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Die Verteilung der Steuerlast in Deutschland / Claus Schäfer. - [Electronic ed.]. - Bonn, 1998. - 33 S. : graph. Darst. = 45 Kb, Text . - (FES-Analyse)
Electronic ed.: Bonn: FES-Library, 1998. - Online ed. contains links to image files

© Friedrich-Ebert-Stiftung


INHALT





[Essentials:]

  • Steuerprogression bei höheren Einkommen nur noch schwach ausgeprägt
  • Arbeitnehmer-Haushalte stärker belastet als Selbständigen-Haushalte
  • Belastung durch Sozialabgaben trifft Niedrigeinkommen besonders stark
  • Legale Steuervermeidung begünstigt hohe Einkommen
  • Einkünfte zwischen 250.000 und 300.000 DM zahlen z.B. effektiv 13% Steuer
  • Zunehmende Steuerhinterziehung
  • Steuerlast auf Einkommen im internationalen Vergleich gering
  • Beitrag der Lohnsteuer zum Gesamtsteueraufkommen 1960 12%, heute 33%
  • Unternehmen tragen heute nur noch 17% zum gesamten Steueraufkommen bei
  • Gewinne von Kapitalgesellschaften 1980 mit 34%, 1993 mit 18% belastet
  • Duales Steuersystem: wirksame Progression bei Lohnsteuer, Steuervermeidungsmöglichkeiten bei Gewinneinkommen
  • bislang kein volkswirtschaftlicher Nutzen der Steuerentlastungspolitik

    [Einleitung]

    Die tatsächliche Höhe und Verteilung der Abgabenlast in Deutschland, insbesondere der Steuerlast, entsprechen nicht dem in der Öffentlichkeit entstandenen Bild und entziehen deshalb der von diesem Bild seit Jahren abgeleiteten Politik die Grundlage: Die Lasten sind immer ungleicher verteilt worden, und zwar vor allem zugunsten von Unternehmen und Selbständigen sowie zu Lasten von Arbeitnehmern und den entsprechenden Haushalten; die ungleiche Verteilung erzeugt immer stärkere Allokations- und Wachstumsprobleme; und schließlich sind die Einnahmen, gemessen an vorhandenen Finanzierungsbedarfen, fiskalisch nicht ergiebig genug.

    Die folgende Bestandsaufnahme fußt u.a. auf einer empirischen Untersuchung, deren Ergebnisse hier erstmals vorgestellt werden: Im Rahmen des in der Hans-Böckler-Stiftung durchgeführten Forschungsprojekts "Personelle Einkommensverteilung" sind auf Basis der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS), der mit rund 50.000 Haushalten umfangreichsten und aussagefähigsten Haushaltsstichprobe in Deutschland, für die letzten drei Erhebungsstichjahre 1983, 1988 und 1993 für Westdeutschland die Abgabenlasten in Abhängigkeit von der Einkommenshöhe und dem sozialen Status der privaten Haushalte berechnet worden (s. Tabelle 1).

    Die Ergebnisse dieser Stichprobe sind aussagefähig bis zu Einkommenshöhen vom Dreifachen und mehr des Einkommensdurchschnitts, der 1993 einem Jahreshaushaltseinkommen von rund 73.000 DM entsprach, so daß sich der Erfassungsbereich in diesem Jahr also bis über Einkommenshöhen von brutto 200.000 DM erstreckt. Wesentlich über diese Einkommensgrenze hinaus kann die EVS, die auf einer freiwilligen Teilnahme an der Befragung beruht, keine Haushaltseinkommen in Erfahrung bringen - doch für noch höhere Einkommen stehen andere Informationen zur Verfügung (s. unten).

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    Die Struktur der ungleichen Belastung


    Steuerprogression bei höheren Einkommen nur noch schwach ausgeprägt

    Auffällig ist allgemein an den EVS-Ergebnissen, daß mit steigendem Einkommen der eigentlich beabsichtigte Progressionseffekt direkter Steuern nicht wie erwartet eintritt. Schon ab einer durchschnittlichen Einkommenshöhe steigt in allen drei Erhebungsjahren die Abgabenbelastung und insbesondere die Steuerbelastung nur noch mäßig an: Der scheinbar wieder beschleunigte Anstieg ab dem dreifachen Durchschnittseinkommen ist wahrscheinlich im wesentlichen auf die hier offene Einkommensgrößenklasse zurückzuführen, die auch Einkommen des Vier- und Fünflachen und mehr vom Durchschnitt in allerdings kleinen Fallzahlen enthält. Dagegen greifen bei Einkommen unterhalb des Einkommensdurchschnitts Steuern und Sozialabgaben verhältnismäßig schnell und kräftig mit steigendem Einkommen zu.

