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2. Methodische Überlegungen

Die IuK-Techniken sind untrennbarer Teil der modernen Wirtschafts- und Produktionsweise geworden. Zugleich werden sie immer mehr zu einem selbstverständlichen Bestandteil der modernen Lebensweise. In den Vordergrund getreten ist dabei in der jüngsten Zeit die Entwicklung komplexer Infrastrukturen auf der Grundlage der Entwicklung neuer Telekommunikationstechniken (Internet, Intranet) und medienorientierter Anwendungen (Multimedia). Beide Entwicklungen fließen in der Praxis weitgehend zusammen, so daß zu erwarten ist, daß sich die derzeitige Diskussion um diese - wie auch die über andere grundlegendere Entwicklungen wie Cyberspace - in der Zukunft erheblich normalisieren und relativieren wird. Weder die Internet-/Intranetentwicklung noch das Aufkommen der Multimediatechniken verändern die Gesellschaft grundlegend, wie gelegentlich behauptet wird. Die Erhöhung der Mobilität durch die Motorisierung und durch andere Verkehrstechniken in der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts hat mit der liberalen amerikanischen Gesellschaft einerseits und dem deutschen Faschismus andererseits völlig entgegengesetzte Gesellschaftssysteme entstehen lassen. Nicht viel anders verhält es sich mit der Informatisierung bzw. der Internet- und Multimediaentwicklung: Sie sind nicht gesellschaftsbestimmend oder auch nur -prägend. Die Erfahrungen, die mit dem Aufkommen und der Ausbreitung des Telefons bis heute gemacht worden sind, können als lehrreiche Parallele zur Einschätzung des gesellschaftlichen Stellenwerts der oben genannten Prozesse herangezogen werden. Der gesamte Prozeß der Informatisierung verläuft zudem langsamer, widersprüchlicher und bisher auch bei weitem nicht so umfassend, wie es in früheren Phasen dieser Diskussion behauptet wurde und wie es auch gemessen an der gegenwärtigen Diskussion über das Internet und die Multimediaentwicklung erscheinen mag.

Maßgebend für den Prozeß der Informatisierung ist nach wie vor der betriebliche Anwendungsbereich, wo früher aufgrund der Zusammenhänge zwischen militärischer und produktionsbezogener Entwicklung in der langen Zeit des Kalten Krieges militärische Anwendungen eine Schlüsselrolle gespielt haben. Haushaltsbezogene Anwendungen, Anwendungen in anderen Bereichen wie Kultur, Medien oder Bildung waren häufig Nebenprodukte, gelegentlich sogar Abfallprodukte von zunächst für den betrieblichen Bereich entwickelten Systemen. Im betrieblichen Bereich übernehmen die IuK-Techniken häufig die Funktion eines Methodenarsenals bzw. einer Infrastruktur: Sie stellen ein bestimmtes Potential von Anwendungen zur Verfügung, die im Hinblick auf die konkreten betrieblichen Anforderungen bewertet, ausgewählt und realisiert werden müssen. Eben diese Anwendungen beinhalten vor allem das - im

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Vergleich zu anderen Techniken - besonders große Gestaltungspotential der IuK-Techniken und der Informatisierung als Gesamtprozeß.

Im Zuge der bei weitem noch nicht völlig erfolgten Informatisierung des betrieblichen Bereichs übernehmen die IuK-Techniken immer mehr eine Schlüsselrolle bei komplexen Produkt- und Verfahrensänderungen während der weiteren Entwicklung zur modernen Industrie- und Dienstleistungswirtschaft. Nicht mehr einzelne Anwendungen spielen hier eine Rolle, sondern mehr und mehr komplexe Anwendungskonzepte, die integriert funktions- und abteilungsübergreifende Bereiche der Betriebstätigkeit erfassen und durch den Einsatz entsprechender iuk-technisch gestützter Systeme unterstützen. An diesen komplexen Anwendungskonzepten muß angesetzt werden, wenn das Potential der IuK-Techniken im betrieblichen Bereich für ökologische Verbesserungen genutzt werden soll. Grundlage dafür sind die Informationen, die ja untrennbarer Bestandteil eines jeden betrieblichen Prozesses in dessen Poren sind. Sie begleiten lückenlos jeden Prozeßschritt und können schon deshalb auch für ökologisch wünschenswerte Veränderungen dieser Prozesse und ihrer Produkte genutzt werden, weil sie Entscheidungen auf der Basis von entsprechenden Anwendungen und Anwendungskonzepten der IuK-Techniken treffen. Zugleich sind die Informationen erzeugenden, speichernden und transportierenden Geräte Produkte, bei denen sich die üblichen ökologisch relevanten Probleme ergeben: Ressourcen- und Energieverbräuche in der Produktion und im Betrieb, Immissionen in der Entwicklung und bei der Produktion, Entsorgung des Elektronikschrotts u.a. Angesichts der Dynamik und der bereits erreichten Breite der Informatisierung spielen diese Probleme und ihre Beantwortung im Zusammenhang mit dem Umfang von Umweltbelastungen, die mit den IuK-Techniken verknüpft sein können, eine bedeutende Rolle.

