SOZIALISTISCHE MITTEILUNGEN

News for German Socialists in England

This News Letter is published for the information of Socialdemocrats from Germany
who are opposing dictatorship of any kind


Nr. 113/114

Juli/August 1948


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London, Berlin und die SPD

Beschlüsse des Parteivorstandes und Parteiausschusses

Die SPD und die Londoner Abmachungen

Alle bisherigen Versuche, Deutschland auf dem Weg der Verständigung aller vier Besatzungsmächte wieder zu einer wirtschaftlichen und politischen Einheit zusammenzufügen, sind wesentlich am Verhalten der Sowjetregierung gescheitert. Aus dieser Lage ergaben sich die Londoner Abmachungen über die einheitliche wirtschaftliche und politische Verwaltung der drei Westzonen.

Die Sozialdemokratische Partei Deutschlands bedauert, daß die Londoner Konferenz ihre Beschlüsse ohne Anhörung und Mitwirkung deutscher Vertreter gefaßt hat. Die Verantwortung für die Londoner Abmachungen liegt ausschließlich bei den beteiligten Mächten. Eine endgültige Stellungnahme wird erst möglich sein, nachdem das Abkommen in seiner Gesamtheit bekanntgeworden ist.

Für die deutsche Sozialdemokratie ist und bleibt die Wiederherstellung der Einheit Deutschlands das Ziel ihrer Politik. Die durch die Londoner Abmachungen angestrebten Einrichtungen haben den Zweck, die Form der Besatzungsherrschaft den veränderten Verhältnissen anzupassen. Sie stellen die Souveränität des deutschen Volkes nicht wieder her und sind darum nur ein weiteres Provisorium.

Eine Ueberwindung des Provisoriums wird nur durch einen Friedensvertrag mit Gesamtdeutschland erreicht werden können. Eine befriedigende Lösung wird er nur darstellen können, wenn er den Geist der Atlantik-Charta respektiert und die gleichberechtigte Mitarbeit eines demokratischen Deutschlands in den europäischen und internationalen Körperschaften ermöglicht. Mit dieser Gleichberechtigung sind Beschränkungen der deutschen Verfassungshoheit unvereinbar.

Die Sozialdemokratische Partei wehrt sich gegen den Versuch, Deutschland verfassungsrechtliche Konstruktionen aufzuzwingen.

Die Erweiterung und Zusammenfassung der deutschen Befugnisse auf der jeweils höchsten erreichbaren territorialen Stufe ist eine Notwendigkeit. Aus diesem Grunde bejaht die Sozialdemokratie die Schaffung einer einheitlichen und effektiven Verwaltung in den drei Westzonen. Darum tritt sie auch dafür ein, daß die Besatzungsmächte baldige allgemeine und direkte Wahlen zu dem provisorischen Parlament ermöglichen. Dieses sollte sowohl ein Verwaltungs-

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statut für die westlichen Besatzungszonen schaffen, als auch die normalen Funktionen einer demokratischen Volksvertretung übernehmen.

Voraussetzung hierfür ist der vorherige Erlaß eines Besatzungsstatuts. Dieses muß für die Zeit bis zur Herstellung des Friedenszustandes für alle drei Zonen eine eindeutige rechtliche Grundlage für die selbständige administrative Organisation Deutschlands, die Ausübung der Besatzungsherrschaft und die Beziehungen zwischen den Besatzungsmächten und den Deutschen schaffen. Es sollte außerdem den Deutschen die volle Selbstverwaltung in allen ihren eigenen Angelegenheiten geben und die Befugnisse der Besatzungsmächte auf Kontrolle beschränken.

Das Gelingen der Neuregelung im Westen wird in hohem Maße davon abhängen, daß Berlin als Vorposten der Demokratie und der deutschen Einheit erhalten bleibt. Die neue Verwaltung für die Westzonen muß darum so geregelt werden, daß Berlin in geeigneter Form einbezogen werden kann.

Die Sozialdemokratische Partei tritt für eine internationale Lenkung der europäischen Grundstoffindustrien ein. Sie erkennt internationale Kontrollmaßnahmen an, die tatsächlich der Verhinderung einer deutschen Kriegsproduktion dienen.

Sie bedauert, daß in der für die Verteilung der Ruhrproduktion vorgesehenen internationalen Kontrollkommission die Deutschen, von deren Leistung und Arbeitsfreudigkeit die Entwicklung der Ruhrproduktion entscheidend abhängt, nur mit einer Minderheit beteiligt werden. Die deutsche Mitarbeit an dieser Kontrollkommission wird nur möglich sein, wenn sich erweist, daß die Kommission die Entscheidungsfreiheit der Deutschen über die zukünftigen Besitzverhältnisse an Rohstoffen und Produktionsstätten nicht beeinträchtigt, und daß sie dem deutschen Volk eine seinen Lebensinteressen gerecht werdende Wirtschaftspolitik ermöglicht.

Gegen Demontage der Friedensindustrie

Der europäische Wiederaufbauplan und die Londoner Abmachungen erstreben die Wiedereingliederung Deutschlands in das europäische Wirtschaftsleben. Dieses Bestreben ist unvereinbar mit der Fortsetzung der Demontage von Produktionsmitteln, die der Friedenswirtschaft dienen oder für den Aufbau einer leistungsfähigen Friedenswirtschaft unerläßlich sind. Die Sozialdemokratische Partei fordert erneut die sofortige Einstellung dieser Demontagen.

Rettet Berlin!

Die Sozialdemokratische Partei Deutschlands grüßt die Berliner in der entscheidenden Phase ihrer demokratischen Selbstbehauptung. Alle deutschen Sozialdemokraten verfolgen mit Sympathie und Bewunderung den tapferen Abwehrkampf, der seit mehr als drei Jahren auf Berliner Boden geführt wird.

Der Parteivorstand hält es für seine Pflicht, den Ernst der gegenwärtigen Lage vor aller Welt klar herauszustellen. Die russische Besatzungsmacht hat Berlin isoliert und seine Versorgung mit Lebensmitteln, Kohle und Elektrizität abgeschnitten. Selbst den Kleinkindern, stillenden Müttern und Kranken hat man Milch und Medikamente gesperrt. Mit diesen skrupellosen Mitteln soll Berlin für eine kommunistische "Machtergreifung" nach Prager Muster reif gemacht werden.

Der Parteivorstand fordert alle Bezirksorganisationen auf, Solidaritäts-Kundgebungen für Berlin durchzuführen. Die Gemeindeparlamente, Landtage und Landesregierungen werden aufgefordert, die Verbundenheit aller deutschen Landesteile mit der abgeschnittenen und bedrängten Hauptstadt eindeutig zum Ausdruck zu bringen. Die Bevölkerung der Westzonen wird trotz eigener Schwierigkeiten bereit sein, auf eine Tagesration ihrer Lebensmittel zu verzichten und sie mit deutschen Transportmitteln nach Berlin zu bringen, sobald die Verkehrssperre aufgehoben wird.

Aus der aktiven Mithilfe der Kommunisten an den Berliner Terrormaßnahmen müssen auch in den Westzonen die politischen Konsequenzen gezogen werden. Wir sagen jenen den schärfsten Kampf an, die Berliner Kinder mit dem Hungertod bedrohen und sozialdemokratische Abgeordnete nach Nazi-Manier überfallen.

Im Kampf um Berlin fällt die Entscheidung über die deutsche und europäische Demokratie. Die Westmächte haben wiederholt feierlich erklärt, daß sie Berlin nicht verlassen. Der Partei-

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vorstand appelliert an die sozialistischen Parteien, die Gewerkschaften und die demokratischen Kräfte in aller Welt, dafür zu sorgen, daß dem freiheitlichen Berlin unverzüglich Hilfe gebracht wird. Ein Rückfall in die Politik von München darf nicht gelingen.

Die Berliner Krise kann zu einer ernsten Gefährdung des Friedens führen. Die Uno kann sich einer Stellungnahme zu der vorhandenen Bedrohung des Friedens und der Humanität nicht entziehen, ohne ihrer Aufgabe untreu zu werden. Aber die Verantwortlichkeit und die Rechte der alliierten Besatzungsmächte bleiben bestehen.

Befreit die Berliner aus Furcht und Not!
Rettet das freiheitliche B e r l i n !

Die Hamburger SPD-Tagung

Das Kommuniqué

Parteivorstand und Parteiausschuß der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands tagten vom 28. bis 30. Juni in Hamburg. Anwesend waren außerdem die sozialdemokratischen Ministerpräsidenten der Länder und Mitglieder der sozialdemokratischen Fraktion im Frankfurter Wirtschaftsrat. Vorübergehend wohnte den Verhandlungen der Gouverneur von Hamburg, Mr. Barry[1], bei. Als Gäste waren erschienen der englische Labour-Politiker Allan Flanders[2] und der ehemalige Reichstagsabgeordnete Gerhard Seger, Chefredakteur der "Neuen Volkszeitung" in New York. Vor dem Beginn der Beratungen hatten sich der Verfassungspolitische und der Außenpolitische Ausschuß zu einer Sitzung zusammengefunden. Am Montagnachmittag und am Dienstagvormittag hielt der Parteivorstand eine Sitzung ab, am Dienstag und Mittwoch folgten gemeinsame Beratungen von Vorstand und Ausschuß.

Vier Themen standen im Vordergrund der Ueberlegungen und Diskussionen: die gefährliche Zuspitzung der Lage in Berlin, die Einstellung der SPD zu den Londoner Empfehlungen über den Aufbau einer provisorischen Neuordnung in Westdeutschland, die Frage des Wahlrechts und der kommende Parteitag in Düsseldorf. Das politische Hauptreferat hielt der stellvertretende Vorsitzende Erich Ollenhauer.

Aus Berlin waren Franz Neumann, Ida Wolff[3] und Willi Brandt erschienen. Franz Neumann berichtete unter großer Erregung der Versammlung über die brutalen Terrormaßnahmen der SEP-Funktionäre in Berlin und über die Maßnahmen der russischen Besatzungsmacht, die auf eine Aushungerung von zwei Millionen Berlinern hinauslaufen. Die Stellung der leitenden Parteikörperschaften zu diesem Tatbestand wurde in einer Entschließung festgelegt, die einstimmig angenommen wurde. Es wurde weiter beschlossen, Willi Eichler, Fritz Heine und Franz Neumann möglichst bald nach London zu entsenden zu Verhandlungen mit Vertretern der Labour Party über die Notwendigkeit einer umfassenden und schnellen Hilfe für Berlin.

Auch die Haltung des Parteivorstandes zu den Londoner Abmachungen wurde nach eingehender Diskussion vom Parteiausschuß einstimmig gebilligt, ebenso eine Entschließung über die Notwendigkeit der Einstellung der Demontage. Zur Frage des künftigen Wahlrechts referierte Dr. Walter Menzel. Der Gegenstand führte zu einer Auseinandersetzung über die zweckmäßigste Form eines künftigen Wahlsystems. Ein endgültiger Beschluß war nicht beabsichtigt und wurde nicht gefaßt. Als Grundlage für das Verhalten der Partei bei der nächsten Wahl liegt ein Vorstandsbeschluß vor, der in seinem provisorischen Charakter vom Parteiausschuß angenommen wurde.

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Nach den Beschlüssen dieser gemeinsamen Sitzung von Parteivorstand und Parteiausschuß wird der Parteitag in Düsseldorf in der Zeit vom 11. bis 14. September stattfinden. Es sind zwei Hauptreferate vorgesehen: Dr. Kurt Schumacher wird über "Die Sozialdemokratie im Kampf um Freiheit und Sozialismus", der ehemalige Wirtschaftsminister von Bayern, Dr. Rudolf Zorn[4], über "Soziale Neuordnung als sozialistische Gegenwartsaufgabe" sprechen. Dem Parteitag wird eine Frauenkonferenz vorangehen, die vom 7. bis 9. September in Wuppertal stattfindet.

Ueber das brennende Problem des Lastenausgleichs berichtete Herbert Kriedemann in der Vorstandssitzung am Dienstag. Die grundsätzlichen politischen Vorstellungen in dieser Frage sind weitgehend in dem Sinne geklärt, daß der Lastenausgleich als der Beginn einer gründlichen und vollkommenen sozialen Neuordnung zu betrachten und zu behandeln ist. Gegenwärtig arbeitet man an der Durchberatung der technischen Einzelheiten. Scharfe Kritik wurde an der Tatsache geübt, daß mit der Währungsreform größte Mengen gehorteter Waren zum Vorschein kamen, und an der nach sozialdemokratischer Auffassung viel zu weit gehenden Freigabepraxis des Wirtschaftsdirektors Erhard.

Die SPD und Berlin

Es ist nicht Ausdruck einer besonderen Uebersichtlichkeit, sondern einfache Tatsache, daß im Kampf um die Erhaltung eines wahrhaft demokratischen Berlins die Sozialdemokratie führend gewesen ist und noch führt. Die Hamburger Tagung hat gezeigt, daß auch die solidarische Unterstützung Berlins durch den Westen von der Sozialdemokratie getragen werden soll, als der Partei mit der lebendigsten und geschlossensten Verbindung nach Berlin. Buchstäblich alles muß getan werden, um die Berliner in ihrem politischen Kampf zu unterstützen. Es sind Franz Neumann von maßgebender westalliierter Seite Zusicherungen gegeben worden, daß unter allen Umständen ein Weg gefunden wird, um die in den Westzonen für Berlin gesammelten Lebensmittel auch an den Bestimmungsort zu bringen. Es ist gleichzeitig mit der Ankündigung einer großen Kundgebungswelle in ganz Westdeutschland direkte Fühlung mit den maßgebendsten Stellen der Westalliierten, mit den sozialistischen Bruderparteien, den Gewerkschaften, der UNO und anderen Einrichtungen aufgenommen worden.

Diese Tage in Hamburg waren erfüllt von der äußersten Entschlossenheit der SPD, in der kritischen Stunde nichts zu versäumen, um dem drohenden Anprall der neuen totalitären Sturzwelle ein festes Bollwerk entgegenzusetzen. Die Dinge, die hier geschehen müssen, haben nichts mit künstlicher nationalistischer Empörung zu tun. Sie sind eine absolut unerläßliche Notwendigkeit der Selbstachtung und Selbsterhaltung - für ganz Deutschland und für ganz Europa. Man kann der Ansicht sein, daß die außergewöhnlichen Gefahren, die entstanden sind, auch eine entsprechend große Chance umschließen: die Möglichkeit nämlich, in dieser erhöhten Bedrängnis neue Impulse für die politische Arbeit zu gewinnen. Die Berliner Krise muß der Ausgangspunkt für eine bessere und klarere politische Vorstellungswelt in ganz Deutschland sein. Die SPD wird diese Entwicklung führend tragen.

Die Frage des Lastenausgleichs

Sie wird es auch in anderer Beziehung sein müssen, und zwar vor allem in der Frage des Lastenausgleichs. Diese Frage hat in Hamburg zunächst nur intern, in diesem Rahmen aber eine sehr bedeutsame Rolle gespielt. Man ist sich an maßgebender Stelle der Partei darüber klar und einig, daß dieser Lastenausgleich kein wirtschaftliches und sozialen Stückwerk bleiben darf. Jetzt muß Farbe bekannt werden - das ist die Grundstimmung, die in dieser Frage herrscht. Auf diesen Lastenausgleich warten die Vertriebenen, Ausgebombten und neuen Hunderttausende von durch die Währungsreform Geschädigten. Der Lastenausgleich ist die Notwendigkeit zu einer völligen sozialen Neuordnung in Deutschland. Erfassung der Sachwerte durch Vermögensabgabe, Zahlung von Renten an Arbeitsunfähige und von Pauschalbeträgen zur Wiederbeschaffung von Hausrat, Finanzierung von Siedlungen und gewerblichen Unternehmungen, Kredite und Zuschüsse an die öffentliche Hand für Zwecke des Wiederaufbaus; das alles werden besonders wichtige Gesichtspunkte sein, mit denen man sich auseinandersetzen muß.

