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III. Vertiefende Betrachtung



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l. TECHNOLOGIE

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These: Die informationstechnologische Revolution ermöglicht und treibt die Entwicklung der Telekommunikationsmärkte.

Entfernung liegt bereits in der Herkunft des Wortes "Telekommunikation". Das persönliche wie disperse Gespräch über bisher unüberwindbare Distanzen hinweg war das Resultat der ersten technischen Revolution in der menschlichen Kommunikation. Es ist markantestes Charakteristikum der neuesten Entwicklung in der Telekommunikation, daß gerade die Bedeutung der Entfernung abnimmt. "The death of distance", wie der britische Economist das Phänomen treffend nannte, wird verursacht durch den revolutionären Wandel in wesentlichen Bereichen der Telekommunikationstechnologie. Diese rühren neben einer gewaltigen Kostenreduzierung gleichzeitig zur Kapazitätserhöhung, Flexibilitätssteigerung und Diensteausweitung. (siehe Abb. 2, nächste Seite)

Das hervorragendste Merkmal ist die nachgerade dramatische Leistungs- und Produktivitätssteigerung bei den zwei tragenden Säulen der Telekommunikationstechnik, den Übertragungswegen sowie den Steuerungs- und Vermittlungssystemen. Insbesondere der Digitalisierung kommt dabei die exponierte Rolle der Initialzündung - quasi als "Urknall" der neuen technologischen Revolution in der Telekommunikation - zu. Digitalisierung ist somit der Treiber für die sich dynamisch entwickelnden Telekommunikationsmärkte und "Total digital" à la Nicholas Negroponte damit Zukunftsvision der Kommunikation. Diese Digitalisierung ermöglicht dann die Verschmelzung der Informations- und Übertragungsströme und führt letztlich zur vieldiskutierten Konvergenz von Industrien wie Telekommunikation mit Datenverarbeitung, Konsumelektronik, Rundfunk und Medienindustrie innerhalb einer postindustriellen Informationsgesellschaft.

Im Bereich der Telekommunikation kämpfen auf der Seite der Übertragungswege vier Systeme um den Kundenzugang: das Telefon, der Kabelanschluß, der Satellit und der terrestrische Rundfunk.

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Obwohl gegensätzlicher Entstehungsnatur und mit unterschiedlichen Kommunikationsvorteilen in unterschiedlichen Wertschöpfungssystemen operierend, ist für alle vier Systeme entscheidend: Die Übertragungskosten eines Bits entwickeln sich im Grenzkostenbereich unabhängig von der Entfernung. Gleichzeitig steigen die übertragenen Datenmengen rapide an. Grundlage für diese Entwicklung sind unter anderem der Einsatz von Glasfasertechnologie mit dramatischer Bandbreitenerhöhung, die Entstehung von weltumspannenden Netzen und der Einsatz von Technik zur Datenkompression,
-übertragung und -vermittlung mit erheblichen Kostensenkungspotentialen. Ein offensichtliches Beispiel sind Wartungskosten, die etwa ein Viertel der laufenden Netzwerkkosten ausmachen: Glasfaserkabel verursachen nur ein

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Fünftel der Wartungskosten von herkömmlichen Kupferkabeln. Getrieben durch technologische Innovation fielen die Kosten rascher als die im Wettbewerb unter Druck geratenen Preise. Das ermöglichte so zumindest teilweise die fulminante Gewinnentwicklung der Telekommunikationsbranche. Diese ökonomischen Folgen einer technischen Entwicklung bestimmen den nächsten Schritt in Richtung eines Marktes, dessen Dynamik durch neue, das technisch Machbare füllende Anwendungen und den Eintritt neuer, durch Gewinnpotentiale angelockter Wettbewerber hervorgerufen wird.

Die Entwicklung der Steuerungs- und Vermittlungssysteme verläuft ähnlich dramatisch. Historisch kennen wir die Kommunikations- und Computerindustrie als getrennte Welten. Weltweit operierende Telefonnetze wären ohne gigantische zentrale Vermittlungsknoten, organisiert über hierarchische Netzebenen, nicht denkbar. Die erste Welle der Digitalisierung führte zu großen Rationalisierungsvorteilen, stellte jedoch das Grundprinzip einer Kommunikationshierarchie nicht in Frage.

Eine Analogie findet sich in der Datenverarbeitung. Dort explodierte die Prozessor- und Speicherleistung über die Jahre exponentiell, ohne die Bedeutung des "Zentralrechners" anzutasten. Mit Entwicklung der PC-Technologie, von Client-Server-Architekturen und "paketierter" Datensteuerung in offenen Systemen verabschieden sich hierarchische Rechnersysteme aus ihrer zentralen Rolle. Ahnliches ist auch in der Telekommunikation zu erwarten, wo intelligente Netze die traditionellen Kommunikationshierarchien obsolet werden lassen. Die technologisch getriebene wachsende Dominanz dezentralisierter, vernetzter, intelligenter Infrastrukturen wird die Dynamik der Telekommunikationsmärkte ebenfalls grundlegend mitbestimmen. Unsere Prognose ist, daß Intelligente Netze (IN) mit dezentraler Struktur für das Wachstum im Kerngeschäft der
Telekommunikations-Carrier entscheidend sein werden (Abb. 3).

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Entfemungsunabhängiger Zugang zu dezentralen, im Wettbewerb stehenden Infrastrukturen, welche globale Kommunikationsleistung kostenoptimal anbieten, ist damit ein wesentlicher Treiber für die Entwicklung der zukünftigen Telekommunikationsmärkte und eine der entscheidenden Voraussetzungen für die in vollem Gange befindliche Globalisierung der Unternehmenswelt. Dabei sei vorausgesagt, daß hochgradig interkommunikative, dezentralisierte Strukturen besonders flexibel und überlebensfähig sein werden und damit einen wesentlichen Beitrag zur Weiterentwicklung selbstorganisierender Netzwerke leisten können.

Anschauliches Beispiel für den Wandel sowohl bei den Übertragungswegen als auch bei den Steuerungs- und Vermittlungssystemen ist mittlerweile das weltweite Internet. Zum einen arbeitet es schon heute "entfernungsunabhängig". Dem Anwender wird lediglich der Zugang zum Netz in Rechnung gestellt, nicht aber die "Distanz-Überbrückungsleistung" des Netzes pro Teilnahme. Zum anderen werden auch Daten transportiert, ohne daß dabei zentrale Steuerungsrechner zur Anwendung kommen. Mehrere Anbieterallianzen versuchen sogar bereits, einfache Terminals zu entwickeln, die als Alter-

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native zu PCs am Markt etabliert werden sollen. Die Grundarchitektur dieser Geräte sieht vor, nur noch die für die Steuerung der wesentlichen Gerätefunktionen notwendigen Softwareanteile im Gerät zu halten, während sämtliche Anwender-Programme im Internet selbst liegen und dort für die Nutzer zugänglich sind.

Traumziel aller Technologen seit Jahrzehnten ist die Integration von Daten, Sprache, Text und Bewegtbild. Durch die neuen Kompressionstechnologien ist es schon jetzt möglich, kostengünstig Bewegtbilder mit in die Kommunikationsangebote einzubeziehen. Diese Multimedia-Dienste revolutionieren unsere Welt.

Fazit: Ohne den Durchbruch vor allem in der Digital- und Glasfasertechnik wäre die rasche Entwicklung liberalisierter Telekommunikationsmärkte nicht denkbar. Zwei Koordinaten des bisherigen Systems der Telekommunikation wurden dabei gründlich verändert: Zum einen wird die Entfernung in der Informationsübertragung zunehmend irrelevant. Zum anderen werden alte Netzhierarchien aufgebrochen und dezentralisiert. Die Zukunftsvision lautet daher: globale, dezentral organisierte Kommunikation in intelligenten Netzen, für deren Nutzung "Eintrittsentgelte" statt "Entfernungsentgelte" anfallen. Ein Teil dieser Zukunftsvision ist bereits heute Realität: im Internet. Durch die Einbeziehung der Datenkompression setzen sich schon heute integrierte multimediale Dienste durch.

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2. REGULIERUNG

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These: Wettbewerb entsteht nicht im freien Spiel der Marktkräfte - er muß von einem unabhängigen Regulierer in der Startphase aktiv gefördert werden (Paradoxon der Liberalisierung).

Weltweit setzt sich immer mehr die Erkenntnis durch, daß nur eine grundlegende Liberalisierung der Märkte zum erwünschten Wettbewerb mit einer Vervielfältigung von Telekommunikationsprodukten und -dienstleistungen und zu einer entsprechenden Marktdynamik führt. Eine restriktive Regulierungspolitik kann zwar den allgemeinen Trend zu Liberalisierung und Wettbewerb verzögern, jedoch nicht verhindern, dafür aber in der Phase der Verzögerung zu erheblichen Wettbewerbsverzerrungen führen, die den späteren Start belasten.

Die gerade durch die technologische Entwicklung möglich gewordene massive Globalisierung der Märkte (sowohl Nachfrager als auch Anbieter) macht es für Nationalstaaten immer schwerer, sich den Zentrifugalkräften technisch, wirtschaftlich oder politisch zu entziehen. Das zeigt sich auch deutlich in dem sich seit 1980 beschleunigenden weltweiten Privatisierungstrend (siehe Abb. 4, nächste Seite)

Abgesehen von der technologischen Entwicklung, die nationale Grenzen im Bereich der Telekommunikation überwindet, gibt es zwei Gründe für die zunehmende Geschwindigkeit in der Privatisierung und Deregulierung:

  • Zum einen die hohe Markteintrittsbereitschaft oder gar der Markteintrittsdruck globaler und nationaler Player, wie sie sich auch in massiven Aktivitäten vor der eigentlichen Marktöffnung manifestieren, wie zum Beispiel der Aufbau / Zusammenschluß von Netzinfrastrukturen, der Zusammenschluß / die Akquisition von Unternehmen und der Know-how- und Ressourcentransfer durch die Bildung von Allianzen
  • Zum anderen die zunehmende Erfahrung in der Deregulierung und ihren Konsequenzen, insbesondere auch durch die sich beschleunigende Ausweitung der Liberalisierung von Teilsegmenten des Telekommunikationsmarktes wie Corporate Networks oder Mobilfunk

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Dies läßt sich auch an der Entwicklung in Deutschland zeigen. Der Deregulierungspfad geht sozusagen durch eine Anzahl von in immer schnellerer Folge liberalisierten Teilsegmenten, bevor es zur "Volliberalisierung" 1998 kommt (siehe Abb. 5, nächste Seite).

