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MENA-Region : der Nahe Osten und Nordafrika ; zwischen Bilateralismus, Regionalismus und Globalisierung / Andrä Gärber. - [Electronic ed.]. - Bonn, 1999. - 24 S. = 90 Kb, Text . - (FES-Analyse)
Electronic ed.: Bonn : FES Library, 2000

© Friedrich-Ebert-Stiftung


INHALT






[Essentials]

  • Anhaltende inner- und zwischenstaatliche politische Spannungen in Verbindung mit einer außerordentlichen Abhängigkeit von Renteneinkommen haben zu einem ausgeprägten Bilateralismus in den Beziehungen der Länder in der MENA-Region geführt.

  • Multilaterale Abkommen (WTO) und inter-regionale Initiativen (EURO-MED) erhöhen aber den Außendruck auf die Länder der MENA-Region, Wettbewerbsfähigkeit und Produktivität zu verbessern und die Integration in die globalen Handels- und Finanzmärkte zu vertiefen.

  • Die vertikale Integration in die Weltmärkte muß durch eine Ausdehnung und Vertiefung der horizontalen Integration in Form eines neuen Regionalismus ergänzt werden, um potentielle negative Auswirkungen auf Handel und ausländische Direktinvestitionen zu minimieren.

  • Der Wettbewerbsdruck der Weltwirtschaft und der akute inländische Druck mehr und bessere Arbeitsplätze zu schaffen, sind die entscheidenden Triebfedern, die den nachhaltigen Strukturwandel in der MENA-Region auslösen werden.

  • Die Finanzierung der wirtschaftlichen Entwicklung muß über neue Finanzierungsquellen (privates Auslandskapital und die Repatriierung des Fluchtkapitals) erfolgen, da regionale Renteneinkommen flach bleiben. Sie werden aber nur dann verfügbar, wenn die inländische Reform der Länder in der MENA-Region überzeugend und sozialverträglich gestaltet werden kann.

  • Notwendige Strukturanpassungen werden auch mittelfristig durch die sich verschärfende Wasserknappheit bedroht und die im internationalen Vergleich sehr hohen Militärausgaben erschwert. Sie können langfristig nur durch einen umfassenderen regionalen Friedensprozeß abgebaut werden, der neben Israel auch den Iran und die Türkei miteinschließt. In dieser Hinsicht birgt der anstehende politische Generationswechsel, den die Region fast flächendeckend zu meistern hat, mehr Chancen als Risiken.

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Das Wichtigste

Seit Anfang der 90er Jahre werden die 22 Mitgliedsländer der Arabischen Liga, Israel, der Iran und die Türkei (als Grenzfall) konzeptionell und strategisch von den wichtigsten Akteuren innerhalb und außerhalb des Nahen Ostens und Nordafrikas als potentielle Mitgliedsländer einer Region – MENA – behandelt. Seit 1991 gibt es mehrere internationale Initiativen, diese Vision in die Tat umzusetzen: die multilateralen Verhandlungen über regionale wirtschaftliche Zusammenarbeit (REDWG) des Nahost-Friedensprozesses, die jährlichen MENA-Konferenzen und der von der EU initiierte Barcelona-Prozeß. Dennoch sind die Länder in der MENA-Region noch weit davon entfernt, eine Region zu bilden. Sie ist mit Hinsicht auf Investitionen und Handel eine der am wenigsten integrierten Regionen der Welt. Die positive Ausnahme stellt nur die intra-regionale Arbeitsmigration dar.

Vor allem die Mischung aus einem sehr hohen Ausmaß der politischen Konflikte in der Region, seien sie inner-arabischer, arabisch-israelischer oder arabisch-muslimischer Natur, und der autoritären Struktur der meisten Regime in der Region haben in der Vergangenheit zu der Entstehung eines äußerst ungünstigen Klimas für regionale wirtschaftliche Zusammenarbeit und zu einem ausgeprägten Bilateralismus geführt. Darüber hinaus haben die hohen Renteneinkommen es den Ländern der MENA-Region ermöglicht, notwendige Reformen aufzuschieben und zur Lösung wirtschaftlicher Probleme politische Mittel einzusetzen.

Die Länder der MENA-Region stehen aber vor einem politischen Generationswechsel, der die Region fast flächendeckend ergreifen wird und zweifelsohne mehr Chancen als Risiken birgt. Darüber hinaus muß sich die Region zwischen Stagnation und Marginalisierung oder nachhaltigem Wachstum und Integration entscheiden. Auf jeden Fall muß die Region handeln. Angesichts der großen, von den WTO-Bestimmungen und der EURO-MED-Initiative ausgehenden Herausforderungen müssen die Länder der Region auch aus weiteren Gründen Strukturanpassungen ihrer Volkswirtschaften vornehmen. Die Ölpreise werden auch in Zukunft flach bleiben. Die offizielle Entwicklungshilfe der OECD für die Region und GCC-Finanzhilfe haben deutlich abgenommen und werden sich wie die Gastarbeiterrücküberweisungen – auf niedrigem Niveau stabilisieren.

Neue Finanzierungsquellen für die wirtschaftliche Entwicklung sind entstanden. Privates Auslandskapital und Repatriierung von Fluchtkapital werden aber nur dann verfügbar sein, wenn sich die inländische Reform überzeugend und sozialverträglich gestaltet. Der Erfolg des laufenden arabisch-israelischen Friedensprozesses ist eine zwingende Voraussetzung, um eine Entspannung in der MENA-Region einzuleiten und das Potential an regionaler Zusammenarbeit auszuschöpfen. Darüber hinaus gibt es in der langen Geschichte der Arabischen Liga erstmals einen ernsthaften Versuch, den ausgeprägten Bilateralismus in den wirtschaftlichen Beziehungen durch die Schaffung einer arabischen Freihandelszone (AFTA) zu überwinden. Der sich abzeichnende Regionalismus steht mithin in seinen Konturen bereits fest.

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Die Vision

Seit Anfang der 90er Jahre werden die 22 Mitgliedsländer der Arabischen Liga, Israel, der Iran und die Türkei (als Grenzfall) konzeptionell und strategisch von den wichtigsten Akteuren innerhalb und außerhalb des Nahen Ostens und Nordafrikas als potentielle Mitgliedsländer einer Region – MENA – behandelt. Trotz des extremen Gefälles in der Ausstattung an den Produktionsfaktoren Arbeit, Human- und Sachkapital sowie an natürlichen Ressourcen und in den Pro-Kopf-Einkommen und trotz der Heterogenität der politischen Systeme sind die Länder in sprachlicher, kultureller und religiöser Hinsicht sehr homogen und historisch eng miteinander verflochten. In der jüngeren Vergangenheit haben sich die politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen in den Ländern der Region derart verändert, daß die Entstehung dieser Vision möglich wurde.

Das labile Kräftegleichgewicht in der MENA-Region wurde durch zwei Ereignisse – den Zusammenbruch des ehemaligen Ostblocks und die Desintegration der UdSSR sowie die Golfkrise und den 2. Golfkrieg – in seinen Grundfesten erschüttert. Mit dem Ende des über 40 Jahre die Weltpolitik dominierenden Ost-West-Konflikts verloren die regionalen Statthalter des westlichen Bündnisses (Israel, Ägypten, Jordanien, die Arabische Republik Yemen, die Türkei und die Staaten des Golfkooperationsrates, GCC: Saudi-Arabien, Kuweit, Oman, die Vereinigten Arabischen Emirate, Qatar und Bahrain) und die des östlichen Blocks (Syrien, der Irak, die PLO und die Volksdemokratische Republik Yemen) ihre angestammte geo-strategische und -politische Rolle.

Der 2. Golfkrieg führte darüber hinaus zu einer tiefen Spaltung innerhalb der arabischen Welt. Der wiedervereinigte Yemen, Jordanien, die PLO und der Sudan, die als pro-irakisch galten, waren politisch isoliert und mußten einen hohen Preis zahlen: Die reichen arabischen Erdölstaaten strichen ihnen ihre finanzielle Unterstützung, kündigten den Handel mit ihnen auf und wiesen ihre Gastarbeiter aus: Kuweit allein 300 000 Palästinenser und Jordanier, Saudi-Arabien fast eine Million Yemeniten. Der Irak, auf der anderen Seite, wies fast eine Million Ägypter aus. Die arabischen Staaten der Anti-Irak-Koalition – Ägypten, Syrien und Saudi-Arabien – mußten, um nicht ihre Glaubwürdigkeit in der arabischen Welt zu verlieren, auch auf eine schnelle Lösung des arabisch-israelischen Konflikts drängen. Mit dem Verlust des Irak als dominierende arabische Regionalmacht und der Ausweitung des arabisch-islamischen Raumes auf die islamischen Republiken der ehemaligen UdSSR haben zwei nicht-arabische Staaten die Türkei und der Iran – ihren Anspruch auf eine regionale Führungsrolle angemeldet, um das bestehende Machtvakuum in der Region auszufüllen.

Die alte, nun aber einzige Weltmacht, die USA, formulierte ihre Ziele in der Region kurz nach dem Ende des 2. Golfkrieges im Frühjahr 1991: die Wiederbelebung des Nahost Friedensprozesses, die ökonomische Entwicklung der MENA-Region nach marktwirtschaftlichen Prinzipien, ein Sicherheitskonzept für die arabischen Golfstaaten und vor allem die Beschränkung des Rüstungswettlaufs im Nahen Osten. Am 30. Oktober 1991 wurde in Madrid die Nahost-Friedenskonferenz eröffnet, an der erstmalig alle direkt betroffenen Konfliktparteien an einem Tisch saßen: Israel, Syrien, Libanon und eine jordanisch-palästinensische Delegation. Die Teilnehmer hatten vor allem eines gemeinsam: sie mußten sich umorientieren.

Israel hatte seine Bedeutung als westliches Bollwerk gegen den Sowjetimperalismus im Nahen Osten verloren. Darüber hinaus minimierte die arabisch-amerikanische Anti-Irak-Koalition Israels strategische Bedeutung für die USA. Gleichzeitig mußte Israel, das erstmals in seiner Geschichte das Ausmaß der Bedrohung durch arabische (irakische) BC-Waffen physisch erlebte, Frieden als strategische Option definieren, um das nationale Sicherheitsbedürfnis zu befriedigen. Nicht zuletzt mußte Israel auch die Finanzierung der massiven Immigrationsströme aus der ehemaligen UdSSR mit US-Finanzhilfe garantieren.

