S O Z I A L I S T I S C H E |
M I T T E I L U N G E N |
der London-Vertretung der SPD |
Nr. 103 |
Issued by the London Representative of the German Social Democratic Party,
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September |
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Ueber ihre Haltung gegenueber der SPD in der Ostzone gibt die Sowjetische Militaer Administration (SMA) eine Erklaerung. In ihr heisst es:
"Wie in der Presse mitgeteilt wurde, nahm die kuerzlich in Nuernberg stattgefundene Tagung der Sozialdemokratischen Partei der westlichen Zonen auf Vorschlag von Schumacher und seiner Gruppe eine Resolution an, welche die Schaffung der angeblich durch irgend jemand verbotenen Sozialdemokratischen Partei in der Sowjetischen Zone fordert. Die Informationsstelle der SMA in Deutschland ist bevollmaechtigt, aus diesem Anlass folgendes mitzuteilen:
Bereits im Juni 1945 hat die sowjetische Militaerverwaltung auf dem gesamten Territorium der Sowjetischen Zone die Taetigkeit deutscher demokratischer Parteien und gesellschaftlicher Organisationen gestattet. Gleichzeitig hat die SMA die Kommunistische, Sozialdemokratische und Liberal-Demokratische Partei und die Christlich-Demokratische Union registriert, ebenso wie die deutschen Freien Gewerkschaften und verschiedene demokratische Organisationen der Jugend, der Frauen, der Intelligenz, Handwerker, Bauern und anderer. Diese demokratischen Organisationen vereinigen gegenwaertig in ihren Reihen in der Sowjetischen Zone ueber 7 Millionen Menschen. Im April 1946 haben die Kommunistische und Sozialdemokratische Partei in der Sowjetischen Zone beschlossen, sich zu einer Arbeiterpartei unter dem Namen 'Sozialistische Einheitspartei Deutschlands' zu vereinigen, nachdem sie deren Plattform und Statuten angenommen hatten. Nach dieser Vereinigung ging bei den Organen der SMA kein einziges Gesuch ueber Registrierung und Genehmigung der Taetigkeit irgendeiner neuen sozialdemokratischen Organisation auf dem Territorium der Sowjetischen Zone oder in irgendeinem einzigen Bezirk ein.
Infolgedessen hatten und haben alle Gespraeche darueber, dass in der Sowjetischen Zone das Bestehen der SPD angeblich verboten sei, keine reale Grundlage, weil die Taetigkeit einer Partei weder verboten noch gestattet werden kann, wenn die Frage ihrer Gruendung ueberhaupt von niemandem angezweifelt wurde. Aus diesem Grunde ist die Resolution der Sozialdemokraten gegenstandslos. Sie versucht, die oeffentliche Meinung irrezufuehren, und folgt offensichtlich provokatorische antisowjetische Ziele."
Die Antwort des 1. Vorsitzenden der SPD, Dr. Kurt Schumacher,
wurde am 14. August 1947 in einer Rede erteilt, die auf einer Grosskundgebung der SPD Berlin gehalten wurde. (Versammlungsplakate zu dieser Versammlung wurden im russischen Sektor Berlins nicht zugelassen!) Wir bringen folgenden Auszug aus dieser Rede:
"Die Zulassung der Sozialdemokratischen Partei in der Sowjetischen Besatzungszone ist von der Sozialdemokratie seit den Tagen der Zwangsfusion im April 1946 immer wieder bei jeder politischen Gelegenheit gefordert worden. Bis vor kurzem hat man diese Forderung ignoriert. Bei ihren Besuchen in den westlichen Besatzungszonen haben die beiden nominellen Vorsitzenden der kommunistischen SEP den Gedanken, die Sozialdemokratische Partei in der Ostzone wieder zuzulassen, weit von sich gewiesen. Man wuerde nach ihrer Meinung damit den erreichten Fortschritt aufgeben.
Allmaehlich aber aendert sich die Taktik der anderen Seite. Die Kommunisten beginnen zu fragen, warum die Sozialdemokratie nicht den Antrag auf Zulassung der SPD in der Sowjetischen Besatzungszone stellt. Neuerdings gibt auch die SMA in einer recht verspaeteten Verlautbarung zum Nuernberger Parteitag der SPD ihr Interesse an dieser Frage zu erkennen.
Wir koennen die Darstellung der Kommunisten wie der SMA nicht unwidersprochen hinnehmen. Die SPD ist im Juni 1945 von der SMA zusammen mit den drei anderen Parteien zugelassen worden. Diese Zulassung ist durch die SMA bis heute nicht widerrufen worden. Man hat der SPD weder nachgewiesen noch nachzuweisen versucht, dass sie fuer das politische Leben in dieser Besatzungszone ein Hemmnis sei. Eine freiwillige Vereinigung zwischen Sozialdemokraten und Kommunisten hat im April 1946 nicht stattgefunden. Die Kommunisten haben den Akt, den sie Vereinigung nennen, mit Terror und Zwangsmassnahmen und Ausnutzung ihrer Position bei der Besatzungsmacht durchgefuehrt.
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Dieser Vorgang war rechts- und sittenwidrig und konnte kein neues Recht begruenden. [Der] SMA wie den Kommunisten ist bekannt, dass die grosse Mehrheit der Sozialdemokraten schon damals gegen diese erzwungene Fusion war und heute mehr denn je dagegen ist.
Es hatte in der ganzen Sowjetischen Besatzungszone keinerlei Urabstimmung der sozialdemokratischen Mitgliedschaften weder auf bezirklicher noch auf lokaler Grundlage stattgefunden. Es sind lediglich sogenannte 'Parteitage' inszeniert worden. Die Haltung der Delegierten ist durch voellig einseitige Propaganda und durch die besonderen machtpolitischen Methoden ihrer Auswahl von vornherein undemokratisch bestimmt gewesen. Diesen 'Parteitagen' hat jede demokratische Legitimation gefehlt.
