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Euro und KMU : Chancen und Risiken einer einheitlichen Währung für die mittelständische Wirtschaft / von E. Ulrich Cichy. - [Electronic ed.]. - Bonn, 1997. - 11 S. = 42 Kb, Text . - (FES-Analyse)
Electronic ed.: Bonn: FES-Libary, 1998

© Friedrich-Ebert-Stiftung


INHALT








[Essentials:]

* Die Mehrzahl der deutschen Unternehmen ist auf die Währungsumstellung noch gar nicht vorbereitet. Gerade für den Mittelstand ergibt sich jedoch eine manifeste Notwendigkeit dazu.
* Die Euro-Einführung wird die KMU – vor allem die Kleinstunternehmen – überproportional belasten, da diese die Umstellungskosten nur auf vergleichsweise geringe Produktions- oder Verkaufsmengen aufschlagen können. Durch ihre Kundennähe sind sie zudem stärker von der doppelten Bargeldhaltung betroffen.
* Im Vergleich zu den Großunternehmen tragen die KMU die größeren Risiken bei der Währungsumstellung. Letztere werden von den steigenden Zinsen mehr belastet und haben einen erschwerten Zugang zu internationalen Kapitalmärkten.
* Ähnlich dem Binnenmarktprojekt 1993 wird auch die Euro-Einführung einer weiteren Unternehmenskonzentration und damit einem stärkeren Wettbewerbsdruck unter den KMU Vorschub leisten.
* Die einheitliche Währung schafft eine größere Transparenz für ausländische Kunden über das Angebot deutscher Unternehmen mit der Konsequenz, daß die Nachfrage bei wettbewerbsfähigen Erzeugnissen ansteigt.
* Bedingt durch die gleichzeitig stattfindenden Prozesse der Euro-Einführung und der EU-Osterweiterung werden die EU-Länder und deren Unternehmen, die an der Währungsunion teilnehmen, Anfang des nächsten Jahrzehnts einen doppelten Strukturbruch zu bewältigen haben.

[Einleitung]

Lange Zeit war in Deutschland die Diskussion um die gemeinsame europäische Währung ruhig und verhalten. Nachdem die Einführung des Euro jetzt als relativ sicher gilt, interessiert sich ein größerer Teil der Bevölkerung für die Auswirkungen der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion.

Die verzögerte Wahrnehmung der weitreichenden Konsequenzen der Euro-Einführung auch seitens der Unternehmen ist z.T. auf die in Deutschland übliche Auseinandersetzung mit europäischen Fragen zurückzuführen: Während in anderen europäischen Staaten vergleichsweise offen über das Für und Wider europäischer Integrationsschritte gesprochen wird, findet hier nur bedingt die gebotene grundsätzliche Erörterung statt. Vorwiegend werden lediglich Fragen diskutiert, wie die einmal beschlossenen Maßnahmen „besser" oder „noch besser" umgesetzt werden können. Da hierbei kritische Aspekte nicht hinreichend offen angesprochen werden, findet auch die mentale Vorbereitung auf die Veränderungen verzögert statt. So glaubten viele deutsche Unternehmen lange Zeit, daß es trotz der anderslautenden öffentlichen Verlautbarungen nicht oder erst verzögert zur Einführung des Euro kommen wird. 86 % der Unternehmen haben nach letzten Umfragen noch nicht mit den Vorarbeiten zur Währungsumstellung begonnen. Kommt der Euro, besteht die Gefahr, daß die Unternehmen sich zu spät mit den konkreten betrieblichen Veränderungen auseinandersetzen, die die gemeinsame europäische Währung notwendig machen wird.

Tatsächlich ergibt sich gerade für den Mittelstand eine manifeste Notwendigkeit, sich mit dem Euro auseinanderzusetzen. Es ist keinesfalls so, daß die Auswirkungen der Währungsunion für alle Betriebsgrößen gleich sein werden. Kleine und mittlere Unternehmen (KMU) müssen mit ganz spezifischen Effekten rechnen. Deshalb ist deren Identifizierung notwendig, um die Einführung des Euro wirtschaftspolitisch und betriebswirtschaftlich zu begleiten. Darüber hinaus sind Ansatzpunkte zu benennen, an denen die KMU mit eigenen Anpassungsschritten ansetzen müssen.

