Müller und nicht Meyer, aber trotzdem. Der bisherige Bundesverkehrswegeplan ist sehr korrekturbedürftig, wir haben diesen Aspekt auch in der Koalitionsvereinbarung angesprochen. Hierzu gibt es im Moment eine Arbeitsgruppe, die unter der Vorgabe auch ökologischer Kriterien demnächst Ergebnisse liefern wird. Ich weiß nicht, ob sich durch den soeben vollzogenen Wechsel im Verkehrsministerium im Zeitplan etwas ändert, aber es ist vorgesehen, Anfang 2000 die Arbeit am Bundesverkehrswegeplan zu beginnen mit dem klaren Ziel einer Verlagerung Richtung Schiene. Das hat übrigens Minister Klimmt vorhin ja auch gesagt. Insofern muß ich jetzt um ein bißchen Verständnis bitten, denn wir müssen bis Anfang des Jahres warten, dann sind die Vorarbeiten da.

Michael Müller

Wobei man natürlich fairerweise sagen muß, daß gerade bei der Auseinandersetzung über Straßen die Leute sehr gespalten argumentieren. Man will mehr Straßen haben, um schneller anzukommen, aber man will nicht den störenden Verkehr in seiner unmittelbaren Umgebung haben. Ich will das nur mal ein bißchen zur Relativierung sagen. Auf diese Widersprüchlichkeit in den Einstellungen muß man hinweisen. Man spaltet sich gern auch schon mal auf als Verkehrskonsument einerseits und als jemand, der dann auf die hehren Umweltziele achtet. Herr Horst, Sie haben gefragt, was ist aus der Koalitionsvereinbarung von Rot-Grün geworden? Herr Müller, da sind Sie noch mal dran.

Michael Müller

Zum Verkehr. Ich habe ja gesagt, wir sind im Augenblick dabei, diese Veränderungen zu machen. Wobei, das wäre allerdings jetzt ein eigenes Thema, man sehr präzise auch mal über die Entwicklung des Verkehrs in der letzten Zeit reden muß, was sowohl auf der einen Seite beim LKW passiert, als auch auf der anderen Seite bei der Schiene. Das ist so negativ verfestigt, daß es auch nicht ganz einfach ist, zu Veränderungen zu kommen. Es sind nicht nur ökonomische Fragen, sondern Sie haben beispielsweise zunehmend das Problem beim Güterverkehr, daß die Hauptstrecken nur noch in begrenzten Zeiträumen von den langsam fahrenden Güterzügen benutzt werden können. Wir haben auf der einen Seite immer schnellere Personenzüge und auf der anderen Seite relativ langsame Güterzüge. Ich bin der Meinung, daß der Versuch in NRW, ein eigenes Streckennetz für den Güterverkehr aufzubauen, richtig ist. Solche Überlegungen müßten in Richtung Bundesgebiet erweitert werden.

Marion von Haaren

Darf ich da noch einmal einhaken, Herr Müller. Es ist ja eine relativ allgemeine Frage gewesen. Es ging um die Koalitionsvereinbarung Rot-Grün in Sachen Umwelt und Arbeitsplätze. Wenn ich Herrn Horst richtig verstanden habe, ich interpretiere das mal ein bißchen, könnte es sein, daß wir im Moment einen politischen Umschwung haben, der im Grunde genommen die

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Koalitionsvereinbarung zur Makulatur werden läßt.

Michael Müller

Ich habe da einen Trick, das will ich auch hier dann sagen. Ich hoffe, daß wir die Nachfolgekonferenz von Rio nach Deutschland kriegen, und dann wird der Druck so stark sein, daß wir auf jeden Fall mehr machen müssen.

