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1. Unsere Chancen in einer Informationsgesellschaft

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Noch niemals hat es bisher in der Geschichte der Demokratien einen politisch bewußt gestalteten Übergang von einer Gesellschaftsform zur anderen gegeben. Der Prozeß des Wandels von der Agrar- zur Industriegesellschaft dauerte in den heutigen Industrieländern rund einhundert Jahre. Er war gekennzeichnet von heftigen Umbrüchen, Umwälzungen und Auseinandersetzungen, die in Teilen der Welt bis heute anhalten. Fällt es schon im Nachhinein den Historikern schwer, den Zeitpunkt des Übergangs von der Agrar- zur Industriegesellschaft exakt zu benennen, um wie viel schwieriger ist es für Zeitgenossen, den sie selbst einschließenden Wandel einer Gesellschaft zuzuordnen. So, wie die Agrarier des 19. Jahrhunderts nicht wissen konnten, ob und wie eine neue „Industriegesellschaft" heraufzieht, so wenig können wir heute genau vorhersagen, ob die „Industriegesellschaft" tatsächlich einem neuen „Zyklus" Platz machen wird.

So brauchbar das Wort von der Informationsgesellschaft auch in der politischen Diskussion erscheinen mag, so wenig hält es einer Überprüfung auf seinen exakten Bedeutungsgehalt hin stand. So geben die beliebten Statistiken über die Anteile der Berufe in einer Gesellschaft (z.B. „in der Landwirtschaft Beschäftigte" oder „in Dienstleistungen Beschäftigte") letztlich nur Tendenzen an, sie bringen keine Meßzahlen. Auch die ebenso beliebte Nennung der „globalen Informationsvernetzung" als Charakteristikum einer Wirtschaft ist mit Blick auf die Fugger und Welser oder das Handelsimperium von Korinth nichts Neues, es hat sich durch Kommunikationstechniken „lediglich" die Geschwindigkeit gesteigert. Entkleidet man den Begriff der Informationsgesellschaft von seinen zum Teil mythisch überhöhten Konnotationen, dann findet man eine wirklich brauchbare Sammelbezeichnung für eine Tendenz, derzufolge die Bedeutung von Informationsverarbeitung in Produktion und Dienstleistung, aber auch in Politik und Verwaltung noch immer zunimmt. Insofern kann man tatsächlich von einem Prozeß der „Informatisierung" sprechen.

In diesem Prozeß haben technische Entwicklungen gewiß eine bedeutsame Rolle gespielt, aber beileibe nicht durchweg die Rolle des „immer mehr". So kann man zum Beispiel feststellen, daß die hohe Bedeutung der Massenmedien für den politischen Meinungsbildungsprozeß durch den Wandel vom Binnenpluralismus zum Außenpluralismus allein durch die technisch mögliche „Programmvermehrung" nicht durch demokratiegefährdende Potentiale geschmälert wurde, sondern daß Wettbewerbswirkungen (ähnlich wie im Printbereich) in Ansätzen demokratieunverträgliche „Entpolitisierungen" mit sich brachten. Hierauf hat die Politik bereits durch die Bestandssicherung für das öffentlich-rechtliche Prinzip in Teilen reagiert. Das neue Medium der Online-Dienste, für das zur Zeit das Schlagwort „Internet" stellvertretend steht, könnte mit prinzipiell denselben ordnungspolitischen Instrumentarien ausgestaltet werden, aber es sind Modifikationen unausweichlich.

In einer Zeit des raschen wirtschaftlichen und technischen Wandels ist wichtig, was bleibt. Der Ankerpunkt jeder zukünftig denkbaren Gesellschaft bleibt das gesellschaftliche Prinzip der Demokratie, unter deren Spielarten sich die repräsentative „europäische" Demokratie als die „best practice" herausgestellt hat. So, wie es mit dem Schutz der Menschenwürde (einem Ziel, dem sich auch eine demokratische Informationsgesellschaft vorrangig zu unterwerfen hätte) unvereinbar wäre, einer Maschine politische Entscheidungskompetenz zu übertragen, so gesellschaftlich unwürdig wäre es auch, weitergehende partizipatorische Elemente in den Willensbildungsprozeß nur deshalb einzubauen, weil dies kommunikationstechnisch möglich ist. Umgekehrt wird ein Schuh daraus: Wenn im 21. Jahrhundert neue partizipatorische Möglichkeiten in unseren repräsentativen Demokratien gebraucht werden (und vieles spricht dafür), dann sollte man dafür auch die modernsten Techniken in den Dienst stellen.

Man darf nicht den Fehler machen, und die Informationsgesellschaft als ein „gelobtes Land" dar-

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stellen, wo sich alle Begrenzungen der Industriegesellschaft gleichsam auflösen. Die Informationsgesellschaft braucht einen starken demokratischen Staat. Dabei muß immer wieder betont werden: Damit ist nicht dem Staat alter Prägung das Wort geredet, sondern dem Staat des 21. Jahrhunderts, der sich rasch zu wandeln hat. Man muß dabei ganz klar sehen, daß dieser Wandel bisher die Reaktion auf Begrenzungen und auch auf feststellbare Dysfunktionalitäten war. Man hat nicht etwa den „Bürger" als „Kunden" im modernen Dienstleistungssinn entdeckt, sondern man konnte den gewachsenen Anspruch des Bürgers nicht mehr mit der klassischen Bürokratie lösen, es drohten und drohen „Unbezahlbarkeiten".

