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Die Außenbeziehungen: Schwerpunkt Europa?

Der MERCOSUR ist eine internationale Rechtsorganisation und damit in der Lage, als Handelsblock mit anderen Staaten und Wirtschaftszusammenschlüssen zu verhandeln. Als nach außen offener Zusammenschluß mit dem vorrangigen Ziel einer Weltmarktintegration ist der Ausbau der Beziehungen zu den drei einflußreichsten Megablöcken EU, NAFTA und Südostasien daher ein Schwerpunkt des MERCOSUR. Allerdings konzentrieren sich seine Wirtschaftsbeziehungen auch weiterhin auf die traditionellen Partner Europa und USA, während Japan lediglich mit 5 Prozent zum Außenhandel des MERCOSUR beiträgt und die Kontakte zur APEC unerheblich sind. Letzteres könnte sich durch eine Mitgliedschaft Chiles schnell ändern.

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Das interregionale Abkommen mit der EU

Im Gegensatz zu den meisten lateinamerikanischen Staaten sind nicht die USA, sondern die EU-Mitgliedsstaaten der bedeutendste Wirtschaftspartner des MERCOSUR. Der MERCOSUR wickelt knapp ein Drittel seines gesamten Außenhandels mit der EU ab und erhält das Gros der Direktinvestitionen (ca. 47 Prozent) aus Europa. Die EU hat die Entwicklung des MERCOSUR mit großem Interesse verfolgt und ihre Beziehungen zu den vier Mitgliedsstaaten stetig ausgebaut. Das ist unmittelbar auf die europäischen Wirtschaftsinteressen in Südamerika zurückzuführen, aber auch auf die Überzeugung, daß mit dem MERCOSUR in Lateinamerika zum ersten Mal ein förderungswürdiger Integrationsraum mit guten Erfolgsaussichten entstanden ist. Der MERCOSUR ist der bedeutendste Wirtschaftspartner der EU in Lateinamerika und innerhalb der Subregion hat Brasilien als wichtigster Außenhandelspartner der EU in der Gesamtregion eine herausragende Stellung. Traditionell gehen bis zu 50 Prozent der Ausfuhren nach und 70 Prozent der europäischen Direktinvestitionen in Lateinamerika in die Länder des MERCOSUR (Privatisierungsprogramme, Transport, Energie, Automobilindustrie und Dienstleistungen).

Diese engen Wirtschaftsverbindungen und die traditionell starke europäische Präsenz im Cono Sur - der MERCOSUR hat eine der höchsten europäischen Unternehmens- und Bevölkerungskonzentrationen - haben die Idee eines speziellen Abkommens reifen lassen. Am 16. Dezember 1995 unterzeichnete der MERCOSUR mit der EU ein interregionales Rahmenabkommen, das den Grundstein für ein umfassenderes Assoziationsabkommen zwischen beiden Wirtschaftsblöcken legen soll. Neben einer Intensivierung der politischen und wirtschaftlichen Zusammenarbeit sowie einer engeren Kooperation in zahlreichen Bereichen - Umweltschutz, Energiegewinnung, Technologie und Wissenschaft, Drogenbekämpfung -, sieht das Abkommen einen allmählichen Abbau der tarifären und nicht-tarifären Handelsschranken vor, um zu einem späteren Zeitpunkt über die Bildung einer gemeinsamen Freihandelszone zu verhandeln. Im Rahmen des Abkommens ist ein spezieller Dialogmechanismus geschaffen worden, der regelmäßige Gipfelkonferenzen zwischen der EU-Troika und den vier MERCOSUR Präsidenten vorsieht und einen Kooperationsrat auf Ministerebene ins Leben ruft, der Mitte Juni in Brüssel sein erstes Treffen abhalten wird. Zu diesem Zeitpunkt wird auch ein spezieller Unterausschuß für Handelsfragen eingerichtet, der eine Freihandelszone zwischen beiden Blöcken vorbereiten soll.

Damit hat sich die EU für eine vorsichtige und schrittweise Annäherung an den MERCOSUR entschieden. Die 2-Phasen-Strategie sieht zunächst ein Rahmenabkommen zur Vorbereitung der Handelsliberalisierung vor, um dann, je nach Verhandlungsstand, in spätestens zehn Jahren ein umfassendes Assoziations- und Partnerschaftsabkommens zu unterzeichnen. Demnach könnten schon 2001 die Vorbereitungen für eine gemeinsame Freihandelszone beginnen, wobei man wahrscheinlich zuerst die Handelsbarrieren im Industrie- und Dienstleistungssektor aufheben und erst danach einen allmählichen Abbau des Protektionismus im für die EU problematischen Agrarsektor und Informatikbereich einleiten würde. Eine Freihandelszone könnte frühestens im Jahre 2006, zusammen mit der Zollunion des MERCOSUR, Wirklichkeit werden. Der zweite Schritt ist jedoch von den internen Entwicklungen innerhalb beider Integrationsräume abhängig: in der EU von der Reform der gemeinsamen Agrarpolitik und der Osterweiterung, im MERCOSUR von der Vervollständigung der Zollunion, der wirtschaftlichen Stabilisierung und den institutionellen Reformen.

