S O Z I A L I S T I S C H E

M I T T E I L U N G E N

der London-Vertretung der SPD


Nr. 98/99
1947

Issued by the London Representative of the German Social Democratic Party,
33, Fernside Avenue, London, NW 7 - Telephone: MIL1 Hill 3915

April
Mai


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SPD - Tagung in Bad Meinberg

Die Landtagswahlen in der Britischen Zone * Starke Verluste der CDU * SPD ist die stärkste Partei in der Britischen Zone * Sozialdemokratische Mehrheit in Schleswig-Holstein * Anti-Sozialisierungsmehrheit im Land Nordrhein-Westfalen gebrochen * Die SPD fuehrt in Niedersachsen *

Der Parteivorstand und der Parteiausschuss, die obersten Vertretungen der SPD, tagten am 22. - 24. April 1947 zum ersten Male auf westfälisch-lippischem Boden, in Bad Meinberg bei Detmold.

Die Vertrauensleute der SPD tagten in einer politischen Situation, wie sie die Welt verworrener und schwieriger noch nicht gesehen hat. Die Staatsmänner der ehemaligen Kriegsgegner beraten seit vielen Monaten über das Schicksal Deutschlands, ohne eine Antwort auf die Fragen zu finden, die die Lösung dieses Problems stellt. Indessen gehen selbst die Reste der kümmerlichen deutschen Wirtschaft zugrunde, werden die letzten Vorräte aufgezehrt, die bis heute vorhanden waren, ohne dass neue Güter in nennenswertem Umfang produziert werden können. Das deutsche Volk hungert und sieht die Hoffnung schwinden, dass die Ernährungslage in absehbarer Zeit gebessert werden kann. Die letzten grossen Hungerdemonstrationen und Streiks im Ruhrgebiet, Rheinland und Niedersachsen sind nur allzu verständlich.

Die SPD trägt für diese Zustände keine Verantwortung. Aber es ist zu billig, sich mit dieser Feststellung zu begnügen und die Dinge gehen zu lassen oder sich mit einer Passivität abzufinden, die die wirklich verantwortlichen Stellen Deutschland gegenüber einnehmen könnten. Eine Partei, die am 20. April als die grösste der Britischen Zone aus den Wahlen hervorgegangen ist, hat positiv Stellung zu nehmen. Sie kann nur darin bestehen, alle Kräfte aufzubieten, um alle zuständigen Stellen zur Vergrösserung der landwirtschaftlichen Erzeugung, der beschleunigten Herstellung von Wohnraum und der Umstellung stillgelegter Fabrikbetriebe für die Herstellung der Verbrauchsgüter des täglichen Lebens zu veranlassen. Nicht eine Unzahl von Petitionen und Anträgen aller Art, sondern diese Hauptpunkte, die alles einschliessen, was die SPD sonst noch für heute und morgen zu fordern hat, soll den Beratungen der Partei und der neuen Einzel-Landtage und den Vorstellungen aller verantwortlichen Regierungen Ton und Inhalt geben.

Die SPD steht vor schweren Aufgaben, und es bedarf des ganzen Mutes und aller Klugheit, sie ihrer Lösung zuzuführen.

Die Tagung in Bad Meinberg wurde diesmal von Erich Ollenhauer geleitet, weil Dr. Kurt Schumacher erkrankt war. Es wurde beschlossen, den nächsten Parteitag vom 26. Juni bis 2. Juli in Nürnberg durchzuführen.

Das Hauptreferat unter dem Thema "Deutschland und Europa" wird der Parteivorsitzende Dr. Kurt Schumacher halten. Der Innenminister von Nordrhein-Westfalen, Dr. Walter Menzel[1], wird über "Aufbau der deutschen Republik" sprechen. Tagungen für Wirtschaftspolitik, Kulturpolitik und eine Reichsfrauenkonferenz werden dem Parteitag vorausgehen. Ueber einen

anhaltenden Aufschwung der Sozialdemokratischen Partei
berichtete der Parteikassierer Alfred Nau. 8.000 Ortsvereine zählt die SPD heute, das sind 2.800 Ortsvereine mehr als 1931. Der Mitgliederbestand beträgt 722.000, das sind 110.000 Männer und Frauen mehr als 1931. Die Mitgliederzahlen haben sich im Verlaufe des letzten Halbjahres 1946 verdoppelt. In Verbindung mit dem Parteiausschuss tagte der

Zentrale Jugendausschuss der Jungsozialisten.
Die Jungsozialisten forderten, dass etwaige Arbeitserziehungslager für freiwilligen oder zwangsweisen Arbeitsdienst nur erörtert werden dürften, wenn Vertreter der jungen Generation vorher darüber gehört würden.

Zur Entwicklung der politischen Verhältnisse im Saargebiet
wurde ein Beschluss gefasst. Er missbilligt die Beteiligung von Sozialdemokraten an separatistischen Bestrebungen und die Mitgliedschaft in separatistischen Organisationen, insb. in der "Bewegung für die Wiederangliederung der Saar an Frankreich"[2]. Diese Mitgliedschaft sei unvereinbar mit der Mit-

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gliedschaft in der Sozialdemokratischen Partei.

Protest gegen Massnahmen der französischen Besatzungsmacht
Der Parteiausschuss der SPD protestierte in einer Entschliessung gegen die Massnahmen der französischen Besatzungsmacht, die es den Sozialdemokraten aus der Französischen Zone unmöglich machte, an den Veranstaltungen der SPD in anderen Zonen teilzunehmen, oder Sozialdemokraten der anderen Westzonen unmöglich macht, in der französisch besetzten Zone zu sprechen. Aus diesem Grund wurde die Teilnahme deutscher Sozialdemokraten an der internationalen Marx-Gedenkfeier am Geburtstage von Karl Marx am 5. Mai in Trier unmöglich gemacht.

Teilnahme in der Schweiz und in Holland
Dem Entschluss des Parteivorstandes, der Einladung zum Besuch der internationalen Konferenz am 8. Juni 1947 in Zürich (der Fortsetzung der internationalen sozialistischen Konferenzen in Clacton und Bournemouth) und der Einladung der Partij van de Arbeid zur Teilnahme an ihrem Parteitag in Holland im Mai 1947 zu folgen, wurde zugestimmt.


-- -- -- -- -- -- --

Der Zusammenbruch der Ernährungswirtschaft hat eine Welle von Kundgebungen und Streiks hervorgerufen. Sie sind der Ausdruck von Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung.

Die Sozialdemokratie hat seit langem vergeblich gewarnt. Die gegenwärtige Krise ist das Ergebnis der Politik halber und falscher Mittel in- und ausländischer Kräfte.

Diese Politik uneingelöster Versprechungen und ungeklärter Verantwortlichkeiten darf nicht fortgesetzt werden. Durchgreifende sofortige Massnahmen sind unerlässlich:

1.) Ausreichende und rechtzeitige Einfuhr von Brotgetreide.

2.) Besondere Massnahmen zur Erfassung aller tierischen und pflanzlichen Fette. Freigabe von Devisen, vor allem für die Fetteinfuhr.

3.) Freistellung von Schiffen für Lebensmitteltransporte und Walfang.

4.) Aufhebung der Lebensmittelrequisitionen und -exporte in der Russischen und Französischen Zone.

5.) Rücksichtslose Anwendung aller Strafbestimmungen gegen Schwarzhändler und Schieber.

6.) Ernährung und gewerbliche Wirtschaft müssen zentral gelenkt werden.

7.)Die bizonalen Aemter müssen sofort mit den notwendigen Exekutivbefugnissen ausgestattet werden, damit die Länder zur Erfüllung ihrer Verpflichtungen gegenüber der Gesamtheit angehalten werden können.

8.) Anweisungen der Militärregierungen an die Länder, ihren rückständigen Ablieferungsverpflichtungen sofort nachzukommen.

9.) Endgültige sachliche und personelle Beseitigung des Reichsnährstandes und seine Ersetzung durch eine demokratische Organisation von Erzeugern, Landarbeitern und Verbrauchern.

10.) Neuordnung des Erfassungssystems in der Landwirtschaft mit dem Ziel einer Erhöhung des Ablieferungssolls. Belieferung der landwirtschaftlichen Betriebe mit gewerblichen Bedarfsgütern.

Die Sozialdemokratische Partei Deutschlands ist davon überzeugt, dass die endgültige Ueberwindung der gegenwärtigen Notlage nur durch die sozial-ökonomische Neuordnung erfolgen kann. Sie sieht als Mittel dazu die von ihr vorgeschlagene Agrarreform und die Sozialisierung der Produktionsmittel des Grossbesitzes an.

wurde am 22. und 23. April 1947 in einer Tagung von über 400 Vertretern von 13 autonomen Industrieverbänden vorgenommen. Zum ersten Vorsitzenden des neuen Deutschen Gewerkschaftsbundes für die Britische Zone wurde Hans Böckler[3], Köln, gewählt. Stellvertretende Vorsitzende sind: Albin Karl[4], Hannover, und Mathias Fökker[5], Duisburg.

Hans Böhm[6], Bielefeld, und Hans vom Hoff[7], Nienburg, wurden besoldete Beisitzer, während zu unbesoldeten Beisitzern Wilhelm Petersen[8], Hamburg (Metall), August Schmidt[9], Bochum (Bergbau), Hans Jahn, Bielefeld (Verkehr), Liesel Kipp-Kaule[10], Herford (Textil), Otto Adler[11], Hannover (Chemie), und Wilh[elm] Dörr, Hamburg (Angestellte), Konr. Skrenty[12], Düsseldorf, gewählt wurden.

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Einzelergebnisse
der Landtagswahlen am 20. April 1947 in der Britischen Zone.

