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Wege aus der Massenarbeitslosigkeit : "Dialog Wirtschaft", [26. März 1998, Berlin / Hrsg.: Stabsabteilung der Friedrich-Ebert-Stiftung. Michael Domitra. Bericht zur Podiumsdiskussion: Holger Sandte]. - [Electronic ed.]. - Bonn, 1998. - 15 S. = 50 Kb, Text . - (Wirtschaftspolitik). - ISBN 3-86077-755-6
Electornic ed.: Bonn: FES Library, 1999

© Friedrich-Ebert-Stiftung


INHALT




Dialog
Wirtschaft"

Wege aus der
Massenarbeitslosigkeit

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Vorwort

Die Überwindung der Massenarbeitslosigkeit stellt eine der zentralen Herausforderungen dar, der sich Wirtschaft und Gesellschaft in Deutschland an der Wende zum nächsten Jahrhundert stellen müssen. Ein Blick auf unsere europäischen Nachbarn zeigt, daß Unterbeschäftigung im gesellschaftlichen Konsens überwunden werden kann. Die Rahmenbedingungen für eine erfolgreiche Problemlösung werden durch die Einbindung unserer Volkswirtschaft in den internationalen Austausch von Waren und Diensten gesetzt. Durch die bevorstehende Wirtschafts- und Währungsunion in Europa kommen neue Aufgaben auf unsere Volkswirtschaft zu. Der Prozeß der deutschen Einigung erfordert weiterhin großen Anstrengungen. Die angespannte Lage der öffentlichen Haushalte verengt die ökonomischen Handlungsspielräume. Nur durch gemeinsames und entschlossenes Handeln können langfristig tragfähige Lösungen erzielt werden.

Der Gesprächskreis „Dialog Wirtschaft" der Friedrich-Ebert-Stiftung hat sich unter der Leitung des niedersächsischen Ministerpräsidenten Gerhard Schröder auf seiner nunmehr fünften Veranstaltung diesen Fragen zugewandt und mit hochrangigen Vertretern aus Wirtschaft, Wissenschaft, Politik und Verwaltung zukunftsweisende „Wege aus der Massenarbeitslosigkeit" erörtert.

Um die Chancen für den Abbau der hohen Arbeitslosigkeit zu nutzen, ist ein stabiler und nachhaltiger Wachstumsprozeß eine wichtige Grundlage. Hinzukommen aber müssen Maßnahmen auf vielen anderen Gebieten. Erforderlich sind eine solide staatliche Haushaltsführung, eine verantwortungsvolle Lohnpolitik der Tarifparteien ebenso wie eine das wirtschaftliche Wachstum fördernde Geldpolitik und die Sicherheit der internationalen Währungsordnung.

Darüber hinaus muß Deutschland seine hervorragenden Potentiale nutzen, die in risikofreudigen, dynamischen Unternehmen und innovativen Technologien liegen. Weltweit konkurrenzfähige Produkte auf den Feldern Bio- und Gentechnologie, Informations- und Kommunikationstechnik sowie im Bereich der Umwelt- und Verkehrstechnologie gewährleisten einen Zuwachs an Beschäftigungsmöglichkeiten. Eine gute Aus- und Weiterbildung ermöglicht den arbeitenden Menschen in Deutschland, sich den daraus entstehenden Herausforderungen mit Kreativität und hohem Engagement zu stellen. Die Schaffung neuer Arbeitsplätze kann nur gelingen, wenn die Belange der Beschäftigten, der Arbeitsuchenden und der Unternehmen eine angemessene Berücksichtigung finden.

Die jüngste Veranstaltung, wie auch die vier vorangegangenen Diskussionsforen dieses Veranstaltungszyklus haben dazu beigetragen, eine Vielzahl von praktischen Lösungsvorschlägen zu den aktuellen gesellschaftlichen Themenstellungen zu entwickeln.

Dr. Jürgen Burckhardt

Geschäftsführendes Vorstandsmitglied der Friedrich-Ebert-Stiftung

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Die Friedrich-Ebert-Stiftung lädt ein zum Gesprächskreis „Dialog Wirtschaft"

mit dem Thema

„Wege aus der Massenarbeitslosigkeit"

unter der Leitung von

Ministerpräsident Gerhard Schröder

am 26. März 1998 um 18:00 Uhr in Berlin

im Hotel InterContinental

Podium:

Wolfgang Clement
Ministerpäsident des Landes Nordrhein-Westfalen

Dr. Ursula Engelen-Kefer
Stellvertretende Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes

Professor Dr. Wolfgang Franz
Wissenschaftlicher Direktor, Zentrum für europäische Wirtschaftsforschung (ZEW)

Dr. Reinhard Höppner
Ministerpräsident des Landes Sachsen-Anhalt

Moderation:
Dr. Heik Afheldt
Herausgeber, Der Tagesspiegel




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Bericht zur Podiumsdiskussion
Holger Sandte
[ Dr. Holger Sandte, Geschäftsbereich Kommunikation und Volkswirtschaft der WestLB, Düsseldorf.]


1. Einführung

Zur Einleitung in den Gesprächsabend benannte der Ministerpräsident des Landes Niedersachsen Gerhard Schröder jene vier Punkte, die für ihn den Kern einer erfolgversprechenden Strategie für mehr Beschäftigung bilden:

  1. Ohne wirtschaftliches Wachstum sei die Massenarbeitslosigkeit in Deutschland nicht zu überwinden – auch wenn dies manchen als Bruch mit hergebrachten Denktraditionen erscheine. Letztlich handele es sich hierbei nicht um eine ideologische Frage, sondern um eine Frage von Fakten. Tatsache sei, daß Wirtschaftswachstum eine notwendige, wenn auch keine hinreichende Bedingung für mehr Beschäftigung darstelle.
  2. Um Beschäftigung zu schaffen, bedürfe es Innovationen etwa in den Bereichen der Bio- und Informationstechnologien. Die Risiken, die in diesen Technologien gesehen werden, dürften nicht dazu verleiten, auf die damit verbundenen Chancen von vornherein und ohne weitere Prüfung zu verzichten.
  3. Erforderlich sei auch ein neues Verhältnis zwischen Wirtschaft und Staat. Die aktuellen Krisen in verschiedenen Ländern Südostasiens belegen für Schröder, daß Gesellschaftsmodelle, die auf Konflikt beruhen, zu schlechteren Lösungen führen als Konsensmodelle. Die Diskussion über die Schwäche der Konsensgesellschaft in Deutschland erscheine vor diesem Hintergrund in einem neuen Licht.
  4. Schließlich bedürfe es überzeugender Konzepte, um Arbeit zu finanzieren anstatt Arbeitslosigkeit.