Syrien auf der anderen Seite verlor seinen Protegé, die UdSSR, und seine Rolle als arabischer Frontstaat im arabisch-israelischen Konflikt. Der Libanon, ein vom Bürgerkrieg zerstörtes Land, ist seit dem Taif-Abkommen der Arabischen Liga in Saudi-Arabien im Jahre 1989 unter syrischer Kontrolle und mußte seinem „Bruder" folgen. Jordanien versprach sich von seiner Teilnahme einen Ausbruch aus der politischen Isolation und ausländische Hilfe für seine am Boden liegende Wirtschaft. Ebenso die Palästinenser. Deshalb konnte und wollte niemand diese historische Möglichkeit verpassen. Ohnehin hatten einige Akteure in der Region bereits die Grundlagen für die neue Regionalordnung geschaffen: die PLO erkannte bereits 1988 Israel indirekt an, Syrien akzeptierte das ägyptisch-israelische Camp David Abkommen (1978) und ermöglichte mithin die Rückkehr Ägyptens in die Arabische Liga (1989).

Um die aktive Teilnahme der internationalen Staatengemeinschaft im laufenden Friedensprozeß zu garantieren, wurden neben den direkten bilateralen auch multilaterale Friedensverhandlungen über regionale wirtschaftliche Entwicklung (REDWG), Flüchtlinge, Wasser, Abrüstung und regionale Sicherheit sowie Umwelt eingerichtet. Die durch den Friedensprozeß initiierten regionalen Kooperations- und Integrationsbemühungen der Länder in der MENA-Region stellen einen historischen Ansatz dar, eine Konfliktregion in eine friedliche und kooperative Region zu verwandeln. Der zukünftige Weg wird über den Aufbau von regionalen Institutionen (wie im Falle der EU) und/oder über Netzwerke (wie im Falle von ASEAN) führen.

Der 1991 geborene Regionalismus ist der erste regionale Integrationsversuch, der Chancen auf Erfolg hat. Er betont erstmals geo-ökonomische neben geo-strategischen und geo-politischen Zielen. Er verweist ganz bewußt auf Wohlfahrtsgewinne, eine bessere politische Verhandlungsposition als Region im Wettstreit der Regionen und die Realisierung von nicht-ökonomischen Zielen wie die Befriedigung von Sicherheitsbedürfnissen und Konfliktprävention.

Seit 1991 gibt es bedeutende Fortschritte, die Vision der MENA-Region in die Tat umzusetzen. Eine Vielzahl von bilateralen Projekten und vertiefte Beziehungen zwischen den zentralen Parteien Israel, Ägypten, Jordanien und der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA), ergänzt durch regionale Projekte im Rahmen der multilateralen Verhandlungen des Nahost-Friedensprozesses, die konzeptionell den Nahen Osten und Nordafrika als eine Region umfassen. Die von den USA dominierten und von dem World Economic Forum organisierten jährlichen MENA-Konferenzen, die im Oktober 1994 in Rabat (Marokko) begannen, aber seit 1998 eingefroren sind, betonen die privatwirtschaftliche Zusammenarbeit in der Region. Der von der EU initiierte Barcelona-Prozeß, der im Gegensatz zu den multilateralen Gesprächen des Nahost-Friedensprozesses auch Syrien und den Libanon beinhaltet, zielt ebenfalls auf eine Verbesserung der regionalen Integration in den MENA-Ländern ab. Vor allem die Aussicht auf die Friedensdividende und die Erhöhung der regionalen ökonomischen Effizienz haben trotz der seit Mai 1996 bestehenden Krise den Kollaps dieser Initiativen verhindert, die den neuen Regionalismus fördern.

In Europa waren Frankreich, Deutschland, Italien und die BENELUX-Staaten die tragenden Säulen regionaler Kooperation. In der MENA-Region werden es Saudi-Arabien (GCC), Algerien (AMU), Israel und Ägypten sein. Die folgende Darstellung der politischen und wirtschaftlichen Realität in den Ländern der MENA-Region wird aber deutlich machen, daß die Vision des neuen Regionalismus nur langfristig Wirklichkeit werden kann.

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Die Realität

Hinsichtlich einer Vielzahl von politischen, ökonomischen und sozialen Entwicklungsindikatoren weisen die Länder in der MENA-Region Spitzenwerte im internationalen Vergleich auf, die sich gegenseitig negativ verstärken und potentiell explosiv sind.

Die Zahl der zwischenstaatlichen bewaffneten oder politischen Konflikte in der MENA- Region ist im internationalen Vergleich erschreckend groß: arabisch-israelischer Konflikt, arabisch-muslimische und arabisch-arabische Konflikte. Auch die Liste der Länder, die unter internen bewaffneten Konflikten litten oder leiden, ist lang: Sudan, Irak, Libanon, Yemen, Syrien, Marokko, Somalia, Algerien und die Türkei.

Die Region erfreute sich zwischen 1960 und 1985 eines anhaltenden ölinduzierten Booms, der die MENA-Region im internationalen Vergleich zu einer der am schnellsten wachsenden und sich entwickelnden Regionen machte und nur von Ostasien übertroffen wurde. Mit dem drastischen Verfall des Ölpreises seit dem Jahr 1985 und den anhaltenden Produktivitätsverlusten befindet sich die Region aber in der Krise, sieht man von den Ausnahmen Marokko, Tunesien, Türkei und Israel ab. Die volkswirtschaftliche Leistung der Länder der MENA-Region war vor allem hinsichtlich des Wachstums enttäuschend. Zwischen 1985 und 1995 fiel das Pro-Kopf-Einkommen in der MENA-Region stetig und deutlich. Im gleichen Zeitraum stieg es in den Ent-

wicklungsländern um ca. 40%, in Asien um 80%. Das durchschnittliche Bevölkerungswachstum in der Region beträgt 2,7% pro Jahr. Die Wachstumsrate des Arbeitskräftepotentials liegt bei 3,3%. Die Arbeitslosigkeit – nach offiziellen Angaben – deutlich über 20%. Die Frauenerwerbsquote, hingegen, deutlich unter 20%. Das sind negative Rekordzahlen im internationalen Vergleich, die nur von den Ländern südlich der Sahara übertroffen werden. Trotzdem ist die Verbreitung der Armut aber in den Ländern der MENA Region nach wie vor deutlich weniger ausgeprägt als in vergleichbaren Entwicklungsregionen.

Der Staat dominiert immer noch den Wirtschaftssektor. Durchschnittlich sind 30% bis 60% der einheimischen Erwerbsbevölkerung im öffentlichen Sektor tätig. In einigen Ländern des GCC beträgt diese Quote bis zu 95%. Zwischen 1970 und 1989 wurden 180 Milliarden US-Dollar, fast 80% aller Nettokapitalimporte, vom öffentlichen Sektor absorbiert.

Die Investitions- und Sparquote ist im internationalen Vergleich relativ niedrig. Die Region verlor seit 1985 darüber hinaus stetig an Produktivität, durchschnittlich ca. 2% pro Jahr. Der Aufbau der wirtschaftlichen Struktur macht die Region weiterhin anfällig für externe Schocks. Die „Terms of Trade" sind extremen Fluktuationen ausgesetzt und um das Fünfzehnfache höher als in Entwicklungsländern und um das Dreißigfache höher als in Industrieländern. Die Kapitalflucht aus der MENA-Region ist enorm. Schätzungen beziffern das Kapital, das außerhalb der Region angelegt ist, auf US-Dollar 350 bis 600 Milliarden, wobei die Hälfte dieser Ersparnisse aus den GCC-Staaten kommt. Die Protektion in der MENA-Region ist immer noch sehr hoch. Mit Ausnahme der GCC-Staaten, Israel und der Türkei liegen die tarifären Handelshemmnisse bei durchschnittlich mehr als 20%, die nicht-tarifären Handelshemmnisse – vor allem in Form von Importlizenzen – bei durchschnittlich mehr als 30%. Dementsprechend gering ist der Anteil der Region am Welthandel mit nur 3,4%.

Obwohl der Anteil der verarbeiteten Güter an den Gesamtexporten seit 1985 kontinuierlich steigt, dominieren noch immer die Primärprodukte die Exportstruktur mit ca. 70%. Beispielsweise sind die Nicht-Öl-Exporte der arabischen Welt immer noch geringer als die Finnlands, einem Land mit fünf Millionen Einwohnern. Die meisten Kapital- und Aktienmärkte in der Region sind fragmentiert, seit den 80er Jahren – mit der Ausnahme von Israel – im Dornröschenschlaf und wurden deshalb von der jüngsten Asienkrise auch nur marginal berührt. Der Tourismus ist unterentwickelt und stark segmentiert. Das gesamte Einkommen der Region aus dem Tourismus in einer Höhe von ca. 14 Milliarden US-Dollar (ohne die Türkei) war im Jahre 1997 nur geringfügig höher als das Österreichs, einem Land mit acht Millionen Einwohnern.

Die Qualität der Dienstleistungen – mit der Ausnahme von Israel – ist häufig unzureichend. Noch immer muß man in Ägypten und Jordanien durchschnittlich sechs Jahre auf einen Telefonanschluß warten. Der Anteil nicht zustande gekommener Telefonanrufe liegt in Tunesien bei ca. 34%, und dieser Wert gilt in der Region als gut. Die Exportkosten über ägyptische Häfen liegen um ca. 30% höher als die vergleichbarer EU-Häfen. Weniger als 50% der Straßen in der Region sind in guter Verfassung.

Neben diesen makroökonomischen, demographischen und sektoralen Indikatoren sind vor allem die Wasserknappheit, die Höhe der Militärausgaben und die Flüchtlingskonzentration in der Region besorgniserregend. 1963 hatte noch jede Person in der Region mehr als 3000 Kubikmeter Frischwasserreserven pro Jahr zur Verfügung. Heute sind es bereits in mehr als 13 Ländern der Region deutlich weniger als 1000 Kubikmeter. Die MENA-Region gehört auch zu den größten Waffenarsenalen in der Welt. Auch 1996 vereinigte die Region fast 40% aller Waffenimporte – 38,1% im Nahen Osten und 0,6% in Nordafrika – auf sich. Die Region weist darüber hinaus die höchste Konzentration an Flüchtlingen (ca. 5,5 Millionen) und Binnenvertriebenen (ca. 4,5 Millionen) im internationalen Vergleich auf.

