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Fragmentierung und Wettbewerb in der Parteienlandschaft

Die Amtszeit der Regierung Dini, die nicht zuletzt durch den Widerstand des Staatspräsidenten Scalfaro gegen die von Berlusconi geforderten schnellen Neuwahlen verlängert wurde, bot D’Alema die Gelegenheit, das Linksbündnis, das sich 1994 als zu schwach erwiesen hatte, zur Mitte hin zu erweitern. Als wichtigsten Verbündeten gewann er dafür den Bologneser Wirtschaftsprofessor und Exponenten des linken Flügels des PPI, Romano Prodi (Jg. 1939), der als Präsident des IRI (1982-1989) Verdienste bei der Sanierung des Staatskonzerns erworben hatte. Im Februar 1995 meldete Prodi seine Kandidatur für das Amt des Regierungschefs eines Mitte-Links-Bündnisses an. Im Zeichen des „Ölbaums" (L’Ulivo) sollte dieses die Mitte-Rechts-Allianz Berlusconis und Finis besiegen.

Zunächst einmal führte jedoch die Entscheidung Prodis zur Spaltung seiner eigenen Partei. Die nach der Selbstauflösung der DC im Januar 1994 als deren Nachfolgerin gegründete Volkspartei Italiens (Partito Popolare Italiano – PPI) – diesen Namen hatte schon die von Don Luigi Sturzo 1919 ins Leben gerufene Vorläuferin der DC getragen – wurde durch die zentrifugalen Kräfte einer Koalitionspolitik, die der Logik der Bipolarisierung folgte, auseinandergerissen. Die Auseinandersetzungen zwischen dem linken und dem rechten Flügel der Partei um die Frage, welchem politischen Lager sich der PPI anschließen sollte, spitzten sich derart zu, daß die beiden Flügel sich im Sommer 1995 als separate Parteien konstituierten: der von dem PPI-Parteisekretär Rocco Buttiglione, einem Philosophieprofessor mit besten Beziehungen zum Vatikan, geführte rechte Flügel als die „Cristiani Democratici Uniti" (CDU), wobei die Abkürzung die transnationale Verbindung zur großen deutschen Schwesterpartei unterstreichen soll, der linke Flügel unter Gerardo Bianco als verkleinerte Neuausgabe des PPI. Behielt die Linke den Parteinamen, so sicherte sich die Rechte bei der Erbteilung das traditionsreiche Parteiemblem, den gekreuzten Schild mit der Aufschrift Libertas, und beide Parteien teilten das DC-Hauptquartier an der Piazza del Gesù unter sich auf. Der PPI entschied sich für die Koalition mit D’Alema, die CDU schloß sich – wie schon zuvor das konservative Christlich-Demokratische Zentrum (Centro Cristiano Democratico – CCD) – dem Lager Berlusconis und Finis an.

Nachdem das neue Mitte-Links-Bündnis in den Regionalwahlen vom April/Mai 1995 seine erste Bewährungsprobe bestanden und in neun von fünfzehn Regionen – obschon teilweise knapp – den Sieg davongetragen hatte, markierte der PDS-Parteitag vom Juli 1995 mit dem Bekenntnis zum „schlanken Staat" eine linksliberale Profilierung des PDS und vollzog die quasi-offizielle Nominierung Prodis zum Spitzenkandidaten des Mitte-Links-Bündnisses bei den nächsten Parlamentswahlen. Da sich hinter der Kandidatur Prodis im Zeichen des Ölbaums ein gutes Dutzend politische Parteien und Gruppierungen sammelten – von PDS und PPI über die Grünen und Orlandos „Netzwerk" (Rete) bis hin zu den Initiativgruppen der Referendumsbewegung und den Restbeständen der Sozialisten und der Republikaner –, hing der Erfolg des Mitte-Links-Bündnisses wesentlich von der Fähigkeit des PDS ab, diesem Konglomerat von politischen Kräften wenn schon nicht ein scharfes programmatisches Profil, so doch eine glaubwürdige personelle Repräsentanz zu verleihen und über die Kandidatenaufstellung für die Einerwahlkreise die Koalitionsstimmen zu maximieren.

