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1. Die namenlose Konjunktur

"Himmelhoch jauchzend zu Tode betrübt" - so etwa ließe sich der Wandel im Stimmungsbild der japanischen Wirtschaft zwischen dem konjunkturellen Gipfelsturm Ende der 80er Jahre und der Talwanderung seit Beginn der 90er Jahre beschreiben. Die Euphorie ist verklungen und mit ihr auch die den Studenten der japanischen Wirtschaft vertraute Namensgebung konjunktureller Zyklen.

In den 50er und 60er Jahren wurde noch die Mystik der japanischen Geschichte bemüht, um dem Wunder des japanischen Wirtschaftsaufschwungs Rechnung zu tragen. Jinmu, Japans erster Tennô, war Namensgeber der ersten, eben seit Jinmu (660 v. Chr.) noch nie dagewesenen Superkonjunktur zu Beginn der 50er Jahre. Als diese durch die nächste Konjunktur noch übertroffen wurde, griff man auf die zeitlich noch weiter entrückte Iwato-Legende zurück. Der Mitte der 60er Jahre neu ansetzende Hochwachstumszyklus stellte nicht nur die Jinmu- und Iwato-Konjunktur in den Schatten, in seinem Verlauf stieg Japan auch hinter den USA zur zweitgrößten Wirtschaftsmacht der Welt auf. Dieser Zyklus erhielt, wie konnte es anders sein, den Namen des Gottes der Götter: Izanagi.

Mit dem historischen Namensreservoir war danach vorerst auch das Wachstumspotential erschöpft. Zwei Konjunkturen der 70er Jahre blieben sogar namenlos. Erst mit dem 1986 einsetzenden Konjunkturzyklus, in dessen Phase auch die "bubble", die heftige Auf- und Abbewegung der Aktienkurse und Grundstückspreise, fiel, sah man sich veranlaßt, historische Parallelen erneut aufzugreifen. Noch vor Erreichen des Gipfels der Konjunktur im April 1991 ging mit dem Tod des Shôwa-Tennô die gleichnamige Periode zu Ende. 1989 begann für Japan mit der Periode Heisei eine neue Zeitrechnung, und nicht wenige mögen gedacht haben, daß der zeitgleiche Boom auch im Bereich der Wirtschaft eine neue, vielversprechende Ära einleiten würde. Die Konjunktur, die im Ausland ex post einfach nur als "bubble economy" bezeichnet wird, führt in Japan den Namen "heisei".

Mit dem Abschwung und der seit 1992 zu beobachtenden Wachstumsschwäche reifte nicht nur die Erkenntnis, daß auch in Japan "die Bäume nicht in den Himmel wachsen", es schwand auch die Lust der Namensstifter zu neuen Titulierungen. So befinden wir uns also, wie zuletzt während der beiden Ölkrisen, konjunkturell gesehen in einer namenlosen Zeit.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Mai 1999

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