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Indien : Wirtschaftsreformen seit 1991 / Dirk Matter. - [Electronic ed.]. - Bonn, 1999. - 10 S. = 37 Kb, Text . - (FES-Analyse)
Electronic ed.: Bonn : FES Library, 2000

© Friedrich-Ebert-Stiftung


INHALT





[Essentials]

  • Bis 1991 war die indische Wirtschaft durch zahlreiche bürokratische Vorschriften in hohem Grade reglementiert. Sowohl inländische als auch ausländische Unternehmen konnten ihre Aktivitäten nur nach vorheriger Genehmigung durch die Regierung entfalten. Hohe Importzölle und eine zögerliche Genehmigung von ausländischen Investitionen stellten den Schutz der einheimischen Industrie sicher.

  • Die Reformjahre seit 1991 setzten neue wirtschaftliche Kräfte in Indien frei und führten zu einer deutlichen Erhöhung des Wirtschaftswachstums. Auch viele ausländische Unternehmen reagierten positiv auf die verbesserten Rahmenbedingungen und investierten kräftig in Indien. Besonders die Regelung, daß ausländische Unternehmen eine Mehrheitsbeteiligung in Höhe von 51 Prozent halten können, wirkte sich stimulierend auf die Investitionstätigkeit aus. Der Wettbewerb auf dem Binnenmarkt hat sich durch neue inländische und ausländische Konkurrenz verschärft.

  • Die politischen Unsicherheiten durch häufige Regierungswechsel und die Asienkrise haben die in- und ausländischen Unternehmer stark verunsichert, so daß die Investitionstätigkeit drastisch zurück gegangen ist. Auf Grund des ausufernden Fiskaldefizits war der indische Finanzminister gezwungen, die Steuern und Abgaben im Jahr 1999 wieder zu erhöhen.

  • Aufgrund des Wirtschaftsbooms der 90er Jahre ist die Mittelschicht in Indien angewachsen. Als Absatzmarkt für ausländische Produkte wird diese Gruppe aber häufig völlig überschätzt.

  • Die deutsche Wirtschaft hat in keinem anderen asiatischen Land eine so starke Position wie in Indien. Durch die Liberalisierung der Investitionsgütermärkte konnten die deutschen Lieferungen nach Indien maßgeblich gesteigert werden. Deutsche Firmen haben auch auf die Verbesserung des Investitionsklimas schnell reagiert und ihre Investitionen in Indien bedeutend gesteigert.

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Die Wirtschaftspolitik Indiens bis 1991

Nachdem die britischen Kolonialherren jahrzehntelang die indische Wirtschaftspolitik bestimmt und deutlich zugunsten Großbritanniens ausgelegt hatten, war es nicht verwunderlich, daß die junge Republik Indien sich zunächst gegenüber einem starken ausländischen Einfluß abschottete. „Self-reliance" ist das Stichwort, in dem die Idee einer autarken indischen Republik Ausdruck findet, die auf ihre eigenen Stärken vertraut. Einer der geistigen Väter dieser Politik war Mahatma Gandhi. Das Streben nach Unabhängigkeit in dem jungen Indien – auch in wirtschaftlicher Hinsicht äußerte sich in einer starken Beschränkung ausländischen Engagements, z.B. durch den Foreign Exchange Regulation Act (FERA)". Aufgrund der schon damals hohen Arbeitslosigkeit legte die Regierung ihre schützende Hand über Klein- und Mittelbetriebe, die sogenannte „Small Scale Industry". So wurden circa 800 Branchen definiert, in denen eine großbetriebliche Produktion nicht zugelassen war und auch Investitionen von Großunternehmen nicht geduldet wurden. Großbetriebe unterlagen dem sogenannten „Monopolies and Restrictive Trade Practice Act (MRTP)". Die Beschränkungen für Großbetriebe gingen mitunter soweit, daß aus Kontrollzwecken Beamte in das Management dieser Unternehmen entsandt wurden.