Regierungsbezirk Aachen (Wahlkreise 1-8):

SPD

62.637,

CDU

138.840,

FDP

5.548,

KPD

22.158,

Zentrum

11.700,

RVP

2.174,

Regierungsbezirk Köln (Wahlkreise 9-27):

SPD

163.484,

CDU

268.390,

FDP

29.209,

KPD

62.672,

Zentrum

40.039,

RPV

4.768,

Regierungsbezirk Düsseldorf (W.kr. 28-77):

SPD

489.786,

CDU

516.693

FDP

129.730,

KPD

280.357,

Zentrum

182.250,

RVP

6.046,

Düsseldorf-Stadt (Wahlkreise 43-47):

SPD

53.509,

CDU

67.182,

FDP

8.414,

KPD

34.384,

Zentrum

15.741,

RVP

1.797,

Essen-Stadt (Wahlkreise 60-66):

SPD

79.248,

CDU

60.591,

   

KPD

45.131,

Zentrum

39.135,

   

Reg.-Bezirk Münster (Wahlkreise 78-98):

SPD

201.814,

CDU

249.499,

FDP

29.071,

KPD

101.382,

Zentrum

137.475,

DRP

231

Reg.-Bezirk Arnsberg (Wahlkreise 99-131):

SPD

463.634,

CDU

457.808,

FDP

78.439,

KPD

201.110,

Zentrum

71.324,

DRP

8.391,

Dortmund-Stadt (Wahlkreise 106-111):

SPD

91.795,

CDU

73.418,

FDP

15.211,

KPD

55.425,

Zentrum

7.894,

   

Münster-Land (Wahlkreis 87):

SPD

5.154,

CDU

10.394,

FDP

1.338,

KPD

731,

Zentrum

11.963,

   

Münster-Stadt (Wahlkreis 88):

SPD

8.768,

CDU

11.712,

FDP

2.505,

KPD

1.621,

Zentrum

8.873,

   

Aachen-Stadt (Wahlkreis 1):

SPD

8.709,

CDU

20.509,

   

KPD

3.515,

Zentrum

2.897,

   

Köln-Stadt (Wahlkreise 13-18):

SPD

57.055,

CDU

88.135,

FDP

8.204,

KPD

33.857,

Zentrum

3.325,

RVP

1.860,

Reg.-Bezirk Minden (Wahlkreise 132-150):

SPD

220.088,

CDU

243.351,

FDP

26.532,

KPD

33.832,

Zentrum

4.616,

   

Reg.-Bezirk Hannover (Wahlkreise 1-18):

SPD

251.167

CDU

57.223

FDP

41.574

KPD

32.553

NLP

134.467

Zentr.

10.588

DRP

3.370

Stadt Hannover (Wahlkreise 1-6):

SPD

85.227

CDU

25.326

FDP

16.728

KPD

12.565

NLP

22.834

Zentr.

2.605

DRP

3.370

Reg.-Bez. Hildesheim (Wahlkreise 19-32):

SPD

170.282

CDU

97.061

FDP

45.701

KPD

25.453

NLP

47.636

Zentr.

10.501

DRP

3.151

Reg. Bezirk Braunschweig (Wahlkreise 33-44):

SPD

129.876

CDU

77.941

FDP

14.997

KPD

18.995

NLP

17.596

Zentr.

3.118

DRP

905

Reg. Bezirk Lüneburg (Wahlkreise 45-59):

SPD

144.117

CDU

48.184

FDP

19.611

KPD

18.527

NLP

108.937

Zentr.

2.435

-

 

Reg.-Bezirk Stade (Wahlkreise 60-70):

SPD

95.436

CDU

9.949

FDP

10.007

KPD

8.267

NLP

108.315

Zentr.

3.498

-

 

Reg.-Bezirk Oldenburg (Wahlkreise 71-81):

SPD

86.532

CDU

73.979

FDP

54.881

KPD

12.899

-

 

Zentr

18.436

-

 

Reg.-Bezirk Osnabrück (Wahlkreise 82-90):

SPD

74.308

CDU

75.875

FDP

8.332

KPD

9.152

NLP

24.330

Zentr.

51.929

-

 

Reg.-Bezirk Ostfriesland (Wahlkreise 91-95):

SPD

52.233

CDU

19.436

FDP

19.285

KPD

9.210

NLP

10.316

Zentr.

-

-

 


Niebuell (Wahlkreis 1):

SPD

8.009

CDU

7.786

KPD

739

SSV

7.953

Bredstedt (Wahlkreis 2):

SPD

7.787

CDU

10.915

KPD

318

SSV

7.331

Flensburg (Wahlkreise 3 [bis] 5):

SPD

11.864

CDU

17.849

KPD

1.089

SSV

23.215

Schleswig-Eckernförde:

SPD

45.348

CDU

44.485

KPD

3.479

SSV

31.136

Norderdith-marschen (11):

SPD

10.313

CDU

11.186

KPD

792

SSV

1.763

Rendsburg (Wahlkr. 12-14):

SPD

31.207

CDU

27.175

KPD

2.516

SSV

7.471

Kiel (Wahlkr. 15-18):

SPD

47.110

CDU

41.929

KPD

9.211

SSV

1.541

Plön (Wahlkr. 19-20):

SPD

23.076

CDU

22.290

KPD

2.174

DRP

2.061

Eutin/Olden-burg (21-24):

SPD

49.729

CDU

33.895

KPD

3.594

DRP

2.086

Neumünster (Wahlkr. 25):

SPD

12.973

CDU

9.778

KPD

1.377

FDP
DRP

604
391

Süderdithmarschen (26/27):

SPD

23.434

CDU

15.686

KPD

2.067

DRP

1.468

Steinburg (Wahlkr. 28/29):

SPD

26.434

CDU

13.316

KPD

3.305

DKP

1.280

Pinneberg (Wkr. 30-32):

SPD

33.620

CDU

18.036

KPD

5.099

DRP

751

Segeberg-Stormarn (33/36):

SPD

45.923

CDU

34.906

KPD

3.898

DRP

1.823

Lübeck (Wahlkr. 37-40):

SPD

53.533

CDU

26.312

KPD

6569

DKP

10.182

FDP

3.555

           

Lauenburg (Wkr. 41-42):

SPD

26.091

CDU

18.892

KPD

2.892

-

 

(Ziffern für Splittergruppen (Unabhängige) wurden nicht aufgezählt.)

[Seite im Original:] - 4 -

Die Landtagswahlen in der Britischen Zone

Von 13.140.346 wahlberechtigten Männern und Frauen wählten am 20. April 8.626.209 ihre Vertreter in die Landtage der Länder Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und Schleswig-Holstein. Die Wahlbeteiligung betrug 66,06 Prozent gegenüber einer Wahlbeteiligung von 73 Prozent im Oktober 1946.

Nach dem bisher vorliegenden Ergebnis erhielten die Parteien Stimmen:



SPD

3.131.127 Stimmen =

39,7 %

(35,2 %) =

172 Abgeordnete

CDU

2.747.987 Stimmen =

33,0 %

(46,6 %) =

143 Abgeordnete

KPD

890.996 Stimmen =

8,3 %

(8,3 %) =

36 Abgeordnete

Zentrum

590.736 Stimmen =

6,0 %

(2,8 %) =

26 Abgeordnete

NLP

417.641 Stimmen =

6,2 %

(8,4 %) =

27 Abgeordnete

FDP

568.869 Stimmen =

5,8 %

(4,1 %) =

25 Abgeordnete

SSV

82.684 Stimmen =

0,9 %

(0,6 %) =

4 Abgeordnete

DKP

64.411 Stimmen =

kein Abgeordneter wurde gewählt

RVP

13.277 Stimmen =

kein Abgeordneter wurde gewählt

Unabhängige

1.564 Stimmen =

kein Abgeordneter wurde gewählt



In den Klammern befinden sich die prozentualen Stimmenanteile vom Oktober 1946.

Für die einzelnen Länder ergeben sich folgende Resultate:

SPD

462.717 Stimmen =

44,4 %

(41,2 %)

=

43 Abgeordnete

CDU

359.933 Stimmen =

34,5 %

(37,3 %)

=

22 Abgeordnete

SSV

82.684 Stimmen =

7,9 %

(7,3 %)

=

4 Abgeordnete

FDP

53.299 Stimmen =

5,1 %

(6,0 %)

kein Abgeordneter

KPD

49.841 Stimmen =

4,8 %

(5,0 %)

kein Abgeordneter

DKP

32.336 Stimmen =

3,1 %

(1,3 %)

kein Abgeordneter

Zentrum

1.073 Stimmen =

0,1 %

-

kein Abgeordneter


Ein Mandat bleibt offen, da im Kreise Flensburg-Ost wegen [des] Tod[es] eines Kandidaten die Wahl erst im Mai erfolgt. Die Sozialdemokratische Mehrheit im Lande Schleswig-Holstein kann dadurch nicht erschüttert werden.

SPD

1.067.021 Stimmen =

43,3 %

(41,8 %) =

65 Abgeordnete

CDU

489.293 Stimmen =

19,8 %

(22,4 %) =

30 Abgeordnete

NLP

441.871 Stimmen =

17,9 %

(19,7 %) =

27 Abgeordnete

FDP

216.455 Stimmen =

8,8 %

(7,6 %) =

13 Abgeordnete

KPD

139.540 Stimmen =

5,7 %

(5,0 %) =

8 Abgeordnete

Zentrum

101.511 Stimmen =

4,1 %

(2,0 %) =

6 Abgeordnete

DRP

7.426 Stimmen =

kein Abgeordneter

SPD

1.601.389 Stimmen =

32,0 %

(33,4 %) =

64 Abgeordnete

CDU

1.874.431 Stimmen =

37,5 %

(46,0 %) =

91 Abgeordnete

KPD

701.615 Stimmen =

14,0 %

(14,0 %) =

28 Abgeordnete

FDP

299.115 Stimmen =

6,0 %

(4,3 %) =

12 Abgeordnete

Zentrum

488.150 Stimmen =

9,8 %

(6,1 %) =

20 Abgeordnete

DRP

24.649 Stimmen =

0,4 %

kein Abgeordneter gewählt

RVP

13.277 Stimmen =

0,3 %

kein Abgeordneter gewählt

Unabhängige

1.087 Stimmen =

-

kein Abgeordneter gewählt

"Die politisch entscheidende Tatsache ist darin zu suchen, dass sich der Abstand zwischen der SPD und der CDU vergrössert hat, obwohl im Gegensatz zu den Wahlen am 13. Oktober vorigen Jahres die beiden Hochburgen der SPD, Hamburg und Bremen, nicht gewählt haben."