Praktisch ist die SPD verboten, und die Traeger ihrer Anschauungen werden verfolgt. Rechtlich ist die SPD vorhanden. Notwendig ist, den Zustand der tatsaechlichen Behinderung und Verfolgung aufzuheben. Das kann nicht die SPD mit Antraegen, sondern nur die SMA mit einer politischen Haltung, die endlich demokratische Zustaende in der Sowjetischen Zone schafft.
Die SPD ist nicht bereit, Zehntausende ihrer Funktionaere zur politischen Arbeit aufzurufen, die dann von den Kommunisten erfolgreich bei der SMA als Hauptfeind Nr. 1 denunziert werden. Die SPD-Funktionaere muessen nicht nur die tatsaechliche staatsbuergerliche Gleichberechtigung, sondern auch die Garantie ihrer persoenlichen Sicherheit haben. Eine Demokratie kann nur existieren, wenn ihre Traeger frei von Furcht sind, ein Zustand, von dem die Demokraten der Sowjetischen Besatzungszone so weit entfernt sind wie unter dem Dritten Reich.
Darum ist mit der SPD auch keine sogenannte Blockpolitik moeglich. Das Ziel der Blockpolitik ist die Gleichschaltung zur Einheitsliste. Die Kommunistische Partei wuerde heute bei einem Zusammenstoss mit einer Sozialdemokratischen Partei zerbrechen. Die Forcierung der Blockpolitik zeigt, dass man sich in kommunistischen Kreisen darueber klar ist, dass man nicht einmal die Konkurrenz mit den Liberal-Demokraten und der CDU aushalten kann. Die Massen der Bevoelkerung sind zwar nicht Anhaenger dieser beiden buergerlichen Parteien, aber sie sind der kommunistischen SEP so abgeneigt, dass sie bei jeder Wahl sich gegen sie erklaeren wuerden.
Es gibt gar keine isolierte Frage der Zulassung der SPD. Es gibt nur die Frage nach der Herstellung der Demokratie, d.h. nach der politischen Freiheit in der Sowjetischen Besatzungszone. Freiheit aber entsteht nicht durch Unterwerfung und unehrliche Harmonieduselei. Freiheit ist das Ergebnis von Kampf und Verschiedenheit nach aussen und innen selbstaendiger Parteien und unabhaengiger Parteien. Wir sind nicht bereit, die Zulassung der kommunistischen SEP im Westen mit der freien Betaetigung der SPD im Osten koppeln zu lassen. Die KP ist im Westen zugelassen. Zwangslaeufig folgt daraus, dass die SPD im Osten zugelassen wird. Wir koennen und wollen keine Kompensationsgeschaefte auf dem Schwarzen Markt der Politik machen.
Wer den Versuch unternimmt, die Zulassung der SEP im Westen gegen die formale Zulassung der SPD im Osten auszuhandeln, versucht zu betruegen. Die kommunistische Bewegungsfreiheit ist gegeben; wir wollen die sozialdemokratische Aktionsfreiheit im Osten. Ist sie einmal hergestellt, dann ist es uns gleichgueltig, unter welcher Firma die bankrotte kommunistische Politik von neuem verkauft werden soll.
Wuerden wir heute als Sozialdemokraten fuer die Zulassung der SEP im Westen eintreten, dann wuerden wir uns mitschuldig machen an dem Akt der Gewalt, des Betrugs und des Verrats, der im April 1946 vor sich gegangen ist. Wir wuerden etwas sanktionieren, was nicht zu rechtfertigen ist. Man gebe der SPD in der Ostzone die Freiheit und man hat die nationale Einheit der Deutschen. Heute ist sie der Koeder einer unehrlichen kommunistischen Politik, die nicht zu sagen wagt, was ihre wahren Absichten sind. Die Freiheit der SPD in der Sowjetischen Besatzungszone macht die nationale Einheit zur grossen demokratischen Tatsache.
Genossen und Genossinnen in der Ostzone! Ihr habt zwoelf schwere Jahre durchgestanden, und schwere Zeiten liegen vor euch. Ihr werdet vielleicht das Gefuehl haben, von allen verlassen zu sein, wenn ihr erleben muesst, dass das wirtschaftliche Leben in den Westzonen einen andren Gang geht, als Ihr ihn unter Schmerzen wandern muesst. Die SPD erklaert auch, dass sie keine Zonenpartei ist. Wenn wir deutschen Sozialdemokraten an eine Zone besonders denken, dann ist es die Ostzone mit dem unuebersehbaren Heer unserer guten und treuen Genossen und Genossinnen in diesem Gebiet. Denkt daran, dass Ihr nicht allein seid. - Uebt Eure Aemter und Funktionen als loyale Staatsbuerger aus. Seid Euch aber einig in Eurer Gesinnung und Eurer Haltung. Bleibt, was Ihr seid: deutsche Sozialdemokraten und internationale Sozialisten."
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Enttaeuschungen fuer die Sozialisten in der Ostzone Deutschlands
Vor mehr als Jahresfrist vereinigten sich SPD und KPD zur "Sozialistischen Einheitspartei". Ein bedeutender Schritt auf dem Wege des politischen Werdens und Gestaltens eines neuen demokratischen Deutschland sollte damit eingeleitet werden. Durch den Zusammenschluss beider Parteien versprach man, ueber alle Schwierigkeiten hinwegzukommen und zugleich den Anstoss zu einer guten und verstaendnisvollen Zusammenarbeit mit den Besatzungsmaechten zu geben.