    Arbeitnehmer-Haushalte stärker belastet als Selbständigen-Haushalte

    Und hervorstechend ist im Vergleich der sozialen Gruppen, daß Selbständigen-Haushalte bei gleichem Bruttoeinkommen durchweg weniger belastet sind als Arbeitnehmer-Haushalte. Das gilt besonders für die relative Steuerbelastung bei den untersten Einkommen bis unterhalb des dreifachen Durchschnittseinkommens: Bis zum Durchschnittseinkommen aller Haushalte, das übrigens höher liegt als das Durchschnittseinkommen der Arbeitnehmer-Haushalte, zahlen Selbständigen-Haushalte relativ sogar nur rund halb so viel direkte Steuern wie Arbeitnehmer-Haushalte bei wohlgemerkt gleich hohem Bruttoeinkommen. Erst in der Einkommensgrößenklasse ab dem dreifachen Durchschnittseinkommen liegt die Steuerlast der Selbständigen-Haushalte geringfügig über dem der Arbeitnehmer-Haushalte; aber auch hier durfte dies zum Teil noch auf die oben schon problematisierte Offenheit dieser Einkommensgrößenklasse in den Tabellen bzw. der EVS zurückzuführen sein.

    Belastung durch Sozialabgaben trifft Niedrigeinkommen stärker

    Schließlich zeigt sich innerhalb der Arbeitnehmer-Haushalte die besondere Problematik der bis zur Beitragsbemessungsgrenze erhobenen Sozialabgaben. Bis zum Durchschnittseinkommen aller Haushalte (das wie gesagt höher liegt als der Einkommensdurchschnitt aller Arbeitnehmer-Haushalte) ist die Sozialabgabenlast höher - bei unteren Einkommen sogar deutlich höher - als die Steuerlast. Ab dem durchschnittlichen Einkommen aller Haushalte macht sich wegen der Beitragsbemessungsgrenze, die knapp oberhalb dieses Durchschnitts liegt, ein regressiver bzw. relativ rückläufiger Belastungseinfluß der Sozialabgaben bemerkbar.

    Belastung der oberen Einkommen seit 1983 rückläufig

    Eine weitere Ungleichheitsentwicklung ergibt der Vergleich im Zeitverlauf: Die relative Abgabenbelastung und insbesondere die Steuerbelastung bei den Selbständigen-Haushalten nehmen etwa ab dem Durchschnittseinkommen aller Haushalte (genau ab der Einkommensgrößenklasse 1,25-1,50) zwischen 1983 und 1993 spürbar ab, obwohl in diesem Zeitraum das absolute Einkommensniveau erheblich gestiegen ist und schon deshalb die Steuerprogression eigentlich deutlicher wirken müßte. Unterhalb des allgemeinen Einkommensdurchschnitts ist eine Steuerentlastung bei den Selbständigen-Haushalten nicht ganz so durchgängig bzw. in einigen Jahren und Größenklassen auch mit geringfügigen Erhöhungen vermischt. Dies dürfte im wesentlichen auf die größere Heterogenität der Selbständigen in diesem Einkommensbereich zurückzuführen sein, zu denen auch junge Existenzen, Scheinselbständige und andere mit besonderen Einkommensrisiken gehören.

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    Legale Steuervermeidung begünstigt hohe Einkommen

    Wie erwähnt kann die EVS Einkommen oberhalb des etwa dreifachen Einkommensdurchschnitts nur unzureichend darstellen. Doch haben für noch höhere Einkommen zuletzt der Landesrechnungshof Baden-Württemberg sowie das Finanzministerium NRW eigene Untersuchungen angestellt, die belegen, daß sowohl die Möglichkeiten legaler Steuervermeidung als auch ihre Ausschöpfung mit steigendem Einkommen zunehmen, so daß die verbleibende Steuerlast relativ gering oder sogar nur geringfügig ausfällt. Dabei haben beide Institutionen wohlgemerkt nicht untersucht, ob die von ihnen geprüften deklarierten Einkünfte auch mit den tatsächlich erzielten übereinstimmen bzw. ob auch (illegale) Steuerhinterziehung praktiziert wird; d.h. beide Institutionen haben die deklarierten Einkünfte mit den tatsächlich erzielten gleichgesetzt.