Der erste Premierminister Indiens, Nehru, vertrat die Auffassung, daß die Commanding Heights" in staatlicher Hand sein sollten. Dieses Prinzip sah vor, daß durch Verstaatlichung von Teilen der Schwer- und Grundstoffindustrie die Schlüsselindustrien durch den Staat gelenkt würden. Dieses Modell einer „Dual-" oder „Mixed Economy" sollte aus indischer Sicht den dritten Weg zwischen Kapitalismus und Sozialismus darstellen. Die Grundstoff- bzw. Schwerindustrie sollte in staatlicher Hand liegen, während die Leicht- bzw. Konsumgüterindustrie in privater Hand verblieb. Indien näherte sich damit ideologisch den sozialistischen Ländern an, bliebt aber trotzdem deutlich liberaler als beispielsweise die frühere Sowjetunion. Zwar führte man auch Fünf-Jahres-Pläne ein, diese waren aber eher im Sinne von Zielkorridoren zu interpretieren. Doch selbst heute existiert noch eine zentrale Planungskommission mit über 1000 Mitarbeitern.

Diese Wirtschaftspolitik seit der Unabhängigkeit Indiens führte zu Problemen, die auch gegenwärtig noch aktuell sind. In den großen Staatsbetrieben mit ihrem bürokratischen Management, dem überalterten Maschinenpark und ihrem hohen Personalbestand werden überwiegend Verluste produziert. Viele Großbetriebe wurden so zu Subventionsempfängern, die von der Zentralregierung abhängig waren.

Massenentlassungen werden aus politischen Gründen nicht erlaubt, da es in Indien kein soziales Netz gibt, das ein solches Vorgehen abfedern könnte. Auch private Unternehmen erhalten keine Genehmigung zur Entlassung von Mitarbeitern, sondern werden bei Zahlungsunfähigkeit unter staatliche Zwangsverwaltung gestellt. Um soziale Unruhen zu vermeiden, werden sowohl Staatsbetriebe als auch private Großbetriebe mit Milliarden Subventionen am Leben erhalten.

Die aus dieser Wirtschaftspolitik resultierenden Probleme lassen sich wie folgt zusammenfassen: Aufgrund eines ausgeprägten Protektionismus fehlte der Wettbewerb mit in- und ausländischer Konkurrenz. Durch ein ausgeklügeltes Lizenzsystem war praktisch jede unternehmerische Aktivität genehmigungspflichtig, und indischen Privatunternehmen war es dadurch nur schwer möglich, auf schnelle Marktänderungen zu reagieren. Die Zölle lagen teilweise über 200 Prozent und boten damit einen sehr guten Schutz gegen ausländischen Konkurrenz. Bürokratische Hemmnisse, starke und streikfreudige Gewerkschaften und eine Arbeitsgesetzgebung, die bei Betrieben mit mehr als 100 Arbeitnehmern praktisch lebenslange Beschäftigung garantierte, führten zu geringer Produktivität. Die unterentwickelte Infrastruktur brachte logistische Probleme mit sich. Schwächen indischer Firmen im Bereich von Forschung und Entwicklung führten zu einer hohen Importabhängigkeit neuer Technologien.

Letztendlich konnte Indien damit in vielen Branchen keine weltweite Wettbewerbsfähigkeit entwickeln. Indien hat daher bis 1991 eine völlig andere Wirtschaftspolitik betrieben als die asiatischen Tigerländer. Nicht der Aufbau von neuen Exportindustrien stand in Indien im Vordergrund, sondern der Aufbau einer einheimischen Industrie zur Deckung des inländischen Bedarfs. Aufgrund des Lizenzsystems und der damit verbundenen Monopolstellungen vieler Unternehmen und der starken Abschottung gegenüber dem Ausland, hatte sich in Indien ein echter Verkäufermarkt herausgebildet. Qualität und Preisniveau vieler Produkte hielten allerdings einem internationalen Vergleich nicht stand. Aufgrund des Protektionismus besitzt Indien anderseits aber auch eine breit diversifizierte Industriestruktur, die eine gute Ausgangsbasis für eine mittelfristige Integration in den Weltmarkt darstellt.