Deregulierung bedeutet jedoch paradoxerweise zuerst einmal, daß der Politik / Regulierung eine zentrale Rolle zufällt, wie sich anhand der kritischen Punkte für die Regulierung deutlich zeigen läßt. Die Entwicklung von Wettbewerb erfordert Regulatoren, die den vom Gesetzgeber vorgezeichneten Weg der Telekommunikation vom staatlichen Monopol in den liberalisierten Wettbewerb begleiten. Die ehemaligen Monopolisten der Branche werden sich nämlich nicht einfach vom Markt drängen lassen - im Gegenteil. Die internationale Erfahrung zeigt, daß sie sich angesichts neuer Herausforderungen alles andere als träge verhalten, sondern rasch zu kostensenkenden, effizienzsteigernden und kundenorientierten Maßnahmen greifen. In der Tat

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ist davon auszugehen, daß sich der Wettbewerb anfangs wohl eher evolutionär entwickeln wird und die neuen Wettbewerber in vieler Hinsicht direkt davon abhängen werden, welche Spielregeln dem Dominanten Carrier auferlegt werden, um den Wettbewerb auch gedeihen zu lassen. Wettbewerbspolitisches Ziel des Regulierers muß es sein, "win-win"-Strategien für die Wettbewerber in seinem Regulierungsbereich zu entwerfen. Gleichzeitig muß ein "nationaler" Regulierer auch die globalen Kräfteverhältnisse berücksichtigen.

Somit ist die Positionierung des Regulators als entweder passive oder aktive Instanz ein Schlüsselaspekt für die Entwicklung des liberalisierten Marktes. Vor allem in der ersten Phase der liberalisierenden Märkte kann deren Bedeutung gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Neue Wettbewerber werden vor allem im lokalen Bereich in hohem Maße vom Zugang zu den Netzen der etablierten Netzbetreiber abhängen. Über die Steuerung der hierbei zu zahlenden Interconnection Rates kann der Regulierer unmittelbaren Einfluß auf die Marktchancen der neuen Anbieter nehmen, zumal die Gestaltung dieser Interconnection Rates zu einem gewissen Grad arbiträre Züge aufweist. Regulatoren haben dabei, das zeigt der internationale Vergleich, überaus unterschiedliche Standpunkte bezogen - mit unterschiedlichen Folgen für das nationale Wettbewerbssystem Telekommunikation. Die Positionierung des Regulierers reichte dabei von aktiver Steuerung des

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Zeitrahmens für Interconnection-Verhandlungen, Festlegen von Interconnection-Preismodellen und selbst Vorkalkulation von zentralen Preiselementen (Beispiel Australien) über reine Administration beispielsweise der Numbering-Pläne bis hin zu weitgehender Abwesenheit im Liberalisierungsprozeß (siehe Neuseeland).

Darüber hinaus müssen sich Legislative und Exekutive - also in diesem Fall die vom Gesetzgeber beauftragte Regulierungsbehörde - einem Fragenkomplex stellen, der weit über die Gestaltung von Rahmenbedingungen für den Wettbewerb hinausweist und in soziale und gesellschaftspolitische Bereiche hineinragt. Hier geht es beispielsweise um die "Grundversorgung" der Bevölkerung mit Basistelefonie, die Steuerung des Ressourcenaufbaus (Netzinfrastrukturen) und eine volkswirtschaftlich sinnvolle Zuteilung knapper Ressourcen (Frequenzen) an den effizientesten Wettbewerber zu gewährleisten und somit generell die Ausschöpfung von Preissenkungspotentialen zu initiieren.

Regulierung im Sinne des Schaffens wettbewerbsorientierter und innovativer Märkte bei gleichzeitiger Optimierung volkswirtschaftlicher Ressourcen, unter Berücksichtigung einer Grundversorgung in der preisgünstigen Basistelefonie, sollte daher folgende Zielsetzungen verfolgen:

  • Wettbewerbsförderung, vor allem durch Kontrolle der Interconnection-Konditionen und möglicher Quersubventionierung; aber auch Berücksichtigung der Position der eigenen Telekommunikationsindustrie bzgl. der bereits länger deregulierten internationalen Konkurrenz; globale Perspektive bzgl. aller Marktteilnehmer.
  • Sozialer Ausgleich, wie Universal Service; gleichberechtigter Zugang aller Teilnehmer zu Netzleistungen und Diensten, günstige Angebote für sozial Schwache, insbesondere wenn man soziale Marktwirtschaft ernst nimmt und keine Kluft zwischen Informationsbesitzern und "have-nots" entstehen lassen will
  • Optimale Ressourcenallokation, da eine Förderung einer zu großen Anzahl alternativer Carrier zu Kapitalverschwendung und Marktinstabilität führt und letztlich das Entstehen "echter" Konkurrenz mit globaler Dimen-

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    sionierung für die etablierten Player verhindert; Förderung von Innovation, insbesondere über kleine SW-Firmen

  • Faire Zuteilung knapper Ressourcen, z.B. über Ausschreibung oder Lizenzerteilung (Funkkanäle)
  • Förderung von Standardisierung und Technologien im Rahmen einer abgestimmten internationalen Entwicklung.

Der eigentlich kritische Punkt für den Regulierer ist dabei, den Moment zu erkennen, in dem der Gestaltungsrahmen des Staates über einen Regulierer heutiger Prägung ausgeschöpft ist und das freie Spiel der Marktkräfte dominieren muß. Es ist davon auszugehen, daß dieser Punkt in Deutschland wesentlich rascher kommen wird als in anderen Ländern, weil sich die Geschwindigkeit der Entwicklung potenziert.

Fazit: Liberalisierte Telekommunikationsmärkte sind noch keine Wettbewerbsmärkte. Im Gegenteil. Ehemalige Monopolisten haben sich teilweise als erstaunlich anpassungsfähig erwiesen und dominieren noch heute die nationalen Märkte. Regulierer müssen Freiraum und Chancengleichheit für alle Marktteilnehmer schaffen (Interconnection Rates, Quersubventionierung, Nummernportabilität etc.). Diese Regulierung, die zu Win-win-Strategien aller Marktteilnehmer führen soll, stellt hohe Anforderungen an die Rolle des Regulierers. Einer seiner Kernbereiche wird vor allem in der Startphase die Frage der Interconnection-Regelungen sein. Darüber hinaus aber darf er auch die legislativen sozial- und gesellschaftspolitischen Komponenten nicht aus dem Auge verlieren.

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3. MARKT

These: Neue Märkte entstehen nicht zufällig - sie werden geschaffen.

Das Schaffen neuer Märkte muß von den Grundbedürfnissen, die sich zu erweiterten Kommunikationsmöglichkeiten ausdifferenzieren, ausgehen und muß dabei Konvergenz und Substitution von Anwendungen berücksichtigen. Die Telekommunikationsmärkte bieten Raum für eine aktive, innovative Marktgestaltung, wie die Beispiele Internet und Multimedia zeigen. Neue Wettbewerbsstrukturen entlang neuer Wertschöpfungsketten entstehen. Durch Szenarien zur zukünftigen Telekommunikations-/Informationsindustrie wird im folgenden eine mögliche Zukunft der Telekommunikationsindustrie angedacht.

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3.1 Grundbedürfnisse

Die technologische Entwicklung bietet dem Menschen in immer größerem Ausmaß die Befriedigung dreier Grundbedürfnisse:

  • Kommunikation,
  • Information,
  • Unterhaltung.

Diese Grundbedürfnisse wurden bisher durch die vier erwähnten unterschiedlichen Netzsysteme und die damit bedingten Vertriebsformen befriedigt:

  • Telefonwelt als Massenmarkt der Individualkommunikation mit dem bisherigen Ziel, die Grundversorgung der Bevölkerung mit Basistelefonie sicherzustellen
  • Terrestrischer Rundfunk als eine von der Telefonwelt vollkommen abgetrennte, eigene Welt der Massenkommunikation auf Radio- und TV-Kanälen zwischen in der Regel einem Sender und einem dispersen Publikum, mit dem Ziel, Information und Unterhaltung zu verbreiten
  • Kabelwelt ursprünglich als Unterhaltungsalternative zu den Angeboten der terrestrischen Rundfunkanbieter und Eintrittsnische für private Anbieter für Massenunterhaltung und -information
  • Satellit als alternative Netzinfrastruktur und Verteilersystem für Breitbandkommunikation im All, um globale Abdeckung und neue Mengendimensionen der Übertragbarkeit für die in der Kabel- und Telefonwelt transportierten Inhalte zu erreichen. Gleichzeitig entstehen hier neue Ansätze der mobilen Kommunikation

Entscheidend ist, daß sich unter dem Eindruck der rasanten Digitalisierung die genannten drei Grundbedürfnisse zunehmend durch neue, zuerst einmal in der technischen Machbarkeit begründete Attribute ausdifferenzieren lassen. Es handelt sich nicht mehr um Grundbedürfnisse, sondern um erweiterte Kommunikationsmöglichkeiten:

  • Kommunikation, nun zu jeder Zeit an jedem Ort und mit jedem gewünschten Teilnehmer(-kreis),
  • Information, nun sowohl in disperser wie auch individualisierter Form, sprich über Massen- und On-Demand-Kanäle,
  • Unterhaltung, nun in Stand-alone- und in interaktiver Form.

Mit einher gehen neue Funktionalitäten, die die Qualität der Befriedigung dieser erweiterten Kommunikationsbedürfnisse entscheidend verändern:

  • globale Erreichbarkeit (zum Beispiel über satellitengestützte Mobilkommunikation),
  • Mobilität (zum Beispiel über Mobilfunk, Satellitenfunk),
  • asynchrone Kommunikation (zum Beispiel über Kommunikation On-demand, E-Mail, Voice-Mail und die Übertragung speicherbarer Visualinformation).


