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TEILDOKUMENT:
[Essentials]
[Einleitung] In den letzten Jahren wurde in Italien die Standortdebatte zunächst ungleich weniger intensiv als in Deutschland geführt. Zwar befaßte sich die Öffentlichkeit kontinuierlich mit der zukünftigen internationalen Rolle des Landes, doch unter einem anderen Stichwort: Maastricht. Die Zukunftsperspektiven der italienischen Wirtschaft schienen zuerst und vor allem davon abzuhängen, ob es dem Land gelinge, den Anschluß an Europa zu halten und bei der Gründung des Euro dabeizusein. Folgerichtig galt die Aufmerksamkeit weniger der industriellen Ausstattung des Landes, möglichen Standortvorteilen oder -defiziten - schon für den Begriff "Standort" fehlt ein korrespondierender Terminus im Italienischen -, als der Erreichung der Maastricht-Kriterien, vor allem der Sanierung des Staatshaushaltes. Doch in den letzten Monaten verschärfte sich auch in Italien die Diskussion über die industrielle Zukunft des Landes im Zeitalter der Globalisierung. Die in der Öffentlichkeit zu hörende Diagnose unterscheidet sich deutlich von den deutschen Krisenszenarien: Nicht so sehr die mögliche Abwanderung italienischer Unternehmen ins Ausland wird als Drohung gesehen, sondern die Gefahr, daß das "System Italien" zum zweitrangigen Akteur ohne weltweit tätige Unternehmen wird, daß andererseits die italienischen Unternehmen zu Opfern der Übernahme durch ausländische Firmen werden - Italien drohe die "Kolonisierung", der "Abstieg in die Zweite Liga", wenn es nicht aus seinem Status als "Klassenletzter" der großen Industrienationen herausfinde. So unterschiedlich die Diagnose ist, so sehr gleichen sich jedoch die Therapien, die von Unternehmerseite vorgeschlagen werden: Italien bedürfe eines deutlichen Rückzugs des Staates, der Senkung von Unternehmenssteuern und Lohnnebenkosten, der Zurückschneidung des Sozialhaushaltes, flexiblerer Arbeitszeiten und Tarifbeziehungen wie auch der Flexibilisierung des Arbeitsmarktes, um seine Konkurrenzfähigkeit zu wahren. Unterstrichen wird dieses Argument durch den Hinweis auf jene Branchen des "Made in Italy" der Konsumgüterindustrie, die sich durch hohe Exporterfolge auszeichnen: ihr Erfolg sei der Tatsache geschuldet, daß dort eine weit höhere de-facto-Flexibilität herrsche als in anderen Sektoren. Eine Flexibilität, die zwar oft mit der Umgehung der Gesetze erkauft sei, so aber nur den wirtschaftsschädlichen Charakter dieser Gesetze demonstriere. So richtig der Hinweis auf die Erfolge bestimmter Branchen bei gleichzeitigem Niedergang anderer Sektoren - v.a. der Groß- und der High-Tech-Industrie - ist, so übereilt ist der Schluß, Italiens industrielle Zukunft liege in der Verallgemeinerung von Erfolgsbedingungen, die bei der Produktion traditioneller Konsumgüter wirksam werden, auf die gesamte Industrie. Falsch ist zudem die Unterstellung, das Verhältnis von Staat und Wirtschaft in Italien lasse sich auf die Kurzformel "zuviel Staat" bringen. Auf vielen Feldern - in der Forschungspolitik, der Bildung, der Industriepolitik, ja selbst der Verteidigung der Legalität - zeigt sich der Staat nicht über-, sondern unterpräsent. Es stellt sich daher die Frage, ob diese Unterpräsenz, die Ineffizienz des Staates bei der Eintreibung von Steuern genauso wie bei der Forschungsförderung, nicht zugleich den Erfolg bestimmter Industrien ebenso befördert, wie sie zum Mißerfolg anderer Branchen beiträgt. © Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Mai 1999 |