In den Wahlkampf zog der „Ölbaum" schließlich mit zwei höchst ungleichen Verbündeten: Ministerpräsident Dini, ein Mann des Großbürgertums und Verfechter einer konsequenten Sanierung des Staatshaushalts, gründete im Februar 1996 eine eigene Partei, Rinnovamento Italiano (Erneuerung Italiens), die ein Listenbündnis mit dem „Ölbaum" einging und dabei Dinis Popularität als Regierungschef in koalitionspolitische Verhandlungsmacht verwandelte. Mit den Altkommunisten der Rifondazione Comunista (RC), welche die Verteidigung des Wohlfahrtsstaates und den Widerstand gegen die Privatisierung von Staatsunternehmen auf ihre Fahnen geschrieben hatten, schloß der „Ölbaum" zwar kein Listenbündnis, traf aber Wahlabsprachen, die den Verzicht auf die Aufstellung von Kandidaten in bestimmten Einerwahlkreisen vorsahen und somit eine Zersplitterung des linken Stimmenpotentials vermieden.

Das Ergebnis der Wahlen vom 21. April 1996 stellte erneut die mehrheitsbildende Wirkung des neuen Wahlrechts unter Beweis, läßt aber zugleich eine relativ hohe Stabilität der Wählerpräferenzen erkennen, die sowohl für eine weiterhin starke Fragmentierung der parlamentarischen Repräsentation als auch ein ungefähres Gleichgewicht zwischen den beiden Lagern gesorgt hat. Aufgrund seines Vorsprungs bei den nach Mehrheitswahl zu besetzenden Sitzen konnte das Mitte-Links-Lager unter Einschluß der 35 Sitze der RC in der Abgeordnetenkammer 430 von 630 Sitzen (50,8 Prozent) erringen, während das Mitte-Rechts-Bündnis nur 246 oder 39 Prozent der Sitze gewann. Bei den in der Verhältniswahl abgegebenen Stimmen überflügelte freilich die Mitte-Rechts-Koalition mit 16,48 Mio. Stimmen die Mitte-Links-Koalition, die – wiederum unter Einschluß der RC – nur 16,27 Mio. Stimmen für sich verbuchen konnte. Die fortdauernde Fragmentierung der parlamentarischen Repräsentation wird daraus ersichtlich, daß seit 1996 immer noch 13 Parteien oder Gruppierungen in der Abgeordnetenkammer vertreten sind gegenüber 16 im Jahr 1994.

Bemerkenswert ist das Abschneiden der Lega Nord. Wegen der Konzentration ihrer Wählerschaft in einigen Hochburgen konnte sie 39 Wahlkreise direkt erobern und mit 59 Abgeordneten in die Kammer einziehen. Bei einem Stimmenanteil von 12,9 Prozent in der Verhältniswahl gewann sie immerhin 9,4 Prozent aller Sitze in der Abgeordnetenkammer. Es liegt auf der Hand, daß das Mitte-Rechts-Bündnis durch den Alleingang der Lega erheblich geschwächt wurde. Hinzu kam, daß die Traditionalisten des MSI, die sich beim Gründungskongreß der Alleanza Nazionale (Januar 1995) abgespalten hatten, als Movimento Sociale Italiano-Fiamma Tricolore eigene Kandidaten präsentierten. Diese konnten zwar bei einem Ergebnis von 1,7 Prozent der Stimmen in der Mehrheitswahl und 0,9 Prozent in der Verhältniswahl keine Mandate erlangen, aber brachten nach einer Modellrechnung die Mitte-Rechts-Koalition um 36 Sitze in der Kammer. Paradoxerweise stärkte die Verkleinerung des Mitte-Rechts-Bündnisses nicht dessen Zusammenhalt, sondern schwächte ihn, indem sie das Gravitationszentrum des Bündnisses nach rechts hin verschob und der Alleanza Nazionale im Norden zu größerem koalitionspolitischen Gewicht verhalf. Dadurch wurde die Führungsrolle Berlusconis gemindert und die Position Finis aufgewertet.