Die Notwendigkeit der Beantwortung mittelstandsspezifischer Fragestellungen ergibt sich vor allem aus der großen Bedeutung der KMU für die deutsche Wirtschaft. Die KMU, d.h. die Unternehmen mit bis zu 500 Beschäftigten, stellen in Deutschland 99,6 % der Unternehmen. Sie beschäftigen 64 % der Arbeitnehmer und erbringen 52 % der Bruttowertschöpfung des Unternehmenssektors.

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Gute Argumente für den Euro

Vielen KMU stellen sich besondere Probleme bei ihren außenwirtschaftlichen Aktivitäten. Sie verfügen über begrenzte Management- und Organisationskapazitäten, haben oft nachteiligere Finanzierungspotentiale und engere Problemverarbeitungsspielräume als Großunternehmen.

Hinzu kommen viele Kosten und Risiken, die sich aus dem internationalen Geldverkehr ergeben. Dies sind z.B. die Transaktionskosten, die aus der Zahlung und Abrechnung in unterschiedlichen Währungen herrühren. Hinzu kommen Kosten aufgrund von Wechselkursschwankungen bzw. entsprechend notwendigen Kurssicherungsgeschäften. Die Devisenmanagementkosten betragen rund 0,8 % des Bruttoinlandsprodukts der EU. Somit ergibt sich aus der Sicht der KMU zunächst ein großes Interesse an einer gemeinsamen Währung in Europa. Mit dem Euro findet der Europäische Binnenmarkt seine monetäre Vollendung – neben dem freien Waren-, Dienstleistungs-, Kapital- und Personenverkehr wird auch ein einheitlicher Zahlungsraum entstehen.

Im einzelnen sind die folgenden Verbesserungen durch die Euro-Einführung zu erwarten:

– Es entsteht eine größere Sicherheit bei Preis- und Kostenvergleichen, d.h. eine höhere Wettbewerbstransparenz;

– Kosten- und Zeitbedarf für die zwischenbetrieblichen Zahlungsströme werden verringert;

– das Währungsrisiko wird bei allen Verträgen und Lieferungen im Geltungsbereich der Wirtschafts- und Währungsunion ausgeschaltet;

– transparentere Finanzmärkte erleichtern die Finanzierungsmöglichkeiten;

– Kalkulations- und Planungssicherheit wachsen;

– Währungstausch und Wechselkurssicherung entfallen;

– Gründung und Kontrolle von Vertretungen, Niederlassungen, Tochtergesellschaften im europäischen Ausland u.ä. werden erleichtert;

– Standortvergleiche erfahren eine deutliche Vereinfachung;

– aus Rationalisierungsvorsprüngen und Lohnkosteneinsparungen resultierende Wettbewerbsvorteile werden nicht mehr durch die Aufwertung der D-Mark entwertet.

Der Euro verschafft den KMU somit verbesserte Möglichkeiten, Chancen unterschiedlicher Märkte zu erkennen und zu nutzen. Auch wenn die deutschen Unternehmen bislang wenig Hoffnung haben, daß der Euro zu einem starken Nachfrageschub nach heimischen Produkten führt, dürfte bei wettbewerbsfähigen Erzeugnissen die Nachfrage ansteigen, weil die einheitliche Währung ausländischen Kunden mehr Transparenz über das Angebot deutscher Unternehmen verschafft. Damit wird aber auch die Notwendigkeit der Präsenz auf den anderen europäischen Märkten zunehmen. Jedes fünfte deutsche Unternehmen sah deshalb 1996 in der Euro-Einführung den Anlaß zu umfangreicheren Direktinvestitionen in den teilnehmenden EU-Ländern. Und dies kann für KMU der Anfang eines Aufbruchs in fernere Märkte auch in Übersee sein.

Die Direktinvestitionen sind auch Anzeichen für eine Verstärkung der kostensenkenden Arbeitsteilung in der EU. Das erwartete Nachfrageverhalten der Unternehmen geht ebenfalls in diese Richtung; mindestens jedes dritte Unternehmen wird verstärkt Zulieferungen aus dem Euro-Raum beziehen.


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Braucht der Mittelstand den Euro?