    Der Landesrechnungshof Baden-Württemberg hat innerhalb dieses Bundeslandes für die Veranlagungsjahre 1990 bis 1994 Steuerfälle mit hohen Einkommen geprüft, die in einem dieser fünf Jahre zumindest positive Einkünfte von mehr als 250.000 DM deklariert hatten und in mindestens einem Jahr daneben auch negative Einkünfte von mehr als 100.000 DM aus einer anderen Einkunftsquelle geltend machten. Es ergaben sich nach dieser Abgrenzung rund 870 Steuerfälle, die neben Verlusten aus "gewöhnlicher" Tätigkeit in einem erheblichen und im Zeitverlauf steigenden Ausmaß auch Verluste aus unterschiedlichen "steuertechnischen" Gründen verzeichneten (z.B. Steuerermäßigungen aufgrund des Berlinförderungsgesetzes bis 1991 oder ab 1990 zunehmend Verluste aus Vermietung und Verpachtung, Immobilienfonds, Verlustzuweisungsgesellschaften u.ä., die - entgegen einer weitverbreiteten Vermutung - nicht nur und teilweise noch nicht einmal überwiegend in den neuen Bundesländern anfallen). Darunter waren allein 478 Steuerfälle, die keine Verluste aus "gewöhnlicher" Erwerbstätigkeit, sondern ausschließlich "steuertechnische" Verluste zu verzeichnen hatten. Der Einfluß der letzteren auf die Verminderung der Steuerlast beträgt je nach Größenklasse der positiven Einkünfte 8 bis 9 Prozentpunkte der positiven Einkünfte (in der untersten Klasse) und 5 bis 9 Prozentpunkte (in der obersten Klasse). Der steuersparende Effekt hat im Zeitverlauf deutlich zugenommen. Bemerkenswerter ist auch, daß die gesamte durchschnittliche Steuerlast in jeder dieser oberen Einkunftsgrößenklasse von Jahr zu Jahr abnimmt. (s. Tabellen 2 und Tab. 3).

    Am erstaunlichsten aber ist das Steuerlastniveau. Bezogen auf das zu versteuernde Einkommen nach Abzug der "steuertechnischen" Verluste, also die steuerliche Bemessungsgrundlage, liegt die Steuerlast 1993 für Einkünfte zwischen 250.000 und 299.000 DM bei 24% und damit etwas höher als das Niveau, das Tabelle 1 als Ergebnis der EVS 1993 für die dort oberste Einkommensgrößenklasse um 200 000 DM aufweist. Bezieht man die Steuerlaut aber unter Vernachlässigung der "steuertechnischen" Verluste auf die positiven Einkünfte insgesamt, die wie gesagt vom Rechnungshof mit den tatsächlichen bzw. "wahren" Einkommen gleichgesetzt werden, so betragt das Lastniveau nur 13%. Ein Vergleich wieder mit der EVS 1993 zeigt, daß Arbeitnehmer mit einem viel niedrigeren Einkommen schon unterhalb des allgemeinen Einkommensdurchschnitts mit einer vergleichbaren Steuerlast konfrontiert sind. Selbst Bezieher positiver Einkünfte von über 2 Mill. DM tragen 1993 laut Rechnungshof eine "effektive" Steuerlast auf diese Einkünfte von lediglich 32%. Der Landesrechnungshof weist in diesem Zusammenhang aber auch auf mehrere Einzelfälle hin, in denen trotz hoher Einkünfte überhaupt keine Steuern für das Veranlagungsjahr und teilweise wegen eines Verlustrücktrags sogar für mehrere Veranlagungsjahre angefallen sind.

    Die in Baden-Württemberg feststellbare Praxis der Steuervermeidung läßt sich auch für Nordrhein-Westfalen nachweisen. Dort hat das entsprechende Landesfinanzministerium für positive Einkünfte zwischen 1 Million und über 50 Millionen DM 633 Steuerfälle für das Veranlagungsjahr 1995 geprüft, ohne allerdings eine mit Baden-Württemberg vergleichbare Berechnung der Steuerlast anzustellen (s. Tabelle 4).

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    Belastung im internationalen Vergleich gering

    Nach diesen Ergebnissen zu urteilen ist aus der Konzeption einer einheitlichen progressiven Einkommensteuer faktisch eine Zwei-Klassen–Steuer geworden, die zudem immer mehr Züge einer Proportionalsteuer aufweist. Diese empirischen Befunde fügen sich in andere ein, die das öffentliche Bild der Steuerlast insgesamt stark relativieren. Sie werden hier ebenfalls vorgestellt, beginnend mit gesamtwirtschaftlichen Abgaben- und Steuerquoten auf nationaler und internationaler Ebene, um über die funktionale Verteilung der Lasten auf Unternehmen und Arbeitseinkommen in Deutschland zum Schluß wieder auf die personelle Ebene zurückzukommen.