Franziska Eichstätt (MdB, Fraktion Bündnis 90 / Die Grünen)

Einmal wollte ich mich bedanken, weil ich es toll finde, daß Sie mit der Veranstaltung der Regierung und auch unserer Koalition ins Gewissen reden und uns gleichzeitig unterstützen. Das finde ich sehr wichtig. Worauf ich hinweisen möchte: Es geht nicht nur darum, zu versuchen, über Umweltschutz Arbeitsplätze zu schaffen, sondern es geht zugleich auch um eine intensive Auseinandersetzung über die Wirtschaftsstrukturen. Es ist ja in mehreren Redebeiträgen auch angeklungen, daß wir die Regionalisierung und Dezentralisierung der Wirtschaftsstrukturen brauchen, und daß hinter der Umweltdebatte natürlich auch der Kampf der Großen gegen die Kleinen und Mittleren steckt. Daher glaube ich, daß eben nicht nur die Diskussion geführt werden muß um die Instrumente, die per se quantitativ Chancen bringen, um Arbeitsplätze zu gewinnen, sondern auch um weitere verkehrspolitische Instrumente: Es geht um den Abbau von umweltschädlichen Subventionen, beispielsweise bei den Trassenpreisen, wie eben erwähnt, beispielsweise bei Diesel oder Flugbenzin, und um vieles andere. Nicht nur aus verkehrspolitischen Gründen, nicht nur aus CO2-Minderungsgründen, sondern auch, weil wir ernsthaft die dezentralen und regionalen kleinteiligen Wirtschaftsstrukturen stärken wollen. Auch in der Energiewirtschaft haben wir das Problem des Kampfes der Großen gegen die Kleinen. Das wurde gerade auch bei dem Beitrag über Windenergie erwähnt. Die Erfahrung ist eindeutig, daß kleinere, dezentrale Strukturen deutlich auch mehr Arbeitsplätze schaffen.

Michael Zimmer (Deutscher Gewerkschaftsbund, Lingen)

Ich habe drei Fragen. Die ersten beiden richte ich an Herrn Müller, obwohl sie sich eigentlich an Herrn Klimmt wenden. Heute morgen hat Herr Trittin ganz kurz die ökologische Steuerreform angesprochen hat und hat dabei gelobt, daß dadurch ja die Lohnnebenkosten sinken. Nun wissen wir als Gewerkschaften, was soziale Gerechtigkeit ist. Und wir haben ja mitbekommen, daß die meisten Betriebe diese Ökosteuer nicht bezahlen. Und das halten wir nicht für sozial gerecht. Herr Müller, wie sehen Sie das denn? Das ist ein Aspekt, der meiner Ansicht nach noch mal neu überlegt werden muß, denn die kleinen Leute kriegen mit, daß im Grunde genommen sie die Ökosteuer bezahlen, zwar auch dann bei den Lohnnebenkosten den Vorteil haben. Die Betriebe aber werden ganz außen vor gelassen. Und das sehen wir nicht ein als Gewerkschaft.

Dann zur Privatisierung der Bahn: Kam die eigentlich zu früh? Ich weiß nicht, wo Herr Klimmt lebt. Er sagte ja, er wäre noch Landespolitiker, er sei ja gerade erst in die Bundespo-

[Seite der Druckausg.: 72 ]

litik eingestiegen. Bei uns in Lingen, also im Emsland, oder auch in der Grafschaft Bentheim wurden in diesem Jahr drei wichtige Interregio-Züge gestrichen, die von Amsterdam bis nach Berlin gehen, und im nächsten Jahr ist geplant, auf der gleichen Linie, wo jetzt wenigstens noch regionale Expreßzüge bis Hannover fahren, auch diese zu streichen. Da kann ich mir nur noch vorstellen, daß die Leute aufs Auto umsteigen. Und das angesichts der Expo, wenn viele Reisende aus Holland mit dieser Linie zur Expo kommen wollen. Die steigen natürlich alle aufs Auto um oder, was weiß ich, ins Flugzeug ein, – aber eben nicht mehr in die Bahn. Das sind die Dinge, die ich nicht mehr verstehe. Dabei müßte man ja genau hier ansetzen, wenn gesagt wird: Wir wollen mehr für die Bahn tun. Und wenn man was für die Bahn tut, also dieses Gleis aufrecht erhält, tut man ja gleichzeitig was für den Güterverkehr.