Heik Afheldt, der Herausgeber des Tagesspiegel und Moderator der Podiumsdiskussion, erinnerte anschließend daran, daß Deutschland im europäischen Vergleich bei der Schaffung von Arbeitsplätzen noch immer weit zurückliege. Obwohl das „Gespenst der Massenarbeitslosigkeit" schon lange umgehe und Bekämpfungsmöglichkeiten fast ebenso lange diskutiert würden, habe dies doch offensichtlich wenig geholfen. Gründe für die anhaltend hohe Arbeitslosigkeit und praktisch umsetzbare Strategien zu deren Bekämpfung zu finden – das sollte der Gegenstand der Diskussion sein.

Die Diskutanten auf dem Podium hatten anschließend Gelegenheit, ihre Positionen in kurzen Eingangsstatements darzulegen. Dabei wurden unterschiedliche Akzente gesetzt: Der Ministerpräsident des Landes Nordrhein-Westfalen Wolfgang Clement legte das Schwergewicht bei seiner Strategie auf innovative Technologien und die Qualifikation der Menschen. Die stellvertretende DGB-Vorsitzende Dr. Ursula Engelen-Kefer und der Ministerprädient Sachsen-Anhalts Reinhard Höppner betonten die Bedeutung aktiver Arbeitsmarktpolitik. Professor Dr. Wolfgang Franz, Leiter des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) und Mitglied des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, unterstrich die Bedeutung einer Unternehmenssteuerreform und einer weiterhin moderaten Lohnpolitik.

2. Die Eingangsstatements

Engelen-Kefer knüpfte unmittelbar an Schröders Thesen an und fügte ergänzend einige Punkte hinzu. Innovationen und Wirtschaftswachstum sieht auch sie als wichtige Bestandteile eines Konzepts zur Verminderung der Arbeitslosigkeit an; erforderlich seien auch der Einstieg in die „Wissensgesellschaft", die Förderung qualifizierter Dienstleistungen sowie das Aufbrechen von Verkrustungen auf allen Ebenen. Zentral jedoch seien Maßnahmen der Arbeitsmarktpolitik und insbesondere die Arbeitszeitverkürzung. Hierbei sei die Frage des Lohnausgleichs zu klären, denn Produktivitätsgewinne ließen sich immer nur einmal verwenden, entweder für Einkommenssteigerungen oder für die Umverteilung von Arbeit. Die Auseinandersetzung darüber finde auch innerhalb der Gewerkschaften statt, bisher ohne endgültige Ergebnisse. In letzter Zeit seien jedoch einige bahnbrechende Tarifverträge geschlossen worden, in denen Arbeitgeber und Gewerkschaften Arbeitszeitregelungen mit Blick auf drei Ziele kreativ gestaltet hätten: Abbau von Arbeitslosigkeit, größere Flexibilität im Interesse der Arbeitgeber, humanere Gestaltung der Gesellschaft. Schließlich verwies Engelen-Kefer, die im DGB auch für die Arbeitsmarktpolitik zuständig ist, auf das Beispiel der Niederlande, wo es vorbildlich gelungen sei, zwischen Regierung, Arbeitgebern und Gewerkschaften einen Konsens zu erzielen, der nachweislich zum Abbau der Arbeitslosenquote auf etwa 5 Prozent beigetragen habe. Dort seien rund ein Drittel aller Arbeitsverhältnisse Teilzeitstellen.

Alleine könne keine gesellschaftliche Gruppe die Arbeitslosigkeit reduzieren. Erforderlich sei ein kooperatives Vorgehen von Tarifpartnern, Bund, Ländern und Gemeinden. Das sei auch die Idee des Bündnisses für Arbeit gewesen, die Engelen-Kefer nach wie vor für richtig hält. Vor dem Hintergrund der fortschreitenden europäischen Integration sei bei allen Entscheidungen zunehmend auch eine europäische Perspektive notwendig.

Clement wies als erstes darauf hin, daß in Deutschland in den letzten Jahren ungeachtet aller Probleme durchaus neue Arbeitsplätze entstanden seien. Ihre Zahl sei heute höher als vor 15 Jahren. Daß sich dies nicht sichtbar in niedrigeren Arbeitslosenzahlen niederschlage, sei vor allem auf Zuwanderung sowie auf ein verändertes Erwerbsverhalten - insbesondere von Frauen - zurückzuführen. Gleichzeitig sei das Arbeitsvolumen gesunken. Daraus folge, daß der Hauptmotor für die Entstehung neuer Arbeitsplätze die bessere Verteilung vorhandener Arbeit gewesen sei. Die neu entstandenen Arbeitsplätze entfielen im wesentlichen auf die industrielle Hochtechnologie. Allein dort sei ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen Produktionswachstum und Beschäftigungswachstum festzustellen.

Für den gewerblich-technischen Bereich empfahl der nordrhein-westfälische Ministerpräsident eine Konzentration auf High-tech-Bereiche, vor allem auf die Sparten Verkehr, Information und Kommunikation, Gesundheit und Ernährung, Pharma-, Bio- und Gentechnologie sowie die neue Energie- und Umwelttechnologie. Hier lägen die bedeutendsten globalen Zukunftsmärkte und damit große Chancen für Wachstum und Beschäftigung. In unmittelbarem Zusammenhang damit stehe die Entwicklung produktionsorientierter Dienstleistungen. Am Ruhrgebiet sei sehr gut ablesbar, daß Beschäftigungsgewinne im Dienstleistungssektor nicht auf Kosten der Industrie zu erzielen seien, sondern eine florierende Industrie voraussetzen.