Die Reformjahre von 1991 bis 1999

Aufgrund der bescheidenen Wachstumsraten, die diese Politik mit sich brachte, wuchs unter den Politikern und der Bevölkerung die Unzufriedenheit mit dem eingeschlagenen Kurs. Bereits Mitte der 80er Jahre gab es erste Ansätze für zaghafte Reformen, die aber halbherzig durchgeführt wurden und keine wesentlichen Erleichterungen brachten. Die wirtschaftliche Situation eskalierte im Jahr 1990–91 in einer akuten Zahlungsbilanzkrise. Der Golfkrieg im Jahr 1991 führte dazu, daß Überweisungen indischer Gastarbeiter in den Golfstaaten an ihre Familien daheim ausblieben und daß der Iran und Irak als wichtige Handelspartner ausfielen. Über Nacht mußte Indien sich zu Höchstpreisen auf den Weltmärkten mit Erdöl versorgen. Auch die Sowjetunion als ein weiterer wichtiger Handelspartner rutschte in eine tiefe Krise, die den indischen Außenhandel stark in Mitleidenschaft zog. Indien hatte plötzlich nur noch Devisenreserven von circa einer Milliarde US-Dollar, die gerade einmal die Importe für einen Zeitraum von zwei Wochen sichergestellt hätten.

Im Frühjahr 1991 kam es zu Neuwahlen, und innerhalb von sechs Wochen wurde ein umfassendes Reformpaket im Parlament vorgestellt und verabschiedet. Eine Welle des nationalen Zusammenhalts ging durch das Land, und die Kongress Partei konnte die lange diskutierte Reformpolitik umsetzen. Auch während dieser Krise zeichneten sich die Inder durch einen ungebrochen hohen Nationalstolz aus. Indien war niemals zuvor umgeschuldet worden. Dies sollte auch angesichts der tiefgreifenden Krise vermieden werden. Ein Beistandskredit des Internationalen Währungsfonds wurde aufgenommen und mit Gold abgesichert, das in einem gecharterten Flugzeug nach London geflogen wurde. Importe nach Indien wurden durch verschiedene Notmaßnahmen drastisch reduziert. Diese Notmaßnahmen galten nur für wenige Monate und sollten zur Eindämmung der akuten Zahlungsbilanzkrise dienen.

Wichtiger waren natürlich die langfristigen Reformen, die im Jahr 1991 verabschiedet wurden. Für die meisten Branchen wurden das Lizenzsystem endgültig abgeschafft, was eine verstärkte Konkurrenz auf dem indischen Binnenmarkt zur Folge hatte. Den Ausbau des Infrastrukturbereichs wollte man mittels Privatisierungsmaßnahmen vorantreiben. Bezogen auf den Außenhandel wurden teilweise bestehende Importlizenzen abgeschafft und der Markt für Investitionsgüter praktisch völlig geöffnet.

Die Einfuhrzölle, eine wichtige Einnahmequelle des indischen Staates, wurden schrittweise über die Jahre hinweg reduziert, so daß beispielsweise im Maschinenbaubereich ein Basiszollsatz von 25 Prozent erreicht wurde. Wichtig war auch die Kehrtwendung in Bezug auf die Richtlinien für ausländische Investoren. Während vor 1991 ausländische Investitionen nur sehr widerwillig und langwierig genehmigt wurden, gab es seit 1991 verstärkte Bemühungen, ausländische Betriebe anzuziehen. Zunächst wurden 34 Prioritätsbereiche für Investoren definiert, in denen ein beschleunigtes und vereinfachtes Genehmigungsverfahren zur Anwendung kommt (Automatic Approval). Mit jedem neuen Budget wurden seit 1991 neue Reformschritte angekündigt und umgesetzt, so daß es für ausländische Unternehmen teilweise recht schwierig ist, die neusten Informationen über die Investitionspolitik zu erhalten.

Dennoch besteht trotz dieser tiefgreifenden und umfassenden Maßnahmen in Indien weiterhin dringender Reformbedarf, beispielsweise im Bereich des Bodenrechts und beim Erwerb von Immobilien. Handel und Investition im Konsumgütermarkt weisen weiterhin Liberalisierungsdefizite auf. Da Indien seit Jahren Mitglied der WTO ist, sind weitere Liberalisierungsmaßnahmen unausweichlich. In zähen Verhandlungen drängt die indische Seite immer wieder auf möglichst lange Übergangsfristen.