Dritte Frage, die geht an Herrn Barz. In Lingen an der Ems gibt es ein großes Kernkraftwerk, und der DGB-Kreisverband hat sich mal vor etlichen Jahren gegen diese Energiepolitik ausgesprochen. Nun ist dieses Kraftwerk aber da, und wir haben als Deutscher Gewerkschaftsbund natürlich um diese Arbeitsplätze zu kämpfen – zumindest, solange diese Arbeitsplätze vorhanden sind – wie um andere Arbeitsplätze auch. Ich frage Sie, Herr Barz, als Vorstandsmitglied einer großen Firma, die auch mit dieser Energie zu tun hat: a) Wie stehen Sie zu dem Entschluß der Bundesregierung, aus der Atomenergie auszusteigen? Unterstützen Sie das? Und b) sind Sie als Firma, bei uns wäre es die VEW, unser Energieversorgungsunternehmen, bereit, frühzeitiger als bei Kohle und Stahl Ersatzarbeitsplätze zu schaffen, wenn es denn heißt, Lingen geht in 20 Jahren vom Netz? Das ist auch eine Frage, die viele Mitarbeiter in den Kernkraftwerken verunsichert und die dann natürlich dagegen sind und sagen: Wir gehen auf die Straße, um unsere bestehenden Arbeitsplätze zu verteidigen. Wenn diese Kollegen aber wüßten, es käme was Sinnvolles nach Lingen, dann würden sie sich vielleicht auch noch mal anders entscheiden. Denn ich glaube nicht – ich bin selber von Beruf Röntgentechniker –, daß ein einziger Mitarbeiter lieber in einem Kernkraftwerk arbeitet als vielleicht in der Solarenergie.

Marion von Haaren

Ist die Energiesteuer sozial gerecht? Herr Müller, da haben Sie etwas fragend geschaut, weil Sie die Frage, glaube ich, nicht ganz verstanden hatten. Es geht wohl um die Belastung auf der einen Seite für die Unternehmen im Bereich Energiesteuern, und auf der anderen Seite für den kleinen Mann/die kleine Frau, die diese Steuer natürlich voll zahlen müssen. Ist das sozial ausgewogen und gerecht?

Michael Müller

Ich habe deshalb so geguckt, weil gesagt wurde, die Wirtschaft sei befreit worden. Das ist nicht so, sondern das war der ursprüngliche Plan. Es gibt jetzt zum Teil einen niedrigeren Satz, das ist richtig. Aber ursprünglich war die Planung, einen Teil der Industrie, 27 Branchen, völlig zu befreien, und wir haben es durch starke Anstrengung der Fraktion hingekriegt, daß das nicht passiert ist.

[Seite der Druckausg.: 73 ]

Nur, wenn Sie alle Länder in Europa, die mit der Ökosteuer angefangen haben, sehen, so waren die Belastungen für die Wirtschaft im deutschen Fall die vergleichsweise höchsten. Ich will das nicht als Entschuldigung anführen, sondern zur Erklärung. Dänemark und andere Länder haben sehr viel niedrigere Sätze und haben die Ökosteuer noch sehr viel stärker auf die Verbraucher ausgerichtet als in der Bundesrepublik. Zum anderen haben wir leider in dieser ganzen Debatte eine Menge lernen müssen, was wir vorher nicht gewußt haben: Beispielsweise war es die Absicht der Bundesregierung, die regenerativen Energien von der Ökosteuer zu befreien. Nur ist das in der Bundesrepublik nicht möglich, jedenfalls heute noch nicht, so lange wir eine klare Zertifizierung von Ökostrom haben. In Holland kann man befreien, denn dort wird die Energiesteuer beim Verbraucher angesetzt, während sie bei uns beim Kraftwerk läuft. Dort kann der Verbraucher den Antrag stellen auf Befreiung; das kann man hier beim Kraftwerk nicht machen. Da haben wir eine Menge gelernt. Oder ein anderer Punkt. Wir wollten sehr viel mehr Differenzierung. Dann hätten wir aber die Schwierigkeit gehabt, daß wir die schon heute gerade noch genehmigte Beihilfegrenze in den neuen Bundesländern überschritten hätten. Wir hätten dann also, wenn wir das durchgezogen hätten, Sonderregelungen geschaffen für die alten Bundesländer, die aber in den neuen Bundesländern nicht hätten gelten können.