Clement stimmte seiner Vorrednerin darin zu, daß es zur Schaffung von Arbeitsplätzen neben einem erhöhten Wirtschaftswachstum auch der besseren Verteilung von Arbeit durch neue Regelungen zur Arbeitszeit bedürfe. Die Wettbewerbsverhältnisse seien jedoch so kompliziert, daß die Fragen der Arbeitszeit nicht pauschal und flächendeckend beantwortet werden könnten. Gegenwärtig seien in Deutschland ein Drittel aller Beschäftigungsverhältnisse keine normalen Vollzeit- und Dauerarbeitsverhältnisse; im Jahre 2010 werde dieser Anteil bei rund 50 Prozent liegen.

Unter den Bedingungen einer risikoreicheren Beschäftigungswelt stelle sich die Frage der Gerechtigkeit anders als auch viele Sozialdemokraten sie bisher gestellt hätten. Gerechtigkeit heiße heute vor allem, den Menschen die Chance zur Qualifikation zu geben, damit sie mit jeder Veränderung ihrer beruflichen Biographie umgehen können. Um dies zu gewährleisten, seien die berufliche Bildung, die Weiterbildung und auch die Hochschulbildung zu verbessern. Qualifikation sei in der Tat die zentrale Antwort auf die soziale Frage des nächsten Jahrhunderts.

Höppner befaßte sich in seinen einleitenden Thesen mit der besonderen Arbeitsmarktsituation Ostdeutschlands. Anders als in Westdeutschland sei dort die Zahl der Arbeitsplätze gesunken, von knapp zehn Millionen im Jahre 1989 auf derzeit etwa sechs Millionen. Das sei die Folge eines zweifachen Problems: Zum einen wurden Arbeitsplätze im Zuge der Umstrukturierung von der Planwirtschaft zur Marktwirtschaft abgebaut. Hinzu komme der gewaltige Produktivitätssprung in der Industrie. Investitionen von bis zu 3 Millionen DM pro Arbeitsplatz seien keine Seltenheit. Damit entstünden hochproduktive Unternehmen mit modernsten Anlagen, aber nur wenigen Beschäftigten. Sachsen-Anhalt sei das ostdeutsche Bundesland mit den meisten Investitionen und der höchsten Arbeitslosigkeit. Vierzig Prozent aller Auslandsinvestitionen in Ostdeutschland gingen nach Sachsen-Anhalt. Im Umfeld dieser hochproduktiven Arbeitsplätze gelte es, neue Arbeitsplätze im Dienstleistungsbereich zu schaffen.

Unter dem Druck von über 23 Prozent Arbeitslosigkeit seien in Sachsen-Anhalt Instrumente der Arbeitsmarktpolitik ausprobiert worden, über die in Westdeutschland oft nur diskutiert werde. Höppner nannte als Beispiele Arbeitszeitverkürzung und flexible Arbeitszeitgestaltung, Jahresarbeitszeitkonten sowie den flexiblen Übergang in den Ruhestand. Wenn alle geplanten Ansiedlungen neuer Unternehmen gelängen, könnten dadurch rund 2.400 Arbeitsplätze pro Jahr geschaffen werden. Aber allein im letzten Jahr sei die Zahl der Arbeitslosen aufgrund auslaufender Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen um 42.000 gestiegen. Für Ostdeutschland gehe es daher nicht darum, das eine oder andere Instrument zur Schaffung von Arbeitsplätzen anzuwenden; vielmehr müßten alle durchführbaren Maßnahmen ergriffen werden, um die Arbeitslosigkeit zu senken.

Franz warnte seinerseits davor, den Wirtschaftsstandort Deutschland „kaputtzureden". Trotz aller Probleme verfüge die deutsche Volkswirtschaft über handfeste Standortvorteile wie das Ausbildungssystem und die gute Infrastruktur. Der neueste Bericht zur technologischen Leistungsfähigkeit der Bundesrepublik Deutschland zeige, daß es durchaus Unternehmen gebe, die innovative Produkte herstellen und neue Märkte erschließen.

Das Charakteristische des Wirtschaftens in den neunziger Jahren bestehe im permanenten internationalen Standortwettbewerb. Einige der notwendigen Schritte zur Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit habe Deutschland bereits unternommen. Dazu zählte der wissenschaftliche Leiter des ZEW die Flexibilisierung von Tarifverträgen und die in den letzten Jahren zu beobachtende Lohnzurückhaltung. Im Wettbewerb um die höchste Sachkapitalrendite liege Deutschland trotz erheblicher Verbesserungen aber immer noch unter dem Durchschnitt vergleichbarer Länder. Im Standortwettbewerb könne man nicht durch eine erzwungene Umverteilung der Arbeit bestehen. Nichts spreche gegen zusätzliche Arbeitsmöglichkeiten durch freiwillige Teilzeitarbeit bei gleichzeitigem Verzicht auf Einkommen und Ansprüche an die Sozialversicherung. Aber die defensive Strategie einer flächendeckend vorgeschriebenen Arbeitszeitverkürzung sei erst dann diskussionsfähig, wenn nachgewiesen werden könnte, daß das Arbeitsvolumen nicht zu steigern ist. Das Beispiel USA belege jedoch, daß dies nicht zutreffe. Auch einer europaweiten Sozialunion und europaweiten Tarifverhandlungen erteilte Franz eine Absage. Die südeuropäischen Länder würden sich darauf ohnehin nicht einlassen, weil sie sich dadurch ihres preislichen Wettbewerbsvorteils berauben würden.

