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IV. Ein Zwischenfazit




1. Hohe Anforderungen an die Mitarbeiter

Mitarbeiter von Ministerien, die politiknah arbeiten, sind eingebunden in den Prozeß der Vorbereitung, der Analyse, der Entwicklung von Lösungen und Lösungsalternativen. Sie sind sehr stark schwankenden Anforderungen unterworfen. Sie brauchen ein hohes Maß an Autonomie und Fähigkeit zur selbständigen Analyse und Lösung der ihnen anvertrauten Aufgaben und die Fähigkeit, auf politische Fragen und Probleme innovativ zu reagieren. Gleichzeitig wird von ihnen hohe Loyalität zur jeweiligen politischen Spitze bei gleichzeitiger kritischer Distanz erwartet, weil sie ihre Beratungsrolle nur dann wirklich wahrnehmen können, wenn sie nicht einfach parteipolitische Gefälligkeitspositionen beziehen, sondern Konsequenzen von Maßnahmen kritisch und unabhängig darstellen.

Die ständige Notwendigkeit, komplizierte Sachverhalte aufzunehmen, Kompromisse zu formulieren und aufklärend nach außen zu wirken, erfordert neben analytischer Kraft eine hohe Artikulations- und Kommunikationsfähigkeit bis hin zur rhetorischen Begabung, denn der einzelne muß in der Lage sein, in Ausschüssen vor größeren Gruppen frei und anschaulich schwierige, oft komplexe Sachverhalte darzustellen und zu vertreten. Selbständigkeit, Formulierungsfähigkeit bis hin zu diplomatischem Geschick sind gefragt.

Die hohen Anforderungen, vor allem an flexible und sensible Reaktionen, geraten in einen gewissen Widerspruch zu der Stabilität und sogar Starrheit der Verwaltungsorganisationen. Zahlreiche Mitglieder sind hier oft über Jahrzehnte mit denselben Funktionen beauftragt. Man beobachtet Burning Out-Effekte, d. h. Abstumpfung gegenüber kritischen Entwicklungen, Routineverhalten gegenüber den wechselnden Anforderungen der Politik, Sich-Verschließen gegenüber Mißständen. Genauso wie Lehrer und Universitätsprofessoren typischen Verschleißprozessen unterworfen sind, gibt es den typischen Verschleißprozeß eines Ministerialbeamten, der über Jahrzehnte politiknah gearbeitet hat, der Minister hat kommen und gehen sehen, der politische Krisen wie Aprilregenschauer erlebte, den nach einiger Zeit nichts mehr erschüttern kann. So sehr Routine und die Fähigkeit, auf hektische Entscheidungsprozesse gelassen zu reagieren, gefragt sind, so sehr können Abstumpfung und Lähmung zum Schaden für ein Ministerium werden. Die verschiedenartigen Anforderungen sind in der Wirklichkeit nicht gleich zu erfüllen.

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2. Die Qualitätsprobleme gewinnen an Gewicht

Modernisierung der Verwaltung bedeutet, daß die in der Diskussion befindlichen Maßnahmen zur Erhöhung der Effizienz realisiert werden müssen. Allerdings müssen – stärker als dies in der gegenwärtigen Debatte der Fall ist – die Qualitätsprobleme beachtet werden. Dabei erhöht die steigende Komplexität der wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und politischen Wirklichkeit die Bedeutung der Ministerialbürokratie. Die Zersplitterung der öffentlichen Diskussion, die Vielfalt der Interessenbindungen, die Überforderung der Medien und der Bürger durch die Komplexität der politischen Diskussion und der Interessenlagen sowie der langfristigen Wirkungszusammenhänge machen eine unabhängige, starke Bürokratie, die aufklärend wirkt, wichtiger als je zuvor. Die autonome Aufklärungsrolle einer nicht bestimmten Interessen verhafteten Bürokratie kann die Aufgaben der Medien erleichtern, den politischen Parteien

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Informationsgrundlagen für ihre Meinungsbildungen liefern und gleichzeitig den jeweils verantwortlichen Politikern eine hohe Sach- und Faktenorientierung bei politischen Entscheidungen ermöglichen.

Es ist fraglich, ob die Ministerialbürokratie die Anforderungen einer Aufklärungsrolle tatsächlich wahrnimmt, ob die Qualität ihrer Entscheidungsvorbereitung den Anforderungen entspricht, ob die kommunikative Rolle in der fachlichen und politischen Diskussion ausgefüllt wird oder ob Bürokratie verschlafen hinter den Ereignissen herhinkt. Es ist nicht Aufgabe der Verwaltung, plastische Krisenschilderungen, die mobilisieren, anregen und wachrütteln, in eigener Verantwortung zu erstellen. Sie ist zu einer gewissen Nüchternheit und Kühle in der Darstellung verpflichtet. Allein die Neutralität erzwingt ein solches Verhalten. Eine Arbeitsteilung zwischen Medien, Verwaltung und Opposition ist in jedem Fall sinnvoll und notwendig. Dennoch bleibt zu fragen, ob die Ministerialverwaltung ihre Doppelrolle – aufklärenden Input für die öffentliche Diskussion zu liefern und präzise, kritische Politikvorbereitung zu betreiben – unter den geltenden Bedingungen tatsächlich wahrnehmen kann.

Die Veränderungen der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Wirklichkeit, die Veränderungen im Staatsaufbau und in der Steuerung wirtschaftlicher und politischer Prozesse in einem „Vier-Ebenen-Staat" von Europäischer Union, Bund, Ländern und Gemeinden haben zu einer ständig wachsenden Aufgabe politiknah agierender Ministerialverwaltungen geführt. Ihre autonome Rolle hat angesichts der Komplexitätssteigerung eher zugenommen. Gleichzeitig steigen die Anforderungen an ihre Fähigkeiten, Veränderungen kritisch zu analysieren und Wirkungen staatlicher Maßnahmen realistisch einzuschätzen. Insbesondere steigen die Anforderungen bei der Aufbereitung von Informationen für die öffentliche politische Diskussion und bei der Vorbereitung von politischen Entscheidungsprozessen, wobei die Kapazitätsbegrenzungen der Zeitbudgets von Spitzenpolitikern in ihren Konsequenzen nicht unterschätzt werden dürfen.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | März 2000

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