    Die Abgabenquote hat sich zwar seit 1970 bis heute um rund 6 bis 7 Prozentpunkte erhöht (s. Tabelle 5). Aber sie war 1990 nur 4 Prozentpunkte höher als 1970 und ist nach 1990 im wesentlichen wegen der deutschen Vereinigung gestiegen. Sie war 1980 nur unwesentlich niedriger als heute, nicht zuletzt weil in den 70er Jahren z.B. Nachholbedarf an materieller und immaterieller Infrastruktur sowie erste Arbeitsmarktkrisen ähnliche Herausforderungen wie die deutsche Vereinigung darstellten. Und die Abgabenquote ist im langjährigen internationalen Vergleich bis heute - trotz deutscher Vereinigung - im unteren "Mittelfeld" vergleichbarer Industrieländer angesiedelt. Nun ist aber generell die Abgabenquote - wie die Staatsquote und andere fiskalische Quoten - hinsichtlich ihres Niveaus so vielen Mißdeutungen und Irrtümern ausgesetzt, daß dieses Niveau hier vorerst nicht weiter kommentiert werden soll. Genügen soll lediglich der Hinweis, daß sie das "Preis-Leistungs-Verhältnis" eines demokratischen Staates einschließlich der Wettbewerbsfähigkeit seiner Wirtschaft nur sehr ungenügend ausdrücken kann
    - und auf keinen Fall ist eine sinkende oder niedrige Quote gleichzusetzen mit steigender oder hoher Wohlfahrt.

    Eindeutiger sind dagegen schon in ihrer Aussagefähigkeit die Strukturen der Abgabenquote, also die Relation von Steuerquote und Quote der Sozialabgaben sowie die dahinterstehende Verteilung der entsprechenden Lasten (die allerdings auch letztlich nur in Verbindung mit den aus diesen Lasten finanzierten öffentlichen Leistungen und deren Verteilung abschließend bewertet werden können). Die Steuerquote in Deutschland heute ist nur unwesentlich höher als 1970 und sogar niedriger als 1960; im ganzen Zeitraum hat sie sich nur wenig nach oben und unten bewegt. Das heißt, der Anstieg der Abgabenquote reflektiert im wesentlichen nur einen deutlichen Zuwachs der Sozialabgaben im betrachteten Zeitraum ( s. Tabellen 6 und Tab. 7 sowie Schaubild 1 und Schaubild 2).

    Im internationalen Vergleich ist jedenfalls die deutsche Steuerquote ähnlich gut "positioniert" wie die Abgabenquote; sie bewegt sich im unteren Bereich. Das gilt übrigens selbst dann, wenn man aus der Steuerquote nur den Teil der Steuern auf Einkommen bzw. Gewinne und Vermögen prüft, die man (in unterschiedlicher Abgrenzung) ebenfalls international vergleichen kann: Danach werden die Besteuerungsobjekte Einkommen und auch Vermögen in Deutschland vergleichsweise gering belastet; dasselbe trifft auf die Einkommensbezieher, unterschieden nach natürlichen und juristischen Personen, zu: Die Steuerlast auf alle Einkommensarten zusammen beträgt in Deutschland 1996 rund 12% des BIP, was in einer internationalen Belastungsrangfolge den elften von 17 "Plätzen" an OECD-Ländern ergibt, hinter Italien, Schweiz, Holland, USA, England und nur geringfügig vor Japan, Spanien und Österreich (s. Schaubild 3). Gemessen in Anteilen an den gesamten Staatseinnahmen oder nur am Steueraufkommen ergeben sich für die Steuerlast ebenfalls "hintere" Plätze.

    Schon vor Abschaffung der Vermögensteuer war die entsprechende Belastung in Deutschland mit 2,7% eine der international geringsten, weit weniger als etwa in den USA (11,3%), Japan (11,1%) oder England (10,8%). Und die Steuerlast deutscher juristischer Personen z.B., also im wesentlichen von Unternehmen in der Form von Kapitalgesellschaften, war die bei weitem kleinste beim Vergleich mit USA, England, Frankreich und der Schweiz ( s. Tabellen 8a und Tab. 8b).

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    Dramatische Umverteilung der Abgabenlast zugunsten von Unternehmen und Selbständigen

    Aber geradezu dramatisch haben sich die Beiträge anderer Aufkommensquellen zur Abgaben- und Steuerquote verändert - und damit auch die Lasten der diese Quellen speisenden Steuerbürger. Der Anteil der von aktiven und ehemaligen Arbeitnehmern zu finanzierenden Beiträge am Sozialleistungsbudget ist von 1970 bis heute um 8 Prozentpunkte gestiegen, seit 1960 sogar um 11 Prozentpunkte ( s. Tabelle 9). Dagegen ist der Beitrag der Arbeitgeber heute sogar etwas geringer als 1970 und nur wenig höher als 1960. Diese sehr unterschiedliche Entwicklung spiegelt sich auch in Schaubild 4 sowie in weiteren empirischen Informationen.