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Die Stärke der Partei

Die vorgelegten Entschließungen in Hamburg wurden einstimmig gebilligt. Die Hamburger Tage haben gezeigt, daß die SPD eine wahrhaft einheitliche politische Willenspotenz ist, deren Kraft um so größer ist, als ihre Einheitlichkeit nicht formal und künstlich ist, sondern sich als erarbeitetes Gesamtergebnis mancher divergierenden Auffassung in Einzelfragen darstellt.

Die ziffernmäßige Größe einer überragenden Partei und gleichzeitige maximale Geschlossenheit besitzt unter den deutschen Parteien, die diesen Namen verdienen, nur die SPD. Die Stärke der SPD ist auch das wertvollste Kapital der gesamten deutschen Innenpolitik.

Schumacher wird in Düsseldorf sprechen

Für das politische Hauptreferat auf dem Parteitag der SPD vom 11. bis 14. September in Düsseldorf ist nach der offiziell bekanntgegebenen vorläufigen Tagesordnung Dr. Kurt Schumacher vorgesehen. Der zweite Vorsitzende der SPD, Erich Ollenhauer, erklärte in Hamburg: "Es hat uns noch nicht eine einzige Minute Zeit gekostet, die Frage einer Nachfolgeschaft Dr. Schumachers überhaupt zu behandeln. Warum? Weil wir der festen Ansicht sind, daß er in absehbarer Zeit wieder aktiv am politischen Leben teilnehmen wird."

(Sozialdemokratischer Pressedienst, Hannover, 30. Juni 1948)

Parteitag der SPD

Düsseldorf 1948

Auf Grund der Bestimmungen des Parteistatuts berufen wir den Parteitag 1948 für die Tage vom

11. September bis einschließlich 14. September 1948

nach Düsseldorf ein.

V o r l ä u f i g e

T a g e s o r d n u n g:

1. Eröffnung und Begrüßungen.

2. Die Sozialdemokratie im Kampf für Freiheit und Sozialismus.
Referent Dr. Kurt Schumacher.

3. Arbeitsbericht des Parteivorstandes:
a) Organisation, Referent Egon Franke
b) Kasse, Referent Alfred Nau
c) Presse und Propaganda, Referent Fritz Heine
d) Frauensekretariat, Referent Herta Gotthelf
e) Kontrollkommission, Referent Adolf Schönfelder.

4. Bericht der Fraktion des Wirtschaftsrates, Referent Herbert Kriedemann.

5. Soziale Neuordnung als sozialistische Gegenwartsaufgabe, Referent Dr. Rudolf Zorn.

6. Sonstige Anträge.

7. Wahlen
a) des Parteivorstandes
b) der Kontrollkommission.

Anträge, die auf dem Parteitag zur Verhandlung kommen sollen, müssen von den Parteiorganisationen bis spätestens 7. August beim Parteivorstand, Hannover, Odeonstraße 15/16, eingereicht sein.

Als stimmberechtigte Teilnehmer werden zu dem Parteitag eingeladen: Die Delegierten der Bezirke, die Mitglieder des Parteivorstandes, des Parteiausschusses und der Kontrollkommission. Die Zahl der auf die einzelnen Bezirke entfallenden Delegierten wird den Bezirksvorständen unter Zugrundelegung der Bestimmungen des Parteistatuts mitgeteilt.

Die Bezirksvorstände müssen Namen und Adressen ihrer Delegierten bis spätestens 21. August dem Büro des Parteivorstandes mitteilen.

Die Wohnungsanmeldungen für die Teilnehmer des Parteitags sind an das Bezirkssekretariat der SPD, Düsseldorf, Kasernenstraße 67a, mit genauer Angabe der Ankunftszeit und der Zahl der benötigten Quartiere bis spätestens 28. August einzuschicken.

 

Der Vorstand
der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands

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Aus Ollenhauers Rede

Die Verhandlungen in London haben sich außerordentlich lange hinausgezögert. Es hat auf dieser Konferenz eine Reihe von Krisen gegeben. Neben allen Fragen, die dabei zu Meinungsverschiedenheiten geführt haben mögen, war natürlich die Frage des Ausgleichs zwischen den französischen Forderungen auf der einen und den deutschen Möglichkeiten auf der anderen Seite die Hauptfrage. Die französische Politik hat während der Londoner Verhandlungen unentwegt den Versuch gemacht, eine Regelung zustande zu bringen, die sehr wichtige Gesichtspunkte der französischen Politik bindend klärt.

Der erste Gesichtspunkt war, daß im Westen Deutschlands nicht eine zentrale Regelung zustande kommt, die der französischen Angst vor einer neuen Bedrohung Frankreichs durch irgendwie aggressive Politik aus dem Osten neue Nahrung geben könnte.

Der zweite Gesichtspunkt war, daß die Franzosen natürlich eine Regelung wünschten, die garantierte, daß der Anteil der Franzosen an den Möglichkeiten, die ihnen durch den Industrieplan von London gegeben sind, nicht etwa geschmälert wurde. Das war vor allen Dingen eine Sicherung der Ausfuhr der Kohle nach Frankreich, die damals in einer Höhe festgelegt wurde, die es den Franzosen gestatten sollte, die französische Stahlproduktion weit über den höchsten Stand vor dem Kriege hinaus zu steigern. Es war verständlich, daß Frankreich versuchte, diese Position zu halten, Aber es ging noch weiter. Es gab sehr ernste Anstrengungen in der französischen Politik während der Verhandlungen in London selbst, die darauf hinausliefen, die Ruhr als das wichtigste deutsche Industriezentrum und als eines der wichtigsten europäischen Industriezentren überhaupt aus der Verfügungsgewalt der Deutschen herauszunehmen.

Die Ruhrfrage auf sozialistischen Konferenzen

Wir haben die erste Auseinandersetzung über diese Frage gehabt, als wir als Vertreter der deutschen Partei an der internationalen Konferenz in Paris Ende April teilnahmen.

Die Konferenz hatte auf Wunsch der Franzosen auch den Punkt der zukünftigen Verwaltung der Ruhr auf die Tagesordnung gesetzt, und wir erleben eine sehr scharfe Diskrepanz zwischen den Auffassungen der französischen Sozialisten und unseren eigenen.

Wir haben später, Anfang Juni, diese Frage erneut diskutiert, und die Wiener Konferenz ist insofern ein wichtiger praktischer Erfolg internationaler sozialistischer Zusammenarbeit, weil wir dort eine gemeinsame Plattform gefunden haben, die sowohl die französischen Sozialisten wie die deutschen Sozialdemokraten akzeptieren konnten, eine Plattform, die die Notwendigkeit einer internationalen Kontrolle gegen eine deutsche Aufrüstung anerkennt, die aber auf der anderen Seite feststellt, daß jedes andere Kontrollsystem an der Ruhr nur dann akzeptabel ist, wenn es in den allgemeinen Rahmen europäischer Wirtschaftspolitik eingebaut ist, und wenn dieses Kontrollsystem dazu dient, eine engere europäische wirtschaftliche Zusammenarbeit effektiver zu gestalten, als sie heute ist.

Die Londoner Empfehlungen

Als wir Sozialisten in Wien tagten, wurden die Londoner Empfehlungen an die sechs Mächte veröffentlicht[5], und wir wissen auch bis heute nicht mehr über den Inhalt dieser Empfehlungen, als sie in dem Protokoll damals der Oeffentlichkeit übergeben wurden.

Zunächst einmal sollte für uns bei jeder Diskussion über das Londoner Abkommen völlig klar sein, daß es sich bei den Londoner Abmachungen nicht darum handelt, für Deutschland einen Friedensvertrag zu schaffen.

Man hat nach einer neuen Zwischenlösung gesucht, aber der prinzipielle Zustand, in dem sich Deutschland seit 1945 befindet, ist durch die Londoner Abmachungen nicht geändert, er ist überhaupt nicht davon berührt worden. Denn dieses Deutschland bleibt auch, wenn alle Empfehlungen von London in Kraft treten, ein besetztes Land. Dieses Deutschland bleibt ein Land, in dem die letzte entscheidende Autorität nicht bei den deutschen Stellen liegt, sondern bei den Besatzungsmächten.

Es kommt ein anderer Punkt hinzu, den wir ebenfalls mit aller Offenheit und Klarheit feststellen: die Londoner Verhandlungen sind durchgeführt worden ohne deutsche Mitwirkung und auch ohne eine Anhörung von Deutschen.

Wir haben als deutsche Sozialdemokraten immer wieder erklärt, daß wir bereit sind, eine internationale Kontrolle an der Ruhr zu akzeptieren, soweit sie das Ziel verfolgt, eine deutsche Wiederaufrüstung an der Ruhr zu verhindern. Wenn aber eine Kontrolle über dieses Sicherheitsziel hinausgeht und auf die Produktion selbst einwirkt, dann müssen wir dieser Tatsache die Bemerkung und die Feststellung gegenübersetzen, daß auf die Dauer eine einseitige Kontrolle der deutschen Produktion an der Ruhr für das deutsche Volk nur dann tragbar ist, wenn diese Kontrolle eingebaut wird in eine internationale Kontrolle aller europäischen schwerindustriellen Zentren.

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SPD und Adenauer

Wir haben gesehen, daß sehr ernsthafte Politiker in Deutschland den Versuch gemacht haben, mit der Kritik an dem Londoner Abkommen eine Art von neuer nationalistischer Argumentation und Stimmung zu entwickeln. Das gilt vor allem für die zweitstärkste Partei neben uns, nämlich d[ie] CDU hier in der britischen Zone, unter Führung von Adenauer. Adenauer hat wenige Tage nach der Veröffentlichung des Londoner Protokolls einen Artikel in der "Welt"[6] veröffentlicht, in dem er alle Register schwarz-weiß-rot-nationaler Empfindungen zog und zu dem Schluß kam, man müßte sich überlegen, ob ein solches Abkommen überhaupt mit der Ehre Deutschlands vereinbar sei, ob nicht die Zeit gekommen wäre, daß die Deutschen sich aus allen Positionen der deutschen Verwaltung zurückziehen sollten.

Ich möchte hier ganz offen sagen, ich bin auch heute noch davon überzeugt, daß es notwendig war, neben der Stimme von Adenauer eine andere Auffassung in der Oeffentlichkeit so schnell wie nur möglich zur Geltung kommen zu lassen, denn wie wollen wir uns gegen den Vorwurf im Ausland schützen, daß die Deutschen mehr oder weniger doch alle in die nationalistische Struktur zurückfallen?

Wir bekamen in Hannover eine telegraphische Anfrage von Dr. Adenauer, ob wir bereit wären, eine gemeinsame Protesterklärung der CDU und SPD gegen das Londoner Abkommen zu unterzeichnen. Dr. Adenauer erklärte, falls wir unsere Zustimmung gäben, wäre er zu einer persönlichen Unterhaltung in Hannover bereit. Wir haben daraufhin Adenauer wissen lassen, daß die deutsche Sozialdemokratie keine gemeinsame Protesterklärung in dieser Frage mit der CDU abgeben wolle.

Obwohl wir auf die Gefährlichkeit dieser Politik hingewiesen haben, obwohl wir in der Oeffentlichkeit erklärt haben, daß dieser Versuch, eine nationalistische Einheitsfront zu bilden, nichts anderes bedeute, als die Deutschen in eine Situation zu bringen, wie wir sie schon während des Jahres 1923 einmal im Ruhrkampf erlebt haben, hielt Adenauer den Wunsch nach einer gemeinsamen Unterhaltung aufrecht.

Wir haben im Einverständnis mit Kurt Schumacher Adenauer wissen lassen, daß wir zu einer Unterhaltung mit dem Vertreter der zweitgrößten Partei Deutschlands selbstverständlich bereit sind, daß sich aber in der Ablehnung seines Vorschlages nichts geändert habe. Trotzdem bestand Adenauer auf dieser Zusammenkunft, und sie fand statt.

Wir haben in unserer Haltung gegenüber den Argumenten von Adenauer den Standpunkt vertreten, daß wir die latente Gefahr eines Nationalismus unter den Deutschen als ebenso groß ansehen, daß wir aber seinen Vorschlag, diesem Nationalismus zu begegnen durch eine Einheitsfront, für den schlechtesten Weg hielten. Es sei unsere Auffassung, daß man einem neuen deutschen Nationalismus nur dann begegne, wenn man einen ganz festen Stand gegen diesen Nationalismus einnimmt und nicht den Versuch macht, sich diesem Nationalismus durch halbe oder Viertelkonzessionen an seine Forderungen entgegenzustellen.

Provisorische westdeutsche Verwaltung

Wenn wir zu einer westdeutschen Regelung kommen und wenn wir, sei es in Frankfurt oder sonstwo, eine zentrale Exekutive bilden, so wünschen wir nicht, daß diese zentrale Exekutive für die Westzonen der Form oder dem Inhalt nach dem Anschein einer deutschen Regierung hat. Es gibt eine Reihe von Politikern der CDU, die noch mit diesem Gedanken spielen, und zwar ihn nicht nur in der Form vertreten, aus der Ostzone Abgeordnete in dieses Parlament zu berufen, sondern auch Delegierte aus den Vertriebenen der Gebiete östlich der Oder und Neiße in diese Konstitution zu berufen. Diese Konzeption lehnen wir Sozialdemokraten uneingeschränkt und bedingungslos ab. Was wir akzeptieren, ist, daß jetzt für das Gebiet Westdeutschlands, bis eine gesamtdeutsche Regelung möglich ist, eine zentrale Verwaltung und nicht Regierung geschaffen werde, wobei wir hinzufügen, daß wir dieses westdeutsche Gebiet nicht organisiert zu sehen wünschen in der Form eines Weststaates, soweit überhaupt unter dem Besatzungsregime eine Selbständigkeit möglich ist. Was wir hier aufbauen wollen, soll ein Provisorium sein in der Zeit des Notstandes, solange die Notwendigkeit einer einheitlichen Verwaltung für ganz Deutschland nicht erreicht werden kann.

Was wir wünschen ist, daß als erster Akt in der Richtung auf die Entwicklung einer westdeutschen Verwaltung für alle drei Westzonen ein Besatzungsstatut erlassen wird. Dieses Besatzungsstatut muß zwei Aufgaben erfüllen. Zunächst einmal die Abgrenzung der Positionen zwischen der Militärregierung und den Deutschen, damit wir wissen, wo wir in Deutschland stehen. Wir möchten, daß in diesem Besatzungsstatut außerdem ein zweiter Punkt eindeutig geklärt wird, nämlich daß durch eindeutige Bestimmungen klargemacht wird: Die Besatzungsmächte und ihre Einrichtungen haben nicht die Aufgabe, die Deutschen zu regieren oder zu verwalten, sondern das soll die Aufgabe der Deutschen selbst sein.