Im Frühjahr 1999 wurde ein neues Patentrecht in Kraft gesetzt, das den WTO-Anforderungen entspricht. Für die Umsetzung dieses Reformprogramms wurde Indien vom Internationalen Währungsfonds ausdrücklich gelobt und als Musterland dargestellt, weil Indien zu den wenigen Ländern gehört, in denen Reformschritte nicht zu einer Reduktion des Wirtschaftswachstums führten. Tatsächlich nutzten die indischen Unternehmen die neu gewonnene Freiheit und investierten kräftig in neue Produkte und Anlagen. Während der Regierungszeit der Congress Partei unter Narashima Rao wurden im Zeitraum von 1991 bis 1996 gesamtwirtschaftliche Wachstumsraten bis 8 Prozent erreicht. Das industrielle Wachstum stieg in einzelnen Jahren sogar bis auf über 12 Prozent. Damit zeigte Indien in diesem Zeitraum eine größere wirtschaftliche Dynamik als die asiatischen Tigerländer.

Trotz dieser wirtschaftlichen Erfolge endeten die Wahlen im Jahr 1996 für die Congress Partei mit einer Katastrophe. Die Hindu Partei BJP war zu einer mächtigen Partei herangewachsen, erreichte aber nicht genug Stimmen, um die Regierung zu bilden. Von 1996 bis 1998 regierte daher die sogenannte United Front, eine Koalition von kleineren Volks- und Regionalparteien. In diesem Zeitraum wurde die liberale Wirtschaftspolitik weitgehend fortgesetzt, denn der Kurs wurde maßgeblich durch den Finanzminister P. Chidambaram bestimmt, der 1991, noch als Congress-Mitglied, maßgeblich an den Reformen mitgearbeitet hatte. Chidambaram trat besonders durch eine Steuerreform in Erscheinung, bei der der maximale Steuersatz für Unternehmen auf 35 Prozent und der Spitzensteuersatz für Privatpersonen auf 30 Prozent gesenkt wurde. Von dieser Maßnahme erhoffte man sich steigende Steuereinnahmen, weil Steuerhinterziehung auch heute in Indien noch an der Tagesordnung ist.

Obwohl im indischen Parlament eine breite Mehrheit über alle Partien hinweg für den Liberalisierungsprozeß eintrat, formierten sich einige indische Unternehmen im sogenannten Bombay Club und warnten vor einer zu schnellen Integration Indiens in den Weltmarkt. Viele indische Unternehmen im Familienbesitz hatten große Sorgen vor einem zu hohen Wettbewerbsdruck aus dem Ausland. Durch die Aufhebung des Lizenzsystems fielen natürlich auch viele Monopole weg, was auch zwischen den indischen Unternehmen zu mehr Konkurrenz führte. Nicht zuletzt die Ängste vor der Dominanz multinationaler Konzerne spielten bei dem schnellen Aufstieg der BJP eine entscheidende Rolle, denn diese Partei versprach unter dem Schlagwort „Swadeshi" die Interessen der einheimischen Industrie wieder in der Mittelpunkt des Wirtschaftspolitik zu stellen. Bei den Wahlen im Jahr 1998 verfehlte die BJP deutlich die absolute Mehrheit, wurde aber zur stärksten Partei und war gezwungen, mit mehreren kleineren Parteien eine Koalition zur Regierung zu bilden. Diese Regierungskoalition hielt aber auch nur für ein Jahr und brach im April 1999 auseinander. Nach 1996 und 1998 finden im September 1999 erneut Wahlen auf Bundesebene statt, die aber vermutlich die Rahmenbedingungen der Wirtschaftspolitik nicht wesentlich verändern werden.

Der Wahlsieg der national indischen Hindu Partei BJP im März 1998 wurde in den Industrieländer mit gemischten Gefühlen zur Kenntnis genommen. Der Wahlkampf wurde nicht zuletzt durch verbale Attacken gegen ausländische Unternehmen geprägt und der Warnung vor einem Ausverkauf Indiens. Manche Beobachter sahen schon die erfolgreichen Wirtschaftsreformen der letzten Jahren gefährdet. All diese Befürchtungen erwiesen sich allerdings als unbegründet, da die BJP Regierung die Reformen der Vorgängerregierungen nicht rückgängig machte. Allerdings wurden zur Finanzierung des Defizits im Staatshaushalt die Zölle wieder leicht angehoben. Besonders nach den Nukleartests im Mai 1998 und den daraus resultierenden Sanktionen bemühte sich die indische Regierung, ein investitionsfreundliches Klima zu schaffen. Einige amerikanische Großprojekte wurden besonders schnell genehmigt, und darüber hinaus wurden weitere 340 Produkte, darunter auch Konsumgüter, zur Einfuhr ohne Lizenz freigegeben.