Die Sinnhaftigkeit der Euro-Einführung hängt aus der Sicht des Mittelstands aber auch davon ab, ob er selbst überhaupt eine relevante innereuropäische Außenhandelsverflechtung hat bzw. diese mit Hilfe des Euros ausbaut. Hier sind Vorbehalte angebracht: Die Exportquote der KMU z.B. im produzierenden Gewerbe beträgt deutlich unter 20 %, so daß sich gegenwärtig die positiven Effekte der gemeinsamen Währung auf maximal ein Fünftel der Umsätze auswirken würden.

Die Exportquoten einzelner Branchen der KMU werden für die Bundesrepublik statistisch nicht aufgeschlüsselt. Für Nordrhein-Westfalen, das mehr als ein Fünftel der deutschen Ausfuhren bestreitet, gelten für die Unternehmensgröße von 200 bis 499 Beschäftigten z.B. die folgenden Exportquoten: Bergbau 48 %, Gummiverarbeitung 43 %, Maschinenbau 39 %, Eisenschaffende Industrie 37 %, Straßenfahrzeugbau, KFZ-Reparaturen 19 %, Gießereiwirtschaft 16 %, Holzverarbeitung 13 %, Hohl- und Flachglasindustrie 12 %, Stahl- und Leichtmetallbau, Schienenfahrzeuge 10 %, Ernährungsgewerbe 6 %.

Für das Handwerk hingegen haben Exporte eine sehr geringe Bedeutung: Die Exportquote des Handwerks beträgt für Deutschland insgesamt nur 1,8 %. Lediglich 3,1 % der Handwerksunternehmen exportieren. Innerhalb des Handwerks ergibt sich nach Produktgruppen ebenfalls eine erhebliche Spannbreite bei den Exportquoten. Diese betragen z.B. in den Bereichen Fahrzeugbau und Herstellung von Musikinstrumenten 15 %, beim Maschinenbau 13 % und bei der Metallerzeugung und -verarbeitung 10,5 %. Dagegen stehen der Handel und das Reparaturgewerbe mit 1,1 %, die Dienstleistungen für Unternehmen mit 0,7 % und das Baugewerbe mit 0,5 %. Im grenznahen Bereich steigt die Exportintensität allerdings z.T. deutlich an. Dies läßt darauf schließen, daß dort Exportchancen schon heute besser erkannt und genutzt werden.

Die geringe Außenhandelsverflechtung macht deutlich, daß gegenwärtig viele KMU die Vorteile einer gemeinsamen Währung nur bedingt nutzen könnten. Doch für die Zukunft gibt es hier deutliche Unterschiede: Der mittelständischen Industrie setzt der Euro nachhaltige Anreize, die Ausfuhren zu erhöhen. Anderen Branchen (z.B. konsumorientiertes Handwerk, Einzelhandel) bleibt es wegen der geringen Betriebsgrößen bzw. der Regional- bzw. Kommunalorientierung verwehrt, eine umfassende Exportstrategie zu entwickeln. Auch die indirekte Außenhandelsverflechtung über die Zulieferung zu Großunternehmen führt dabei zu keiner grundlegend anderen Bewertung; Währungsfragen dürften bei der Zusammenarbeit nur mittelbar und entsprechend des Abhängigkeitsgrads vom jeweiligen Großunternehmen durchschlagen.

Die Exportquote der Großbetriebe des produzierenden Gewerbes beträgt dagegen nahezu 40 % und dürfte in der Tendenz mit zunehmenden Unternehmensgrößen ansteigen. Großunternehmen werden somit von Anfang an deutlich stärker von der Stabilität der einheitlichen Währung durch den Euro profitieren.

Der Euro ist jedoch nicht wegen des Wegfalls der Wechselkurse von Bedeutung. Die Änderung einer Währungsordnung stellt einen Strukturbruch dar, dem sich kein Unternehmen und kein Wirtschaftszweig entziehen kann. Der Strukturbruch schlägt sich zum einen im betrieblichen Anpassungsbedarf an die neue Währung nieder. Darüber hinaus werden sich auch das unternehmerische Umfeld, die gesamtwirtschaftlichen Rahmenbedingungen, verändern.


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Auswirkungen der Konvergenzpolitik: Sparen für den Euro

Wesentliche unmittelbare Auswirkungen der Euro-Einführung sind bereits heute spürbar. Nachdem 1994 die Vorbereitungsphase für die schrittweise Einführung des Euro abgeschlossen war, befinden wir uns nun in der bis 1999 dauernden Konvergenzphase. In dieser Phase findet die Auswahl der an der Wirtschafts- und Währungsunion teilnehmenden Länder statt bzw. müssen diese die für die Teilnahme qualifizierenden Kriterien erfüllen.