Wir sind dafür, daß man nicht eine Verfassunggebende Versammlung einberuft, bei der auch jetzt nach den bekannten Bestimmungen aus dem Londoner Abkommen niemand weiß, wie sie gewählt werden soll und welchen Umfang sie haben soll, in welcher Art sich überhaupt ihre Arbeit entwickeln soll. Außerdem wollen wir nicht eine Versammlung, die dadurch, daß sie sich verfassunggebende Versammlung nennt, doch den staatsrechtlichen Charakter dieser westdeutschen Regelung viel zu stark betont. Aber wir müssen einen vorbereitenden Ausschuß haben, eine Art erweiterter Kommission, die möglichst in allen Ländern der drei Zonen nach einheitlichen

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Gesichtspunkten beschickt wird. Unter Umständen ist das der Weg, auf dem sich eine einheitliche Regelung erzielen läßt, daß wir uns verständigen über die Wahl der Delegierten in diesem vorbereitenden Ausschuß durch die Landtage in den Zonen, wobei man über die Zahl der Mitglieder noch reden kann. Dieser vorbereitende Ausschuß soll zwei klar umgrenzte Aufgaben haben: erstens die Ausarbeitung eines Wahlrechts, das zur Grundlage genommen werden kann für die Wahl der parlamentarischen Gesamtvertretung, und zweitens die Ausarbeitung eines Verwaltungsstatuts, das die Grundlage bildet für die Exekutive des Parlaments.

SPD-Konferenz in Rüdesheim

I. Die Teilnehmer

Die sozialdemokratischen Länderchefs trafen sich am Mittwochnachmittag zusammen mit den führenden Vertretern der SPD auf dem Jagdschloß Niederwald bei Rüdesheim zu Vorbesprechungen für die Dreizonenkonferenz am Donnerstag und Freitag.

An der Sitzung nahmen unter anderem teil: Der Ministerpräsident von Hessen, Christian Stock[7], der Ministerpräsident von Niedersachsen, Hinrich Kopf, der Ministerpräsident von Schleswig-Holstein, Hermann Lüdemann, der erste Bürgermeister von Hamburg, Max Brauer, der Senatspräsident von Bremen, Wilhelm Kaisen, der stellvertretende Ministerpräsident von Württemberg-Hohenzollern, Carlo Schmid, der stellvertretende Vorsitzende der SPD, Erich Ollenhauer, und der Vorsitzende der SPD-Fraktion im Wirtschaftsrat, Erwin Schöttle.

Als die Konferenz begonnen hatte, erschien auch die amtierende Oberbürgermeisterin von Berlin, Frau Louise Schroeder, in Begleitung des Frankfurter Oberbürgermeisters Dr. h. c. Walter Kolb. Frau Schroeder, die nachmittags auf dem Rhein-Main-Flughafen eingetroffen war, wurde von den Tagungsteilnehmern besonders herzlich begrüßt.

( "DPD", Rüdesheim, 7. Juli 1948)

[II.] Die SPD will ein einheitliches Deutschland

Die sozialdemokratischen Vorschläge für die Konferenz in Koblenz lauten: Die Sozialdemokratische Partei steht einmütig auf dem Standpunkt, daß keine westdeutsche Regierung gebildet werden solle, sondern ein Uebergangsprovisorium geschaffen werden müßte. Das ließe sich leicht organisieren mit einem Verwaltungsstatut, in dem festgelegt wird, welche Funktionen die Länder haben und welche sie in immer stärkerem Maße von den Besatzungsmächten übernehmen sollten. Die Sozialdemokratische Partei will keine Rumpflösung, sie will ein einiges Deutschland mit einem Parlament, das alle Teile Deutschlands vertritt. Sie will auch kein Parlament, in dem demonstrativ Plätze für die Ostzone freigehalten werden. Sie will ein deutsches Parlament, in dem auch die Ostzone vertreten ist, wenn sie frei wählen darf. Solange das aber nicht möglich sei, dürfe es eben nur ein Provisorium geben. Die Sozialdemokratische Partei lehnt deshalb auch die Wahl zu einer Nationalversammlung - ob direkt oder indirekt - ab, in der über eine Verfassung Beschluß gefaßt werden soll. Sie will vorschlagen, daß ein Ausschuß aus den Länderparlamenten gebilligt wird, der alle Vorbereitungen für eine deutsche Verfassung trifft, so daß im Augenblick von Wahlen zu einer Nationalversammlung für Westdeutschland abzusehen ist.

( "Telegraf", Berlin, 9. Juli 1948)

Einmütigkeit über Verfassunggebenden Ausschuß

Wie DENA erfährt, wurde in den sich bis in die späten Nachtstunden ausdehnenden Besprechungen eine weitgehende Uebereinstimmung der Konferenzteilnehmer mit dem vom SPD-Vorstand früher eingenommenen Standpunkt zu den Londoner Empfehlungen erzielt.

Die SPD wolle keine Verfassunggebende Versammlung gebildet sehen, sondern wünsche lediglich einen Verfassunggebenden Ausschuß, dessen Mitglieder von den Landtagen gewählt werden.

( "Sozialdemokrat", Berlin, 8. Juli 1948)

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Klare Kompetenzen im Besatzungsstatut

Die wesentliche Forderung der Sozialdemokratischen Partei aber ist die nach einem Besatzungsstatut. In den drei Jahren der Besatzung habe sich immer wieder gezeigt, daß selbst bei gegenseitigem Verständnis und bei stärkster Anteilnahme an dem Geschick des deutschen Volkes klare Richtlinien für die Mitwirkung der Besatzungsmächte und der Deutschen an der Verwaltungsarbeit nötig seien. Es müsse in einem Besatzungsstatut genau abgegrenzt werden, welche Funktionen den Deutschen übertragen werden sollen und welche Aufgaben sich die Besatzungsmächte vorbehalten müssen. Es müsse auch klar abgegrenzt werden, wie in den Fällen, in denen die Verwaltung Deutschen übertragen wurde, die Besatzungsmächte das Recht der Kontrolle ausüben. Nur wenn klare Richtlinien bestünden - und sie kann nur ein Besatzungsstatut geben, - werde sich der Uebergang der Verwaltungsarbeit in deutsche Hände reibungslos abwickeln lassen.

( "Telegraf", Berlin, 9. Juli 1948)

Gegenwärtige Formulierung unzureichend

In der Debatte wurde betont, daß das vorgeschlagene Besatzungsstatut zwar insofern einen Fortschritt bedeute, als es überhaupt erst Rechtsbeziehungen zwischen den Besatzungsmächten und einer deutschen Verwaltung schaffen würde, daß es aber nicht präzise genug sei. Der Begriff der Kontrolle sei nicht hinreichend geklärt. Die Rechte der Besatzungsmächte dürften nur auf eine Ueberwachung beschränkt sein, vor allem dürften nicht mittlere und untere Instanzen die Möglichkeit haben, unmittelbar in die deutschen Verwaltungs- und Regierungsgeschäfte einzugreifen.

( "Badische Zeitung"[8], Freiburg, 9. Juli 1948)

Ländergrenzen von zweitrangiger Bedeutung

Die Sozialdemokratische Partei hat dabei auch die Wünsche nach einer Aenderung der Ländergrenzen diskutiert. Sicherlich wäre es praktischer, die Zahl der Länder Westdeutschlands von 11 auf 7 herabzusetzen. Es sei sicherlich richtig, bei der Abänderung der Ländergrenzen auf wirtschaftsgeographische Bedürfnisse Rücksicht zu nehmen, und es sei ebenso richtig, daß die Ländergrenzen keinerlei Beziehung zu den Zonengrenzen haben sollten. Aber diese Fragen seien von untergeordneter Bedeutung gegenüber dem Hauptproblem, daß Westdeutschland nur ein Provisorium sein könne und auf eine Lösung für Gesamtdeutschland nicht verzichtet werden dürfte.

( "Telegraf", Berlin, 9. Juli 1948)

Jede westdeutsche Lösung ein Provisorium

Die Vorschläge der drei Militärgouverneure für den staatsrechtlichen Zusammenschluß der drei Westzonen scheinen auf den ersten Blick in der deutschen Oeffentlichkeit ziemlich einheitlich beurteilt worden zu sein. Unverhohlen kam die allgemeine Enttäuschung über die Unzulänglichkeit des geplanten Besatzungsstatutes zum Ausdruck, dessen Schwerpunkte in dem dritten der Frankfurter Dokumente dargelegt sind. Es scheint aber auch Einmütigkeit darüber zu bestehen, daß es nicht angebracht wäre, eine Verfassung im eigentlichen Sinne zu schaffen.

Die Entscheidung, die von den Ministerpräsidenten der Westzonen in Koblenz getroffen werden muß, ist nicht mehr und nicht weniger als die Beantwortung der Frage, ob man von der gebotenen Möglichkeit, schnell zu einer autorisierten Regierungsgewalt zu kommen, Gebrauch machen will oder nicht. Wird die Notwendigkeit zu einem solchen Schritt von der Mehrheit der Konferenzteilnehmer bejaht, so werden allgemein politische Bedenken in den Hintergrund treten, und es könnte auch verhältnismäßig leicht eine Uebereinstimmung für den Gang des Verfahrens erzielt werden. Zwei Dinge dürfen als selbstverständlich vorausgesetzt werden: Niemand denkt in Deutschland an die Gründung eines "Separaten Staates", und niemand täuscht sich darüber, daß von einer vollen Souveränität solange keine Rede sein kann, wie die Siegermächte Deutschland besetzt halten. Unter diesen Umständen muß jede Regelung ein Provisorium bleiben, was nur von den demagogischen Kommunisten in etwas Endgültiges, Irreparables umgefälscht werden kann. Indiskutabel würden die alliierten Vorschläge erst, wenn darin eine definitive Begrenzung des Staatsgebildes auf die drei Zonen enthalten wäre. Das Gegenteil ist jedoch der Fall. Die Pläne der Westmächte decken sich in dieser Hinsicht mit dem Ziel der verantwortlichen Deutschen: ein einheitliches Deutschland vom Westen her aufzubauen.

Grundlage: eine funktionsfähige Verwaltung

Wenn in absehbarer Zeit kaum Aussicht besteht, daß ein einheitliches Deutschland auf Grund einer Einigung der vier Besatzungsmächte erstehen kann, dann muß in dem Gebiet, wo die Voraussetzungen dafür bestehen, eine funktionsfähige Regierung gebildet werden.

("Hannoversche Presse", Hannover, 8. Juli 1948)

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III. Das offizielle Kommuniqué

Der Vorstand der SPD gibt aus Rüdesheim bekannt:

Der Vorstand der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands und die sozialdemokratischen Ministerpräsidenten beraten auf einer Konferenz in Aßmannshausen die drei den Ministerpräsidenten in Frankfurt von den Militärgouverneuren überreichten Dokumente auf der Grundlage der Hamburger Beschlüsse. An den Beratungen nahm die Oberbürgermeisterin von Berlin, Louise Schroeder, teil, die bei ihrem Erscheinen von allen Anwesenden herzlich begrüßt wurde. Die sozialdemokratischen Ministerpräsidenten werden auf der Konferenz aller Ministerpräsidenten der Länder der drei Westzonen den bekannten Standpunkt der Sozialdemokratischen Partei vertreten.

Koblenzer Konferenz -
ein erfreuliches Zwischenspiel

Der Sozialdemokratische Pressedienst schrieb:

Die Ueberreichung der gemeinsamen Gegenvorschläge der deutschen Länderministerpräsidenten an die alliierten Militärgouverneure schließt ein erfreuliches Zwischenspiel der innerpolitischen Arbeit in Deutschland zunächst ab: die schnell erfolgte Einigung in so wichtigen Fragen, wie sie durch die Londoner Empfehlungen und die drei Dokumente der Militärgouverneure aufgeworfen waren. Das Verfahren war zweckmäßig und erfolgreich: zunächst Klärung im internen Bereich der beiden maßgebenden Parteien, dann gemeinsame Beratung.

Das Verhältnis der SPD und CDU/CSU zueinander ist so oft und von so verschiedener Seite heftig kritisiert worden, daß, unabhängig davon, ob diese Kritik im einzelnen berechtigt war, eine gegenteilige Feststellung um so lieber getroffen wird. Daß sich in diesem Fall die sozialdemokratischen Vorstellungen, die sich freilich von vornherein nicht entscheidend von denen des Partners unterschieden, weitgehend durchgesetzt haben, soll mit Genugtuung, aber ohne jeden triumphierenden Unterton festgestellt werden.

Auf die kürzeste Formel gebracht, besagen die Vorschläge, daß der provisorische Charakter der westdeutschen Regelung stark unterstrichen werden soll und daß es zu einer klaren Abgrenzung in den Befugnissen der Besatzungsbehörden und der deutschen Stellen kommen muß. Es handelt sich um ein sehr schnelles Verfahren, durch welches ein gemeinsames Exekutivorgan für die Trizone noch in diesem Jahre geschaffen werden könnte.

Bei dieser Gelegenheit hat sich übrigens eine neue Methode bewährt, auf die man künftig bei geeignetem Anlaß zurückkommen sollte: Ein kleiner Ausschuß aus dem Kreis der Ministerpräsidenten hat sich in einer improvisierten Beratung mit den amtierenden Parteichefs der beiden Parteien, mit Konrad Adenauer und Erich Ollenhauer, zusammengefunden. Dabei kam man überraschend schnell zu einem Ergebnis. Das ist ein erheblicher Fortschritt im Verfahren. Zu weitgehende politische Folgerungen sollte man daraus aber nicht ziehen.

SPD-Delegierte in London

SPD-Vorstand entsendet Delegation

Der Vorstand der SPD hat auf seiner Tagung in Hamburg beschlossen, Verhandlungen mit der britischen Labour Party über eine schnelle Hilfe für Berlin aufzunehmen. Zu diesem Zwecke sollen der Vorsitzende des Landesverbandes Berlin, Neumann, sowie die Vorstandsmitglieder Heine und Eichler nach London entsandt werden.

( "DPD", Hamburg, 30. Juni 1948)

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Gäste der Arbeiterpartei

Die SPD-Delegation tritt am Sonnabendnachmittag vom Flugplatz Bückeburg ihre Ueberfahrt nach England an, um mit der Labour Party über die Berliner Lage zu verhandeln.

"Wir wollen mit unseren Freunden von der Arbeiterpartei die Möglichkeiten erörtern, wie Berlin für Deutschland zu retten ist, erklärte Heine einem DPD-Vertreter. "Die Stadt muß aus dem gegenwärtigen Zustand herauskommen, damit die Berliner frei von Hunger und frei von Furcht leben können. Das ist ein kleiner Beitrag, den unsere Delegation im Rahmen der großen Anstrengungen der SPD in dieser Angelegenheit leisten will."

( "DPD", Hamburg, 2. Juli 1948)

Im britischen Außenministerium

Die drei Vertreter der SPD, Neumann, Eichler und Heine, die sich gegenwärtig in London befinden, besuchten am Montagvormittag das britische Außenministerium. Sie hatten eine Besprechung mit Staatsminister McNeil und erklärten ihm ihren Standpunkt zur Lage in Deutschland.

(Radio London, 5. Juli 1948)

Kurz bevor der sowjetische Botschafter Zarubin[9] am Dienstagnachmittag im Foreign Office die britische Protestnote an die Sowjetunion in Empfang nahm, empfing Außenminister Bevin die deutsche SPD-Delegation. Die in freundschaftlicher Atmosphäre geführte Unterredung dauerte über eine Viertelstunde. Es war das erstemal, daß Bevin eine deutsche Delegation offiziell empfangen hat.