Die MENA-Region ist mit Hinsicht auf Investitionen und Handel auch eine der am wenigsten integrierten Regionen der Welt. Der intra-regionale Handel liegt deutlich unter 10%, die intra-regionalen Investitionen liegen unter 15 Milliarden US-Dollar. Die einzige Ausnahme stellt die intra-regionale Arbeitsmigration dar. Die Rücküberweisungen von Arbeitsmigranten sind immer noch größer als der Wert des intra-regionalen Handels, der Wert der intra-regionalen offiziellen Kapitalflüsse (Finanzhilfe) oder der Wert der intra-regionalen Investitionen. Darüber hinaus ist die Region in wirtschaftlicher Hinsicht immer noch in die Subregionen Maghreb und Mashrek zweigeteilt. In der Region integriert sind nur Irak, Bahrain, Jordanien und Libanon, deren intra-regionaler Handel mehr als 15% beträgt. Dementsprechend sind die bestehenden subregionalen Institutionen, die die Wirtschaftspolitik der Mitgliedsstaaten koordinieren sollen, entweder suspendiert (wie der Arab Cooperation Council), oftmals blockiert (wie die Arabische Liga) oder bestehen nur auf dem Papier (wie die Arab Maghreb Union). Nur der GCC, der vor allem als Sicherheitsbündnis gegründet wurde, um ein Bollwerk gegen die iranische Bedrohung aufzubauen, und die OPEC bilden in dieser Hinsicht eine Ausnahme.

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Ursachen der unzureichenden Entwicklung

Die Ursachen für die unzureichende Entwicklung der Region lassen sich zunächst auf die anhaltenden inner- und zwischenstaatlichen politischen Konflikte zurückführen:

Das Spektrum der politischen Systeme in der MENA-Region ist groß und reicht von Monarchien (z.B. GCC-Staaten, Marokko, Jordanien) über Republiken in der Form von autokratischen Präsidialregimen (z.B. Ägypten, Syrien, Tunesien), und Militärregimen (z.B. Sudan) bis zu Demokratien (z.B. Israel). Die meisten Regime erfreuten sich in den letzten zwei oder drei Dekaden einer beachtlichen Stabilität. Stabilität ist daher nicht das Problem der Region. Vielmehr ist es die Mischung aus einem sehr hohen Ausmaß der politischen Konflikte in der Region, seien sie inner-arabischer, arabisch-israelischer oder arabisch-muslimischer Natur, und der autoritären Struktur der meisten Regime in der Region, die zu der Entstehung eines äußerst ungünstigen Klimas für regionale wirtschaftliche Zusammenarbeit geführt haben. Autoritäre Systeme, die sich ihre Legitimität über die Verteilung von Renteneinkommen und dem Credo „no taxes – no participation" erkaufen, unterwerfen nicht nur die Entwicklung ihrer Zivilgesellschaften, sondern auch wirtschaftliche Aktivitäten den nationalen politischen und Sicherheitskonzepten. Die Folge dieses allgegenwärtigen Mißtrauens ist, daß sich auch zwischenstaatliche Beziehungen auf einen stark ausgeprägten Bilateralismus konzentrieren und Marktkräfte durch bilaterale staatliche Abkommen ersetzt werden, die bei politischen Spannungen jederzeit aufkündbar sind.

Darüber hinaus leidet die Region natürlich immer noch unter dem kolonialen Erbe. Diese Periode von Fremdbestimmung hat das Verhalten gegenüber Wirtschaftspolitik, politischer Legitimität und der Rolle des Staates nachhaltig beeinflußt. Kolonialstaaten hatten die Tendenz, autoritär und diskriminierend zu sein, bei gleichzeitigem ökonomischen laissez-faire. Als Antwort auf diese Erfahrung nahmen fast alle Staaten der Region – mit der Ausnahme des Libanons – in der post-kolonialen Ära eine Entwicklungsstrategie an, die auf staatlichem Interventionismus beruhte. Der Staat sollte Modernisierung vorantreiben, Investitionen und Produktion kontrollieren, flächendeckenden Zugang zu Bildung und Sozialdiensten schaffen und die Ungleichheiten in der Gesellschaft abbauen. Die in dieser Hinsicht eingesetzten Instrumente waren Nationalisierungen, der Schutz der inländischen Industrie, breit angelegte staatliche Investitionsprogramme und ein überbordendes System von Subventionen für Grundnahrungsmittel und Dienstleistungen. Die Entwicklungserfolge der Region in der Periode von 1960 bis 1985 sind eher das Produkt einer stabilen Weltwirtschaft, gepaart mir hohen Ölpreisen und einer vergleichsweise langsamen Industrialisierung als die Folge dieses Staatsinterventionismus. Insbesondere seit 1973 erwirtschafteten die ölreichen Staaten über die progressiv gestiegenen Ölpreise ein überproportionales Wachstum ihrer nationalen Einkommen und ließen die anderen Staaten in der Region in Form von Finanzhilfe und Gastarbeiterrücküberweisungen an diesen außerordentlichen Gewinnen partizipieren.

Diese sprunghaft gestiegenen Einnahmen führten zu massiven Investitionen in Human- und Sachkapital, zum Aufbau kapitalintensiver Technologien ohne Rücksicht auf das Bevölkerungswachstum, zur Vernachlässigung des Privatsektors, zu einem enormen Anstieg der Sozialausgaben und der Ausdehnung ineffizienter, geschützter Staatsunternehmen. Nicht zuletzt haben die jahrzehntelangen Stellvertreterkriege der Supermächte in der Region, transnationale Ideologien wie Pan-Arabismus, Pan-Islamismus und der Zionismus alter Prägung, die als akute Bedrohung junger nationaler Regime empfunden wurden, sowie das extreme Gefälle im Wohlstand und der Ressourcenausstattung in der Region dazu geführt, daß Macht- und Geo-Politik die dominanten Faktoren im Staatsverhalten der MENA-Länder wurden.

Trotz der politischen und ökonomischen Heterogenität haben die meisten Länder der MENA-Region mithin ähnliche Probleme:

Die hohen Renteneinkommen aus Öl und natürlichen Ressourcen, Lagerenten, Transferzahlungen vor allem in Form von regionaler und ausländischer technischer, Finanz- und Militärhilfe und Gastarbeiterrücküberweisungen ermöglichten es den Ländern der MENA- Region, notwendige Reformen aufzuschieben und Strukturen zu konservieren, die auf das Erbe der Politik der Importsubstitution und Autarkie der 60er und 70er Jahre zurückzuführen und in allen Wirtschaftsbereichen sichtbar sind.

Exzessive öffentliche Intervention, Preisverzerrungen, der Mangel an Transparenz in der Ordnungs- und Ablaufpolitik und die fehlende Konvertibilität der lokalen Währungen wurden beibehalten, schwächten die Privatinvestitionen im Sektor handelbarer Güter und erschwerten den Handel an sich. Ein übergroßes Maß an Protektionismus und die Verzerrung von Anreizsystemen wurden konserviert und führten zu Poduktionsstrukturen, die kaum konsistent mit den komparativen Vorteilen der betreffenden Länder waren. Dies führte zwangsläufig zu begrenzter Komplementarität in den Produktions- und Handelsstrukturen und mithin zu geringem intra-regionalem Handel. Überall war auch ein mangelnder Wille der Regime festzustellen, die kurzfristigen Kosten der Liberalisierung und des Strukturwandels zu tragen. Zögerliche Versuche, den Handel im Rahmen von formalen bilateralen und regionalen Abkommen zu liberalisieren, wurden häufig durch umfangreiche Ausnahmen und das Fehlen eines zeitlich definierten Implementierungsrahmens entwertet und untergruben die Glaubwürdigkeit der Reformbestrebungen. Interne und inter-staatliche politische Spannungen haben neben der hohen Rentenabhängigkeit ein übriges getan, um ein Klima der Nicht-Kooperation zu schaffen.

Vor diesem Hintergrund ist die geringe Integration der Region in die Welthandelsmärkte nicht überraschend. Der Handel ist auch immer noch auf wenige Güterkategorien konzentriert. Exporte von Rohstoffen (vor allem Erdöl), Chemikalien und anderen Primärprodukten (vor allem Pottasche und Phosphate) machen durchschnittlich über 70% aller Exporte aus. Exporte verarbeiteter Güter machen bestenfalls 30% der Gesamtexporte der Region aus. Davon sind durchschnittlich 25% Exporte von Textilien und Bekleidung. In Ägypten, Marokko, Syrien und Tunesien liegt dieser Anteil aber deutlich über 50%. Nur 4% der Exporte sind Nahrungsmittel. 50% aller Nicht-Öl-Exporte stammen allein aus Israel. Auch auf der Importseite ist eine erhebliche Konzentration festzustellen. Zweidrittel aller Importe sind verarbeitete Güter. Durchschnittlich 15% der Importe sind Nahrungsmittel. In den GCC-Staaten ist dieser Anteil noch weitaus größer. Die Region ist relativ abhängig vom EU-Markt: Durchschnittlich 30% aller MENA-Exporte gehen in die EU, durchschnittlich 45% der Importe kommen aus der EU. Die Bedeutung der MENA-Exporte in die EU hat seit 1980 aber deutlich abgenommen: von ca. 24% auf 8% aller EU-Importe. Japan und die USA folgen mit großem Abstand als die nächstwichtigsten Handelspartner.

Die Handelsoffenheit der Region hat zwischen 1976 (84%) und 1995 (70%) deutlich abgenommen. Die Ursachen für den bescheidenen internationalen und intra-regionalen Handel sind neben den hohen tarifären und nicht-tarifären Handelshemmnissen zweifelsohne die hohen Handelskosten (Transport-, Kommunikations- und administrative Kosten). Das für die Region anomale Ausmaß an Arbeitsmigration, die normalerweise die letzte Stufe regionaler Integration darstellt, ist auf zwei Ursachen zurückzuführen: auf den extremen Unterschied in der Faktorausstattung und die unterschiedliche Entwicklungspolitik der arbeitsimportierenden und -exportierenden Länder. Um die Nachfrage nach nicht-handelbaren Gütern (vor allem in den Sektoren Bau, Bildung, inländische private und öffentliche Dienstleistungen) zu befriedigen, hatten die ölexportierenden Länder keine andere Wahl, als massiv Arbeit zu importieren. Gleichzeitig wurde die Nachfrage nach handelbaren Gütern über den Weltmarkt befriedigt, da arbeitsimportierende Länder eine offene Handelspolitik verfolgten, die von den arbeitsexportierenden Ländern in der Region wegen ihrer restriktiven Handelspolitik nicht befriedigt werden konnte. Natürlich kann Arbeitsmigration keine Substitution für regionalen Handel sein, da sie im Sektor nicht-handelbarer Güter konzentriert ist. Dennoch war dieser Mechanismus vorteilhaft für die beteiligten Länder. Er führte zu einem umfassenden regionalen Verteilungsprozeß des Ölreichtums und zu einem Export des Überschusses von Arbeitskräften. Die Arbeitsmigration brachte den arbeitsexportierenden Ländern einen „easy way out", um an Devisen zu gelangen, die ihre Importsubstitutionspolitik nicht erwirtschaften konnte, und wurde dementsprechend gefördert. Für Jordanien, Ägypten und Yemen war diese Politik bis 1991 erfolgreich. Für den Sudan brachte dieser „brain drain" vor allem einen Engpaß bei qualifizierten Arbeitskräften. Seit 1991 ist das Ventil der regionalen Arbeitsmigration aber zunehmend verstopft.