    Die Lohnsteuer trägt heute mit fast einem Drittel zum gesamten Steueraufkommen bei; 1970 war es noch nicht einmal ein Viertel und 1960 gar nur rund 12%. Die Gewinnsteuern - zu denen zuletzt auch alle Steuern aus dem Zinsabschlag hinzugerechnet werden - machen heute 14,6% des gesamten Steueraufkommens aus, während es 1970 noch 25% waren und 1960 sogar noch mehr als ein Drittel. Lohnsteuer sowie Umsatzsteuer und Mineralölsteuer zusammen, die 1970 nicht einmal 50% (1960 nur 37,5%) des Steueraufkommens erbrachten, liefern heute fast drei Viertel aller Steuereinnahmen (s. Tabelle 10). Rechnet man noch die auf die Unternehmen entfallenden Grundsteuern, Vermögensteuern und anteiligen Solidaritätszuschläge bei der Einkommensteuer hinzu, tragen die Unternehmen insgesamt eine Last von nur 17,1% des gesamten Steueraufkommens (s. Tabelle 11).

    Der bisher vermittelte Eindruck, daß eine spürbare Umverteilung der Abgabenlast zugunsten von Unternehmen und Selbständigen sowie zu Lasten von Aktiven und ehemaligen Arbeitnehmern und ihren Haushalten stattgefunden hat, wird durch weitere und feinere empirische Indikatoren erhärtet, die für die funktionelle wie für die personelle Verteilungsebene verfügbar sind: Lohnsteuer und Sozialabgaben vermindern im Zeitverlauf das Nettoarbeitseinkommen immer mehr in Relation zum Bruttoeinkommen (s. Tabelle 12). Läßt man Teilzeitbeschäftigte und geringfügig Beschäftigten mit deutlich niedrigerer bzw. auch fehlender Abgabenlast außer Acht, und betrachtet nur Vollzeitbeschäftigte, dann sind die Belastungsquoten noch etwas höher und die Nettoquote des Arbeitseinkommens noch etwas niedriger als in Tabelle 12 dargestellt.

    Im Gegensatz dazu hat die durchschnittliche Belastung der Unternehmen durch alle direkten Steuern zusammen kontinuierlich abgenommen. Dies gilt ganz eindeutig für die Kapitalgesellschaften, deren angeführte Steuern aus den Prozeßdaten des Fiskus und deren ökonomische Gewinne aus den publizierten Bilanzen unmittelbar bestimmt werden können. Bei ihnen hat die durchschnittliche Belastung der Gewinne durch alle direkten Steuern einschließlich Vermögensteuer von fast 34% 1980 auf gut 18% 1993 abgenommen ( s. Tabelle 14). Für jüngere Jahre sind keine entsprechenden Angaben möglich, weil das Statistische Bundesamt die Gewinne der Kapitalgesellschaften wegen Abgrenzungsschwierigkeiten im Zuge der deutschen Vereinigung nicht mehr ausweist. Aber bis heute dürfte - dafür sprechen andere Indikatoren - die Gewinnsteuerbelastung weiter gesunken sein.

    Zu diesen anderen Indikatoren gehört auch die durchschnittliche Steuerbelastung aller Einkommen aus Unternehmertätigkeit (und Vermögen) in Deutschland, zu denen neben den Gewinnen der Kapitalgesellschaften auch die der Personengesellschaften sowie der sonstigen selbständig Gewerbetreibenden, der freien Berufe usw. gehören. Bei letzteren ist der Gewinnausweis zwar nicht so eindeutig wie bei den Kapitalgesellschaften, weil die Gewinne der Personengesellschaften in der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung als Rest zwischen Volkseinkommen und allen anderen Einkommen ermittelt werden. Aber mögliche Fehler der Restwertmethode können den Trend der Entwicklung von Gewinn und Steuerbelastung nur wenig beeinflussen: Und auch dieser Trend signalisiert eine erhebliche kontinuierliche Entlastung der Einkommen aus Unternehmertätigkeit und Vermögen durch direkte Steuern von rund 21% 1980 auf heute unter 9% ( s. Tabelle 13).