Zur Erklärung der Niederlage der Mitte-Rechts-Koalition ist ferner zu berücksichtigen, daß diese in den Einerwahlkreisen der Mehrheitswahl bei weitem nicht alle Wähler für sich gewinnen konnte, die ihre Stimme für eine der drei Listen – Forza Italia, Alleanza Nazionale, CCD-CDU – in der Verhältniswahl abgaben. Für die mangelnde „Disziplin" bei der Wahl der Koalitionskandidaten dürften zwei Faktoren verantwortlich gewesen sein: ein negativer Koalitionseffekt, in dem Sinne, daß viele Wähler die Koalitionsentscheidung ihrer Partei nicht billigten, und ein negativer Führungseffekt in dem Sinne, daß die Wähler dem Spitzenkandidaten der Koalition eine Absage erteilten. Der erste Effekt dürfte der Gewichtsverschiebung innerhalb des Mitte-Rechts-Bündnisses zuzurechnen sein, der zweite dem Umstand, daß Berlusconi angesichts seines Scheiterns als Regierungschef, der Ermittlungen der Justiz gegen ihn und eines mit schrillen Tönen und demagogischen Versprechungen geführten Wahlkampfs gegenüber seinem Debüt auf der politischen Bühne an Anziehungskraft eingebüßt hatte. Demgegenüber strahlte der Spitzenkandidat Prodi Mäßigung, Seriosität und Kompetenz aus und erreichte mit einem Wahlprogramm, das den Ruf nach Stärkung der Marktkräfte und der Privatisierung von Staatsunternehmen mit der Verpflichtung auf den Wohlfahrtsstaat zum Schutz der Schwachen verband, auch viele traditionell bürgerliche Wähler.

Über die Kräfteverhältnisse innerhalb der beiden Lager geben die Ergebnisse der Verhältniswahl, welche die Parteipräferenzen der Wähler ausdrücken, Auskunft (vgl. Tab. 1). Mit einem Stimmenanteil von 21,1 Prozent erwies sich der PDS als stärkste Partei überhaupt und als die dominierende Kraft des „Ölbaums". Mit 8,6 Prozent ging die von dem ehemaligen Gewerkschaftsfunktionär Bertinotti geführte Rifondazione Comunista als zweitstärkste Formation des Mitte-Links-Bündnisses aus den Wahlen hervor. Die Liste des PPI (mit der Südtiroler Volkspartei und weiteren kleinen Verbündeten) kam auf 6,8 Prozent. Die Grünen scheiterten mit 2,5 Prozent an der 4-Prozent-Klausel, sind also nur mit den in der Mehrheitswahl vom „Ölbaum" unterstützten Kandidaten im Parlament vertreten. Die Liste Dini-Rinnovamento Italiano erzielte 4,3 Prozent der Stimmen. Innerhalb des Mitte-Rechts-Bündnisses sind die Gewichte weniger ungleich verteilt. Berlusconis Forza Italia erzielte mit 20,6 Prozent ein Ergebnis, das dem des PDS sehr nahe kam, doch konnte die Alleanza Nazionale seines Bündnispartners und Rivalen Fini 15,7 Prozent der Stimmen erringen. Die dritte Formation des „Pols der Freiheiten", die Liste CCD-CDU, mußte sich mit 5,8 Prozent begnügen.

Weil zwischen den beiden Lagern ein ungefähres Kräftegleichgewicht besteht, verfügen die kleinen Koalitionspartner jeweils über eine starke Verhandlungsmacht bzw. ein beachtliches Erpressungspotential. Dies gilt insbesondere für die Rifondazione Comunista, die an der Regierung Prodi nicht beteiligt ist, sondern sie im Parlament stützt, dafür aber von Fall zu Fall ihren Preis verlangt. Beide Koalitionen sind heterogen und mitnichten stabil. Mehr noch als ideologisch-programmatische Differenzen sind dafür eine zur Sucht gesteigerte Streitlust der Politiker und Rivalitäten zwischen Zaunkönigen verantwortlich. Gleichzeitig gedeihen Pläne für die Fusion von Splitterparteien der linken Mitte oder die Schaffung einer großen Parteienföderation des Mitte-Rechts-Bündnisses, ebenso Szenarien wie die Abwerbung Dinis von der Mitte-Links-Koalition oder die von Forza Italia und PDS geführte große Koalition, mit der Berlusconi zeitweise liebäugelt. Auch wenn es sich dabei meist um taktisch motivierte Sandkastenspiele handelt, schaffen sie ein Klima von Spannung, Betriebsamkeit und Intrige, das für viele Akteure den Reiz der „politique pure" ausmacht.