Marion von Haaren

Stichwort Arbeitsplatzgarantie für die Beschäftigten im AKW/KKW Lingen. Herr Barz.

Karl-Heinz Barz

Ich kann natürlich nicht für die VEW sprechen, aber Sie haben ja auch nach meiner Meinung gefragt zum Ausstieg. Ich meine, die meisten Kernkraftwerke, die wir in der Bundesrepublik haben, sind hervorragend geeignet für Grundlast. Das steht, glaube ich, außer Zweifel. Wir als Unternehmen teilen überwiegend die Position des Wirtschaftsministers Müller und sind nicht der Meinung, daß man diesen Ausstieg so forcieren soll, wie von Herrn Trittin vorgeschlagen. Zu dem Thema „Arbeitsplatzgarantie für die betroffenen Mitarbeiter in Lingen„. Ich bezweifele, daß man über so lange Zeiträume von 20 Jahren überhaupt planen kann. Es soll jeder einmal zurückdenken, ob er hätte vorhersehen können, was in den letzten 20 Jahren passiert ist. Dann ist die einzige Alternative, die ich mir vorstellen kann, ein anderes Grundlastkraftwerk auf einer anderen Brennstoffbasis. Das ist das angestammte Geschäft der VEW. Und es würde auch den Standort Deutschland bestimmt stärken, wenn dann auch weiterhin in Deutschland Kraftwerke gebaut werden würden.

Dieter Hockel (Abteilungsleiter Wirtschaftspolitik, Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie)

Lieber Michael Müller, heute morgen hat der Umweltminister vorgeschlagen, Gas von der Öko-Steuer zu befreien. Unterstützt die SPD-Fraktion diesen Vorschlag? Herr Engelhardt, ist Ihnen klar, wenn das Gas von der Steuer befreit wird, daß dann im wesentlichen ausländisches Gas in Grundlastkraftwerken in Deutschland verbrannt wird und daß dann viele Stein-

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und Braunkohlekraftwerke auf Dauer im liberalisierten Markt nicht recht wettbewerbsfähig sein würden und Sie dann Ihre Vision von einer Unterstützung der Modernisierung in China auch ad acta legen könnten. Oder Herr Barz, sehen Sie das anders? Könnten wir ohne eine deutsche Basis bei den Stein- und Braunkohlekraftwerken auch in China weiterhelfen?

Thilo Kummer (PDS-Fraktion im Thüringer Landtag)

Wir haben heute bisher sehr viel über profitorientierte Sektoren des Umweltbereichs geredet. Was mir gefehlt hat, ist die Frage, wie sieht es denn mit dem Non-Profit-Sektor aus? Haben wir denn da auch schon irgendwelche Überlegungen, wie man in diesem Bereich zum Beispiel Arbeiten in der Renaturierung oder im Naturschutz, die ja dringend sind, staatlich fördern kann?

Marion von Haaren

Herr Putzhammer, wie sieht es mit dem Non-Profit-Sektor aus? In der Tat, wir haben uns ja heute nur darum bemüht, immer wieder zu gucken, was gibt es im Bereich Industrie und Dienstleistung für Möglichkeiten, Geld zu verdienen, Arbeitsplätze zu schaffen und der Umwelt zu dienen. Wie sieht es denn im staatlichen Bereich aus, was kann denn da noch passieren? Welche Wachstums- und Entwicklungsmöglichkeiten sind dort?