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Die aktuelle Wirtschaftslage

Die im folgenden genannten Zahlen für das Wirtschaftsjahr 1998/99 basieren noch auf Schätzungen, da das Wirtschaftsjahr am 31. März 1999 abgeschlossen wurde und die endgültigen Daten noch nicht vorliegen. Noch ist unklar, ob die vorhergesagte Wachstumsrate von 5,8 Prozent tatsächlich erreicht werden konnte. Festzustellen bleibt, daß sich das industrielle Wachstum mit nur 3,5 Prozent gegenüber den Vorjahren erheblich abgeschwächt hat. Besonders die innenpolitischen Unsicherheiten haben die Investitionsneigung der indischen Unternehmer erheblich eingeschränkt. Aufgrund der Asienkrise litten auch die Exporte in die Nachbarregionen. Der Wholesale Price Index blieb mit 5,8 Prozent im letzten Jahr relativ gut unter Kontrolle, es ist aber zu berücksichtigen, daß er sich zu einem großen Teil aus staatlich administrierten Preisen zusammensetzt. Der für die Bevölkerung wichtigere Consumer Price Index liegt um die 14 Prozent und damit klar im zweistelligen Bereich, also eine deutliche Verschlechterung gegenüber den Vorjahren.

Ende Februar 1999 präsentierte der indische Finanzminister Sinha sein Budget 1999 – 2000 im Parlament. Ziel ist es, das aktuelle Fiskaldefizit von über sechs Prozent auf vier Prozent zu drücken. Die Regierung hatte im Jahr 1998 mit dem Versuch, die Subventionen für Düngemittel zu kürzen, bereits Schiffbruch erlitten und hat sich bei dieser Budgetplanung auf eine Erhöhung von Steuern und Abgaben konzentriert. Die direkten Steuern, sowohl Corporate Tax als auch persönliche Einkommenssteuer, wurden jeweils mit einem Zuschlag in Höhe von 10 Prozent belegt, d.h. der maximale Körperschaftsteuersatz steigt von 35 Prozent auf 38,5 Prozent. Der Höchstsatz für die persönliche Einkommenssteuer steigt von 30 Prozent auf 33 Prozent. Bei einer Bevölkerung von 975 Millionen Einwohnern haben im letzten Jahr lediglich 14 Millionen Personen überhaupt Einkommenssteuer bezahlt. Die direkten Steuern machen deshalb nur einen geringen Teil des indischen Staatshaushaltes aus.

Von größter Bedeutung sind die indirekten Steuern, an erster Stelle die Excise Duty (Produktionssteuer). Auch bei den Zöllen haben sich zum Teil gravierende Änderungen ergeben, insbesondere wurde ein Surcharge von 10 Prozent erhoben. Am konkreten Beispiel durchgerechnet, bedeuten diese Veränderungen der Einfuhrabgaben, daß sich der Gesamtzoll zum Beispiel für deutsche Maschinen von bisher 41 Prozent auf nun 53 Prozent erhöht. Angesichts der ohnehin rückläufigen deutschen Exporte nach Indien und des abgeschwächten Wirtschaftswachstums ist diese Entwicklung recht negativ zu beurteilen.

Allerdings enthält das neue indische Budget auch einige positive Anhaltspunkte: Das Foreign Investment Promotion Board (FIPB) wird verpflichtet, künftig innerhalb von 30 Tagen über ausländische Investitionsvorhaben zu entscheiden. Weiterhin soll eine neue Behörde eingerichtet werden, mit dem Titel Foreign Investment Implementation Authority". Hierdurch soll der Prozentsatz der tatsächlich getätigten Investitionen deutlich steigen. Bisher wurden in der letzten Jahren nur circa 25 bis 30 Prozent der genehmigten Investitionssummen auch tatsächlich eingesetzt.

