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Erste Reformschritte

Verfassung und politisches System Kenias folgen keiner klaren Konzeption. Sie kennen Elemente des englischen parlamentarischen, aber auch des US-amerikanischen Präsidialsystems. Diese Komplexität ist gewollt, denn sie führt dazu, daß checks and balances fehlen und sich eine ungeheure Machtfülle im Amt des Präsidenten konzentriert. Damit tragen Verfassung und politisches System deutlich Züge einer Scheindemokratie. Unterzieht man die Verfassungsentwicklung Kenias einer historischen Analyse, zeigt sich, wie sehr die Kontrollfunktionen von Parlament, Kabinett, Wahlkommission, Justiz, Medien und Gesellschaft nach und nach zugunsten einer immer stärkeren Machtansammlung beim Präsidenten abgebaut worden sind.

Kenias Staatspräsident genießt eine quasi unkontrollierte Machtfülle; er ist niemandem verantwortlich, kann weder vom Kabinett noch vom Parlament zur Rechenschaft gezogen werden, er beherrscht de facto die Justiz, setzt die Wahlkommission ein, ist Oberbefehlshaber von Armee und Polizei, ernennt die Provicial und die District Commissioners, die seine Politik landesweit durchsetzen, kontrolliert die Sicherheitsdienste und bestimmt nach Gutdünken, was in der Politik geschieht und was nicht. In den Jahren der Einparteienherrschaft hat er seine Partei zu einem fast staatlichen Instrument gemacht (KANU führt die kenianischen Staatsfarben in der eigenen Flagge), die elektronischen Medien sind staatlich kontrolliert (als im Juli ein Fernsehsender zu freizügig von den Demonstrationen der Opposition berichtete, wurde der verantwortliche Leiter prompt abgelöst), und durch die allgegenwärtige Korruption profitiert er direkt und indirekt von allen wirtschaftlichen Aktivitäten im Land.

Daß jedwede Opposition unter solchen Bedingungen Schwierigkeiten hat, einen genügenden Freiraum für die eigene Entfaltung zu finden, ist augenfällig. Moi gelingt es mit dieser Machtfülle und unter Ausnutzung der ethnischen Fraktionierung Kenias immer wieder, der beherrschende Faktor der Politik des Landes zu sein. Das englische Mehrheitswahlrecht, das ihm die Präsidentschaft mit knapp 37% bescherte, ist ein weiterer Vorteil für ihn. Daher sehen alle, die wirkliche Veränderungen in Kenia wünschen und für sie eintreten, nur in einer Änderung der Spielregeln und damit der Verfassung die Möglichkeit, die autoritäre Herrschaft abzuschütteln und demokratische Zustände herbeizuführen.

Der Versuch der kenianischen Zivilgesellschaft ab 1993/94, sich für eine Verfassungsänderung einzusetzen, wurde recht bald von der Erkenntnis gebremst, daß nicht nur die Regierung nicht daran interessiert war, sondern ebensowenig die politischen Parteien, die die Machtfülle Mois gern mit dem Staatspräsidentenamt erben würden. Außerdem waren zwar die städtischen Mittelschichten rasch überzeugt, daß nur eine Verfassungsänderung die nötigen Reformen bringen würde, doch die Landbevölkerung und die städtischen Armen konnten mit diesem Thema wenig anfangen. So startete 4Cs eine breite Kampagne der civic education, um auch den einfachen Mann auf der Straße zu erreichen. Das langfristig angelegte Programm ist inzwischen Teil eines dauerhaften politischen Bildungsprozesses: Hohe Vertreter von Regierung und KANU blicken zunehmend besorgt auf diese "Politisierung", die sie als Aufhetzung brandmarken. Sie beschuldigten kenianische Nichtregierungsorganisationen der Komplizenschaft mit ausländischen Geldgebern und drohten immer wieder, die Lizenzen dieser Organisationen zu streichen. Was da sichtbar wurde, war Ausdruck von Schwäche.

Es waren aber erst der nahende Wahlkampf 1997 und die Konzeptlosigkeit der Opposition, die das Thema Verfassungsänderung wieder auf die politische Agenda setzten. Angesichts der Zeitknappheit bis zu den Wahlen einigte sich die NCA auf minimal reforms, deren Erfüllung als Voraussetzung für eine level playing field, für eine Chancengleichheit im Wahlkampf betrachtet wurde.

Als es nach dem oben erwähnten Hin und Her dann zu Gesprächen zwischen KANU und reformwilligen Oppositionsparlamentariern kam, zeigte sich, daß innerhalb der Regierungspartei und der Regierung selbst eine recht große Gruppe von Abgeordneten ebenfalls für Änderungen eintrat. Dieser Umschwung wurde sicherlich auch bewirkt vom nationalen und internationalen Druck, von der schlechten Presse drinnen und draußen, von den ausbleibenden Touristen und von den Forderungen der Weltbank und des IWF und führte zur Inter-Parties Parliamentary Group, IPPG, die sich zu aller Erstaunen innerhalb von zwei Wochen auf ein Reformprogramm verständigen konnte.