Franz nannte als die aus seiner Sicht wichtigsten Ansatzpunkte zur Eindämmung der Arbeitslosigkeit:

  • Die Finanzpolitik müsse durch ein glaubwürdiges Programm der Haushaltskonsolidierung zusammen mit einer durchgreifenden Reform der Steuern, vor allem der Unternehmensteuern, die Perspektive für eine nachhaltige Senkung der Steuerlast eröffnen. Nach Studien des von Franz geleiteten Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) unterliegen deutsche Unternehmen im internationalen Vergleich noch immer einer zu hohen Steuerlast.
  • Die Lohnpolitik solle ihre beschäftigungsfreundliche, moderate Linie der letzten Jahre fortsetzen. Franz betonte jedoch, daß die Lohnpolitik nicht alleine für die hohe Arbeitslosigkeit verantwortlich sei und folglich auch nicht der einzige Schlüssel zu ihrer Bekämpfung sein könne. Der Flächentarifvertrag sei überholungsbedürftig, aber nicht überholt. Vor Reformen auf diesem Gebiet sollten die bestehenden Flexibilisierungsmöglichkeiten ausgeschöpft werden.
  • Das Bildungs- und Ausbildungssystem müsse zügig an die Herausforderungen der kommenden Jahre angepaßt werden. Ein hohes Gewicht verdiene dabei die berufliche Bildung. Im dualen Ausbildungssystem liege ein immenser Standortvorteil, der sorgfältig gepflegt werden müsse.
  • Die Unternehmen müßten noch verstärkt durch innovative Produkte neue Märkte erschließen. Denn schließlich seien es die Unternehmen, die neue Arbeitsplätze schaffen sollten, nicht der Staat.

3. Die Diskussion

In der Diskussion ging es zunächst darum, das tatsächliche Ausmaß der Arbeitslosigkeit näher zu bestimmen. Afheldt stellte als These zur Diskussion, daß in Deutschland zwar genügend Arbeit vorhanden sei, es jedoch nicht gelinge, sie über den normalen Arbeitsmarkt zu organisieren, also eine ausreichende Zahl von Arbeitsplätzen bereitzustellen. Dies werde an verschiedenen Phänomenen deutlich, so an der Vielzahl schattenwirtschaftlicher Arbeitsplätze, die bei besserer Wirtschaftspolitik in der offiziellen Wirtschaft wären. Auch werde die Nachfrage nach Teilzeitarbeit offensichtlich nicht befriedigt, und schließlich sei ein bemerkenswertes Mißverhältnis von 400.000 offenen Stellen bei anhaltender Massenarbeitslosigkeit zu verzeichnen.

Franz wies darauf hin, daß die offizielle Arbeitslosenzahl um zwei gegenläufige Effekte korrigiert werden müsse, um ein besseres Bild von der Höhe der Unterbeschäftigung zu gewinnen. Zum einen erschienen die sogenannten „verdeckt Arbeitslosen" nicht in der Arbeitslosenstatistik, weil sie sich im Vorruhestand oder in Kurzarbeit befinden oder weil sie an arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen der Bundesanstalt für Arbeit teilnehmen. Nach Schätzungen des Sachverständigenrats handele es sich bei dieser Gruppe um rund 1,6 Millionen Menschen. Hinzu komme die „stille Reserve", also Menschen, die sich – aus welchen Gründen auch immer – nicht beim Arbeitsamt arbeitslos melden. Hier belaufen sich Schätzungen auf rund 2 Millionen. Andererseits existiere eine schwer abschätzbare Zahl von „Arbeitsplätzen" in der Schattenwirtschaft, in der rund 13 bis 14 Prozent des Bruttoinlandsprodukts erwirtschaftet würden. Um zu einem umfassenden Bild der Unterbeschäftigung zu gelangen, müßten diese gegenläufigen Effekte genau berechnet werden.

Engelen-Kefer ging in ihrem Diskussionsbeitrag direkt zu den Strategien zur Schaffung von mehr Arbeitsplätzen über. Deutschland habe im Vergleich zu anderen Ländern einen großen Nachholbedarf bei unternehmensbezogenen Dienstleistungen wie Information, Kommunikation und Marketing. Nach allen vorliegenden Erkenntnissen und Erfahrungen böten sich in den nächsten Jahrzehnten vor allem in diesen Bereichen Chancen für qualifizierte Beschäftigung. Instruktiv sei vor allem das Beispiel der USA: Dort seien infolge einer jahrelangen expansiven Geldpolitik und dank offensiver Fiskalpolitik auch viele hochqualifizierte Arbeitsplätze entstanden.

Darüber hinaus bestehe bei den personennahen Dienstleistungen hierzulande ein Nachholbedarf, so in der Pflege und im Gesundheitswesen. Die USA hätten ihren Erfolg auf diesem Gebiet allerdings auch durch sehr niedrige Löhne erkauft. Gerade im Bereich der personenbezogenen Dienstleistungen reiche häufig eine einzige Arbeitsstelle nicht aus, um den Lebensunterhalt zu bestreiten. Zudem sei der soziale Schutz gering.

Im Gegensatz zu Engelen-Kefer schätzte Franz die Möglichkeiten der Geldpolitik, für einen Beschäftigungsaufschwung zu sorgen, gering ein. Zwar müsse eine Zentralbank die monetären Voraussetzungen für einen Konjunkturaufschwung schaffen. Aber, wie Karl Schiller einmal gesagt habe, „man kann die Pferde zur Tränke führen, aber saufen müssen sie selbst." Eine Zentralbank könne Unternehmen durch niedrige Zinsen also nicht zum Investieren zwingen. Die Realzinsen in Deutschland seien historisch und im internationalen Vergleich sehr niedrig und glichen sich zwischen den Ländern der künftigen Europäischen Währungsunion weiter an. Das geldpolitische Potential, zur Schaffung von Arbeitsplätzen beizutragen, sei daher ausgeschöpft.

Clement unterschied zwischen dem Problem der Verteilung vorhandener Arbeit und dem der Schaffung neuer Arbeitsplätze. Beide Probleme seien in Deutschland ungelöst, jedoch böten andere Länder Beispiele für Lösungsmöglichkeiten. Bei der Verteilung von Arbeit seien die Niederlande vorbildlich, wo der Anteil der Teilzeitstellen an der Gesamtzahl der Arbeitsplätze 37 Prozent betrage, gegenüber 16 Prozent in Deutschland. Ein breiter Konsens zwischen Arbeitgebern, Gewerkschaften und Regierung habe den niederländischen Erfolg ermöglicht.