Aufgrund der WTO Verhandlungen wurden weitere 600 Produkte, die bisher nicht eingeführt werden durften, importfähig unter Special Import Licence" oder Open General Licence". Die indische Presse merkte zu diesem Budget passend an: No gain – no pain Budget": das neue Budget wird keine großen Impulse für den Wirtschaftsaufschwung in Indien geben.

Indien wurde nicht in den Strudel der Asienkrise hineingezogen. Die indische Rupie hat in den 90er Jahren zwar gegenüber der DM pro Jahr circa 10 Prozent an Wert verloren, dennoch ist Indien weit von einem dramatischen Verfall der Währung entfernt, wie er in einigen asiatischen Ländern festzustellen ist. Die Schulden Indiens in Höhe von circa 90 Milliarden US-Dollar bestehen überwiegend aus langfristigen Verbindlichkeiten und Softloans.

Die starken Devisenkontrollen und die fehlende Konvertibilität der indischen Rupie haben eine größere Verschuldung von indischen Unternehmen im Ausland verhindert. Auf Grund der bereits bestehenden hohen Auslandsverschuldung herrscht bei allen gesellschaftlichen Kräften Einigkeit, daß man ohne ausländische Investitionen eine Modernisierung der indischen Wirtschaft nicht erfolgreich vorantreiben kann.

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Die Entwicklung der deutsch-indischen Wirtschaftsbeziehungen

Einige deutsche Firmen wie z.B. Krupp, Siemens und Bayer sind in Indien schon seit über 100 Jahren vertreten. Die meisten deutschen Großkonzerne haben heute eigene Niederlassungen in Indien. Aber auch der deutsche Mittelstand ist in erheblichen Umfang in Indien engagiert. Anders als in China trifft der deutsche Mittelständler in Indien auf eine Vielzahl von mittelständisch strukturierten Betrieben. Die gleiche Betriebsgröße und ähnliche Betriebsstrukturen machen eine Zusammenarbeit im Regelfall einfacher.

Die deutschen exportierenden Unternehmen konnten von einer Senkung der Zölle und der Liberalisierung der Märkte erheblich profitieren und steigerten ihre Exporte nach Indien von 2,3 Milliarden DM im Jahr 1991 auf 4,6 Milliarden DM im Jahr 1996, was ziemlich genau einer Verdoppelung entspricht. Über die Hälfte der deutschen Exporte entfallen auf Maschinen und elektrotechnische Erzeugnisse, d.h. Investitionsgüter für den Aufbau der einheimischen indischen Industrie. Im Jahr 1998 brach der deutsche Export nach Indien um 13 Prozent ein und wurde damit stark von der Wachstumsschwäche der indischen Industrie getroffen.

Eine Aufgliederung der deutschen Maschinenausfuhr nach Indien zeigt, daß Werkzeugmaschinen, Textilmaschinen und Pumpen die wichtigsten deutschen Exportprodukte für diesen asiatischen Markt darstellen. Die Textilindustrie stellt in Indien den mit Abstand größten Industriezweig dar. Über alle Verarbeitungsstufen hinweg aggregiert, finden dort circa 20 Millionen Menschen Beschäftigung. Da Indien bereits eine hochentwickelte Industrie besitzt, werden häufig nur Komponenten aus Deutschland eingeführt und bei einem Joint Venture Partner zusammengebaut. Komplette neue Maschinen werden im Regelfall für die Exportproduktion eingesetzt, um entsprechend internationale Qualitätsstandards erreichen zu können. Indien kauft auch im großen Umfang gebrauchte Maschinen in Deutschland. Dieses bedeutende Geschäft wird im Jahr 1999 einen erheblichen Rückschlag erleiden, da seit dem 1. April 1999 der Import von Gebrauchtmaschinen lizenzpflichtig geworden ist; dies ist eine deutliche Verschlechterung gegenüber der bisherigen Regelung. Es ist schwer zu beurteilen, ob eine Abschottung vor unliebsamer Konkurrenz oder die teilweise Umgehung von Devisenvorschriften beim Import von Gebrauchtmaschinen im Vordergrund standen.