Obwohl die Regierungskoalition wie das Oppositionsbündnis alles andere als geschlossen sind und in ihrer Handlungsfähigkeit durch innere Auseinandersetzungen behindert werden, ist nicht zu übersehen, daß das Mitte-Rechts-Bündnis strukturell schwächer ist als die Mitte-Links-Koalition. Forza Italia steht und fällt bis auf weiteres mit Berlusconi und hat bisher wenig Fortschritte beim Aufbau einer Parteiorganisation gemacht, sondern von den personellen und finanziellen Ressourcen des Fininvest-Konzerns gelebt. Berlusconi wiederum hat in Fini einen Rivalen um die Führung, dessen Partei über eine eingespielte Organisation verfügt, selbst wenn der Mitgliederbestand weit niedriger sein dürfte als offiziell ausgewiesen (1995: 468 000) und die Effizienz des Apparats des MSI gewöhnlich überschätzt worden ist. Das „Ölbaum"-Bündnis wird von einer dominanten Partei angeführt, die immer noch über den höchsten Mitgliederbestand (1995: 682 000) und die stärkste Organisation verfügt. Ihr Chef D’Alema ist auf dem PDS-Parteitag im Februar 1997 mit einer Mehrheit von 88 Prozent in seinem Amt bestätigt worden. Der Architekt der Regierungskoalition ist auch ein versierter Taktiker, der sich zusammen mit dem Regierungschef der Aufgabe widmen muß, eine prekäre parlamentarische Mehrheit zusammenzuhalten, und gleichzeitig die politischen Ambitionen Prodis zu zügeln entschlossen ist. Angesichts der Schwäche der Mitte-Rechts-Opposition kann die Rifondazione Comunista die Doppelrolle der parlamentarischen Stütze der Regierung und des oppositionellen Volkstribunen spielen. Wie weit das Kalkül, sie werde nicht das Odium, eine Links-Regierung gestürzt zu haben, auf sich nehmen, die Regierung Prodi trägt, bleibt abzuwarten.

Solange die Lega Nord an ihrem separatistischen Programm festhält und mit symbolischen Provokationen den Anspruch auf die Unabhängigkeit „Padaniens" bekräftigt, ist sie für die anderen Parteien kein Koalitionspartner. Dies könnte sich ändern, wenn ihre Wähler nicht mehr durch maximalistische Positionen zu mobilisieren sind und Bossi als konsequentester Verfechter des Föderalismus auftreten würde. In diesem Fall würde die Lega nicht nur wieder am Koalitionsspiel teilnehmen, sondern ihr würde auch die Rolle des von beiden Lagern umworbenen Königsmachers zufallen.

Vieles spricht also dafür, daß die Transformation des italienischen Parteiensystems nach fünf Jahren noch keineswegs abgeschlossen ist. Das neue Wahlrecht hat zwar insofern eine begrenzte Bipolarisierung gefördert, als die Logik der Mehrheitswahl die Bildung von Koalitionen vor den Wahlen erzwingt. Eine wirkliche Flurbereinigung der Parteienlandschaft im Sinne eines Konzentrationsprozesses hat jedoch nicht stattgefunden. Die Vergabe eines Viertels der Sitze im Parlament durch Verhältniswahl bedeutet einen Artenschutz für kleinere Parteien, wenngleich die Vier-Prozent-Klausel Splitterparteien, deren Kandidaten nicht durch Listenverbindungen oder Absprachen in der Mehrheitswahl abgesichert sind, eliminiert. Die Stärkung des Persönlichkeitselements, die man sich von der Mehrheitswahl in Einerwahlkreisen erhofft hatte, ist nur in begrenztem Umfang eingetreten. Weil jeweils die Ansprüche mehrerer Koalitionspartner befriedigt werden müssen und die Kandidaten das Potential der Koalitionswähler möglichst ausschöpfen sollen, ist die Kandidatenaufstellung Sache der Parteizentralen geblieben. Bei weiterhin hoher Fragmentierung der Parteienlandschaft haben sich die Formen des Parteienwettbewerbs teilweise verändert. Wo etwa früher Flügel innerhalb der DC miteinander konkurrierten, stehen sie sich jetzt als Parteien, die verschiedenen Koalitionen angehören, gegenüber. Der durch das Wahlrecht ausgeübte Zwang zur Koalitionsbildung führt unter den gegebenen Verhältnissen dazu, daß der Parteienwettbewerb und damit die Konflikte innerhalb der Koalitionen tendenziell zunehmen. Dabei hat der Polarisierungsgrad insofern abgenommen, als keine größere Partei mehr von anderen als Antisystempartei definiert wird und generell als nicht koalitionsfähig gilt. Die Koalitionsgrenzen wiederum sind alles andere als festgefügt, wie die Diskussion über Seitenwechsel und Umgruppierungen anzeigt. Auch die Dauerhaftigkeit von Neugründungen ist mit einem Fragezeichen zu versehen. Da in den parlamentarischen Beratungen über die Reform des Regierungssystems erneut Änderungen des Wahlrechts zur Debatte stehen, ist die Parteienszene ebenso wie die Koalitionspolitik auch in Zukunft für Überraschungen gut.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-bibliothek | 9.1. 1998

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