Zu dem Anwachsen der kommunistischen Stimmen erklärte Dr. Schumacher: "Das Anwachsen der Kommunisten, besonders in den vom Hunger am stärksten betroffenen Gemeinden des westlichen Industriereviers, ist ein Protest gegen die unerträglichen Zustände, vor allem auf dem Gebiet der Ernährung." Anschliessend sagte Dr. Schumacher: "Die SPD geht aus dieser Wahl innerlich und äusserlich gestärkt hervor. Inwieweit sie diese Stärke erfolgreich verwerten kann, hängt nicht zum mindesten von der Politik der Besatzungsmächte ab. Besonders bezüglich der Ernährung und der Ankurbelung der Wirtschaft hat die Britische Zone den Verlockungen des rechten Nationalismus und des Nationalkommunismus auch in dieser Periode der äussersten Verwirrung widerstanden ..."

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Zum Problem der Bodenreform in der Britischen Zone gab Minister J. Hynd folgendes im Unterhaus bekannt: "Auf Grund der Massnahmen für eine Bodenreform, die jetzt in der Britischen Zone Deutschlands durchgeführt werden sollen, wird es weder einem Privatmann noch einer Gesellschaft oder einem Trust gestattet sein, über ein festgesetztes Maximum hinaus brachliegendes Land zu besitzen. Dies bezieht sich nicht auf Land, das sich bereits im Besitz von öffentlichen oder quasi öffentlichen Körperschaften wie religiösen, genossenschaftlichen und Wohltätigkeitsorganisationen befindet.

Die Besitztitel an allem Land, das über das erlaubte Höchstmass, das die gegenwärtigen Besitzer behalten dürfen, hinausgeht, werden von den Länderregierungen übernommen werden, die für alle Kompensationsmassnahmen verantwortlich sind, die sie für angebracht halten. Diese Massnahmen unterliegen einer allgemeinen Kontrolle durch den britischen Gouverneur des betreffenden Gebietes.

Zweck der Reform ist es, 1.) die wirtschaftliche und politische Macht, die mit dem Besitz grosser Landgüter verbunden ist, herabzusetzen, und 2.) Gelegenheiten für Ansiedlung und Beschäftigung von landwirtschaftlichen Arbeitskräften zu schaffen. Die Bodenreform wird so durchgeführt werden, dass dadurch die Lebensmittelproduktion in der Zone nicht leiden wird."

Der erste Schritt zur Auflösung grösseren Grundbesitzes war im Juli vergangenen Jahres erfolgt, als Besitz über 500 Hektar hinaus mit Beschlag belegt wurde.

Aus einer Antwort Minister John Hynds: "Eine Anzahl von Kunstgegenständen, die Göring aus Karinhall nach Süddeutschland gebracht hatte, sind sichergestellt worden. Sie werden nicht verkauft, sondern werden gemäss den vereinbarten Bestimmungen den Regierungen der Länder zurückgegeben, aus denen sie geraubt worden waren."

In der Britischen Zone wurden folgende Vermögenswerte ehemaliger Naziführer sichergestellt: Ribbentrop 690.000 RM, von Papen 721.000 RM, Rosenberg 657.000 RM, Keitel 1.045.000 RM, Dönitz 153.000 RM, Göring 4.000.000 RM.

Minister Hynd ist von seinem Posten als Minister für die britischen Besatzungszonen in Deutschland und Oesterreich von Lord Pakenham abgelöst worden. Das bisher von Hynd geleitete Kontrollamt für Deutschland und Oesterreich wird nun dem Foreign Office angegliedert, das damit auch die oberste Verantwortung für das britische Element der Kontrollkommission für Deutschland übernimmt. Lord Pakenham, bisher Staatssekretär im Kriegsministerium, übernimmt jetzt die Leitung des Kontrollapparates und ist Aussenminister Bevin direkt verantwortlich.

Seit seiner Gründung im Oktober 1945 war das Kontrollamt in loser Form bezüglich der höchsten ministeriellen Verantwortung gegenüber dem Parlament dem Kriegsministerium unterstellt. Diese Unterordnung war aber seit längerer Zeit höchstens theoretisch. Immer mehr übte bereits das Foreign Office einen entscheidenden Einfluss aus, je mehr der internationale Charakter der deutschen und österreichischen Probleme in den Vordergrund trat. Gerade die Moskauer Konferenz unterstrich in letzter Zeit diese Entwickelung. Die letzte grundsätzliche Formulierung der britischen Politik gegenüber Deutschland erfolgte dort durch Aussenminister Bevin am 31. März 1947 mit der Bekanntgabe der "Grundsätze zur Ergänzung des Potsdamer Abkommens".

Nach einem Bericht des "Observer" steht Lord Pakenham jetzt im 42. Lebensjahr. In Oxford schloss er sich der Labour Party an, die er auch im Stadtrat vertrat. Vom Frühjahr 1939 bis zu seinem Ausscheiden aus der Armee als Invalide war er Soldat. Von 1941 an widmete Lord Pakenham sich der Mitarbeit an den Berichten Lord Beveridges über den Facharbeitereinsatz, die Brennstoffrationierung, die soziale Sicherheit und die Vollbeschäftigung. Lord Pakenham gilt als eine äusserst energische und vielseitig unterrichtete Persönlichkeit. Die Deutschen - meint der "Oberserver" - werden ihn menschlich sehen, aber als entschiedenen Feind von Ueberheblichkeit und Servilität.

[Seite im Original:] - 6 -

Am 5. Mai 1947, zwei Jahre nach dem Waffenstillstand dieses Krieges, werden SPD-Kundgebungen in der Heimat die Forderung aufs neue erheben: Gebt unsere Gefangenen frei! Ein Blick in die deutschen Zeitungen zeigt immer aufs neue, welche Bedeutung die Heimat dem Kriegsgefangenenproblem gibt. Zur Informierung unserer Leser bringen wir zwei Artikel, den ersten aus der "RHEINISCHEN ZEITUNG" vom 19. Maerz, und den ueber die SPD-Kriegsgefangenenhilfe aus der "NEUEN RUHR ZEITUNG" von 19. April 1947:


"Die Meldung der amtlichen sowjetischen Agentur TASS, dass die Zahl der deutschen Kriegsgefangenen in Russland 890.532 betraegt, hat in der deutschen Bevoelkerung aufs neue Sorgen und Aengste wachgerufen. Die Zahl ist ueberraschend niedrig. Man hat nicht nur vermutet, sondern war mit gutem Grund ueberzeugt, dass ein Mehrfaches dieser Zahl an Kriegsgefangenen noch in Russland weilt. Die Angaben, die seit dem Ende des Krieges ueber die Zahl der Gefangenen in der Sowjet-Union gemacht worden sind, haben sich durchweg in der Groessenordnung von 3 bis 4 Millionen bewegt. Der britische Aussenminister Bevin hat sie erst dieser Tage wieder bei den Moskauer Verhandlungen auf 3 Millionen beziffert. Er duerfte gerade bei der Gelegenheit eine genauere Zahl nur angegeben haben, wenn sie ihm nach seinen Informationen sicher erschien. Vielleicht ist seine Angabe der Anlass fuer die Moskauer Regierung gewesen, sich auch selbst einmal zu aeussern. Sie hatte bisher ein peinigendes Schweigen bewahrt, auch in diesem Punkte jenes ungeruehrte Schweigen, das nachgerade zu den Mitteln sowjetischer Politik gehoert.

Der Unterschied zwischen der Angabe Bevins, die sich auf der Linie der allenthalben genannten Zahlen haelt, und der sowjetischen Mitteilung ist erschreckend gross. Dieser Unterschied wird wohl verkleinert, aber nicht aufgehoben durch die gleichzeitig von der Tass bekanntgegebene Zahl der Gefangenen, die bisher von den Russen entlassen worden sind: 1.003.974. Diese Zahl ist ebenso auffallend praezis wie die Zahl der Gefangenen, die noch in Russland sind, und noetigt zu Respekt vor der Gewissenhaftigkeit der sowjetischen Buerokratie. Waehrend die Zahl der Kriegsgefangenen in Russland uns erschreckend klein vorkommt, scheint uns die Zahl der Entlassenen ueberraschend gross zu sein. Ausser den 150.000 bis 170.000, deren Entlassung vor den Wahlen in der Sowjet-Zone von der SED mit vielem Ruehmen angekuendigt wurde und die dann in der Tat auch, meist schwerkrank und arbeitsunfaehig, zurueckgekommen sind, muessen also nach der amtlichen sowjetischen Meldung noch 830.000 bis 850.000 in die Heimat geschickt worden sein. Es waere zu wuenschen, wenn diese runde Zahl noch naeher nach Ort und Zeitpunkt der Entlassungen gegliedert werden koennte. Sind zu den Gefangenen, die noch in Russland sind, etwa auch die 30.000 Krankenschwestern und Nachrichtenhelferinnen hinzugezaehlt worden, die ebenfalls in die Haende der Roten Armee fielen?