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3.2 Konvergenz und Substitution

In der Realisierung und Vermarktung dieser erweiterten Kommunikationsmöglichkeiten in entsprechenden kundenorientierten Anwendungen liegt der Entwicklungspfad der Telekommunikationsmärkte. Dabei werden Anwendungen, die früher beispielsweise in zwei klar getrennte Welten - Telekommunikation einerseits und Rundfunk (also Radio und TV) andererseits - unterteilbar waren, zunehmend für ein Verschwimmen dieser Grenzen sorgen. Mittlerweile beginnen sich auch die Trennlinien zum Printbereich aufzulösen (Scannen, elektronische, multimediale Lexika).

Individual- und Massenkommunikation gehen mithin in einem einzigen Markt auf (siehe Abb. 6). Es werden neue Netzstrukturen gebildet, welche zur Konvergenz bisher getrennt operierender "Distributionswege" für Kommunikations- und Informationsleistungen führen. Das hat auch zur Folge, daß die zu vollkommen unterschiedlichen Zwecken entwickelten Netzinfrastrukturen in eine direkte Substitutionsbeziehung, beziehungsweise Konkurrenzsituation geraten: Filme werden bereits heute über Telefonleitungen übertragen. Umgekehrt rüsten viele Kabelnetzbetreiber in

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den USA und in Großbritannien ihre Netze auf, um ihren Kunden Telefoniedienste anbieten zu können.

Sowohl der boomende Mobilfunk als auch die zumindest in Deutschland noch weniger weit verbreiteten Alternativen wie Kabeltelefonie der Kabel-TV-Gesellschaften, Satellitenfunk oder Internet-Telefonanwendungen haben das Potential, das traditionelle Festnetz zumindest teilweise zu substituieren. Prognosen zu Substitutionsraten bewegen sich immerhin zwischen 10% und 50% in ca. zehn Jahren. Dies führt zu enormen Überkapazitäten. Hinzu kommen die nur schwer abschätzbaren Folgen der Konvergenz von Endgeräten wie auch von Diensten: Diese Entwicklung wird zwar über die Erschließung neuer technologischer Möglichkeiten zum Wachstum des Marktes beitragen, aber auch Substitutionseffekte verstärken. Ein anderes Beispiel ist die Substitution terrestrischer Übertragung, insbesondere durch Satellitenempfang (siehe Abb. 7):

Das stete Anschwellen der Schnittmengen zwischen den verschiedenen Netzstrukturen und den auf ihnen transportierten Kommunikationsformen muß zu der Frage führen, wo denn nun der Fluchtpunkt solch einer fast

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uferlosen Perspektive ("alles für alle auf allen Wegen") sein soll. Worauf muß man sich fokussieren, will man zu aussagekräftigen Prognosen zur Entwicklung der Telekommunikationsmärkte kommen? Wo also scheiden sich letzten Endes Abschätzung und Utopie?

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3.3 Marktgestaltung durch Dienste

Entscheidend ist unserer Meinung nach bei der Einschätzung der Marktentwicklung das kommunizierende Individuum, also der Kunde in seinem Anspruch, gleichzeitig seine Kommunikationsmöglichkeiten zu erweitern und sie seinen Lebensbedingungen angepaßt zu gestalten. Eine sicheres Zeichen für diese Entwicklung ist der sich immer deutlicher abzeichnende Trend zur "persönlichen Kommunikation":

  • persönliche Rufnummer (lebenslang, für alle Dienste etc.),
  • Kommunikationsmöglichkeit an jedem Ort zu jeder Zeit,
  • Management der Erreichbarkeit (dabei Schutz der Privatsphäre an jedem Platz zu jeder Zeit),
  • Zugang zu weltweiter Information,
  • Management der Information und Reduktion von Komplexität (Wandel von Information in Wissen).

Die Technik als Stand-alone-Hardware tritt dabei immer mehr in den Hintergrund, während gleichzeitig die Inhalte und mit ihnen die Software in den Vordergrund treten. Angesichts der zentralen Bedeutung netzgetriebener, dezentraler Anwendungen für die erweiterte persönliche Kommunikation der vom bloßen Rezipienten zum Sender/Empfänger emanzipierten Kunden wird Hardware jedoch zu einer Selbstverständlichkeit.

Damit verschieben sich aber auch die Problemstellungen von der technologischen Machbarkeit zu Fragen der Marktgestaltung für Anwendungen und Dienstleistungen, welche den bisherigen Status Quo der Wissenschafts-, Medien- und Informationslandschaft antasten (siehe Diskussion: Was ist Rundfunk, was ist Information). Die zukünftigen Telekommunikationsmärkte werden also mit der Verschiebung von der Hardware zur Software zum einen die individualisierte Kommunikation explodieren lassen; sie werden damit aber auch die aktive Gestaltung der Rahmenbedingungen durch Politik, Wirtschaft und Wissenschaft erforderlich machen.

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Betrachten wir als Beispiel, wie der Markterfolg des Internet (als Netz der Netze) geschaffen wurde:

Das Internet ist das weltweit größte Computernetz, das nach letzten Schätzungen z. Zt. rund 47 Millionen Nutzer verbindet. Physikalisch handelt es sich dabei zur Zeit um einen Zusammenschluß von ca. 10 Millionen Hosts in 130 Ländern.

Der über das Internet abgewickelte Datenverkehr wächst zur Zeit um 100 bis 200 Prozent im Jahr. Die wichtigsten Anwendungen des Internet sind E-Mail, Bulletin Boards und unzählige Datenbanken. Der eigentliche Entwicklungsschub steht aber noch aus: Die Migration des Internet zu einem "elektronischen" Marktplatz. Es zeigt sich bereits in Ansätzen, daß virtuelle Shopping Malls auf dem Internet entstehen.

Das Netz ist damit die größte Erfolgsstory in der Telekommunikation seit Erfindung des Telefons und dies, ohne daß seine Ausbreitung heutzutage einer zentralen Steuerung unterliegt. Das Internet wurde Ende der 60er Jah-

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re im Auftrag des amerikanischen Verteidigungsministeriums entwickelt und weitete sich rasch auf Universitäten und andere öffentliche Einrichtungen aus. Die eigentliche Verbindung zwischen den verschiedenen Netzen - das Internet Backbone oder SFNet - wurde von der National Science Foun-dation betrieben. Seit kurzem betreiben private Non-profit-Organisationen mit Unterstützung mehrerer Telecom Operators das Netz.

Auch in Deutschland schreitet die Entwicklung des Internet rasant voran, insbesondere im kommerziellen Sektor.

Was aber macht dieses Netz so erfolgreich? Sicherlich spielen Kosten eine Rolle: Wie bereits gesagt, werden der Zugang und darüber hinaus die genutzte Bandbreite, nicht aber die Entfernung berechnet. Des weiteren aber sind es die dem Netz inhärenten "Freiheitsgrade" der individuellen Kommu-

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nikation, die das Internet zu einem der erstaunlichsten Kommunikationsphänomene unserer Zeit machen: Es ist ein globales Kommunikationsnetz mit quasi "antiautoritären" Hierarchien und strukturell freiem Zugang für jeden Teilnehmer, der sich darin sowohl als Anbieter wie auch als Konsument bewegen kann; mithin kann jeder Teilnehmer aus der eingangs erwähnten Unmündigkeit eines Rezipienten heraustreten und zum aktiven Sender werden, ohne daß sich hierbei große Investitionen oder nennenswerte technische Hürden in den Weg stellen.

Gerade der Erfolg des Internet und die explosive Vermehrung der Kommunikationstätigkeit im Internet lassen die Problematik der Gestaltung von Rahmenbedingungen schärfer hervortreten, wie die Auseinandersetzungen z.B. um die Verbreitung pornographischer und politischer Inhalte und um das Copyright erkennen lassen. Gerade beim Copyright lassen sich die Fragestellungen am Beispiel Internet gut herausarbeiten: Die digitale Technologie erlaubt die nahezu perfekte und unbegrenzte Kopie von geistigen Produkten der Malerei, Photographie und des Films, der Musik und natürlich des geschriebenen Wortes und der Wissenschaft. Gleichzeitig wird die vervielfältigende Verbreitung dieser üblicherweise durch Copyright geschützten Produkte im Internet nicht nur überaus erleichtert (ein Bild läßt sich per

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Knopfdruck kopieren und wiederum per Knopfdruck um die ganze Welt senden), sondern wird auch mehr oder minder unkontrollierbar, insbesondere durch das elektronische Editing, sprich Zusammenfassen verschiedener Elemente auf einer "elektronischen Seite".

So können die Urheber geistigen Eigentums geschädigt werden. Auf der anderen Seite wird es gerade bei der kommerziellen Nutzung solcher geistigen Produkte kaum möglich sein, mit allen Urhebern zu verhandeln, zumal u.a. davon auszugehen ist, daß auch Verzögerungstaktiken zur Steigerung der Tantiemen angewandt werden dürften. Mögliche Auswege wären:

  • Kollektives Verhandeln durch Pooling und Outsourcen der Copyright-Verhandlungen z.B. durch die Produzenten von kommerziellen Internetinhalten an Agenturen, die sich mit den Inhabern der Copyrights auf Durchschnittspreise einigen könnten. Auf selten der Urheber sind solche Agenturen, wie etwa die Verwertungsgesellschaft Wort und die GEMA, bereits gang und gäbe.
  • Aufbau von Kontrollagenturen, die möglicherweise als quasi öffentlich-rechtliche Anstalten bestimmte Rahmenbedingungen vorgeben würden, wie etwa Mindestpreise für Verwendung von Teilen geistiger Produkte (Bildausschnitte) oder die Einschränkung der Blockade der Urheber.

Idealvorstellung hinter diesen Ansätzen ist eine Art Broking- und Clearingverfahren für mit Copyright bewehrte Inhalte aller Art. Es würde ein Markt der Bits and Pieces geschaffen, der von Produzenten geistiger Produkte gleichermaßen gespeist und genutzt würde, wobei alle Transaktionen über eine Art Clearinghouse registriert und abgerechnet werden müßten.