Die drei SPD-Delegierten erklärten dem Londoner SPD-Vertreter, daß sich die Unterredung nicht nur auf reine Formalitäten beschränkt habe, sondern daß eine Reihe von wichtigen Problemen ernsthaft besprochen worden sei. Bevin selbst habe dabei die Frage der Zukunft Westdeutschlands angeschnitten, sei auf die Berliner Probleme eingegangen und habe seine Pläne für die westeuropäische Union dargelegt. Für die von den SPD-Delegierten vorgetragenen Probleme habe Bevin großes Verständnis gezeigt. Wiederholt habe er geäußert, daß er ihre Vorschläge in Erwägung ziehen werde.

Uebereinstimmend erklärten die Delegationsmitglieder, daß sie von der Art dieses Empfanges und von ihrem ganzen Besuch in London stark beeindruckt worden seien. Sie hätten Außenminister Bevin die Ansichten der SPD über die staatsrechtliche Zukunft Westdeutschlands bekanntmachen können.

Dem Empfang bei Außenminister Bevin war eine Besprechung mit Unterstaatssekretär Mayhew vorausgegangen, in der auch die Sozialisierungsfrage angeschnitten wurde. Am Montagabend waren die drei Delegierten bei der Exekutive der Labour Party zu Gast. Bei diesen Besprechungen konnten sie eine erfreuliche Uebereinstimmung zwischen den Ansichten der Labour Party und der SPD in der Sozialisierungsfrage feststellen.

In der Unterredung, die der britische Außenminister am Dienstag mit den drei SPD-Delegierten, Heine, Neumann und Eichler, hatte, erklärte Bevin, er werde alles tun, was in seinen Kräften steht, um zu verhindern, daß die Sozialdemokraten wieder so leiden müßten, wie es unter Hitler der Fall gewesen sei. Der Außenminister betonte besonders, daß er niemals nachlassen werde, auf die deutsche Einheit hinzuwirken und daß die jetzt in Westdeutschland ergriffenen Uebergangsmaßnahmen dazu bestimmt seien, die Einheit einmal möglich zu machen. Heine erklärte im Namen der SPD-Delegation, daß seine Partei sobald wie möglich in Westdeutschland ein vorläufiges Parlament haben möchte und daß die SPD sich sehr für die Uebernahme der Verantwortlichkeit durch die Deutschen einsetze. Heine sprach dem britischen Außenminister ferner den Dank für die von Großbritannien und den USA in Berlin geleistete Hilfe aus. Die zahlreichen Zusicherungen der westlichen Alliierten, Berlin nicht verlassen zu wollen, hätten die SPD-Delegation vom Erfolg ihrer Mission überzeugt.

( "DPD", London, 6. Juli 1948)

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Erklärungen der Delegierten

Heine erklärte, nach den Besprechungen vertraue er darauf, daß alles nur mögliche getan worden sei und getan werde, um Berlin als eine freie Stadt zu erhalten. Er berichtete den Vertretern der Londoner Auslandspresse, wie die SPD in Westdeutschland eigene Hilfsmaßnahmen für die Berliner Bevölkerung plane und erklärte, daß die Berliner Bevölkerung bereit sei, russischen Druckmethoden zu widerstehen.

Eichler schilderte vor allem die Auswirkungen der unglücklichen Währungsmethoden in Berlin und schlug zwei Gegenmaßnahmen vor: 1. Entweder Viermächteeinigung auf eine Währung für Berlin, also weder Ost- noch Westmark, sondern eine neue Währung, wie etwa den Danziger Gulden[10], mit dem man gute Erfahrungen gemacht habe, oder 2., falls keine Einigung auf Viermächtebasis möglich sei, eine völlige Trennung von Ost- und Westmark in Berlin. Dazu seien aber viel mehr Westmark für Berlin nötig. Dieser Standpunkt sei wohlwollend in den Besprechungen im Foreign Office aufgenommen und seine volle Erwägung zugesagt worden.

Neumann vermittelte ein anschauliches Bild der Schwierigkeiten der Berliner Stadtverwaltung unter den gegenwärtigen Verhältnissen. Die Währungsreform sei den Russen nur ein Mittel zum Zweck gewesen. Erstmalig habe Marschall Sokolowski, als er die Ostmark für ganz Berlin einführen wollte, erleben müssen, daß er einen seiner eigenen Befehle nicht habe durchführen können. Auf die Frage, ob die Stadtverwaltung einen Umzug in die Westsektoren plane, erklärte er. "Wenn die Möglichkeit des Umzuges bestünde, würde der Russische Sektor Berlins wohl ziemlich entvölkert werden. Diese Möglichkeit gibt es aber nicht."

( "DPD", London 5. Juli 1948)

Rückkehr nach Deutschland

Die Teilnehmer der SPD-Delegation kehrten am Mittwochnachmittag von ihrem mehrtägigen Besuch in London nach Deutschland zurück. Da ihr Flugzeug in der Nähe von Brüssel notlanden mußte, setzten sie ihre Reise mit dem Auto nach Köln fort.

( "DPD", Wiesbaden, 7. Juli 1948)

Willi Eichler sagte nach seiner Rückkehr am Donnerstag in Köln, der britische Außenminister empfehle, die Verfassungsfragen in Westdeutschland beschleunigt in Angriff zu nehmen.

Bei den Besprechungen habe Bevin besonders auf die Dringlichkeit hingewiesen, die in den Londoner Empfehlungen vorgesehenen Termine einzuhalten.

Die SPD-Abgeordneten haben vorgeschlagen, an Stelle der drei Wahlakte nur eine Wahl, und zwar nach Vorlage der neuen Verfassung, vorzunehmen. Der Entwurf der Verfassung sollte nach sozialdemokratischer Ansicht von einer Verfassungskommission ausgearbeitet werden, die aus Vertretern der einzelnen Länder bestehen soll. Der britische Außenminister habe diese Pläne günstig aufgenommen.

Besonderen Wert legt der britische Außenminister nach Mitteilung Eichlers auf ein Besatzungsstatut für Westdeutschland, das den bisherigen rechtlosen Zustand beendigen solle. Eine Veränderung oder Verschiebung der gegenwärtigen deutschen Ländergrenzen sei nach Ansicht Bevins eine deutsche Angelegenheit.

Eichler sagte weiter, daß sich Außenminister Bevin besonders anerkennend über die Haltung der Berliner Bevölkerung ausgesprochen habe. Der britische Außenminister habe dabei betont, daß die Deutschen im Westen durch ihre freiwilligen Opfer für Berlin einen erheblichen Beitrag dafür geleistet hätten, dem deutschen Volk wieder Anerkennung in der Welt zu verschaffen.

Der britische Außenminister sicherte zu, daß die alliierten Lufttransporte nach Berlin weiter verstärkt werden sollen.

( "DPD", Köln, 8. Juli 1948)

"Wir haben für unsere Vorstelllungen in London breitestes Verständnis gefunden", erklärte Fritz Heine vom SPD-Vorstand am Donnerstag nach seiner Ankunft in Hannover. Die drei deutschen Sozialdemokraten haben sowohl in ihren Besprechungen mit der Labour Party als auch mit Unterhausmitgliedern und mit Außenminister Bevin den festen Willen Englands bestätigt gefunden, "Berlin zu halten, komme was da wolle".

Die Ruhrkontrolle und die Sozialisierung sind ebenfalls in den Aussprachen aufgeworfen worden.

In einer Bilanz seiner Londoner Eindrücke erklärte der Berliner SPD-Vorsitzende Franz Neumann am Donnerstag nach Ankunft in Berlin einem DPD-Vertreter: "Nach allem, was ich in den Besprechungen mit den Parteien und amtlichen Stellen erfahren habe, habe ich den Eindruck, daß die Westmächte fest entschlossen sind, die Blockade Berlins durch die Russen unwirksam zu machen. Diese Entschlossenheit zeigte sich bei allen Persönlichkeiten, die wir gesprochen haben."

( "DPD", Hamburg, 8. Juli 1948)

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Währungskampf in Berlin

Russen verlassen Sitzung der Kommandantur

Die russische Delegation verließ am Mittwochabend den Sitzungssaal der Alliierten Kommandantur.

Der amerikanische Vertreter, Oberst Howley[11], sagte in der Sitzung, man könne die russische Behauptung, für die "Einheit" und die "Verbesserung der Lage in Berlin" gearbeitet zu haben, anerkennen, wenn man unter "Einheit" ein "Geeintsein in Unwissenheit unter einer kontrollierten Presse und einer politischen Organisation" verstehe und unter einer "verbesserten Lage" eine "Reglementierung der Bevölkerung", die sie zwinge, "Liebesgaben von ihren politischen Oberherren" anzunehmen.

Brigadegeneral Benson[12], der britische Vertreter, wies die von General Kotikow[13] aufgestellten Behauptungen, man habe versucht, die Westsektoren der Wirtschaft der Bizone unterzuordnen, zurück. Diese Behauptung sei ein weiterer Versuch, Berlin wirtschaftlich der Russischen Zone zu unterstellen und die Stadt ihrer wirtschaftlichen Freiheit zu berauben. Berlin müsse mit allen Teilen Deutschlands wirtschaftliche Beziehungen unterhalten. Die russischen Behörden wollten Berlin isolieren und träfen einseitige Maßnahmen, was in sonderbarem Gegensatz zu ihrem "Papageiengeschrei nach der Einheit Deutschlands mit Berlin als Hauptstadt" stehe.

( "Tagesspiegel", Berlin, 17. Juni 1948)

Erklärung des Magistrats und der SPD

In der außerordentlichen Sitzung des Berliner Stadtparlaments teilte Louise Schroeder mit, daß sich der Magistrat mit der Situation, die durch die westdeutsche Währungsreform und die Erklärungen russischer Besatzungsvertreter für Berlin entstanden sei, beschäftigt habe, und gab folgende Erklärung ab:

"Nach wochenlanger Spannung ist Freitag von seiten dreier Besatzungsmächte die Währungsreform in Westdeutschland verkündet worden. Mit tiefem Bedauern haben wir davon Kenntnis genommen, daß es nicht möglich war, eine Einigung unter allen Alliierten über eine Währungsreform in Gesamtdeutschland zu erzielen.

Wenn ich dem tiefen Bedauern Ausdruck gebe, daß eine gesamtdeutsche Währungsreform unter Einschluß von Berlin nicht zustande gekommen ist, so möchte ich doch betonen, daß dadurch der politische Charakter Berlins als einer den vier Mächten unterstellten Stadt nicht beseitigt ist.

Wir bitten dringend, an diesem Charakter der Stadt festzuhalten."

Die Berliner SPD veröffentlichte zur Währungsreform in den westlichen Zonen folgende Erklärung:

Der Währungsschnitt zum Zwecke des beginnenden Wiederaufbaus der westdeutschen Besatzungszonen erregt die Gemüter aller Deutschen. Während im Westen die Spannung gelöst ist, hat sie in Berlin ihren Höhepunkt erreicht. Seit drei Jahren wurde im Osten ein eigener wirtschaftlicher und politischer Weg ohne jede Rücksicht auf die Lebensnotwendigkeiten Deutschlands gegangen. Dadurch scheiterten alle Bemühungen zur einheitlichen wirtschaftlichen Gestaltung.

Wir bedauern diese Tatsache. Sie zu ändern, liegt zur Zeit nicht in unserer Macht. Wenn es aber gelingt, zunächst auch nur in den westlichen Zonen eine neue Sozialordnung und den wirtschaftlichen Aufstieg zu sichern, dann wird das auch die Einheit und Freiheit ganz Deutschlands fördern.

Die Abschnürung Berlins wird von kurzer Dauer sein, wenn die Entschlossenheit der Berliner Bevölkerung in ihrem politischen Behauptungswillen zum Ausdruck kommt. Sie darf dann auf die Unterstützung aller demokratischen Kräfte rechnen.

Die wirtschaftliche Zusammenarbeit Berlins mit den westlichen Zonen und der Ostzone ist eine Lebensnotwendigkeit für Berlin und Deutschland. Die Berliner Sozialdemokratie kämpft weiter für ein einheitliches, demokratisches und sozialistisches Deutschland.

( "Sozialdemokrat", Berlin, 21. Juni 1948)

Einseitiges Vorgehen der Russen

Auf Grund einer Weisung der russischen Zentralkommandantur begaben sich die stellvertretende Oberbürgermeisterin von Berlin, Frau Louise Schroeder, Bürgermeister Dr. Friedensburg[14] und Stadtverordnetenvorsteher Dr. Suhr in den späten Abendstunden in das Stadthaus.

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Frau Schroeder und Dr. Suhr verließen das Haus kurz nach Mitternacht. Bald darauf erschienen Angehörige der russischen Besatzungsmacht und gaben Dr. Friedensburg Kenntnis von der für die Ostzone und für Berlin geplanten Währungsreform, die heute in Kraft treten soll.

Auf die Frage Dr. Friedensburgs, was geschehen solle, wenn die westlichen Besatzungsmächte ebenfalls Anordnungen für Berlin erließen, erhielt der Bürgermeister keine Antwort. Ebenso unbeantwortet blieb die Frage, was der Magistrat tun solle, wenn er von anderen Besatzungsmächten Weisungen erhalte, die im Gegensatz zu den Anordnungen der russischen Besatzungsmacht stünden.

Der amerikanische Kommandant von Berlin, Oberst Frank Howley, erklärte nach dem Bekanntwerden der russischen Anordnung über eine separate Währungsreform in der Russischen Besatzungszone und in Groß-Berlin: "Im Amerikanischen Sektor Berlins empfangen wir ausschließlich Befehle von General Clay. Alle Anordnungen für den Amerikanischen Sektor kommen von ihm. Berlin gehört nicht zur Russischen Besatzungszone. Berlin ist eine Stadt, die unter dem Viermächteregime steht. Das muß auch in Zukunft so bleiben."

( "Tagesspiegel", Berlin, 23. Juni 1948)

Westwährung eingeführt

Der Kommandant des Britischen Sektors von Berlin, Generalmajor E.O. Herbert[15], erließ am Mittwoch folgenden Befehl zur Währungsreform:

Die Kommandanten des Französischen, Britischen und Amerikanischen Sektors von Groß-Berlin sind unterrichtet worden, daß die sowjetische Militärverwaltung Befehle erlassen hat für einen Währungsumtausch in Groß-Berlin.

Diese sowjetischen Anweisungen widersprechen dem Viermächte-Abkommen über die Viermächte-Verwaltung Groß-Berlins. Diese Befehle sind im Französischen, Britischen und Amerikanischen Sektor null und nichtig und finden keine Anwendung auf die Einwohner dieser drei Sektoren.

Erforderliche Vorkehrungen werden getroffen, um in dem Französischen, Britischen und Amerikanischen Sektor von Groß-Berlin die neue Währung, die in den betreffenden Besatzungszonen Deutschlands gültig ist, einzuführen.

Der amerikanische und französische Kommandant in Berlin erließen Befehle gleichen Inhalts über ihre Sektoren.

Der Umtausch der alten Reichsmarknoten gegen Deutsche Mark wird am Freitag und Sonnabend in Berlin durchgeführt werden.