Die Finanzierung der wirtschaftlichen Entwicklung wird darüber hinaus durch die hohen Militärausgaben erschwert. Die Region ist gekennzeichnet durch einen Teufelskreis der Aufrüstung, der sich wie folgt vollzieht: Wenn z.B. Saudi-Arabien aufrüstet, um den Iran abzuschrecken, ruft das auch Ängste in Israel hervor. Wenn Israel aufrüstet, fühlt sich Syrien bedroht. Die syrische Aufrüstung provoziert die Türkei. Die Aufrüstung in der Türkei bedroht wiederum den Iran. Die Aufrüstung des Irans provoziert Saudi-Arabien. Und wieder beginnt der Teufelskreis. Offensichtlich gibt es im Nahen Osten keine klare Blockbildung, also auch keinen einheitlichen Block des arabischen Goliaths gegen den israelischen David, wie es oft und falsch dargestellt wird. Saudi-Arabien z.B. fühlt sich nicht nur vom Irak und dem Iran bedroht, sondern auch vom Yemen und Israel.

Die wirtschaftliche Entwicklung der Länder in der MENA-Region wird zusätzlich durch die sich verschärfende Wasserknappheit bedroht. Hauptursachen für die drastisch zunehmende Wasserknappheit sind vor allem der ineffiziente Wasserverbrauch in der Landwirtschaft und das Tarifsystem für den Trink- und Industriewasserverbrauch sowie insbesondere für die Bewässerungslandwirtschaft, die durchgängig hinsichtlich Niveau und Struktur unzureichend und bei weitem nicht kostendeckend sind. Darüber hinaus gehen durchschnittlich 50% des städtischen Wasserverbrauchs wegen veralteter Kanalisationssysteme verloren.

Trotz der vielfältigen Probleme, unter denen die Länder der MENA-Region gegenwärtig leiden, sind die Entwicklungsperspektiven der Region in politischer und wirtschaftlicher Hinsicht durchaus positiv.

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Die Perspektiven


1. Der politische Generationswechsel

Die Länder der MENA-Region stehen vor einem politischen Generationswechsel, der die Region fast flächendeckend ergreifen wird und zweifelsohne mehr Chancen als Risiken birgt. Nach dem Tod von König Hussein, der 47 Jahre lang Jordanien regierte, und dem Tod von Emir Issa Bin Sultan Al Khalifa, der immerhin 38 Jahre lang über Bahrain herrschte und von Hassan II von Marokko (seit 1961), dominiert die Nachfolgediskussion zunehmend die Politik in der arabischen Welt. Die Alleinherrscher sind in die Jahre gekommen: Yasser Arafat als PLO-Führer (seit 1968), Muammar Al Qaddafi in Libyen (seit 1969), Sultan Qaboos Bin Said von Oman (seit 1970), Hafiz Al Assad in Syrien und Sheikh Zayed Bin Sultan An Nahyan von den Vereinigten Arabischen Emiraten, VAE, (seit 1971), König Fahd von Saudi-Arabien (seit 1982) und nicht zuletzt Saddam Hussein im Irak (seit 1979), um die wichtigsten zu nennen.

Ihre Nachfolger werden die politischen Fragen der Dezentralisierung, Demokratisierung und Partizipation offener und kompromißbereiter behandeln müssen, um einen gesellschaftlichen Konsensus über den anstehenden tiefgreifenden Strukturwandel in ihren Ländern zu erreichen. Die politische Liberalisierung wird auch durch die wachsende weltweite Informationsdichte gefördert, da autoritäre Systeme ein wesentliches Element ihrer Stabilisierungsfähigkeit, nämlich ihr Informationsmonopol, eingebüßt haben. Nicht zuletzt wird die wirtschaftliche Öffnung der Region, die sich abzeichnet, auch eine Öffnung der Gesellschaften wenn auch mit einer zeitlichen Verzögerung bedingen.


2. Wirtschaftliche Perspektiven

Die Länder der MENA-Region stehen vor mehreren großen wirtschaftlichen Herausforderungen, aber auch Möglichkeiten. Die Region muß sich zwischen Stagnation und Marginalisierung, die die politischen Spannungen weiter erhöhen und den Extremismus schüren, oder nachhaltigem Wachstum und Integration entscheiden. Auf jeden Fall muß die Region handeln.

Allein bis zum Jahr 2010 wird die Region nach konservativen Schätzungen (1997) 120 Millionen Menschen mehr haben und Arbeit für mehr als 47 Millionen Menschen im arbeitsfähigen Alter schaffen müssen. Das schnelle Bevölkerungswachstum, die rapide Urbanisierung, die zunehmende Wasserknappheit und steigenden Umweltschäden werden zukünftige Regierungen auf eine schwere Bewährungsprobe hinsichtlich der Finanzierung der Gesundheits-, Bildungs- und Sozialdienste sowie der urbanen Infrastruktur stellen. Die Aussicht auf eine weitere expansive Ausdehnung des Welthandels und eine zunehmende Globalisierung der Weltfinanz- und Weltdienstleistungsmärkte auf der Grundlage der WTO-Bestimmungen, engere wirtschaftliche Beziehungen mit der EU, die im Jahre 2010 in einer euro-mediterranen Freihandelszone gipfeln werden, und die Möglichkeiten größerer regionaler Stabilität durch den laufenden Friedensprozeß und besserer Integration durch die Schaffung einer arabischen Freihandelszone bis zum Jahre 2007 sind aber konkreter denn je.

Die Agenda für die Zukunft wird folglich bestimmt durch das Wechselspiel zwischen inländischer Reform und zunehmender regionaler Kooperation in Verbindung mit internationaler Unterstützung und Integration. Die Strategie wird sich auf die folgenden Punkte konzentrieren müssen: Förderung von Nicht-Öl-Exporten, Effizienzsteigerung im Privatsektor, flexiblere und besser ausgebildete Arbeitskräfte und Abbau der Armut durch größeres Wachstum. Der Wettbewerbsdruck der Weltwirtschaft und der akute inländische Druck, mehr und bessere Arbeitsplätze zu schaffen, sind die wahrscheinlichsten Kräfte, die den nachhaltigen Strukturwandel in der MENA-Region auslösen werden.


3. Veränderungen des Güterhandels durch neue Technologien

Die Triebfeder der Globalisierung und Spezialisierung ist zweifelsohne die Revolution der weltweiten Kommunikations- und Informationstechnologie, die zu einer qualitativen Veränderung des Güterhandels und des Handels von Dienstleistungen geführt hat. Der Abschluß der Uruguay-Runde im Rahmen des GATT (1987 – 1994) und die Gründung der WTO tragen diesen Entwicklungen Rechnung und erhöhen den Außendruck auf die MENA-Region, Wettbewerbsfähigkeit und Produktivität zu erhöhen. Im Gegensatz zum GATT gibt es in der WTO eine klare Zollbindung (kein „opting-out") und konsistente Schlichtungsregeln im Falle von Handelskonflikten. Die wichtigsten Säulen der WTO, die am 1. Januar 1995 gegründet wurde, sind TRIPS (Trade-related Intellectual Property Rights), GATS (General Agreement on Trade in Services) und GATT (General Agreement on Tariffs and Trade). Mehrere Länder der MENA-Region sind Mitglieder der WTO: Bahrain, Djibouti, Ägypten, Israel, Kuwait, Mauretanien, Marokko, Qatar, Tunesien, die Türkei und die Vereinigten Arabischen Emirate. Einige Länder wollen Mitglieder werden: Algerien, Jordanien, Libanon, Saudi-Arabien und Sudan. Und zwei Länder beantragten Beobachterstatus: Iran und Oman.

Nach Abschluß der Uruguay-Runde werden die Industrieländer in einem Zeitraum von fünf Jahren ihre durchschnittlichen Zollsätze von 6,3% auf 3,8% reduzieren. Erstmalig wurden auch landwirtschaftliche Produkte in die GATT-Verhandlungen aufgenommen. Ziel ist es, alle quantitativen Handelshemmnisse durch Zölle zu ersetzen und fast alle Zollkategorien Zollbindungen zu unterwerfen. Im Rahmen von sechs Jahren sollen die Zölle in den Industrieländern maximal um 36% fallen, in den Entwicklungsländern um 24% in zehn Jahren, minimal aber um 15% in den Industrieländern und 10% in den Entwicklungsländern.

Im Rahmen des GATS, das durch gesetzliche Regeln und nicht Zölle bestimmt wird, nahmen aus der MENA-Region Algerien, Bahrain, Ägypten, Israel, Kuwait, Marokko, die Türkei und Tunesien teil. Die Länder der MENA-Region machten nur im Tourismus-Sektor erwähnenswerte Zusagen, nicht aber in den Sektoren Finanzdienstleistungen, Kommunikation, Transport und Versicherungen und blieben weit hinter den durchschnittlichen Zusagen der Entwicklungsländer zurück. Was das Multifaserabkommen betrifft, das 40 Mitglieder hat und ca. 80 Prozent aller Exporte von Textilien und Bekleidung umfaßt, werden die mehr als 100 bilateralen Begrenzungsabkommen innerhalb von zehn Jahren nach Abschluß der Uruguay-Runde auslaufen. Diese bringt Wohlfahrtsgewinne für Nordamerika, die EU und Ostasien und Wohlfahrtsverluste für die Staaten der ehemaligen Sowjetunion und vor allem die MENA-Region.