Das Internet gibt dabei nur einen Vorgeschmack von dem, was sich einmal durch die multimediale Interaktion realisieren lassen wird - und zwar in technologischer, kommunikativer und rechtlicher Hinsicht. Die Bezeichnung "Multimedia" wird heute für eine Vielzahl von neuen Produkten und Dienstleistungen aus dem Computing-, Telekommunikations- und Medienbereich verwendet. Eine klare, abgrenzende Definition des Begriffs ist zur Zeit noch nicht möglich.

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Alle Multimedia-Anwendungen verfügen jedoch über gemeinsame Merkmale, anhand derer eine gewisse Bestimmung möglich ist. Diese Merkmale machen Multimedia gerade auch im Rahmen dieses Gutachtens zu einem zentralen Aspekt: Multimediale Anwendungen lassen sich nämlich charakterisieren durch die integrative Anwendung verschiedener Medien und durch die Möglichkeit der interaktiven Nutzung. Auch hier also werden Grenzen zwischen verschiedenen Kommunikationsformen und Kommunikationspositionen (Sender/Empfänger) verschoben beziehungsweise aufgehoben. Die Nachfrage nach entsprechenden multimedialen Anwendungen und daraus resultierend nach breitbandiger Netzkapazität in dezentralen Netzstrukturen wird langfristig die Marktdynamik in der Telekommunikation bestim-

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men. Diese multimedialen Anwendungen treiben, neben dem Mobilfunk, im wesentlichen das Marktvolumen der Telekommunikation (siehe Abb. 11). Der Markt in Deutschland wird sich in 10 Jahren fast verdoppeln: von 95 Mrd. DM (1995) auf 170 Mrd. DM (2005).

Multimedia-Anwendungen werden für die Segmente der privaten und geschäftlichen Nutzung entwickelt und vermarktet. Typische Anwendungen im privaten Bereich sind interaktive Fernsehdienste wie Video-on-Demand, interaktive Spiele und Homeshopping. Bei diesen Produkten liegt der Schwerpunkt auf der Unterhaltung. Wichtige geschäftliche Multimedia-Anwendungen sind unter anderem die Videokonferenz, Lern- und Schulungsprogramme, Datenbankdienst sowie Teleworking und Informationskioske. Viele der Anwendungen sind keine grundsätzlich neuen, sondern vielmehr bereits heute existierende Produkte, die lediglich um eine multimediale Dimension, zum Beispiel die Interaktivität, erweitert werden.

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Betrachtet man das Gesamtpotential der durch den Bereich Multimedia betroffenen Branchen, so wird ersichtlich, welche Bedeutung dieser Markt langfristig erlangen wird. Ein Volumen von rund 270 Milliarden Mark, etwa 10% des Bruttosozialprodukts, ist direkt oder indirekt davon betroffen (siehe Abb. 13).

Multimedia ist zweifellos die beherrschende Zukunftsvision der Telekommunikation. Allerdings geht der Blick über das Jahr 2000 hinaus - zumal für Deutschland - noch ins Ungewisse, wie sich an den Entwicklungsstufen für das Digitale Fernsehen zeigen läßt (siehe Abb. 14).

Hier befindet sich vieles immer noch in einem Teststadium, angefangen von der Technologie, insbesondere im Bereich der Server und Endgeräte, bis zur Nutzerakzeptanz, die sich bisher als äußerst preissensitiv erwiesen hat.

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Abbildung 15 gibt abschließend einen Überblick über drei internationale Pilotprojekte im interaktiven Bereich:

Bei dem bis dato umfangreichsten Pilotversuch von Time Warner in Orlando, Florida, haben die Teilnehmer Zugriff auf Video-on-Demand und alle Arten von interaktiven Diensten. Zum Beispiel beim Teleshopping gibt es den Kanal "Auto Mall". Darin kann man per Fernbedienung direkt beim Autohändler

  • verschiedene Modelle am Bildschirm vorgestellt bekommen,
  • alternative Angebote prüfen lassen,
  • die Wagenfarbe wunschgemäß wechseln,
  • den Endpreis bei einer bestimmten Ausstattung errechnen lassen und schließlich
  • ein Testfahrzeug ordern sowie den Testtermin festlegen.

Obwohl hier noch keine abschließende Beurteilung dieser und anderer Pilotprojekte möglich ist, kann man vielleicht folgendes zum Zwischenstand sagen:

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  • Nach zum Teil deutlichen Verzögerungen funktioniert die technische Realisierung in den meisten Fällen - wie das Beispiel Orlando in Florida zeigt, werden dazu z.T. erhebliche Investitionen in Infrastrukturen erforderlich
  • Die Akzeptanz der neuen Dienste ist vor allem bei sogenannten "Blockbuster Movies" positiv; interaktive Dienste wie Homeshopping und andere werden eher gemischt aufgenommen
  • Die Initiatoren der Pilotversuche stellen fest, daß sich nicht immer auf Anhieb die notwendige Zahl von Versuchsteilnehmern findet
  • Vor allem aber sind Aussagen über die Wirtschaftlichkeit der Dienste bei Pilotprojekten, die keine finanzielle Eigenbeteiligung durch den Nutzer vorsehen, schlechterdings nicht möglich



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3.4. Wettbewerbsstrukturen

Heute dominieren noch in vielen Telekommunikationsmärkten der Welt ehemalige Monopolanbieter oder wenige Oligopolisten. Die Telekommunikationsmärkte der Zukunft werden sich jedoch wertschöpfungsorientiert stark differenzieren und somit zu einer Vielfalt an Wettbewerbern führen.

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Dies hängt vor allem mit der bereits angesprochenen Tatsache zusammen, daß die Grenzkosten für einen Telefonanruf oder eine Datenübertragung unabhängig von der Entfernung insbesondere bei Überkapazitäten gegen Null gehen. Eine Grenzkostenrechnung bei Übertragungsleistungen ist somit mit großen Schwierigkeiten verbunden: Findet eine Übertragung von A nach B statt, so kann sie auf verschiedenen Wegen geroutet werden. Es kann daher kaum allgemeingültig ein Kostensatz für diese spezifische Übertragung festgelegt werden. Noch komplizierter wird die Rechnung, wenn wichtige Parameter wie der Zeitpunkt der Übertragung und die aktuelle Netzauslastung mit berücksichtigt werden. Die Schwankungsbreiten der Kalkulationsansätze sind je nach Modellansatz sehr groß.

Aus dieser Grenzkosten-Problematik ergibt sich eine für das Wettbewerbsgeschehen nicht unwesentliche Konsequenz: Nicht die Übertragung, sondern - wie auch beim Internet - lediglich der Zugang zum Netz müßte vom Endkunden eigentlich bezahlt werden. Kalkulationsbasis hierfür können die Fixkosten des Netzbetreibers sein. British Telecom spricht daher bereits vom "Commodity-Basisdienst", für den über kurz oder lang kein Geld mehr verlangt werden kann. Ein weiterer Aspekt dieser Entwicklung wird auch sein, daß die Netzinfrastruktur selbst, die dem Basisdienst zugrundeliegt, eine Commodity sein wird. In Zukunft werden also Mehrwert-Dienstleistungen auf einer Commodity-Basis aus Infrastruktur und eventuell Basistelefonie aufsetzen müssen. Netzbetreiber wie auch Anbieter mit gemieteten Netzkapazitäten werden mit einer zunehmenden Komplexität der Leistungserstellung konfrontiert sein. Um Einkommen über solche Mehrwertdienste zu generieren, werden sie in andere Segmente der Wertschöpfungskette einsteigen - so, wie dies auch branchenfremde Neueinsteiger aus z.B. der Medien- oder der Computer-Industrie tun:

Dabei lassen sich je nach Ausgangsposition unterschiedliche Entwicklungspfade feststellen, deren Hauptziel in der Regel der Eintritt in attraktive Märkte ist (siehe Abb. 16). Allerdings sind die Motive für diese Markteintritte unterschiedlich. So kommt es zu neuen Wettbewerbskonstellationen im Kerngeschäft einzelner Anbietergruppen; z.B. kämpfen heute schon Hersteller von Unterhaltungselektronik wie Philips, Sega oder Nintendo mit Computerherstellern um den lukrativen Markt der Videospiele-Konsolen. Ein weiteres Feld, in dem beide Anbietergruppen in Konkurrenz zueinander treten,

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sind die digitalen Set Top Boxen, die im nächsten Schritt zu digitalen Fernsehern weiterentwickelt werden und sich dann technisch kaum noch von PCs unterscheiden. In diesen Gebieten sehen bereits heute so unterschiedliche Unternehmen wie General Instruments, Thomson, Microsoft, Scientific Atlanta und Sony zukünftige Wachstumsfelder, die es zu besetzen gilt.

Aber auch an den noch keineswegs klar definierten Schnittstellen des sich gerade entwickelnden Geschäftssystems entstehen neue Wettbewerbskonstellationen zwischen an sich unterschiedlichen Industrien. Diese zielen auf neu entstehende Märkte, meist im Dienstebereich, ab (siehe Abb. 17).

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Auch diese Entwicklungen können langfristig nachhaltige Auswirkungen auf das Kerngeschäft einzelner Anbietergruppen haben. Hersteller von Videospiele-Konsolen, wie z.B. Philips mit der CD-i-Konsole, stellten immer mehr fest, daß dieses Geschäft nur wirklich profitabel in Zusammenhang mit den dazugehörigen Inhalten betrieben werden kann und dringen in diese Wertschöpfungsstufe vor. Umgekehrt versuchen Inhalteanbieter wie Bertelsmann oder Burda, im Online-Dienstegeschäft Fuß zu fassen. Dort werden sie bald neben traditionellen Anbietern wie Telekom oder CompuServe auch mit Microsoft, einem Software-Unternehmen, in Konkurrenz treten.

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3.5 Szenarien der Telekommunikations-/Informationsindustrie

Die Konvergenz der informationsabhängigen Industrien ist inzwischen unbestritten (siehe Abb. 18).