Die letzten Einigungsverhandlungen zwischen den vier Besatzungsmächten scheiterten an der Weigerung Marshall Sokolowskis, eine gemeinsame Regelung vorzunehmen.

Marshall Sokolowski gab in der Nacht zum Mittwoch bekannt, daß in der Sowjetischen Besatzungszone eine separate Währungsreform durchgeführt werde, die sich auch auf das Gebiet von Groß-Berlin und damit auf die westlichen Sektoren erstrecke.

Maletin[16], der Chef der sowjetischen Finanzverwaltung, warnte gleichzeitg vor "wirtschaftlichen Sanktionen", falls sich die Westmächte mit der Ausdehnung der sowjetischen Währungsreform auf Groß-Berlin nicht einverstanden erklären sollten.

In dem Befehl 111 der SMA, den Generalleutnant Lukjantschenko[17] an Frau Louise Schröder, amtierende Oberbürgermeisterin, übermittelte, wird ein scharfes Verbot ausgesprochen, in Berlin andere Währungen, darunter die neue Währung der westlichen Zonen, in Umlauf zu bringen.

In dem Brief Marschall Sokolowskis an die drei westlichen Militärgouverneure von Mittwoch nacht heißt es, daß sich die sowjetische Militärverwaltung zu einer Ausdehnung der Reform auf Groß-Berlin gezwungen sehe, weil "die Verkündung der separaten Währungsreform in den westlichen Besatzungszonen vorausgegangen" sei.

( "Die Welt", Hamburg, 24. Juni 1948)

Schutz der Bevölkerung versprochen

"Wir werden die Deutschen in unseren Sektoren vor der Drohung der Verhaftung schützen. Wir ziehen nicht ernsthaft die Möglichkeit in Betracht, daß die Besatzungsbehörden in den jeweiligen Sektoren der anderen Alliierten nach Leuten mit verbotenem Geld fahnden und sie verhaften." Dies erklärten Sir Eric Coates und Jack Benett[18], britische und amerikanische Finanzsachverständige, auf einer Pressekonferenz.

"In der Praxis wird die stillschweigende Bewegung des Geldes beider Währungen solche Ausmaße annehmen, daß man sie nicht verhindern kann, wenn man nicht zu Massenverhaftungen schreitet", fuhr der amerikanische Sprecher fort.

( "Die Welt", Hamburg, 24. Juni 1948)

Westmächte beraten

Am vergangenen Wochenende wurden zwischen Beauftragten der drei Westmächte in London Besprechungen über die Lage in Berlin geführt. Man ist allgemein der Ansicht, daß es die Russen nicht zu einer Kraftprobe in Berlin kommen lassen werden.

Zu dem Beschluß des Berliner Magistrats, eine Note an die Vereinten Nationen zu richten, verlautete am Montag, daß sich die Militärmission einer auswärtigen Macht in Berlin vorbehaltlich der Entscheidung ihrer Regierung bereit erklärt habe, die Note weiterzuleiten.

Die Versorgung der Berliner Bevölkerung in den Westsektoren mit Lebensmitteln wird mit 120 amerikanischen Transportflugzeugen aufrechterhalten, die pausenlos zwischen Frankfurt und Berlin verkehren.

Russen bestrafen

Die ersten Festnahmen wegen des Besitzes von DM in Berlin erfolgten am Sonntag und Montag am Alexanderplatz im Russischen Sektor.

An den von Polizeikräften abgeriegelten U- und S-Bahn-Ausgängen wurden die Passanten aufgefordert, ihr Geld vorzuzeigen. Die im Besitz von DM Angetroffenen wurden festgenommen und zum Polizeipräsidium gebracht

("Hannoversche Presse", Hannover, 29. Juni 1948)

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Deutschland hilft Berlin

Parlamentarische Körperschaften

Der Wirtschaftsrat grüßt Berlin

Der Präsident und die Fraktionsführer aller Parteien des Wirtschaftsrates außer der KP richteten am Freitagnachmittag ein Telegramm an den amtierenden Oberbürgermeister von Berlin, Frau Louise Schroeder, in dem sie der Berliner Bevölkerung Grüße übermittelten und die Anteilnahme der Westzonen in ihrem schweren Kampf für die Freiheit und Demokratie aussprechen. Westdeutschland sehe in Berlin das Symbol der deutschen Einheit und werde alles in seinen Kräften Liegende tun, um den Berlinern in ihrer schweren Lage zu helfen.

( "DPD", Hamburg, 2. Juli 1948)

Finanzausschuß berät praktische Hilfe

Der Finanzausschuß des Zweizonenwirtschaftsrates hat sich, wie am Dienstag aus dem Wirtschaftsrat verlautet, einstimmig für die Gewährung eines Kredites an die Westsektoren von Berlin ausgesprochen. Während aus dem Verwaltungsrat vor einigen Tagen 20 Millionen DM genannt wurden, wird im Wirtschaftsrat die Summe jetzt mit 45 Millionen DM beziffert.

( "DPD", Hamburg, 6. Juli 1948)

Deutsche Landtage helfen auf Antrag der SPD

Der Landesvorsitzende der SPD und Justizminister von Württemberg-Hohenzollern, Prof. Dr. Carlo Schmid, erklärte auf einer Treuekundgebung für Berlin, sämtliche SPD-Fraktionen in den westdeutschen Landtagen würden den Antrag einbringen, der Berliner Bevölkerung eine Tagesration, also insgesamt 40 Millionen Tagessätze, zur Verfügung zu stellen. Von alliierter Seite seien die notwendigen Transportmittel in Aussicht gestellt worden.

( "Die Welt", Hamburg, 6. Juli 1948)

Länder und Städte

Hamburg

Die von allen Fraktionen der Bürgerschaft mit Ausnahme der Kommunisten angenommene Entschließung hat folgenden Wortlaut:

"Die Bevölkerung der deutschen Hauptstadt Berlin ist durch Maßnahmen der östlichen Besatzungsmacht von allen Land- und Wasserverbindungen mit der Umwelt abgeschnitten und damit in den Zustand der Hungerblockade versetzt.

Den Einwohnern der westlichen Sektoren Berlins ist die Versorgung mit Kohlen, Elektrizität und allen Lebensmitteln gesperrt, den Krankenhäusern werden die Medikamente vorenthalten und selbst den Kindern wurde die Milch entzogen.

Mit Empörung hat Hamburg von diesen Meldungen Kenntnis genommen. Wir Bewohner einer Millionenstadt haben in der Vergangenheit die vielfachen Leiden durchkostet, die eine auch nur teilweise Beschränkung des Verkehrs und der Stromlieferung bedeutet. Wir empfinden die Hungerblockade als ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Sie steht im krassen Widerspruch zu den Grundsätzen eines friedlichen Aufbaues, den die sowjetische Besatzungsmacht immer wieder als ihr Ziel angibt.

Hamburg ruft alle zu einer sofortigen Hilfsaktion für Berlin auf. Ueberzeugt, damit den Gefühlen und dem Willen aller Hamburger zu entsprechen, ersucht die Bürgerschaft den Senat, den bedrängten Berlinern zusätzlich Lebensmittel in Höhe

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einer Tagesration der gesamten Hamburger Bevölkerung unter Anrechnung auf die künftige Zuteilung jedes einzelnen zur Verfügung zu stellen, und für die schleunigste Uebermittlung zu sorgen.

Die Bürgerschaft erhebt im Namen der Hamburger Bevölkerung, im Namen des Rechtes, der Demokratie und der Menschlichkeit Protest gegen die Urheber und Helfer dieser politischen Gewaltmethoden, die den Frieden der Welt erneut gefährden, und sie verbindet damit das Bekenntnis enger Verbundenheit mit allen demokratischen Kräften Berlins in ihrem Kampf um die Freiheit und Menschenwürde."

( "Hamburger Echo", Hamburg, 3. Juli 1948)

Niedersachsen

In einer Entschließung wendet sich der Aeltestenrat des Niedersächsischen Landtags mit aller Schärfe gegen die von der sowjetischen Besatzungsmacht gegen die Berliner Bevölkerung getroffenen Maßnahmen. In der Entschließung, die von allen Fraktionen gegen die Stimme der KP angenommen wurde, heißt es: "Der Aeltestenrat des Niedersächsischen Landtags hat in seiner Sitzung am 1. Juli mit Empörung von dem im Zusammenhang mit der Währungsreform gegen die Berliner Bevölkerung gerichteten Maßnahmen der östlichen Besatzungsmacht Kenntnis genommen, die mit ihrer Hungerblockade gegen Frauen und Kinder einen erklärten Fall von Vergehen gegen die Menschlichkeit darstellen. Der Aeltestenrat weiß sich einig mit der niedersächsischen Bevölkerung in der Verpflichtung, die Stadt Berlin mit allen erreichbaren Mitteln zu unterstützen, und sei es unter opferbereitem Verzicht auf eigene Rationen."

( "DPD", Hamburg, 1. Juli 1948)

Nordrhein-Westfalen

Das Kabinett von Nordrhein-Westfalen hat am Sonntagabend zu der Lage der Stadt Berlin Stellung genommen und beschlossen, der Berliner Bevölkerung zur Unterstützung in ihrem Kampf um die Freiheit 100.000 Tonnen Kohle kostenlos zur Verfügung zu stellen.

( "Nordsee-Zeitung"[19], Bremerhaven, 5. Juli 1948)

Schleswig-Holstein

Auf der 13. Sitzung des Schleswig-Holsteinischen Landtages am Dienstag in Kiel sprach Ministerpräsident Lüdemann über die Verhältnisse in Berlin. In einer einstimmig gefaßten Entschließung dankte der Landtag den Berlinern für ihre Haltung und rief die Bevölkerung Schleswig-Holsteins zur Mithilfe auf. Der Aufruf hat folgenden Wortlaut: "Willenskundgebung und gemeinsame Entschließung aller Fraktionen des Schleswig-Holsteinischen Landtags: Durchbrecht die Hungerblockade, unterstützt den Freiheitskampf Berlins! Zur Abwehr der Hungerblockade, die die sowjetische Besatzungsmacht über Berlin verhängt hat, beschließt der Schleswig-Holsteinische Landtag: Der Schleswig-Holsteinische Landtag dankt der Hauptstadt Berlin für ihre tapfere Haltung im Kampf um die Demokratie. Der Landtag beauftragt die Landesregierung, Maßnahmen zur Abwendung der Hungerblockade in die Wege zu leiten. Der Landtag ruft die Bevölkerung des Landes auf, sich durch freiwillige Spenden an der Hilfsaktion für Berlin zu beteiligen."

( "DPD", Hamburg, 6. Juli 1948)

Bayern

Vor dem Bayerischen Landtag, der am Donnerstag zu seiner ersten Sitzung nach der Währungsreform zusammentrat, grüßte der Landtagspräsident Dr. Horlacher[20] unter lebhaftem Beifall des gesamten Hauses die Berliner Bevölkerung und drückte seine Bewunderung für die Haltung der Berliner Stadtverordnetenversammlung und der amtierenden Oberbürgermeisterin, Frau Louise Schroeder, aus. Was sich heute in Berlin abspiele, sei in der Geschichte einmalig. "Wenn wir können, werden wir der Berliner Bevölkerung jede Hilfe zukommen lassen, über die wir verfügen", erklärte der Landtagspräsident.

( "DPD", Hamburg, 1. Juli 1948)

Bremen

Der Bremer Senat hat am Dienstag beschlossen, der Bürgerschaft mitzuteilen, daß er die allgemeine Hilfsaktion für das um seine Freiheit kämpfende Berlin unterstützen werde. Der Senat appelliert an die Bevölkerung Bremens, den Aufrufen der freiwilligen Sammlung nach besten Kräften nachzukommen.

Deutsche Städte erklären sich solidarisch

Die Kölner Stadtvertretung beschloß am Donnerstagabend auf einer außerordentlichen Sitzung mit den Stimmen der CDU und SPD gegen die Stimmen der KP, aus den eigenen Lebensmittelvorräten der Berliner Bevölkerung zu helfen. In einer Entschließung bekundet die Kölner Stadtvertretung ihre aufrichtige Sympathie für die schwerleidende Berliner Bevölkerung.

( "DPD", Hamburg, 8. Juli 1948)

In einem Telegramm an die Stadt Berlin sichert der Magistrat der Stadt Wiesbaden, der "um ihre Menschenrechte und ihr Leben ringenden Berliner Bevölkerung" seine volle Anteilnahme und seine Sympathie zu. Die Stadt Wiesbaden sei bereit, für den Sieg der Humanität und Freiheit jede mögliche ideelle und materielle Unterstützung zu geben.

( "DPD", Hamburg, 1. Juli 1948)

Im Rahmen der Aktion "Ruhropfer für Berlin" beschlossen die Fraktionsvorsitzenden des Oberhausener Stadtparlaments in einer Sondersitzung, eine Tagesration an Lebensmitteln und 100 Tonnen Kartoffeln für Berlin zur Verfügung zu stellen.

( "DPD", Hamburg, 6. Juli 1948)

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Der Hauptausschuß der Stadtvertretung Wuppertals sprach in einer Entschließung "der um ihre Freiheit und wirtschaftliche Unabhängigkeit kämpfenden Bevölkerung der Reichshauptstadt Berlin" seine herzliche Sympathie aus. In der Entschließung wird betont, die Wuppertaler Stadtvertretung betrachte es als ihre Pflicht, daß die Bevölkerung Westdeutschlands den durch Hunger bedrohten Berlinern Unterstützung gewähre.

( "DPD", Hamburg, 2. Juli 1948)

Die Kieler Stadtvertretung sprach am Freitag ihre Empörung über die Hungerblockade gegen Berlin aus. Sie erklärte sich bereit, die Bürger der Hauptstadt in ihrem Kampf um die demokratische Freiheit zu unterstützen.

( "DPD", Hamburg, 2. Juli 1948)

SPD-Vorstand telegrafiert an Frau Roosevelt

Der Vorstand der SPD in Hannover hat am Dienstag an Frau Roosevelt in ihrer Eigenschaft als Vorsitzende des Unterausschusses für Menschenrechte bei den Vereinten Nationen folgendes Telegramm gesandt: "In den drei Westsektoren Berlins ist die Lebensmittel- und Stromversorgung bedroht. Kinder, Alte, schwangere Frauen und Kranke sind ohne Frischmilch, Obst, Gemüse, Medikamente, Krankenhäuser ohne Licht und Strom. Wir bitten um ihre Unterstützung im Kampf für primäre Menschenrechte."

( "DPD", Hamburg, 6. Juli 1948)

Hamburg gibt ein Beispiel

Der Schauplatz war Hamburg, aber Hamburg lieh gestern nur dem erwachten Gewissen den Widerhall, denn von Hamburg nahm eine Bewegung ihren Anfang, die sich, das ist zu hoffen, fortpflanzen wird bis ins kleinste Dorf, bis in jede noch so bedeutungslos erscheinende Gemeindevertretung, damit aus dem Wort die Tat erwachse und aus ihr jene Kraft, die sich als stärker erweisen wird, als die brutale Macht der Diktatur. In einer Sondersitzung der Hamburger Bürgerschaft und auf einer Massenversammlung auf dem Rathausmarkt wurde dieser Wille Hamburgs bekundet. Franz Neumann, der Vorsitzende der Berliner SPD, stürmisch begrüßt, nahm als erster Redner das Wort. Scharf rechnete er mit den Methoden des Kommunismus ab. Weil die SEP bei der Wahl im Jahre 1946 mit nur 20 Prozent der Stimmen in einer hoffnungslosen Minderheit geblieben sei, darum hätte sie die braune Diktatur durch eine rote Diktatur ersetzt. "Aber Berlin wird nicht kommunistisch werden", rief er aus, "Deutschland wird nicht kommunistisch werden, und Europa wird auch nicht kommunistisch werden."

