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2. Das Problem des Finanzsektors

Die meisten japanischen Banken sind durch drei Charakteristika gekennzeichnet: Erstens täuschen die enormen Geschäftsvolumen darüber weg, daß japanische Banken auch vor den Jahren der Krise im internationalen Vergleich sehr niedrige Gewinne erwirtschafteten. Dies lag vor allem an der in Japan vorherrschenden Extremform des relational banking. Alle großen Geschäftsbanken gehörten Unternehmensgruppen (keiretsu) an, deren Mitglieder traditionell zu privilegierten Bedingungen mit Krediten bedient werden. Es gibt Hinweise, daß die Banken wichtigen Mitgliedern ihres keiretsu Kredite zum Teil zu den Selbstbeschaffungskosten gewährten. Die Gewinnmargen wurden zwar größer, je weiter der Kreditnehmer von der Unternehmensgruppe entfernt war. Dies war jedoch nicht ausreichend, um den Gewinnverzicht bei Krediten an die eigene Gruppe auszugleichen.

Zweitens hatten und haben japanische Banken große Probleme mit dem Risikomanagement, dem Kern des Bankmanagements. Das relational banking selbst wurde auch als eine Art Risikovorsorge angesehen, da im Krisenfall auf die Ressourcen der gesamten Unternehmensgruppe zurückgegriffen werden konnte. Vor allem aber besaßen die großen Banken eine implizite (d.h. nicht rechtlich oder vertraglich fixierte) Garantie des Staates. Bis in die 70er Jahre hinein legte die Industriepolitik des MITI fest, welche Sektoren und Firmen durch Kredite zu fördern waren. Die Banken, die dank der Regulierung der Zinssätze davon entbunden waren, um Einleger zu konkurrieren, reagierten in ihrer Kreditpolitik zu einem hohen Anteil nur auf die staatlichen Signale. Die Frage, wer im Falle des Scheiterns die Kosten zu tragen hatte, kam gar nicht auf. Das Finanzministerium erreichte mit seiner Geleitzugpolitik, der zufolge keine Bank bankrott gehen durfte und im Krisenfall die größeren Banken den kleineren bzw. der Staat den größeren Banken zu Hilfe kam, daß die dem Bankgeschäft inhärenten Risiken von vornherein als Problem des Staates angesehen werden konnten. So lange hohe durchschnittliche Wachstumsraten vorherrschten, waren Kreditrisiken kein Problem; vereinzelte Kreditkrisen wurden schnell durch das Wachstum entschärft. Das Risikomanagement wurde jedoch zum Problem, als die durchschnittlichen Wachstumsraten zurückgingen und sich - dies vor allem - der Kundenkreis der Banken veränderte: Die Großunternehmen als Kreditnehmer wurden zunehmend ersetzt durch riskantere Kunden aus dem Bereich der Kleinunternehmen, Baufirmen, Immobilien- und Finanzgesellschaften und der organisierten Kriminalität.

Drittens weisen japanische Banken überdurchschnittlich hohe Personal- und Infrastrukturkosten auf. Die Gehälter im Bankensektor sind um ein Drittel höher als in der Industrie; auch Bonuszahlungen, Abfindungen und Dividendenausschüttungen sind (mit Ausnahme des letzten Jahres) überdurchschnittlich; es gibt einen Personalüberhang auf der operativen wie auf der Managementebene (der beeindruckenden Zahl uniformierter Türsteher entspricht eine ebenso beeindruckende Zahl von senior advisors, oft pensionierte Beamte des Finanzministeriums); das Filialnetz ist überdimensioniert; bürokratische Prozeduren auch bei Routineangelegenheiten sind die Regel; während Verbrecherorganisationen großzügig mit Krediten bedient werden, wird derjenige, der ein einfaches Girokonto eröffnet, wie ein prospektiver Großbetrüger behandelt.

Dieses System war wenig geeignet, die finanziellen Schocks der bubble economy und ihres Platzens zu verarbeiten. In den Jahren des billigen Geldes liehen die Banken jedem, der über Grund und Boden als Sicherheiten verfügte, unabhängig von der Seriosität der jeweils finanzierten Projekte. Die Kreditnehmer spekulierten mit dem geliehenen Geld an der Börse, deren Kurse ebenso astronomische Höhen erreichten wie die Grundstückpreise - und als Börse und Immobilienmarkt zusammenbrachen, saßen die Banken auf einem Gebirge fauler Kredite. Die Regierung tat nach dem Platzen der bubble das für die Banken Richtige: Sie senkte den Zinssatz in Richtung Null, so daß die Banken von der hohen Marge zwischen den Kosten der Kreditaufnahme und der Kreditvergabe profitieren konnten. Hohe operative Gewinne, so die Hoffnung, erleichterten es, faule Kredite schrittweise abzuschreiben und die Bilanzen in Ordnung zu bringen. Gleichzeitig würde der wieder einsetzende Aufschwung dafür sorgen, daß sich das Kreditproblem durch wieder einsetzende Rückflüsse entschärfte: Die Kreditkrise würde sich auflösen, ohne daß die Banken zur Offenlegung ihrer wirklichen finanziellen Position hätten gezwungen werden müssen.