Verbirgt sich hinter der Differenz zwischen der Zahl, mit der bisher stets gerechnet wurde, und der jetzt von den Russen genannten eine grosse Tragoedie, oder erklaert sie sich lediglich aus einer dann allerdings recht bedenkenlosen Politik? Oder ist es so, wie der Moskauer Korrespondent des "Manchester Guardian" meint, dass die Zahl von 3 Millionen Gefangenen in Russland lediglich auf uebertriebene Angaben aus der Kriegszeit zurueckzufuehren ist? Die Behandlung der russischen Kriegsgefangenen gehoert zu den uebelsten Brutalitaeten der nationalsozialistischen Gewalt. Als Herr Sauckel im Fruehjahr 1942 die russischen Gefangenen als Arbeitskraefte brauchte und ueber sie verfuegen wollte, stellte sich heraus, dass viele Hundertausende fehlten. Sie waren inzwischen verhungert und erfroren. Hier wie in vielen anderen Faellen erwies sich die Unmenschlichkeit zugleich als eine grosse Torheit, die auch den empfindlich traf, der sie begangen hatte. Es ist nicht zu uebersehen, dass die Verhaeltnisse in dem ungewoehnlich strengen Winter 1941/42 alle normalen Massstaebe aufgehoben hatten. Es war ausserordentlich schwierig, auch nur die eigenen Truppen mit Lebensmitteln zu versorgen. Zehntausende deutscher Soldaten erfroren, weil sie keine Winterkleidung hatten. Es fehlte dazu an Transportmitteln, um die riesigen Massen an Gefangenen rechtzeitig ins tiefere Hinterland zu bringen. Doch diese Umstaende erklaeren nicht alles, was geschehen ist. Wir wissen aus Hitlers Ausspruechen, dass die Katastrophe, die damals ueber die russischen Gefangenen hereinbrach, auch gewollt war. Sie gehoerte zu dem System, nach dem man Russland in seiner biologischen Substanz zu schwaechen gedachte.

Wir koennen es beklagen, aber wir koennten es nicht aendern, wenn der Urheber jetzt das Opfer seiner eigenen Methode werden sollte. Wir haben nicht das Recht aufzubegehren; wir koennten nur feststellen, dass diese Methoden eben nationalsozialistisch sind und dass die Maechte, die gegen das Deutschland Hitlers Krieg fuehrten, die Menschheit vor ihnen erretten wollten und immer bekraeftigt haben, dass nicht Gleiches mit Gleichem vergolten werden sollte. Wenn wir uns an Bevins Zahlen halten und mit den Entlassungen rechnen, von denen die Russen sprechen, fehlen ueber eine Million deutsche Kriegsgefangene. Sind sie in Russland umgekommen? Der italienische Kriegsminister hat vor kurzem festgestellt, dass von 60-80.000 Kriegsgefangenen seiner Nation nur 12.513 aus Russland zurueckgekehrt, die uebrigen an Flecktyphus umgekommen seien.

Die Sorge um die Kriegsgefangenen gehoert zu den drueckendsten der vielen Sorgen, die auf dem deutschen Volk lasten. Es hat geraume Zeit gedauert, ehe die Gegner sich zu einer Zusage ueber die Entlassung der Gefangenen bereitfanden. Die Amerikaner haben jetzt bis auf diejenigen, die sie den Franzosen ueberliessen, nahezu alle nach Hause

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geschickt. Es werden aber noch ungefaehr zwei Jahre vergehen, ehe die Kriegsgefangenen aus England daheim sind. Zudem wird die Entlassung zuweilen mit Bedingungen verknuepft, die gleichfalls nicht ueblich sind. Man verfaehrt nicht sonderlich grosszuegig. Aber vielleicht muessen wir nach allem, was geschehen ist, in unserer heutigen Hilflosigkeit und Verlassenheit eine Gnade darin sehen, wenn man uns menschliches Recht nicht ueberhaupt verweigert. In der Frage der deutschen Kriegsgefangenen in Russland sind in den Berechnungen und Schaetzungen jedenfalls Unterschiede offenbar geworden, die naeherer Aufklaerung beduerfen, einer Aufklaerung, die, wie uns scheint, nicht nur unser Volk, sondern auch die Weltoeffentlichkeit erwartet."

"Etwas musste geschehen. Das war klar. Diese Zahl von 890.000 deutschen Kriegsgefangenen, die nur noch in Russland sein sollen, war zu erschuetternd und niederschmetternd. Bisher hatten wir doch alle mit 3 Millionen ehemaliger deutscher Soldaten in Russland gerechnet.

Wer als erster bei der SPD in Hannover auf den Gedanken kam, eine Sammlung aller Namen von in Russland vermissten Deutschen durchzufuehren, weiss ich gar nicht mehr. Der Plan entstand aus unseren Gespraechen und wurde dann in die Tat umgesetzt."

Der Leiter der Kriegsgefangenenhilfe[14] deutet auf den heutigen Posteingang mit acht grossen Saecken, die jetzt gerade entleert werden. "Am Gruendonnerstag waren es 654 Briefe, am Mittwoch nach Ostern waren es 300.000, am vergangenen Donnerstag 900.000, und wir rechnen damit, zum Wochenende die Millionenzahl schon betraechtlich ueberschritten zu haben. Wir wagen nicht zu schaetzen, wieviele es noch werden moegen. Bisher ist noch kein Nachlassen im Posteingang zu bemerken ..."

Nur die Ostzone schweigt!

Das Ziel der Aktion ist klar. Der Vorstand der SPD hat es in einem Schreiben an alle Ministerpraesidenten der deutschen Laender und die Oberbuergermeister von Berlin und Hamburg dargelegt: "Uns leitet bei dieser Umfrage das Bestreben, eine Gesamtuebersicht zu gewinnen, die geeignet ist, der deutschen Bevoelkerung Klarheit zu verschaffen und den umlaufenden Geruechten entgegenzuwirken, die sich nach der offiziellen Meldung von der Rueckfuehrung von 1 Million Kriegsgefangener aus Russland gebildet haben."

Ein Teil der Presse auch anderer Parteien hat die Weitergabe der Aufforderung unterstuetzt. Auch der Rundfunk hat die Aktion bekanntgegeben.

"So kommen jetzt die Briefe aus allen drei Westzonen und aus Berlin. Allein die Ostzone macht eine Ausnahme. Von den Zigtausenden der gesichteten Briefe haben wir bisher nur fuenf aus der Ostzone erhalten, und diese sind auf dem Umweg ueber Freunde in Berlin an uns gelangt. Weiss Gott ein bedauerliches Zeichen."

Hier kann zuerst nur einmal gesichtet und geordnet werden. Zwoelf Stunden taeglich wird gearbeitet - auch sonntags. - Viele freiwillige Helfer aus den Reihen der Jungsozialisten und der "Falken" haben sich eingefunden.

Ein erschuetterndes Bild.

Sorge, Angst, Hoffnung sprechen. Mit zitternder Hand schreibt eine alte Mutter, auf einem sachlichen Geschaeftsformular ein Vater. Auf einem kleinen, hastig abgerissenen Zettel, kurz und knapp die eine Anfrage, leidenschaftlich anklagend ein anderer Brief, so sammelt sich hier ein Berg der deutschen Hoffnung, der Not und der Sehnsucht in Briefen. Man fragt um Auskunft, bittet um Rat. - Tausende, Hunderttausende hoffen und danken - Vaeter und Muetter, Frauen und Kinder, Braeute und Schwestern.

Man braucht nur wahllos in den Briefstapel zu greifen, dann tut sich die schreiende Sorge vor uns auf: "Else Straehle, Jahrgang 1920. Im Februar 1945 aus Mohrungen verschleppt; sie soll irgendwo als Eisenbahnarbeiterin im Streckenbau in Russland eingesetzt sein. Wir haben immer noch keine Nachricht..."

"Mein Mann soll in Brest-Litowsk bei der Rueckfahrt zur Entlassung in die Heimat erkrankt sein. Am Tage wurde er noch von Kameraden besucht. Er war schwer erkrankt, abends fanden sie ihn nicht mehr. Koennen Sie uns helfen, ueber sein Schicksal etwas herauszufinden?"

"In Polen wurde die Einheit meines Sohnes ohne Waffen und ohne von einem Bataillon oder so uebernommen zu sein nach Zeugenaussagen von den Russen gefangengenommen. Alle unsere Bemuehungen, ueber sein Schicksal bisher etwas zu erfahren, waren vergebens. Wir haben an alle uns bekannten Suchstellen geschrieben. Rotes Kreuz in Moskau auch. Wir haben bisher von keiner eine Antwort erhalten ..."

Ein anderer klagt an: "Wo bleibt da nur jene Gerechtigkeit, welche in Nuernberg vor dem hoechsten Gerichtshof und fuer die ganze Welt offenbart worden ist?"

Und das gab es auch. "...von Amerikanern entlassene Offiziere wurden von den Russen wieder festgenommen, die Arbeitsunfaehigen entlassen, die andern truppweise von Hunden und Russen bewacht zum Bahnhof gebracht. Die Eisenbahnwaggons, in denen sie abgefahren werden sollten, wurden vernagelt und mit Stacheldraht umwickelt. Wo sind sie jetzt? Ich selbst habe meinen Mann dabei kurz gesehen! Seitdem weiss ich nichts mehr von ihm."

Und alle enden sie so oder aehnlich: "Bitte, unternehmen Sie etwas..." oder "In hoffnungsvollster Erwartung..."