("Hamburger Echo", Hamburg, 3. Juli 1948)

Hamburgs Sozialdemokraten grüßen Berlin

Die heute versammelten Funktionäre der Landesorganisation Hamburg der SPD als gewählte Vertreter von 60.000 Mitgliedern und 317.215 sozialdemokratischen Wählern Hamburg sind aufs tiefste empört über die Gewaltmethoden der SEP, mit denen diese in den Wahlen der Berliner Bevölkerung zur Minderheit herabgesunkenen Partei das Stadtparlament in seinen Verhandlungen überfiel und sozialdemokratische Abgeordnete mißhandelte[21]. Die von der SEP an die demokratischen Parteien Berlins gerichtete Aufforderung, ihre Politik und ihre gewählten Führungsorgane zu ändern, bewerten wir Hamburger Sozialdemokraten als unverschämte, undemokratische Anmaßung einer Organisation, die selbst totalitär aufgebaut ist und sich in ihren Methoden in nichts mehr von der Hitlerpartei unterscheidet, die uns Sozialdemokraten 12 Jahre lang hetzte, verfolgte und unterdrückte. Die SEP erhebt kein Wort der Kritik und des Protestes gegen die Aushungerungsdelikte der russischen Besatzungsmacht, die gegen die Berliner Bevölkerung verhängt wurden und die gesamte Wirtschaftstätigkeit einer 3,5 Millionenstadt zum Stillstand bringen soll, um durch Hungerterror die Menschen zur Verzweiflung zu treiben.

Euch Berliner Sozialdemokraten aber sprechen wir unsere tiefste Sympathie aus. Wir bewundern Euren Mut und Eure Treue, mit denen Ihr den Kampf für ein wahrhaft demokratisches Berlin und ein in Freiheit geeintes Deutschland so beispielhaft für uns alle weiter führt. Wir wissen, daß Euer Schicksal auch unser Leben bestimmt. Ihr sollt aber auch wissen, daß uns kein Opfer zu groß ist, Euch zu helfen. Es Euch gleichzutun ist unser Versprechen. Es lebe die Solidarität im Kampf für die Freiheit!

 

Sozialdemokratische Partei, Landesorganisation Hamburg,
Karl Meitmann

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Kiel protestiert gegen die Hungerblockade

Im großen Saal des Gewerkschaftshauses fand sich die Kieler Bevölkerung am vergangenen Sonnabendmittag zu einem einmütigen Protest gegen die Hungerblockade zusammen, mit der die sowjetische Besatzungsmacht die Berliner Bevölkerung in ihren Willen zu demokratischer Freiheit mit brutalsten Mitteln zu zermürben versuche. Oberbürgermeister Gayk ging auf die politische Taktik der östlichen Blockpolitik gegen den Westen ein. "Als Insel der Freiheit lag die deutsche Hauptstadt in einer Ostzone der Unfreiheit. Da ging, erbittert, die sowjetische Besatzungsmacht zu Kampfmethoden über, die ein Verbrechen an der Menschlichkeit darstellen und die jedem gesitteten Menschen die Schamröte ins Gesicht treiben müßte." "Was sich hier austobt", stellte Gayk fest, "das ist die Moral von politischen Wilden.". "Die Sozialdemokratie", rief er den Versammelten zu, "das darf ich wohl in Eurem Namen versichern, denkt nicht daran, die Bevölkerung Berlins im Stiche zu lassen. Wir wissen, was ein totalitäres Gewaltregime bedeutet, und wir sind entschlossen, seine Einführung in Deutschland mit allen uns zu Gebote stehenden Mitteln zu verhindern."

( "Schleswig-Holsteinische Volkszeitung", Kiel, 6. Juli 1948)

Sympathiekundgebungen in Hessen und Bielefeld

Auf einer Sympathiekundgebung für Berlin, die der SPD-Bezirk Hessen-Nord am Montag in Kassel veranstaltete, gab der Bezirkssekretär der SPD, Weiß[22], eine Entschließung bekannt, in der auf den Ernst der gegenwärtigen Lage hingewiesen wird. Der Parteivorstand der SPD appelliert an die sozialistischen Parteien, die Gewerkschaften und alle demokratischen Kräfte in der Welt, dafür zu sorgen, daß dem freiheitlichen Berlin unverzüglich Hilfe gebracht wird. Im Westen müßten die politischen Konsequenzen gezogen werden, da in Berlin die Entscheidung über die europäische und deutsche Demokratie fällt.

( "DPD", Hamburg, 5. Juli 1948)

"Die Berliner Bevölkerung hat in den letzten Jahren von einer Besatzungsmacht abwechselnd Zuckerbrot und Peitsche zu spüren bekommen", sagte der Herausgeber des "Telegraf", Arno Scholz, Berlin, auf einer SPD-Kundgebung am Dienstag in Bielefeld. "In ihrem gegenwärtigen Kampf um die Freiheit Berlins sei die Berliner Bevölkerung zuversichtlich und harre aus, da in ganz Deutschland Frauen und Männer für diesen Kampf ihre Sympathien zum Ausdruck bringen. Die Demonstration einer Welt für Berlin könne auf die Dauer nicht ohne Einfluß auf den Kreml bleiben."

( "DPD", Hamburg, 6. Juli 1948)

Andere Parteien

FDP: "Laßt zwei Millionen Menschen nicht zugrunde gehen!"

Aus Anlaß der jüngsten Berliner Ereignisse erklärte am Donnerstag der Landesvorsitzende der FDP in Hamburg, Max Rademacher[23]: "Die außerordentliche Lage unserer Brüder und Schwestern in Berlin zwingt uns, ihnen unser Mitgefühl für ihre schwerbedrängte Lage und unsere moralische Unterstützung in ihrem Kampf um die Freiheit zu geben. Wir wenden uns an die ganze Welt, die nicht zulassen wird, daß zwei Millionen Menschen physisch und psychisch zugrunde gehen."

"Der Landesverband Niedersachsen der FDP grüßt die 2 Millionen in der Hauptstadt Deutschlands", heißt es in einem Telegramm der FDP Niedersachsens an die Berliner Stadtverordneten. "Wir stehen bei Euch in diesen Tagen der für die Zukunft unseres Vaterlandes so bedeutungsvollen Entscheidungen. Eure Haltung verpflichtet den Westen."

Die DP an das eingekesselte Berlin

Die DP in Hamburg veröffentlichte am Freitag eine Solidaritätskundgebung an Berlin, in der es u. a. heißt: "Der Kampf um die Freiheit Berlins ist der Kampf um die Freiheit Deutschlands. Der Kampf um die Freiheit Deutschlands ist der Kampf um die Freiheit der Welt."

( "DPD", Hamburg, 2. Juli 1948)

Westdeutsche CDU fühlt sich solidarisch

"Die CDU der Britischen Zone erklärt sich mit der Bevölkerung der Westsektoren Berlins solidarisch und ist bereit, nach Kräften in ideeller und materieller Hinsicht zu helfen", heißt es in einer am Freitag von der CDU-Zonenleitung in Köln herausgegebenen Erklärung.

( "DPD", Hamburg, 2. Juli 1948)

Arbeiterwohlfahrt und Falken

Die Arbeiterwohlfahrt sendet Lebensmittel

Der Hauptausschuß der Arbeiterwohlfahrt in Hannover ruft zu einer Solidaritätsaktion für die Berliner Bevölkerung auf. Um die Berliner in ihrem Kampf um Demokratie und Freiheit zu unterstützen, wird die Arbeiterwohlfahrt schon in den nächsten Tagen unter Zurückstellung eigener dringender Notmaßnahmen hochwertige, aus Auslandsspenden stammende Lebensmittel an die Arbeiterwohlfahrt der Stadt Berlin absenden.

( "DPD", Hamburg, 1. Juli 1948)

Berliner Falken verzichten auf Lebensmittelzulagen

Der Landesausschuß Berlin der sozialistischen Jugendorganisation "Falken" beschloß am Sonntag, die von den Besatzungsmächten für Zeltlagerverpflegung gespendeten Zuschüsse an Lebensmitteln an die westlichen Alliierten zurückzugeben, mit der Bitte, diese Mengen zur Aufrechterhaltung der Lebensmittelversorgung der Berliner Westsektoren zu verwenden.

( "DPD", Hamburg, 27. Juni 1948)

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Währungsreform und Lastenausgleich

Der Vorstand erklärt

Die SPD zur Währungsreform und zum Lastenausgleich

Währungsreform und Lastenausgleich sind nicht voneinander zu trennen. Die Schaffung lebenswürdiger Verhältnisse kann nicht allein von der Neuordnung des Geldes erwartet werden. Die SPD sieht in der Schaffung eines stabilen und funktionsfähigen Geldes zwar eine unerläßliche Voraussetzung zur Ordnung der Finanzen und zum Aufbau der Wirtschaft, ist aber der Meinung, daß damit die Aufgabe der Reform nicht erfüllt ist. Die Geldreform allein läßt die bisherigen zufälligen Eigentums- und Besitzverhältnisse bestehen und hebt den Grund zu sozialen Spannungen damit nicht auf. Nur ein gerechter und allgemeiner Vermögensausgleich kann das Privateigentum wieder legitimieren und ihm Rechtscharakter verleihen. Die jetzigen Eigentumsverhältnisse sind Zufallsergebnisse. Eine Neuregelung des Eigentums an Sach- und Geldwerten muß sozial gerecht sein. Diese Regelung kann nicht den Ländern überlassen bleiben, sondern setzt die Aufstellung allgemeiner und verbindlicher Grundsätze voraus. Die SPD fordert deshalb den Erlaß eines Rahmengesetzes zum Lasten- und Vermögensausgleich, das als Grundlage für die kommende allgemeine Wirtschafts- und Sozialpolitik zu dienen hat.

Stellungnahme der SPD-Wirtschafts-Fraktion[24]

I. Mit der heutigen Proklamation haben die Besatzungsmächte der drei Westzonen die erste Phase der Währungsreform bekanntgegeben. Ein abschließendes Urteil über die alliierte Entscheidung wird erst möglich sein, wenn Einzelheiten über die Behandlung der auf Konten eingezahlten Beträge veröffentlicht worden sind. Soviel ist jedoch sicher, daß es müßig wäre, über die Art der unumgänglich schmerzhaften und gefährlichen Operation zu streiten. Alle davon Betroffenen dürfen nur eines im Auge haben: der viel zu lange aufgeschobenen Geldneuordnung zu einem vollen Erfolg zu verhelfen. Große Kapitalien werden genau so zerschlagen wie die kleinen. Millionen, die nur wenig Geld besitzen, bleibt durch die relative Höhe der Kopfquote dies wenige erhalten. Die Sozialdemokratie wird alles tun, um das Vertrauen in das neue Geld zu stärken und nicht dulden, daß durch einseitige Interessen das große Experiment gefährdet wird.

II. Der Währungsreform zerreißt den Schleier, der die tatsächliche Armut des deutschen Volkes bisher verdeckte. Die ungeheuren Schulden, die jetzt sichtbar werden, offenbaren erst die furchtbare Schuld, die Hitler durch seine verbrecherische Politik auf sich geladen hat. Jetzt wird die Rechnung präsentiert für die wirtschaftliche Scheinblüte in den Vorkriegsjahren und für die Zerstörungen des selbstmörderischen Krieges. Wer in diesem Augenblick klagen wollte über Not und Armut, könnte nur diejenigen anklagen, die mit frevlerischer Leichtfertigkeit alle, aber auch alle materiellen Werte des deutschen Volkes in den Strudel der Vernichtung hineingezogen haben.

III. Millionen haben die Währungsreform dennoch herbeigesehnt. Es sind die Schaffenden aller Schichten, die in den vergangenen drei Jahren redlich gearbeitet haben, obwohl sie sich von dem Ertrag ihrer Arbeit noch nicht einmal sattessen konnten. Ihnen gebührt nicht nur Dank und Anerkennung, sondern auch Schutz vor jeder Benachteiligung. Den wird ihnen die Sozialdemokratie verschaffen. Das neue Geld würde bald genau so wertlos sein wie das alte, wenn von diesem Tage ab nicht jeder Schaffende seiner Leistung entsprechend am Sozialprodukt beteiligt würde. Nicht minder gilt die Sorge der Sozialdemokratie aber auch den Alten und Arbeitsunfähigen. Ihnen, die in der Mehrzahl schon einmal um ihre Spargroschen betrogen wurden, muß die Gewähr gegeben werden, daß sie vor äußerster Not bewahrt bleiben. Die Flüchtlinge und Ausgebombten, die an materiellen Werten am meisten eingebüßt haben, müssen ein besonderes Bezugsrecht erhalten, damit sie sich mit dem erarbeiteten neuen Geld das Notwendigste an Kleidung und Hausrat anschaffen können.

IV. Die Regelung des Lastenausgleichs wird den Erfolg der Währungsreform entscheidend beeinflussen. Die Belastung des Sachwertes wird ebenso drastisch vorgenommen werden müssen, wie jetzt der Geldbesitz beschnitten worden ist. Die Aufgaben, die die Alliierten mit dem Lastenausgleich den Deutschen selbst übertragen haben, fordern gebieterisch, die Armut so gerecht wie möglich zu verteilen, und keine Partei oder Interessentengruppe wird die Möglichkeit haben, sich hinter wohlklingenden Phrasen zu verstecken.

Die Sozialdemokratie wird durch ihre Vorschläge eine klare Stellungnahme aller Kreise erzwingen und darauf bestehen, daß schnell gehandelt wird, damit der soziale Frieden endlich gesichert wird. Die Währungsreform und der Lastenausgleich müssen das Ende der Sachwerttauscher, Schieber und Schwarzmarkthyänen bedeuten, die in dem vergangenen Währungschaos bis ins Ungemessene verdient haben. Die Arbeit, welcher Art sie auch sei, muß einzigen Quelle des Erwerbs werden, dann werden nach dem Gesetz der ausgleichenden Gerechtigkeit die Sachwerte in die Hände der Fleißigsten und Tüchtigsten wandern.

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V. Niemand darf an der Währungsreform verdienen. Dieser Grundsatz wird auf Initiative der SPD binnen kurzem Gesetzeskraft erlangen. Darüber hinaus tritt die Sozialdemokratie dafür ein, daß

1. jeder Beschäftigte in den Genuß der dem Unternehmer zugestandenen Quote gelangt,

2. keine Entlassungen vorgenommen werden dürfen, die auf währungspolitische Spekulationen der Unternehmer zurückgehen,

3. allen, denen die Mittel zur Einlösung der Kopfquote fehlen, aus privater und öffentlicher Hand sofort geholfen wird.

Die Bevölkerung sei nachdrücklichst gewarnt, sich etwa von Schiebern alles Geld aufdrängen zu lassen. Wer denen die Hand reicht, die jahrelang auf Kosten der Gesamtheit gepraßt haben, bringt sich selbst nur die Hilfe, die ihm jetzt gewährt werden kann.