Die IuK-Techniken zeichnen sich aber noch durch eine Besonderheit aus: Die Geräte dieser Technik (Hardware) sind nicht funktionsfähig ohne Betriebssysteme, Programme, Schnittstellen usw., also die immateriellen Produkte (Software). Diese wiederum setzen in allen Anwendungsbereichen entsprechende Anwendungskonzepte (planmäßige Regelungen, Vorgehensweisen, Kontrollen) voraus, die logisch und faktisch strukturierend die Entsprechung zwischen Anwendungsbereich (z.B. Montage von Maschinen) und dem iuk-technischen System (z.B. Produktions-, Planungs- und -Steuerungssystem) herstellen. Die Entwicklung und Anwendung der IuK-Techniken im betrieblichen Bereich tendieren dahin, komplexe Systeme zu entwickeln, die geeignet sind, integriert und zunehmend auch über telekommunikationstechnische Systeme die mit jedem Arbeitsschritt und dessen Planung, Durchführung und Kontrolle anfallenden Informationen in den Poren des betrieblichen Prozesses zu erfassen, zu verarbeiten, zu speichern und weiterzuleiten. Die grundlegende Bedeutung und die Allgegenwärtigkeit der Informationen und ihrer Flüsse führen dazu, daß über die konkreten materiellen Systeme hinaus in großer Zahl weniger faßbare und schwerer zu bewertende immaterielle Systeme entwickelt werden müssen, die im Zusammenwirken mit den materiellen die komplexen Produkte der Informatisierung entstehen lassen: al-

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so Systeme, die in der Regel Hard- und Software sowie entsprechende Anwendungs- bzw. Organisationskonzepte enthalten (Rationalisierungs- und Reorganisationssysteme wie z.B. business-re-engineering). Letztere stellen vielfach eigenständige, als solche auch be- und gehandelte Produkte dar.

Ökologisch bedeutsam bei diesen Produkten sind etwa Informationen über mögliche Einsparungen bei verschiedenen betrieblichen Einsatzstoffen, über weitere Möglichkeiten der Effizienzsteigerung, über alternative Gestaltungsmöglichkeiten von Betriebsstrukturen und -prozessen nach vorgegebenen wirtschaftlichen, technischen und eben auch ökologischen Zielen. Hier wird die ökologische Dimension der IuK-Techniken und der Informatisierung deutlich: Nicht nur die ökologisch bessere Gestaltung der materiell-technischen Komponenten, sondern auch die ökologische Orientierung der komplexen Systeme, die in der Praxis der Betriebe - aber auch der Haushalte - mit den von ihnen erstellten Informationen das Verhalten und die Entscheidungen mitbestimmen, sind im Rahmen der Überlegungen zu „Produkten der Zukunft" einzubeziehen.

Ein für den Bereich der IuK-Techniken zu leistendes Entwicklungsprogramm beruht daher auf

  1. der ökologischen Abschätzung der materiellen Komponenten dieser Techniken,
  2. der Abschätzung der umweltrelevanten Effekte der anderen den immateriellen Komponenten entsprechenden Systeme, darunter insbesondere der Systeme der Umweltinformatik,
  3. der Einschätzung des ökologisch relevanten Potentials der Telekommunikations-Infrastrukturen,
  4. der Erschließung des Potentials der komplexen Anwendungskonzepte, vor allem im betrieblichen Bereich,
  5. der Ausarbeitung des ökologischen Profils der Informatisierung insgesamt.

Daher werden hier Ergebnisse und Erfahrungen mit bisherigen Entwicklungen und Anwendungen der IuK-Techniken unter ökologischen Gesichtspunkten zusammengetragen. Sie erlauben die Benennung zunächst grober Prinzipien und Leitlinien für materielle und immaterielle „Produkte der Zukunft" auf dem Gebiet der IuK-Techniken sowie Schlußfolgerungen für die politische Praxis auf dem Weg zur Realisierung derartiger Produkte.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Januar 2000

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