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Für eine Erneuerung des „europäischen Modells"

In systemischer Sicht muß eine effiziente Bekämpfung der Arbeitslosigkeit auf die Rahmenbedingungen der jeweiligen Gesellschaft „zugeschnitten" sein. Eine Gesamtstrategie in der EU sollte deshalb in einer Erneuerung des „europäischen Modells" bestehen, das unter dem Begriff „soziale Marktwirtschaft" in der ersten Hälfte der Nachkriegszeit Prosperität bei Vollbeschäftigung und ein hohes Maß an sozialer Integration und Kohärenz ermöglichte; eine solche Gesamtstrategie müßte sich an folgenden Leitlinien orientieren:

Konkurrenz auf Märkten - Kooperation in der Politik: Nicht der Marktmechanismus allein entscheidet über die ökonomische und soziale Entwicklung, sondern ein „Mix" zwischen den Steuerungssystemen „Konkurrenz auf Märkten" und „Kooperation in der Politik".

Kooperative Arbeitsbeziehungen: Sowohl innerhalb der Betriebe als auch auf den verschiedenen Ebenen der Politik verfolgen Unternehmer und Arbeitnehmer ihr Interesse nicht primär gegeneinander, sondern kooperativ.

Priorität für das Realkapital: Die Interessen des Finanzkapitals werden der Expansion des Realkapitals untergeordnet: das unternehmerische Gewinnstreben wird auf Investition, Innovation, Produktion und Handel auf Gütermärkten gelenkt und damit indirekt auf die Schaffung von Arbeitsplätzen.

Die wichtigste Elemente einer Gesamtstrategie zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit könnten sein:

Stabile Wechselkurse: Als „Prophylaxe" gegen „Ölpreisschocks" und internationale Schuldenkrisen (sie werden regelmäßig durch Kursschwankungen des Dollar ausgelöst) sollte die Realisierung der Europäischen Währungsunion zum Anlaß genommen werden, die Wechselkurse zwischen Dollar, EURO und Yen zu stabilisieren.

Niedrige Zinsen: Die EURO-Leitzinsen sollten auf einem solchen Niveau stabil gehalten werden, das sicherstellt, daß die für den Unternehmenssektor relevanten Kreditzinsen die Wachstumsrate in der EU nicht übersteigen und im Idealfall sogar leicht unterschreiten. Die Zinspolitik sollte sich daher an der Förderung der unternehmerischen Realinvestitionen orientieren und nicht zum Zweck der Inflationsbekämpfung eingesetzt werden; denn Zinssteigerungen erhöhen die Produktionskosten und dämpfen die Inflation nur über eine (vermeidbare) Rezession.

Aufwertung des Dollars: Ein deutlich niedrigeres Zinsniveau in Europa würde auch zu einer mäßigen Aufwertung des (weiterhin unterbewerteten) Dollar gegenüber dem EURO beitragen (werden die Wechselkurse auf einem der Kaufkraftparität entsprechenden Niveau stabilisiert, müßte zuvor der Dollar gegenüber dem EURO aufwerten).

Europäische Infrastrukturprojekte: Zur Verbesserung der europäischen Infrastruktur sollten die im „EU-Weißbuch" vorgeschlagenen Konzepte schrittweise realisiert werden; dies gilt insbesondere für die transeuropäischen Verkehrsnetze (auch im Hinblick auf die EU-Osterweiterung).

Umweltoffensive: Zusätzlich sollte eine EU-weite „Umweltoffensive" initiiert werden, insbesondere zum Zweck einer systematischen Reduktion der Schadstoffemissionen von Unternehmen und Haushalten (Abgasreinigung, Einsatz von Kraft-Wärme-Kopplung, thermische Gebäudesanierung etc.). Da Umweltqualität und Infrastruktur „öffentliche Güter" darstellen, ist ihre Finanzierung durch Steuern begründet. Zusätzliche Einnahmen könnten im Zuge einer Harmonisierung und Ökologisierung des Steuersystems in der EU aufgebracht werden.

Flexible Arbeitszeiten: Die Lebensarbeitszeit sollte durch flexible Arbeitszeitmodelle gesenkt werden. Die Bereitschaft der Unternehmen, eine solche Strategie mitzutragen, würde am ehesten dann erreicht werden, wenn diese Modelle gleichzeitig eine bessere Auslastung des Realkapitals ermöglichen, also Betriebs- und Arbeitszeit entkoppeln.

Der europäische Weg zur Überwindung der Arbeitslosigkeit wird um so erfolgreicher sein, je mehr Menschen sich mit ihm identifizieren und dafür mobilisiert werden können: er sollte sich auch deshalb an jenem Gesellschaftsmodell orientieren, das den Erwartungen, Wertvorstellungen und Lebensgewohnheiten der Europäer entspricht und daher nach einem Ausgleich strebt zwischen den Prinzipien Konkurrenz und Kooperation.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Mai 1999

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