Wie Arbeitsplätze zu schaffen seien, zeige ein Blick in die USA. Dort seien bei weitem nicht nur die viel kritisierten Billigjobs entstanden, die es im übrigen in Form der „620-DM-Jobs" auch in Deutschland gebe, sondern auch hochqualifizierte und sozial abgesicherte Arbeitsplätze, so im Informations- und Kommunikationsbereich, in der Bio- und Gentechnik, in der Mikrostruktur- und Mikrosystemtechnik sowie in der Energietechnik. Ein wichtiger Grund für den Vorsprung der USA liege in der Verfügbarkeit von Risikokapital, an der es in Deutschland mangele. Deshalb reiche es nicht aus, einfach Unternehmen zu Innovationen aufzurufen. Mit Hilfe der Kreditwirtschaft müsse die Politik zunächst die Gründung von Unternehmen ermöglichen und Spielräume für Risikofreude und Kreativität von Unternehmen und Arbeitnehmern schaffen. Dann könnte eine Vielzahl neuer kleiner, flexibler und leistungsstarker Unternehmen entstehen. Geschehe dies nicht, so würden Hochschullehrer, Hochschulassistenten oder Absolventen etwa der Informatik mit unternehmerisch umsetzbaren Erkenntnissen ihre Ideen weiterhin in den USA verwirklichen und dort Arbeitsplätze schaffen, nicht in Deutschland. Die Selbständigenquote von einstmals 17 Prozent im Durchschnitt der alten Bundesländer betrage heute nur noch rund 9 Prozent. Es fehlten zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit zigtausende von Unternehmen, und Hauptaufgabe der Politik in Ost- und Westdeutschland sei es, hier Abhilfe zu schaffen.

Neben der Bereitstellung von Risikokapital nannte Clement drei weitere Ansatzpunkte, um die wirtschaftliche Dynamik zu erhöhen und die Chancen für mehr Beschäftigung zu erhöhen: Junge Menschen sollten zu mehr Selbständigkeit und Risikobereitschaft ermutigt werden, die Beratung von Unternehmensgründern sollte verbessert und Genehmigungsprozesse sollten vereinfacht werden, indem mit Gesetzen und Normen pragmatisch umgegangen wird.

An Schröder wandte sich der Moderator anschließend mit der Frage nach den Gründen für die zum Teil gravierenden Unterschiede zwischen den Arbeitslosenquoten in den einzelnen Bundesländern. Der niedersächsische Ministerpräsident verwies auf Unterschiede in den Wirtschaftsstrukturen und verdeutlichte dies am Beispiel Niedersachsens: Der Anteil der Landwirtschaft am Bruttoinlandsprodukt sei dort doppelt so hoch wie im Bundesdurchschnitt. Der starke Rückgang der landwirtschaftlichen Produktion treffe Niedersachsen daher in besonderem Maße. Das zweite Strukturproblem des Landes stellten die Werften dar. Wie andere traditionelle Industrien stehe die Werftenbranche unter höchstem Wettbewerbsdruck und Rationalisierungszwang. Auch dies sorge für besondere Anspannung am niedersächsischen Arbeitsmarkt.

Höppner schilderte die Dramatik der Arbeitslosigkeit in Ostdeutschland. In Sachsen-Anhalt seien seit 1990 rund 40 Prozent der zuvor vorhandenen Arbeitsplätze verschwunden. In manchen Regionen könne die wirtschaftliche Situation und die psychische Lage vieler Menschen nur noch als „Depression" bezeichnet werden. Angesichts der Größenordnung der Probleme stießen einige Instrumente der Arbeitsmarktpolitik in Ostdeutschland an ihre Grenzen. Bei einem Durchschnittsverdienst in Ostdeutschland von 75 Prozent des Westniveaus brächte Teilzeitarbeit die unteren Einkommensgruppen in die Nähe der Sozialhilfe. Die Angst vor der Arbeitslosigkeit sei inzwischen so groß, daß Arbeitgeber mit ihren Beschäftigten machen könnten, was sie wollten, ohne daß die Betroffenen sich wehrten. Wenn aber unbezahlte Überstunden zur Regel würden, drohten Grundsäulen vernünftigen Zusammenlebens zu zerbrechen.

Eine zentrale Ursache der Arbeitslosigkeit sah Engelen-Kefer in der Höhe der gesetzlichen Personalnebenkosten. Vor allem kleinere Unternehmen mit ihrem hohen Personalkostenanteil würden dadurch enorm belastetet. Aus ökonomischer Sicht sei es ein Fehler gewesen, einen großen Teil der Finanzierungslasten der deutschen Einheit auf die Systeme der sozialen Sicherung zu übertragen. Bei niedrigeren Lohnnebenkosten wäre die Nachfrage nach Arbeit höher und die illegale Beschäftigung weniger verbreitet. In Berlin lebten beispielsweise 27.000 arbeitslose Bauarbeiter bei gleichzeitig mindestens 30.000 illegal Beschäftigten aus dem Ausland, die an wechselnden Baustellen zu Niedrigstlöhnen und unter menschenunwürdigen Bedingungen arbeiten müßten. Eine Befreiung der Sozialversicherung von versicherungsfremden Leistungen würde helfen, diese Mißstände zu lindern. Gegen illegale Beschäftigung bedürfe es darüber hinaus mehr Personals in den Zentralstellen zur Bekämpfung illegaler Beschäftigung ebenso wie bei der Polizei und den Gewerbeaufsichtsämtern.

Clements Forderung nach mehr Existenzgründungen wurde vom Sachverständigenratsmitglied Franz unterstützt und mit dem Vorschlag verknüpft, die Handwerksordnung zu ändern sowie auf den sogenannten ‘Großen Befähigungsnachweis’ weitgehend zu verzichten. Heute scheiterten viele Gründungen von Handwerksbetrieben am dafür verlangten Meisterbrief.