Die traditionellen Geschäftsabgrenzungen sind hier ständiger Überprüfung unterworfen, und neue Konstellationen mit zunehmender Marktdynamik werden geschaffen. Doch wie sieht die Zukunft aus? Mit Hilfe von drei Szenarien, bei denen wir von der Telekommunikationsindustrie ausgehen, wird versucht, die Industriestruktur der zukünftigen Informationsgesellschaft zu beschreiben. Wir unterscheiden eine Transportwelt, eine Vertriebswelt und eine Informationswelt (Abb. 19).

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  1. Die Transportwelt ist das Modell der aus den alten Monopolen gewachsenen Telekommunikationsoligopole. Große Netzbetreiber bewegen sich im oligopolistischen Wettbewerb innerhalb reglementierter Märkte, die über Lizenzvergabe mit Bevorzugung nationaler Lizenznehmer gesteuert werden. Dieses Szenario wird vor allem durch drei Merkmale gekennzeichnet:

    • Wertschöpfung geschieht über Massenvolumen zu Commodity-Preisen. Entscheidend sind die kostengünstige eigene Netzarchitektur und die globale Abdeckung über Allianzen mit anderen großen Carriern aus dem Ausland.

    • Die Differenzierung als Telekommunikationsanbieter ist netzgetrieben. Dienstleistungsangebote werden von den Netzbetreibern geschaffen und durch zusätzliche Funktionalitäten in den Vermittlungseinheiten implementiert. Gleichzeitig kann die Marktdurchdringung teilweise Jahre in Anspruch nehmen (siehe ISDN, das in den 70er Jahren zum ersten Mal vorgeschlagen wurde). Technologien sind standardisiert, und technologische Innovation kommt nur langsam voran.

    • Der Regulierer operiert über Marktsimulation und legt Preislevel beziehungsweise Gewinnspannen fest. Die Universaldienstverpflichtung

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      wird über Quersubventionierung des Ortszugangs durch das Fernnetzgeschäft gewährleistet.
  1. Die "Vertriebswelt" ist das kundenorientierte Modell der Telekommunikation mit einer größeren Anzahl nationaler und internationaler Dienstleistungsanbieter. Die Deregulierung hat hier bereits in großem Maße gegriffen und Markteintrittsbarrieren beseitigt, während Netzwerkarchitektur und Wertschöpfungskette weitgehend unverändert geblieben sind. Vor allem ist es den Anbietern darum zu tun, die Kundenerwartungen in ihrer gesamten Breite abzudecken. Die Merkmalsausprägungen dieses Szenarios haben sich entsprechend verschoben:

    • Wertschöpfung gelingt weitgehend über die Beherrschung des Kundenzugangs, vor allem im Bereich der Billing-Systeme und der Entwicklung ausgeprägter Customer-Care-Programme sowie der Bündelung von Basis- und Zusatzprodukten, wie zum Beispiel Basistelefonie in Verbindung mit Mehrwertdiensten aller Art. Hier liegt das große Feld der multimedialen Lösungen.

    • Differenzierung im Wettbewerb ist eine Bedingung für das Überleben und läßt sich vor allem nicht mehr nur über Preis oder Technologiekompetenz darstellen. Kenntnis des Marktes und der Kundenbedürfnisse sowie Beachtung eines hohen Serviceniveaus sind die Kernkompetenzen, die zur erfolgreichen Differenzierung führen.

    • Der Regulierer fördert die Marktentwicklung über Markteingriffe zur Stützung alternativer Markteinsteiger und gewährleistet so die langfristige Etablierung des Wettbewerbs.
  1. Die "Informationswelt" schließlich ist das wissensgetriebene Modell einer "aufgeklärten" Informationsgesellschaft, in der sich der Nutzer in großem Ausmaß von mehr oder minder starren Anbieterstrukturen emanzipiert hat. Hochflexible Anbieter von Dienstleistungen sind - sofern es sich noch um Unternehmen handelt - zu "virtuellen" Formen der Kundenansprache und -bindung übergegangen. Ihr Herstellungsapparat ist vollautomatisiert und global dort angesiedelt, wo es am kostengünstigsten ist. Die Kundenansprache entwickelt sich weg vom klassischen

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    Vertriebspersonal zu Customer-Service-Einrichtungen wie Call Centern. Eigene Zweigstellenorganisationen oder Einzelhandelsketten sind weitgehend überflüssig. Die Kommunikation mit den Kunden erfolgt über Netzstrukturen - weltweit. Auch die Abwicklung der finanziellen Vorgänge wird vollelektronisch laufen; Geld (ein "Informationssurrogat") wandelt sich immer mehr in
    e-cash. Strategische Allianzen sind temporär in die Leistungserstellung und -abwicklung on-demand einbezogen. Somit hat sich auch die Wertschöpfungskette entsprechend verändert (Abb. 20):

    Die Netzwerkstrukturen dieser Informationswelt sind dezentral und intelligent. Sie setzen sich aus Standardkomponenten in einer grundsätzlich offenen Architektur zusammen. Die der Struktur zugrundeliegende Hardware ist generisch, während die Software dienstleistungsdefiniert ist. Das Entscheidende an dieser Architektur ist die Entkoppelung von Transferleistung und Dienstleistungsangebot. Die Dienstleistung wird aus der Domäne der Netzwerkbetreiber ausgelagert und kann von einer Vielzahl hochspezialiserter Anbieter übernommen werden. Dies wird - wie im Internet bereits deutlich sichtbar - zu einer Proliferation in innovativen Angeboten führen. Navigationsfähigkeit und Unterstützung im persönlichen Kommunikationsmanagement werden kritische Fähigkeiten für den Nutzer und damit sicherlich auch entscheidende Dienstleistungsangebote werden. Auch hier findet sich eine

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    Parallele zum Internet, das auch durch die Entwicklung der WorldWideWeb-Navigationssoftware zu einer solchen Popularität gelangen konnte.

    • Wertschöpfung wird dementsprechend über Software und die Fähigkeit zu vernetzter Anwendung mit verteilter, dezentraler Intelligenz realisiert.

    • Differenzierung wird in einem fragmentierten Wettbewerbsumfeld, das durch viele Marktein- und austritte, starke Spezialisierung und den Aufbau wissensgetriebener Organisationen gekennzeichnet ist, zunehmend nur in noch intensiverer Hinwendung zum Kunden möglich sein. Allerdings werden in dieser Informationswelt die Grenzen zwischen Anbietern und Kunden zunehmend verwischen. Entscheidend ist, daß Kundenbedürfnisse schneller identifiziert und befriedigt werden; das heißt, time-to-market mit einem immer komplexeren Leistungsangebot, die Fähigkeit, Bandwaggon-Effekte in kürzester Zeit zu erzeugen und schließlich große Flexibilität in der Organisation sind kritische Kernkompetenzen in diesem Szenario. Damit wird sich auch ein vollkommen neuer Unternehmenstyp herauskristallisieren, auf den noch zu kommen sein wird.

    • Der Regulierer alten Typs wird nicht mehr existieren. Andere regulierende Instanzen setzen gesellschaftliche Rahmenbedingungen und finden vor allem in der Durchsetzung und Kontrolle von politisch definierten Parametern ihre Herausforderung (Urheberrecht, Verbreitung bestimmter Inhalte, Universalversorgung etc.).

Um die Unterschiede zwischen Informationswelt und Transportwelt auf der Kundenebene zu illustrieren, wird eine einfache Situation herausgegriffen:

Ein Kunde in der Transportwelt möchte einen Telefonanschluß. Er muß einen POS seines Netzbetreibers oder Service Providers kontaktieren. Dort wird über den Kundenservice ein Prozeß in Gang gesetzt, der von der Aufnahme der Kundendaten bis zur physischen Installation einer Verbindung, wenn nicht gar einer Endeinrichtung reicht. Im Verlaufe des Prozesses werden mehrere Warteschleifen vor unterschiedlichen Organisationseinheiten das Procedere verzögern.

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In der Informationswelt wird der Kunde die Software, die ihm den Zugang zur Dienstleistung Telefonie ermöglicht, selbst installieren, sofern er bereits Zugang zum Netz hat. Diese Software kann direkt aus dem Netz heruntergeladen werden; ebenso wird der Kunde die Auswahl zwischen verschiedenen Anbietern haben, deren Produkte sich in Komfort, Leistungsfähigkeit und Preis unterscheiden werden.

Beim Übergang von der Transportwelt zur Informationswelt kommt der Globalisierung eine zentrale Bedeutung zu. Mit der internationalen Vernetzung von Infrastrukturen, entfernungsunabhängigem Informationstransport zu marginalen Grenzkosten und einer wertschöpfungsorientierten Spezialisierung von Anwendungen werden selbst die Nischenanbieter im zunehmend liberalisierten Telekommunikationsmarkt weltweit anbieten. In der "Transportwelt" werden nur wenige globale Allianzen sich durchsetzen, in der "Vertriebswelt" wird dagegen eine Vielzahl von Anbietern um Kundendominanz kämpfen, während in der "Informationswelt" ganz neue Anbieterformen (höchste Spezialisierung, global vernetzt, über strategische Allianzen erweiterte Unternehmen, temporäre Unternehmen, virtuelle Firmen) den Markt neu darstellen. Auf diesem Wege wird in letzter Konsequenz jeder Informationswelt-Teilnehmer gleichzeitig Kunde und Anbieter.