Die Chance

Die Deutschen haben mit der Durchführung der Lastenausgleiche die einmalige und sich wahrscheinlich nicht wiederholende Chance, eine Wirtschafts- und Sozialordnung zu schaffen, die in den Grenzen der uns verbliebenen Möglichkeiten eine optimale wirtschaftliche Leistungsfähigkeit ermöglicht und gleichzeitig den Forderungen der sozialen Gerechtigkeit weitgehend entsprecht. Die Notwendigkeit des Lastenausgleichs wird allgemein anerkannt. Lediglich über die Art und Weise seiner Durchführung bestehen verschiedene Auffassungen, die jedoch charakteristisch für die soziale Grundhaltung ihrer Vertreter sind. Kommen diese unterschiedlichen, und zum Teil divergierenden Tendenzen zur Auswirkung, so besteht die Gefahr, daß zumindest die Lösung wesentlicher Teilprobleme so stark verwässert wird, daß damit die großzügige Sozialreform - um eine solche handelt es sich bei der Frage des Lastenausgleichs - illusorisch wird.

Es ist darum notwendig, mit den Gewerkschaften die Forderung auf Schaffung eines Rahmengesetzes über Lasten- und Vermögensausgleich zu stellen, das als Grundlage für die kommende allgemeine Wirtschafts- und Sozialpolitik zu gelten hat. Der Geltungsbereich dieses Rahmengesetzes muß dasselbe Gebiet umfassen, für das die Währungsreform durchgeführt wird; die Länderhoheit muß also eine Begrenzung erfahren. Folgende allgemeine Grundsätze müssen die Grundlage für das Gesetz sein:

1. Steuerung der Wirtschaft, um die neue Währung zu fundieren.

2. Steigerung des Sozialproduktes, und zwar

3. zugunsten der Schaffenden und Hilfsbedürftigen.

Die im Gesetz im einzelnen noch festzulegenden Erstattungsleistungen können nur zwei Quellen entnommen werden:

a) aus dem unzerstört gebliebenen Rest der individuellen Genuß- und Erwerbsvermögen durch eine Neuverteilung zugunsten der Kriegsgeschädigten;

b) aus dem künftigen deutschen Sozialprodukt.

Gerade die Entnahme aus dem Sozialprodukt zugunsten der Geschädigten bedeutet eine starke Belastung der Wirtschaft und damit letzten Endes auch der schaffenden Menschen. Es ergibt sich daraus, daß die Erstattungsleistungen zeitlich begrenzt sein müssen und nach einer gewissen Zeit aufzuhören haben. Es ergibt sich ferner aus der Begrenzung der Erstattungsquellen, daß übertriebene Erwartungen nicht erfüllt werden können. Die Erstattungsleistungen sind daher auf die schweren Schäden zu beschränken, wobei die soziale Lage der Geschädigten berücksichtigt werden muß. Es muß ferner außerdem eine absolute Obergrenze festgesetzt werden, über die hinaus auch schwere Schäden nicht berücksichtigt werden können.

Ein interessanter und sehr beachtlicher Vorschlag wird von Dr. Gerhard Weisser gemacht, der die Gewährung fester Renten mit Kapitalisierungsmöglichkeiten und erforderlichenfalls, soweit es die Neubildung von volkswirtschaftlichem Kapital aus dem Sozialprodukt gestattet, Gewährung von Kredithilfen an die schwergeschädigten Unternehmen vorschlägt. Kapitalisierungsmöglichkeiten von Renten können nach seiner Meinung für die Fälle vorgesehen werden, in denen die Geschädigten in volkswirtschaftlich gesunder Weise einen Betrieb errichten, eine Siedlungsstätte einrichten, eine Wohnung erstellen oder zu einer Erstellung finanziell beitragen wollen.

Lediglich eine Neuverteilung des unzerstörten Altvermögens wird den Bedürfnissen der Geschädigten nicht gerecht. Die Neuverteilung muß in einer Form geschehen, daß sich aus ihr der Anreiz oder notfalls der Zwang zur stärksten produktiven Leistung ergibt.

Klare Antworten erforderlich

In einem Artikel Herbert Kriedemanns über die Währungsreform heißt es u. a.:

Da die Währungsreform nun nicht als Ergebnis eines innerdeutschen politischen Kompromisses, sondern als Gesetz der Siegermächte Tatsache geworden ist, kann sie in ihrem ersten Akt nichts anderes als die nüchterne, zahlenmäßige Feststellung sein, wie arm wir als Volk geworden sind. Die gerechte Verteilung dieser Armut nach der Tragfähigkeit auf den einzelnen steht noch aus. Der Lastenausgleich, sozusagen der zweite Akt, ist von den Siegern glücklicherweise den Deutschen selbst überlassen worden, und auf diesen Lastenausgleich wird

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sich die innerdeutsche politische Auseinandersetzung für die nächste Zeit entscheidend konzentrieren. Ueber die Einzelheiten dieser Fragen wird noch viel zu sagen sein. Gegen diejenigen aber, die versuchen werden, sich an den Konsequenzen vorbeizudrücken, die sich aus dieser Aufgabe ergeben, sei schon heute gesagt: Der Lastenausgleich entscheidet auch darüber, ob die Währungsreform Erfolg haben wird oder nicht, und es ist deshalb sehr wichtig, daß von keiner politisch Verantwortlichen Seite her Zweifel daran gelassen werden, ob etwa der Sachbesitz ebenso drastisch herangezogen werden wird, wie es in der Währungsreform jetzt mit dem Geldbesitz geschehen ist. Den Kleinsparern und den Kleinrentnern will die Sozialdemokratie in dieser Stunde sagen, daß sie nicht zu verzweifeln brauchen. Noch bevor der Lastenausgleich in vollem Umfange ausgehandelt sein wird, muß für die nach der Währungsreform in ihrer Lebenshaltung unmittelbar bedrohten Aermsten der Armen sofort ein wirksamer Ausgleich geschaffen werden. Dabei wird die Sozialdemokratie nicht zulassen, daß ein Alter, der nun vielleicht schon zum zweitenmal seine Sparpfennige verschwinden sieht, mit einer Hungerrente abgespeist wird, während ein anderer - vielleicht sogar als politisch Belasteter - seine voll erworbenen Rechte in Form einer großen Pension nach Hause trägt.

Es ist der feste Wille der Sozialdemokratie, daß das nicht geschieht, und sie wird mit klaren Vorschlägen alle anderen Parteien zwingen, ebenso klar zu sagen, was sie dem einen nehmen wollen, um dem anderen damit wirksam helfen zu können. In dieser für die Zukunft unseres Volkes entscheidenden Frage wird keine Phrase erlaubt sein, sondern müssen klare Antworten gegeben werden.

Grundzüge

Ueber die Grundzüge eines gerechten Lastenausgleiches schreibt R. Gerstung u. a.:

Vom Wirtschaftswissenschaftlichen Institut der Gewerkschaften der Britischen Zone liegt ein Gutachten vor. ("Die Gewerkschaften zur Währungs- und Finanzreform") in dem Grundsätze für einen sozial gerechten Lastenausgleich aufgestellt werden. Einige Punkte seien herausgegriffen:

1. Nur ein gerechter und allgemeiner Vermögensausgleich kann das Privateigentum wieder legitimieren und ihm Rechtscharakter verleihen. Ohne Vermögensausgleich wird es in Deutschland keinen sozialen und politischen Frieden geben. Deshalb hängt auch das Gelingen der Geldreform letzten Endes von der Durchführung eines sozialen Lastenausgleichs ab.

2. Anpassung der Vermögens- und Einkommenspyramide an die Leistungsmöglichkeiten einer verarmten Volkswirtschaft.

3. Schaffung eines Rahmengesetzes über die Reichsschuldenregelung und den Vermögensausgleich.

4. Einrichtung einer selbständig abrechnenden Kriegsschädenausgleichskasse, welche die Abgabebeträge für die Geschädigten treuhänderisch verwaltet. Trennung der finanziellen Abwicklung der Vergangenheit von den öffentlichen Haushalten, die es mit der Finanzierung der gegenwärtigen und zukünftigen Aufgaben zu tun haben.

5. Sonderbehandlung der Sozialversicherten.

Wir machen uns diese Grundsätze der Gewerkschaften zu eigen. Insbesondere betonen wir, daß der Lastenausgleich nicht auf Kosten der Arbeitseinkommen erfolgen darf. Natürlich muß der nicht mehr verdienende Teil der Bevölkerung stärker berücksichtigt werden als junge, arbeitsfähige Menschen, die Belastung des arbeitenden Menschen darf aber nicht den Arbeits- und Leistungswillen beeinträchtigen. Eine wesentliche Beschneidung der laufenden Arbeitseinkommen zugunsten der Reichsgläubiger würde mit Sicherheit der Leistungswillen der Schaffenden abtöten.

( "Sozialdemokratischer Pressedienst", Hannover, 3. Juni 1948)

Ein Vorschlag

Vor der Bremischen Bürgerschaft gab Senatspräsident Kaisen Erläuterungen zur Durchführung der Währungsreform. Er erklärte dabei u.a., daß zur Durchführung der Lastenausgleichs zugunsten der Ausgebombten, Flüchtlinge und Kriegsbeschädigten von deutscher Seite Vorschläge ausgearbeitet worden seien, die folgende Grundsätze enthalten:

1. von allen Vermögen wird eine nach gleichen Maßstäben bemessene einmalige Abgabe erhoben, die in eine neu zu errichtende Ausgleichskasse fließt.

2. Die Abgabe führt dazu, die Schäden des Krieges und seine Folgen im Rahmen des Möglichen auszugleichen.

3. Das abgabepflichtige Vermögen wird ermittelt nach dem Stand vom letzten Tage vor dem Inkrafttreten der neuen Währung. Es wird bewertet nach folgenden Grundsätzen: Das Geldvermögen wird zum vollen Reichsmarknennwert eingesetzt. Das unbewegliche Vermögen wird nach dem letzten Einheitswert eingesetzt. Die übrigen Arten von Sachvermögen werden nach den sonstigen bisherigen Grundsätzen des Vermögenssteuerrechtes bewertet. Kriegs- und Kriegsfolgeschäden werden zum vollen Reichsmarkwert eingesetzt und als Bestandteil des abgabepflichtigen Vermögens behandelt.

4. Vermögen bis zu 5.000 Mark bleiben abgabefrei. Dieser Betrag erhöht sich bei natürlichen Personen um 3.000 Mark für die Ehefrau und um 1.000 Mark für jedes Kind.

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5. Die Abgabe wird grundsätzlich in neuem Geld entrichtet. Dabei werden aber nach Maßgabe besonderer gesetzlicher Bestimmungen angerechnet[:] die durch die Währungsumstellung offengelegten Verluste der Geldvermögensbesitzer, die Verluste durch Kriegs- und Kriegsfolgeschäden und die Verluste der Gläubiger des Reiches. Auf Antrag soll die Abgabe umgewandelt werden können in eine langfristige, jährlich laufend zu tilgende und zu verzinsende Kapitalschuld zugunsten der Ausgleichskasse.

6. Die für die Durchführung des Lastenausgleiches nötigen Gesetze sind in Bearbeitung. Sie werden unverzüglich den gesetzgebenden Stellen vorgelegt werden und sollen von diesen in kürzester Frist verabschiedet werden."

( "Frankfurter Rundschau", Frankfurt, 19. Juni 1948)

Der nächste Schritt

Wie es scheint, sind die weitergehenden Pläne der drei Besatzungsmächte so gedacht, daß nicht mehr nur deutsche Sachverständige zu den Beratungen hinzugezogen, sondern der Wirtschaftsrat maßgebend in den noch zu treffenden Entscheidungen beteiligt ist. Mit der in der ersten Proklamation enthaltenen Bestimmung, daß innerhalb von 6 Monaten über den Lastenausgleich entschieden werden muß, haben die Oberbefehlshaber bereits unterstrichen, welche Bedeutung sie dieser für den Erfolg der Währungsreform ausschlaggebenden Maßnahme beimessen. Die weitgehende Uebertragung der im Zusammenhang mit der Neuordnung des Geldwesens noch zu leistenden gesetzgeberischen Arbeit an den Wirtschaftsrat entspricht der Logik der Entwicklung, die in Westdeutschland mit dem heutigen Tage beginnt.

Nicht nur sind jetzt die zahllosen Gutachten und Vorschläge zur Währungsreform überholt, es wäre auch unklug, wenn die abstrakten wissenschaftlichen Debatten noch weiter geführt und über Einzelheiten der alliierten Entscheidung gestritten würde. An den Tatsachen ist nichts zu ändern. Da der Wert des Geldes nicht auf einer Theorie beruht, sondern von dem Vertrauen bestimmt wird, das ihm die Gesamtheit des Volkes schenkt, muß alles ausgeschaltet werden, was diesem Vertrauen abträglich ist.

In dem "Nervenkrieg" der letzten Tage ist die Frage der Steuerreform, die mit der neuen Geldordnung unlösbar verknüpft ist, etwas in den Hintergrund getreten. Es ist jedoch von großer Bedeutung, daß jetzt doch mit einer weitgehenden Annahme der vom Wirtschaftsrat vorgelegten Empfehlungen gerechnet werden kann. Da der Plan in einer erheblichen Senkung der Einkommensteuer gipfelt, hatten die anglo-amerikanischen Stellen Bedenken geäußert, wohingegen General Koenig[25] in den Verhandlungen ausgesprochen haben soll, daß die Französische Besatzungszone mit den neuen Steuersätzen ihren Haushalt nicht ausgleichen kann. So bestand die Gefahr einer Sonderregelung für die Französische Zone, wodurch das Wirtschaftsgefüge des Westens stark in Mitleidenschaft gezogen und die Bildung der Trizone sehr erschwert worden wäre. Der Kompromiß dürfte in geringfügigen Erhöhungen einiger der von deutscher Seite vorgeschlagenen Sätze, etwa der Tabak- und Vermögenssteuer, gefunden worden sein.

("Hannoversche Presse", Hannover, 19. Juni 1948)

Die Letzten aus England

(Aus dem "Sozialdemokratischen Pressedienst")

In diesen Tagen sind die letzten deutschen Kriegsgefangenen nun auch aus England zurückgekehrt. Die Entlassung aus amerikanischer Kriegsgefangenschaft, die schon im vorigen Jahr beendet war, hatte den erheblichen Schönheitsfehler, daß viele dieser Kriegsgefangenen in Frankreich oder England blieben und damit gewiß keine Erleichterung ihres Loses verbunden war. Bei den Heimkehrern aus England handelt es sich um echte Entlassungen. Darüber wird man sich freuen. Die Dankbarkeit erstreckt sich mehr auf die Art der vorangegangenen Behandlung als auf den Termin, der immerhin über drei Jahre nach Beendigung der Feindseligkeiten liegt.

Die deutschen Kriegsgefangenen haben es in England nach allen vorliegenden mündlichen Berichten der inzwischen bereits Heimgekehrten und nach dem Eindruck zahlreicher Besucher in den Camps gut gehabt - soweit man das überhaupt von jemandem in der bitteren Situation eines Gefangenen sagen kann. Die englischen Behörden haben sich vor allem auch um das geistige Wohl der ihnen Anvertrauten gekümmert und den ehrlichen Versuch einer möglichst unaufdringlichen politischen Aufklärung gemacht. Die Erfolge haben einigermaßen diesem Bemühen entsprochen.