Es wäre voreilig, wenn man aus den herrschenden Nöten der Staatsfinanzen heraus einen schwachen Staat prognostiziert. Zum einen können Staatsfinanzen saniert werden und zum anderen wird es mit der bloßen Reaktion als Grundstrategie nicht vorangehen. Nur ein starker und aktiver Staat kann seine Verantwortungen wahrnehmen. Auch wenn es dem modernen Staat im Zeichen einer Verschlankung immer mehr gelingt, die Durchführung von bisher öffentlichen (sprich: öffentlich durch Steuern oder Abgaben finanzierten) Aufgaben auf private Unternehmen zu verlagern, so bleibt doch gerade im infrastrukturellen Bereich die ungeteilte Verantwortung beim Staat. Dieser - in den Köpfen der Bürger fest verankerte - Umstand wird in der politischen Tagesdiskussion oft übersehen. Auch in Fällen vollständiger Privatisierung bleibt deswegen eine Public-Private-Partnership zwingend erforderlich.

  • Die öffentliche und politische Verantwortung für all das, was die Menschen als „Grundversorgung" ansehen, muß sich in aktiven politischen Strategien einer modernen Wirtschaftspolitik niederschlagen.
  • Dies hat nichts mit „Staatsbesitz" zu tun: Auch wenn Bahn und Lufthansa vollständig privatisiert sein werden, muß es noch Verkehrspolitik geben.
  • Weil der Verantwortungsstaat nicht mehr zugleich ein Versorgungsstaat sein kann, sind gerade auf zentralen Feldern der Informationsgesellschaft neue Politikmodelle erforderlich.


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Den Wandel in den Griff bekommen

Neue Politikmodelle für die Informationsgesellschaft können keine Kosmetiken sein. Allzu lange wurde versucht, die alten Paradigmen doch irgendwie auf die neuen Gegebenheiten anzuwenden. Dies gilt etwa für die Medienpolitik, die sich bis heute überwiegend als eine Regulierungsaufgabe versteht, sich künftig aber in einer übergreifenden ganzheitlichen Innovationspolitik (Wolfgang Clement) einzuordnen hätte. Inzwischen liegen hinreichend viele Erkenntnisse weltweit vor, daß ein Staat, der sich auf die Rolle eines überwiegend passiven Beobachters beschränkt, die Marktevolution nicht fördert, sondern sie behindert.

  • Der alte Staat, will heißen: der verwaltende, kontrollierende und rahmenbegrenzende Staat, ist in den letzten Jahrzehnten weder mit der sich global entwickelnden Wirtschaft noch mit der Dynamik der gesellschaftlichen Entwicklung in Einklang zu bringen. Deswegen durchläuft der Staat einen Transformationsprozeß hin zu einem modernen Staat, will heißen: einem gestaltenden, regulierenden und rahmensetzenden Staat.

Diese Transformation hin zu einem modernen Staat ist ein Vorgang, der sich in den Industriestaaten im Laufe der achtziger Jahre mit unterschiedlichem Tempo, aber immer deutlicher vollzogen hat. In den siebziger Jahren war der Inbegriff dieses Staatsverständnisses noch immer der „Wohlfahrtsstaat" mit seinen für den Bürger zunächst durchaus segensreichen, aber in der Folge doch fragwürdigen Bürokratisierungen und Zukunftslasten. Die Verwaltung des öffentlichen Reichtums wie der öffentlichen Armut wurde gleichermaßen aufwendig wie teuer. Die Kontrollen in den öffentlichen Sektoren blieben in allen Ländern weit hinter den selbstgesteckten Zielen zurück, der Staat war nahezu ohnmächtig angesichts von Transferverzerrungen wie Steuerhinterziehung, Subventionsmitnahme und Leistungsmißbrauch. Die ebenfalls mit unterkritischen Ressourcen erfolgende Rahmenbegrenzung ex post konnte an die dynamische Entwicklung von Wirtschaft und Gesellschaft nur noch mühsam angepaßt werden. Der nurmehr reagierende alte Staat stand vor der Wahl, entweder angesichts der hohen Ziele (mit

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allen legitimatorischen Folgen) zu kapitulieren oder seine bürokratischen Instrumente ins Absurde aufzublähen.

Wenn die Staatsziele nicht bis zur Unkenntlichkeit verwässert werden sollen, und die Instrumente zur Umsetzung dieser Ziele nicht bis zum Kollaps vermehrt werden können, hilft nur ein Strategiewechsel, der sich in allen Ländern als ein mehr oder weniger heftiger Politikwechsel manifestierte. In den Ländern des Ostens führte der nahezu gleichzeitige Zusammenbruch von Zielen und Instrumenten zu diesem Politikwechsel. In den westlichen Industrieländern mit ihren gesellschaftlich stabileren Zielen war der Auslöser dazu der beschriebene absehbare Kollaps der Instrumente. Es ist nachvollziehbar, daß bei den demokratischen Parteien die bis dahin gewohnte Wechselfolge von „linken" und „rechten" Varianten abgelöst wurde.