Gegen den Gedanken einer geeinten sozialistischen Arbeiterpartei gab es und gibt es keine logischen und ernsthaften politischen Einwaende. Voraussetzung ist jedoch, dass der grosse Gedanke der Einheit der Arbeiterbewegung ehrlich und ohne Vorbehalte von den Partnern getragen wird. Ebenso muessen Freiwilligkeit des Entschlusses der Mitglieder und die in der sozialistischen Arbeiterbewegung selbstverstaendlichen Grundsaetze der Demokratie gewahrt sein. Fremde Einfluesse, die sich politische Parteien fuer eigene Zwecke zu unterwerfen suchen, sind auf jeden Fall auszuschalten. Nur so kann die Einheit der Arbeiterbewegung Bedeutung und Gestalt erhalten.
Auch in der Ostzone war im Jahre 1946 das Vertrauen in der Bevoelkerung, unter Arbeitern, Angestellten, Mittelstaendlern und Intellektuellen zur SPD gross und drueckte sich in einem ununterbrochenen Zustrom neuer Anhaenger aus. Ohne jede Propaganda und besondere Werbeaktionen kamen aufbauwillige und aufgeschlossene Menschen aus allen Schichten zur SPD. Die Parteitage und Unterbezirkskonferenzen, auf denen in offener und freimuetiger Aussprache zu den Sorgen und Noeten der Zeit Stellung genommen wurde, zeigten innere Geschlossenheit und Staerke. Der organisatorische Aufbau war einfach und den Verhaeltnissen der Not angepasst. Das ehrenamtliche Element unter den Funktionaeren ueberwog. Kein zum Selbstzweck gewordener "Apparat" mit seinen gefaehrlichen Beherrschungsabsichten und Machtanspruechen laehmte das Parteileben. Die Finanzen der SPD waren nach Herkunft und Verwendung durchaus in Ordnung.
Vollkommen anders lagen die Verhaeltnisse 1946 bei der KPD. Nach wenigen Monaten des politischen Wirkens seit dem Zusammenbruch 1945 war das Vertrauen zu dieser Partei in den Massen stark erschuettert worden. In jeder Beziehung hatte sich die KPD uebernommen. Grosse Parteigebaeude und Geschaeftsstellen in kleinen Orten und Stadtteilen erinnern unwillkuerlich an die Partei der fluchbeladenen Zeiten von 1933-1945. Die KPD-Presse war dank der Bevorzugung in der Papierzuteilung, die die aller anderen Zeitungen bei weitem uebertraf, gross aufgezogen. Die Zahl der Leser war viel groesser als die Sympathien in der Bevoelkerung.
Der Versuch der KPD, die Bevoelkerung totalitaer und diktatorisch zu beherrschen, stiess nach den Erfahrungen der Hitlerzeit auf Widerstand und Ablehnung. Fuer die Herrschaft hemmungsloser und brutaler Elemente in Stadt und Land, deren Herkunft und Vergangenheit mehr als dunkel und undurchsichtig war und z. T. auch noch ist, konnten sich nur wenig Menschen begeistern. Mit dem guten Namen der sozialistischen Arbeiterbewegung ist von Menschen, deren Strafregister weniger politische als vielmehr kriminelle Vermerke enthielt, arg Schindluder getrieben worden.
Die erste Gelegenheit einer oeffentlichen und freien Entscheidung bei einer Wahl haette ein vernichtendes Urteil ueber die Methoden, die sich schon frueher als ungeeignet erwiesen hatten, ergeben. Ueber Methoden, Anschauungen und die Menschen als Traeger waere negativ geurteilt worden. Darueber bestand dabei den massgebenden Maennern der KPD wie auch bei den politischen Koepfen der Besatzungsmacht sehr bald volle Klarheit. Zudem hatte die SPD trotz des kleinen Organisationsapparates [und] ohne Presse mit Riesenauflage die KPD in der Mitgliederstaerke laengst ueberfluegelt.
Der Widerspruch der Schwaeche der KPD zu den ueberall von ihren Parteigaengern besetzten wichtigen Positionen in Gemeinde und Staatsverwaltung war ueberall offensichtlich. Alles Gerede von Demokratie und Anerkennung des Volkswillens waren platonische Erklaerungen ohne jeden Wert. Das Verhalten der KPD-Funktionaere stand in direktem Gegensatz zu ihren Presseaeusserungen. Nie ist so viel von Demokratie gesprochen und geschrieben worden [wie] zu dieser Zeit. - Um die unabwendbare Niederlage zu verhindern, die zugleich die Besatzungsmacht in aussenpolitischer Beziehung auf das staerkste betroffen haette, wurde mit allen Mitteln der oeffentlichen Beeinflussung der Gedanke der Vereinigung der beiden Arbeiterparteien in Sachsen, in dem einst die Wiege der sozialistischen Arbeiterbewegung stand, vertreten. Das ureigenste Recht der Mitgliedschaft der SPD,
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durch Urabstimmung in der Vereinigungsfrage zu entscheiden, konnte nicht angewendet werden. Die auf Konferenzen und in Funktionaerskoerperschafen demokratisch, also mit Mehrheit gefassten Beschluesse durften nicht ausgefuehrt werden. Beschlagnahme der Zeitung - in Dresden wurde die ganze Auflage einer Nummer eingestampft und eine neue Nummer herausgegeben, ohne die Mitglieder in Kenntnis zu setzen - direkter oder indirekter Druck auf die verantwortlichen Funktionaere der SPD waren einige Mittel, um den Zusammenschluss von "oben", also diktatorisch, zu erreichen. Die Lage fuer die SPD war in Sachsen weitaus unguenstiger als in Berlin, wo sich die politische Entwickelung infolge der vier Sektoren und einer freien Presse weniger eingeengt vollzog.
Es ist keine Uebertreibung, wenn festgestellt wird, dass auf seiten der KPD nie der ernsthafte und ehrliche Wille zur Bildung einer wirklichen neuen, deutschen und sozialistischen Arbeiterbewegung bestanden hat. Fuer die KPD kam es darauf an, der sicheren Niederlage zu entgehen. Mit alten, lange ueberholten taktischen Methoden glaubten die fuehrenden und kleinen Funktionaere der KPD, die SPD "ueberfahren" zu koennen. Den mit Augenzwinkern gegebenen oeffentlichen Erklaerungen und Werbungen standen die Anweisungen und organisatorischen Vorbereitungen in kleinen Konventikeln gegenueber.
