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[Essentials]

  • Gemessen an den Handels- und Investitionsverflechtungen ist Frankreich ein Land mit hohem außenwirtschaftlichen Öffnungsgrad und einer insgesamt positiven Wettbewerbssituation.
  • Diese internationale Wettbewerbsfähigkeit wird diskutiert unter den Aspekten Globalisierung versus Beibehaltung "französischer Spezifika" und Verbesserung der Standortattraktivität versus Sicherung des sozialen Zusammenhalts ("cohésion sociale").
  • Der "rheinische Kapitalismus" Deutschlands ist ein wichtiger Referenzpunkt; die deutsche Orientierung am angelsächsischen Modell löst Verwunderung aus.
  • Seit 1983 wurden die unternehmerischen Rahmenbedingungen und die Finanzsituation verbessert. Die Inflation ist niedrig, der Franc stabil, die Unternehmen steigerten ihre Gewinne und ihre In- und Auslandsinvestitionen. Außenwirtschaftlich hat sich Frankreich weiter geöffnet, und seit 1992 ist sogar die Handelsbilanz positiv.
  • Die preisgebundene Wettbewerbsfähigkeit Frankreichs, die über Kosten-, Wechselkurs- und Exportpreisrelationen vermittelt wird, wird weiter durch Kostensenkungen bei der Kapitalproduktivität (Maschinenlaufzeiten usw.), den Vorleistungen (Infrastrukturen, Energie etc.) und der indirekten Arbeitskosten verbessert. Diese Spielräume sind jedoch nicht mehr sehr erheblich.
  • Der Preiskonkurrenz-Wettlauf um die niedrigsten Arbeitskosten wird zunehmend durch Aspekte qualitativer "globaler" Wettbewerbsfähigkeit (performance globale) abgelöst: Innovations- und Anpassungsfähigkeit der Unternehmen, Qualifikation und Motivation der Mitarbeiter, Produktqualität und -differenzierung sowie Beziehungen (Netzwerke) zwischen Unternehmen und ihrem Umfeld, dem Ausbildungs- und Forschungssystem, Banken, Zulieferern, Partnern, Beschäftigten usw.
  • 3,3 Millionen Arbeitslose (12,3%), verdeckte Arbeitslosigkeit und ungesicherte Arbeitsplätze fördern soziale Krisenherde. Gesellschaftliche Brüche (fracture sociale) und soziale Ausgrenzung (exclusion sociale) werden auch von der politischen Führung als reale Gefahr für Stabilität und Standortqualität thematisiert.
  • Die Reprivatisierung großer Unternehmen hat alte Strukturprobleme (Unterkapitalisierung, Entscheidungsstrukturen, Managementkultur) nicht überwunden: Die dünne Eigenkapitaldecke der Unternehmensgruppen ("Kapitalismus ohne Kapital") mit wenigen institutionellen Anlegern mit geringer Kapitalkraft begünstigt einen hermetischen Kartellkreislauf. Die quasi monarchische Machtkonzentration beim Firmenchef, undurchsichtige Entscheidungsstrukturen und fehlende Kontrollsysteme durch den Aufsichtsrat ergänzen sich fatal mit dem Rekrutierungsmodus der Führungskader aus wenigen Elitehochschulen.
  • Die Nähe zwischen Staats- und Wirtschaftseliten, die weiterhin spürbare Allpräsenz des Zentralstaates und der nur langfristig durchsetzbare Prozeß der Dezentralisierung mit neuen Problemen wie z.B. der ungeklärten Kompetenzverteilung zwischen Staat und leistungsfähigen Gebietskörperschaften machen eine Erneuerung der Strukturen und Interventionsformen von Staat und Verwaltung unumgänglich.


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[Einleitung]

In Frankreich gibt es eine Standortdebatte, die treffender als Debatte über die internationale Wettbewerbsfähigkeit (compétitivité) zu bezeichnen ist. Sie ist geprägt durch die Umbruchsituation, in der sich die französische Wirtschaft seit 1983 befindet: Die seither schrittweise vollzogene Ablösung einer etatistisch geprägten Wirtschaftsordnung, eines inflationären Wachstums und einer colbertistischen Politik industrieller Modernisierung durch eine marktwirtschaftlich orientierte Stabilitätspolitik hat umfangreiche Veränderungen und Anpassungsprozesse ausgelöst, die bei weitem nicht abgeschlossen sind. Unter dem Eindruck der europäischen Einbindung und der Globalisierung werden weitere notwendige Umgestaltungen für notwendig gehalten, um die Wettbewerbsfähigkeit Frankreichs weiter zu festigen. In der öffentlichen Debatte werden dabei besonders zwei Fragen thematisiert: In wieweit ist die Beibehaltung französischer Spezifika (spécificités françaises) der Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung vereinbar mit der wachsenden außenwirtschaftlichen Verflechtung, und wie kann die notwendige Verbesserung der ökonomischen Wettbewerbsfähigkeit mit dem gegenwärtig gefährdeten gesellschaftlichen Zusammenhalt (cohésion sociale) verbunden werden?

Frankreich ist auf der Suche nach einem neuen Gleichgewicht zwischen Staat, Wirtschaft und Zivilgesellschaft. Dabei ist der Blick permanent auf den deutschen Nachbarn und den von ihm verkörperten Typus des "rheinischen Kapitalismus" (Michel Albert) gerichtet, der eine wichtige Orientierungsmarke zahlreicher französischer Debatten bildet: gleichgültig, ob es sich um die Wettbewerbs- und Leistungsfähigkeit der deutschen Industrie handelt, um die Dichte des Unternehmensnetzes und die soliden mittelständischen Strukturen, um die kooperativen, zur Konfliktlösung auf dem Verhandlungswege fähigen Tarifbeziehungen, um die Stärke der dezentralen Akteure im Föderalismus oder um vieles anderes mehr. Umso interessierter (und teilweise irritierter) wird notiert, daß dieser deutsche Nachbar seinerseits anscheinend Anstalten macht, sich stärker am angelsächsischen Modell zu orientieren.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | April 1999

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