Die Maastrichter Konvergenzkriterien setzen wie die Glieder einer Kette beim Wechselkurs an:

– Zunächst ist festgelegt, daß die Wechselkurse der teilnehmenden Länder in den beiden Jahren vor der Konvergenzprüfung in 1998 in den vorgesehenen Bandbreiten verbleiben.

– Da Wechselkursveränderungen von der monetären Seite her wesentlich durch Unterschiede zwischen den nationalen Inflationsraten und Zinssätzen beeinflußt werden, sieht der Maastrichter Vertrag für diese Kettenglieder Mindestbedingungen für das letzte Jahr vor der Konvergenzprüfung vor.

– Als letzte Glieder kommen die Staatsverschuldungskriterien zum Tragen, da öffentliche Defizite ihrerseits auf Preise und Zinsen einwirken. Die Staatsverschuldungskriterien normieren das jährliche Defizit und den Gesamtschuldenstand auf bestimmte Referenzwerte.

Während sich bei den Wechselkurs-, Zins- und Inflationskriterien weitgehend positive Entwicklungen abzeichnen, bestehen in den meisten europäischen Ländern deutliche Probleme, den Anforderungen an die Staatsverschuldung zu entsprechen. Selbst die traditionell äußerst stabilitätsorientierte Bundesrepublik könnte deshalb gegenwärtig wohl kaum am Euro teilnehmen.

Ungeachtet der Frage, ob die bestehende Staatsverschuldung tatsächlich eine nachhaltige Wirkung auf Preise, Zinsen und Wechselkurse hat oder ob nicht z.B. die europäischen Kapitalmärkte auf eine bestimmte Beanspruchung durch die Gebietskörperschaften eingestellt sind, sind die Verschuldungskriterien für die europäischen Regierungen ein willkommenes Argument, die Staatsdefizite und damit auch den Staatsanteil am Sozialprodukt sowie die staatliche Nachfrage zurückzuführen. Dieses Argument wird durch die durch den verschärften internationalen Wettbewerb bedingten Anpassungszwänge noch verstärkt. Damit zeigt das „Sparen für den Euro" schon heute unmittelbare Auswirkungen.

Folgt man der öffentlichen Diskussion, so haben die breite Masse der Bürger und Steuerzahler, vor allem aber besondere Gruppen wie Arbeitslose, Krankenversicherte und Bergleute die Anpassungslasten zu tragen. Bei dieser Sichtweise wird jedoch vernachlässigt, daß aufgrund der Sparpolitik auch Nachfrage bei den Unternehmen ausfällt. Es ist anzunehmen, daß die Unternehmen um so stärker betroffen sind, je mehr ihr Absatz auf Deutschland und die EU-Länder konzentriert ist bzw. je stärker sie sich unmittelbar an den Konsumenten wenden. In der Tendenz sind deshalb weniger die (Groß-) Unternehmen z.B. der Automobilindustrie, der Chemiewirtschaft und der Elektrotechnik betroffen, die ihre Erzeugnisse zu einem großen Teil international vermarkten, sondern die regional und kommunal orientierten Handels- und Gewerbeunternehmen.

Die relativ stärkeren Belastungen durch die Sparpolitiken, denen KMU im Vergleich zu international agierenden Großunternehmen ausgesetzt sind, wirken sich auch bei der Beurteilung der in Deutschland anstehenden Steuerreform aus. Diese kommt Großunternehmen, die außerhalb Europas tätig sind, mehr als den KMU zugute. Die Vorteile der Steuerreform werden bei den KMU allenfalls die durch die Haushaltskonsolidierung erlittenen absoluten Nachteile kompensieren. Im Vergleich zu den Großunternehmen jedoch, die schon bei der Sparpolitik relativ geringere Nachteile erlitten und aus der Steuerreform relativ größere Vorteile ziehen werden, wird sich die Wettbewerbssituation weiter verschlechtern.