Auch Franz verwies auf die zu hohen Lohn- oder Lohnnebenkosten als eine Hauptursache der Arbeitslosigkeit. Das Kernproblem liege darin, daß die Sozialversicherungspflicht immer noch am Arbeitsvertrag anknüpfe. Viele Haushalte erzielten jedoch neben Arbeitseinkommen auch Miet- und Zinseinkommen. Franz schlug vor, auf längere Sicht die Sozialversicherungspflicht weiter zu fassen. Ein solches Modell würde auch die Probleme der Scheinselbständigkeit und der 620-DM-Jobs fast automatisch lösen.

Anschließend faßte Schröder seine Strategie zum Abbau der Arbeitslosigkeit in vier Punkten zusammen:

  1. Nach dem Vorbild der USA müsse die Geschwindigkeit erhöht werden, mit der in Deutschland aus einer Erfindung ein Produkt wird. Dies sei vor allem Sache der ökonomischen Eliten in den Unternehmen. So sei es der deutschen Automobilindustrie durch einen enormen Aufhol- und Überholprozeß und vor allem mittels kürzerer Produktzyklen gelungen, sich aus ihrer Krise zu Beginn der neunziger Jahre zu befreien. Dies könne für andere Branchen beispielhaft sein.
  2. Die privaten und öffentlichen Investitionen in Bildung, Forschung und Entwicklung müßten wieder steigen. Heute klagten Unternehmer über fehlende Naturwissenschaftler und Ingenieure; dabei dürfe aber nicht übersehen werden, daß die Personalpolitik vieler Unternehmen in den letzten Jahren auf Kostenreduktion durch Personalabbau ausgerichtet gewesen sei und junge Menschen von diesen wichtigen Berufszweigen abgeschreckt hätte.
  3. Die Organisation von Arbeit müsse weiter flexibilisiert werden. Über eine einheitliche Regelung der Länge der Wochenarbeitszeit – ob 35 oder 32 Stunden – zu diskutieren, greife viel zu kurz. Für das eine Unternehmen könnten 28,5 Wochenstunden angebracht sein, für das andere 40 Stunden, je nach spezifischer Situation. Die betriebliche Wirklichkeit sei hier bereits weiter, als die Verbandserklärungen den Anschein erweckten.
  4. Schließlich bedürfe es eines neuen Verhältnisses von Staat und Wirtschaft zueinander. Die einstmals hochgelobten Volkswirtschaften Südostasiens seien an ihrem Mangel an gesellschaftlichem Konsens gescheitert. Menschen, von denen man im Unternehmen Kreativität und Einsatzwillen verlange, könne man gesellschaftliche Teilhabe nicht verwehren.

Auf Schröders Forderung nach maßgeschneiderten Arbeitszeitregelungen eingehend, unterstrich Engelen-Kefer die Bereitschaft der Gewerkschaften in diesem Bereich. In der chemischen Industrie habe es mit gutem Erfolg eine Art von Bündnis für Arbeit gegeben. Die Gewerkschaften hätten eine moderate Lohnpolitik mit Lohnsteigerungen knapp über der Inflationsrate und eine flexible Arbeitszeitgestaltung angeboten, die Arbeitgeber dafür den Abbau bezahlter Überstunden und die Schaffung neuer Arbeits- und Ausbildungsplätze zugesichert. Gemeinsame Kommissionen überprüften die Vereinbarungen. Viele derartige Bündnisse für Arbeit würden es ermöglichen, daß die Unternehmen für zwei Jahre auf Entlassungen verzichten könnten, so wie es der SPD-Kanzlerkandidat vor einiger Zeit gefordert habe.

Als weiteres aktuelles Beispiel für einen innovativen Tarifvertrag nannte die stellvertretende DGB-Vorsitzende ein expandierendes Dienstleistungsunternehmen, das seinen Mitarbeitern bei zehnjähriger Unternehmenszugehörigkeit die Verkürzung der Wochenarbeitszeit auf 35 Stunden ohne Lohnabschlag anbiete. Dafür müßten sie bereit sein, bei Bedarf auch mehr als 40 Stunden zu arbeiten. Außerdem seien zusätzliche Arbeits- und Ausbildungsplätze zugesagt worden.

Schließlich gelte es, Tarifvereinbarungen zur Altersteilzeit stärker zu nutzen. Es sei nicht nachvollziehbar, daß immer mehr Ältere gezwungen würden, länger zu arbeiten, während immer mehr Junge keinen Arbeits- oder Ausbildungsplatz fänden. Frühverrentung löse sicher nicht die Arbeitsmarktprobleme, aber in der derzeitigen Situation sei die Altersteilzeit ein sinnvoller Weg.

Clement lenkte die Diskussion auf die neuen Herausforderungen durch die Europäische Währungsunion, denn er befürchte dramatische Anpassungsprozesse, und um diese bestehen zu können, sei es erforderlich, in der Europäischen Union das Steuerrecht sowie die sozialen und ökologischen Standards zu harmonisieren. Viele Investitionen würden derzeit in andere Staaten fließen, weil Deutschland auf diesen Gebieten Standortnachteile aufweise. Der durch die Währungsunion verstärkte Wettbewerb werde Preise und Kosten in Europa transparent machen - auch die Kosten der sozialen Sicherungssysteme. Besonderer Reformbedarf komme längerfristig auf die Rentenversicherung zu. Betriebsrenten und steuerlich begünstigte private Lebensversicherungen könnten hier sinnvolle Ergänzungen zum bestehenden System darstellen.

Zum Zusammenhang zwischen Lohn- und Steuerpolitik sagte Clement, die seit 1991 zu verzeichnenden moderaten Lohnabschlüsse bedeuteten einen Reallohnverzicht für die Beschäftigten in den westlichen Bundesländern. Zur Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft sei diese Lohnpolitik nach wie vor richtig. Damit aber die verfügbaren Einkommen der privaten Haushalte und die Binnennachfrage nicht zu stark sinken, müsse die staatliche Steuer- und Abgabenlast insbesondere für die Normalverdiener gesenkt werden. Erforderlich sei also die Befreiung der Sozialversicherung von versicherungsfremden Leistungen sowie eine Reform der Einkommensbesteuerung. Dabei sei es weitaus wichtiger, die Bezieher mittlerer und geringer Einkommen zu entlasten, als den viel diskutierten Spitzensteuersatz zu senken.