Politik kann und will den Wandel nicht aufhalten. Daher muß sie ihn im Griff behalten. Der Wandel ist kein Tiger, den man reitet, um nicht von ihm gefressen zu werden. Der Wandel gleicht im globalen Bezug mehr einer Karawane, die weiterzieht. Ein Blick auf die weltweiten Initiativen für die Informationsgesellschaft zeigt dies deutlich auf.

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Weltweite Initiativen für die Informationsgesellschaft

Weltweit steht die Informationsgesellschaft als Gestaltungsziel an der Spitze der politischen Agenda aller Industrieländer. Im ersten Halbjahr des Jahres 1998 haben z.B. die neu gewählten Regierungen in Großbritannien und Frankreich ambitionierte Konzepte für die Entwicklung der Informationsgesellschaft in ihren jeweiligen Ländern erarbeitet, die sicherlich nicht als „Blaupause" dienen, aber durchaus wichtige Anregungen für die deutsche Debatte vermitteln können. Ähnliches gilt exemplarisch auch für die Berichte zweier hochrangiger Beratungsgremien zur Informationsgesellschaft aus dem Jahr 1997, die von der kanadischen Regierung bzw. von der EU-Kommission eingesetzt worden waren. Diese Beiträge sind aus einer Vielzahl vergleichbarer nationaler und internationaler Dokumente zur Informationsgesellschaft ausgewählt, weil sie von ihrem Aktualitäts- und Orientierungswert her besonders relevant erscheinen. Es ist festzustellen:
Deutschland als in den europäischen und weltweiten kulturellen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Kontext untrennbar verflochtenes Land darf die Entwicklung in anderen Ländern nicht übersehen - wir können uns keine Scheuklappen leisten.

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„Our information age: the government‘s vision" – das Konzept der britischen Regierung

Das im April 1998 präsentierte Politikpapier „Our information age" beschreibt die Vision der Regierung Blair für das Informationszeitalter. Diese orientiert sich zentral an der Zielsetzung, allen Menschen die Chance zu geben, von den Möglichkeiten der digitalen Ära zu profitieren. Eine in „information haves" und „information have-nots" gespaltene Gesellschaft sei nicht nur ungerecht, sondern auch äußerst ineffizient, basiere doch die Wettbewerbsfähigkeit einer Volkswirtschaft in hohem Maße auf den Fähigkeiten und der Kreativität der Arbeitskräfte im Umgang mit den neuen Techniken. Trotz der entscheidenden Bedeutung der Marktkräfte komme staatlichem Handeln im Übergang zur Informationsgesellschaft eine Schlüsselrolle in folgenden fünf Feldern zu:

  • Der Erneuerung des Bildungswesens mit dem Ziel, allen das Wissen und die Fähigkeiten zu vermitteln, die sie für die Informationsgesellschaft benötigen;
  • der Erweiterung der Zugangsmöglichkeiten zu den elektronischen Netzwerken, um das Potential des Informationszeitalters allen zu eröffnen und eine Spaltung der Gesellschaft zu verhindern;
  • der Unterstützung des Wettbewerbs und der Wettbewerbsfähigkeit, um Beschäftigung zu ermöglichen und den maximalen Nutzen für die Verbraucher zu erzielen;
  • der Förderung qualitativ hochstehender Inhalte in den Netzen und
  • der Modernisierung des Staates, um sicherzustellen, daß der Staat die neuen Technologien nutzt und damit bessere Dienstleistungen für die Bürger erbringt.

Zu diesen fünf „key areas" formuliert das Regierungsprogramm jeweils ehrgeizige, zeitlich gestaf-

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felte Aktionsziele und konkrete Maßnahmen. So sollen beispielsweise

  • bis Ende 1998 die Anzahl der ans Internet angeschlossenen Schulen verdoppelt, ein nationales Lernnetzwerk (National Grid for Learning) installiert und 4.000 Internet-Sites „IT für alle" eingerichtet sein;
  • bis zum Jahr 2000 landesweite Zugänge zu einem Rund-um-die-Uhr-Beratungsdienst des Nationalen Gesundheitsdienstes (NHS Direct) ermöglicht werden und eine virtuelle „University for Industry" gegründet sein, die pro Jahr 600.000 Menschen die Möglichkeit eröffnen soll, sich vorrangig auf dem Feld der Informations- und Kommunikationstechniken weiterzubilden;
  • bis zum Jahr 2001 die Anzahl der KMUs verdoppelt werden, die effektiven Gebrauch von den neuen Technologien machen und
  • bis zum Jahr 2002 25 Prozent aller staatlichen Dienstleistungen elektronisch verfügbar, alle Schulen, Bibliotheken, Colleges und Universitäten an das „National Grid for Learning" angeschlossen und sämtlichen Lehrern die Möglichkeit zur Optimierung ihrer IuK-Kenntnisse eröffnet worden sein.