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Die Lehre der russischen Entwicklung

Die Russische Revolution von 1917 siegte unter den Parolen des Sozialismus. Sie wurde daher von aller Welt als das erste geschichtliche Experiment betrachtet, die sozialistischen Ideale zu verwirklichen. Deswegen hatte der Verlauf dieses Experiments eine so ausserordentliche Bedeutung fuer die ganze sozialistische Bewegung. Heute ist Russland zu einer der ersten Grossmaechte der Welt geworden und erstreckt seinen Einfluss nach der Niederschlagung Hitlers bis in viele europaeische Laender und auch nach Deutschland hinein. Viele sozialistische Bewegungen, aber vor allem auch die deutsche, werden durch diese Machterweiterung direkt betroffen. Daher ist es fuer sie mehr als jemals wichtig geworden, sich Klarheit ueber die Resultate des russischen Experimentes zu verschaffen, und deswegen bildet die Erkenntnis der russischen Wirklichkeit heute einen der wichtigsten Orientierungspunkte fuer die sozialistischen Entscheidungen ueber zukuenftige Mittel und Wege der sozialistischen Bewegung.

Waehrend der letzten zehn Jahre ist die westliche Welt durch eine grosse Reihe von Buechern mehr als frueher mit den tatsaechlichen russischen Verhaeltnissen bekannt geworden. Dieses neue Tatsachenmaterial bildet auch fuer die deutsche sozialistische Bewegung die Grundlage ihrer aktuellen Entscheidungen. Die Amerikaner Davies[15], Chamberlin[16], Scott[17], James Burnham[18], der Schweizer Basseches[19], die in Amerika lebenden russischen Wissenschaftler Schwarz[20], Yugow[21], und Bienstock[22], der englische Wissenschaftler Hubbard[23], die franzoesischen Sozialisten Souvarine[24] und Yvon[25], der jugoslawische Sozialist Ciliga[26] und andere haben in ihren Arbeiten und Berichten ein genaueres Bild von den tatsaechlichen Zustaenden Russlands vermittelt und die Welt durch zum Teil neues Material ueberrascht. Das meiste Aufsehen erregte aber in den letzten Jahren das Buch des ungarischen, jetzt in England lebenden Schriftstellers Arthur Koestler: "Der Yogi und der Kommissar"[27]. Der grosse Aufsatz ueber die russische Frage bildet den Kern dieses Buches und stuetzt sich im wesentlichen auf das Material, das die anderen genannten Autoren zusammengetragen haben. Aber Koestler formulierte seine Fragen so schlagend und fesselnd, dass gerade sein Buch zu einem wichtigen Markstein in der Russlanddebatte geworden ist und auf die sozialistischen Bewegungen Englands, Amerikas und Skandinaviens einen tiefen Eindruck machte.

Koestler und sehr viele andere der genannten Autoren kommen auf Grund des neuen Tatsachenmaterials zu der Entscheidung,

dass die russische Ordnung nicht sozialistisch sei und sich
auch nicht auf dem Wege zum Sozialismus befinde.

Um diese Schlussfolgerungen zu begreifen, muss man sich freilich klar darueber geworden sein, was man unter Sozialismus verstehen will. Diese Klarheit ist heute wieder um so notwendiger geworden, weil das Wort Sozialismus unterdes vom Nationalsozialismus fuer seine Zwecke missbraucht worden ist. Die grossen sozialistischen Bewegungen, die seit einem Jahrhundert vor allem von der Arbeiterklasse getragen wurden, verstanden unter Sozialismus niemals nur Abschaffung des Privateigentums, Verstaatlichung der Produktionsmittel und Planwirtschaft, so grossen Wert sie diesen Massnahmen auch immer zugemessen haben moegen. Die Sozialisten hielten diese Massnahmen fuer wichtige Mittel und Wege, um ihre Ideale zu verwirklichen, aber doch nicht fuer den entscheidenden Inhalt ihrer Ziele selber. Der wichtigste Inhalt des Zieles bestand [eher] in der Abschaffung der Unterdrueckung und Ausbeutung des einen Teiles der Gesellschaft durch den anderen als in der Beseitigung von Klassenvorrechten an den Kommandohoehen der Gesellschaft und in der allgemeinen und gerechten Hebung des Wohlstandes und der Freiheit. Diesen Massstab muss man auch anlegen, wenn man sich die Frage beantworten will, ob wir es in Russland mit einer sozialistischen Ordnung zu tun haben oder nicht. In allen bisherigen Ordnungen, in denen die Gesellschaft in bevorrechtete und benachteiligte Klassen geteilt war, wurde eine Klasse zur herrschenden Gruppe der Gesellschaft, wenn sie sich vor allem drei Vorrechte sichern konnte:

1. dass sie ohne Einfluss anderer sozialer Gruppen die Verfuegungsgewalt und Kontrolle ueber die wichtigsten Produktionsmittel und das Wie und Was der Produktion ausueben konnte;

2. dass sie durch diese Verfuegungsgewalt auch die Verteilung des gesellschaftlichen Arbeitsproduktes und der Gueter der Gesellschaft zu ihren Gunsten regeln konnte und

3. dass sie auf Grund eigener Machtvollkommenheit ueber die Auslese der Nachfolge an den von ihnen besetzten Kommandohoehen der Gesellschaft entscheiden konnte.

In den letzten grossen Epochen der europaeischen Geschichte waren diese Vorrechte herrschender Klassen an den Bestand bestimmter Formen des Privateigentums gebunden, in der feudalen Gesellschaft an den Bestand des feudalen Grundbesitzes, in der kapitalistischen Gesellschaft an den Bestand des Privateigentums an Kapital, vor allem in Form von Fabriken und Maschinen. Die Sozialisten haben daraus den Schluss gezogen, dass mit der Beseitigung aller dieser Formen des Privateigentums notwendig auch die wichtigsten Klassenvorrechte und die Teilung der Gesellschaft in herrschende und beherrschte Klassen verschwinden werden. Aber gerade dieser Teil der sozialistischen Lehre haelt den modernen Erfahrungen in der vorgetragenen Form nicht mehr stand.

Unter diesen modernen Erfahrungen spielt das russische Experiment die wichtigste Rolle. In Russland ist das feudale und das kapitalistische Privateigentum an den wichtigsten Produktionsmitteln abgeschafft worden. Deswegen war ein grosser Teil der Sozialisten

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auch der Meinung, dass sich Russland auf dem Wege zum Sozialismus befinde, d. h. zu einer Gesellschaft ohne Klassenvorrechte, so sehr man auch sonst die russischen Methoden bemaengelte oder aus der russischen Rueckstaendigkeit erklaeren wollte. Nun kann sicherlich kein Zweifel herrschen, dass sich in den ersten zehn Jahren der Russischen Revolution tatsaechlich eine Tendenz zeigte, nicht nur die feudalen und kapitalistischen, sondern alle Klassenvorrechte abzuschaffen. Aber im Laufe der letzten 15 Jahre hat diese Tendenz einer ganz anderen Entwicklung Platz gemacht. Sie geht zwar nicht darauf aus, wie so viele glauben, den Feudalismus oder Kapitalismus wiederherzustellen. Aber sie geht darauf aus,

unter den Bedingungen des kollektiven, verstaatlichten Eigentums
eine neue bevorrechtete und herrschende Klasse auszubilden,

und in dieser Tatsache liegt die grosse grundlegende Lehre fuer die Sozialisten aller Laender.

Wenn man danach fragt, wer in Russland die Verfuegungsgewalt ueber die Produktionsmittel, die Verteilung des Sozialproduktes und die Auslese der Nachfolge an den Kommandohoehen der Gesellschaft in der Hand haelt, so lautet die Antwort zunaechst: der Staat. "Der Staat kontrolliert alles", sagt Koestler in dem genannten Buch und fragt dann mit Recht: "Aber wer kontrolliert den Staat?" Nach der allgemeinen Behauptung: die Arbeiter, Bauern und Intellektuellen durch die Kommunistische Partei, die die Interessen des Volkes vertritt. Wenn diese offizielle Behauptung der Wahrheit entsprechen sollte, so hiesse das, dass die Arbeiter und Bauern durch freie Wahl und Meinungsaeusserung ausserhalb oder zumindest innerhalb der Partei das Wie und Was der Produktion, die Verteilung der gesellschaftlichen Gueter und die Auslese der Nachfolge an den Kommandohoehen der Gesellschaft bestimmen koennen. Aber gerade das entspricht nicht der Wahrheit.

Seit dem Ende der zwanziger Jahre sind die Betriebsraete ihres Mitbestimmungsrechtes bei der Wirtschaftsfuehrung beraubt. Die Fabrik- und Trustdirektoren werden von den zentralen Staatsstellen eingesetzt, auf deren Entscheidung die breiten Massen des Volkes keinerlei Einfluss haben. Die Gewerkschaften sind verstaatlicht, werden von oben gelenkt und vertreten nicht die Interessen der Arbeiter gegenueber dem Staat, sondern die Interessen des Staates gegenueber dem Arbeiter. Die Partei selbst haelt alle Schluesselpositionen in Staat, Wirtschaft und Armee in der Hand. Aber weder innerhalb noch ausserhalb der Partei besteht freies Diskussionsrecht, und jeder, der es wagen wuerde, eine von der herrschenden Parteibuerokratie abweichende Meinung zu aeussern, steht in Gefahr, von der Geheimen Staatspolizei liquidiert zu werden. Daher ist sowohl innerhalb wie ausserhalb der Partei jeder demokratischen Willens- und Meinungsbildung und damit jeder Einflussnahme des Volkes der Boden entzogen. Im Laufe der letzten 15 Jahre hat die Partei aufgehoert, eine Partei revolutionaerer Arbeiter und Intellektueller zu sein. Der leitende Parteiapparat ist im entscheidenden Teil mit dem herrschenden Staatsapparat identisch und besteht also aus der Schicht, die die Kommandogewalt in der Produktion, in der Politik und in der Armee in der Hand hat. In welchem Umfang die Partei zu einer Partei der leitenden Angestellten geworden ist, geht aus der Zusammensetzung der letzten Parteitage hervor, auf denen die Staats- und Parteiangestellten die ueberwiegende Mehrheit bildeten. Die Partei treibt also die Politik der Schicht, von der sie beherrscht wird. Diese Schicht sind nicht die Arbeiter und Bauern, sondern die leitende Technokratie und Buerokratie des Landes. Auf die Frage: 'Wer kontrolliert den Staat und damit die staatlich gelenkte Produktion und die Gesellschaft?' lautet also die Antwort: die neue technokratische und buerokratische Klasse.

