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Ausläufer der asiatischen Krise und die brasilianische Reaktion

In der deutschen Presse blieb weitgehend unbemerkt, daß die Folgen der asiatischen Krise bis nach Lateinamerika reichen. Abgesehen von Chile, das aufgrund der hohen Kupferexporte nach Asien direkt betroffen ist, gilt dies für den emerging market Brasilien in besonders hohem und schmerzlichem Maße. Im Oktober letzten Jahres, im Anschluß an den Sturz der Hongkonger Börse, fielen die Börsenkurse fast aller lateinamerikanischer Länder, in Brasilien jedoch war der Sturz am eindrucksvollsten: innerhalb einer Woche fielen die Aktien um 30 Prozent; einer der schärfsten Einbrüche in der Geschichte des Landes. Die Zentralbank konnte eine Spekulationsattacke auf die Landeswährung Real, die fast zeitgleich einsetzte, gerade noch abwehren, ohne abwerten zu müssen, indem sie riesige Mengen Devisen auf den Markt warf. Mindestens acht Milliarden Dollar haben dabei das Land verlassen.

Diese Krise kam keineswegs vollkommen überraschend. Kritiker verweisen schon lange darauf, daß die Stabilisierungs- und Öffnungspolitik, die die Regierung Cardoso im Rahmen des Plano Real seit Mitte 1994 verfolgt, eine Kombination aus überbewerteter Währung und stark steigenden Leistungsbilanzdefiziten bei gleichzeitig ungenügender Fiskalpolitik erzeugt hat, die die brasilianische Ökonomie für solcherlei Gefahren anfällig gemacht habe.

Um die Situation unter Kontrolle zu bekommen und um mit einer deutlichen Demonstration ihrer Handlungsfähigkeit das internationale Vertrauen wiederzuerlangen, hat die brasilianische Regierung sehr schnell und sehr entschieden reagiert. Die Leitzinsen sind von 22 Prozent auf 46 Prozent pro Jahr verdoppelt worden, und schon eine Woche später, am 10. November, hat die Exekutive der überraschten Öffentlichkeit ein fiskalisches Notprogramm präsentiert, das 1998 mittels Einnahmeerhöhungen und Ausgabenkürzungen insgesamt 20 Mrd. Real (etwa 18 Mrd. US-Dollar) im öffentlichen Haushalt einsparen soll. Auch das Privatisierungsprogramm, das in den letzten zwei Jahren hohe öffentliche Einnahmen erbracht hat, ist noch einmal ausgeweitet und zeitlich gestrafft worden. Zudem sollen jetzt die Strukturreformen beschleunigt werden, deren Abstimmungsprozeß im Parlament - nach überraschenden Anfangserfolgen zu Beginn der Regierung Cardoso - in den letzten beiden Jahren nur sehr zögerlich vorangekommen ist.

Die Option einer Abwertung der heimischen Währung, die von prominenten Kritikern aufgrund der offensichtlichen Überbewertung des Real (nach Schätzungen etwa 20 Prozent) seit längerer Zeit gefordert wird, wird von der Regierung vehement abgelehnt. Kein Tag vergeht, an dem nicht ein hoher Regierungsvertreter die Kontinuität in der Wechselkurspolitik beteuern würde. In diesem Moment der internationalen Verunsicherung ist es auch tatsächlich so, daß nicht nur ein Verlust der Glaubwürdigkeit der Wirtschaftspolitik und ein Wiederansteigen der Inflation drohen, sondern daß ein solcher Schritt einen unkontrollierbaren Erdrutsch der Landeswährung auslösen könnte. Deshalb ist die im Januar 1998 vorgenommene Heraufsetzung der Obergrenze der Bandbreite, innerhalb der der Real gegenüber dem US-Dollar schwanken kann, das Maximum dessen, was die Zentralbank derzeit wagen kann. Dabei beeilte sie sich, zu versichern, daß sich der aktuelle Wert der Währung deshalb nicht verändern werde (Stand des Real gegenüber dem Dollar Ende Januar 1998 R$ 1,12; neue Obergrenze der Bandbreite: R$ 1,22).

Die drastische Zinserhöhung hat vorerst ihr wichtigstes Ziel erreicht: die massiven Kapitalabflüsse konnten gestoppt werden; im November haben sich die Devisenreserven dann bei annähernd 50 Mrd. Dollar stabilisiert, nachdem die Reserven vor der Krise noch bei etwa 60 Mrd. gelegen hatten. Die Zentralbank hat mit der graduellen Senkung des Zinsniveaus schon begonnen; Ende Januar sind die Leitzinsen auf 35 Prozent gesenkt worden. Doch mit der Vertiefung der asiatischen Krise mußte die Hoffnung aufgegeben werden, daß bis Mitte 1998 das ursprüngliche Zinsniveau von etwa 20 Prozent wieder erreicht sein könnte. Die Börsenwerte haben einen Teil der Verluste wieder aufgeholt, nicht zuletzt, weil den Staatsunternehmen, die nach wie vor die blue chips an der Börse sind und deren Aktien am stärksten an Wert verloren haben, erlaubt und mit staatlichen Krediten ermöglicht worden ist, zur Kursstützung ihre eigenen Aktien aufzukaufen. So hat sich der Aktienindex wieder einigermaßen stabilisiert.