Die deutschen Importe aus Indien erreichten im Jahr 1998 einen Wert von 4,2 Milliarden DM und sind über die letzten Jahre langsam und kontinuierlich gestiegen. Die indischen Lieferungen bestehen überwiegend aus Textilien und Lederwaren. Erhebliche zusätzliche Bedeutung gewannen in den letzten Jahren die indischen Lieferungen von chemischen und pharmazeutischen Produkten. Dies ist teilweise auf Lieferverpflichtungen mit den deutschen Mutterhäusern zurückführen.

Aufgrund der starken Abwertung einiger asiatischer Währungen wird die Konkurrenz für indische Exporteure auf dem Weltmarkt immer härter. China ist mit Abstand der größte Wettbewerber für Indien auf dem europäischen Markt. Da Indien überwiegend Konsumgüter nach Deutschland liefert, hängen die indischen Exportchancen auch direkt mit der privaten Konsumgüternachfrage in Deutschland zusammen. Aufgrund der Krise im deutschen Einzelhandel in den letzten Jahren waren die Wachstumsraten der deutschen Importe entsprechend bescheiden.

Die USA sind weiterhin der wichtigste Handelspartner für Indien, sowohl im Export als auch im Import. Die deutsche Position ist aber trotzdem recht stark, denn Deutschland gehört als Handelspartner zu den fünf wichtigsten Ländern.

Ein wichtiges Ziel der Reformen des Jahres 1991 bestand darin, verstärkt ausländische Investitionen anzulocken. Dieses Ziel wurde teilweise erreicht, denn die Direktinvestitionen sind, von niedrigem Niveau ausgehend, geradezu explodiert. Im Jahr 1991 erhielten deutsche Unternehmen Investitionsgenehmigungen für circa 20 Millionen DM. Nachdem die Deutschen die neuen Möglichkeiten in Indien erkannt hatten, stieg der Wert der neu genehmigten Projekte steil an und erreichte 1997 einem Rekordwert von circa einer Milliarde DM. Insgesamt bestehen zur Zeit ungefähr 1000 Lizenzabkommen zwischen deutschen und indischen Firmen und 600 produzierende deutsch-indische Joint Ventures. Die deutschen Direktinvestitionen sind damit im gleichen Maße angestiegen wie die gesamten ausländischen Direktinvestitionen.

Der ausländische Investor mit der größten Bedeutung sind die USA, denn amerikanische Firmen investieren häufig in Großprojekte der Energieerzeugung, der Erdölexploration sowie der Telekommunikation. Diese Großprojekte führen zu einer starken Aufblähung der Investitionszahlen. Im Schnitt werden nur 20 Prozent dieser genehmigten Investitionen auch tatsächlich umgesetzt, da die großen Projekte im Regelfall eine lange Laufzeit haben und die Investitionssummen dadurch gestreckt werden.

Als Besonderheit treten in der Investitionsstatistik Mauritius und die Cayman Islands als wichtige Investitionsländer hervor. Dies hängt damit zusammen, daß Non-Resident Indians und große internationale Firmen diese Standorte aufgrund günstiger Doppelbesteuerungsabkommen als Basis für ihre Investitionen in Indien betrachten. Wenn man diese beiden Staaten als Sonderfälle herausrechnet, liegt Deutschland nach der USA und Großbritannien als Investor auf dem dritten Platz. Betrachtet man nur die Anzahl der Kooperationsabkommen lag Deutschland 1997 nach den USA an zweiter Stelle mit insgesamt 254 neuen Kooperationen. Die hohe Anzahl der deutschen Kooperationen ist ein klares Indiz für die starke Beteiligung kleiner und mittelständischer Unternehmen auf dem indischen Markt. Wie schon die Struktur der deutschen Exporte vermuten läßt, liegen die Schwerpunkte der deutschen Investitionen im Bereich Maschinenbau, Elektrotechnik und Chemie und Pharmazie. Als neuer wichtiger Sektor ist in den letzten Jahren die deutsche Automobilindustrie hinzugekommen, die in Indien nun aktiv geworden ist und eine Reihe von Zulieferbetrieben nachgezogen hat. Aufgrund des hohen Preisniveaus deutscher Maschinen sind viele deutsche Hersteller gezwungen, Kooperationen mit indischen Partnern einzugehen, um eine Mischkalkulation zu erreichen. Nur noch sogenannte kritische Komponenten werden aus Deutschland zugeliefert, der Rest wird in Indien eingekauft und entsprechend den deutschen Plänen zusammengebaut.