Aber diese Schicht haelt auch das andere Vorrecht in der Hand. Sie bestimmt die Verteilung des gesellschaftlichen Arbeitsproduktes zu ihren Gunsten. Seit dem Beginn der dreissiger Jahre sind die Unterschiede im Lebensstandard zwischen oben und unten im stetigen Steigen begriffen, nachdem mit dem Prinzip des groesstmoeglichen Lohnausgleiches offiziell gebrochen und die "Gleichmacherei" von hoechster Stelle als kleinbuergerliches Vorurteil verspottet worden ist. Heute ist der Unterschied zwischen der hoechsten Gehalts- und der untersten Lohnklasse ebenso gross, wie der Unterschied zwischen dem Gehalt eines hochbezahlten Konzerndirektors und dem niedrigen Lohn eines Arbeiters in Amerika. Durch die Verfassung von 1937 wurde das persoenliche Erbrecht wieder eingefuehrt. Die obere Angestelltenschicht kann also auf Grund der hohen Gehaelter nicht nur fuer sich beachtliche Vermoegen ansammeln, sondern sie auch innerhalb ihrer Familie vererben. Die hohen Angestellten koennen zwar von diesen Vermoegen keine Fabriken kaufen, da diese dem Staat gehoeren. Aber es ist auch gar nicht einzusehen, warum sie danach streben sollten. Diese Schicht ist der faktische Besitzer der staatlichen Betriebe, weil sie sie aus eigener Machtvollkommenheit dirigiert. In dieser Machtstellung fehlt der Nachteil des privaten Eigentuemers: das persoenliche Risiko, dagegen ist der Vorteil vorhanden: die Macht und die materielle Verguenstigung. Diese Schicht kann sich von ihrem hohen Einkommen Villen, Kleider, Autos und Moebel anschaffen, sich Chauffeure und Diener halten und geniesst ausserdem die Vorzuege, die die hohen Stellungen mit sich bringen: Dienstautos und Dienstreisen. Insgesamt also kann sie einen Lebensstil entwickeln und hat ihn bereits entwickelt, der sich tiefgehend von dem der Arbeiter und Bauern unterscheidet. Fuer besondere Verdienste bekommen die Direktoren hohe Praemien ausbezahlt, aehnlich wie die Direktoren amerikanischer Konzerne Extraverguetungen erhalten. Mit der Ordensverleihung an Offiziere, die in reichlichem Masse geschieht, sind materielle Verguenstigungen verbunden. Die hohen Sowjetangestellten haben eine besondere Pension. Die leitende Technokratie und Buerokratie des Landes ist also bereits im vollen Zuge, die Verteilung des

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Sozialproduktes zu ihren Gunsten zu regeln, da sie selber ueber die Festsetzung von Gehaeltern, Loehnen, Praemien und Ordensverleihungen entscheidet. Sie zieht aus ihrer Machtstellung den materiellen Vorteil. Soziologisch geschulte Sozialisten sollten die letzten sein, sich darueber zu wundern. Die neue herrschende Schicht in Russland tut damit nur, was alle machthabenden Klassen, die keiner oeffentlichen demokratischen Kontrolle und Machtbeschraenkung durch andere soziale Gruppen unterstellt sind, zu allen Zeiten und in allen Laendern getan haben.

Aber diese neue herrschende Klasse bestimmt nicht nur das Wie und Was der Produktion und die Verteilung des Sozialproduktes, sondern auch die Auslese der Nachfolge an den Kommandohoehen der Gesellschaft. Bisher gibt es zwar noch keine juristische Klausel, nach der eine Machtstellung vererbbar ist. Aber es ist selbstverstaendlich, dass diese neue herrschende Schicht das Bestreben hat, ihre Nachkommen in die leitenden Stellungen hineinzuschieben, und ihre grosse Machtvollkommenheit gibt ihr auch die Moeglichkeit, dieses Bestreben mit Erfolg durchzufuehren. Die offizielle Sowjetstatistik zeigt, dass die Prozentzahl der Kinder leitender Angestellter unter der studierenden und also auf die Kommandoposten nachrueckenden Jugend staendig im Steigen begriffen ist, waehrend die Prozentzahl der Arbeiter- und Bauernkinder stetig sinkt. Dieser Prozess ist natuerlich noch lange nicht abgeschlossen. Der Sowjetstaat ist immer noch gezwungen, zur Auffuellung seines wachsenden Apparates auf das Reservoir der unteren Klassen zurueckzugreifen. Die statistisch erfassbaren Tatsachen beweisen nur, dass die Tendenz besteht, die Aufstiegsmoeglichkeiten einzuengen und die Ausbildung einer herrschenden Klasse abzuschliessen.

Diese neue herrschende Klasse der Technokraten und Buerokraten in Russland hat also sehr viele gemeinsame Zuege mit anderen herrschenden Klassen und auch mit der kapitalistischen Klasse. Sie unterscheidet sich aber von der kapitalistischen Klasse dadurch, dass sie ueber Produktion und Gesellschaft nicht mehr auf Grund des individuellen Privateigentums, sondern kollektiv, als buerokratisch organisierte Gruppe, verfuegt. Die russische Wirklichkeit beweist also, dass sich neue Klassenvorrechte auch nach der Abschaffung des Privateigentums und auf Grund von Verstaatlichung und Planwirtschaft entwickeln koennen und dass Enteignung und Verstaatlichung keine zureichenden Bedingungen sind, um eine Gesellschaft ohne Klassenvorrechte aufzubauen. Es handelt sich bei der sich neu ausbildenden Klassengesellschaft in Russland natuerlich nicht mehr um eine feudale oder kapitalistische Klassengesellschaft, sondern um eine fuer die letzten Jahrhunderte europaeischer Geschichte neue Form der Klassengesellschaft, mit neuen Besitz- und Kommandoverhaeltnissen, die man als technokratische Klassengesellschaft bezeichnen koennte. Auf Grund dieser Tatsachen ist es also unmoeglich, in Russland von Sozialismus zu sprechen, wenn man unter Sozialismus die Beseitigung von Klassenvorrechten meint.

Das sind die entscheidenden Schlussfolgerungen, die Koestler und die meisten der anderen genannten Autoren aus den neuen Tatsachen gezogen haben. Verstaatlichung und Enteignung bedeuten also an und fuer sich ueberhaupt noch nicht Sozialismus, wenn die leitenden Angestelltenschichten nicht gleichzeitig unter der oeffentlichen demokratischen Kontrolle des ganzen Volkes bleiben. Diese oeffentliche demokratische Kontrolle ist aber nur unter Voraussetzung der persoenlichen und politischen Freiheit, vor allem der Meinungs- und Koalitionsfreiheit, gewaehrleistet, weil nur unter diesen Bedingungen die Massen ihren Willen kundtun und die Ausbildung neuer Klassenvorrechte verhindern koennen. Im anderen Falle fuehren Verstaatlichung und zentralisierte Planung unweigerlich zur Ausbildung einer neuen Klassenherrschaft, die unter den modernen Bedingungen der Produktionswaffen- und Propagandatechnik zwar sicherlich totaler und militaerisch wie politisch vielleicht effektiver, aber keineswegs gerechter ist als die kapitalistische Ordnung war. Totalitaere Staatsform mit Einparteidiktatur und zentralistisch verstaatlichter Wirtschaft sind also, unter welcher Flagge auch immer sie auftreten moegen, unvereinbar mit Sozialismus. Sozialismus ist unmoeglich ohne Demokratie, und die Demokratie ist keine leere Formalitaet oder eine taktisch zeitweilige Notwendigkeit, sondern eine ebenso grundlegende Voraussetzung fuer den Sozialismus wie die Veraenderung der kapitalistischen Eigentums- und Produktionsbedingungen. Das ist die grosse Lehre des russischen Experimentes, die fuer alle Laender und nicht nur fuer Russland gilt.

(Dr. Willy Strzelewicz)[28]


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[Veranstaltungshinweis]

Maifeier London 1947

Sonntag, d. 4. Mai, nachm. 3.00 Uhr

Grosser Saal, Denison House, 296, Vauxhall Bridge Road, Westminster

London, S.W.1. Naehe Victoria Station


Es sprechen:

Ernest Ashley Bramall[29], M.P., Wenzel Jaksch, London, und Hermann Jaeckel[30], Vorsitzender des Gesamtbetriebsrates von Siemens, Berlin.

Eine Kapelle deutscher Kriegsgefangener spielt Musikstuecke, und ein Kriegsgefangenenchor singt deutsche Volkslieder. Nach dem ersten Teil der Feier geselliges Beisammensein mit unseren Freunden aus Deutschland und den Gefangenenlagern. Ausgabe von Kaffee und Kuchen. (Gutschein 1/6)

Mai-Festkarten bei den Vertrauensleuten und am Saaleingang.
Leitung der Feier: Wilhelm Sander und Eugen de Witte[31].



[Beilage, Seite: - 1 - ]



[Beilage zu SM, Nr. 98/99, 1947]

Arbeiterwohlfahrt - Grossbritannien
LONDON N.W.7, 33 Fernside Avenue.

April 1947


Die Berichte, die der AW aus Deutschland waehrend der letzten Monate zugingen, gaben ein grauenhaftes Bild der Lage, in der sich die Parteigenossen im Laufe des Winters befanden. Kaelte und Hunger, Kohlen-, Nahrungs- und Kleidermangel, wirtschaftliche und koerperliche Not, das sind die erschuetternden Dokumente, die die oft nur sehr kurzen Mitteilungen enthalten. Aber noch etwas anderes spricht aus den Berichten: der Glaube an die Partei, der Wille, selbst mit den beschraenktesten Mitteln zu helfen und wiederaufzubauen. Die Arbeit, die die AW in Deutschland leistet, ist so grossartig und erfordert von ihren Mitgliedern so viel Selbstlosigkeit, dass schon allein aus diesem Grunde die Hilfsaktionen des Auslandes in weit staerkerem Masse fortgesetzt werden muessen.