Das Fiskalpaket, das mit dem Titel „Fiskalische Anpassung und Wettbewerbsfähigkeit" überschrieben ist, ist aus einer Summe von 51 Einzelmaßnahmen aus den unterschiedlichsten Bereichen zusammengeschnürt worden. Auf der Ausgabenseite liegt der Schwerpunkt bei Lohnbeschränkungen und geplanten Entlassungen von 33.000 Beschäftigten im öffentlichen Sektor; hinzukommen drastische öffentliche Ausgabenkürzungen in (fast) allen Bereichen und Investitionsbeschränkungen für die staatlichen Unternehmen. Die Maßnahmen reichen bis zur Streichung sämtlicher neuer Stipendien für Studierende in Master- und Doktorandenprogrammen für das Jahr 1998 und der Erschwerung des Zugangs zum Rentenprogramm für kranke Menschen, die älter als 70 Jahre sind und die bisher Anrecht auf einen monatlichen Mindestlohn (etwa 100 US-Dollar) hatten.

Auch die geplanten Einnahmeerhöhungen setzen sich aus einem Bündel von ad hoc zusammengestellten Maßnahmen in allen Bereichen zusammen. Zusätzliche Einnahmen zum Ausgleich des öffentlichen Haushalts sollen unter anderem aus erhöhten Benzin- und Gaspreisen, erhöhter Gewinnentnahme des nationalen Schatzamts aus den staatlichen Unternehmen und Banken, einer Beschleunigung und Ausweitung des Privatisierungsprogramms, in das jetzt auch einzelne Fernstraßen und zusätzliche Eisenbahnstrecken eingebracht werden, und anderen Maßnahmen kommen. Die lineare Erhöhung der Einkommenssteuer um 10 Prozent, ähnlich dem bundesdeutschen Solidarzuschlag, die ursprünglich für alle Steuerklassen gelten sollte, ist nach politischen Konflikten innerhalb der Regierungskoalition auf die höheren Einkommensgruppen beschränkt worden. Im Gegenzug wurde deshalb die sogenannte Schecksteuer erhöht, mit der sämtliche Finanztransaktion besteuert werden.

Der Beschleunigung der Strukturreformen, wie zum Beispiel der noch vor Weihnachten 1997 in Teilabstimmungen beschlossenen kleinen Reform der öffentlichen Verwaltung, kommt in diesem Zusammenhang eher eine symbolische Wirkung zu. Diese Reformen haben praktisch keine unmittelbaren Auswirkungen auf die öffentlichen Finanzen; das raschere Tempo soll hauptsächlich Vertrauen in die Fähigkeit der brasilianischen Regierung zu Neuerungen wecken und den Eindruck zerstreuen, das Land leide unter einer Reformblockade.

Aufgrund der drastischen Geld- und Fiskalpolitik müssen die Prognosen für das Wirtschaftswachstum im Jahr 1998 deutlich nach unten korrigiert werden: Die Regierung hofft noch optimistisch auf eine zweiprozentige Steigerung des Bruttosozialprodukts anstelle der vor der Krise erwarteten vier Prozent; internationale Analysten wie The Economist Intelligence Unit rechnen eher mit einem Nullwachstum. Die ersten Massenentlassungen haben schon im Dezember stattgefunden, und es wird eine Reihe von Unternehmenszusammenbrüchen erwartet.

Doch diese Kontraktion des Binnenmarktes wird sich - und das ist ihr wichtigstes Ziel - innerhalb von kurzer Zeit positiv auf die Handelsbilanz auswirken. Die Nachfragedämpfung aufgrund erhöhter Zinsen und geringerer öffentlicher Ausgaben vermag die Nachfrage nach Importen zu reduzieren; und angesichts eines zumindest vorübergehend kontrahierenden Binnenmarktes werden, wie dies in Brasilien wiederholt zu beobachten war, viele Unternehmen wieder die Exportmärkte suchen. Verstärkend hat die Regierung neue Kreditprogramme für Exporteure und für Klein- und Mittelunternehmen bereitgestellt sowie die Gemeinsamen Außenzölle des Mercosur um drei Prozentpunkte erhöht. Es ist also zu erwarten, daß das Handelsbilanzdefizit dieses Jahr erheblich geringer ausfallen wird als 1997, als dieses den Rekordwert von über neun Mrd. US$ erreicht hat.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Mai 1999

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