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8. Perspektive

Die anvisierten Reformen der japanischen Regierung werden mehr sein als bloße Kosmetik. In mehrerlei Hinsicht werden sich die Strukturen der japanischen Wirtschaft und Gesellschaft denen der westlichen Industrieländer annähern. Der Anteil der indirekten Steuern an der Finanzierung des Staatshaushalt wird steigen, die Regulierungen des Finanzsystems bzw. der Wirtschaft insgesamt werden abgebaut, das Fiscal Investment and Loan Programm wird eingeschränkt oder ganz abgeschafft, und bestimmte Rigiditäten im Ausbildungs- und Beschäftigungssystem werden gelockert. Das bedeutet aber nicht, daß Japan auf dem Weg zu einer „freien" Marktwirtschaft amerikanischer Prägung wäre. Gegen diese Prognose spricht nicht nur, daß sie schon seit langem immer wieder vorgetragen wurde; gegen sie spricht, daß die Reformer, zu denen auch hohe Beamten gehören, keine freie Marktwirtschaft anstreben, sondern - wenn man die chinesische Parallele bemühen darf - den „Kapitalismus japanischer Prägung" von Ballast befreien und erneuern wollen. Dieser „Kapitalismus japanischer Prägung" unterscheidet sich vom amerikanischen oder europäischen Modellen in mehrerlei Hinsicht, aber zwei Faktoren sind herauszuheben:

Erstens die Rolle der Bürokratie, die einen weitaus höheren Einfluß auf Wirtschaft und Gesellschaft ausübt als in anderen entwickelten Industriegesellschaften. Wie die Bürokratie ihren Einfluß geltend macht, welche konkreten Strategien sie verfolgt, kann zur Disposition gestellt werden, nicht aber, daß sie den wirtschaftlichen Prozeß kontrolliert. Die Deregulierung und selbst die Abschaffung des FILP - einst ein wichtiges Instrument in den Händen der Bürokratie - werden hieran im Kern nichts ändern. So wenig wie die japanische Bürokratie den Wust an regulierenden Vorschriften braucht, so wenig ist sie auf bestimmte Instrumente wie das FILP angewiesen. Verwaltungsreform und Deregulierung werden die Formen verändern, in denen die Bürokratie ihre Kontrolle ausübt, aber sie werden nicht die bürokratische Kontrolle selber in Frage stellen. Dies zeigt ein international vergleichender Blick auf vergangene Reformen: Die Privatisierung der staatlichen Eisenbahnen und von NTT, die nahezu zeitgleich zur Privatisierung derselben Sektoren in Großbritannien stattfand. In Großbritannien war das Ergebnis der Reform, daß Regierung den Wettbewerb in den anvisierten Bereichen freigab, sich selbst aus ihnen zurückzog und nicht mehr versuchte, die Wettbewerbsresultate zu beeinflussen. Auch in Japan förderte die Bürokratie den Wettbewerb, aber selektiv, indem sie Marktzugang und Marktaustritt „managte" und ihren Einfluß auf das Wettbewerbsergebnis beibehielt. Der bürokratische Einfluß wurde durch die Reformen eher gestärkt als geschwächt (dasselbe gilt für verschiedene Verwaltungsreformen, die das Personal und die Mittel der Bürokratie quantitativ einschränkten). Auch der „Big Bang" und die Separierung von Ministerien und „agencies" werden eher die Bürokratie von überflüssigem Ballast befreien als Japan von der Bürokratie.

Zweitens der Vorrang der Beschäftigungsstabilität vor der Maximierung des shareholder value in den Unternehmen. Das japanische Beschäftigungssystem verändert sich zwar - so wird die senioritätsbedingte Lohnkurve flacher werden -, aber sein Kern, die Garantie stabiler Beschäftigung auch in der Krise, wird bestehenbleiben, selbst wenn dies dem Gewinnziel der Unternehmen zuwiderläuft. Japanische Unternehmen werden auch in Zukunft eher eine „Koalition" der Belegschaft und der Eigner sein, wobei das Management zwischen beiden Koalitionspartnern vermittelt, als ein Instrument in ausschließlicher Verfügung der Investoren, in deren Auftrag das Management handelt. Auch die anvisierten Reformen, etwa die Zulassung von Holdinggesellschaften, werden hieran wenig ändern. Denn das japanische System hat sich gerade in der Krise als leistungsfähig erwiesen, indem es die Anpassung über die Einkommen, nicht über die Beschäftigung steuerte. In den Krisenjahren 1992-95 ist die Beschäftigung - bei stagnierendem Einkommen - um 2% gestiegen!

Als Zeugen für die Kontinuität des „japanischen Modells" läßt sich die Kraft zitieren, die normalerweise am konsequentesten für Deregulierung und freie Marktwirtschaft eintritt: Die Unternehmer. Der Unternehmerverband Nikkeiren hat unter dem Titel Bluebird Plan ein eigenes Reformprogramm vorgelegt, in dem u.a. der Abbau staatlicher Regulierung gefordert wird. Doch zwei Bemerkungen zeigen die Grenzen an, die auch die Unternehmer nicht überschreiten wollen. Zum einen treibt sie die Sorge um das hohe Preisniveau um, das sie u.a. auf die „Obsession" der japanischen Konsumenten für Markennamen und neue Produkte zurückführen. Um die Preise in Japan auf internationales Niveau herabzubringen, müssen Regierung (!) und Unternehmen die Konsumenten erziehen. So viel zur Konsumentensouveränität. Und zur freien Marktwirtschaft heißt es wörtlich: „Altough the free market capitalism brings prosperity to industry and raises standards of living through the principle of free competition, it gives rise as well to evils such as low growth, high unemployment, imbalances of income, speculative bubbles, and excessive investment. Thus is, we need a check to the crises and problems inherent in capitalist market economies". So viel zur freien Marktwirtschaft angloamerikanischer Provinienz in Japan.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | April 1999

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