Aufgrund der immer noch unterentwickelten Infrastruktur konzentrieren sich die deutsch-indischen Joint Ventures auf die wichtigsten Industrieregionen in Indien. Weiterhin führend ist der Großraum Bombay-Pune, gefolgt von Delhi-Faridabad, mit deutlichem Abstand folgen die Städte Bangalore, Kalkutta und der Bundesstaat Gujarat.

Aufgrund der getrübten Wirtschaftsaussichten ist die Summe der genehmigten deutschen Auslandsinvestitionen in Indien im ersten Halbjahr 1998 gegenüber dem Vorjahr um über 50 Prozent zurückgegangen. Die Anzahl der genehmigten Auslandskooperationen ging im Vergleich um 23 Prozent zurück. Dies macht deutlich, daß zumindest der Mittelstand noch mit Zuversicht auf die weitere Entwicklung in Indien blickt. Besonders Großprojekte waren zeitweilig aufgrund der von den Amerikanern eingeführten Sanktionen wegen der Atombombenversuche im Mai 1998 auf dem internationalen Kapitalmarkt schwer zu finanzieren. Daher sind auch die Investitionen der Amerikaner noch deutlich stärker eingebrochen als die der Europäer.


Die „Mittelschicht" als Absatzmarkt

In Diskussionen um die Motive für die Direktinvestitionen in Indien wird immer die sogenannte kaufkräftige Mittelschicht genannt, ein freilich sehr differenziert zu sehendes Käufersegment: Zum einen erweisen sich Schätzungen der Einkommensverhältnisse in Indien als sehr problematisch, da nicht auf zuverlässige Quellen zurückgegriffen werden kann. Statistiken zu den Einkommensverhältnissen sollte man deshalb immer mit einer gewissen Skepsis lesen und keinesfalls überinterpretieren. Die steile Pyramide der Einkommensverhältnisse in Indien zeigt eine ausgeprägt ungleiche Verteilung der Einkommen. Fast 40 Prozent der Bevölkerung leben unterhalb der Armutsgrenze. 2,5 Prozent der Haushalte gehören zur Gruppe der Spitzenverdiener und haben ein Einkommen von über 4.000 DM im Jahr.

Nach anderen Schätzungen existierten 1996 in Indien ungefähr 2,3 Millionen Haushalte mit einem Jahreseinkommen von über 20.000 DM. 74 000 Haushalte hatten immerhin ein Einkommen von mehr 200.000 DM im Jahr. Zeichnet die Einkommenspyramide noch ein eher negatives Bild in Hinblick auf potentielle Käufer, so weckt das Einkommensprofil bereits Hoffnungen auf die Existenz einiger kaufkräftiger Haushalte. Um dieses diffuse Bild ein wenig zu erhellen, bietet es sich an, einige eher unkonventionelle Kennziffern heranzuziehen. Bei der Analyse der Verbreitung ausgewählter Konsumgüter muß natürlich immer bedacht werden, daß in Indien insgesamt um die 975 Millionen Menschen leben. Die Frage nach der Größe des Absatzmarktes kann also immer nur speziell auf ein Produkt bezogen beantwortet werden. Zwar liegt theoretisch die Zahl der potentiellen Abnehmer für eine Armbanduhr in Indien heute bei circa 200 Millionen Personen, aber im Hinblick auf langlebige Konsumgüter müssen von diesen hohen Zahlen erhebliche Abstriche gemacht werden. Weiterhin bestehende Beschränkungen für die Einfuhr von Konsumgütern und hohe Zollsätze von bis zu 80 Prozent reduzieren das Absatzpotential in diesem Marktsegment für die nächsten Jahre noch weiter. Diese Gründe sind natürlich auch mit ausschlaggebend dafür, daß sich die deutschen Investoren auf den Investitionsgüterbereich konzentrieren, der weitgehend liberalisiert ist.


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