BERLIN: Louise Schroeder, Vors[itzende] des "Ausschuss[es] fuer Arbeiterwohlfahrt", schreibt: "...Wir haben die Pakete an die aufgegebenen Adressen weitergeben, und ich spreche Ihnen im Namen aller Empfaenger und im Namen der AW den allerherzlichsten Dank aus. Es ist ausserordentlich lieb von Ihnen, in dieser Weise an uns zu denken. Wir wissen das umso mehr zu schaetzen, als wir aus den Pressenotizen und Briefen dortiger Freunde erfahren, dass Ihr Leben auch alles andere ist als ueppig. Der gegenwaertige Winter hat unsere Hilfsbeduerftigen, insbesondere unsere Kranken und Alten ungeheuer hart getroffen. Die staendigen Mitteilungen ueber Erfrierungen zehren geradezu an unseren Nerven. Die AW tut alles, um helfen zu koennen; leider sind ihre Kraefte aber noch gering. Als Mitglied des Magistrats habe ich den Auftrag erhalten, ein Notkomitee ins Leben zu rufen, und wir haben die Hilfsbereitschaft der Behoerden, Organisationen und der Bevoelkerung gefunden. Wenn Sie nun schreiben: dass ich Ihnen etwas besonderes melden soll, was die AW dringend benoetigt, so ist dieses ausser Lebensmittel, die Sie ja aber auch selbst nicht im Ueberfluss haben, Material zur Instandsetzung zerrissener Kleider, d. h. Naehmaschinennadeln, Naehgarn, Stopfgarn, Stoffreste usw.; daneben allerdings als Dringendstes Schuhe; aber ich weiss, dass auch die bei Ihnen nicht ueberreichlich vorhanden sind ..."


Aus der Berliner Partei-Presse: "Der Polizeibericht meldete gestern wieder 8 Faelle, in denen Berliner Einwohner durch Hunger und Erfrieren gestorben sind." - "Nicht weniger als 1.100 Personen, die der Gefahr des Erfrierens ausgesetzt waren, sind vom Sonnabend bis Donnerstag im Bereich des Bezirksamtes Neukoelln geborgen worden" - "Spandau hat zur Zeit 500 Kuehe; allerdings liegt der Durchschnitt des taeglichen Milchanfalles nur bei 3 bis 4 Liter pro Tag und Kuh."


BRAUNSCHWEIG: Ein Arzt schreibt: "Das allgemeine Bild ist zwar nicht so niederdrueckend wie in Berlin oder Hamburg. Jedoch muss auch ich bei den meisten Patienten Untergewicht und damit im Zusammenhang Neuerkrankungen an Tuberkulose feststellen. Die Bekleidung der Bevoelkerung ist voellig unzureichend. Patienten bitten um einen Besuch in die Wohnung, weil sie keine Schuhe haben. Sie schaemen sich, weil sie keine saubere, einwandfreie Leibwaesche tragen. 10% der Aerzte mussten die Praxis wegen Kohlemangel schliessen."


KIEL: "In Schleswig-Holstein hat man mehr Fluechtlinge aufnehmen muessen als Einheimische vorhanden waren. Fast eine halbe Million Fluechtlinge und Ausgebombte haben noch kein Bett, Waesche und Kleidung koennen kaum gewechselt werden; warme Bekleidung und Wolldecken sind voellig unzureichend. Kindersterblichkeit, Tuberkulose, Geschlechtskrankheiten sind in stetem Zunehmen. Jugendpflege, Jugendbewegung auf der einen Seite, Jugendfuersorge auf der anderen nehmen unsere Kraft stark in Anspruch. Wir haben trotz allem den Glauben an das Gute im Menschen und das Glauben an die Idee des Sozialismus nicht verloren."


LUEBECK: Die Jahresversammlung war von mehr als 300 Helfern und Freunden besucht. Durch Sendungen aus Amerika und Schweden und durch Neuanfertigungen in den Naehstuben der AW war es moeglich, 246.000 Bekleidungsstuecke auszugeben, 448 Baby-Ausstattungen, 478 Moebel und Haushaltsgeraete konnten verteilt werden. Kranke erhielten warme Mahlzeiten. Insgesamt konnten fuer rund 1 Million Mark Gaben verteilt werden. In einer nur halbjaehrigen Taetigkeit hat die von der AW eingerichtete Schuhmacher-Werkstatt 1.031 Paar Schuhe neu instandsetzen und 132 Paar anfertigen koennen. In den meisten Bezirken bestehen bereits Naehstuben der AW. Rund 250 Schulentlassene wurden im Berichtsjahr mit Anzuegen, Kleidern und Waesche versehen. Da die Unterstuetzungen ausblieben, hat die AW insgesamt Mk. 63.000 Barmittel ausgezahlt. Sie plant eine Siedlung, fuer die bereits 30.000 Mk. vorhanden sind.


SOLINGEN: Der 'Daily Herald' hat ueber die katastrophalen Zustaende in unserem Krankenhaus berichtet. Die Innenstadt ist zu 90% in Truemmer gelegt. Die Stahlwaren-Industrie liegt z. T. zerstoert darnieder. Die verschont gebliebenen Betriebe haben noch keine Arbeitserlaubnis. Die Not ist dadurch wieder besonders gross. Zahllose Menschen koennen nicht einmal die rationierten Lebensmittel kaufen. Unzaehlige Kinder koennen, da sie keine Kleider und Schuhe besitzen, nicht in die Schule gehen. Unsere Helfer und Helferinnen sehen nur Not und Elend und berichten erschuetternde Erlebnisse und Verhaeltnisse. Unsere Frauengruppen naehen und basteln aus alten Resten allerlei nuetzliche Sachen und Spielsachen. Wenn nur das Naehgarn zu beschaffen waere, dann ginge es noch besser. Wir richten Kindergaerten ein und beschaeftigen gelernte Kindergaertnerinnen."

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OSTWESTFALEN UND LIPPE: Der Bezirksausschuss hat eine ausgezeichnete Broschuere, die mit vielem Bildermaterial versehen ist, herausgegeben. Sie ist dem Organisator der AW, dem frueheren MdR Carl Schreck gewidmet. Wir entnehmen der Broschuere, dass der schnelle Wiederaufbau der AW den alten sozialistischen Vorkaempfern zu verdanken ist. Bis vor kurzem sind ueber 150 Ortsausschuesse gebildet worden. 50 Naehstuben wurden eingerichtet, die durchschnittlich mit 2 bis 3 Naehmaschinen besetzt sind. In ihnen arbeiten fast 200 Frauen ehrenamtlich. Der Bericht betont, dass es nicht in Worten auszudruecken ist, wenn ueber diese schwierige und hingebende Arbeit berichtet werden soll. Im Bezirk sind mehrere hundert Helfer fuer die Fluechtlingsfuersorge eingesetzt. Sie arbeiten in den Fluechtlingsheimen und in der nachgehenden Fuersorge. Mit ihren Helferinnen fuehrt die AW 6 Volkskuechen. 5 Ortsausschuesse haben 650 Kinder zusammengefasst und mit diesen Ferienwanderungen durchgefuehrt. 700 Schulkinder sind zur Erholung in Jugendherbergen verschickt worden. 500 erholungsbeduerftige Bergarbeiterkinder [von] der Ruhr wurden in Landpflegestellen untergebracht. In allen Ortsausschuessen haben sich die Mitglieder der AW an Sammlungen fuer die Fluechtlinge und fuer die Blinden beteiligt, wobei der AW drei eigene Sammlungen bewilligt wurden. Seit der Neubildung der Ortsausschuesse wurden ganz enorme Betraege an Barunterstuetzungen an Rentner, Schwerbeschaedigte, Hinterbliebene und Fluechtlinge zur Auszahlung gebracht. Fuer das Gebiet der Wohlfahrtspflege hat der Bezirksausschuss Schulungskurse fuer seine Mitarbeiter eingerichtet. Es fanden mit 700 Teilnehmern drei eintaegige Kurse und zwei achttaegige Lehrgaenge mit 30 Teilnehmern an 28 verschiedenen Orten statt.


NEW YORK: Gen. Lewinski, bisher New York, der sich auf der Durchreise wenige Tage in London befand und dann nach Deutschland weiterfuhr, um dort einem Ruf als Richter Folge zu leisten, gab den Londoner Funktionaeren der Partei und der AW einen anschaulichen Bericht ueber die Taetigkeit der AW in New York. Gen. Lewinski fuehrte u.a. aus, dass die Erfolge, die die Genossen erwartet hatten, weit hinter den Hoffnungen zurueckblieben. Das Arbeitsgebiet ist zwar sehr gross, die Taetigkeit aber sehr erschwert. Es gibt in Amerika keine ausgesprochene Arbeiterbewegung. Die AW mit ihrer verhaeltnismaessig geringen Mitgliederzahl ist vornehmlich auf die Hilfe der nach 1933 ausgewanderten politischen Emigranten angewiesen. Die sogenannten alten Einwanderer, die sich wirtschaftlich bei weitem in besserer Situation befinden, sind fast ausschliesslich in nationalistischen Heimatverbaenden organisiert oder schon so stark amerikanisiert, dass sie fuer Menschen in Deutschland nur langsam Interesse aufbringen.


