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Soll das Kriterium der Vergleichsmiete die Festlegung der Mieten bestimmen?

Das Kriterium der ortsüblichen Vergleichsmiete begrenzt mit rechtlicher Verbindlichkeit die Möglichkeit des Vermieters, die Mieten zu erhöhen - unabhängig davon, welche Miethöhe sich momentan im Markt durchsetzen ließe. Insbesondere in Verbindung mit einem wirksamen Kündigungsschutz kann die tatsächliche Miete der sogenannten Marktmiete nur mit Verzögerung folgen.

Position 1:

Ja, und zwar auch bei Neuvermietungen.

Die Macht auf dem Wohnungsmarkt ist (immer noch) extrem ungleich verteilt. Denn es besteht vielerorts ein Nachfrageüberhang, der selbst auf mittlere Frist nur durch höhere Preise (sprich Mieten) absorbiert werden kann. Läßt man tatsächliche Knappheitspreise auf dem Markt für Mietwohnungen zu, wird eine beträchtliche Einkommensumverteilung von den Mietern zu den Vermietern ausgelöst. Diese, bzw. die Grundstückseigentümer würden eine sozial ungerechtfertigte Knappheitsrente einstreichen. Ein Teil der Wohnungsnachfrager würde bei diesem Prozeß aus dem Markt gedrängt. D.h., die betroffenen Haushalte müßten ihre Wohnung aufgeben. Der ungedeckte Bedarf an angemessenem Wohnraum („angemessen" nicht marktlogisch, sondern sozial definiert) würde dabei zunehmen. Erst wenn diese Verdrängung genügend große Ausmaße annimmt und damit der Nachfrageüberhang abnimmt, gelangt die Mieterhöhung an ihr „natürliches" Ende.

Das Problem besteht allerdings nicht so sehr in der allgemeinen Wohnungsknappheit in Deutschland, als in örtlich konzentrierter Übernachfrage nach Wohnungen. Die Herausbildung solcher Übernachfrage führt bei freier Mietbildung auch dazu, daß alteingesessene, aber einkommensschwache Mieter aus dem Markt gedrängt werden und ihre Wohnung aufgeben müssen.

Das Argument, „Vergleichsmieten" würden nicht ausreichen, um den privaten Wohnungsbau zu stimulieren, stimmt nicht. Denn mit dem Vergleichsmietenkriterium wird die Rentabilität der Kapitalanlage Wohnungsbau nicht unter das Niveau anderer Kapitalanlagen gedrückt. Es wird nur verhindert, daß sie dieses entweder signifikant übersteigt, in anderen Worten, daß zur „Normalrendite" noch eine saftige Knappheitsrente hinzukommt, oder daß der Grundstückspreis steigt (weil bei höherer Miete die Renditeansprüche der Vermieter auch dann erfüllt werden, wenn die Investition in das Grundstück teuerer wird).

Gilt das Kriterium der Vergleichsmiete nur für Mieterhöhungen im Rahmen schon bestehender Verträge, schlägt die Wohnungsknappheit bei den Neuvermietungen besonders stark durch; denn alle Wohnungssuchenden sind auf dieses relativ enge Marktsegment angewiesen. Es kommt dann dort zu exorbitant hohen Mieten (so hoch, daß nur noch die zahlungskräftigsten Nachfrager im Markt bleiben).

Position 2:

Ja, aber nicht bei den Neuvermietungen!

Die Vergleichsmiete soll dem Schutz der Mieter vor plötzlichen sehr starken Mieterhöhungen dienen und verhindern, daß viele von ihnen deshalb ihre Wohnung aufgeben müssen. Sie soll den Verlauf der marktgemäßen Erhöhung des Mietniveaus stabilisieren, aber nicht das Mietniveau so niedrig halten, daß es sich immer weiter vom Marktniveau entfernt. Sind auch Neumieten an die Vergleichsmiete gebunden, ergibt sich genau dieser Effekt. Das tatsächliche Mietniveau hat keine Möglichkeit, einem steigenden Marktniveau zu folgen.