Das Problem dieses Sanierungsansatzes lag darin, daß die Banken selbst wenig Gründe hatten, ihre Bilanzen offenzulegen und ihre riskante Kreditpolitik zu korrigieren. Wenn eine Bank - diese Rechnung wurde von Paul Krugman aufgemacht - Einlagen von 105 Billionen Yen und Außenstände von 115 Billionen Yen hatte, lag ihr "Kapital" (von Grundbesitz, Aktienpaketen, Filialnetz usw. abgesehen) bei 10 Billionen Yen. Wenn jedoch die Chance, die Außenstände in vollem Umfang einzubringen bei 50 Prozent lag und damit ebenso hoch war wie die Gefahr, daß nur 85 Billionen Yen eingebracht werden konnten, wäre die Bank insolvent: Ihr Wert wäre negativ (-5 Billionen Yen). Er kann jedoch nicht negativ sein, da die Einlagen in vollem Umfang versichert sind. Der Wert der Bank läge damit bei 5 Billionen Yen (50 Prozent x (115-105). Da der Wert, auf den die Eigner Anspruch haben, dank der Einlagenversicherung nicht negativ sein kann, ist eine riskante Kreditpolitik gerade unter der Last uneinbringlicher Kredite "rationaler" als eine Konsolidierung, die nur die prekäre Lage der Bank deutlich machen würde. Auch unter ungünstigen Bedingungen konnte der Wert der Bank nicht unter Null sinken. Der Anreiz zu moral hazard bestand also fort, und die japanischen Banken engagierten sich weiterhin in riskanten Kreditgeschäften, wenn auch weniger in Japan als - bis zum Ausbruch der Asienkrise 1997 - in den asiatischen Nachbarländern. Zudem taten die Banken wenig, um ihre operativen Kosten zu senken: Sie blieben bei ihrer Überbeschäftigung, der Ausweitung ihres Filialnetzes, hohen Gehältern, Bonuszahlungen, Abfindungen und Ausschüttungen.

Die Versicherung der Bankeinlagen erfolgt in Japan nicht über die Banken selbst - die hierfür vorgesehenen Mittel sind minimal - sondern "implizit" durch den Staat. Theoretisch hätte der Staat seine Garantie für die Bankeinlagen aufheben und die Banken damit in die Katastrophe treiben können. Dies hätte einen massiven run auf die Banken - auch die, die noch solvent waren - und damit ein volkswirtschaftliches Desaster ausgelöst. Die Alternative war eine strenge Regulierung und Beaufsichtigung der Banken, die sich grundlegend von der Kollusion zwischen den Beamten des Finanzsystems und dem Management der Banken unterscheiden mußte. Unter den gegebenen Bedingungen konnten die Finanzbeamten nach dem Ende ihrer öffentlichen Karriere einen hoch dotierten Job bei einer privaten Bank erwarten; es gab für sie also einen starken Anreiz, sich mit ihren künftigen Arbeitgebern gut zu stellen; umgekehrt konnte das Bankmanagement davon ausgehen, daß die Beamten ihren Beitrag leisten würden, um die Situation der Banken zu verschleiern.

Als erste Voraussetzung jeder Sanierung mußte die Beaufsichtigung der Banken dem Finanzministerium entzogen werden. Dies geschah 1997/98, mit der Bildung der vom Finanzministerium unabhängigen Financial Supervisory Agency (FSA). Natürlich stand auch die FSA unter dem Anfangsverdacht der Kollusion, setzte sie sich doch aus Beamten zusammen, die dem Finanzministerium nicht allzu fern standen. Mittlerweile gestehen aber auch Kritiker zu, daß die FSA im Rahmen ihrer Möglichkeiten die Bankenaufsicht gestärkt hat, etwa indem sie verbindliche Kriterien zur Klassifizierung ausstehender Kredite entwickelte und Schritt für Schritt auch durchsetzte. Voraussetzungen hierfür waren zum einen die Asienkrise und damit der drastische Rückgang der Nachfrage nach Krediten in Asien, zum andern die Tatsache, daß der Staat im Laufe des Jahres 1997 nicht mehr nur kleinere Kreditgesellschaften, sondern eine größere Bank und das Wertpapierhaus Yamaichi Securities pleite gehen ließ. Damit entstanden erhebliche Unsicherheit, ob und in welchem Umfang der Staat seine impliziten Garantien für das Überleben der Banken wirklich einlösen würde. Daher waren die Banken auch eher bereit, sich dem Druck der neuen Behörde zu beugen und ihre Bilanzen offenzulegen.