Fazit: Grundbedürfnisse der Kommunikation, Information und Unterhaltung werden sich erweitern und zunehmend individuell ausprägen. In der Befriedigung dieser erweiterten Kommunikationsmöglichkeiten liegen die Entwicklungspfade der Telekommunikationsmärkte. Dabei sind zwei Phänomene von besonderer Bedeutung. Die Grenzen zwischen bisher klar getrennten Kommunikationswegen und
-formen werden zunehmend verwischt. Was heute noch getrennte Welten der Telefonie und des Rundfunks waren, wird in den Zukunftsmärkten ein Teilbestandteil multimedialer Kommunikation werden. Im Zuge dieser Entwicklung werden sich auch Grenzen zwischen Wettbewerbern verschieben. Entlang der Wertschöpfungskette werden zunehmend differenziertere Dienstleistungsangebote entwickelt werden, von Unternehmen, die aus bisher festen Positionen in der Kette heraus expandieren werden, um attraktive Marktsegmente zu erschließen. Drei Szenarien lassen sich in der Entwicklung der Telekommunikationsmärkte auf ihrem Weg zur Informationsgesellschaft kreieren: die Transportwelt der zu Oligopolen mutierten ehemaligen Monopole mit Commodity-Pro-

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dukten, die Vertriebswelt, bestehend aus einer größeren Anzahl von kundenorientierten Dienstleistungsanbietern und die Informationswelt virtueller Unternehmen und emanzipierter Netzteilnehmer, die aus intelligenten Netzen eine enorme Vielzahl äußerst differenzierter Dienstleistungsangebote in die persönliche Nutzungssphäre laden können. In dieser Welt verschwimmen auch die Grenzen zwischen Anbietern und Nutzern. Die Netzarchitektur der Informationswelt hat ebenfalls bereits ein real existierendes Vorbild: das Internet. Doch genauso wenig wie das Internet entstehen die Zukunftsmärkte von selbst; sie müssen geschaffen werden. Unternehmer, Politiker und Wissenschaftler müssen Hand anlegen.

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4. WETTBEWERBSDIFFERENZIERUNG

These: Das Erfolgsmodell der zukünftigen Telekommunikations-/Informationsindustrie wird das LERNENDE Unternehmen sein.

In Anbetracht der Vielzahl möglicher und neuer Wettbewerber in der Telekommunikation (siehe Abb. 21) und vor dem Hintergrund der Erfahrung in liberalisierten Auslandsmärkten wird sehr schnell klar, daß nicht alle neuen Wettbewerber erfolgreich die stürmischen Wachstumsjahre und besonders die anschließend einsetzende Konzentration überleben können.

Man sieht (Abb. 22) am Beispiel des amerikanischen Long-Distance-Marktes, daß der intensive Wettbewerb eine Konsolidierung erzwang. Aus der Notwendigkeit heraus, spätestens nach 5-7 Jahren profitabel zu sein, resultiert eine bestimmte notwendige Höhe des Marktanteils, der wiederum eine bestimmte Firmengröße bedingt. Ein Alternativer Carrier in Europa z.B. benö-

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tigt wenigstens 10 % Marktanteil. Dies heißt, daß pro Land/Segment nur max. 1-4 Wettbewerber erfolgreich sein können. Es wird ganz entscheidend darauf ankommen, sich von den Wettbewerbern zu differenzieren und eine verteidigungsfähige Wettbewerbsposition mit unverwechselbarer Identität aufzubauen. Durch das Angebot niedriger Preise allein ist dieses Ziel sicherlich nicht zu erreichen.

Trotz der hohen Wahrscheinlichkeit, daß es vor allem in der Startphase zu zum Teil ruinösen Preiskämpfen zwischen den Wettbewerbern kommt, werden gerade niedrige Preise allein nicht zum gewünschten Erfolg führen. Im Gegenteil. Das läßt sich unter anderem am Beispiel Mercury zeigen: Der BT-Wettbewerber hat mit einer Niedrigpreisstrategie 14% Marktanteil erreicht. Beim Eintritt weiterer Wettbewerber mit ähnlichen Strategien machte Mercury große Verluste und mußte neue Möglichkeiten der Differenzierung suchen.

Ohne eine erfolgversprechende Differenzierungsstrategie wird generell nicht mit einem langfristigen Überleben im Telekommunikationsmarkt zu rechnen sein. Fokus aller Differenzierungsbemühungen wird in immer größerem Ausmaße der Kunde sein müssen. Von der Orientierung an internen Vorstellungen über die Angemessenheit der "Versorgung" der "Teilnehmer" wird

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sich der Markt völlig umgestalten zu einer expliziten Ausrichtung an individuellen Kundenbedürfnissen, mit dem Kunden als wichtigstem "Stakeholder" und dem Oberziel der langfristigen Kundenbindung. Mit der Steigerung des Wohlstands und einer ständig wachsenden Mobilität erhöhen sich jedoch kontinuierlich die Kundenanforderungen. Sowohl auf der Ebene der Endkonsumenten als auch auf der der Industrieabnehmer ist dies mit einer Steigerung der Vielfalt und oft auch mit einer Internationalisierung der Nachfrage verbunden.

Informiertere und stärker fordernde Kunden werden daher den Business-Fokus von der Technik hin zu Marketing und Customer Care verlagern, zweifellos noch nicht so stark in den noch technologisch geprägten Teilmärkten wie Intelligente Netze beziehungsweise Virtual Private Networks oder Satellitenfunk, sicherlich aber im "Brot-und-Butter"-Geschäft der klassischen Übertragungs- und Serviceleistungen und damit in den verbundenen Mehrwertdiensten und multimedialen Angeboten.

Wenn somit die Technologiekompetenz als Hauptdifferenzierungsmerkmal an Bedeutung verliert, werden andere Kernfähigkeiten wie Kundenbindung durch Service oder segmentspezifisches Marketing immer wichtiger.

Wie wichtig innovatives Management der Kundenbindung für den Wettbewerb sein kann, zeigen amerikanische Beispiele: MCI hatte zur Wettbewerbsdifferenzierung das Programm "Friends & Family" eingeführt. Dabei wurde einem Kreis von Freunden und Familienmitgliedern Rabatte eingeräumt, wenn sie alle MCI-Kunden wurden. Die Vermarktung gelang durch offensives Marketing, das durch Prämien, Flugmeilen und dergleichen unterstützt wurde. Mitentscheidend war dabei auch, daß MCI über eine ausgefeilte Telefon-Vermittlungstechnik und entsprechende Abwicklungs- und Abrechnungssysteme verfügte. Es sicherte sich damit einen Teilvorsprung, den AT&T auch nach drei Jahren noch nicht vollständig aufgeholt hatte.

Gutes Marketing kostet aber ebenso wie der Aufbau technologischer Kompetenz und die Bereitstellung einer kundenfreundlichen Servicestruktur viel Geld. Auch die klassische Informationsverarbeitung hat einen erheblichen Einfluß auf den Erfolg: Immer wieder wird eine Verkürzung der sogenann-

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ten "Time to Market" beschworen. Was nutzt es aber, wenn ein neuer Service innerhalb von zwölf Wochen technologisch konzipiert und marktreif ist, die Abrechnungssysteme das neue Produkt aber erst in zwölf Monaten erfassen können? Ähnlich hohe Bedeutung hat eine moderne IV-Infrastruktur auch beim Thema "Customer-Care-Prozesse".

Dieser Aufwand wird in den Kalkulationen heutiger und zukünftiger "Player" nicht immer realistisch angesetzt, was nach 1998 einigen von ihnen Probleme bereiten kann. Folgerichtig rückt der Aufbau von Kernkompetenzen in neuen Wertschöpfungsstufen ebenfalls immer stärker in den Mittelpunkt.

Aber selbst das reicht noch nicht für Unternehmen der hochinnovativen zukünftigen Informationsgesellschaft aus. Darüber hinaus sind traditionelle Funktions-, Divisions- oder Matrixorganisationen, die vor allem eine gute Marktpositionierung durch die Optimierung der Produktlinien und der Realisierung von Synergien erreichen wollen, zu sehr nach innen gerichtet, zu starr und nicht in der Lage, das Leistungspotential des gesamten Unternehmens zu nutzen. Letztlich wird nur eine lernende Organisation, die durch die Nutzung des Potentials aller Mitarbeiter im Unternehmen gleichzeitig proaktiv, kosteneffizient ist und innovative, neue Wege verfolgt, gerüstet sein, ihr langfristiges Überleben im Markt zu sichern.

Der Finanzchef von Microsoft betont: "The only way to compete today is to make your intellectual capital obsolete before anyone else does". Dies wird erreicht durch eine lernende Organisation, bei der jeder Mitarbeiter fähig ist, Wissen sowohl selbst zu entwickeln als auch von außen zu erwerben und im gesamten Unternehmen effektiv zu verteilen und zu nutzen, so daß das Verhalten jedes Mitarbeiters die stets aktualisierte Wissensbasis des gesamten Unternehmens reflektiert.

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Eine solche Organisation entsteht nicht zufällig, sondern bedarf eines aktiven Managements sowohl durch "harte" organisatorische (Prozesse, Systeme, Strukturen) wie auch "weiche" unternehmenskulturelle (Führungsverhalten, Teamwork, Kommunikation) Vernetzungsmechanismen (siehe Abb. 23). Es müssen dabei fünf Phasen des Lernprozesses durchlaufen werden:

  1. Sensibilisierung und Vorbereitung zu einem lernenden Unternehmen - hier werden die konkreten Lernziele des Unternehmens festgelegt; eine entsprechende Lernatmosphäre im Unternehmen geschaffen, die die Mitarbeiter motiviert und Partizipation honoriert; die Lernfähigkeit, z.B. Systemwissen oder Kommunikationstechniken der Mitarbeiter sichergestellt sowie eine sichtbare Lernstruktur, z.B. Taskforces, Komitees oder Projektgruppen etabliert.

  2. Aktiver Informationserwerb und -austausch - durch zunächst individuellen Informationserwerb aus den intern verfügbaren Quellen (z.B. Managementsysteme, Datenbanken) sowie unter Ausschöpfung der erweiterten Unternehmung ("Extended Enterprise") durch Strategische Allianzen, Partnerschaften oder Kooperationen mit Zulieferern, Kunden, Wettbewerbern, Partnern aus anderen Industrien, Regierungs- und anderen (professionellen) Institutionen.

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  1. Kontinuierliche Integration, Synthese, Bewertung und Weiterentwicklung der Wissensbasis des Unternehmens - durch systematisches Zusammenfassen und firmenspezifische Übersetzung und Integration der Erkenntnisse der Einzelnen, am besten unterstützt durch eigens etablierte Knowledge-Management-Systeme (neue Wertschöpfung).

  2. Effektiver Wissenstransfer und Kommunikation - durch umfassende, kontinuierliche Kommunikation über Inhalte, Vorteile und Zugang zu der stets aktualisierten Untemehmenswissensbasis.