Position 3: Nein.

Das Vergleichsmieten-Kriterium verhindert, daß auf dem Wohnungsmarkt der Preis seine Steuerungsfunktion wahrnehmen kann. Das hat mehrere Nachteile:

  • Das knappe Gut Wohnung wird nicht dorthin zugeteilt, wo es den größten Nutzen (ausgedrückt in Zahlungsbereitschaft) stiftet. Es wird auch nicht nach egalitären Kriterien rationiert. Vielmehr werden die Insider, die eine Wohnung ergattern, durch die effektive Begrenzung der Miethöhe privilegiert: Sie müssen weniger zahlen und können sich vielfach größere Wohnungen leisten als bei freiem Markt. Den Outsidern, die dem Vermieter aus irgendeinem Grund nicht so genehm sind, zu spät in den Markt eintreten oder nicht die richtigen Beziehungen haben, ist damit in keiner Weise geholfen. Im Gegenteil, für sie verknappt sich das Wohnungsangebot zusätzlich, weil die Insider einen größeren Teil des Angebots in Beschlag nehmen, als sie es bei echten Knappheitsmieten täten. Unter den Wohnungssuchenden herrscht ein harter Wettbewerb um die knappen Objekte. Von dieser Situation profitieren u.a. die Makler; denn die Kenntnis eines angebotenen Objekts wird bei permanenter Übernachfrage selbst zum knappen und somit vermarktbaren Gut. Auch Vormieter lassen sich von den Nachmietern (evtl. in Form von Ablösesummen für relativ wertlose Wohnungsausrüstung) honorieren.

  • Die Bereitschaft, in den Wohnungsbau zu investieren, wird gedämpft, da dessen Rentabilität geringer ist als bei freier Mietbildung. Vielfach ist es sogar so, daß das Vergleichsmietenniveau nicht eine exzessive Knappheitsrente beschneidet, sondern die Rendite auf ein Maß herunterdrückt, das mit anderen Arten der Kapitalanlage nicht konkurrieren kann. Die Folge:
    Der Mangel an Wohnungen bleibt bestehen oder wird im günstigsten Fall weniger rasch abgebaut als bei freier Mietbildung. Zur Freiheit der Mietbildung gehört für den Investor dabei auch die Sicherheit, daß diese in Zukunft nicht zum Opfer neuer Gesetze werden wird. Dieser Nachteil läßt sich freilich durch spezifische Mieterhöhungsspielräume für Neubauten ausgleichen.

  • Die Bereitschaft, Altbauwohnungen zu renovieren, wird gedämpft, wenn sich die Investitionskosten aufgrund des Vergleichsmietenkriteriums nicht durch entsprechende Mieterhöhungen amortisieren lassen. Die Qualität des Wohnungsbestandes droht sich zunehmend zu verschlechtern. Spezifische Mieterhöhungsspielräume für renovierte Altbauwohnungen können diesen Nachteil allerdings kompensieren.
    Würde freie Mietbildung zugelassen, würde der private Wohnungsneubau (falls er nicht im Baulandbereich blokkiert wird) schon bald die Knappheitsrenten zusammenschmelzen lassen und vor allem im qualitativ weniger hochwertigen Altwohnungsbestand zu Mietsenkungen führen. Manche Einkommen würden zwar auch dann nicht ausreichen, um angemessenen Wohnraum anzumieten. Diesem Problem kommt das Vergleichsmietensystem aber ebenfalls nicht bei. Es muß mit anderen Methoden (z.B. Wohngeld) behoben werden.
    Wohngeld oder andere Formen der Subventionierung einkommensschwacher Haushalte können auch in Phasen akuter Wohnungsknappheit sozialverträgliche Ergebnisse sichern und eine Verdrängung dieser Haushalte vom (lokalen) Wohnungsmarkt verhindern.

© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Juli 1999

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