Kritisiert wird jedoch, daß die FSA viel zu klein ist, um die Sanierung der Banken schnell voranzutreiben; sie hat 300 Mitarbeiter (im Vergleich: das Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen hat 2000 Mitarbeiter). So hat sich die FSA bislang auch nur auf die Banken konzentrieren können - während sie zum Beispiel das Problem der Lebensversicherungen, die in einer vergleichbar schweren Krise stecken, schon aus Kapazitätsgründen noch gar nicht hat angehen können (die Lebensversicherungen haben ihren Kunden in den Jahren der bubble eine Minimalrendite garantiert, die in Japan gesetzlich einklagbar ist, die sie aus den Erträgen ihrer Anlagen aber längst nicht mehr decken können).

Kritisiert wurde auch, daß die Banken auch 1999 staatliche Kapitalspritzen erhalten werden - von insgesamt 7,5 Billionen Yen, gegenüber 1,8 Billionen Yen 1998 -, die mehrheitlich in der Form des Kaufs von Aktien ohne Stimmrecht durch den Staat erfolgen werden. Das alte Geleitzugsystem, so ein Kritiker, werde auf diese Weise noch dadurch verstärkt, daß die schwankenden Schiffe nun auch noch miteinander vertäut werden. In Wirklichkeit können Kapitalspritzen, wie sie vorgesehen sind, nicht unbedingt als zusätzliche Subventionen angesehen werden. Sie werden nicht gratis vergeben; die Banken müssen Auflagen nachkommen. Ob auf diese Weise wirklich Transparenz geschaffen wird, hängt von der Durchsetzungskraft und Seriosität der FSA ab, ein Scheitern ist möglich, aber nicht vorprogrammiert.

Die in diesem Zusammenhang entscheidende Frage lautet: Ist die Sanierung der Banken die unabdingbare Voraussetzung der wirtschaftlichen Erholung? Dies wäre dann der Fall, wenn die gegenwärtige Verschlechterung der Lage in erster Linie auf die Krise im Bankensektor zurückgeht oder wenn die Geld- oder Fiskalpolitik aufgrund der Bankenkrise nicht greift.

Viele Beobachter führen den Abstieg von der Stagnation in die Depression auf einen credit crunch zurück, der seit Ende 1997 die japanische Wirtschaft heimsucht. Ursachen sind die erwähnten Pleiten einiger Banken und von Yamichi. Seit Ende 1997 betrieben die Banken eine extrem vorsichtige Kreditpolitik auf Kosten vieler Kreditnehmer, insbesondere kleiner und mittlerer Unternehmen, deren Kreditlinien nicht mehr verlängert wurden und die in der Folge reihenweise Konkurs anmelden mußten. So desaströs diese Wende in der Kreditpolitik der Banken für viele Kleinunternehmen auch war: Sie war nicht die zentrale Ursache für die Verschärfung der Krise. Bis Ende 1997 waren die Banken nicht der Engpaß der Wirtschaftsentwicklung gewesen, und nach 1997 schränkten sie bestimmte Formen des relational banking - die quasi automatischen Verlängerung der Kreditlinien für "vertraute" Kunden - ein. Das zentrale Problem des Kreditwesens aber war und ist die unzureichende Nachfrage nach Krediten. Daher trifft auch nicht zu, daß eine expansive Geld- oder Fiskalpolitik an der geschwächten finanziellen Vermittlungsfähigkeit der Banken scheitern wird. Nach wie vor vertrauen die japanischen Haushalte ihre Ersparnisse den Banken (wenn auch in rückläufigem Ausmaß) an, nur finden diese in der gegenwärtigen Situation keine Keditnehmer.

So wichtig es ist, daß die Bankenkrise überwunden wird - je länger die Banken unter Krisenbedingungen operieren, desto mehr wird ihre Kreditvergabe zur Verzerrung der wirtschaftlichen Strukturen beitragen: Sie werden vor allem Kunden finanzieren, von deren Solvenz sie eine Bereinigung ihrer Bilanzen erwarten, und nicht die Projekte, die bei geringsten Risiken die höchsten Erträge abzuwerfen versprechen. Gleichwohl darf die Bankenkrise kein Vorwand sein, auf eine expansive Geld- und Fiskalpolitik zu verzichten. Eine sorgfältige Bankenaufsicht vorausgesetzt, werden schon einige Prozente Wirtschaftswachstum die Krise der Banken entschärfen, aber umgekehrt würde eine Sanierung des Bankensektors viel zu lange dauern, als daß sie zur Voraussetzung der wirtschaftlichen Sanierung gemacht werden dürfte.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | September 2000

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