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Herausforderungen der Gegenwart Nachdem die Festigung des staatlichen Zusammenhalts durch die Erneuerung des historischen Kompromisses gelungen ist, bleibt die wirtschaftliche Konsolidierung als existenzielles Problem der unabhängigen Ukraine bestehen. Obwohl die (offiziell erfaßte) Wirtschaft im ersten Halbjahr 1998 erstmals nach der Unabhängigkeit wuchs, verleitete die Verschlechterung wichtiger makroökonomischer Rahmendaten internationale Beobachter zu der Einschätzung, die Ukraine befände sich im Ausnahmezustand". Der Hintergrund für diese Kassandrarufe waren das simultane Ansteigen von Staatsverschuldung, Haushalts- und Handelsbilanzdefizit und das weitere Ausbleiben des Strukturwandels. Die Grenzen der Simulation geldpolitischer Stabilität wurden nun sichtbar. Da die Steuereinnahmen weit hinter den Schätzungen zurückblieben, erreichten die Zahlungsrückstände für staatliche Löhne und Renten die stattliche Summe von 7,3 Milliarden Hrywnja (im Juni 1998 ca. 3,65 Milliarden US-$). Zudem drohte die Ukraine ihre Fähigkeit zu verlieren, ihre fälligen zumeist kurzfristigen Staatsanleihen zu bedienen. Ausländische Investoren zogen ihre Gelder ab, und die stark ansteigenden Zinssätze für Hrywnja-Schuldtitel spiegelten die steigenden Erwartungen auf eine baldige Abwertung der Währung wider. Der Absturz des russischen Rubel im August 1998 blieb dann nicht ohne Folgen für die ukrainische Währung. Der enge Wechselkurskorridor zum Dollar mußte aufgeben werden, und die Hrywnja wurde um rund 50 Prozent abgewertet. Dennoch wäre es verfehlt, die Verantwortung für diese Entwicklung (und die damit verbundene Inflationsgefahr) allein auf die Politik der Russischen Föderation abwälzen zu wollen letztere verschärfte die hausgemachten Probleme der Ukraine lediglich. Die internen wirtschaftlichen Strukturprobleme standen dementsprechend im Zentrum der harten Verhandlungen um die Konditionen für einen IWF-Drei-Jahres-Kredits über 2,2 Milliarden US-$. Trotz der Atempause durch die erste Tranche zahlte die ukrainische Nationalbank NBU nach mehreren Versuchen, die Gläubiger zur freiwilligen Umschuldung zu überreden, im September 1998 erstmals nur Hrywnja statt der vereinbarten Dollar für eine fällige kurzfristige Staatsanleihe aus. Internationale Investoren bewerteten diesen Schritt als De-facto-Zahlungsunfähigkeit. Gegenwärtig befindet sich die Ukraine abermals in einem Dilemma zwischen ökonomischen Erfordernissen und politischen Konstellationen. Nach den Wahlen zur Werchowna Rada im März 1998 haben sich die Chancen für die notwendigen Reformen eher verschlechtert als verbessert. Das Lager der konservativen Parteien (Kommunisten, Block der Sozialisten und Agrarier, Progressive Sozialisten) konnte aus der anhaltenden doppelten Enttäuschung leichte Stimmengewinne mobilisieren. Ihnen gegenüber steht ein ungefähr gleich großes Lager von unabhängigen Abgeordneten, das zunächst eine Pattsituation schuf. Dem Parlament gelang es wochenlang nicht, seine Arbeitsfähigkeit zu erlangen. Die Wahl von Oleksandr Tkatschenko vom Block der Sozialisten und Agrarier zum Parlamentssprecher erfolgte erst Anfang Juli nach 19 Wahlgängen. Präsident Kutschma nutzte diese Situation, wichtige Elemente der mit dem IWF vereinbarten Konditionen per Dekret festzulegen. Diese können jedoch von der Werchowna Rada per Gesetz wieder außer kraft gesetzt werden. Inzwischen zeichnet sich ab, daß die Politik 1999 im wesentlichen von den im Oktober stattfindenden Präsidentenwahlen bestimmt wird. Deshalb ist es unwahrscheinlich, daß eine längerfristige angemessene Strategie zur Lösung der wirtschaftlichen Probleme verfolgt wird. Neben dem starken konservativen Lager, das zur Zeit keine