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Die „Asienkrise" und Chinas Transformationskrise

Die sogenannte Asienkrise hat beträchtliche negative Auswirkungen auch für China. Die Wirtschaftskrise Chinas ist weder Teil der regionalen Finanz- und Wirtschaftskrise, noch gehört China zu den Krisenverursachern. Die „Asienkrise" hat ihren Ursprung in Südostasien und Korea, während China eine eigene Krise durchläuft, und dies seit Reformbeginn vor 20 Jahren. Hierbei handelt es sich um eine Transformationskrise, wie sie auch in anderen Ländern auf dem Weg von der Planwirtschaft zur Marktwirtschaft zu beobachten ist. Zentral- und Osteuropa einschließlich der ehemaligen DDR bieten hierfür Beispiele genug.

Mit dem Begriff der „Asienkrise" werden nicht nur die Unterschiede zwischen verschiedenen Krisentypen zugedeckt. Auch wird der Sachverhalt verschleiert, daß eine ganze Reihe von Ländern nicht aufgrund eigener Strukturschwächen in die Krise geraten ist, sondern den Ansteckungseffekt der „Asienkrise" zu erleiden hat. Mit wachsender geographischer Entfernung vom Schauplatz in Ost- und Südostasien scheinen sich für viele Beobachter die Unterschiede zu verwischen – zum Mißfallen nicht nur der regionalen Regierungen und Unternehmen, sondern auch der dort tätigen ausländischen Firmen. So fällt die Beurteilung der Situation Chinas unter den im Lande tätigen ausländischen Unternehmensvertretern im Durchschnitt wesentlich günstiger aus als in den Unternehmen im Heimatland.

Zu den Herausforderungen eines Landes wie China gehört nicht nur, daß es bestmögliche Rahmenbedingungen für ausländische Direktinvestitionen schaffen muß. Auch müssen diese positiven Rahmenbedingungen potentiellen Investoren im Ausland glaubhaft gemacht werden. Das Image eines Krisenlandes ist solchen Bemühungen nicht zuträglich. China muß sich nicht nur damit auseinandersetzen, daß die Aufnahmefähigkeit der südost- und ostasiatischen Krisenregion für chinesische Exporte beträchtlich gesunken ist und die Investitionsneigung der Unternehmen dieser Krisenländer deutlich nachgelassen hat. Es muß auch mit dem Negativ-Image fertig werden, das – für China unverschuldet – von den Krisenländern auf China ausstrahlt. Von diesem Negativ-Image lassen sich weniger die über ihre lokalen Niederlassungen häufig besser informierten – ausländischen Großunternehmen und multinationals beeinflussen als kleinere ausländische Unternehmen, die zu China bisher noch keinen intensiven Kontakt hatten. Hierzu gehören auch viele mittelständische deutsche Unternehmen.

Steuern Chinas Wirtschaft und soziales Gefüge auf eine Katastrophe zu oder ist China ein „Hort der Stabilität"? Letzteres wird nicht nur von der chinesischen, sondern auch von ausländischen Regierungen behauptet. Der Beantwortung der ersten Frage dagegen widmen sich insbesondere die Medien, auch die deutschen, mit großem Engagement und nicht immer ebenso großem Sachverstand. China hat es schwer. Seine Entwicklung und Stabilität wird aufgrund seiner Bevölkerungszahl, seiner geographischen Ausdehnung, seiner regional- und weltpolitischen Bedeutung, aber auch seiner Exotik in aller Regel nicht an Rußland, Lateinamerika oder seinen Nachbarländern gemessen, sondern anspruchsvoll an sich selbst – an seinen früheren Wachstumszahlen und wirtschaftlichen Erfolgen. Eine Wachstumsrate des chinesischen Sozialprodukts von 7 bis 8 Prozent, wie wir sie trotz der „Asienkrise" 1998 erwarten können, grenzt allein deshalb an eine Katastrophe, weil es vorher viel höhere Wachstumsraten gegeben hatte – in den 90er Jahren im Durchschnitt über 10 Prozent.

Dann gibt es natürlich noch die vielen Experten, vor allem aus dem Westen, die für China kritische Mindestwachstumsraten definieren und diese irgendwo zwischen 6 und 8 Prozent ansiedeln. Unterhalb dieser Grenze – so wird argumentiert – seien die aus Arbeitslosigkeit und Einkommensgefälle resultierenden sozialen Spannungen nicht mehr beherrschbar. In Wahrheit hängt die Leidensfähigkeit und Leidensbereitschaft der chinesischen Bevölkerung – wie die Geschichte lehrt – von vielen Faktoren ab. Hier gibt es keine feste Meßlatte. Darüber hinaus hat die politische Elite Chinas traditionell viel Erfahrung im Umgang gerade mit dieser Problematik.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Juni 1999

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