In der KPD, in der ihrem Aufbau entsprechend der Befehl und die jeweilige "Linie" des Zentralkomitees mehr gilt als die Meinung und das Urteil der Mitgliedschaft, war man sich darueber klar, dass die Ablage des Namens nichts an dem Charakter der Partei aendern duerfte. Die SED ist so von vornherein nur als die Fortsetzung der KPD gedacht gewesen.
Die Zusammenlegung der beiden Parteiapparate zeigte nur zu deutlich, dass in Wirklichkeit der organisatorische Aufbau der KPD bestehen blieb oder noch staerkere Auspraegung fand. Mitarbeiter der frueheren KPD fuehlten sich nach wie vor an die Auftraege des nicht mehr bestehenden ZK der KPD gebunden. Die in der sozialistischen (und gewerkschaftl. und genossenschaftl.) Arbeiterbewegung uebliche Wahl der verantwortlichen Funktionaere ist fast unbekannt. Kreisvorsitzende und Sekretaere werden auf "hoeheren Befehl" verschoben, und zwar sehr oft in der Weise, dass selbst die in der Spitze des Landesvorstandes wirkenden Sekretaere nur die vollzogene Tatsache vermerken koennen. Durch solche Veraenderungen ist in einer Reihe von Kreisen und Staedten die vielgepriesene Paritaet in der Besetzung der Funktionen laengst aufgehoben worden. Von den alten Sozialdemokraten sind nur noch wenige der urspruenglichen Funktionaere taetig. Es gibt Kreise und Staedte, in denen die ehemaligen KPDler schon wieder unter sich sind oder einen solchen Zustand in Kuerze erreicht haben werden. Heute erfolgt die Auswahl nach der "Tuechtigkeit und Faehigkeit". Zum Massstab dafuer werden grundsaetzlich die sogenannte "Parteiergebenheit, Linientreue und die fruehere Zugehoerigkeit zur KPD" genommen.
Die Redner, die heute auf die Mitgliedschaft losgelassen werden, sind in der Mehrzahl Schueler der "Bildungsfabriken" oder auch Parteischulen genannt. Eigene Geistesarbeit ist arg laestig und wohl auch verpoent. Deshalb werden die "Sozialistischen Bildungshefte" gewoehnlich gleich als Manuskript verwendet oder vom Referenten vorgelesen.
Die Mitgliederversammlungen haben an Niveau gegenueber den Veranstaltungen der frueheren SPD stark eingebuesst. Der Besuch in den Zusammenkuenften der Partei ist sehr stark zurueckgegangen. Die Mitglieder halten die Zeit fuer vertan. Jeder Ansatz geistiger Regsamkeit wird als Belastung der Partei bezeichnet. Die Mitglieder wagen sich mit ihrer Meinung nicht oder hoechst selten heraus, um nicht anzuecken oder in anderer Form in die "Schere" genommen zu werden. Die Partei hat dadurch an Lebendigkeit verloren und droht an innerer Unwahrhaftigkeit zu zerbrechen. Dogmen- und Zitatenglaeubigkeit sind an die Stelle eigenen Denkens getreten.
Ueber alle Versammlungen und Aussprachen wird eingehend an besondere Parteistellen, die meistens anonym oder unter Decknamen arbeiten, berichtet. Diese Berichterstattung dient weniger der sachlichen Klaerung als vielmehr der Bespitzelung der Mitglieder und Bewohner. Mit der Wahrheit wird es dabei nicht so genau genommen. Aeusserungen werden aus dem Zusammenhang gerissen und in das Gegenteil verkehrt. dass Organe der Kriminalpolizei fuer Parteizwecke eingespannt sind, sei am Rande vermerkt. Der Ausweis der Kripo oeffnet der SEP die Tueren, die sonst verschlossen blieben. Die Bankkonten der Parteien, Politiker und der Unternehmungen werden von der Partei kontrolliert.
Seit einiger Zeit ist die SEP dabei, einen "Nachrichtenapparat" unter Einschaltung von Hausobleuten aufzustellen, der die Funktionaere und Hausbewohner beobachten und ueberwachen soll. Vor allem sollen dabei bestehende
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Verbindungen nach dem Westen ermittelt werden. Die in der Verfassung feierlich beschlossenen persoenlichen Freiheiten werden dadurch zu einer Farce.
Selbst die Sekretaere, soweit sie der ehemaligen SPD angehoeren, werden hinsichtlich des Besuches und des ein- und ausgehenden Schriftwechsels eingehend ueberwacht. Die Mitglieder SEP, ob an verantwortlicher Stelle oder nicht, sind zu Gefangenen anonymer Kraefte in der eigenen Partei geworden. Von jedem Mitarbeiter, soweit er frueher SPD-Mann war, gibt es seine "Materialsammlung". Die fruehere Mitgliedschaft zur SPD allein wird nicht selten bereits als "Verdachtsmoment" bezeichnet. Dies Material wird oft in Kanaele geleitet, die mit der Partei nichts zu tun haben sollten. Die Mitglieder der Partei sind zum Teil stark veraengstigt. Die Aeusserung einer von der jeweiligen "Linie" abweichenden Meinung schliesst die Gefahr, als Reaktionaer oder Faschist bezeichnet zu werden, in sich. Ehemalige Mitglieder der KPD scheuen sich auch nicht, mit Verhaftung und Uebergabe an die Besatzungsmacht zu drohen.
Die gewaehlten Organe der SED, wie Kreisvorstaende und Landesvorstand, sind nichts anderes als Plattformen fuer die im Sekretariat laengst festgelegte Politik. An Stelle der freien Meinungs- und Urteilsbildung ist die Regie getreten. Wenn es geboten erscheint, wird selbst die Aussprache "organisiert". Dem Regiefuehrenden entgeht dabei vollstaendig, wie er selbst sich beluegt.