Obwohl das Abkommen hinter den anfänglich hochgesteckten Erwartungen der MERCOSUR-Staaten zurückgeblieben ist, sollte seine Bedeutung nicht unterschätzt werden. Als weltweit einmaliges Beispiel für ein Abkommen zwischen einem industriellen Megablock und einem aufsteigendem Wirtschaftsraum im Süden hat die EU nicht nur in Lateinamerika einen Präzedenzfall geschaffen.

Bis zu einer gemeinsamen Freihandelzone muß allerdings noch ein weiter Weg zurückgelegt werden. Ein wunder Punkt in den künftigen Verhandlungen über den Abbau der Handelsbarrieren wird zweifellos der Agrarsektor sein, da die Exportprodukte des MERCOSUR, wie Rindfleisch, Wein, Getreide und Baumwolle in der EU selbst produziert oder aber von den assoziierten ost- und mitteleuropäischen Ländern geliefert werden. Vor allem Argentinien, das bis zu 60 Prozent Agrarprodukte exportiert, kritisiert daher seit Jahren den Handelsprotektionismus innerhalb der EU zugunsten der eigenen bzw. der aus Osteuropa eingeführten Waren, die den Regeln des Welthandelsabkommens GATT und der WTO zuwiderliefen. Die Restriktionen für Agrarimporte seitens der EU haben in den vergangenen zwei Jahren zu einem Rückgang der Exporte des MERCOSUR in den europäischen Binnmarkt geführt. Die EU hingegen hat ihren Absatz in die Länder des Cono Sur erheblich steigern können (1995 um 20 Prozent). Damit beginnt sich die traditionell defizitäre Handelsbilanz mit den MERCOSUR-Staaten zugunsten der EU zu verschieben. Dies könnte ein Hinweis dafür sein, daß die wirtschaftliche Öffnung vor allem dem wirtschaftlich stärkeren Partner Vorteile bringt. Um dem vorzubeugen, werden die vier MERCOSUR Staaten auf eine rasche Einbeziehung des Agrarsektors in die vorgesehene Freihandelszone drängen, eine Forderung, der einige EU-Mitgliedsstaaten und potentielle Konkurrenten des MERCOSUR wie Irland oder Frankreich nicht gerne entgegenkommen werden. Protektionistische Tendenzen gibt es auch im MERCOSUR. So könnten Hindernisse in bestimmten Industriesektoren, vor allem im Informatikbereich oder aber im Automobilsektor, auftreten, in denen Brasilien ein direkter Konkurrent der EU ist und sich einer schnellen Handelsliberalisierung widersetzen wird. Allerdings ist dies bisher angesichts des traditionellen Konflikts bei den Agrarexporten weniger stark zur Kenntnis genommen worden.

Insgesamt sind 14 Prozent des gesamten Warenaustausches von der EU-Kommission als sensible Produkte eingestuft worden. Sollte eine Freihandelszone vereinbart werden, dürfen laut Artikel 24 der WTO in keinem Sektor permanente Ausnahmeregelungen getroffen werden. Es sei hierbei angemerkt, daß von deutscher Seite keine Einwände gegen eine gemeinsame Freihandelszone erhoben wurden und der Deutsche Industrie- und Handelstag (DIHT) eine Öffnung des europäischen Binnenmarktes für Agrarprodukte aus den MERCOSUR-Staaten sogar ausdrücklich befürwortet. Angesichts der deutlichen Widerstände einiger EU-Mitgliedstaaten gegen einen Abbau der Handelsschranken mit dem MERCOSUR, bleibt abzuwarten, ob der Rahmenvertrag konkrete Ergebnisse hervorbringen wird oder, ebenso wie die Abkommen der Dritten Generation, eher einen symbolischen als praktischen Charakter haben wird.

