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TEILDOKUMENT:




Chinas Antworten auf die „Asienkrise"

Die wichtigsten Elemente der chinesischen Strategie gegen die Auswirkungen der „Asienkrise" sind

  1. der Verzicht auf eine Abwertung
  2. Spezifische Exportförderungsmaßnahmen
  3. Wirtschaftsförderungsprogramme (Infrastruktur- und Wohnungsbauprogramme zur Stärkung der Binnennachfrage und Verbesserung der Beschäftigungslage)
  4. die beschleunigte Reform des Finanz- und Bankensystems


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Keine Abwertung der RMB Yuan

Die chinesische Regierung ist entschlossen, den RMB Yuan nicht abzuwerten, und dies im wohlverstandenen eigenen Interesse. Politisch hat China hiermit in der Region und in der Welt an Ansehen gewonnen.

Man möchte verhindern,

  • daß sich die handelspolitischen Spannungen mit den USA, die aufgrund des enormen Handelsüberschusses Chinas schon kritisch genug sind, verschärfen;
  • daß der Hongkong-Dollar abgewertet und die Bindung des Hongkong-Dollars an den US-$, die bei einer RMB-Abwertung unvermeidlich wäre, aufgegeben werden muß;
  • daß ein Abwertungswettlauf mit den Nachbarländern einsetzt.

Darüber hinaus bringt ein Abwertungsverzicht auch wirtschaftliche Vorteile:

  • Ein Abwertung führt nicht notwendig zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit auf den internationalen Märkten. 60 Prozent der chinesischen Exporte sind von Importen abhängig, die mit einer Abwertung teurer würden. Erhöhte Importpreise müßten sich in erhöhten Exportpreisen oder in reduzierten Gewinnen niederschlagen. Exportprodukte sind jedoch ohnehin schon häufig subventioniert. In Korea sind durch verteuerte Importe die Exportpreise um 20 Prozent gestiegen, in Indonesien um annähernd 40 Prozent.
  • Eine RMB-Abwertung hätte einen Anstieg des Preisniveaus auf dem Binnenmarkt zur Folge. Durch Verhinderung eines Preisanstiegs auf dem Binnenmarkt bei gleichzeitigem Preisauftrieb in den Konkurrenzländern erhofft sich China einen Ausgleich der Wechselkursnachteile bereits innerhalb der nächsten zwei bis drei Jahre.
  • Die außenwirtschaftliche Position ist nicht nur durch die Währungsparitäten bestimmt. China wird versuchen, nicht nur seine Arbeitskosten auch weiterhin im Vergleich zu den Nachbarländern niedrig zu halten, sondern auch die Qualität seiner Produkte zu verbessern und technologische Fortschritte zu erzielen.

In den Krisenländern Südost- und Ostasiens ist immer noch die Überzeugung verbreitet, daß China erneut abwerten wird – nachdem es mit der Abwertung seiner Landeswährung am 1.1.1994 bereits die Wettbewerbsfähigkeit seiner Nachbarn auf den Exportmärkten beeinträchtigt und auf diese Weise zur „Asienkrise" beigetragen hatte. Gleichwohl:

Die Abwertung des Renminbi Yuan im Januar 1994 war Bestandteil einer umfassenden Währungsanpassung, zu der die Vereinheitlichung eines dualen Wechselkurssystems und die Abschaffung der Spezialwährung für Ausländer (Foreign Exchange Certificate) gehörten. Der neue Außenwert der chinesischen Währung gegenüber dem US-Dollar wurde auf 8.7 RMB festgelegt. Dies entsprach dem damals vorherrschenden Kurs auf dem freien Markt (der offizielle Kurs hatte vorher 5,7 RMB betragen). Entscheidend für die Verursacherdiskussion ist jedoch, daß bereits vor der Währungsumstellung circa 80–85 Prozent der chinesischen Exporte auf der Basis des freien Marktwertes des RMB abgewickelt worden waren. Die effektive Abwertung betrug also nur 7 bis 8 Prozent.

Seit Januar 1994 hat die umgestellte chinesische Währung gegenüber einem gewichteten Korb der wichtigsten Währungen eine effektive Aufwertung von über 30 Prozent erfahren. Diese Aufwertung war das Ergebnis einer fünfprozentigen nominalen Aufwertung des RMB gegenüber dem US-Dollar und den erheblichen Inflationsdifferenzen zwischen China und seinen wichtigsten Handelspartnern in den Jahren 1994–1996.

Trotz der exporthemmenden Aufwertung des RMB wuchs das chinesische Exportvolumen mit jährlichen Wachstumsraten von 15–20 Prozent. Hauptfaktor waren die ausländischen Direktinvestitionen in die chinesische Exportindustrie, wobei die Investoren in den ersten Jahren nach 1989 weniger aus den OECD-Ländern kamen als aus Hongkong, Taiwan und anderen asiatischen Ländern, die auf die Langfristigkeit und Stabilität der chinesischen Reformpolitik setzten. Heute sind Unternehmen mit ausländischer Kapitalbeteiligung zu ca. 45 Prozent an den Exporten und zu über 50 Prozent an den Importen Chinas beteiligt.