Im wesentlichen sind es die folgenden Gründe, die die Wohlfahrtsverluste verursachen und eintreten werden, gleichgültig, ob die Länder der MENA-Region Mitglieder der WTO werden oder nicht:

  • Die Agrarsubventionen in den Industrieländern werden graduell reduziert und führen zu höheren Nahrungsmittelpreisen. Da die MENA-Region durchschnittlich ca. 15% ihres Nahrungsmittelkonsums importiert, wird die von der Uruguay-Runde induzierte Erhöhung für landwirtschaftliche Produkte einen deutlich negativen Effekt haben.
  • Der graduelle Abbau des Quotensystems im Rahmen des Multifaserabkommens wird zu einer Erhöhung des Wettbewerbs in der Textil- und Bekleidungsbranche führen und erhebliche Preiskürzungen für diese in der MENA-Region wichtigen Exportprodukte nach sich ziehen.
  • Nicht zuletzt dürfte die Produktions- und Handelsausweitung auch eine zunehmende Spezialisierung und eine höhere Nachfrage nach human- und sachkapitalintensiven Produkten induzieren, die höhere Preise für diese wichtigen Importprodukte – ca. 35% der Gesamtimporte – für die MENA-Region mit sich bringt.

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Die MENA-Region und die EU

Die laufende multilaterale Liberalisierung des Handels und von Dienstleistungen im Rahmen der WTO führt zweifelsohne zu einer deutlichen Abnahme der Begünstigungen, die die Länder der MENA-Region gegenwärtig von der EU erhalten. Die EU hat bereits seit 1996 mit Beginn des Barcelona-Prozesses auch versucht, die dadurch entstehenden Kosten abzuglätten: Von 1996 bis 1999 stellt die EU Mittel in Höhe von 4,7 Milliarden Euro an Zuschüssen und Kredite in Höhe von 4,7 Milliarden Euro über die EIB zur Verfügung. Bislang hat die EU in Kraft getretene Assoziierungsabkommen mit Tunesien (1997), Marokko (1997), und PLO für die PA (1997) abgeschlossen. Die Assoziierungsabkommen mit Israel und Jordanien sind hingegen noch nicht in Kraft getreten. Mit Ägypten, Libanon, Syrien und Algerien verhandelt die EU noch über solche Abkommen.

Hauptbestandteile der Assoziierungsabkommen sind der progressive Abbau der Zölle auf industrielle Güter innerhalb von 12 Jahren, spätestens aber bis zum Jahr 2010, der graduelle und begrenzte Abbau von Zöllen auf Agrarprodukte, Maßnahmen zur Liberalisierung von Dienstleistungen und Unternehmensgründungen (ausländische Direktinvestitionen) sowie die Übernahme von weitreichenden handelsbezogenen EU-Regeln.

Die positiven Auswirkungen auf die zehn betroffenen MENA-Länder (Algerien, Ägypten, Israel, Jordanien, Libanon, Marokko, Syrien, Tunesien und die PA – die Türkei ist ja bereits seit dem 1. Januar 1996 mit der EU in einer Zollunion verbunden) dürften sich weniger in dem Abbau von tarifären und nicht-tarifären Handelshemmnissen bemerkbar machen, als vielmehr in den aus vermehrten Wettbewerb resultierenden Wohlfahrtsgewinnen, die vor allem aus der Harmonisierung von Normen und Standards sowie dem Abbau von Handelskosten entstehen. Die potentiellen Kosten sind aber beträchtlich. Wegen der Bedeutung von Handelssteuern in den fiskalischen Einnahmen der betroffenen Länder, der dominierenden Position der EU im Handel und der Konzentration von verarbeiteten Gütern in den Importen aus der EU werden die Ausfälle in den fiskalischen Einnahmen substantiell sein.

Nach statischen Schätzungen führt die Eliminierung der Zölle auf EU-Importe beispielsweise im Libanon zur Bedrohung von ca. 45% der staatlichen Einnahmen, in Marokko von ca. 10 Prozent. Um diesen potentiellen Einnahmenausfall kompensieren zu können, müssen die betroffenen Staaten ihr Steuersystem grundlegend umbauen und die Steuerverwaltung verbessern. Notwendig ist eine deutliche Erhöhung der Besteuerung von einheimischen Konsum sowie von Einkommen und Gewinnen, die mit durchschnittlich 6,4% und 3,7% des regionalen BIP deutlich unter den OECD-Vergleichswerten von 10% und 9% liegen. Die Umstrukturierung des Steuersystems und die Verbesserung der Steuerverwaltung sind mit enormen Kosten und Problemen – wie unzureichende Buchhaltungsstandards der Unternehmen und geringe Pro-Kopf-Einkommen – verbunden. Der Wegfall der von der EU seit 1979 gewährten einseitigen Handelsbegünstigungen bringt zusätzliche Kosten, wahrscheinlich in Verbindung mit einer vergleichsweise großen Handelsumlenkung zugunsten der EU. Handelsliberalisierung impliziert gleichzeitig einen zunehmenden Abwertungsdruck, um die Zahlungsbilanz auszugleichen. Darüber hinaus kommt es zu Anpassungskosten auf den Faktormärkten (Arbeit und Kapital), die die Problematik der ohnehin schon sehr hohen Arbeitslosigkeit und der aufgeblähten Staatsbürokratie verschärfen und soziale Spannungen auslösen können.

Aber auch die potentiellen Gewinne sind nicht unbedeutend. Der Barcelona-Prozeß schafft die Voraussetzung für eine tiefere politische, wirtschaftliche und kulturelle Integration. Die Handelsliberalisierung kann sich auf Dienstleistungen ausweiten. Die technologischen Transfers verbessern Produktivität, die Produktqualität und ergänzen die unzureichenden F&E-Ausgaben in der Region, die mit der Ausnahme von Israel bei nur 0,2% des BSP liegen und sich auf klinische Medizin und angewandte Chemie konzentrieren. Die Harmonisierung der Produktqualitätsstandards macht die MENA-Produkte marktfähiger in der EU. Die Assoziierungsabkommen eröffnen die Möglichkeit, weitere Reformen, die über den Handelssektor hinausgehen, in Angriff zu nehmen und mithin die Glaubwürdigkeit der Strukturreform zu erhöhen. Diese Maßnahmen sind zweifelsohne notwendige Voraussetzungen, um mehr ausländische Direktinvestitionen durch Effizienzgewinne anzuziehen.

Die Reformen können und müssen in diesem Umfeld aggressiver, weitreichender und zeitgerechter ablaufen. Der oftmals zögerliche, mit Wohlfahrtsverlusten verbundene Gradualismus kann dadurch begrenzt werden. Nicht zuletzt stellt der Barcelona-Prozeß die erste Stufe einer einseitigen Handelsliberalisierung dar, deren Wohlfahrtsgewinne um so größer sind, je mehr die horizontale regionale Integration vorangetrieben und der Rest der Welt einbezogen wird. Um diese horizontale regionale Integration zu fördern, hat die EU bislang nur den Maghreb-Staaten eine umfassende regionale Kumulation der Ursprungszeugnisse zugestanden. Den Ländern im Mashrek wird dieses Privileg nur zugestanden, wenn sie Freihandelsabkommen untereinander abschließen.

Die Assoziierungsabkommen der EU mit den mitteleuropäischen Ländern sind im Vergleich natürlich weitaus spezifischer als EURO-MED. Die Gefahr des „Hub & Spoke", demzufolge EU-Unternehmen den Markt vom Zentrum Europa aus bedienen und nicht direkt in der Peripherie, den Zielländern, investieren, ist in diesen Ländern minimal wegen der neu geschaffenen Freihandelszone. Deshalb müssen die Länder der MENA-Region bestehende regionale Abkommen überprüfen und sie entweder um einen effektiven regionalen Freihandelsansatz oder einen globalen Liberalisierungsansatz ergänzen, der auf der Meistbegünstigungsklausel basiert.

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Interne Reformen und Strukturanpassungen

Angesichts der großen, von den WTO-Bestimmungen und der EURO-MED-Initiative ausgehenden Herausforderungen müssen die Länder der MENA-Region die inländische Reform forcieren oder konsistent und glaubwürdig beginnen. Neben diesen grundlegenden Änderungen im globalen und inter-regionalen Umfeld müssen die Länder der Region aus weiteren Gründen Strukturanpassungen ihrer Volkswirtschaften vornehmen.

Die Ölpreise werden auch in Zukunft flach bleiben, verursacht durch fortgesetzte Energiesparmaßnahmen, den Ausbau der Nutzung alternativer Energiequellen und einer wahrscheinlichen Angebotserhöhung auf dem Weltölmarkt durch den Irak, Libyen (Suspendierung der UN-Sanktionen am 6. April 1999) und die Staaten der ehemaligen Sowjetunion. Die offizielle Entwicklungshilfe der OECD für die Region ist zwischen 1992 und 1995 um ca. 50% gefallen. Dieser Verlust wird auch nicht durch die erhöhte Finanzhilfe im Rahmen von EURO-MED kompensiert werden können. Die Finanzhilfe des ehemaligen Ostblocks ist seit 1990 ganz weggebrochen, und die ehemaligen Ostblock-Staaten sind mittlerweile Konkurrenten um Finanzhilfe. Auch die GCC-Finanzhilfe hat deutlich abgenommen und wird sich auf niedrigem Niveau stabilisieren. Zwischen 1973 und 1992 gewährten Saudi-Arabien, Kuwait und die VAE durchschnittlich ca. 4,3 Milliarden US-Dollar an bilateraler Finanzhilfe pro Jahr, seit 1992 aber nur noch ca. 500 Millionen US-Dollar pro Jahr. Auch die multilaterale Finanzhilfe über die Islamic Development Bank, den OPEC Fund for Industrial Development und den Arab Fund for Economic and Social Development, die zwischen 1973 und 1992 nur 13 Milliarden US-Dollar betrug, wird in Zukunft ebenfalls nicht steigen. Darüber hinaus wird sich die auf striktem Bilateralismus beruhende, praktische Finanzhilfe der GCC-Staaten weiterhin an außen- und sicherheitspolitischen Motiven orientieren und vor allem die militärisch potentesten Länder, die auch die Hauptquellen der Arbeitsmigration sind (Syrien, Ägypten und Jordanien), bedienen.