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Auswirkungen der Währungsumstellung

In Abhängigkeit von der Festlegung der Teilnehmer in 1998 kann 1999 mit der Umstellungsphase die Einführung des Euro beginnen. Ab dem 1. Januar 1999 wird der Euro als Buchgeld geschaffen und neben den nationalen Währungen wirksam; ab dem 1. Januar 2002 sind dann in einem Zeitraum von maximal sechs Monaten alle Zahlungen und Werte auf den Euro umzustellen. Parallel erfolgt die Ausgabe des Euro-Bargelds, die spätestens zum 30. Juni 2002 abgeschlossen sein soll; danach ist der Euro einziges gesetzliches Zahlungsmittel.

Parallel zur schrittweisen Euro-Einführung entstehen den Unternehmen in der Intensität zunehmende Anpassungslasten:

– Bereits in der bis 1999 andauernden Konvergenzphase ergeben sich umfassende Handlungsnotwendigkeiten. Diese beginnen bei speziellen Ausbildungsmaßnahmen für das Personal und bei der Fortentwicklung der EDV-Systeme. Beide Komponenten müssen bereit sein, ab 1999 zwei Preisangaben (in D-Mark und in Euro) reibungslos in den Betriebsablauf und das Rechnungswesen zu integrieren. Es entstehen dabei zusätzliche Personalkosten und Aufwendungen für die Fortentwicklung von EDV-Formularen und -Software sowie von entsprechenden Hardware-Kapazitäten. Darüber hinaus sind Preislisten, Kataloge und ähnliches neu zu drucken und auch auf Euro auszuweisen, das gilt auch für Verträge mit Zulieferern und Abnehmern.

Bei stark internationalisierten Branchen wie z.B. der Automobilindustrie ist mit einer kurzfristigen Umstellung des gesamten Zahlungsverkehrs auf den Euro zu rechnen. Dies wird dann auch unmittelbar auf die mittelständischen Zulieferer durchschlagen.

– Spätestens bis Beginn der Umstellungsphase am 1. Januar 1999 muß dann das einzelbetriebliche Kalkulations- und Preisgefüge völlig neu gestaltet werden. Dies gilt insbesondere für den Handel. Normierte Rundungsbeträge werden sich nach Umrechnung in „krumme" Endziffern verwandeln („ALDI-Beispiel": Bei einem Kurs von z.B. 1 Euro = 1,85 DM werden aus 1,98 DM 1,07 Euro, aus 5,98 DM 3,23 Euro und aus 9,98 DM 5,39 Euro.) Die notwendige Anpassung kann von der Neugestaltung von Gebinde- und Packungsgrößen in der Logistik bis hin zu einem veränderten Marketing führen. Besonders betroffen sind hier alle Anbieter, die Automatenverkauf betreiben oder an feste Berechnungssysteme gebunden sind. So sind allein 3,2 Millionen Münzautomaten zu erneuern. Alle diese Maßnahmen müssen am 1. Januar 2002 abgeschlossen sein.

Wenn am 1. Januar 2002 der abschließende Währungsaustausch beginnt, sind die Preise ein halbes Jahr lang zweifach (in D-Mark und in Euro) auszuweisen. Hinzu kommt die doppelte Kassenhaltung, da beide Währungen parallel Geltung haben.

– Wegen der doppelten Währungsauszeichnung wird die abschließende endgültige Währungsumstellung mit dem größten einzelbetrieblichen Handlungsbedarf verbunden sein. So sind neben der jeweils zweifachen Preisauszeichnung entsprechend die Kassen- und Buchhaltungssysteme betroffen. Der Einzelhandel erwartet Umstellungskosten in Höhe von 3 % des jährlichen Umsatzes, das entspricht 29,9 Mrd. D-Mark. Diese Kosten würden sich auf 13,8 Mrd. D-Mark verringern, wenn sich die Währungsumstellung von einem halben Jahr auf zwei Wochen verkürzen würde („Big-Bang"). Bei der beschleunigten Währungsumstellung entstünden für den Bereich „Verkaufsraum" anstatt 5,1 Mrd. D-Mark nur Umstellungskosten in Höhe von 1,4 Mrd. D-Mark.

– Nach der Umstellungsphase wird sich abschließend die Notwendigkeit ergeben, Kataloge, Preislisten, Buchungssysteme etc. auf den dann ausschließlich geltenden Euro umzustellen.