Die Erwartungen, die in der Parteifuehrung an die Vereinigung der beiden Arbeiterparteien geknuepft worden waren, haben sich weder bei den Gemeinde- noch bei den Landtagswahlen 1946 erfuellt. Trotz verschiedener taktischer Schachzuege und der mehr oder weniger offenen Unterstuetzung durch die Kommandanturen der Besatzungsmacht brachten die Wahlen fuer die SED keine ueberzeugenden Mehrheiten. Das Kraefteverhaeltnis ist fast ueberall ausgeglichen oder hat einfache Mehrheiten der beiden buergerlichen Parteien ergeben. Es ist nicht gelungen, in grossem Ausmass in die Schichten des proletarischen Buergertums einzudringen.
Der vergangene Winter hat in erschreckender Deutlichkeit erkennen lassen - und der vor uns liegende Winter wird es ebenso erkennen lassen -, auf welche toenernen Fuessen unsere Wirtschaft und Versorgung trotz der Planung steht. Die fuer unzaehlige Artikel verschwendete Druckerschwaerze hat die Menschen weder vom Funktionieren der Hausbrandversorgung noch der industriellen Aufwaertsentwickelung ueberzeugen koennen. Die zunehmenden Todesfaelle von Saeuglingen, Kindern und Erwachsenen infolge der Noete des vergangenen Winters und der unzureichenden Ernaehrung sind trotz des Verbotes, amtliche Zahlen zu veroeffentlichen, nicht aus der Welt zu schaffen.
Bis jetzt ist es in keinem Punkte gelungen, die Lebenshaltung fuer die breiten Massen zu heben. Der Hinweis der Presse der Ostzone auf Schwierigkeiten in den Westzonen ist lediglich Ablenkungsmanoever. Der Verzehr der Substanz ist auf allen Gebieten des taeglichen Bedarfs offensichtlich fuer den, der sehen will.
Trotz Bodenreform, die politisch die Beseitigung des Grossgrundbesitzes einleitete, ist keine Steigerung der landwirtschaftlichen Erzeugung erfolgt. Darauf kommt es jedoch in dieser furchtbaren Lage entscheidend an. Bei der derzeitigen Einengung aller Lebensgrundlagen muessen alle Experimente gerade auf dem Gebiete der Ernaehrung katastrophale Folgen ergeben. Die Erfuellung bestimmter Programmpunkte der KPD fuehrt zu jener Wirkung: "Operation gelungen, Patient tot". Die werktaetigen Massen wenden sich unter den Auswirkungen der Not, die auch in der Ostzone ihren Tiefstand noch nicht erreicht hat, in zunehmendem Masse gegen die gesamte "Sozialistische Einheitspartei".
Tatsachen haben ihr Gewicht. Weder durch Organisation, Reden oder Regie sind sie aus der Welt zu schaffen. Der Widerspruch zwischen der Wirklichkeit und den Wuenschen oder falschen Darstellungen wird durch die aeusserst unerfreuliche Lage auf allen Gebieten des taeglichen Lebens in der Sowjetzone immer offensichtlicher. Durch eine vollkommen einseitige und dogmatisch gefaerbte Behandlung der deutschen, europaeischen Verhaeltnisse besteht die grosse Gefahr, dass das Volk in der Ostzone erneut in eine geistige Quarantaene wie nach 1933 geraet.
Das Vertrauen der Massen in Stadt und Land zur sozialistischen Bewegung ist durch den Kampf und die Methoden der "Sozialistischen Einheitspartei" schwer enttaeuscht worden. Es ist hoechste Zeit, dass die sozialistische Bewegung vor den Absichten eines machthungrigen Parteiapparates und gewissenloser Funktionaere geschuetzt wird.
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Auf Einladung der Hansard Society[1] und einer Gruppe von Parlamentariern weilte in der Zeit vom 4. bis 9. August eine Gruppe von elf deutschen Politikern aus der britischen Besatzungszone in London. Die Gruppe bestand aus vier Vertretern der SPD, drei der CDU und je einem des Zentrums, der KPD, der LDP und der NLP. Die sozialdemokratischen Vertreter waren der Stellvertretende Vorsitzende der Partei, Erich Ollenhauer, der Buergermeister von Hamburg, Max Brauer, der Wirtschaftsminister von Nordrhein-Westfalen, Dr. Eric Noelting, und der Oberbuergermeister von Berlin, Ernst Reuter.
Die Reise hatte den Zweck, die Teilnehmer mit den wichtigsten Einrichtungen des englischen parlamentarischen Lebens, der kommunalen Selbstverwaltung in London und in laendlichen Distrikten und mit anderen wichtigen oeffentlichen Einrichtungen bekanntzumachen. Die Gruppe fand bei allen Gelegenheiten eine herzliche Aufnahme, und sie erhielt bereitwilligst alle Informationen. Der Zweck der Reise wurde voll erreicht, vor allem dank der opferungsvollen und unermuedlichen Arbeit des Vorsitzenden der Hansard Society, Commander Stephen King-Hall M.P.. Die Reise fand ihren Abschluss mit einem Lunch, der von Lord Pakenham im Lancaster House gegeben wurde.
Nach Abschluss dieses offiziellen Teils der Reise trafen sich die sozialdemokratischen Teilnehmer der Studiengruppe am 10. August in einer geschlossenen Veranstaltung der Mitglieder und Freunde der "Vereinigung Deutscher Sozialdemokraten in Grossbritannien", vom Vorsitzenden W. Sander herzlichst begruesst, und sprachen zu ihren in London lebenden deutschen Freunden.