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    Progression bei der Lohnsteuer, Steuervermeidungsmöglichkeiten bei Gewinneinkommen

    Die Gründe für diese ungleiche Entwicklung zu Lasten der Arbeitseinkommen und zugunsten der Gewinneinkommen sind im wesentlichen schon öffentlich benannt: Bei den Arbeitseinkommen sind es die Progressionszugriffe der Lohnsteuer, die auch durch mehrere steuerliche Entlastungsmaßnahmen wie Tarifsenkung und Erhöhung des Grundfreibetrags nur vorübergehend abgeschwächt wurde, sowie die vorwiegend auf die Sozialbeiträge abgewälzten Kosten von Arbeitslosigkeit und deutscher Vereinigung (wobei letztere auch zu einem erheblichen Teil Kosten der Arbeitslosigkeit sind). Bei den Gewinneinkommen sind es ebenfalls mehrere gesetzliche Entlastungsmaßnahmen, aber auch zunehmende sowie zunehmend ausgeschöpfte legale und illegale Gestaltungsmöglichkeiten zur Steuervermeidung. Unter letzteren sind Rückstellungen und Sonderabschreibungen zu nennen sowie Gewinnverlagerungen ins Ausland mit niedrigeren Steuerlasten und schließlich auch eine sinkende Moral bei der korrekten Deklaration von erzieltem Einkommen.

    Daß dem so ist, wird nicht zuletzt durch die verfügbaren Informationen über die Belastung durch direkte Steuern auf der personellen Ebene belegt. Solche Informationen gibt es mittlerweile für private Haushaltsgruppen auf Basis ihrer durchschnittlichen Einkommensebene; neuerdings liegen - wie eingangs schon gezeigt -solche Informationen aber auch vor für die privaten Haushaltsgruppen in Abhängigkeit von verschiedenen Einkommensgrößenklassen, die ein repräsentatives Spektrum der Einkommenspyramide abdecken.

    Im Jahr 1972 (dem ersten, für das Angaben verfügbar sind) wurden die Haushalte von Selbständigen ohne Landwirte entsprechend ihrem überdurchschnittlich hohen Einkommen von der staatlichen Umverteilungspolitik erwartungsgemäß am stärksten tangiert; sie verloren im Durchschnitt 24,1% ihres Bruttoeinkornmens. Dagegen mußten damals die anderen Erwerbstätigen-Haushalte von ihrem Bruttoeinkommen weniger abgeben, gestaffelt entsprechend ihrer durchschnittlichen Einkommenshöhe und der korrespondierenden Steuerprogression. 1996 jedoch haben sich die Verhältnisse völlig umgekehrt: Die Selbständigen-Haushalte werden trotz ihres weit überdurchschnittlichen Haushaltseinkommens unter allen Erwerbestätigen-Haushalten von der staatlichen Umverteilungspolitik am wenigsten betroffen; auch verlieren sie 1996 mit 17,4% ihres Bruttoeinkommens deutlich weniger als 1972 durch die Umverteilung. Und mit diesem Umverteilungseffekt von 17% liegen sie noch unter dem der Beamten-Haushalte von fast 19%, obwohl Beamte keine Sozialversicherungsbeiträge zahlen (s. Tabelle 15).

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    Faktisches Zwei-Klassen-Steuersystem

    Die empirische Bestandsaufnahme belegt: Die Verteilung der Abgabenlast ist immer ungleicher geworden zum Nachteil der Arbeitnehmer und zugunsten von Unternehmen sowie Personen mit hohem Einkommen und Vermögen. Selbst bei gleich hohen Einkommen müssen Arbeitnehmer und ihre Familien meist mehr Steuerlasten tragen als Selbständige und sogar als Unternehmen. Zugleich ist die Progressionswirkung der direkten Steuern mit steigendem Einkommen jenseits von normalen Arbeitnehmerverdiensten erheblich geschwächt worden und teilweise kaum spürbar. Die Einbeziehung der indirekten Steuern würde diese Schieflage weiter vergrößern, weil nach allen empirischen Erhebungen untere und mittlere Einkommen davon stärker belastet werden - und Selbständigen-Haushalte sich zumindest teilweise von dieser Last ganz befreien können.

    Die Entlastung bei Unternehmen, Selbständigen und Vermögenden hat schon vor Jahren eingesetzt und inzwischen ein Ausmaß erreicht, das schon lange Behauptungen über eine "wirtschaftsschädliche" Besteuerung in Deutschland gegenstandslos macht - und Klagen über hohe (Spitzen-)Steuersätze bei gleichzeitigem Verschweigen der schrumpfenden Steuerbemessungsgrundlagen als immer offenkundigere Strategie zur Durchsetzung von noch mehr Entlastung qualifiziert. Ohnehin herrscht nirgendwo mehr Kenntnis über den Unterschied zwischen normativem Steuersatz und faktischer Steuerbelastung als bei den Beziehern von Gewinnen und hohen Einkommen oder Vermögenden sowie ihren Beratern, weil sie diesen Unterschied zu ihren Gunsten gestalten können. Deshalb ist auch die behauptete negative Signalwirkung hoher Steuersätze gerade in diesen Kreisen nicht vorhanden. Die faktische Steuerbelastung bei Unternehmen und hohen Einkommen bedeutet schließlich auch eine erhebliche Relativierung der Aussagen des Bundesverfassungsgerichts zum "Hälftigkeitsprinzip" bei der Belastung von Einkommen - selbst wenn man davon absieht, daß diese Aussage als handlungsleitend für die Politik auch unter Verfassungsjuristen umstritten ist: Denn die empirische Bestandsaufnahme macht deutlich, daß in der Praxis die Steuerbelastung von dieser Grenze selbst bei sehr hohen Einkommen noch weit entfernt ist.