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Degression der Umstellungskosten gemäß Branchen- und Betriebsgrößen

Die Kosten der Währungsumstellung lassen sich kaum abschätzen. Voraussagen, daß die gesamtwirtschaftlichen Kosten in Deutschland 150 Milliarden DM betragen werden, geben ein nur wenig verläßliches Bild. Noch schwerer sind die Belastungen für einzelne Branchen oder gar Unternehmen vorherzusagen. So variieren beispielsweise die Umstellungskosten für die EDV-Anlagen nicht nur in Abhängigkeit von der Produktions- und Erzeugnisstruktur der Unternehmen; hinzu kommt beispielsweise die Frage, ob Unternehmen nur an einem oder an mehreren Standorten tätig sind. Im zweiten Fall sind bei der EDV-Anpassung die Abstimmungsbedürfnisse der unterschiedlichen Unternehmensteile einzubeziehen. Dies dürfte vor allem bei Niederlassungen in mehreren EU-Ländern mit zusätzlichem Aufwand verbunden sein.

Es gibt jedoch zwei allgemeine Anhaltspunkte für die Einschätzung der Kostenbelastung:

Branchenzugehörigkeit: Je näher ein Unternehmen beim Endverbraucher angesiedelt ist und je geringer die produzierten bzw. verkauften Einzelmengen sind, desto größer ist die Kostenbelastung. Dies rührt daher, daß z.B. für konsumentenferne Industrieunternehmen mit bedeutenden Losgrößen die Euro-Einführung ein weitgehend technisch-organisatorisches Problem ist, während für den Einzelhandel Belastungen doppelter Preisauszeichnung und doppelter Kassenführung entstehen.

Unternehmensgröße: Die Aufwendungen für die Euro-Einführung werden einen degressiven Verlauf in Abhängigkeit von der Unternehmensgröße nehmen. Bei industriellen Großunternehmen tritt der Fixkostensprung durch die Anpassung von Organisation und EDV hervor, der auf viele Einzelprodukte umgelegt werden kann. Bei Einzelhandelsbetrieben entstehen jedoch unterschiedliche variable Kosten, die, wie z.B. die doppelte Preisauszeichnungspflicht und Kassenhaltung, mit der Anzahl der umgesetzten Güter korrelieren.

Insgesamt wird die Euro-Einführung die KMU und vor allem die Kleinstunternehmen überproportional belasten, da sie die Umstellungskosten nur auf vergleichsweise geringe Produktions- oder Verkaufsmengen aufschlagen können. Zudem sind sie wegen der Kundennähe stärker von der doppelten Bargeldhaltung im Jahr 2002 betroffen.

Die Kostendegression in Abhängigkeit von den Unternehmens- bzw. Losgrößen ist ein generelles Phänomen, das für alle Wirtschaftsbereiche gilt. So werden für die Sparkassen und Genossenschaftsbanken höhere Kosten als für die Großbanken im Bereich der Depotverwaltung entstehen. Sparkassen und Genossenschaftsbanken verwalten viele kleine Depots, deren Umstellung aufwendiger ist als bei den großen Beständen der mächtigen Wettbewerber.


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Vergessene Rahmenbedingungen der Euro-Einführung

Zu den Belastungen der Euro-Einführung gehören freilich nicht nur die Kosten, die einzelbetrieblich durch die Umstellung entstehen. Zu berücksichtigen sind auch Veränderungen in den gesamtwirtschaftlichen Rahmenbedingungen, die durch den Euro angestoßen werden. Die Maastrichter Kriterien sehen hier zwar eine stabilitätsorientierte Normierung vor, um unerwünschte Ergebnisse zu verhindern. Die Kriterien greifen jedoch zu kurz, um einen sinnvollen Startpunkt für die Einführung einer gemeinsamen Währung festlegen zu können. Zu berücksichtigen sind zwei weitere Faktoren:

– Die Maastrichter Kriterien zielen vor allem auf eine Angleichung der finanzwirtschaftlichen Rahmenbedingungen, realwirtschaftliche Disparitäten sind damit nur unzureichend berücksichtigt – sie behandeln die Symptome, aber nicht die Ursachen unterschiedlicher Ausgangsbedingungen in der EU: Die europäischen Staaten sind (noch) zu uneinheitlich, um sich dauerhaft in die gleiche Richtung zu entwickeln, geschweige denn die gleichen Einkommens- und Wohlfahrtsbedingungen zu haben. So schwanken in der EU die jährlichen Pro-Kopf-Einkommen (Daten von 1994) von 28.000 $ in Dänemark und 7.700 $ in Griechenland; die Stundenlöhne in Portugal betragen rund ein Fünftel der deutschen. Ursache hierfür sind u.a. die Unterschiede in der Kapitalausstattung und in der Arbeitsproduktivität: 1994 hatte Belgien mit einem Bruttoinlandsprodukt von 50.240 $ die größte Arbeitsproduktivität pro Erwerbstätigen; Finnland erreichte 82 %, Großbritannien 69 %, Spanien 60 % und Portugal 28 % dieses Wertes. Es gibt bis heute keine Politikstrategie für die Politikbereiche Finanz-, Sozial- und Regionalpolitik, die auf diese Unterschiede unter Euro-Bedingungen eingeht. Der Euro wird den Wettbewerb zwischen den EU-Ländern verstärken und damit noch mehr Unterschiede offenlegen. Dies wird nicht ohne Anpassungsreaktionen bleiben, die z.B. zu Produktionsverlagerungen, Migration von Arbeitskräften und zu einer noch stärkeren regionalen Differenzierung führen können.

– Ebenfalls vernachlässigt wird bislang, daß aufgrund der aktuellen Zeitpläne die Euro-Einführung und die EU-Osterweiterung parallel verlaufen. Die mittelosteuropäischen Beitrittsländer werden die Spannbreite des realwirtschaftlichen Auseinanderdriftens in der EU noch erheblich erweitern. Das jährliche Pro-Kopf-Einkommen von Slowenien als dem „reichsten" Land in Mittelosteuropa liegt mit 7.000 $ noch deutlich hinter dem Griechenlands zurück. Es folgen die EU-Beitrittskandidaten Ungarn mit 3.900 $, die Tschechische Republik mit 3.500 $ und Polen mit 2.400 $. Die Löhne in Ungarn liegen 50 % unter denen in Portugal; die der anderen Beitrittsländer sind noch deutlich geringer. Zudem läßt sich die Arbeitsproduktivität der mittelosteuropäischen Länder nur bedingt mit denen in Westeuropa vergleichen. Da sie bei gegebener Datenlage für Ungarn 11 %, für die Tschechische Republik 9 % und für Polen nur 6 % des belgischen Niveaus beträgt, besteht dringender Anlaß zum Nachdenken. Hinter diesen Zahlen steht jedoch nicht nur der Rückstand in der Industrie, sondern auch der große Anteil der Landwirtschaft an der gesamtwirtschaftlichen Erzeugung. Die Osterweiterung kann den Beitrittsländern nur bedingt Rechte der bisherigen Mitglieder vorenthalten. Aus diesem Grund ist nicht nur mit einer starken Zuwanderung von Arbeitnehmern und einer wachsenden Einfuhr mittelosteuropäischer Waren zu rechnen. Darüber hinaus kommt es zu einer Verlagerung von Beihilfen von den bisherigen Empfängerländern hin zu den neuen Mitgliedern, wenn die europäischen Transfermechanismen nicht verändert werden.

Die EU, die Länder der Währungsunion und deren Unternehmen werden somit Anfang des nächsten Jahrzehnts einen doppelten Strukturbruch (Euro-Einführung und EU-Osterweiterung) zu bewältigen haben.

Dieser doppelte Strukturbruch wird zu grundlegenden Veränderungen der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen in der EU führen. Dabei sind zwei Entwicklungsrichtungen denkbar:

Szenario 1: Euro-Einführung und EU-Osterweiterung werden von den EU-Volkswirtschaften ohne größere Friktionen angenommen und verkraftet. Bei diesem „Positiv-Szenario" führen die größere Transparenz und Offenheit der Märkte dazu, daß die deutsche Wirtschaft neue Absatzpotentiale erschließen kann, ein Importpreisdruck durch preisgünstigere ausländische Anbieter aber nur begrenzt eintritt. Unter diesen Bedingungen würden die Preisgestaltungsspielräume und die Wettbewerbsverhältnisse in Deutschland lediglich in einem begrenzten Umfang berührt. Wenn zudem die Euro-Länder an der Tendenz abnehmender Staatsschulden und an höherer Preisstabilität festhalten, dann ist auch nicht mit einem Preisniveau- und Zinsanstieg zu rechnen. Darüber hinaus käme eine leichte Abwertungstendenz des Euro den deutschen Exporten zu Gute.