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Der „plan Jospin" – das französische Aktionsprogramm

Unter dem Titel „Vorbereitung Frankreichs auf den Eintritt in die Informationsgesellschaft" hat die französische Regierung unter Ministerpräsident Jospin im Januar 1998 ein detailliertes Aktionsprogramm vorgelegt. Mit dem „plan Jospin" soll den Bürgern ein Projekt unterbreitet werden, das sich am Leitbild einer „solidarischen Informationsgesellschaft" ausrichtet, deren Entwicklung in Frankreich fördert und einer breiten Öffentlichkeit den Zugang zu den neuen Diensten ermöglicht. Das Konzept verbindet mittelfristige strategische Linien mit einer Fülle präzise beschriebener und terminierter staatlicher Aktionen. Weil der Staat „nicht alles leisten" könne, sei von entscheidender Bedeutung, „daß die Gesellschaft selbst über ihre Bürger, Unternehmen, Gebietskörperschaften und Vereine die Initiative ergreift".

Da sich staatliches Handeln an einer begrenzten Anzahl von Prioritäten zu orientieren habe, um wirksam und verständlich zu sein, legt der „plan Jospin" sechs vorrangige Handlungsfelder fest:

  • Die Förderung des Einsatzes neuer IuK-Technologien im Bildungswesen, um den Unterricht zu modernisieren und allen Bürgern die Beherrschung der neuen Techniken zu ermöglichen;
  • eine „ehrgeizige Kulturpolitik für die neuen Netze", die u.a. die Förderung französischer Inhalte, die Digitalisierung des staatlichen Kulturgutes und die Nutzung von Bildungs- und Kulturstätten als Zugangsstützpunkte zu den elektronischen Netzen umfasst;
  • der Einsatz der IuK-Technologien zur Modernisierung des öffentlichen Dienstes, namentlich zur Steigerung von Effizienz, Bürgerfreundlichkeit und Transparenz staatlicher Einrichtungen;
  • die Unterstützung der Informatisierung der Unternehmen, insbesondere der KMUs;
  • ein offensiver Umgang mit der Herausforderung der industriellen und technologischen Neuerung durch vielfältige Maßnahmen der Innovations- und Forschungsförderung und ein starkes Engagement für die Entwicklung des Internet in Frankreich und
  • die Anpassung gesetzlicher Regelungen sowie den Aufbau einer wirksamen Regulierung – Stichworte sind hier u.a. Datensicherheit, Verschlüsselung und insbesondere das Thema Konvergenz von Telekommunikations-, Medien- und Informationstechnologien.

Auch das französische Aktionsprogramm enthält - ähnlich wie das Konzept der Regierung Blair – zahlreiche Einzelmaßnahmen, mit denen das jeweilige Teilziel in konkreten Schritten und innerhalb festgelegter zeitlicher Etappen umgesetzt werden soll. So ist – um nur wenige Beispiele aus dem Aktionsfeld „Modernisierung des öffentlichen Dienstes" anzuführen – u.a. bereits für 1998 geplant, die wichtigsten Texte des französischen Rechts kostenfrei auf der Web-Site LEGIFRANCE zugänglich zu machen, alle behördlichen Formulare im Internet verfügbar zu halten und den Unternehmen spätestens ab 1999 die Möglichkeit zu eröffnen, ihre Sozialabgabenerklärung elektronisch

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abzugeben. Der „plan Jospin" verpflichtet zudem alle Ministerien, ihren Beitrag zur Realisierung des Aktionsprogramms im ersten Halbjahr 1998 zu konkretisieren, sieht einen interministeriellen Koordinierungsausschuß vor und bestimmt verantwortliche Berichterstatter zur Informationsgesellschaft in allen Verwaltungsbereichen.

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„Preparing Canada for a Digital World" – der Report des kanadischen Information Highway Advisory Council

Der vom Information Highway Advisory Council (IHAC) im Auftrag der kanadischen Regierung im September 1997 vorgelegte Report erhebt den Anspruch eines Politikkonzeptes, das Kanada auf die entstehende „digitale Welt" vorbereiten kann.

Der IHAC, der einen ersten Report bereits im September 1995 präsentiert hatte, erhielt unmittelbar nach der Publikation des Regierungsberichts „Building the Information Society: Moving Canada into the 21st Century" im Mai 1996 ein weiteres Beratungsmandat mit dem Ziel, einerseits die Fortschritte des Landes auf dem Weg in die Informationsgesellschaft zu evaluieren und andererseits diejenigen Aufgaben zu beschreiben, die sich im Zuge der rasanten Entwicklung neu herauskristallisiert haben und in einer „zweiten Phase" politischer Gestaltungsbemühungen prioritär angegangen werden müssen.