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Spezifische Exportförderungsmaßnahmen

Zur Förderung der Wettbewerbsfähigkeit der chinesischen Exportindustrie auf den Weltmärkten werden von der chinesischen Regierung vor allem drei Maßnahmen ergriffen:

  • Bereits seit Oktober 1997 wurden die Sätze für die Rückerstattung der sogenannten Exportsteuer erhöht, die eigentlich eine 17prozentige Mehrwertsteuer auf Exportprodukte und Vormaterialien ist. Speziell für die Textilindustrie: Wird von Exporteuren Baumwolle aus der Provinz Xinjiang anstatt aus anderen Provinzen (vor allem Henan, Anhui, Hubei und Hunan) oder aus dem Ausland verarbeitet, wird die VAT ganz erlassen.
  • die Freiräume bei der Nutzung zugeteilter Exportquoten wurden erweitert;
  • Exportkredite werden verstärkt gewährt.

Derartige Exporterleichterungen gelten für die chinesische Exportindustrie generell. Beispiele sind Schiffe, Stahl, Nichteisenmetalle, Zement, Chemikalien, Textilien und Bekleidung (bei Stahl und Schiffen hat man sich speziell der harten Konkurrenz aus Südkorea zu erwehren).

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Infrastruktur- und Wohnungsbauprogramme zur Stärkung der Binnennachfrage und Verbesserung der Beschäftigungslage

Um die Effekte der „Asienkrise" auf das Wirtschaftswachstum abzumildern, beschloß die chinesische Regierung, die Binnennachfrage durch folgende Maßnahmen anzukurbeln:

  • zusätzliche Investitionen in Infrastrukturprojekte;
  • eine beschleunigte Reform des Wohnungswesens, damit verknüpfte Investitionen in den Wohnungsbau und zinsgünstige Darlehen für private Käufer; und
  • eine moderate Entspannung in der Geldpolitik.

In Anbetracht des gegenwärtigen Leistungsbilanzüberschusses, seiner großen Devisenreserven, seines eher sinkenden Preisniveaus auf den Binnenmärkten und den Überkapazitäten in zahlreichen Wirtschaftssektoren ist eine moderate Stimulierung der Binnennachfrage wenig problematisch und dürfte, wie die jüngsten Zahlen zeigen, auch erfolgreich sein.

Die Investitionen für Infrastrukturprojekte nahmen im ersten Halbjahr 1998 um 50 Prozent zu. Mit ähnlichen Zuwachsraten wurde auch in den Wohnungsbau investiert. Ein wichtiges Motiv für die Förderung des privaten Wohnungsbaus ist das Anliegen der chinesischen Regierung, die hohen privaten Sparguthaben, die vor dem Hintergrund der Krise noch gewachsen sind, zu mobilisieren.

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Die Beschleunigte Reform des Finanz- und Bankensystems

Wenn es eine besonders wichtige Lehre gibt, die die chinesische Regierung aus der „Asienkrise" gezogen hat, liegt diese in der Erkenntnis, daß China trotz seiner außenwirtschaftlichen Stärke innere Schwächen aufweist, die zum Teil gravierender sind als die etwa Südkoreas vor Ausbruch der Krise. An erster Stelle stehen die finanzielle Schwäche der chinesischen Banken und das erschreckende Ausmaß der Verschuldung bei geringem oder negativem return on investment eines großen Teils des Staatsbetriebe. Darüber hinaus bedarf auch die Aufsicht über das Finanzsystem erheblicher institutioneller und struktureller Verbesserungen.

Einige Reformansätze wurden bereits auf den Weg gebracht. China steht in engem Austausch mit internationalen Experten. Auch verfügt dieses Land über das finanzielle Potential, die Probleme Schritt für Schritt in den Griff zu bekommen. Die niedrige öffentliche Verschuldung im Inland, die nur etwa 10 Prozent des BIP ausmacht, ist dabei hilfreich. Sie bietet ein Potential für die Finanzierung der Unternehmensreformen, die Abschreibung uneinbringlicher Kredite und die Rekapitalisierung der staatlichen Geschäftsbanken. Es wird aber noch einige Zeit dauern, bis die Zentralregierung die lokalen Behörden daran hindern kann, die lokalen Geschäftsbanken zur Subventionierung der industriellen Staatsbetriebe in Form von nicht rückzahlbaren Krediten zu zwingen.

Dabei geht es nicht nur um die Verschuldung von Banken und Staatsunternehmen. Es stehen viele Arbeitsplätze auf dem Spiel. Der Aufbau einer überbetrieblichen Systems sozialer Sicherung ist eine wichtige Voraussetzung für radikalere Schritte der Unternehmens- wie der Bankenreform. Der Aufbau eines solchen Systems wird nun – ebenfalls ein Effekt der „Asienkrise" – beschleunigt vorangetrieben, parallel zur längst zu beobachtenden Praxis der Banken, Kredite für schlecht geführte Unternehmen ohne Marktpotential restriktiv zu handhaben.

Insofern ist es vielleicht für die weitere Entwicklung und Reform der chinesischen Wirtschaft eher ein Segen, daß die Auswirkungen der „Asienkrise" China zu einem Zeitpunkt erreichen, zu dem das Land sich noch auf eine starke Außenwirtschaft stützen kann und der Schutzwall einer begrenzten Währungskonvertibilität noch nicht durch die Reform des Wirtschafts- und Finanzsystems abgebaut wurde.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Juni 1999

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