Auch die Gastarbeiterrücküberweisungen können bestenfalls auf niedrigem Niveau stabilisiert werden. Die Arbeitsmigration in die Wohlstandsfestung Europa, in die GCC-Staaten, wo der Anteil der ausländischen Erwerbsbevölkerung in den 90er Jahren auf zwischen 75% (Bahrain) und 84% (VAE) geschätzt wird und mithin ausgereizt ist, und nach Israel kann nicht substantiell erhöht werden. Die Finanzierung der wirtschaftlichen Entwicklung muß deshalb über neue Quellen: privates Auslandskapital und Repatriierung von Fluchtkapital erfolgen. Diese neuen Finanzierungsquellen werden aber nur dann verfügbar werden, wenn die inländische Reform überzeugend und sozialverträglich gestaltet werden kann.

Die internen Reformen werden sich in der MENA-Region auf die folgenden Komponenten konzentrieren müssen: Privatisierung und Deregulierung, Reform der öffentlichen Finanzen, Verbesserung der Funktionsfähigkeit der Arbeitsmärkte, Stärkung der Humanressourcen, Erhöhung in- und ausländischer Investitionen, Verbesserung der finanziellen Infrastruktur, Handels- und Kapitalmarktliberalisierung begleitet durch einen unterstützenden makroökonomischen Mix aus Fiskal-, Geld- und Wechselkurspolitik.

Es gibt erste Anzeichen, daß die in der jüngeren Vergangenheit in mehreren Ländern der MENA-Region eingeleiteten Reformen greifen und zur makroökonomischen Stabilisierung der Region beigetragen haben. Das regionale Bruttosozialprodukt wächst wieder seit dem Anfang der 90er Jahre, auch das reale Wachstum der Pro-Kopf-Einkommen ist wieder positiv, wenn auch – mit weniger als 1% – bei weitem nicht ausreichend. Daher ist es unvermeidlich, die extrem hohe Bevölkerungswachstumsrate über effektive Familienplanung, Schulausbildung und Gesundheitsdienste für alle und flexiblere Arbeitsmärkte sowie breitere Sozialnetze zu verringern. Auch die öffentlichen Haushaltsdefizite der meisten Länder in der Region wurden durchschnittlich auf deutlich unter 3% des BSP – mit der Ausnahme der arabischen Golfstaaten – gedrückt.

Darüber hinaus liegt die durchschnittliche Inflation seit 1998 erstmals im einstelligen Bereich – sieht man von der Türkei und dem Sudan ab –, die stark defizitären Zahlungsbilanzen wurden nahezu ausgeglichen, und die Währungsschwankungen sind vor allem wegen der geringen Kapitalströme vergleichsweise gering. Im Vergleich mit den anderen Entwicklungsregionen dieser Welt verfügt MENA – trotz der qualitativen Mängel – auch über ein angemessenes Angebot an Telefonanschlüssen, Elektrizität, Straßen und Bildungseinrichtungen. Und die Verbreitung der Armut ist im Vergleich geringer. Nur ca. elf Millionen Menschen leben unter der Armutsgrenze von einem US-Dollar pro Tag.

Dennoch greift die makroökonomische Stabilisierung zu kurz, da der Staat sich noch immer mehr als Ernährer und nicht als Moderator oder Vermittler versteht. Stagnierende oder fallende Renteneinkommen, die höchste Arbeitslosigkeit, die niedrigste Frauenerwerbsquote und die größten Reallohnverluste aller Entwicklungsregionen in der Welt erfordern einen neuen Entwicklungsansatz. Der Staat muß den Marktkräften mehr Spielraum gewähren, damit der Privatsektor der neue Motor der wirtschaftlichen Entwicklung werden kann.

Das Potential für die Entwicklung des Privatsektors leitet sich aus dem hohen Bestand an Fluchtkapital, den Gastarbeiterrücküberweisungen und dem in der Region tief verwurzelten Unternehmergeist ab. In einem ersten Schritt müssen aber zunächst die staatlichen Wirtschaftsunternehmen, die in den Sektoren handelbare Güter und Infrastruktur tätig sind, privatisiert werden. In dieser Hinsicht sind bereits erste Erfolge deutlich sichtbar.

Die Einnahmen aus Privatisierungen wachsen in der MENA-Region am schnellsten, nicht nur weil sie von einem extrem niedrigen Ausgangsniveau aufgenommen wurden, sondern auch, weil die Länder in der Region die Notwendigkeit von Privatisierungen erkannt haben. 1995 betrug der MENA-Anteil an Privatisierungen aller Entwicklungsregionen in der Welt bereits 8% (ca. 2,2 Milliarden US-Dollar), zwischen 1988 und 1992 lag er noch bei 0,5% (22 Millionen US-Dollar). 1995/96 lag Ägypten bereits an vierter Stelle hinter Ungarn, Malaysia und der Tschechischen Republik, was die Einnahmen aus Privatisierungen anbetrifft. Ein weiterer Anstieg ist zu erwarten, da mehr als 600 staatliche Unternehmen für Privatisierung identifiziert wurden: Marokko (100), Algerien (250), Tunesien (60), Yemen (70), Ägypten (100) und Kuwait. Pioniere der Privatisierung sind die Türkei (seit 1983), Tunesien (seit 1986) und Marokko (seit 1990). In den arabischen Golfstaaten hat bislang nur Saudi-Arabien seit 1985 Privatisierungen durchgeführt, subventioniert aber weiterhin diese privatisierten Unternehmen wie SABIC und diverse Elektrizitätsunternehmen. Die zunehmende Bedeutung des Privatsektors ist vor allem in der Türkei und Ägypten offenkundig, wo der durchschnittliche Anteil der Privatinvestitionen an den Gesamtinvestitionen von ca. 43,5% (1980 bis 1986) auf ca. 64,9% (1987 bis 1994) sprang.

95% aller zur Privatisierung identifizierten Unternehmen konzentrieren sich auf die Sektoren handelbare Güter und Infrastruktur. Allein im Sektor Infrastruktur wurden zwischen 1984 und 1997 weltweit mehr als 1350 private Infrastrukturprojekte in 128 Ländern mit einem Wert von 650 Milliarden US-Dollar abgeschlossen. In der MENA-Region belief sich aber der Gesamtwert dieser Projekte nur auf nur neun Milliarden US-Dollar (1,4%). Der Wert aller notwendigen Infrastrukturprojekte in der MENA-Region, hingegen, wird auf US-$ 300 bis 350 Milliarden beziffert.

Die steigenden Privatisierungseinnahmen haben auch dazu beigetragen, die öffentlichen Haushaltsdefizite in der Region zu verringern. So lagen beispielsweise die öffentlichen Haushaltsdefizite der arabischen Länder 1991 noch bei durchschnittlich 10,8% des BSP, 1996 aber nur noch bei durchschnittlich 3,3%. Damit wurde die Gefahr des „crowding out" deutlich reduziert und eine wichtige Voraussetzung geschaffen, um die Leistungsfähigkeit der Finanzmärkte zu verbessern.

In struktureller Hinsicht konnte die Abhängigkeit von Öleinnahmen in den Haushalten der erdölexportierenden Länder aber nicht bedeutend abgebaut werden. Noch immer liegt der Anteil der Öleinnahmen im staatlichen Haushalt der betreffenden Länder bei durchschnittlich 66%. Offensichtlich werden die aus den starken Fluktuationen des Ölpreises resultierenden Haushaltsprobleme in den erdölexportierenden Ländern immer noch als temporäres „cash flow"-Problem betrachtet und nicht als strukturelles Problem. Je länger der Zeitraum ist, bis die nachgewiesenen Erdölreserven bei Fortschreibung der aktuellen Produktion erschöpft sind, je geringer ist die Bereitschaft, wirtschaftliche Transformation und Reform in Angriff zu nehmen. Die Länder mit den größten Erdöl- und Erdgasreserven sind in der Regel die Länder, die einen äußerst langsamen Reformprozeß aufweisen. Umgekehrt sind die Länder mit den geringsten Reserven wie Tunesien und Ägypten oder Länder ohne Ölvorkommen – wie Jordanien, Marokko und die Türkei – die frühen Reformer.

Nur wenige Länder in der Region haben überhaupt damit begonnen, die Fiskalpolitik strukturell zu reformieren und ergiebige, dauerhafte Einnahmequellen für den öffentlichen Haushalt einzuführen, die sich nicht aus Renteneinnahmen speisen, sondern aus der Besteuerung von Produktion oder Konsum ableiten, wie die Mehrwertsteuer – Marokko (1986), Tunesien (1988), Mauretanien (1995), Israel (Anfang der 80er Jahre) oder eine allgemeine Verkaufsteuer: Ägypten (1991) und Jordanien (1994). Privatisierungen und die Reform des öffentlichen Sektors sind aber noch keine hinreichenden Bedingungen, um den Privatsektor effizienter und zum Motor der wirtschaftlichen Entwicklung zu machen. Vielmehr müssen auch die Arbeitsmärkte flexibler gemacht und die Arbeitskräfte besser ausgebildet werden, um den dramatischen Produktivitätsverlust umzukehren und die die hohe Arbeitslosigkeit abzubauen.

Die in vielen Ländern der Region de facto bestehende Beschäftigungsgarantie für Akademiker im öffentlichen Dienst – vor allem in Ägypten und Syrien – und die restriktive Gehaltspolitik (Iran) müssen gelockert werden. Das Einkommensgefälle zwischen öffentlichem und privatem Sektor muß vor allem in den arabischen Golfstaaten zugunsten des Privatsektors korrigiert werden. Mehr als 90% der einheimischen Erwerbsbevölkerung in diesen Ländern sind im öffentlichen Sektor beschäftigt, der etwa das Dreifache an den im Privatsektor üblichen Gehältern zahlt. Gleichzeitig leistet sich die Region den Luxus, im arabischen Öl- und Erdgassektor mehr als eine Million Ausländer, im Bausektor zwischen sieben und neun Millionen Ausländer zu beschäftigen.

Neben den verzerrten Anreizsystemen des Arbeitsmarktes muß auch der Bildungssektor grundlegend reformiert werden, der durch große, aber unrentable Ausgaben gekennzeichnet ist. Grundsätzlich gilt, daß die quantitative Ausstattung an primären, sekundären und tertiären Bildungseinrichtungen angemessen ist, daß aber die Qualität der Ausbildung – mit der Ausnahme von Israel – unzureichend ist. Bislang hat nur Jordanien, das innerhalb der arabischen Welt einen Spitzenplatz einnimmt, sein Bildungssystem im Jahre 1990 im „International Assessment of Educational Progress (IAEP)" testen lassen, mit vernichtenden Resultaten. Von 20 teilnehmenden Staaten belegte Jordanien nur den 18. Platz, vor allem weil die jordanischen Schüler große Defizite im kreativen, problemorientierten Denken aufwiesen. Andere arabische Staaten wie Ägypten, Kuwait und Tunesien schreckten vor diesem internationalen Vergleich bislang zurück, haben aber angekündigt ihre Bildungssysteme in Zusammenarbeit mit der UNESCO prüfen zu lassen.