Hinzukommen müsse – wie von Schröder gefordert – eine Innovationspolitik, nicht zuletzt im Bereich der Hochschulen. Diese seien bis heute, anders als in den USA, von Wirtschaft und Wettbewerb weitgehend abgeschottet. Eigene Verwertungsgesellschaften könnten ein Instrument sein, Innovationen aus den Hochschulen in die Wirtschaft einzuspeisen.

Außer im Bereich der Bildung erkannte Clement wenig Raum zur Ausweitung der staatlichen Beschäftigung. Der Staat könne mehr bewirken, indem er privat organisierte Arbeit fördere, als wenn er durch eigene Institutionen die Arbeit zur Verfügung stelle. Er verwies auf Erfahrungen aus Nordrhein-Westfalen: Ein Ausbildungsplatz in einer außerbetrieblichen staatlichen Einrichtung koste dort im Jahr durchschnittlich 17.000 D-Mark. In einem kleinen, neu gegründeten Unternehmen lasse sich dagegen mit einiger Sicherheit ein identischer Ausbildungsplatz mit einer einmaligen Anschubfinanzierung von 10.000 D-Mark für drei Jahre schaffen.

Höppner sprach sich im Anschluß daran dafür aus, Rahmenflächentarifverträge beizubehalten bzw. sie wiederzubeleben, denn in Ostdeutschland seien Flächentarifverträge inzwischen praktisch bedeutungslos, weil die allermeisten Unternehmen in diese Verträge nicht mehr eingebunden seien. Bei aller notwendigen Flexibilität sei diese Entwicklung äußerst bedenklich, da so keine Chancengleichheit der Unternehmen im Wettbewerb mehr bestehe. Im Baugewerbe sei das dadurch ausgelöste Chaos besonders deutlich. Der Ministerpräsident Sachsen-Anhalts warnte außerdem davor, die öffentlich geförderte Beschäftigung in Ostdeutschland drastisch zu reduzieren. Solche Programme dürften allerdings nicht als Beschäftigungstherapie gestaltet werden, sondern so, daß sie der Wirtschaft insgesamt dienten.

4. Fragen aus dem Publikum

In der abschließenden Fragerunde wollten Diskussionsteilnehmer aus dem Publikum wissen,

  • welche voraussichtlichen ökonomischen Konsequenzen aus der Europäischen Währungsunion resultieren würden;
  • ob es nicht möglich wäre, in der neuen Legislaturperiode die europäischen Steuersysteme radikal zu vereinfachen, indem Deutschland, Frankreich und Großbritannien alle Steuerarten abschaffen und nur eine gestaffelte Mehrwertsteuer sowie für eine Übergangszeit eine Vermögensteuer einführten. Auf diese Weise würde ein für Investoren interessantes europäisches Niedrigsteuergebiet geschaffen;
  • ob mit der Einschränkung des Großen Befähigungsnachweises demnächst zu rechnen sei;
  • ob es zutreffe, daß die Arbeitslosenquote und die Kosten der Arbeitslosigkeit in den USA höher als in Deutschland wären, wenn Insassen von US-Gefängnissen und die durch sie verursachten Kosten einberechnet würden;
  • ob eine Ökologiesteuer und eine stärkere Besteuerung des Konsums nützliche Wege seien, um die Senkung der Lohnnebenkosten zu finanzieren;
  • ob öffentlich geförderte Beschäftigung eine stabilisierende Funktion für Wirtschaft und Gesellschaft haben könne;
  • in welche Richtung die von den Diskutanten geforderten Innovationen und der technische Fortschritt gehen sollten. Gerade die Informationstechnologie sei ein Beispiel für technischen Fortschritt, der die Arbeitsproduktivität steigere und Arbeitsplätze einspare;
  • ob nicht erneuerbare Energien und eine Entmonopolisierung der Energiewirtschaft zusätzliche Effizienz- und Beschäftigungschancen böten.

Auf die Frage nach der Europäischen Währungsunion eingehend betonte Schröder, daß den Deutschen ein Stabilitätsversprechen gegeben worden sei, geknüpft an die Konvergenzkriterien des Maastrichter Vertrages, die strikt einzuhalten seien. Keinesfalls sei aber damit zu rechnen, daß der Euro die Arbeitslosigkeit verringere, kurzfristig könne sogar das Gegenteil eintreten. Denn neben den Preisen würden durch die Währungsunion auch die Löhne europaweit unmittelbar vergleichbar, und da Deutschland ein vergleichsweise hohes Lohnniveau habe, werde es zu einem noch verschärften Wettlauf um Produktivitätsfortschritte kommen. Die Währungsunion verlange eine Politik der Bekämpfung von Arbeitslosigkeit im europäischen Maßstab. Dazu müßten die beschäftigungspolitischen Beschlüsse des EU-Gipfels von Amsterdam erweitert und konkretisiert werden.

Schließlich dürfe aus der Währungsunion keine Transferunion werden. Diese Gefahr drohe, weil das Instrument der Abwertung zum Ausgleich der Unterschiede in der Wirtschaftskraft in der Währungsunion nicht mehr zur Verfügung stehe und – anders als in den USA – mit größeren Abwanderungsprozessen aus ärmeren Volkswirtschaften in die reicheren aufgrund von Sprach- und Kulturunterschieden nicht zu rechnen sei. Vor dem Hintergrund der hohen Belastungen durch die Finanzierung der deutschen Einheit könne sich Deutschland Transfers an schwächere Länder nicht leisten. Die deutsche Europapolitik habe in Zukunft verstärkt darauf zu achten, das Transferrisiko zu minimieren.

