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8. Neuorientierung nach der Krise?

Malaysias derzeitige Rezession hatte als Vertrauenskrise der internationalen Anleger begonnen und sich mit zeitlicher Verzögerung auf die Güterwirtschaft niedergeschlagen. Der Aktienindex der Börse in Kuala Lumpur fiel von über 1.100 im Juni 1997 auf zeitweilig 500 im Januar 1998. Der Ringgit mußte in der zweiten Jahreshälfte 1997 um fast 50 %% abgewertet werden, und die Devisenreserven des Landes schrumpften um 400 %%. Dennoch wurde 1997 noch ein Wirtschaftswachstum von 7,0 %% erreicht, nach stabilen 8–9 %% in den vorhergehenden Jahren. 1998 haben sich Währung und Aktienkurse stabilisiert, aber das BIP wird nach letzten offiziellen Schätzungen (Juni 1998) nur noch um 2–3 %% wachsen, was bei einem erwarteten Rückgang der Investitionen um 8,6 %% möglicherweise noch zu optimistisch ist.

Die Krise hat sich auf die Sektoren der Volkswirtschaft unterschiedlich ausgewirkt. Die Exportbranchen wurden von der Krise bislang kaum getroffen. 1998 wird mit einem Anstieg der Exporte um 36,5 %% gerechnet. Besonders dynamisch entwickelt sich die Ausfuhr von Naturressourcen wie Palmöl und Kautschuk, denen die Abwertung aufgrund ihrer hohen inländischen Wertschöpfung in vollem Umfang zugute kommt. Auch die exportorientierte Industrie profitiert von der Abwertung, wobei sie jedoch die Verteuerung der importierten Vorprodukte zu kompensieren hat. Da viele Unternehmen auf die Exportmärkte des Westens gerichtet sind, betrifft sie auch der Nachfragerückgang in Asien nicht sehr stark. Insbesondere in der Elektronikindustrie wurden in den letzten Monaten trotz der Asienkrise beträchtliche Neuinvestitionen angekündigt. In Penang, neben Kuala Lumpur größtes Industriezentrum des Landes und Schwerpunkt der Exportindustrie, ist von der Krise wenig zu spüren.

Dagegen wurden vor allem die binnenorientierten Branchen von der Krise nachhaltig betroffen. Die Inlandsnachfrage (Prognose für 1998: –4,9 %%) wurde durch sinkende Realeinkommen und restriktive Kreditpolitik abgewürgt, und ein Ende der Spirale von Unternehmenskonkursen und Nachfragerückgang ist nicht in Sicht. Staatliche und private Infrastrukturinvestitionen sind bereits deutlich zurückgefahren worden. Die spekulationsgetriebene Bauwirtschaft wird als Wachstumsmotor auf absehbare Zeit ausfallen (Prognose für 1998: –4 %%). Die Schwere der Rezession wird weitreichende wirtschaftspolitische Konsequenzen haben:

  1. Der Finanzierungsspielraum für Entwicklungsprojekte hat deutlich abgenommen. Infrastrukturprojekte wie der Bau der Regierungsstadt Putrajaya (11,4 Mrd. DM), des Bakun-Staudamms (10 Mrd. DM) und des neuen Flughafens (5,4 Mrd. DM) werden nicht mehr in der bisherigen Größenordnung finanzierbar sein. Auch industriepolitische Vorhaben, deren Hauptkosten die Konsumenten zu tragen haben (z.B. Proton), werden künftig schwerer durchzusetzen sein.
  2. Der Glaube an die Überlegenheit des autoritären und strategisch lenkenden „asiatischen Entwicklungsstaates" gegenüber dem liberalen, demokratischen Leitbild des Westens ist erschüttert worden. Gerade Malaysia hatte in dieser Hinsicht ein ausgeprägtes Selbstbewußtsein gezeigt und Kritik an seiner Wirtschaftspolitik nicht aufkommen lassen.
  3. Die wirtschaftspolitische Liberalisierung wird unter dem Druck der Krise voranschreiten. Die Reform der Eigenkapitalrichtlinien, die Ankündigung, von der Bumiputra-Politik abrücken und chinesische Investoren an wichtigen Bumiputra-Unternehmen und -Banken beteiligen zu wollen sowie die neuerdings öffentlich geäußerte Kritik an der intransparenten Praxis öffentlicher Ausschreibungen zeigen dies.

In der Industriepolitik zeichnen sich eine stärkere Orientierung an marktwirtschaftlichen Mechanismen und eine stärkere Einbindung der Privatwirtschaft ab. Bislang wurden in Malaysia viele Entwicklungsprojekte „top-down", als persönliche Initiativen des Premierministers Dr. Mahathir, begonnen. Dieses gilt für das Proton-Projekt und den Multimedia Super Corridor ebenso wie für eine Vielzahl kleiner Projekte und Programme, bis hin zum Bau eines Restaurants auf einer Autobahnüberführung oder der Einrichtung eines Franchising-Programms für Bumiputras. Neuere Initiativen setzen eher auf interaktive Steuerungsmuster, die die meisten relevanten Akteure (mit Ausnahme freilich der Gewerkschaften und anderer kritischer Stimmen) einbinden. Der Zweite Industrielle Entwicklungsplan wurde bereits als offenes Planungsinstrument konzipiert, dessen Ziele und Prognosen fortlaufend überwacht und angepaßt werden sollen. An seiner Formulierung und Implementierung sind verschiedene Konsultativgremien beteiligt, in denen ein breites Spektrum nationaler Institutionen und privatwirtschaftlicher Interessenverbände vertreten ist. Ein solcher interaktiver Prozeß reduziert das Risiko von Fehlallokationen, da mehr Informationen zur Verfügung stehen als bei Top-down-Entscheidungen der Regierung.

Trotz dieser Öffnung fehlt weiterhin das demokratische Korrektiv durch einen unabhängigen Rechnungshof, parlamentarische Untersuchungsausschüsse u.dgl. Die malaiische Regierungspartei UMNO sitzt ungeachtet der Krise fest im Sattel. Das Führungsgespann von Premierminister Mahathir und seinem Stellvertreter Anwar Ibrahim steht zwar einerseits für wirtschaftspolitischen Pragmatismus, stützt sich aber auf einen autoritären Führungsstil. Unter Mahathir wurde der Official Secrets Act in den 80er Jahren verschärft, der die Transparenz und die Rechenschaftspflicht über Regierungsentscheidungen noch verringert hat. Zivilgesellschaftliche Institutionen, wie Gewerkschaften und NGOs, unterliegen unverändert rigider politischer Kontrolle.

Die Krise bietet zweifellos eine Chance, daß mit den Wirtschaftsreformen auch die überfällige politische Liberalisierung eingeleitet wird. Klare Indizien hierfür gibt es allerdings bislang nicht, zumal Mahathirs politisches Überleben von der Unterstützung nationalistischer malaiischer Kreise abhängig ist.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Juni 1999

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