    Insgesamt ist aus der Konzeption einer einheitlichen und progressiven Einkommensteuer faktisch eine Zwei-Klassen-Steuer geworden, die zudem bei hohen Einkommen immer mehr Züge einer Proportionalsteuer aufweist.

    Die Gründe für diese Entlastung sind ebenso problematisch wie ihre ökonomischen Auswirkungen, die neben der Beschädigung der Steuergerechtigkeit bestehen. Diese Gründe sind im wesentlichen drei, die die Einkommen aus Unternehmertätigkeit und Vermögen gegenüber anderen Einkommen sowie deren Verausgabung privilegieren:

    - gesetzliche Steuerentlastungsmaßnahmen verschiedener Art seit 1983;

    - "aktive Steuergestaltung" durch die Steuerschuldner, d.h. das verstärkte und kumulierende Zusammenwirken von legalen und illegalen Gestaltungsmöglichkeiten bzw. Verringerungsmöglichkeiten der zu versteuernden Einkommen und Vermögen;

    - "passive Gestaltungspolitik" des Fiskus, der durch eine unzureichende Finanzverwaltung insbesondere im Bereich der Betriebsprüfungen, aber auch durch einen "heimlichen" regionalen Steuerentlastungs-Wettbewerb die aktive Gestaltungspolitik und darunter auch die sinkende Steuermoral begünstigt.

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    Nachteilige Folgen für die Volkswirtschaft

    Die hauptsächlichen Folgen dieser Entlastungspolitik können gekennzeichnet werden als:

    - Belastungsverschiebung auf die Arbeitseinkommen und deren Verausgabung, wodurch ein wesentlicher Beitrag zur Stagnation der Binnennachfrage und der Schwäche des Arbeitsmarktes geleistet wird ( s. auch Tabelle 17);

    - Behinderung des staatlichen Handlungsspielraums - insbesondere bei Ländern und Kommunen, die geringere Kompensationsmöglichkeiten haben als der Bund -, was einen weiteren wesentlichen Beitrag zur Stagnation der Binnennachfrage liefert und mittlerweile speziell zum Rückgang der Bauinvestitionen;

    - Beeinträchtigung der staatlichen Planungssicherheit, weil die Steuerbemessungsgrundlagen und damit die Schätzung der Staatseinnahmen seit längerem immer stärker zu "schwimmen" beginnen;

    - Beschädigung der Standort-Substanz, weil schwindende Handlungsspielräume und Planungssicherheiten des Staates die materielle und immaterielle Infrastruktur immer stärker gefährden, also über die Steuerentlastung die vermeintliche Standortschwäche tatsächlich in Zukunft herbeigeführt werden kann;

    Fehlallokation von volkswirtschaftlichen Ressourcen aufgrund vieler legaler und illegaler Steuersparmöglichkeiten, z.B. Förderung von Schiffen, die später unter fremder Flagge fahren, oder Erzeugung von Leerständen bei Immobilien;

    - eine suboptimale Allokation von betrieblichen Ressourcen, weil gestiegene Gewinne und hohe Einkommen die Geldvermögensbildung überproportional im Vergleich zu betrieblichen Realinvestitionen begünstigt haben.

    Da gleichzeitig die erhofften und behaupteten Vorteile solcher Steuerentlastungspolitik ausgeblieben sind, obwohl sie schon so lange besteht bzw. betrieben wird - nämlich verstärkte Realinvestitionen im Inland und zusätzlich vermehrte Arbeitsplätze -, gibt es für diese Entlastungspolitik oder gar für ihre Fortsetzung auch keine ökonomische Rechtfertigung. Bis heute läßt sich international die Behauptung nicht belegen, daß sich niedrigere Steuerlasten in mehr Wachstum und Wohlstand auf gesamtwirtschaftlicher Ebene ummünzen. Die legale Steuerentlastung darunter hat übrigens auch nicht zur Eindämmung von Steuerhinterziehung oder auch von Steuerflucht geführt; im Gegenteil haben sich illegale Gestaltungspraktiken verstärkt. Es liegen heute vielmehr genug Indizien vor, dieses Politikexperiment der Steuerentlastung als eine gescheiterte, weil eher allokations-, wachstums- und beschäftigungsschädliche Strategie zu bezeichnen; ökonomisch gesprochen war und ist ihr Multiplikator negativ. Belege dafür sind neben der deutschen Erfahrung aus den letzten 15 Jahren auf internationaler Ebene z.B. Portugal im negativen Sinn und Dänemark im positiven Sinn.