Heinz Putzhammer

Ich glaube nicht, daß man einen Unterschied machen sollte zwischen dem Non-Profit-Sektor und den anderen Sektoren. Ich glaube vielmehr, daß es um einen inhaltlich bestimmten Strukturwandel geht, zwischen einer alten Wachstumsphilosophie, die insbesondere abgestellt war auf einen starken Ressourcenverbrauch im Rahmen der Herstellung von Industrieprodukten, und der Entwicklung einer Gesellschaft, die versucht, Wohlstand auch anders zu definieren, die also versucht, neue Beschäftigungsfelder zu entwickeln, die gleichwohl marktförmig funktionieren können. Und letzten Endes ist es ja auch im öffentlichen Bereich so, ganz gleich, welche Dienste angeboten werden, ob es sich um Lehrer oder Kindergärtnerinnen oder um Polizisten handelt: sie leisten Arbeit, sie werden dafür bezahlt. Und das trägt zum Bruttosozialprodukt insgesamt bei. Die Aufgabe wäre nun, einen Strukturwandel einzuleiten, der mehr Wert legt auf die Bereiche, in denen die Beschäftigung und die Qualifikation von Menschen im Vordergrund stehen und in der weniger Wert gelegt wird auf die Zweige, in denen Waren, die mit großem Verbrauch von Ressourcen hergestellt worden sind, verbraucht werden. Nur wenn wir diesen Strukturwandel hinkriegen, läßt sich auf der einen Seite das Problem Umwelt und auf der anderen Seite das Beschäftigungsproblem lösen.

Helmut Röscheisen (Generalsekretär des Deutschen Naturschutzrings)

Es gibt einen Bereich bei unserem heutigen Themenkomplex, der ist bezeichnenderweise überhaupt nicht angesprochen worden, der überhaupt keine Finanzmittel erfordert, aber ein Umdenken. Und der doch ganz gravierend zum Thema Arbeit und Umwelt beitragen kann. Ich meine das Thema Subventionen. Jede nachhaltige Ge-

[Seite der Druckausg.: 75 ]

sellschaft ist dadurch ausgezeichnet, daß umweltschädliche Subventionen abgebaut werden.

Ich nenne zwei Beispiele. Wir haben in der Europäischen Union jedes Jahr 15 Mrd. US Dollar, die für die Atomenergie und die fossilen Energien bereitgestellt werden. Nicht einmal 10 Prozent davon, weniger als 1,5 Mrd. US Dollar, stehen für die erneuerbaren Energien bereit. Wenn man das jetzt ein paar Jahre lang umdrehen würde, bin ich sicher, daß die erneuerbaren Energien die Rolle spielen, die sie zukünftig spielen müssen. Die Europäische Kommission hat einen Plan, der sieht vor, den Anteil erneuerbarer Energie am Endenergieverbrauch bis zum Jahr 2010 von jetzt 6 auf 12 Prozent zu verdoppeln. Das schafft eine halbe Million zusätzlicher Arbeitsplätze in der Europäischen Union. Ein zweiter sehr zentraler Bereich: 80 Mrd. DM, das ist die Hälfte vom Budget der Europäischen Union, fließen jedes Jahr in den Bereich der Landwirtschaft. Was wird mit diesem Geld gemacht? Die heutige industrialisierte Landwirtschaft ist der Hauptverursacher der Zerstörung von Natur, der Ausrottung von Landschaften, der Vernichtung von Tier- und Pflanzenarten. Wenn es gelänge, mit diesem Geld den ökologischen Landbau von derzeit 2,5 Prozent in Deutschland oder 6 bis 7 Prozent in der Union bis zum Jahr 2020 auf 50 Prozent zu erhöhen, würde das bedeuten, daß in Deutschland zusätzlich 80.000 Arbeitsplätze neu geschaffen werden. Weil der ökologische Landbau arbeitsintensiver ist. Das sind nur zwei Bereiche, wo politisches Handeln ganz klar ohne eine zusätzliche Mark dafür sorgen könnte, daß sehr viele neue Arbeitsplätze entstehen und die Umwelt dauerhaft geschützt wird. Aber es fehlt der politische Wille, und ich denke DGB und DNR und andere werden alles daran setzen, daß wir diesen Willen für entscheidende Veränderungen mit herbeiführen.