Szenario 2: Euro-Einführung und EU-Osterweiterung führen zu erheblichen negativen Veränderungen der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen. In diesem „Negativ-Szenario" kommt es wegen der größeren Transparenz und Offenheit der Märkte nicht nur zu Absatzproblemen der deutschen Wirtschaft auf anderen EU-Märkten; der Preisdruck durch ausländische Anbieter führt zu Gewinnschmälerungen, zu Unternehmensschließungen und zu einer zunehmenden Unternehmenskonzentration in Deutschland. Darüber ist die dauerhafte Verwirklichung der Maastrichter Kriterien nicht durchzusetzen – Staatsverschuldung und Inflation steigen in einzelnen EU-Ländern an. Nicht zuletzt wegen der stabilisierenden Politik der Europäischen Zentralbank wachsen dann auch die Zinssätze in Deutschland. Bei diesem Szenario bietet nur noch der stark absinkende Euro-Kurs eine positive (Export-)Perspektive für die deutsche Wirtschaft.


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Euro für die Großen?

Aus den beiden Szenarien läßt sich eine Grundtendenz ablesen: Die größten Risiken tragen die KMU und unter diesen vor allem die Kleinstunternehmen. Dem Negativ-Szenario können die Großunternehmen zum einen dadurch ausweichen, daß sie ihre Aktivitäten in außereuropäische Länder verlagern. Zum anderen werden die steigenden Zinsen sie weniger belasten als die KMU. Großunternehmen zahlen in der Tendenz nicht nur geringere Zinssätze als KMU, ihnen fällt darüber hinaus der Zugang zu internationalen Kapitalmärkten leichter.

Aber selbst bei Eintritt des Positiv-Szenarios stellen sich dem Mittelstand größere Probleme. Er wird von einem zunehmenden Preisdruck ohne befriedigende Ausweichmöglichkeiten an andere Standorte betroffen sein, da er seine Exportintensität nicht oder nur langsamer als Großunternehmen erhöhen kann. Zugleich ist er aber auch stärker mit den Kosten der Euro-Einführung belastet. Der überwiegende Teil der Unternehmen befürchtet im Vorfeld der Euro-Einführung vor allem einen starken Wettbewerbsdruck, der weitere deutsche Anbieter vom Markt drängen wird. Insbesondere kleinere Unternehmen sehen eine verstärkte Konzentration voraus. Ähnlich wie das Binnenmarktprojekt 1993 wird deshalb auch die Euro-Einführung einer weiteren Unternehmenskonzentration Vorschub leisten. Die Euro-Einführung läßt eine deutliche Verstärkung des Globalisierungsdrucks auf die deutschen KMU erwarten. Ist der Mittelstand deshalb der Verlierer der Euro-Einführung?

Es wird sich zeigen, wie weit der Mittelstand seine nachteiligen Ausgangsbedingungen bei der Euro-Einführung überwindet und dessen Vorteile zu nutzen versteht, d.h. bei stabiler Währungslage und höherer Transparenz neue Märkte erobern kann. Aber bei aller unternehmerischer Kreativität wird sich eine Marktbereinigung zu seinen Lasten nicht verhindern lassen. Die „Vereine Creditreform" erwarten deutliche Insolvenzgefahren für kleine und mittlere Unternehmen. Der Trend zur Konzentration, zu ansteigenden Unternehmensgrößen kann wegen der zunehmenden Bedeutung der globalen Märkte aus gesamtwirtschaftlicher Sicht jedoch auch sinnvoll sein.

Der Euro wird aber nicht nur die Anpassungskrise der deutschen Wirtschaft an die Globalisierung verschärfen und beschleunigen. Durch die große Bedeutung der KMU für die Beschäftigung sind auch entsprechend negative Effekte für den Arbeitsmarkt zu erwarten.

Noch ist über die Einführung des Euro in 1999 nicht entschieden. Die Wirtschaftspolitik wird mit der endgültigen Festlegung von Zeitpunkt und Konditionen der Euro-Einführung mit darüber entscheiden, ob das nächste Jahrzehnt mit einem verstärkten Druck auf den Mittelstand und dessen Arbeitsplätze beginnt. Zunehmende Konzentration sowie ansteigende Unternehmensgrößen können zu einer stärkeren Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft auf den globalen Märkten beitragen. Es gibt jedoch keine Gewähr dafür, daß dies auch zu einer nachhaltigen Verbesserung auf dem Arbeitsmarkt beiträgt.


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