Ollenhauer wies auf die Bedeutung des Nuernberger Parteitages der SPD hin. Er bezeichnete die Internationale Kundgebung, die im Rahmen des Parteitages stattfand, als eine Manifestation, wie sie keine andere deutsche Partei zu bieten habe, und als deutliches Zeichen dafuer, dass die Abstimmung auf der Zuericher internationalen Sozialistentagung, die nicht die erforderliche Zweidrittelmehrheit fuer die Aufnahme der deutschen Sozialdemokratie in die Internationale brachte, den Weg der SPD in die Internationale nicht versperrt habe. Ollenhauer betonte das Bild der Geschlossenheit, das der Parteitag zeigte; die im Ausland von Gegnern der SPD verbreitete Behauptung, Dr. Schumacher sei diktatorisch, erklaerte er fuer Humbug; der Verlauf des Parteitages habe die Haltlosigkeit solcher Behauptungen deutlich gezeigt. Das Referat ueber Verfassungsfragen und die anschliessende Debatte haetten die Einheit und Einmuetigkeit der Partei in dieser Frage offenbart, fuer deren Beratung im Parteikreise die Programmberatungen der "Union deutscher sozialistischer Organisationen" in der englischen Emigration wertvolle Vorarbeit geleistet haetten. Ein ernstes Problem fuer die SPD sei die Parteiarbeit in den Betrieben. Ein kommunistisches Eindringen in die Betriebe des westlichen Industriegebiets sei unverkennbar; die "neutrale" Haltung mancher sozialdemokratischer Gewerkschafter trage viel Schuld daran, und man sei sich einig, dass verstaerkte Parteiarbeit in den Betrieben notwendig sei.
Nach einigen Bemerkungen ueber die politische Lage in Deutschland, die sich mit dem immer deutlicher werdenden Zwiespalt in der CDU und mit der Moeglichkeit des Austritts der SPD aus der bayerischen Regierung beschaeftigten, wandte sich Ollenhauer der Ernaehrungs- und Wirtschaftslage zu. Er erinnerte an die Haerten des vergangenen Winters und der folgenden Monate, berichtete aber von einer leichten Besserung der Ernaehrungslage in letzter Zeit. Er schilderte dann die Entstehung und Struktur des bizonalen Wirtschaftsrates und die politischen Machtkaempfe innerhalb dieser Organisation, die dazu gefuehrt haben, dass saemtliche bizonalen Wirtschaftsaemter von Vertretern der CDU geleitet werden, was aber der CDU politisch kaum von Vorteil sein werde, da wichtige Kreise in ihr die Zusammenarbeit mit der SPD wuenschen.
Abschliessend wies Ollenhauer auf das staendige Wachsen der Mitgliederzahl der SPD hin, die auch waehrend der schwersten Notzeit in der ersten Haelfte dieses Jahres ununterbrochen gestiegen sei und bereits die 800.000 ueberschritten habe.
Genosse Brauer sprach von den Eindruecken, die er nach seiner Rueckkehr aus der amerikanischen Emigration in Deutschland empfangen habe: von der Staerke der Sozialdemokratischen Partei, die Narren in der Emigration so oft fuer erledigt erklaert haetten, und von dem Lebenswillen des deutschen Volkes, der sich trotz aller Schwierigkeiten bekunde, besonders auch auf kulturellem Gebiet. Die Zerstoerungen des Krieges seien schwer gewesen, gerade in Hamburg, aber wer wie er den kuenftigen Aufbau vor Augen habe, der sehe die Truemmer nicht mehr, sondern die Bauten der Zukunft. Brauer erklaerte, er habe seinen Entschluss, die amerikanische Staatsbuergerschaft aufzugeben und wieder an die Spitze der Hamburger Verwaltung zu treten, nicht eine Minute bereut.[2] Wenn man in Deutschland ueber den langsamen Verlauf der Dinge ungeduldig sei, dann erinnere er die Menschen daran, wie lange es nach 1918 gedauert habe, bis positive Arbeit wieder moeglich wurde. Er habe zu den Wenigen gehoert, die das Ende der Moskauer Konferenz mit Erleichterung empfunden haben, denn es war das erste Zeichen dafuer, dass die Westmaechte mit der Politik der einseitigen Erfuellung
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des Potsdamer Abkommens Schluss machen sollen. Er hoffe, die Londoner Konferenz im Herbst werde den endgueltigen Abschied von dieser Politik bringen. Im wohlverstandenen eigenen Interesse wuerden die Westmaechte beim Wiederaufbau der deutschen Industrie und Wirtschaft helfen. Angesichts der Atombombe von einem deutschen Kriegspotential zu reden, sei laecherlich. Die deutsche Sozialdemokratie koenne und wolle den Anspruch auf den deutschen Osten nicht aufgeben, aber man muesse sich positiv zu den praktischen Vorschlaegen fuer die Organisierung der westlichen Zonen einstellen. Die Hysterie, die er bei Ende des Krieges in Amerika erlebt habe, sei immer mehr der ruhigen Vernunft gewichen, selbst in Kreisen, die Anhaenger der Morgenthau-Politik waren. Man habe eingesehen, dass die Deutschen nicht als Kleingaertner leben koennen. Man erkenne auch, dass die Frage, ob man sich gegen den Osten behaupten koenne, in Deutschland entschieden wird. Die Westzonen koennten dabei, wie Dr. Schumacher es nannte, als "Magnet" wirken, wenn sich die Lebensverhaeltnisse in ihnen bessern. Brauer sprach von einer Erleichterung der Lebensmittellage und gab der Hoffnung Ausdruck, dass der kommende Winter weniger hart sein werde als der letztere. So wuenschenswert im Interesse der Deutschen das Verbleiben der Besatzungstruppen sei, so notwendig sei es, die politischen Angelegenheiten - auch die wirtschaftspolitischen - ganz in deutsche Haende zu legen.