Junghoffmann (HBB Hamburg)

Die Diskussion konzentrierte sich eigentlich den ganzen Vormittag und auch Nachmittag sehr stark auf den Staat, auf Gewerkschaft ein bißchen, auch ein bißchen auf Unternehmen. Andere Akteure, zum Beispiel die in den Unternehmen arbeiten, die Konsumenten, und die Frage, welche Rechte sie haben in diesem Zusammenhang, wurden gar nicht oder nur wenig diskutiert. Man kann sehr viel auch ohne Geld machen, wenn man zum Beispiel die Rechte der Beschäftigten in den Unternehmen und die Rechte der Konsumenten ausweitet in Hinblick auf ein ökologisches Mandat. Wenn heute ein Betriebsrat einen ökologischen Skandal in seinem Unternehmen offenlegt, kann er entlassen werden. Wir brauchen aber Akteure, Menschen, die handeln, um der Komplexität des Ökologiethemas gerecht zu werden, denn Verordnungen greifen immer nur allgemein. Ohne Kontrollen und vor allen Dingen ohne Mitbestimmung, ohne Demokratie in den Unternehmen funktioniert das nicht. Diese Akteure müssen mit mehr Rechten ausgestattet werden. Übrigens betrifft das auch das Management, zum Beispiel die Rechte des Umweltschutzbeauftragten im Rahmen von Unternehmensverfassungen. Die Frage ist, wie solche Strukturen entwickelt werden. Ich habe verschiedene Untersuchungen dazu gemacht und weiß, welche enormen Konflikte es gibt. Das ist ein ganz wesentlicher Punkt, der hier bisher nicht diskutiert wird.

[Seite der Druckausg.: 76 ]

Marion von Haaren

Ja, absolut richtig. Das ist heute in der Tat zu kurz gekommen: die Mitwirkungsmöglichkeiten der Arbeitnehmer in den Betrieben, der Betriebsräte, aber auch der Konsumenten. Verbraucheraufklärung zum Beispiel ist ein ganz zentraler Punkt auch im außerbetrieblichen Bereich, den man sich da auch noch mal näher anschauen würde.

Wilfried Bauer

Ich komme von einer kleinen Hightech-Firma hier in Berlin. Ich falle hier wahrscheinlich ein wenig aus dem Rahmen, denn mich hat die Veranstaltung etwas enttäuscht, und zwar aus einem einfachen Grund. Wir haben hier sehr viel über Umwelt gesprochen, und die meisten haben sich in ihrer Meinung bestätigt, Skandale aufgezeigt usw. Das war alles nicht so unbedingt viel Neues. Je globaler die ganze Problematik wurde, desto weniger Lösungen wurden deutlich. Was Umwelt und Arbeit miteinander zu tun haben und wie sie sich gegenseitig beeinflussen, kam eigentlich erheblich zu kurz. Denn es nutzt nichts, nur zu sagen: Ja, durch Umwelt werden Arbeitsplätze geschaffen. Die wurden auch durch den Bau des Nürburgrings geschaffen. Arbeit und Umwelt wirken ja wechselseitig aufeinander ein; es ist ein sehr komplexes Thema. Wenn ich den Transport teurer mache, werden Produkte teurer und eventuell weniger gekauft. Dann fallen da unter Umständen wieder Arbeitsplätze weg. Diese Komplexität ist eigentlich gar nicht angesprochen worden. Ich denke, das ist ein großer Mangel, gerade weil der Mitveranstalter auch der DGB ist, der genau dieses Thema eigentlich wesentlich mehr problematisieren sollte.

Marion von Haaren

Das zielt auf die Wettbewerbsbedingung, von denen Sie sagen, wenn wir hier einen höheren Öko-Standard haben, dann bedeutet es automatisch die Verteuerung der Produkte und Dienstleistungen.

Wilfried Bauer

Zum Beispiel, aber es geht noch weiter. Im Umweltbereich werden Arbeitsplätze geschaffen, die sehr qualifiziert sind. In meinem Bereich, das ist die Lasertechnologie, sind das sehr qualifizierte Arbeitsplätze. Wir haben keine oder nur sehr wenige Arbeitslosen im Moment. Uns fehlen sogar Arbeitskräfte, das heißt, wir können dort die qualifizierten Arbeitsplätze zum Teil gar nicht richtig besetzen.

Marion von Haaren

Das ist auch die Frage der Ausbildung.