gemeinsame Führungspersönlichkeit aufweist, formieren sich weitere Oppositionsgruppen, die aus einer Blockade des Amtsinhabers politisches Kapital schlagen wollen. Als Führungsfiguren treten dabei zwei von Kutschma wieder entlassene Premierminister in den Vordergrund. Die Aufsteigerpartei Hromada des Geschäftsmanns Pawlo Lasarenko beteiligte sich schon im Oktober an einem gescheiterten Versuch, den Präsidenten durch ein Amtsenthebungsverfahren zu stürzen. Und der ehemalige Geheimdienstchef Jewhen Martschuk konnte mit Hilfe finanzkräftiger Unternehmer und des ehemaligen Präsidenten Krawtschuk die einstmals marginalisierte Vereinigte Sozialdemokratische Partei zur Basis seiner politischen Aktivitäten ausbauen. Auch nach den Präsidentenwahlen ist eher mit einem weiterem muddling through zu rechnen. Allerdings sind eindeutige Verschlechterungen denkbar. Keiner der Kandidaten ist als überzeugter Reformer anzusehen. Der Amtsinhaber Kutschma hat aus den genannten Interessenlagen die bisher wichtigsten positiven Impulse gesetzt. Aufgrund seines Popularitätsverlusts wird er es aber schwer haben, ein weiteres Mal die Unterstützung der Bevölkerung zu gewinnen, und auch das Reservoir seiner potentiellen Bündnispartner ist inzwischen abgeschmolzen. Lasarenko steht eindeutig für rent-seeking-Interessen im Energiesektor, die der weiteren Entwicklung des Landes zuwiderlaufen. Gleiches gilt für Kommunisten, Sozialisten und Agrarier, hinter deren ideologischer Fassade sich oftmals ebenfalls rent-seeking-Strategien verbergen, die sich vermutlich in einem schnellen Anheizen der Inflation niederschlagen werden. Martschuk läßt bisher kein ausgeprägtes wirtschaftspolitisches Profil erkennen. Unabhängig vom Ausgang der Präsidentenwahlen wird die ukrainische Politik weiterhin dem Primat interner Prozesse folgen und damit auch von rent-seeking und Simulationen gekennzeichnet sein. Dabei wird sie konkret von den weiterhin wechselnden politischen Koaltitionen abhängen, da kein Spitzenkandidat über eine stabile Mehrheit verfügen wird. In diesem Zusammenhang wird es von entscheidender Bedeutung sein, ob einzelne Politiker in diese Koalitionen eingebunden werden, die sich bereits als (begrenzte) Reformer erwiesen haben. Auch einige Elitengruppen könnten durch die verschärfte Krise erneut ein Interesse an einzelnen Reformschritten gewinnen vor allem, wenn sie längerfristige Investitionssicherheiten benötigen oder im Exportbereich tätig sind. Schnelle wirtschaftliche Erfolge aus eigener Kraft sind nicht zu erwarten. Die Möglichkeit, der ukrainischen Entwicklung positive Impulse von außen zu geben, ist begrenzt. Alle mehr oder weniger guten Ratschläge für eine erfolgreiche Einbindung in die Weltwirtschaft und damit zur Förderung ihrer inneren Stabilität sind bereits erteilt worden. Allein: es mangelt an der Umsetzung. Für ausländische Investoren ist die Ukraine mit ihren bürokratischen Regulierungen und der fehlenden Rechtssicherheit vergleichsweise uninteressant geblieben. Die Direktinvestitionen liegen mit 2 Milliarden US-$ (40 US-$ pro Kopf) am unteren Ende der postsowjetischen Republiken, und die Finanzkrise hat nun auch das mühsam aufgebaute Vertrauen internationaler Anleger zerstört. Der vielversprechendste Ansatz liegt darin, diejenige Kräfte zu stärken, die aufgrund ihrer eigenen Interessen den internen Druck zugunsten einer weiteren Umstrukturierung der ukrainischen Wirtschaft erhöhen. Ein wichtiger Beitrag zu ihrer Unterstützung besteht darin, ihnen Perspektiven und Zugänge zu westlichen Märkten zu eröffnen, unter Umständen auch bei umstrittenen Rüstungsgütern wie dem Transportflugzeug Antonow 70. Noch ist die Ukraine nicht gestorben." © Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | September 2000 |