Der niedersächsische Ministerpräsident sprach sich dagegen aus, den Großen Befähigungsnachweis zu ändern. In den letzten zehn Jahren seien in der Großindustrie permanent Arbeitsplätze abgebaut worden, ganz im Gegensatz zum Handwerk, wo Arbeitsplätze dauerhaft geschaffen worden seien. Das zentrale Beschäftigungsproblem liege also nicht im Handwerksbereich. Der Große Befähigungsnachweis diene dazu, Qualitätsstandards für den Verbraucher aufrechtzuerhalten, die nicht preisgegeben werden sollten.

Beim Thema Ökologiesteuer sprach sich Schröder dafür aus, den Faktor Arbeit steuerlich zu entlasten und gleichzeitig den Verbrauch natürlicher Ressourcen stärker zu belasten. Allerdings dürfe sich eine Ökosteuer weder allein auf Automobilkraftstoffe beziehen noch dürfe die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands dadurch zusätzlich belastet werden. Daher müsse sich die Ökologisierung des Steuersystems stärker auf europäischer Ebene vollziehen.

Die aus dem Publikum geäußerte These der negativen Beschäftigungseffekte der Informationstechnologie entspreche nicht mehr dem Stand der Dinge. Es gebe heute kaum noch Produktionsprozesse, bei denen diese Technologie nicht eingesetzt werde. Wer meine, man sollte diesen Fortschritt bremsen, plädiere nicht nur für Arbeitsplatzvernichtung in der Informationstechnologie, sondern in der gesamten Wirtschaft.

Auch Engelen-Kefer ging auf die Währungsunion ein. Sie sprach sich dafür aus, begleitend die Wirtschafts-, Steuer- und Finanzpolitik stärker zu koordinieren. Wenn sich Wechselkurse nicht mehr anpassen lassen, spielten Steuer- und Sozialsysteme im Wettbewerb ein viel größere Rolle als zuvor. Ein Sozialdumping wäre verheerend für den Zusammenhalt in Europa. Die ersten Vereinbarungen des Luxemburgers EU-Gipfels dazu seien nicht ideal, müßten nun aber umgesetzt und später verbessert werden.

Die Arbeitslosenquote in den USA wäre in der Tat höher als die in Deutschland, wenn Gefangene mit einbezogen würden. Das dürfe aber nicht dazu verleiten, über alle positiven Entwicklungen am US-Arbeitsmarkt hinwegzusehen. Vom größeren Drang zur Selbständigkeit, dem Aufbrechen der Verkrustungen im Finanzsektor, der Risikobereitschaft sowie von der größeren Phantasie und Kreativität könne Deutschland viel lernen.

Schließlich plädierte die frühere Vizepräsidentin der Bundesanstalt für Arbeit für öffentlich geförderte Arbeit. In Deutschland würden pro Jahr 180 Mrd. D-Mark aufgewendet, um Arbeitslosigkeit zu finanzieren. Solange im ersten Arbeitsmarkt nicht genügend Arbeitsplätze zur Verfügung stünden, sei es vernünftiger, dieses Geld etwa für Qualifizierungen, Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen oder Lohnkostenzuschüsse für Langzeitarbeitslose zu deren Wiedereingliederung in einen Betrieb einzusetzen.

Clement ging zunächst auf die Fragen nach der europaweiten Steuerreform und einer Ökologiesteuer ein. Eine tiefgreifende ökologische Steuerreform sei auf nationaler Ebene nicht machbar, sie erfordere europäische Absprachen. Die Steuersysteme müßten auf längere Sicht in Richtung Mehrwertsteuer und Ökosteuern umgestaltet werden.

Wie Schröder sprach sich auch Clement gegen Änderungen beim Großen Befähigungsnachweis aus. Dieser sei bewährt, und das Handwerk sei bei der Bereitstellung von Arbeitsplätzen der stabilste Faktor. Öffentlich geförderte Beschäftigung sei dann akzeptabel, wenn damit das Ziel verfolgt werde, den Betroffenen so schnell wie möglich eine Chance auf einen Arbeitsplatz im ersten Arbeitsmarkt zu eröffnen.

Falsch sei es, bei der Energiepolitik einen Gegensatz zwischen der Nutzung fossiler Brennstoffe und erneuerbaren Energiequellen aufzubauen. Beide Techniken würden benötigt, um angesichts des Wachstums der Weltbevölkerung ausreichend Energie bereitzustellen. Insbesondere die Solartechnologie gelte es auszubauen; etwa ab dem Jahr 2020 müsse sie einen bedeutenden Teil der Weltenergieversorgung übernehmen, weil anders der „Energiehunger" der Weltbevölkerung nicht mehr zu befriedigen sei.

Franz sah mehr im Europäischen Binnenmarkt und weniger in der Europäischen Währungsunion die große Herausforderung der Zukunft. Der verschärfte Wettbewerb lasse sich nicht durch protektionistische Maßnahmen wie etwa die Allgemeinverbindlichkeitserklärung für untere Lohngruppen in der Bauindustrie meistern.

Zum Schluß der Fragerunde verteidigte der Mannheimer Wirtschaftsprofessor seinen Vorschlag zur Änderung der Handwerksordnung. Er führte zwei Argumente an: Zum einen wären ohne den Großen Befähigungsnachweis wohl noch mehr Arbeitsplätze im Handwerk geschaffen worden. Zum anderen sei dieser Befähigungsnachweis letztlich ein Kartellinstrument und könne als solches wohl kaum als verbraucherfreundlich angesehen werden.

Der Moderator schloß die Veranstaltung, indem er seiner Hoffnung Ausdruck verlieh, daß Wege gefunden werden könnten, wenigstens einige der in der Diskussion erörterten Maßnahmen zur Schaffung von Arbeitsplätzen politisch umzusetzen. Dies sei, so Afheldt, nicht zuletzt auch eine Frage der politischen Mehrheiten. Die zwei grundsätzlichen Ansatzpunkte lägen in der Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen und der Beschäftigungsfähigkeit („employability") der Menschen. Eine offene Frage und ein mögliches Thema einer weiteren Diskussionsrunde sei, wie sich angesichts der neuen Herausforderungen die soziale Gerechtigkeit bewahren bzw. wiederherstellen ließe.


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