Am Ende erklaerte Brauer, vieles in Deutschland erinnere an die Situation nach 1918. Manches sei schwerer als damals, aber manches sei auch leichter: die Zerstoerungen haetten freie Bahn fuer einen kommenden Aufbau geschaffen, das Buergertum sei diesmal nicht nur betaeubt, sondern spuere wirklich, dass es seine politische Rolle endgueltig ausgespielt habe, und auch die Tradition der "Frontkaempfer" zeige sich nicht so wie damals. Brauer erinnerte daran, dass er auf der Muenchener Ministerpraesidentenkonferenz die Einladung an die Emigranten zur Rueckkehr angeregt habe. Er sagte "Eines schickt sich nicht fuer alle", aber wem Politik der Sinn seines Lebens sei, dessen Platz sei heute in Deutschland.
Die im Anschluss an die beiden Berichte aus der Mitte der Zuhoerer gestellten Fragen gaben Genossen Ollenhauer Gelegenheit, darauf hinzuweisen, dass die Frage der Inkraftsetzung der "Koelner Beschluesse"[3] auf dem Nuernberger Parteitag undiskutiert blieb, weil man Schumachers Bemerkung, in Anbetracht des Marshall-Plans waere ein solcher Schritt nicht am Platze, allgemein akzeptiert habe. Zur Frage der Beteiligung der Jugend an der Partei wies Ollenhauer auf die Tatsache hin, dass die grosse Mehrheit der Parteitagsdelegierten weniger als 45 Jahre alt war. Genosse Brauer trat in Beantwortung von Anfragen der Meinung entgegen, amerikanische Wirtschaftshilfe fuer Deutschland wuerde Verhinderung der Sozialisierung und Staerkung der CDU bedeuten; es sei der Wunsch der Amerikaner, den Deutschen die Regelung ihrer politischen Angelegenheiten zu ueberlassen, und ihre Hoffnung, in Deutschland die Ausbreitung des Kommunismus zu verhindern, sei staerker als ihre Vorliebe fuer privatkapitalistische Methoden.
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Fuenfzehn Genossen aus Deutschland, die zu einem Kursus nach Wilton Park gekommen waren, folgten am 15. Juli einer Einladung der "Vereinigung Deutscher Sozialdemokraten in Grossbritannien" zu einem geselligen Abend in der Londoner "Vega". Unter den Gaesten aus Deutschland befanden sich zum ersten Male auch Frauen. Die schleswig-holsteinische Landtagsabgeordnete Frieda Doebel[4] gab einen Bericht ueber die Lage in der "Nordmark", in dem sie besonders auf die Bedeutung der fuer die SPD siegreichen Landtagswahlen in Schleswig-Holstein und auf das Fluechtlingsproblem einging. Der Berliner Buergermeister Dr. Schloss[5] berichtete ueber die Situation in Berlin, besonders ueber die Hintergruende der Wahl des Genossen Dr. Reuter zum Oberbuergermeister Berlins und des russischen Vetos gegen seine Amtseinsetzung; er machte auf die durch die Viermaechteverwaltung Berlins verursachten Schwierigkeiten und Notwendigkeiten der politischen Arbeit in Berlin aufmerksam. Die Funktionaere, geladene Mitglieder und Freunde der Londoner "Vereinigung", machten von der Gelegenheit einer Aussprache mit den Genossen aus Deutschland regen Gebrauch, erst in Form einer Diskussion und dann in zwangloser Unterhaltung.
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Fuer den Wiederaufbau des Karl-Marx-Hauses in Trier
sind anlaesslich der Einweihung des Karl-Marx-Hauses am 5. Mai 1947 Bausteine, Gedenkkarten und eine Briefmarke des Landes Rheinland-Pfalz mit dem Bilde von Karl Marx herausgegeben worden. Gegen Einsendung von mindestens sh 2/- stellen wir dem Einsender je einen Baustein und eine Gedenkkarte mit der (abgestempelten) Briefmarke zur Verfuegung. Bei Einsendung eines hoeheren Betrages werden entsprechend mehr Karten zugestellt. Geldsendung an: W. Sander, 33 Fernside Ave., London, N.W.7.
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Bilanz eines deutschen Besuchs in London
Unter diesem Titel bringt der Londoner Korrespondent der "Neuen Zuercher Zeitung" einen laengeren Artikel, dem wir aus Raummangel nur einen Auszug entnehmen koennen.
"Zwanglose Gespraeche und gegenseitiges Sichkennenlernen - das ist das Ergebnis der Reise von elf deutschen Parlamentariern aus der britischen Besetzungszone nach London. Die Einladung ging von der Hansard-Gesellschaft aus, deren Vorsitzender, Commander Stephen King-Hall, sich auch persoenlich unermuedlich um seine deutschen Gaeste kuemmerte. Dieser Besuch war aber keine politische Demonstration. Die britische Regierung zeigte sich zurueckhaltend und vermied es, durch uebergrosse Freundlichkeit gegenueber den Deutschen wieder eine Kontroverse mit den franzoesischen Nachbarn heraufzubeschwoeren. So blieb es denn bei einem Fruehstueck, das Lord Pakenham, der fuer die Britische Zone verantwortliche Minister, den deutschen Besuchern gab und an dem auch der Unterstaatssekretaer im Foreign Office, Mayhew[6], sowie der Ernaehrungsminister John Strachey[7] teilnahmen. Im uebrigen war die deutsche Delegation Gast des Unterhauses und des Oberhauses in Westminster, des Londoner Grafschaftsrates und anderer Gemeindebehoerden. King-Hall gab einen Empfang im eigenen Hause, an dem eine Reihe von englischen Parlamentariern und Beamten des Foreign Office mit den deutschen Abgeordneten zusammentrafen.
Soweit der aeussere Rahmen. Am Ende des Besuches gab King-Hall als Gastgeber unumwunden zu, dass der Aufenthalt zu sehr mit Besichtigungen und offiziellen Veranstaltungen belastet war und den deutschen Besuchern nicht genuegend Gelegenheit zu politischen Gespraechen bot. Ob das beabsichtigt war, sei dahingestellt. dass aber doch das Gespraech auch ueber den engen Parteirahmen hinaus in Gang kam und dass 'guter Wille' im Sinne der 'good will mission' geschaffen wurde, steht ausser Zweifel.