    Das Steuersystem ist demnach mehrfach schief: Es ist wegen der unterschiedlichen Gestaltungsmöglichkeiten nach Maßgabe von Steuergerechtigkeit "ein duales System"; der eine Teil der Dualität wirkt diskriminierend, während der andere privilegierende Teil für den Fiskus nicht ergiebig und nicht berechenbar genug ist; und schließlich ist deshalb das ganze System ökonomisch unbefriedigend.

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    Anhang: Tabellen und Schaubilder

    Tabelle 1:
    Direkte Abgabelastung des Haushaltsbruttoeinkommens verschiedener Haushaltsgruppen in Westdeutschland 1983, 1988 und 1993
    (EVS)

    Tabelle 2:
    Durchschnittliche Einkommensteuerbelastung bei hohen Einkommen aufgrund "steuertechnischer" Verluste
    (Landesrechnungshof Baden-Württemberg)

    Tabelle 3:
    Steuervermeidung durch negative Einkünfte aufgrund "gewöhnlicher" und "steuertechnischer" Verluste bei hohen Einkommen
    (Landesrechnungshof Baden-Württemberg)

    Tabelle 4:
    Steuervermeidung druch negative Einkünfte aufgrund "gewöhnlicher" und "steuertechnischer" Verluste bei hohen Einkommen
    (Finanzministerium Nordrhein-Westfalen)

    Tabelle 5:
    Abgabenquote im internationalen Vergleich 1970 - 1996
    (OECD)

    Tabelle 6:
    Steuerquote im internationalen Vergleich 1970 - 1996
    (OECD)

    Schaubild 1:
    Steuerquote im internationalen Vergleich 1996
    (OECD)

    Schaubild 2:
    Entwicklung der Steuerquote und der Abgabenquote 1960 bis 1998

    (DIW)

    Tabelle 7:
    Abgabenbelastung im internationalen Vergleich nach unterschiedlicher Abgrenzung 1996
    (Bundesbank, Eurostat)

    Schaubild 3:
    Steuerlast auf Einkommen und Gewinne im internationalen Vergleich 1996
    (OECD)

    Tabelle 8a und Tabelle 8b:
    Steuerarten (in unterschiedlicher Abgrenzung) im internationalen Vergleich 1994 und 1995
    (OECD und Privatbank Pictet und Cie, Genf)

    Tabelle 9:
    Finanzierungsstruktur des Sozialbudgets nach Arten
    (Bundesarbeitsministerium)

    Schaubild 4:
    Entwicklung der Quoten von Lohnsteuer, Sozialabgaben und Steuern auf Gewinn- und Kapitaleinkommen 1960 - 1998
    (DIW)

    Tabelle 10:
    Die wichtigsten Quellen des Steueraufkommens in Deutschland

    (Bundesfinanzministerium

    Schaubild 5:
    Die Aufkommensstruktur von Steuern und Sozialabgaben 1960 - 1998
    (DIW)

    Tabelle 11:
    Steuerlast der Unternehmen 1997

    (DIW)

    Tabelle 12:
    Steuer- und Abgabenlast der Arbeitseinkommen in West- und Ostdeutschland 1960 - 1997
    (Statistisches Bundesamt)

    Tabelle 13:
    Gesamtwirtschaftliches Brutto- und Nettoeinkommen aus Unternehmertätigkeit und Vermögen 1980 - 1997

    (Statistisches Bundesamt)

    Tabelle 14:
    Unternehmensgewinne und direkte Steuern der Unternehmen mit eigener Rechtspersönlichkeit 1980 - 1997
    (Statistisches Bundesamt)

    Tabelle 15:
    Durchschnittliche relative Wohlstandspositionen der privaten Haushalte in Westdeutschland 1972 - 1996

    (Statistisches Bundesamt)

    Tabelle 16
    Ausgewählte Kennziffern des "dualen" Steuersystems 1980 - 1996
    (Bundesfinanzministerium, DIW)

    Tabelle 17:
    Einkommensquellen und Kaufkraftpotentiale des privat verfügbaren Volkseinkommens in Deutschland 1980 - 1996
    (Statistisches Bundesamt)


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