Wilfried Bauer

Das ist eine Frage der Ausbildung, das ist eine Frage der Qualifikation. Davon ist auch abhängig, welche Arbeitsplätze entstehen. Auch das ist ein Aspekt, der in dieser Diskussion eigentlich gar nicht vorgekommen ist. Und drittens: ich glaube, es war Herr Müller, der gesagt hat: Und wir haben so tolle Hightech. Und mit dieser Hightech können wir ganz toll auch Umweltschutz machen. Das ist richtig. In unserer Firma könnten wir zum Beispiel sehr viele für den Umweltschutz nützliche Geräte herstellen, die die gesamten Meßmethoden verbessern, ver-

[Seite der Druckausg.: 77 ]

einfachen, verkleinern und, und, und. Nur, wir müssen dafür auch den Markt finden. Und den Markt findet man nicht dadurch, daß ein Staat sagt: Jetzt müßt ihr das Ding aber mal kaufen. Weltweit kann das gar kein Staat. Das ist sogar eher so, daß, wenn wir besser messen können, die potentiellen Anwender-Firmen eher abblocken und sagen: Ja, dann kommt ja eine neue Reglementierung, und davor haben wir Angst. Nicht nur aus Kostengründen, sondern wegen des gesamten Verwaltungsaufwands und was da alles dranhängt. Über solche Dinge hätten wir reden müssen. Aber wir haben das nicht gemacht. Das bedauere ich ein bißchen, weil wir uns ja alle einig sind, daß der Interregio nicht ausfallen und gestrichen werden soll. Das andere aber kam dadurch etwas zu kurz.

Prof. Dr. Engelhardt

Sie haben natürlich recht. Um bloß auf einen Punkt einzugehen: ein Hauptproblem bei der Verminderung der riesigen Arbeitslosenzahlen sind die nicht so hoch qualifizierten Arbeitskräfte. Das wissen wir natürlich alle. Auf der anderen Seite haben wir ja hier das Positionspapier, das Heinz Putzhammer verfaßt hat. Hier stehen ja 79 Maßnahmen drin und dabei sind etliche, zu deren Umsetzung man nicht unbedingt diplomierte Ingenieure und so weiter braucht.

Sie sind etwas enttäuscht, daß dieses und jenes nicht drangekommen ist. Nun, das ist immer so bei solchen Veranstaltungen. Wir haben ja beide schon angegraute Haare, also haben Sie auch Erfahrung. Wir können jetzt noch drei Stunden weiter diskutieren, dann sind wir trotzdem nicht fertig. Das ist gar nicht möglich. Aber immerhin: Sowohl der Deutsche Gewerkschaftsbund als auch wir, der Deutsche Naturschutzring, sehen das ja heute nicht als eine Eintagsfliege an und sagen: So, das war’s. Vielmehr soll das ja der Beginn einer möglichst engen Zusammenarbeit zwischen den beiden Dachverbänden des Sektors, der heute hier vertreten war, sein. Wir werden natürlich auf beiden Seiten intensiv weiterarbeiten müssen. Da ist noch vieles zu tun, aber auch vieles zu erreichen. Das ist klar, das wissen wir auch. Nur es ist Illusion, daß man das an einem Vormittag und Nachmittag machen könnte.

Marion von Haaren

Herr Engelhardt, herzlichen Dank für diese versöhnlichen Worte am Schluß. Ich bedanke mich für Ihr Interesse und vor allen Dingen für Ihre Geduld. Das absolut letzte Wort hat jetzt Heinz Putzhammer.

Heinz Putzhammer

Zunächst bedanke ich mich für die freundlichen Lorbeeren von Herrn Engelhardt, aber das Papier stammt nicht von mir, sondern das Papier ist das Ergebnis einer gemeinsamen Arbeit im Deutschen Gewerkschaftsbund mit den beteiligten Gewerkschaften. Vor allen Dingen auch, das sage ich ausdrücklich dazu, mit Vertretern der Gewerkschaften, die hier manchmal so genannt werden, als wollten sie mit all dem nichts zu tun haben. Das ist schon gemeinsames Dokument, das abgestimmt ist, und daraus wird auch deutlich, daß wir da schon gemeinsam an einem Strang ziehen. Noch mal zu Herrn Engelhardt. Ich bin auch außerordentlich dankbar da-