Unabhängig von seinen konkreten Ergebnissen hat das interregionale Abkommens mit dem MERCOSUR zweifellos eine neue Etappe in den europäisch-lateinamerikanischen Beziehungen eingeleitet. Das eigentlich innovative Element im Vergleich zu den Abkommen der dritten Generation ist dabei der Dialog über den gegenseitigen Abbau der Handelsschranken, der deutlich macht, daß zumindest einige Länder Lateinamerikas von der EU inzwischen als gleichwertige Partner wahrgenommen werden und daß europäische Eigeninteresse in der Region eine zunehmende Rolle spielen. Das Abkommen deutet auch eine Veränderung in den bisherigen Strukturen der lateinamerikanischen Außenpolitik an. Stand die EU während des Ost-West-Konfliktes als ausgleichende dritte Kraft zwischen der Sowjetunion und USA, rivalisiert sie heute mit den USA um die Marktanteile in Lateinamerika und könnte durch das jüngste Freihandelsangebot zu einem direkten Konkurrenten der USA in der Region werden. Gleichzeitig steht das neue Abkommmen im Zusammenhang mit der möglichen Bildung eines geschlossenen amerikanischen Handelsblocks und der Überlegung, sich über diese Staatengruppe einen Platz auf dem amerikanischen Kontinent zu sichern. Damit ist das neue Interesse der EU an Südamerika nicht nur auf die Entstehung eines neuen Marktes, sondern auch auf geostrategische Beweggründe zurückzuführen. Aus südamerikanischer Sicht besteht gerade aufgrund der negativen Erfahrungen mit der Hegemonialmacht USA in der Vergangenheit nach dem Ende des Kalten Krieges großes Interesse an einer engeren wirtschaftlichen Zusammenarbeit mit der EU, um nicht erneut von einem einzigen Partner abhängig zu sein.

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Vorsichtige Annäherung an die USA

Das engere Zusammenrücken zwischen Südamerika und Europa läßt sich somit zwar auf zahlreiche kulturelle, politische und wirtschaftliche Faktoren zurückführen, ist aber nicht zuletzt auch das Ergebnis des ambivalenten, zwischen Bewunderung und Ablehnung schwankenden lateinamerikanischen Vorurteils gegenüber dem zeitweilig allzu offensichtlichen regionalen Machtanspruch der USA. Dieses Vorurteil wird nur allmählich abgebaut. Der MERCOSUR hat 1991 ein erstes begrenztes "4+1 Kooperationsabkommen" (Rose-Garden) mit den USA unterzeichnet, und es gab in unregelmäßigen Abständen vorsichtige Gespräche über die Möglichkeit einer engeren Bindung zwischen MERCOSUR und NAFTA. Diese Option wurde zum ersten Mal im Rahmen der Treffen der amerikanischen Handelsminister in Denver und Cartagena über die Verwirklichung einer gesamtamerikanischen Freihandelszone im Jahre 2005 aufgegriffen. Block-zu-Block-Verhandlungen sind dabei allerdings nicht zu erwarten. Es deutet vielmehr alles darauf hin, daß eine gesamtkontinentale Freihandelszone über bilaterale Abkommen bzw. über eine allmähliche NAFTA-Erweiterung entstehen wird.

Mehrere Gründe sprechen für ein eher distanziertes Verhältnis NAFTA-MERCOSUR. Bisher hat die USA wenig Interesse an der Unterstüt-zung eigenständiger regionaler Wirtschaftszusammenschlüsse in Lateinamerika gezeigt. Die offene Obstruktionspolitik der USA z.B. gegenüber dem Andenpakt in den 70er Jahren hat damals viel zum Scheitern dieses ambitionierten Integrationsprozesses beigetragen. Daher wird auch der MERCOSUR von der US-Regierung kaum als gleichberechtigter Partner akzeptiert werden. Außerdem sind im MERCOSUR, im Gegensatz zu Mexiko, Venezuela oder Kolumbien, keine neuen Rohstoffvorkommen zu gewinnen. Auch die Wirtschaftsbeziehungen sind begrenzt - knapp 20 Prozent des gesamten MERCOSUR Außenhandels -, da beide Partner traditionelle Konkurrenten bei bestimmten Warenausfuhren wie Weizen, Wein oder Fleisch sind. Andererseits haben sich die amerikanischen Direktinvestitionen in den MERCOSUR in den letzten Jahren beträchtlich erhöht und übertrafen 1994 bereits den europäischen Kapitalfluß.

Wahrscheinlicher als eine Anbindung beider Blöcke, die zudem enorme juristische Probleme aufwerfen würde, ist daher die Aufnahme einzel-ner MERCOSUR-Staaten in die NAFTA. Argentinien hat in den letzten Jahren seine Beziehungen zu den USA verbessert und verschiedentlich sein Interesse an einem NAFTA-Beitritt signalisiert. Das hätte für den MERCOSUR verheerende Folgen, da er ohne Argentinien wohl kaum als eigenständiger Wirtschaftsraum fortbestehen würde. Brasilien hingegen steht der geplanten gesamtamerikanischen Handelsliberalisierung ausgesprochen skeptisch gegenüber und favorisiert als alternativen Vorschlag die Errichtung eines gemeinsamen US-unabhängigen südamerikanischen Marktes. Das umstrittene NAFTA-Thema könnte somit die historischen Rivalitäten zwischen den beiden größten Wirtschaftsmächten Lateinamerikas wieder aufbrechen lassen.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | April 1999

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