Wenn die Letzten aus England zurückkehren, wird auch auf sie, wie auf alle, die schon vorher kamen, eine Fülle neuer Eindrucke einstürmen. Sie werden sich in wesentlichen Punkten von den bisherigen unterscheiden, denn das Bild ist etwas freundlicher geworden, trotz der Armut und der Trümmer, die das Bild des deutschen Lebens noch für lange Zeit bestimmen werden. Drei Jahre in einem fremden Lande, das die Kriegsgefangenen nach der Erlaubnis, in englischen

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Familien verkehren dürfen, auch von der zivilen und rein menschlichen Seite sahen, entfremden sehr leicht dem Leben im eigenen Lande, vor allem, wenn sich dort umwälzende Veränderungen vollzogen haben.

Viel wird für die Zukunft der Heimkehrer davon abhängen, wie sie sich innerlich mit diesen Veränderungen abfinden. Die meisten von ihnen kommen sehr kritisch gestimmt, vor allem gegenüber Deutschen, die heute "etwas zu sagen haben" und die wirtschaftlich wieder festen Boden unter den Füßen gewannen. Viele Verallgemeinerungen und mancherlei unsachliche Verärgerung stehen neben berechtigten Beschwerden. Die Stichhaltigkeit ihres Urteils wird sich erst nach der Rückkehr im Land selbst erweisen.

Bei den deutschen Stellen - allen Behörden und Organisationen und unter ihnen besonders den Parteien - liegt gerade auch hier eine große Verantwortung. Sie müssen vor allem in Rechnung stellen, daß Parolen, Versprechungen und schöne Worte gerade bei denen, die zurückkommen, sehr wenig wiegen im Vergleich zu einwandfreier Haltung und praktischer Hilfe. Es darf nie wieder vorkommen, daß jemand, der nach langen Jahren zurückkam, in dem Stacheldraht verendet, den die Bürokratie um ihren Wirkungsbereich gezogen hat.

Die Bayernpartei

Die drittstärkste Partei Bayerns

Lallingers[26] krachlederne Widerstandsbewegung gegen die deutsche Einheit ist um etliche Marschsäulen stärker aus dem Wahlfeldzug um die 5.768 neu zu besetzenden bayerischen Gemeinde- und Stadtratssitze hervorgegangen. Der - von ihr erwartete - ungewöhnliche Zulauf hat die eineinhalbjährige Bayernpartei bei steilsteigender Tendenz zur drittstärksten ihres Landes gemacht. Ihr Abstand zur CDU, der sie neben der stark zur Ader gelassenen WAV viele neue Wähler verdankt, hat sich merklich verringert, wobei zu berücksichtigen ist, daß fast sämtliche Wahlkreise im Altbayerischen liegen, wo ihre Chancen ungleich größer waren als in Franken und Schwaben.

Ihre "außenpolitichen" Ziele

Der Hauptexponent dieser Partei, der von der CSU zu den Bajuwaren übergegangene Dr. Baumgartner[27], hatte den Bayernstandpunkt seiner Bewegung vorher bereits mehrfach und unmißverständlich historisch und wirtschaftlich motiviert: Erringung der seit 783 n. Chr. auf Verwirklichung wartenden Unabhängigkeit und wirtschaftliches Selbstbestimmungsrecht auf Grund einer aktiven Handelsbilanz. Darüber hinaus müsse ein Staatsbürgergesetz Klarheit schaffen, wer nach Bayern gehört und wer nicht. Seine staatspolitische Zukunftsmission umreißt Baumgartner mit den Worten: "... für die Vereinigten Staaten von Deutschland in einem europäischen Staatenbund!" Die Forderungen eines Exposés, das der außenpolitische Arbeitskreis der Partei am Wahlvorabend an die Adressen führender ausländischer Staatsmänner versandte, sind selbst für deutsche Zungen ungeläufig. An den bösen Preußen bleibt kein gutes Haar, "Deutschland" nennt man die größte Geschichtsfälschung der Neuzeit, das Gebilde "Preußen-Deutschland" durch Vertragsbrüche und Kriege herbeigeführte Annexionen.

( "Interpress"[28], Hamburg, 4. Juni 1948)

Sammelbecken der Unzufriedenen

Die Bayernpartei, vor Jahresfrist noch eine unbedeutende Gruppe, hat es in geschickter Auswertung der politischen und wirtschaftlichen Zeitnöte verstanden, sich zur Fürsprecherin der Unzufriedenen zu machen. Bayern hat sich schon lange als Opfer der Frankfurter Bürokratie betrachtet und ist durch den Zustrom Landfremder schwerer belastet als manche anderen deutschen Länder. Ernährungskrise und Wohnungsnot sind ein ausgezeichneter Nährboden für eine Partei, die behauptet, dies alles werde besser werden, wenn Bayern völlige Handlungsfreiheit erlange. Diese Partei hat sich, nachdem sie lange Zeit den

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Weg des extremen Föderalismus verfolgte, in ihrer Wahlpropaganda nun zum Separatismus bekannt. Sie wünscht die volle staatliche Selbständigkeit Bayerns. Es darf nicht übersehen werden, daß die Bayernpartei, die sich kräftig in den politischen Mechanismus einschaltete, schon jetzt die KP, die FDP und die WAV überflügeln und mancherorts die Führung ganz an sich reißen konnte. Von einem überwältigenden Bekenntnis der bayrischen Wählerschaft zum Programm der Partei kann aber nicht die Rede sein. Bleibt die ungünstige wirtschaftliche Lage der Nachkriegsjahre auf lange Sicht bestehen, so werden auch der Bayernpartei neue Mitläufer zuströmen. Tritt eine spürbare Besserung ein, dann wird sich der Hang zur Mäßigung wieder durchsetzen.

( "Allgemeine Zeitung"[29], Mainz, 4. Juni 1948)

Flucht vor der Gesamtverantwortung

Die Landesversammlung der Bayernpartei hat mit Parolen aufgewartet, die weniger auf eine sichere politische Konzeption der Führer dieser Partei, als darauf schließen lassen, daß hier eine Notlage, die ihre Ursachen in einem verlorenen Kriege hat, dazu benutzt werden soll, die weniger edlen Instinkte der Wähler aufzupeitschen. Man könnte den Verdacht hegen, daß die Bayernpartei ihre Idee, Bayern völlig selbständig zu machen und es ohne den Umweg über einen deutschen Staatenbund oder Bundesstaat direkt an die westeuropäische Union anzuschließen, nur deshalb propagiert, weil sie auf diese Weise Bayern am bequemsten der Gesamtverantwortung, die auf allen Ländern Deutschlands gleichmäßig ruht, entziehen könnte.

( "Tagesspiegel", Berlin, 23. Juni 1948)








Issued by the London Representative of the German Social Democratic Party,
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Editorische Anmerkungen


1 - "Barry": Henry Vaugham Berry (1891 - 1979), Staatsbeamter, dann Bankier, in der Londoner Finanzwelt als Fachmann für Deutschland angesehen, 1946-1949 brit. Gouverneur der Stadt Hamburg, 1949-1950 Vertreter Großbritanniens in der Internationalen Ruhrbehörde in Düsseldorf.

2 - Allan Flanders (1910 - 1973), vor 1933 Besuch einer Landerziehungsschule des ISK in Deutschland, 1943-1946 wissenschaftlicher Assistent des TUC, 1946-1947 Abteilungsleiter bei der britischen Control Commission Germany, später Universitätslaufbahn (Prof.) mit dem Spezialgebiet Industrial Relations in GB (Beziehungen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern), Tarifverhandlungen und Gewerkschaften.

3 - Ida Wolff, geb. Pohl (1893 - 1966), Buchbindereiarbeiterin, Verkäuferin und Büroangestellte, seit 1912 gewerkschaftlich organisiert und seit 1918 in der SPD, 1920-1933 SPD-Stadtverordnete in Brieg (bei Breslau) und Provinziallandtagsabgeordnete für Mittelschlesien, in der NS-Zeit mehrfach verhaftet und anderweitig politisch verfolgt, 1937 nach Berlin verzogen. 1946-1963 SPD-Stadtverordnete bzw. Mitglied des Abgeordnetenhauses in Berlin, langjährige Vorsitzende der Berliner Arbeiterwohlfahrt.

4 - Rudolf Zorn (1893 - 1966), Jurist (Verwaltungsdienst), schon als Student SPD-Mitglied, 1933 als 1. Bürgermeister der Stadt Oppau entlassen (vorher wegen Missachtung der Hakenkreuzfahne in Schutzhaft). 1946-1947 bayerischer Wirtschaftsminister (SPD), dann Wirtschaftsanwalt, 1950-1951 bayerischer Finanzminister, bis 1964 Präsident des Bayerischen Sparkassen- und Giroverbandes.

5 - "Londoner Empfehlungen": Vgl. u. a. SM 111/112, Mai/Juni 1948, S. 3.

6 - Konrad Adenauers Artikel wurde nicht weiter recherchiert.

7 - Christian Stock (1884 - 1967), Tabakarbeiter, seit 1902 Mitglied der SPD, ab 1910 Gewerkschaftsfunktionär, 1919-1920 sozialdemokratischer Abgeordneter der Nationalversammlung (MdNV), 1920 Unterstaatssekretär im Reichswehrministerium, 1922-1926 Direktor der Allgemeinen Ortskrankenkasse (AOK) Heidelberg, 1926-1932 Stadtrat für Sozialwesen in Heidelberg, danach AOK-Direktor Frankfurt a. M., 1933/1934 8 Monate KZ Kieslau, später Arbeit als Handelsvertreter und Zigarrenhändler. 1946-1954 SPD-MdL Hessen, 1946-1950 hessischer Ministerpräsident.

8 - Die "Badische Zeitung" (Freiburg im Breisgau) erschien ab Februar 1946, anfangs 2mal wöchentlich, später als (parteiunabhängige) Tageszeitung.

9 - Georgij N. Zarubin, (1900 - 1958), Textilingenieur, 1940-1944 im sowjetischen Außenministerium (u. a. Leiter der Amerikanischen Abteilung), SU-Botschafter 1944-1946 in Kanada, 1946-1952 in GB, 1952-1958 in den USA, 1958 stellvertr. Außenminister.

10 - Danziger Gulden = 1923 - 1939 die Währung der Freien Stadt Danzig.

11 - Frank L. Howley (geb. 1903), Reklamefachmann, 1940 Eintritt in die US-Armee, 1945-1949 Kommandant des amerikanischen Sektors von Berlin.

12 - Edward Riou Benson (1903 - 1985), Berufsmilitär (Artillerie), 1948-1950 führender Vertreter der Britischen Militärregierung für Berlin.

13 - Alexander Kotikow (1902 - 1981), Berufsmilitär, 1945-1946 Chef der SMAD in Sachsen-Anhalt, 1946-1950 Kommandant des sowjetischen Sektors von Berlin.

14 - Ferdinand Friedensburg (1886 - 1972), Bergassessor (Bergbauwissenschaften) und Jurist (Verwaltungsdienst), Mitglied der DDP und des Reichsbanner, 1927 bis zu seiner Amtsenthebung 1933 Regierungspräsident in Kassel, 1935 Gestapohaft. 1945 Mitgründer der CDU in Berlin und der SBZ, 1945-1946 Präsident der Zentralverwaltung für Brennstoffindustrie in der SBZ (durch die SMAD amtsenthoben), 1946-1951 stellvertr. Oberbürgermeister von Berlin, 1948-1952 CDU-Stadtverordneter bzw. MdA (Mitglied des Abgeordnetenhauses) Berlin, 1952-1965 CDU-MdB.

15 - Edwin Otway Herbert (geb. 1901), Berufsmilitär, 1947-1949 Kommandeur der britischen Truppen (Stadtkommandant) in Berlin.

16 - Zu Maletin konnten keine biographischen Angaben ermittelt werden.

17 - Lukjantschenko, Stabschef der sowjetischen Militärverwaltung. Weitere biographische Angaben konnten nicht ermittelt werden.

18 - "Coates": Eric Coates (1897 - 1968), ab 1921 Funktionen in der kolonialen britischen Finanzverwaltung in Indien, 1947-1949 Chef der Finanzabteilung der britischen Militärregierung in Deutschland.
"Benett": Jack Bennet, Finanzberater des amerik. Generals Clay.
Vgl. SM 108, Febr. 1948, Anm. 32.

19 - In Willy Stamm (Hrsg.): Der Leitfaden für Presse und Werbung, Essen 1954 (S. 143), heißt es in einer Anzeige der "Nordsee-Zeitung", sie erscheine in Bremerhaven als "einzige Zeitung" und als "unabhängiges, führendes Heimatblatt". Im "Stamm" für 1947 ist die Zeitung noch nicht erwähnt.

20 - Michael Horlacher (1888 - 1957), Nationalökonom, Mitglied der Bayerischen Volkspartei (BVP), 1920-1924 MdL Bayern, 1924-1933 MdR, Direktor der Bayerischen Landesbauernkammer in München (März 1933 entlassen), Mitte d. J. 10-tägige Schutzhaft, August - Oktober 1944 KZ Dachau. 1945 Mitbegründer der CSU (Repräsentant des "Bauernflügels"), 1946-1950 MdL Bayern und Landtagspräsident, 1949-1957 CSU-MdB.

21 - Von der SED herbeigeführte Demonstrationen, Tumulte und Schlägereien (u. a. am 23.6.1948), um die parlamentarische Tätigkeit der Berliner Stadtverordnetenversammlung insgesamt zu behindern bzw. zu blockieren.

22 - Sepp Weis (1912 - 1950) (auch im SPD-Jahrbuch 1950/1951 geschrieben "Weiß"), aus der sudetendeutschen Sozialdemokratie, 1946 ff. Bezirkssekretär der SPD Hessen-Nord, 1948 ff. SPD-Stadtverordneter in Kassel.

23 - Willy Max Rademacher (1897 - 1971), Spediteur, nach dem I. Weltkrieg Mitglied der DDP. 1945 Mitbegründer der FDP in Hamburg, 1946 ff. Landesverbandsvorsitzender der Hamburger FDP, 1946-1949 Mitglied der Hamburger Bürgerschaft, 1949 -1965 FDP-MdB.

24 - Hiermit dürfte die SPD-Fraktion im Frankfurter Wirtschaftsrat gemeint sein.

25 - Pierre Koenig (1898 - 1970), Berufsmilitär, 1940 Anschluss an De Gaulle (London), 1944 Oberbefehlshaber der französischen Streitkräfte in Großbritannien und Frankreich, 1945-1949 Oberbefehlshaber der französischen Besatzungsarmee in Deutschland, 1954-1955 Verteidigungsminister.

26 - Ludwig Lallinger (1908 - 1992), Polizeibeamter, 1946 Begründer der Bayernpartei, 1950-1966 MdL Bayern.

27 - Josef Baumgartner (1904 - 1964), Volkswirt, Mitglied der Bayerischen Volkspartei, 1942 wegen Vergehens gegen das "Heimtückegesetz" einige Zeit inhaftiert, 1942-1945 bei der Wehrmacht. 1945 Mitgründer der CSU, 1945-1947 und 1954-1957 bayerischer Minister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, 1946-1948 MdL Bayern, Januar 1948 Übertritt von der CSU zur Bayernpartei (BP), 1949-1951 BP-MdB.

28 - "Interpress" = Internationaler Pressedienst, der in Hamburg erschien (u. a. mit einer Serie zur Politik und mit einem biographischen Archivdienst).

29 - "Allgemeine Zeitung" (Mainz) = überparteiliche Tageszeitung in der Französischen Zone.




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