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Wirtschaftliche Widersprüche

Die extreme Beherrschung der politischen Szenerie durch Moi und seine Helfer, die einseitige Zuteilung ökonomischer Ressourcen an die ethnische Provinz der Mächtigen, die Intransparenz der Entscheidungen und der mangelnde öffentliche Dialog auf allen Ebenen sowie der hohe Grad der Korruption beeifnlussen auch die Wirtschaft. Wo der Staat quasi zum Eigentum der Regierung wird, da ist der Griff nach den Strukturen der Wirtschaft auch nicht weit. In der Tat sind dann auch alle entscheidenden Stellen in der Wirtschaft, zu denen der Staat Zugang hat, mit politisch auf die Regierung orientierten oder dem Präsidenten persönlich verbundenen Führungskräften besetzt.

Seit der Unabhängigkeit gibt es in Kenia eine sehr enge Symbiose zwischen dem Präsidenten und seiner Mannschaft und den indischstämmigen Unternehmern. Große Teile der Wirtschaft Kenias sind in den Händen indischer Kenianer, was immer wieder zu Neid und Auseinandersetzungen führt. Dabei fällt auf, daß von dieser Gruppe indischstämmiger Unternehmer kaum jemals eine Äußerung zur Politik und Wirtschaft des Landes gemacht wird; es scheint eine stillschweigende Übereinstimmung in der Gestaltung des Systems zu bestehen, von der beide Seiten profitieren. So hört man dann auch immer wieder Berichte, wie der Austausch von Lizenzen und Aufträgen auf der einen und von finanziellen Gegenleistungen auf der anderen Seite vonstatten geht. Da werden im wahrsten Sinne des Wortes ganze Koffer voller Geld im State House abgeliefert.

Seit Beginn des Strukturanpassungsprogramms, bei dem der Staatssektor verkleinert und Teile der öffentlichen Wirtschaftsunternehmen privatisiert werden, schrumpft der Bereich der Wirtschaft, der für die Korruption zugänglich ist. Dies lässt dort, wo sie weiterhin möglich ist, die Intensität der Korruption stetig ansteigen und die staatlichen Dienstleistungen immer "teurer" werden. Mittelständische Unternehmen klagen immer häufiger darüber, daß jedwede Lizenz - und es gibt deren viele in Kenia - heute nur noch gegen hohe Zusatzzahlung zu haben ist und daß dieser Faktor die Zukunft ihrer Betriebe zunehmend in Frage stellt. So führt die steigende Korruption dazu, daß sich mittlerweile ein bestimmter Sektor der Wirtschaft in seiner Existenz bedroht fühlt und er sich nun doch öffentlich zu Wort meldet, noch nicht besonders laut, aber doch vernehmbar.

Auch der Internationale Währungsfonds und die Weltbank betonen mit ihrer neuen Politik den deutlichen Zusammenhang zwischen wirtschaftlicher Entwicklung und good governance: Kenia ist im Sommer der erste Fall gewesen, bei dem zwei von diesen Institutionen zugesagte Kredittranchen wegen mangelhafter Korruptionsbekämpfung nicht ausgezahlt wurden. Die Folge war ein rascher Verfall des kenianischen Shillings und damit eine Verteuerung der Importe, eine Erhöhung der Mehrwertsteuer, um Haushaltsdefizite auszugleichen, und eine wieder zunehmende Inflation.

Die Beurteilung der Wirtschaft Kenias ist ein zwiespältiges Unterfangen. Einerseits sind die offiziellen makroökonomischen Daten durchaus sehenswert - Kenia hat deshalb international in den letzten Jahren gute Noten bekommen -, andererseits verweisen strukturelle Defizite und Widersprüche darauf, daß es sich nicht um eine stetige und gesunde Entwicklung handelt, sondern um eine Entwicklung in Disparität, bei dem ein kleiner Teil der Gesellschaft große Vorteile zieht, während andere immer stärker ins Elend rutschen. Auch dieses Ungleichgewicht ist ein Grund für die zunehmende Besorgnis über die Stabilität des Landes.

Nach den wirtschaftlich sehr schwierigen Jahren 1990-93 zeugen die offiziellen Daten und einige der wichtigen Indikatoren seit 1994 - so sie denn zuverlässig sind - von einer formal gesehen recht stabilen Situation, und auch die Prognosen für die kommenden Jahre, wenn man sich auf diese formalen Indikatoren beschränkt, gelten als durchweg positiv: Das Wirtschaftswachstum betrug 1996 immerhin noch 4,6% (nach Angaben des IWF 4,2%), nach 4,9% im vorangegangenen Jahr, bei einer Vorhersage für 1997 von 5,3%, die inzwischen mehr als fraglich geworden ist. Bei einem Bevölkerungswachstum von knapp über 3% hätte das einen durchaus bemerkenswerten Zugewinn ergeben, wobei die Frage der Verteilung außer Acht bleibt. Auch die projizierten Daten für den laufenden Staatshaushalt sind in Bezug auf Höhe und Defizit inzwischen obsolet: Die von Weltbank und IWF verweigerte Auszahlung der nächsten Tranche zum Strukturanpassungsprogramm, die darauf folgende Abwertung des Kenianischen Shillings, die deshalb notwendige Erhöhung der Mehrwertsteuer und die durch den Lehrerstreik erzwungenen erheblich höheren Ausgaben für Lehrergehälter haben die bisherigen Zahlen zur Makulatur gemacht und die Situation gravierend verschlechtert. Die Inflation, die Ende 1996 bei rund 9% lag, zog Mitte 1997 wieder auf 12% an, teilweise bedingt durch ausbleibende Regenfälle und eine große Dürre, die die Ernteergebnisse reduziert und die Marktpreise erhöht haben. Die Abwertung des Shilling zur Jahresmitte wird die Inflation bis Ende 1997 noch weiter anheizen. Die Zinsen sind mit durchschnittlich über 23% recht hoch, und es ist zu vermuten, daß sich dahinter weniger die nationale Inflationsrate verbirgt als eine schlechte, durch Korruption bedingte Rückzahlungsmoral. (Weitere Zahlen siehe Anhang.)