Grundlage der Beratungen waren die Forderungen der NCA. Auf folgende Veränderungen konnte sich IPPG am Ende einigen:

  • Koalitionsregierungen werden möglich, weil der Präsident seine Minister nicht mehr ausschließlich aus seiner Parlamentsfraktion ernennen muß.
  • Der Präsident ernennt zehn weitere Mitglieder der Electoral Commission aus einer von der Opposition vorgelegten Liste. Die Vollmachten der Wahlkommission werden in bestimmten technischen und organisatorischen Bereichen erweitert.
  • Die zwölf nominierten Abgeordneten des Parlaments werden nach Parteienproporz (also auch aus der Opposition) vom Präsidenten ernannt, darunter mindestens sechs Frauen.
  • In die Verfassung wird aufgenommen, daß niemand wegen seines Geschlechts diskriminiert werden darf.
  • Politische Versammlungen brauchen keine Genehmigung des (vom Präsidenten ernannten) District Officers mehr, es reicht die Anmeldung bei der örtlichen Polizei.
  • Neue politische Parteien müssen innerhalb einer festgesetzten Zeit registriert, oder die Ablehnung muß in diesem Zeitraum begründet werden.
  • Alle Parteien und Kandidaten erhalten Zugang zu den öffentlichen (staatlichen) Medien.
  • Alle Anträge auf Lizenzen für private Radio- und TV-Sender werden innerhalb von 30 Tagen genehmigt.
  • Der Gesetzentwurf der Regierung zur Einrichtung einer Verfassungskommission des Parlaments, die nach den Wahlen eine gründliche Verfassungsreform vorbereiten soll, ist in entscheidenden Passagen im Sinne der Opposition abgewandelt worden.
  • Bürgermeister sollen in Zukunft direkt gewählt werden.
  • Der Chief´s Act, das Gesetz, das die Regierungsgewalt bis auf die unterste lokale Ebene festschreibt, wird außer Kraft gesetzt.
  • Festnahmen ohne Gerichtsverfahren werden abgeschafft.
  • Eine Reihe von Verwaltungsvorschriften und Regelungen des Strafrechtes werden ebenfalls angepaßt bzw. abgeschafft.

Nicht aufgenommen wurde die Forderung der Opposition nach einer 50%+1 Regelung bei der Präsidentschaftswahl. Sie hätte Moi den Wahlsieg gekostet und hatte daher keine Chance auf Durchsetzung. Diese Frage wurde ebenso wie die nach unabhängigen Kandidaten bei den Parlamentswahlen der generellen Verfassungsrevision überlassen.

Sollten diese Veränderungen Gesetzeskraft erlangen und sie dann auch befolgt werden, wäre das in der Tat ein qualitativer Sprung in den politischen Spielregeln Kenias. Moi hat die Führung von IPPG empfangen und damit dem ganzen Vorgang seinen Segen gegeben. Bei der Umsetzung der Neuerungen, besonders auf dem flachen Land, wird es sicherlich Schwierigkeiten geben, aber die dann klare neue Rechtslage könnte von der Opposition eingeklagt werden. Kritik wurde vor allem an der Regelung der Wahlkommission laut, denn sie untersteht immer noch dem Präsidenten, und der von der Opposition nicht akzeptierte Vorsitzende ist immer noch in dieser Funktion. Dennoch sollten zehn neue Mitglieder, die der Opposition nahestehen, sollten einen Unterschied machen, wenn denn nicht-korrupte Personen vorgeschlagen werden, die sich nicht vom System einkaufen ließen.

Es war das erste Mal in der Geschichte des unabhängigen Kenia, daß zwischen Regierung und Opposition ein komplexes Reformpaket ausgehandelt und ein politischer Kompromiß erzielt wurde, vielleicht ein Schritt in Richtung auf eine neue politische Kultur des Dialogs und des Kompromisses, beides politische Instrumente, die in Kenia keine Tradition haben. Es wird jetzt darauf ankommen, wie die verabredeten Reformen implementiert werden. Probleme sind bereits aufgetreten: Die Registrierung der Safina-Partei wurde mit recht unsinnigen Argumenten (Anstiftung zur Unruhe und nicht genehmer Name) verweigert, während andere Parteien ihre Registrierung inzwischen erhalten haben. Sodann wurden Oppositionsparlamentarier bei dem Versuch, auf einer Demonstration zu sprechen, für mehrere Stunden von der örtlichen Polizei festgehalten. Immerhin hat sich dafür der Vizepräsident im Namen der Regierung entschuldigt - ebenfalls ein Novum, das hoffen läßt. Wenige Tage später wurde allerdings eine Gegenkundgebung der Opposition zum Moi Day verhindert und drei Abgeordnete erneut für Stunden festgenommen, andere konnten sich durch Flucht entziehen. Es ist also noch nicht ganz klar, ob die Regierung die neue Freiheit ernst meint. Da der gesamte Staatsapparat noch auf das autoritäre System eingestellt ist, wird es sicherlich einige Zeit dauern, bis sich die neuen Richtlinien herumgesprochen haben und sich durchsetzen können.

Das Drama hat sich zur Zeit in die Opposition hineinverlagert: Die Hardliner vom NCEC wollen nicht akzeptieren, daß die IPPG-Mitglieder sich mit der Regierung geeinigt haben, sie werfen ihnen vor, Moi den Wahlsieg geschenkt zu haben, vor allem weil sie die 50%+1 Regelung für die Präsidentenwahl nicht haben durchsetzen können und die erweiterte Wahlkommission noch immer dem Präsidenten untersteht. Hinter diesen Vorwürfen steht aber auch die gekränkte Eitelkeit, daß nicht sie es waren, die die Reformen durchgesetzt haben. Im Gegenzug gehen die Mitglieder von IPPG das Risiko ein, bei einem Scheitern der Reform als Anpasser und Kompromißler darzustehen. Hinter den Vorwürfen der NCEC-Hardliner steht aber auch die mangelnde Erfahrung, daß politische Kompromisse immer ein Geben und Nehmen sind, eine Form des politischen Handelns, die in Kenia noch unbekannt ist.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Mai 1999

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