Der Report ist stark von dem Bewußtsein eines radikalen Wandels, „einer sozialen, ökonomischen und kulturellen Revolution" hin zu einer „auf Wissen gegründeten Gesellschaft" durchdrungen und betont die Dringlichkeit rascher politischer Initiativen. Eine treibende Rolle der Regierung („leadership") sei vor allem dort gefordert, wo es um

  • den weiteren Ausbau moderner IuK-Infrastrukturen,
  • die Förderung des Internets und seiner Nutzung,
  • die Sicherung des Zugangs zum „Information Highway" in einem umfassenden technischen und qualifikatorischen Sinn,
  • die stärkere Verbreitung kanadischer Inhalte im Netz,
  • die Ausschöpfung der Wachstums- und Beschäftigungspotentiale der Informationsgesellschaft,
  • die Modernisierung des Arbeitsrechts und die Forcierung lebenslangen Lernens sowie
  • die Durchsetzung einer Vorreiterrolle des Staates bei der Nutzung der modernen Techniken („government as a model user")

gehe. Für diese prioritären Handlungsfelder formuliert der IHAC eine Vielzahl von Politikempfehlungen, deren zügige Realisierung dazu beitragen soll, Kanada eine international führende Position auf dem Weg in die „digitale Welt" zu sichern.

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„Eine europäische Informationsgesellschaft für alle" – der Bericht der EU-Gruppe hochrangiger Experten

Ausgehend vom „Bangemann-Report" des Jahres 1994 haben die EU-Kommission und deren Beratergremien mehrere bedeutsame Dokumente zur Entwicklung der Informationsgesellschaft im europäischen Kontext vorgelegt. Besonders bemerkenswert – wenngleich in Deutschland bedauerlicherweise eher wenig beachtet – erscheint unter diesen der im April 1997 im Auftrag der Kommission veröffentlichte Bericht einer Gruppe hochrangiger Experten (High Level Expert Group – HLEG) mit dem programmatischen, die Vision der Gruppe zusammenfassenden Titel „Eine europäische Informationsgesellschaft für alle". Die HLEG betont die Chancen des Wandels, kritisiert aber die Einengung der Debatte um die Informationsgesellschaft auf technische und ökonomische Fragestellungen und unterstreicht die Notwendigkeit einer „sozialen Einbettung" der Informations- und Kommunikationstechniken. Diese verfügten über das Potential, alle wirtschaftlichen Sektoren und große Teile des gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Lebens zu durchdringen. „Die daraus resultierenden Herausforderungen an die Politik sind gleichermaßen allgegenwärtig."

Solche Herausforderungen werden von der High Level Expert Group vor allem in folgenden Feldern geortet:

  • des Erwerbs von Wissen und Kenntnissen für die Informationsgesellschaft,

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  • der Rolle des öffentlichen Sektors als Promotor des Wandels,
  • der optimalen Nutzung der neuen virtuellen Wertkette – u.a. durch die Beseitigung von Hindernissen für den elektronischen Handel,
  • der Flankierung des Wandels in Unternehmen und Arbeitswelt – z.B. hinsichtlich einer Balance zwischen der notwendigen Flexibilität von Beschäftigungsverhältnissen und den legitimen Sicherheitsinteressen der Arbeitnehmer,
  • des veränderten Umgangs mit der Zeit, da sich traditionelle Muster der Zeitnutzung durch den Einsatz der Informations- und Kommunikationstechnik stark veränderten,
  • der Globalisierung – sowohl was deren Auswirkungen auf die Beschäftigungssituation in Europa als auch die Folgen einer globalen Informationsgesellschaft für die nationalen Sozial- und Steuersysteme anbetrifft,
  • der sozialen Kohäsion und der Einbeziehung aller in die Informationsgesellschaft;
  • der Bewahrung des Pluralismus und der Ausgestaltung der Informationsgesellschaft als demokratisches Projekt.

Diese Punkte, zu denen die HLEG jeweils konkrete Politikvorschläge formuliert, konstituierten eine politische Agenda, die das Handeln der Akteure auf lokaler, regionaler, nationaler und europäischer Ebene erforderten, das sich an „einem umfassenden strategischen Zukunftsbild" orientieren müsse.

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Schlußfolgerungen für Deutschland

Es geht hier nicht darum, die britischen und französischen Regierungsprogramme und die Expertenberichte des kanadischen IHAC und der EU-HLEG einer umfassenden kritischen Würdigung zu unterziehen oder gar sämtliche darin dokumentierten Vorschläge und Aktionspläne auf ihre Anwendbarkeit und Relevanz für „Deutschlands Weg in die Informationsgesellschaft" zu überprüfen. Ein solches Unterfangen müßte allein daran scheitern, daß die genannten Papiere auf zum Teil völlig unterschiedlichen – und von der deutschen Situation abweichende - nationalen Ausgangssituationen aufsetzen und auch im Konkretisierungsgrad ihrer Maßnahmeempfehlungen divergieren.

Allerdings sollte man in Deutschland wesentlich aufmerksamer als bisher die internationale Debatte um die Entwicklung der Informationsgesellschaft verfolgen, Konzepte wie die vier hier nur beispielhaft aufgeführten intensiver zur Kenntnis nehmen und zumindest versuchen, „best-practice"-Beispiele aufzuspüren. Noch wichtiger erscheint jedoch, über die Fülle von Detailempfehlungen und unterschiedlichen Akzentsetzungen hinweg gemeinsame Grundannahmen dieser Papiere festzuhalten und im Blick auf Deutschland zu reflektieren:

Erstens gehen Regierungen großer Industrienationen und deren Berater offensichtlich davon aus, daß die Entwicklung zur Informationsgesellschaft kein „Selbstläufer" ist, sondern der gestalterischen Initiative aus Wirtschaft, Gesellschaft und Politik bedarf, soll der Wandel beschleunigt, dessen immenser Nutzen ausgeschöpft und die unbestreitbar gegebenen Risiken vermieden werden.