Die Gründe für die formal recht positive Situation der kenianischen Wirtschaft liegen in einer erstaunlich strikten Befolgung des Strukturanpassungsprogramms: Rund 64 parastatals wurden privatisiert, über 50.000 civil servants wurden in Pension geschickt oder entlassen, die Kaffee- und Teebehörden werden liberalisiert, und Ende 1996 hat ein Gesetz das Parlament passiert, das eine größere Unabhängigkeit der Zentralbank festschreibt, auch wenn der Präsident es noch nicht unterschrieben und damit in Kraft gesetzt hat.

Zu den negativen Seiten der wirtschaftlichen Situation Kenias gehört der zunehmende Verfall der nationalen Infrastruktur: Straßen, Telefonleitungen und die Versorgung mit Elektrizität werden immer problematischer. Die Ursachen liegen in der Konzeptionslosigkeit der Regierung, im Kompetenzgerangel zwischen Ministerien und in der immer stärker um sich greifenden Korruption, so daß kaum eine staatliche Dienstleistung mehr zu bekommen ist, ohne vorher die Beamten zu bestechen. Daß auf höherer Ebene die nötigen Summen entsprechend ansteigen, muß dabei nicht betont werden. Die Politik liefert kaum neue Konzepte zur Lösung der nationalen Probleme, eher werden immer mehr staatliche Leistungen zurückgenommen, die Bürger müssen selbst dafür aufkommen, wollen sie nicht auf sie verzichten. Dies gilt sogar für die rückläufigen Bildungsausgaben (im Oktober 1997 haben die Lehrer einen zweiwöchigen Streik zugunsten von signifikanten Gehaltserhöhungen durchgeführt), und es gilt heute bereits als selbstverständlich, wenn Angestellte am Jahresanfang um Vorschüsse bitten, um die steigenden Schulgebühren zu zahlen, oder wenn zu den Gehältern zunehmend education allowances gewährt werden.

Trotz der schönen ofiziellen Daten verfällt die Wirtschaft Kenias; die Zuwächse werden in den Händen weniger privatisiert, die allgemeine Armut hingegen wächst. Das Wall Street Journal hat zusammen mit der Heritage Foundation Ende 1996 einen Index für 150 Länder der Erde entwickelt, der den Grad der wirtschaftlichen Freiheit messen soll. Kenia rangiert an 75. Stelle als mostly unfree und enthält die Charakterisierung: Kenya´s economy was once one of Africa´s freest and (most) prosperous, but it has deteriorated badly because of government corruption and mismanagement.

Ob sich das ohne einen Wandel der Politik ändern wird, ist zweifelhaft. Im kürzlich vorgelegten Entwicklungsplan 1997 bis 2001 hat sich die Regierung große Ziele gesetzt: Vorgesehen ist ein jährliches Wachstum des Bruttoinlandsproduktes von 5,9% (bei einem Bevölkerungswachstum von etwas über 3%). Bis zum Jahre 2020 soll Kenia dann den Status eines newly industrialized country erreichen. Einstweilen steigen jedoch erst einmal Armut und auch die Kriminalität, die von der Polizei kaum mehr beherrscht werden kann, trotz extensiven Gewalt- und Schußwaffeneinsatzes.

So wie die Politik benötigt auch die Wirtschaft Kenias einen neuen Ansatz. Die Ansammlung und Verschwendung von Ressourcen in den Händen weniger ist ähnlich wie die Konzentration politischer Macht bei einer einzigen Gruppe. Die "Stabilität", die Moi für einen Teil der Wirtschaft noch immer symbolisiert, ist trügerisch, denn sie führt zu Spannungen, die sich irgendwann einmal gewaltsame Entladung suchen, wenn sie nicht durch umfassende Reformen abgebaut werden. Dabei ist das Strukturanpassungsprogramm ebensowenig grundsätzlich in Zweifel zu ziehen wie ein marktorientierter Ansatz, aber Kenias Wirtschaft ist zu arm, als daß sie sich die Verschwendung leisten kann, die mit der alltäglichen Korruption und der Reichtums- und Einkommenskonzentration den Händen weniger verbunden ist. Das Land braucht Investitionen in Bildung und Infrastruktur, es benötigt konsensgetragene politische Stabilität, um für inländische und ausländische Investoren attraktiv zu sein. Als stärkste Nation Ostafrikas mit komparativen Vorteilen gegenüber seinen Konkurrenten bieten sich für Kenia große Chancen auf den Märkten der Region. Die dafür notwendige innere Stabilität muß aber sowohl politisch als auch wirtschaftlich fundiert sein.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Mai 1999

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