[Seite der Druckausg.: 78 ]

für, daß es uns gelungen ist, diese Veranstaltung gemeinsam mit dem DNR und mit anderen Veranstaltern zu machen. Es ist ja manchmal ein bißchen schwierig. Man hat zwar im Grunde genommen die gleichen Ziele, aber dann überlegt man, ob man eine Tagung macht. Die andere Organisation überlegt genau das gleiche. Und dann spielen immer auch ein bißchen Eitelkeiten mit, wer ist der Erste und so weiter, und deswegen ist es wirklich besonders erfreulich, daß es uns gelungen ist, unter Hintanstellung aller Eitelkeiten zu sagen: Das ist eine Sache, bei der wir gemeinsam an einem Strang ziehen müssen. Deshalb machen wir eine gemeinsame Veranstaltung. Also da auch an die Partner noch mal herzlichen Dank.

Natürlich hat die Diskussion in ihrer Kürze immer auch ein bißchen darunter gelitten, daß wir etwas hin- und herpendeln mußten zwischen sehr kurzfristig gedachten Einzelmaßnahmen auf der einen Seite und den riesigen Problemen, die global vor uns stehen. Da teile ich absolut die Auffassung von Herrn Engelhardt. Es wäre eine völlig falsche Politik, zu versuchen, die Widersprüche, die Schwierigkeiten, die hier vorhanden sind, zu leugnen und den Eindruck zu erwecken, als hätten wir mit der Formel „Bündnis für Arbeit und Umwelt„ jetzt das große Modell entdeckt, mit dem alle die Schwierigkeiten gelöst werden können. Sie sind in der Tat gewaltig. Die Beseitigung der Arbeitslosigkeit ist eine riesige Aufgabe, wenn man sich vergegenwärtigt, daß selbst ein Wirtschaftswachstum von drei oder vier Prozent an der Arbeitslosigkeit nichts ändert, wenn gleichzeitig die Produktivität um denselben Prozentsatz zunimmt. Denn solange die Produktivität stärker wächst als die Wirtschaft, werden Arbeitsplätze überflüssig. Das ist die Falle, aus der wir herauskommen müssen.

Wenn man sich auf der anderen Seite überlegt, welche Schäden in der Umwelt schon angerichtet sind, – das bezieht sich vor allem auf jene Schäden, die im alltäglichen Leben nicht so stark auffallen wie versautes Wasser oder ein Himmel, der bedeckt ist von Rußwolken, sondern es sind die Schäden, die sich erst langsam zeigen –, dann weiß man, welche Aufgabe vor uns liegt.

Aber da macht es keinen Sinn, vor der gewaltigen Aufgabe zu erschrecken und zu sagen: Man kann sowieso nichts tun. Auch bei den schwierigen und langfristigen Aufgaben beginnt die Lösung mit dem ersten Schritt. Und wenn wir so einen ersten Schritt tun können, dann wären wir schon weit. Dabei sage ich aber auch ausdrücklich: Es wäre ein Fehler, zu glauben, indem wir jetzt die Formel „Bündnis für Arbeit und Umwelt„ entwickelt haben, würden all die Probleme da schon gut aufgehoben sein und man müßte nichts mehr tun. Wir brauchen Sie alle nach wie vor in den Bürgerbewegungen, in den Initiativen, in den Organisationen, wo Sie für den Umweltschutz tätig sind, aber auch als Konsumenten. Darauf haben Sie ja zu Recht hingewiesen. Ich will nur ein Beispiel sagen. Die Frage des genmanipulierten Getreides hat in den letzten Wochen eine große Rolle gespielt. Hier ist es offensichtlich so, daß es trotz milliardenschwerer Werbeaufwendungen der Industrie nicht gelungen ist in den USA, die Getreidesorten auf dem Weltmarkt durchzusetzen. Da ist politisch nichts vereitelt worden, da haben auch

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die Gewerkschaften nichts vereitelt, sondern bei dem Verbraucher hat sich das nicht durchsetzen lassen. Die Verbraucher haben eine ungeheure Macht. Und deswegen noch mal der Appell: Bei allen Gelegenheiten, bei allen Organisationen, überall, wo Sie tätig sind, müssen Sie etwas tun. Deswegen sage ich: Kommen Sie gut nach Hause, wir brauchen Euch alle noch!


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