Zum zweiten übernehmen Regierungen zunehmend eine selbstbewußte Rolle als Initiatoren, Moderatoren, Regulatoren und modellhafte Anwender, wobei es – um aus dem „plan Jospin" zu zitieren – hier auf eine „klare Unterscheidung" ankommt „zwischen Bereichen, die dem direkten Wirken des Staates unterstehen, wie die Modernisierung des Öffentlichen Dienstes oder die Entwicklung der Informations- und Kommunikationstechniken in der Schule, und solchen Bereichen, in denen der Staat nur als Beispiel auftreten kann, um die Handlungsträger anzuregen und zu sensibilisieren."

Drittens scheint sich in mehr und mehr die Auffassung durchzusetzen, daß staatliches Handeln zur Entwicklung der Informationsgesellschaft

  • einer übergreifenden Orientierung in Form einer konsensfähigen und attraktiven Vision bedarf, die die Sinnhaftigkeit des Wandels für das Gros der Bürger zu beschreiben vermag – Beispiele sind die Leitformeln einer „solidarischen Informationsgesellschaft" oder einer „Informationsgesellschaft für alle";
  • sich prioritäre Ziele setzen, diese operationalisieren und in konkrete, zeitlich gestaffelte Maßnahmen umsetzen sollte;
  • über traditionelle Zuständigkeitsgrenzen hinweg wirksam koordiniert werden und lau-

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    fend hinsichtlich seiner Erfolge und Mißerfolge evaluiert werden muß.

Alles in allem drängt sich der Eindruck auf, daß im internationalen Kontext ungeachtet der Betonung von Markt und Wettbewerb die Notwendigkeit von politisch-staatlicher - horribile dictu - „Planung" der Informationsgesellschaft zunehmend bewußt wird. Offensichtlich wächst die Erkenntnis, daß der Marktplatz Multimedia erst einmal gebaut werden muß, bevor sich darauf Waren und Dienstleistungen präsentieren, produzieren, verkaufen und bezahlen lassen.

Auch Deutschland braucht einen „Masterplan", der klare Orientierungen für den Weg in die Informationsgesellschaft vermittelt, das „commitment" des Staates zur Forcierung und Flankierung des Wandels unterstreicht und den Kräften des Marktes und der Gesellschaft neue Schubkraft verleiht.

Nun wäre die Behauptung sicherlich ungerecht, die deutsche Bundesregierung sei derartigen Überlegungen in den letzten Jahren aufgrund neolibera-
ler Scheuklappen gänzlich abhold gewesen und operiere in Sachen Informationsgesellschaft völ-
lig „ohne Plan". Eine solche Sichtweise würde
verkennen, daß die Bundesregierung bereits im
Februar 1996 einen umfänglichen Bericht „Deutschlands Weg in die Informationsgesellschaft" vorgelegt hat, der in seinem Anhang auch einen „Aktionsplan" enthält. Wenngleich diesem Regierungsbericht das einigende Band im Sinne einer übergreifenden Vision ebenso abging wie der entschlossene, politische „leadership" reklamierende Duktus etwa des britischen Entwurfs, so war doch die Absicht anerkennenswert, die staatlichen Aktivitäten in einzelne Handlungsfelder zu sortieren. Das entscheidende Manko dieses 1995 entstandenen Regierungsberichts ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt jedoch, daß er eben die Probleme von 1995 adressiert, und nicht die Herausforderungen der Jahre 1999 und 2000, die sich angesichts der Rasanz des Wandels - nach neuer Zeitrechnung zählt ein Kalenderjahr ja bekanntlich wie zehn „Internet-Jahre" - durchaus anders darstellen als noch zur Mitte des Jahrzehnts.

Hinzu kommt, daß die Bundesregierung selbst sich in einem „Fortschrittsbericht" vom Oktober 1997 attestiert, „die Mehrzahl der im Aktionsplan enthaltenen Maßnahmen ... in der Zwischenzeit erfolgreich umgesetzt" zu haben. Dieser Aktionsplan muß insoweit als erledigt, in Teilen sogar als überholt oder veraltet gelten. Er kann jedenfalls keine geeignete aktuelle Orientierungsgrundlage für zielgerichtetes staatliches Handeln auf dem Weg in die Informationsgesellschaft sein. Hier klafft eine schmerzliche Lücke, die von einer neuen Bundesregierung rasch zu schließen ist, soll Deutschland auf diesem zentralen Politikfeld nicht im internationalen Vergleich ins Hintertreffen geraten.