Die berufliche Bildung ist entweder quantitativ nicht ausreichend (Jordanien, PA) oder zu stark ausgebaut. In Ägypten sind ca. 60% aller Schüler der Sekundarstufe in beruflichen oder technischen Zweigen konzentriert und produzieren eine Zahl von fachlich nicht ausreichend qualifizierten Arbeitern, die um das Siebenfache über den tatsächlichen Bedarf der Wirtschaft hinausgeht. Oder aber die Staaten produzieren einen Überschuß an Akademikern, der nicht vermittelbar ist. Die Reform des Bildungssektors muß sich aber nicht nur auf die Verbesserung der Qualität konzentrieren, sondern auch qualifizierte Arbeitskräfte in den Sektoren produzieren, in denen die Region komparative Vorteile aufweist.

Das Wachstum des Welthandels wird in den nächsten Jahren auf durchschnittlich 6% pro Jahr geschätzt. Um an diesem Wachstum teilzuhaben, muß die Region nicht nur den Handel liberalisieren, sondern auch die Sektoren fördern, die neben Erdöl und Erdgas über komparative Vorteile im Welthandel verfügen. Um die einseitige Abhängigkeit vom Export von Rohöl abzubauen, muß die Förderung von Nicht-Öl-Exporten von den betreffenden Ländern prioritär behandelt werden. Exporteure müssen Zugang zu Importen zu Weltmarktpreisen erhalten, und die Exportfinanzierung muß verbessert werden. Um den Handel weiter zu fördern und die Marktpenetration zu unterstützen, müssen auf nationaler Ebene vor allem Handelsversicherungsgesellschaften aufgebaut werden, die Banken anstelle von Kreditrationierung zur Handelsfinanzierung nützen. Die Exportförderung sollte sich auf die folgenden Sektoren konzentrieren: Ölverfeinerung, Chemikalien, Nahrungsmittel, Bekleidung und Textilien, (einfacher) Maschinenbau, und verarbeitete Güter (Teppiche, Gold, Silber, Schmuck). Die Nahrungsmittel- und Textilbranche beschäftigt immer noch ca. 50% aller Beschäftigten in der MENA-Region (außer Israel). Vor allem die Bekleidungs- (Tunesien, Marokko, Türkei, Libanon und Ägypten) und Textilbranche (Türkei, Ägypten, Iran, Tunesien, Marokko) weisen im internationalen Vergleich komparative Vorteile auf und sollten ausgebaut werden.

Alle Länder – bis auf Israel, Mauretanien und Marokko – sind Nettonahrungsmittelimporteure. Dennoch weisen die größten Agrarproduzenten in der Region – Türkei, Iran, Syrien und (Irak) im Mashrek sowie Ägypten, Marokko und Sudan im Maghreb – komparative Vorteile in der Nahrungsmittelproduktion im Weltvergleich auf. Derzeit verteilen sich 38% der Produktion auf Getreide (vor allem Gerste), weitere 38% auf Früchte und Gemüse und der Rest auf Fleisch- und Milchprodukte. Dementsprechend weisen Iran und Marokko komparative Vorteile bei getrockneten Früchten, Marokko und Ägypten bei Gemüse, Iran und Marokko bei Gewürzen und Marokko, Tunesien, Iran, Oman und die VAE bei Fischfang und Fischverarbeitung auf.

Die Region verfügt über Zweidrittel der nachgewiesenen Erdölreserven und 30% der nachgewiesenen Erdgasreserven. Obwohl die Transportkosten für Erdgas über Pipelines oder Tanker (verflüssigtes Gas) sehr hoch sind, haben mehrere Länder begonnen diese Einnahmequelle zu nutzen: Algerien (1964), Libyen (1971), VAE (1977) und Qatar (1996). Neben bestehenden Pipelines zwischen Algerien und Europa (Transmed über Tunesien nach Italien und Maghreb-Europe über Marokko nach Spanien) liegen neue wichtige Pipelines-Pläne zwischen Ägypten und Israel (Sackgasse im Friedensprozeß) sowie Libyen und Italien (UN-Sanktionen) aus politischen Gründen auf Eis. Die petrochemische Industrie in der MENA-Region hat wegen der großen Erdgas- und Phosphatreserven großes Potential: in den GCC-Staaten organische Düngemittel und Plastikprodukte, in Jordanien, Marokko und Tunesien anorganische Düngemittel.

Auch der Tourismus weist ein enormes Potential auf. Um es aber ausschöpfen zu können, muß sich die politische Stabilität der Region deutlich verbessern.

Um all diese komparativen Vorteile voll nutzen zu können, muß der Privatsektor wettbewerbsfähiger gemacht werden. Er kann aber nur dann effizienter werden, wenn intellektuelle Eigentumsrechte besser geschützt werden, um Investitionen in der Informationstechnologie zu fördern, wenn der Umweltschutz gefördert wird, um den externen Kosten Rechnung zu tragen, wenn der Konsumentenschutz verbessert wird, um Quali-tätsverbesserungen zu erreichen, wenn Wettbewerbsregeln für die Bereitstellung von Infrastrukturprojekten entwickelt werden, und nicht zuletzt, wenn die Finanzmärkte liberalisiert werden.

Um die Finanzmärkte effizienter zu machen, müssen nicht nur die makroökonomische Zins-, Währungs- und Geldpolitik durch die Schaffung unabhängiger Zentralbanken liberalisiert werden, sondern auch der institutionelle Aufbau der finanziellen Infrastruktur durch den Abbau der oligopolistischen Struktur des Finanzsektors (Ausnahme: Libanon) und seine Öffnung für ausländische Marktteilnehmer (GCC-Staaten) forciert werden. Darüber hinaus muß die Reduzierung des Anteils der im öffentlichen Besitz befindlichen Finanzinstitutionen (Ägypten, Algerien), die Anpassung des Bankensektors an internationale Kapitalausstattungsstandards, der Aufbau von speziellen Gerichtshöfen für Finanzfragen und nicht zuletzt der Aufbau von Einlagenversicherungssystemen mit verbessertem Datenzugang vorangetrieben werden.

Die Kosten der inländischen Reform sind in der Übergangsphase der Strukturanpassung beträchtlich. Die Arbeitslosigkeit wird um weitere 3% durchschnittlich steigen, der private Konsum um 2% durchschnittlich fallen. Die Reform kann nur dann gelingen, wenn die in der Regel gut organisierten potentiellen Verlierer der Reform, vor allem die Beschäftigten im öffentlichen Sektor, ausreichend über Sozialpläne kompensiert werden und die potentiellen Gewinner, vor allem arbeitslose oder unterbeschäftigte Frauen, sich besser organisieren.

Die in der Region vorhandenen sozialen Sicherungsnetze reichen aber derzeit nicht aus, um die Kosten der inländischen Reform hinreichend zu tragen, und müssen um ausländische Finanzierungsquellen ergänzt werden. Zweifelsohne sind die inländische Reform und die Lösung des Schuldenproblems – mithin die Wiederherstellung der internationalen Kreditwürdigkeit eine Grundvoraussetzung, um zur Finanzierung der wirtschaftlichen Entwicklung privates Auslandskapital anzuziehen und Fluchtkapital zurückzuführen.

Im Durchschnitt hat sich die Kreditwürdigkeit der Länder der MENA-Region bereits verbessert. Von den ca. 220 Milliarden US-Dollar Gesamtauslandsschulden sind weniger als 25% kurzfristige Schulden, weit mehr als 25% aber zinsvergünstigte Schulden. Der Schuldenüberhang (Auslandsschulden/Exporte) war nur in Algerien, Mauretanien, Sudan und Syrien mit einem Wert von deutlich über 150% kritisch. In Jordanien, Marokko und der Türkei hingegen ist der Schuldenüberhang weniger bedrohlich. Darüber hinaus haben arabische Länder der MENA-Region seit 1994 – die Vorreiter Libanon und Tunesien, denen später Algerien, Bahrain, Jordanien, Qatar und Oman folgten – angefangen, die Entwicklung nicht nur über Banken zu finanzieren, sondern auch über die internationalen Rentenmärkte. Im Jahr 1996 erhielten arabische Länder erstmalig „credit ratings" von einer der zwei weltweit führenden Agenturen Moodys und Standard & Poors. Mittlerweile ist die Zahl auf 12 Länder gestiegen, 9 Länder haben auch einen „investment grade". Dennoch sind internationale Geschäftsbanken weiterhin die Hauptquelle der externen Finanzierung.

Um das regionale Fluchtkapital zumindest teilweise repatriieren zu können, ist die Entwicklung eines Kodex für Investitionen grundlegend, der internationalen Standards und Ansprüchen genügt. Darüber hinaus müssen die Länder der Region die Investitionspolitik nicht nur wegen der von der WTO definierten Bestimmungen über TRIMS (Trade-related Investment Measures) harmonisieren, sondern auch um die enormen Kosten der Steuerbefreiungen und Steuerkonzessionen in den Griff zu bekommen, die Erosion der Steuerbasis zu begrenzen und die Ausbreitung dieses verzerrten Wettbewerbs einzuschränken.

Auch ausländische Direktinvestitionen werden auf Reformanstrengungen, die sich auf die Verbesserung der Attraktivität der Gesellschaftsstruktur, der Infrastruktur, der Produktionsfaktoren, der Effizienz der Regierungspolitik und der Wettbewerbsfähigkeit konzentrieren, positiv reagieren. 1996 lag der Anteil der Länder der MENA-Region (ohne Israel) an den ausländischen Direktinvestitionen in allen Entwicklungsregionen bei nur ca. 2,6% der 128,7 Milliarden US-Dollar, die weltweit niedrigste Quote. Wie notwendig diese Reformen sind, zeigt der jüngste Bericht des World Economic Forum (1998): nur vier Länder aus der MENA-Region tauchen auf der Liste der 53 wettbewerbsfähigsten Länder auf und nicht an führender Stelle: Israel (29), Jordanien (34), Ägypten (38) und die Türkei (40). Auch sind die ausländischen Direktinvestitionen auf Israel, die Türkei, Ägypten, Marokko und Tunesien konzentriert. Immer noch fließt aber der Großteil der Kapitalzuflüsse in den Ausbau der Fremdwährungsreserven oder zur Anlage in kurzfristige, hochverzinsliche staatliche Schuldpapiere (Ägypten, Libanon).