Was zunaechst auffiel, war das Fehlen einer einheitlichen aussenpolitischen Stellungnahme der deutschen Parteien. Britischerseits hat man ihnen auch kaum eine Gelegenheit dafuer geboten - vielleicht allerdings nur, weil die einzelne Partei sich scheut, offen zu sprechen, solange die andere mithoert. Jedenfalls hat Lord Pakenham die Vertreter jeder der beiden grossen Parteien und dann die Vertreter der kleineren Gruppen einzeln zu sich gebeten, um mit ihnen einzeln ueber die schwebenden Fragen zu sprechen. Die Parteien haben aber von sich aus nicht angeregt, dass sie gemeinsam mit dem Vertreter der Besatzungsmacht verhandeln wollten. Das ist schwerlich nur Zufall. Zum Teil war das Misstrauen gegenueber der anderen Partei diesen deutschen Parlamentariern an der Stirne abzulesen. Die Antwort auf die Frage nach den aussenpolitischen Grundsaetzen und Leitmotiven, auf die sich alle einigen koennten, sind sie schuldig geblieben.
Soweit sich aber feststellen laesst, herrscht auf britischer wie auf deutscher Seite ein tiefer Zweifel, ob die Konferenz der Aussenminister im November zu einer Einigung der Maechte und damit zu einer Vereinheitlichung von Deutschland fuehren wird. Es wird allgemein angenommen, dass die Sowjetunion keineswegs nur die Wirtschaft, sondern mit Hilfe der Geheimpolizei auch die Politik ihrer Zone weiter kontrollieren wird, was immer an zentralen Koerperschaften entstehen mag. Daraus folgern aber die meisten, dass die drei westlichen Zonen ihren eigenen Weg einschlagen muessten. "Wir koennen nicht auch noch die 42 Millionen westlich der Elbe verkommen lassen", so lautet das Urteil, aus dem sich dann alles Weitere ergibt. Wenn diese 42 Millionen leben und arbeiten sollen, dann bedarf es einer einheitlichen Wirtschaftspolitik, einer politischen Spitze und damit einer parlamentarischen Kontrolle.
Demgegenueber haben die Erfahrensten unter den deutschen Parlamentariern, Maenner wie der Wirtschaftsminister Noelting von Nordrhein-Westfalen, kein Hehl aus ihren Bedenken gemacht, sich irgendwie von der gesamtdeutschen Linie abdraengen zu lassen. Nach ihrer Auffassung wuerde damit der von Moskau dirigierten SED ein politisches Monopol der Reichsidee eingeraeumt. Diese Gefahr sieht London ohne jeden Zweifel nicht genuegend. Er unterschaetzt die politische Bedeutung der Reichsidee und scheint auch von vornherein von der Ohnmacht der Ideologie und der politischen Anziehungskraft ueberzeugt zu sein, die heute oestlich der Elbe besteht oder doch zumindest geschaffen werden kann. In den Gespraechen mit massgebenden britischen Stellen wurde es im Zusammenhang mit dem deutschen Besuch recht deutlich, dass das Schweigen der Westmaechte ueber die politische Einheit und die unbedingte Praeponderanz des Wirtschaftlichen - "keine politische Einheit ohne wirtschaftliche Einheit" - nicht ein Zufall, sondern Politik ist ..."
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Editorische Anmerkungen 1 - Parlamentarische Gesellschaft. Benannt nach T. C. Hansard (1776 - 1833), der zum ersten Mal in England Parlamentsdebatten für die Öffentlichkeit gedruckt hatte. "Hansard" ist auch der Name für die offiziellen Parlamentsberichte des britischen Unter- und Oberhauses. Die Hansard-Society war 1944 von Stephen King-Hall (s. d.) ins Leben gerufen worden; sie sollte besonders den parlamentarischen Gedanken pflegen. 2 - Max Brauer war im November 1934 der deutschen Staatsangehörigkeit für verlustig erklärt worden, weil er - so die offizielle Begründung - "der an ihn gerichteten Rückkehraufforderung vom 12. April 1934 [...] nicht Folge geleistet hat". [!] 3 - Zu den "Kölner Beschlüssen" des sozialdemokratischen Parteivorstandes und Parteiausschusses vom September 1946 vgl. SM 91, Okt. 1946, S. 1f.
4 - "Doebel": Frieda Döbel, spätere F. Hackhe-Döbel (1911 - 1977), Hausgehilfin, dann Tätigkeit in einem Kindererholungsheim, aktiv in der SAJ, nach 1933 Studium, noch in der NS-Zeit als Berufsschullehrerin angestellt (beamtet erst nach 1945). 1946- 1950 SPD-MdL Schleswig-Holstein, 1947-1949 parlamentarische Vertreterin des Volksbildungsministers. 5 - Fritz Schloss (1895 - 1954), Dr. rer. pol., Sozialdemokrat, 1933 als Magistratsrat der Stadt Berlin entlassen und kurzfristig verhaftet. Ab Januar 1946 Bezirksbürgermeister von Berlin-Tiergarten, 1953 Rücktritt wegen schwerer Krankheit. 6 - Christopher Payet Mayhew (geb. 1915), während des Krieges Offizier (u. a. Special Forces), 1945-1966 Labour-M.P., 1946-1950 Unterstaatssekretär im Außenministerium, 1964-1966 Marine-Minister. Später Liberaler. 7 - John Strachey (1901 - 1963), Labour-Politiker und Autor, 1929-1931 und 1945-1963 M.P., 1945-1946 Unterstaatssekretär im Luftfahrtministerium, 1946-1950 Ernährungsminister, 1950-1951 Verteidigungsminister. |