Ein deutscher „Masterplan" muß dabei keineswegs bei Null anfangen, sondern kann sich auf eine Fülle hochqualifizierter Vorarbeiten stützen, die z.B. die Arbeitskreise des „Forum Info 2000" und insbesondere zuletzt die Enquête - Kommission des Deutschen Bundestages „Zukunft der Medien in Wirtschaft und Gesellschaft" in über zweijähriger sorgfältiger Tätigkeit geleistet haben. Dieses Gutachten kann sich nicht anmaßen, die über tausend Berichts- und Zwischenberichtsseiten der Enquête-Kommission oder gar die rund zwei Festmeter dokumentierter aktueller Diskussionen „zusammenzufassen", sondern will in einer Interpretation der vielen Beiträge handlungsleitende Punkte herausstellen, ohne hierfür einen Vollständigkeitsanspruch zu erheben.

Es wäre verfehlt, würde man unter einem Masterplan etwas anderes verstehen als eine politisch koordinierte gesellschaftliche Anstrengung, die vieler privater und öffentlicher Ressourcen bedarf: Mehr Zeit, mehr Geld, mehr Mühe. „Planung" in diesem modernen Sinne wird jedoch nicht genügen: Eine systematisch-umfassende, thematisch priorisierte und zeitlich gestaffelte Agenda staatlichen Handelns ist zwar eine notwendige, aber keinesfalls hinreichende Bedingung für einen erfolgreichen Weg in die Informationsgesellschaft. Zusätzlich erforderlich ist ein pragmatischer Ansatz nach dem Muster des US-amerikanischen Strategiemix, der seit vielen Jahrzehnten durch eine glückliche Mischung aus risikobereitem Unternehmungsgeist in Privatfirmen, einer public-private-organisierten Technologie- und Industriepolitik, einer Durchlässigkeit der Grenzen von Wissenschaft und Wirtschaft, einer entschlossen eingreifenden Exekutive und einer - trotz aller Vielfalt - konzentrierten Standortpolitik im Sinne von „innovation clusters" cha-

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rakterisiert und von einem Pragmatismus geprägt ist, der auch tief in der Alltagskultur verankert ist und sich schon allein von daher einer oberflächlichen Nachahmung entzieht.

Es gilt, diejenigen Elemente aus der US-Strategie herauszufiltern, die auch in Deutschland Aussicht auf Erfolg haben könnten. Ein paar Beispiele mögen dies verdeutlichen. So wurde vor fünf Jahren in der Bay Area Kaliforniens die „Smart Valley Initiative" ins Leben gerufen, die es sich zum Ziel gesetzt hat, die multimediale Telekommunikation in nutzbringender Form im Alltagsleben der Bürger zu verankern. Große Standortfirmen leisteten die Gründungsbeiträge und stellten Expertise zur Verfügung. Ein wesentlicher Teil der Arbeit wird von sogenannten „Senior Managers" geleistet. In USA wird seitens der Wirtschaft die Beteiligung an solchen Programmen, aber auch die aktive Mitarbeit in Verbänden als eine Selbstverständlichkeit gesehen, während dasselbe in Deutschland unter permanentem Begründungszwang steht. Die lobenswerte Initiative „baden-württemberg:connected" der Wirtschaft bezieht sich ausdrücklich auf die „Smart Valley Initiative".

Ein zweiter Punkt ist die Standortpolitik. Gerade im Gefolge der von der Clinton-Regierung ausgerufenen „National Information Infrastructure" haben praktisch alle Bundesstaaten entsprechende Aktionen eingeleitet, aber nur wenige (u.a. Kalifornien, New York, Illinois, Arizona und South Carolina) im Public-Private-Mix eine Schrittmacherfunktion angestrebt und erreicht. Nimmt man noch die Tatsache hinzu, daß zum Beispiel die nationale „Federal Communications Commission" (FCC) im Stammland des Föderalismus eine erheblich maßgeblichere Position einnimmt als zum Beispiel die deutsche Telekommunikations-Regulierungsbehörde, dann wird schnell klar, daß in den USA sogar infrastrukturelle Grundsatzentscheidungen wie zum Beispiel die Umstellung auf das Digitale Fernsehen bis 2006 leichter als bei uns gefällt werden können.

Ein Blick auf die - in der deutschen Diskussion wenig bekannte - DARPA (Defense Advanced Research Projects Agency) zeigt zum dritten, daß dort Forschungsthemen für die Informationsgesellschaft mit unmittelbarer industriepolitischer Implikation behandelt werden, die es in dieser Fülle in Deutschland nicht einmal beim Forschungsministerium selbst gibt. Die dem US-Verteidigungsminister unterstellte DARPA, 1958 nach dem Sputnik-Schock gegründet, ist eine Agentur mit hoher Kompetenz und Flexibilität. So sind die Wissenschaftler und Techniker jeweils nur mit 3-5jährigen Arbeitsverträgen ausgestattet und sind weitestgehend von bürokratischen Vorschriften verschont. Die Programm-Manager der DARPA werden nach den Kriterien der Exzellenz und der Entrepreneurship ausgewählt, ihre Mission ist ganz ausdrücklich, „freewheeling zealots in pursuit of their goals" zu sein. Das Management der DARPA hat die Aufgabe, diesen Programm-Managern im Rahmen eines Zweimilliardenbudgets den notwendigen Freiraum zu schaffen.