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Die Wasserknappheit

Die Verschärfung der Wasserkrise, verursacht durch ein abnehmendes Wasserangebot (Übernutzung nicht erneuerbarer fossiler Grundwasservorräte) und eine drastisch gestiegene Wassernachfrage bei gleichzeitiger Verschlechterung der Wasserqualität, bedroht direkt die Wachstumsperspektiven des betroffenen Landes, da das unzureichende Wasserangebot nicht mehr ausreicht, um die industrielle Entwicklung und die Bewässerungslandwirtschaft in die Lage zu versetzen, Menschen zu beschäftigen und zu ernähren. Der sich abzeichnende Teufelskreis der Wasserknappheit kann aber durch einen integrierten Ansatz aus Wasserressourcenmanagement und Wachstumspolitik, der sich auf Information, Investitionen sowie den Aufbau von Institutionen und Anreizsystemen stützt, aufgesprengt werden. Um die akute Wasserknappheit in den Wasserdefizitländern der Region abzubauen, müssen die Ursachen zielgerecht bekämpft werden. Noch immer absorbiert die Landwirtschaft bis zu 80% des Wasserverbrauchs in den Ländern der Region. Um den landwirtschaftlichen Wasserverbrauch deutlich zu verringern, bietet sich die Substitution des Anbaus von wasserintensiven Nahrungsmitteln wie Reis und Zuckerrohr durch den Anbau von wasserextensiven Gemüse- und Fruchtarten an, der durch ein die Wasserkosten widerspiegelndes Tarifsystem umgesetzt werden muß.

Der Anteil der Landwirtschaft am BIP und an der Beschäftigung nimmt in der Region seit Jahren ab. Daher wird der fortgesetzte Abbau der Bewässerungslandwirtschaft nur begrenzte negative soziale Auswirkungen haben. Ausnahmen sind Ägypten, der Yemen und Oman, wo die Landwirtschaft noch immer einen beträchtlichen Teil der Erwerbsbevölkerung beschäftigt. Weitaus schwieriger wird es sein, diese Strukturanpassung politisch durchzusetzen. Viele Staaten streben noch immer Autarkie in der Nahrungsmittelversorgung an, obwohl die Region es bereits in den 70er Jahren aufgegeben hat, sich selbst zu ernähren. Einflußreiche Interessengruppen (Großgrundbesitzer) blockieren diese Reform politisch. Die Einsicht, daß es einfacher und kostengünstiger ist, eine Tonne Getreide als 1000 Tonnen Wasser zu importieren, um diese Tonne Getreide zu produzieren, wird aber zunehmend mehrheitsfähig.

Darüber hinaus bietet sich zwischen mehreren Ländern in der Region eine Kooperation zwischen Wasserüberschuß- und Defizitländern an. Es gibt bereits mehrere Projekte, die aber als Folge zwischen- und innerstaatlicher Probleme bislang nicht realisiert wurden, die ungleiche Wasserverteilung zum Nutzen der beteiligten Länder zu korrigieren. Der Jonglei Kanal würde Sudan und Ägypten mit zusätzlichen 4,7 Milliarden Kubikmetern Wasser des Weißen Nils, das paritätisch geteilt werden soll, versorgen. Der Wihdat Damm am Yarmouk würde Jordanien mit zusätzlich 220 Millionen Kubikmetern Wasser pro Jahr versorgen und Syrien als Quelle der Elektrizitätserzeugung dienen. Ähnliche regionale Kooperationsprojekte sind zwischen den relativ wasserreichen Ländern – der Türkei, dem Libanon, Syrien und dem Irak – und den Wasserdefizitländern – Israel, Jordanien und der PA – in unterschiedlicher Zusammensetzung denkbar.

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Militärausgaben in der MENA-Region

Nach dem 2. Golfkrieg, dessen Kosten auf über 500 Milliarden US-Dollar geschätzt werden, dem drastischen Verfall des Ölpreises – das arabische Öleinkommen ist von 297 Milliarden US-Dollar im Jahr 1980 auf 92 Milliarden US-Dollar im Jahr 1995 gesunken – und der zunehmenden Armut im Nahen Osten setzt sich in der Region langsam die Überzeugung durch, daß Militärausgaben zugunsten ziviler Investitionen im Sozial- und Wirtschaftsbereich reduziert werden müssen, um innere politische Unruhen wegen des fallenden Lebensstandards zu verhindern. Diese Überzeugung ist in einigen Ländern schon zur Realpolitik geworden.

1985 betrug der Anteil der Militärausgaben am BIP in Israel 20,3%, in Jordanien 15,5% und in Syrien 21,8%. 1995 betrug dieser Anteil in Israel nur noch 9,6%, in Jordanien 7,7% und Syrien 7,2%. Nur in Kuwait ist der Anteil der Militärausgaben am BIP von 5,7% auf 11,6% in dieser Periode gestiegen. Trotz der relativen Abnahme der Militärausgaben, sind die Rüstungsausgaben der Region immer noch mindestens mehr als doppelt so hoch wie der Weltdurchschnitt. Die Region hat ihre führende Stellung hinsichtlich der Waffenimporte auch 1996 gehalten. Vor allem Saudi-Arabien und die arabischen Golfstaaten belegen Spitzenplätze.

Offensichtlich sprechen drei Gründe gegen eine kurzfristige Entspannung im Nahen Osten: Die fünf permanenten Mitglieder des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen – USA, Rußland, das Vereinigte Königreich, Frankreich und China – sind gleichzeitig die größten Waffenlieferanten der Region. Sie wollen diesen lukrativen Markt nicht verlieren und die Erdölvorkommen strategisch sichern.

Saudi-Arabien will die Vorherrschaft am Golf, die es vom Iran und Yemen bedroht sieht. Auch gibt es kein Streben nach militärischem Gleichgewicht. Die strategische Doktrin Israels jedoch basiert auf der Forderung militärischer Überlegenheit über alle denkbaren Kombinationen arabisch-islamischer Bedrohung.

Israel wird das Nuklearmonopol nicht aufgeben, weil es bei einer eventuellen Gebietsrückgabe und dem Verlust der strategischen Tiefe ein Abschreckungspotential braucht. Doch die arabischen Staaten werden versuchen, die militärische Überlegenheit Israels über weitere Aufrüstung wettzumachen. Dieser Trend wird auch zukünftig anhalten, weil sich eine für die arabischen Staaten ungünstige Dichotomie im Nahen Osten ergeben hat. Israels Nuklearwaffenarsenal wird auf über 100 Sprengköpfe geschätzt, und es hat die Kapazität, Wasserstoffbomben zu bauen. Iran wird der nächste nicht-arabische Staat sein, der die Atombombe bauen kann. Ohne eine umfassende Abrüstungsinitiative in der Region, die neben Israel auch den Iran und die Türkei umfaßt, wird es mithin keine dauerhafte Stabilität in der Region geben.

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Perspektiven

Der Erfolg des laufenden arabisch-israelischen Friedensprozesses ist eine zwingende Voraussetzung, um eine Entspannung in der MENA-Region einzuleiten und das Potential an regionaler Zusammenarbeit in der Energieerzeugung, im Tourismus und im Wassermanagement auszuschöpfen. Die Region verfügt über eine sich ergänzende Ausstattung an natürlichen, Human- und finanziellen Ressourcen. Die bestehenden hohen Handelsbarrieren implizieren ein beachtliches Potential an handelschaffenden Wohlfahrtsgewinnen durch regionale Integration. Das durchschnittliche Pro-Kopf-Einkommen liegt noch immer deutlich über dem der Entwicklungsländer. Die Region beheimatet ca. 5% der Weltbevölkerung und stellt einen großen Markt mit beträchtlicher Kaufkraft dar. Handelsbeziehungen und intra-regionale Handelsrouten sind vorhanden. Sprachliche und religiöse Gemeinsamkeiten sowie kulturelle Affinitäten können die Kooperation in einem substantiellen Teil der Region beflügeln.

Darüber hinaus gibt es in der langen Geschichte der Arabischen Liga erstmals einen ernsthaften Versuch, den ausgeprägten Bilateralismus in den wirtschaftlichen Beziehungen durch die Schaffung einer arabischen Freihandelszone (AFTA) zu überwinden. Diese AFTA, deren effektive Implementierung am 1. Januar 1998 begann und die am 31. Dezember 2007 verwirklicht werden soll, wird die horizontale Integration in der MENA-Region entscheidend vorantreiben und die Aufnahme nicht-arabischer Staaten in der Region ermöglichen. Dieser Prozeß kann auch nicht von der weit ver-breiteten Angst der arabischen Volkswirtschaften vor israelischer Dominanz und Hegemonie entscheidend gebremst werden. In ökonomischer Hinsicht ist es ohnehin weitaus wahrscheinlicher, daß die relative Größe Israels in der regionalen Wirtschaft abnimmt, da andere Länder, die technologisch aufholen, schneller wachsen.

Der sich abzeichnende Regionalismus steht mithin in seinen Konturen bereits fest, obwohl arabische Kritiker die MENA-Konzeption weiterhin nur als westlichen Versuch ansehen, Israels Sicherheit und die Versorgung der Weltmärkte mit Öl zu garantieren. Eine Kerngruppe im Herzen von MENA beginnt mit ökonomischer Kooperation: Israel, Ägypten, Jordanien und Palästinenser. Der Kernbereich wird im Zeitablauf um den Libanon, Syrien und den Irak erweitert. In einem weiteren Stadium wird die Peripherie zunehmend integriert: AMU, GCC, Yemen, Türkei und der Iran. Die horizontale Verknüpfung dieser regionalen Sub-Gruppierungen stärkt die MENA-weiten wirtschaftlichen Verbindungen. Dieser Prozeß der direkten regionalen Zusammenarbeit wird durch die Schaffung eines angemessenen regionalen institutionellen Rahmens gestärkt, der sich auf die Gründung einer Institution – vergleichbar der OECD – und einer regionalen Finanzinstitution – MENA-BANK – konzentriert.

Diese Institutionen gibt es bereits in Miniaturausgabe (REDWG-Sekretariat) oder im fortgeschrittenen Planungsstadium (MENA-BANK).


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