  3. Erfolgreiche, unternehmensweite Anwendung der aktuellen Wissensbasis und kontinuierliche Verbesserung - durch zunächst vorbildliches Verhalten von Führungskräften, die die neuen Werte der Kooperation, Zusammenarbeit und des gegenseitigen Austausches innerhalb und außerhalb der eigenen Organisation vorleben und durch neue, innovative, lernbezogene Erfolgsmeßgrößen, an denen sich individuelle Anreize wie auch untemehmensweite Erfolge orientieren.

Die Argumentation geht sogar so weit zu sagen, daß die Entwicklung und das Leben einer lernenden Organisation in der heutigen Wirtschaftslage der Telekommunikationsbranche nicht nur ein Wettbewerbsvorteil sein wird, sondern bereits eine Erfolgsvoraussetzung. Dabei ist die Beteiligung aller Mitarbeiter kritisch. Jedoch erst die spezielle Bereitschaft des Top Managements, dieses neue Unternehmenskonzept zunächst zu initiieren und dann konsequent zu unterstützen, macht diesen gravierenden Unternehmenswandel möglich.

Fazit: Nicht alle der heute angetretenen Wettbewerber werden den Weg in die Informationsgesellschaft überleben. Möglicherweise wird es sogar nur ein kleiner Teil sein, und diese Unternehmen werden am Ende des Weges total verändert sein. Die Frage nach der erfolgreichen Differenzierung im Wettbewerb ist dabei in allererster Linie entscheidend für das Überleben. Erster Fokus einer Differenzierungsstrategie wird der Kunde sein in allen seinen - an der Zahl wachsenden - Anforderungsfacetten. Aber die wirklich erfolgreichen Unternehmen werden darüber hinaus gehen müssen. Das Erfolgsmodell der Informationsgesellschaft ist das lernende Unternehmen, das

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für die Kundenbeziehung überaus empfindliche Sensoren besitzen muß, zumal diese Beziehung zunehmend zu einer virtuellen werden wird.

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5. GESELLSCHAFT

These; In der Informationsgesellschaft müssen die Grundfunktionen Lernen und Arbeit neu ausgestaltet werden.

Für die Gesellschaft werden sich vor allem in den beiden Bereichen Wissen und Arbeit durch die hier angesprochenen Veränderungen in der Telekommunikation sowohl Risiken als auch Chancen ergeben.

der Individuen pro Einkommensquartil mit Zugang zu Computern bzw. Netzwerkdiensten; Rand Corporation

  • Wissensexplosion und Wissenskluft - Neue Ungleichheiten in der Informationsgesellschaft: Zum einen wird der Zugang zu sowie die Verteilung und Nutzung von Wissen völlig neue Dimensionen erhalten. Hierin liegt eine Chance: Das Individuum kann sich in einer bis dato nicht denkbaren Unabhängigkeit mit Wissen versorgen. Diese Unabhängigkeit bezieht sich nicht nur auf Zeit und Ort (Stichwort Telelearning), sondern auch auf den Inhalt. Im globalen Informationskontext wird der Nutzer über den Zugang zu Inhalten entscheiden und nicht ein wie auch immer gearteter "Gatekeeper", sei dies nun ein frei investigierender Journalist oder ein Zensor. Die zunehmende Überlappung des Wissenserwerbs mit der Unterhaltung in Konstrukten wie Info- oder Edutainment zeigt darüber hin-

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    aus, daß nicht nur homo sapiens, sondern auch homo ludens im zukünftigen Wissenserwerb zu seinem Recht kommen wird.

    Zum anderen wird aus der großen Chance, die dem Individuum hier geboten werden wird, ein aus sozialer Perspektive nicht zu vernachlässigendes Risiko: die Wissenskluft. Die Theorie vom "Knowledge Gap" wurde als Phänomen einer expandierenden Informationsgesellschaft vor allem in der amerikanischen Sozial- und Kommunikationsforschung bereits in den 80er Jahren angesprochen. Die Problematik ist aktueller denn je. Untersuchungen der Rand Corporation zeigen, daß kritische Voraussetzungen für die Teilhabe an der Wissensrevolution im sozialen Gefüge der USA ungleich verteilt sind und zwar entlang von Einkommens- sowie Bildungsgrenzen (siehe Abb. 24 und 25).

    Ohne Steuerung wird die Wissenskluft zunehmen, bedingt durch nach wie vor relativ hohe Anschaffungskosten im Endgerätebereich, eine irritierende Vielfalt im Wissens- aber auch im Unterhaltungsangebot und die Abwesenheit einer Medienpädagogik vor allem auf den Basisbildungsstufen des Ausbildungssystems. Die Problematik wird um so alarmierender, wenn man bedenkt, daß ja auch das Lernen in der Informationsgesellschaft sich möglicherweise zunehmend vom Campus in die Privatsphäre verlagern wird.

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    wirken aus Marktgeschehen und politischer Agenda gefunden werden. Während Technologie und Wettbewerb für weiter fallende Preise im Endgerätesektor sorgen werden, hat der Staat die Möglichkeit, Kosten der Nutzung bestimmter Dienstleistungen für bestimmte soziale Gruppen zu subventionieren. Das heißt, der Zugang wäre für alle Mitglieder der Informationsgesellschaft gleichermaßen gewährleistet. Das allerdings sagt noch nichts über die Nutzung aus, die durch die Entwicklung von gezielten Trainingsangeboten zum Umgang mit den neuen Potentialen des Wissenserwerbs gefördert werden müßte. Vor allem letzteres dürfte eine nicht zu unterschätzende Herausforderung für das Gemeinwesen sein.

  • Arbeit und Arbeitslosigkeit - Neue versus alte Arbeitsplätze: Auf europäischer Ebene werden häufig zwei gegensätzliche Szenarien diskutiert. Durch Informationstechnologie, insbesondere der Computisierung, verbunden mit Robotern und numerisch gesteuerten, vernetzten Maschinen werden unsere Fabriken automatisiert. Dadurch werden Arbeitsplätze frei (Abb. 26).

    Szenario I geht davon aus, daß die Umstrukturierung des industriellen Sektors schneller vorangeht als der Aufbau der Informationsgesellschaft. Die fehlenden Arbeitsplätze führen zu einem Nachfragedefizit und somit zu sinkendem Wohlstand.

    Szenario II geht davon aus, daß die neuen Technologien zu einem neuen Industriezweig - sei er Information Brokerage genannt - führen, der neue Arbeitsplätze im Dienstleistungssektor schafft. Hier bilden Millionen von Unternehmen eine innovative Gesellschaft in Ergänzung zu automatisierten Fabriken. Innovationen werden durch die Telekommunikations- /Informationstechnologien ermöglicht.

Fokussieren wir uns nun auf das Teilsegment Telekommunikation/Information:

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Die Auswirkungen der Deregulierung von Telekommunikationsmärkten werden im ersten Schritt durch freigesetzte Rationalisierungspotentiale sichtbar - die ehemaligen Monopolisten entlassen Mitarbeiter. Gleichzeitig aber verheißen neue Wettbewerber, neue Dienstleistungsangebote und neue Technologien die Schaffung neuer Arbeitsplätze.

Betrachten wir die Entwicklung in den USA und in Großbritannien:

  • Vor der Zerschlagung der AT&T im Jahre 1984 beschäftigte das Unternehmen rund 970.000 Mitarbeiter. 1993, neun Jahre später, beschäftigten die Nachfolgeuntemehmen (AT&T und die RBOCs) gerade noch 740.000 Mitarbeiter. Schätzungen gehen davon aus, daß sich die Anzahl aller Beschäftigten in der Telekommunikationsbranche aber von 1,37 auf 1,53 Millionen erhöhte. Das heißt, der Abbau von 230.000 Beschäftigten bei den Ex-Monopoldienstleistern wurde kompensiert, und weitere 160.000 Arbeitsplätze wurden neu geschaffen.

  • Auch in Großbritannien kam es im gleichen Zeitraum zum Abbau von rund 70.000 Arbeitsplätzen bei British Telecom. Die Arbeitsplatzverluste wurden nicht durch das Erstarken "alternativer Netzbetreiber" aufgefangen. Dort wurden lediglich ca. 8.000 direkte neue Arbeitsplätze geschaffen.

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Ein wesentlicher Grund für diese frappierenden Unterschiede könnte in der Art der Regulierung liegen. Während in den USA Deregulierung und Wettbewerbszunahme zeitgleich verliefen, war in UK gemäß der Deregulierung die Innovation auf BT und Mercury für sieben Jahre beschränkt. In dieser Zeit wurden zwar die Preise gesenkt, was dem Endkonsumenten zugute kam, aber es mußten auch gleichzeitig die Kosten gesenkt werden, was kurzfristig Arbeitsplätze kostete. Es mehren sich die Anzeichen, daß nach dem Duopoly-Review nun Innovation und auch Arbeitsplätze wieder zunehmen.

In Deutschland stehen diese Entwicklungen noch ins Haus. Es ist bekannt, daß die Deutsche Telekom erst einmal deutlich Arbeitsplätze abbauen muß. Allein 50.000 bis 70.000 in den nächsten Jahren. Inwieweit dies durch neue Arbeitsplätze bei Wettbewerbern aufgewogen wird, ist noch offen. Bisher haben die großen Herausforderer der Telekom und die privaten Mobilfunkbetreiber etwa 10.000 Arbeitsplätze geschaffen. Allerdings stehen wir auch erst am Anfang der Neustrukturierung des deutschen Telekommunikationsmarktes. Eine auf Innovation ausgerichtete Deregulierung wird von größter Bedeutung sein.

Die Ausschöpfung von Rationalisierungspotentialen führt also in Gesellschaften mit in Deregulierung befindlichen Telekommunikationsmärkten erst einmal zu Arbeitsplatzabbau. Erst durch fördernde Rahmenbedingungen für die Entwicklung innovativer Produkte und Dienste können Arbeitsplätze in veränderten Aufgabenbereichen entstehen. Das Ergebnis ist gesteigerte Wertschöpfung, wie es in den USA in High-Tech-Märkten der Telekommunikation vorgelebt wird.