Diese andere Denkweise macht die Amerikaner auch stark auf wichtigen Themengebieten, ohne deren Bearbeitung eine Informationsgesellschaft nicht entstehen kann. Wo in Deutschland noch immer hochideologisierte Grundsatzdebatten das Bild bestimmen wie im Feld der Datensicherheit und des Datenschutzes, sehen dies die Amerikaner als eine selbstverständliche Aufgabe von Unternehmen und Administration an, die man zur Erschließung von Milliardenmärkten zwingend erledigen muß. In USA braucht man für diese Themen keine Diskussionsinseln von „kritischen Wissenschaftlern" einerseits und „unkritischen Staatsschützern" andererseits. Diese - in USA teils staatlich, teils privat organisierten - Gruppierungen arbeiten ganz selbstverständlich in Vereinigungen wie der „Digital Future Coalition" (DFC) zusammen. Die DFC ist permanent im Vorfeld von Gesetzgebung und Administration tätig - natürlich hochaktuell über entsprechend organisierte e-mail-Aktionen direkt zu den Verantwortlichen. In ihr arbeiten für übergreifende Themen wie Copyright und Intellectual Property Right unterschiedliche Akteure von den Industrieverbänden über Technikverbände bis hin zu spezialisierten Interessengruppen zusammen. Darunter sind neben den etablierten Verbraucherverbänden, den Schriftsteller- und Bibliotheksverbänden auch Gruppierungen (z.B. die Computer Professionals for Social Responsibility oder die Electronic Frontier Foundation), deren deutsche Pendants bis heute eine eher randständige Position einnehmen.

  • Um im weltweiten Wettbewerb ganz vorn mitmischen zu können, bedarf es dieser zielgerichteten und konzentrierten Diskus-

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    sion über alle Bereiche hinweg. Den Kräften einer Gesellschaft muß der notwendige Gestaltungsspielraum ermöglicht werden.

Schon ein Blick auf die weltweite Diskussion über den Weg in die Informationsgesellschaft macht deutlich, daß angesichts der vielen möglichen Herangehensweisen an die gesellschaftlichen, technischen, wirtschaftlichen und kulturellen Heraus-
forderungen nur eine Gefahr wirklich droht - die Gefahr des Stehenbleibens, des zögerlichen Abwartens einschließlich der aufgesetzten und substanzlosen Modernisierungsbekenntnisse. Hier wird nicht etwa dem unbedachten Aktionismus das Wort gesprochen, denn bei den einzuschlagenden Wegen müssen unter Hochdruck Chancen erkannt und Risiken minimiert werden. Es ist nicht einmal ausgeschlossen, daß falsche Passagen genommen werden, von denen aus der Kurs nur unter Mühen korrigiert werden kann. Aber alle diese Gefahren erscheinen auf einem mutigen und umsichtig gesetzten Kurs geringer zu sein als der „hektische Stillstand", der sich in tagesaktuellen „Events" mitsamt den passenden Hochglanzbroschüren erschöpft. Ein dümpelndes Schiff ist der Kraft der Wogen hilflos ausgesetzt.

Mut ohne Umsicht bedeutet Tollkühnheit, die im weltweiten Wettbewerb der Wirtschaftsstandorte relativ kurzfristig bestraft wird. So kann man beispielsweise in Deutschland nicht ernsthaft propagieren, daß einige risikobereite Jungunternehmer die adäquate Antwort auf die milliardenschweren amerikanischen Technologie- und Anwendungsgiganten sind. Ebenso wenig kann man davon ausgehen, daß zwanzig neue ehrenamtliche Arbeitskreise dasselbe leisten können wie die hochprofessionelle französische Administration im Rahmen des Plan Jospin.

  • Das Umsetzungsdefizit, das der Bundespräsident in seiner Berliner Rede unserer Gesellschaft vorgeworfen hat, kann nur durch professionelle Arbeit, die den entscheidenden „Ruck" bringen muß, behoben werden. Die Basis dafür soll ein Masterplan Informationsgesellschaft bilden, der als großes Innovationsprojekt mit „Lokomotivfunktion" wirken kann.

Nach Auffassung der Mehrzahl der Experten auf dem Gebiet der Neuen Medien muß der Sachverstand von Technik und Wirtschaft, von Staat und gesellschaftlichen Gruppen gebündelt werden. In Deutschland kann dies erfolgversprechend - so der Tenor der Empfehlungen - nur in einer Mischung aus einem professionellen Projektmanagement in enger Abstimmung mit den politischen und gesellschaftlichen Kräften erfolgen.

Es wäre aber ein neues Mißverständnis, wenn man den Weg in die Informationsgesellschaft weiterhin vor allem oder gar ausschließlich als einen Weg in die Informationswirtschaft ansehen würde. Immer klarer zeigt sich die für einen erfolgreichen Wandel zentrale Bedeutung der kulturellen Rahmenbedingungen, der Medienkompetenz von der Schule bis ins Seniorenalter hinein, der inhaltlichen Qualitätsaspekte der neuen Medien und nicht zuletzt der Akzeptanz der Menschen aller Schichten. Der Weg in die Informationsgesellschaft kann deshalb eben nicht nur als wirtschaftliche Anstrengung, sondern muß als gesellschaftliche Veranstaltung begriffen und konzipiert werden.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Juni 1999

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