Um dies zu erreichen, wird unsere traditionelle Auffassung von Arbeitsplatz und Beruf sich wandeln müssen. Standen in der Vergangenheit Ausbildung als (einmalige) Berufsqualifikation und Lebensarbeitszeit bei einem Unternehmen im Vordergrund, so entwickelt sich heute ein neuer "social contract": nicht Arbeitsplatzgarantie, sondern Sicherung der "Einstellbarkeit" durch kontinuierliches Lernen und Aufbau von Wissen. Dies beinhaltet verstärkte Flexibilität in der Arbeitswelt, wie z.B. Job Rotation, Teilzeitarbeit, Job Sharing, Telearbeit etc. Bis zum Jahr 2000, so die Schätzung des Zentral-

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verbandes der Elektroindustrie, soll die Zahl der Telearbeitsplätze in der Bundesrepublik auf 800.000 steigen. Dies geschieht jedoch nicht von selbst.

Auf der Basis des "vernünftigen" Umgangs mit den Potentialen der Telekommunikation können die Wachstumskräfte einer auf Wissen basierenden Gesellschaft genutzt werden. Dies umfaßt den verantwortlichen Umgang mit den unser Leben entscheidend formenden neuen flexiblen Lern- und Arbeitsstrukturen.

Fazit: Auf die Gesellschaft kommen vor allem zwei Veränderungen zu, die sowohl Chance als auch Risiko bedeuten. Zum einen ist dies das Phänomen der Wissensexplosion bei gleichzeitiger Ausdehnung einer bereits heute existierenden Wissenskluft. Aufgabe der Politik wird es sein, die Chance für einen Zugang aller zu den Kommunikationsnetzen sicherzustellen und gleichzeitig die Nutzung der Kommunikationsmöglichkeiten vor allem durch sozial Schwächere pädagogisch zu unterstützen. Zum anderen wird die Ausschöpfung von Rationalisierungspotentialen vor allem bei den ehemaligen Monopolisten zu Arbeitsplatzabbau führen. Inwieweit dies durch die Schaffung neuer Arbeitsplätze bei neuen Wettbewerbern und verbundenen Bereichen aufgefangen werden kann, hängt von einer aktiven, die Innovation fördernden Regulierung und Politik ab.

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6. STANDORT DEUTSCHLAND

These: Über eine "Wissensoffensive" können die Standortbedingungen in der Bundesrepublik Deutschland verbessert werden.

Die Standortdiskussion ist mittlerweile mit fest verteilten Rollen in einigen klar umrissenen Variationen ritualisiert worden. Bekannte Positionen sollen hier nicht wiederholt werden. Hier geht es darum, ein bisher vernachlässigtes Element hervorzuheben, das zum Kernpunkt der Informationsgesellschaft werden wird: Wissen. Die in dieser Studie mehrfach angesprochenen lernenden Individuen und Unternehmen der Telekommunikationsindustrie führen zur lernenden Gesellschaft. Der Weg dahin könnte über eine Wissensoffensive in Deutschland führen.

Als Bill Clinton und Al Gore ihre Initiative der "Information Superhighways" ausriefen, wußten sie wohl noch nicht, daß sie damit den "Spatenstich" für die Informationsgesellschaft taten. Was nämlich anfangs vor allem als "Super-Subventionsprogramm" mißverstanden wurde, war tatsächlich ein symbolischer Akt im doppelten Sinne. Sicherlich, damit sollten Investitionen in die amerikanische Telekommunikationsstruktur angestoßen werden. Viel massiver aber waren die Wirkung der Vision und der Agenda-Setting-Effekt dieser Vision: Die Informationsgesellschaft stand plötzlich auf der Tagesordnung und wurde das zentrale Thema der öffentlichen Debatte im ausgehenden 20. Jahrhundert. Mit einem möglicherweise in seiner Auswirkung gar nicht einmal ganz übersehenen Akt der Thought Leadership hat die Clinton/Gore-Initiative dazu den entscheidenden Anstoß geliefert.

Eine "Wissensoffensive" in Deutschland müßte zwei Elemente enthalten:

Zum einen müßte es einen visionären Vordenker in Deutschland geben. Zum anderen sind die derzeitigen Prozesse der Wissensvermittlung und der Umsetzung von Wissen in Standortvorteile den neuen Herausforderungen nicht mehr gewachsen; es ist daher an der Zeit, Schritte zur Deregulierung und Wettbewerbsförderung auch im Bildungswesen zu unternehmen.

  • Vordenkerschaft: Durchaus, es gibt Aktivitäten - im Technologierat, in der Umgebung des Kanzlers (Information 2000), in der Multimedia-Taskforce, bei den Parteien und in den strategischen Planungsabteilungen der

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    Unternehmen. Allerdings reicht diese Politik des parzellierten Denkens in Gremien nicht mehr aus. Es bedarf einer durch Vordenkerschaft ausgelösten und von ihr vorangetriebenen konzentrierten Anstrengung aller. Die Grundlage aller Standortvorteile in der Informationswelt ist die lernende, offene Gesellschaft. Sie muß motiviert, kann aber nicht deterministisch geplant werden, und um sie zu entwickeln, muß etwas riskiert werden: von der Politik, daß sich Visionen nicht immer direkt in Stimmenzuwachs umwandeln lassen; von Unternehmen und Investoren, daß Investitionen in Zukunftsmärkte nicht kurzfristig in barer Münze zurückkommen; vom Individuum, daß es heute Sicherheit und Konsum aufgibt, um in eine Ungewisse Zukunft zu investieren. Alle müssen den Mut zum Neuanfang haben und darauf gefaßt sein, daß weitere "Neuanfänge" folgen werden.

  • Deregulierung und Wettbewerbsförderung im Bildungswesen: Kerngehäuse für Prozesse der Wissensvermittlung und -Umsetzung sind das Bildungssystem und seine Transmissionsriemen in die Wirtschaft. Vor allem im universitären Sektor ist beides in Deutschland in keinem guten Zustand. Merkwürdigerweise reagieren die Universitäten auf die neuen Herausforderungen und den in letzter Zeit enorm gewordenen finanziellen Druck nicht mit einer Sichtung, Neuordnung und Straffung der Curriculae beziehungsweise mit einer Flexibilisierung der Studienordnungen. Es muß möglich sein, Studien viel entscheidender als bisher möglich zu fokussieren und zu verkürzen.

    Höhere Qualität und Effizienzsteigerungen sind auch vor allem durch den Einsatz von Vernetzung und Multimedia möglich. Insbesondere Telelearning wird nicht nur die inhaltliche Vermittlung flexibilisieren und beschleunigen - Lerninhalte können rascher neuen Erkenntnissen und Entwicklungen angepaßt werden -, es wird auch zu Kosten- und Zeitersparnissen kommen. Auch hier wird aber das lernende Individuum mehr gefordert sein, zumal in der lernenden Gesellschaft der in die Arbeitswelt gestellte Mensch zunehmend zu lebenslangem Lernen herausgefordert ist. Das braucht persönliche Motivation - und schnellen, einfachen Zugang zum Wissen über Netze, die auch das Sourcing von Wissen erleichtern. Letzteres ist wiederum eine Aufgabe der Unternehmen, Produkte hierfür bereitzustellen.

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    Inwieweit auch in der Grundschule Prozesse der Wissensvermittlung verändert und durch den Einsatz von Telekommunikation intensiverer Wissenserwerb ermöglicht werden können, ist nicht so eindeutig zu beantworten. Lernen erfüllt hier andere Funktionen: Interaktion in der Gruppe, Kontakt zur Peer Group und Anleitung durch Pädagogen im täglichen, persönlichen Kontakt stehen im Vordergrund.

    Deregulierung und Wettbewerbsförderung im Bildungssystem heißt vor allem, daß Hochschulen mehr Selbstverwaltung und Freiraum erhalten und entbürokratisiert werden. Konkrete Maßnahmen der Deregulierung können zu allererst in einer Neugestaltung der Finanzierung von Bildung liegen. Nach anglo-amerikanischem Vorbild könnten sich Studiengebühren, Stipendien für die Begabtenförderung und für den Zugang von sozial Schwächeren zum Hochschulsystem ergänzen. Nach einer Übergangszeit wird sich ein klarer Markt herauskristallisieren, in dem Angebot und Nachfrage Qualität und Preis der angebotenen Ausbildung steuern werden.

    Die "Akteure" in Politik, Wirtschaft und Wissenschart sind Führungskräfte. In ihrem Führungsverhalten liegt der erste Schritt zur Veränderung. Dabei muß nicht jeder zum Visionär werden. Es gehört nun mal zum Wandel in Richtung Informationsgesellschaft, daß sich auch das Informationsverhalten ändert. Wie im Unternehmen selbst werden auch beim Standort harte Faktoren wie Arbeit und Kapital zunehmend durch weiche Faktoren wie prozeßorientierte Denk- und Handlungsweisen ergänzt.

    Fazit: Im Grunde geht es bei den Standortvorteilen einer Informationsgesellschaft um etwas äußerst mobiles, flexibles und ganz und gar immaterielles: den Wissensbestand einer Gesellschaft und ihre Fähigkeit, diesen Bestand in Lernprozessen zu erneuern und zu erweitern. Um dies in Deutschland zu erreichen, bedarf es einer "Wissensoffensive", die alle Mitglieder dieser Gesellschaft in ihren jeweiligen Rollen herausfordert, zum einen, Risiko zu wagen und zum anderen, die Art und Weise der Wissensaneignung und -umsetzung in Deutschland neu zu strukturieren. Dabei sind zwei Dinge entscheidend: Es bedarf einer visionären "Initialzün-

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    dung", und konkreter Schritte in Richtung Deregulierung und Wettbewerbsförderung im Bildungssystem. "Wissensoffensive" bedeutet im Endeffekt, daß im Bildungssystem erreicht werden muß, was man auch schon von der Telekommunikationsindustrie für die Zukunftssicherung erwartet: Innovation und Produktivitätssteigerung. Ohne diese Wissensoffensive werden keine Standortvorteile in der globalen Informationswelt für Deutschland erreichbar sein. Mit einer Wissensoffensive dagegen entsteht die lernende Gesellschaft, und nur sie wird international konkurrenzfähig sein und damit ihren Mitgliedern langfristig Arbeitsplätze bieten.


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