LONDON: Jenny Fliess, Vorsitzende der AW London, fuehrte in ihrem Jahresbericht u. a. folgendes aus: "Wir haben schon vor etwa 2 Jahren mit der Arbeit begonnen. Trotzdem sind wir heute noch immer keine eigentliche Organisation. Es ist sehr schwierig, in England eine Wohlfahrtsorganisation zu legalisieren, so dass man auch die Erlaubnis zu oeffentlichen Sammlungen erhaelt. Trotzdem konnte sich die AW in manchen Dingen durchsetzen. So hat sie z. B. als einzige deutsche Organisation die Erlaubnis bekommen, bisher etwa 23 Kisten mit Kleidern nach Hamburg zu schicken. Die Gruppe Hampstead "Save Europe Now" hat die AW eingeladen, in ihrem Komitee mitzuarbeiten. An diese Gruppe wurde eine Reihe von Adressen deutscher Genossen abgegeben, die mit Sendungen bedacht werden sollen. Die AW ist ferner in das Deutschlandkomitee der "Union of Democratic Control"[32] eingetreten. Die Organisation "Victory for Socialism"[33] hat ihre gesamte Wohlfahrtsarbeit in den Dienst der AW gestellt. Ein wichtiges Arbeitsgebiet stellt die Verbindung mit parteigenoessischen Kriegsgefangenen dar, die Gen. George fast allein bewaeltigen muss. Die Mittel, die die in England befindlichen Parteigenossen aufzubringen in der Lage sind, koennen nur verhaeltnismaessig gering im Vergleich zu den Anspruechen sein, die an die AW gestellt werden. Deshalb war es eine der Hauptaufgaben der AW, Adressen deutscher Parteigenossen an interessierte englische Persoenlichkeiten zu geben, die sich fuer Patenschaften bereiterklaerten. Zusammen mit der Partei stellte die AW den Genossen, die aus Deutschland nach England kamen, um an Kursen in Wilton Park teilzunehmen, einige Mittel zur Verfuegung. In diesem Jahre wird eine erhoehte Leistungsfaehigkeit der AWO durch eine organisatorische Verbreiterung einsetzen.


BIRMINGHAM: Lisa Hirsch[34], die Vorsitzende der Gruppe, veroeffentlicht in dem Organ der Labour Party fast staendig Artikel mit dem Erfolg, dass eine Sammlungsaktion solche Resultate hatte, dass sie wiederholt werden soll.


DIE ENGLISCHE PRESSE, gleichgueltig welcher politischen Richtung die einzelne Zeitung angehoert, veroeffentlicht fast taeglich Berichte ueber die verzweifelten Zustaende in Deutschland. "News Chronicle", ein buergerlich-demokratisches Blatt, schreibt, dass in der Britischen Zone mehr als 100.000 Deutsche an Tuberkulose erkrankt sind. Die Gesundheit der deutschen Bevoelkerung ist als "prekaer" bezeichnet, und Epidemien in grossem Ausmass werden erwartet.




Die Kleidersammlung der AWA-London wird fortgesetzt.

Gesammelte Kleider bitte nur noch an folgende Adressen zu senden:

Mrs. Nelly Janovsky, 99 Ossulton Way, London, N2
Mrs. Jenny Fliess, 33 Green Lane, London, NW4
Mr. Wilh. Sander, 126 Westbourne Terrace, London, W2

Alle frueher angegebenen Adressen sind nicht mehr zu verwenden.






Editorische Anmerkungen


1 - Walter Menzel (1901 - 1963), Jurist, 1919 SAJ-, 1921 SPD-Mitglied, 1928-1931 Finanzrat im Preußischen Finanzministerium, 1931-1933 Landrat in Weilburg (Lahn), ab 1934 Rechtsanwaltstätigkeit in Berlin. 1946-1950 SPD-Innenminister und stellv. Ministerpräsident von NRW, 1948/49 Mitglied des Parlamentarischen Rates, 1949-1963 SPD-MdB und Geschäftsführer der SPD-Fraktion.

2 - Französische Bezeichnung: Mouvement pour le Rattachement de la Saare à la France (MRS). Die Bewegung forderte eine vollständige Integration des Saarlandes in die Französische Republik, verlor aber schnell an Bedeutung.

3 - Hans Böckler (1875 - 1951), Metallschläger, seit 1894 Mitglied des DMV und der SPD, ab 1903 hauptamtlicher Gewerkschaftssekretär, 1927-1933 ADGB-Bezirkssekretär für Rheinland-Westfalen und Lippe, 1928-1933 SPD-MdR, ab 1933 mehrfach verhaftet. 1946-1947 SPD-MdL NRW, 1947-1949 Vorsitzender des DGB in der Britischen Zone, 1949- 1951 Vorsitzender des DGB und Vizepräsident des Internationalen Bundes Freier Gewerkschaften.

4 - Albin Karl (1889 - 1976), Porzellanmaler, Sozialdemokrat und Gewerkschafter, 1928-1933 2. Vorsitzender des Verbands der Fabrikarbeiter Deutschlands, 1933/34 und 1936/37 inhaftiert. 1949-1956 im Bundesvorstand des DGB.

5 - "Fökker": Matthias Föcher (1886 - 1967), Maschinenschlosser, ab 1905 Mitglied des Zentrums, ab 1920 in der Hauptverwaltung des Christlichen Metallarbeiterverbandes. 1945 CDU-Mitglied, 1949-1956 stellv. DGB-Vorsitzender.

6 - Hans Böhm (1890 - 1957), Möbelpolierer, später in der Metallindustrie tätig, 1911 Beitritt zur SPD, 1928-1933 Funktionär im Gesamtverband der Arbeitnehmer der öffentliche Betriebe und des Personen- und Warenverkehrs. 1949-1956 im Bundesvorstand des DGB, 1949-1957 SPD-MdB.

7 - Hans vom Hoff (1899 - 1969), kaufmännischer Angestellter, 1919-1933 Funktionär von ZdA und AfA, SPD-Mitglied. 1946 Landrat in Nienburg, 1949-1952 im Bundesvorstand des DGB.

8 - Wilhelm Petersen (1889 - 1968), Werkzeugmacher, SPD-Mitglied und 1919 DMV-Funktionär, 1933 SPD-Mitglied der Hamburger Bürgerschaft, nach 1933 zeitweise inhaftiert. 1947-1956 im Geschäftsführenden Vorstand der IG Metall.

9 - August Schmidt (1878 - 1965), Bergmann, seit 1902 SPD-Mitglied, 1909 Sekretär im Verband der Bergarbeiter Deutschlands (später Verband der Bergbauindustriearbeiter Deutschlands), 1922-1933 im Reichswirtschaftsrat und Vertreter Deutschlands auf internationalen Kongressen (u. a. Genf), 1928-1933 2. Vorsitzender der Bergarbeitergewerkschaft. 1946-1953 1. Vorsitzender der IG Bergbau.

10 - Liesel Kipp-Kaule (geb. 1906), Näherin, später (1927-1940) kaufmännische Angestellte, SPD- und Gewerkschaftsmitglied. 1946 ff. Funktionärin der IG Textil und Bekleidung, 1949-1965 SPD-MdB.

11 - Otto Adler (geb. 1876), Fabrikarbeiter, SPD-Mitglied und seit 1920 Angestellter im Verband der Fabrikarbeiter Deutschlands.

12 - "Skrenty": Konrad Skrentny (1894 - 1955), Flaschenmacher, zunächst SPD- und DMV-Mitglied, 1920 KPD-Mitglied, 1930-1933 KPD-MdR, 1933-1934, 1937 und 1939 inhaftiert, 1943-1945 in der Wehrmacht. 1945 wieder KPD-Mitglied, 1947 Arbeitsdirektor, 1948 Austritt aus der KPD.

13 - Francis Aungier Pakenham (geb. 1905), englischer Politiker (zuerst Konservativer, dann Labour Party), 1946-1947 Unterstaatssekretär im Kriegsministerium, 1947-1948 Sonderminister für die britischen Besatzungszonen in Deutschland und Österreich), 1948-1951 Luftfahrtminister, 1951 1. Lord of the Admirality.

14 - Zum Leiter der Kriegsgefangenenhilfe der SPD in Hannover konnten keine biographischen Angaben ermittelt werden.

15 - Joseph E. Davies, vgl. SM 39, 1. Juli 1942, Anm. 24.

16 - William Henry Chamberlin (geb. 1897), amerikanischer Journalist und Publizist, Moskauer Korrespondent des "Christian Science Monitor" von 1922 bis 1934. Schrieb u. a.: Blueprint for World Conquest. As outlined by the Communist International, Washington/Chicago 1946 [= teilweise Quellenedition].

17 - John Scott (geb. 1912), amerikanischer Journalist und Publizist, 1932-1937 Aufenthalt in Russland (u. a. Studium und Arbeit in einem Stahlwerk), 1938-1941 Korrespondent in verschiedenen europäischen Hauptstädten und Japan. Schrieb u. a.: Europe in Revolution, Boston 1945.

18 - James Burnham (1905 - 1987), amerikanischer Philosoph, Volkswirtschaftler und Staatswissenschaftler, 1933-1939 enge Kontakte mit den Trotzkisten, zahlreiche Publikationen über die Reaktion des Westens auf die Herausforderung durch die Sowjetunion. Schrieb u. a.: Die Revolution der Manager (1941) und The Struggle for the World, New York 1947.

19 - Nikolaus Basseches, ein Schweizer Ingenieur, der lange Zeit in der SU bzw. Russland gelebt und über die dortigen Verhältnisse publiziert hat. Hier könnte folgende Arbeit gemeint sein: Die unbekannte Armee. Wesen und Geschichte des russischen Heeres, Europa Verlag Zürich/New York 1942. B. publizierte zwischen 1925-1950.

20 - Solomon Schwarz (geb. 1883), russischer Sozialdemokrat und Historiker, zwischen 1917 und 1922 (Emigration) einer der Führer der Menschewiken (russisch für "Minderheitler", die gemäßigte Gruppe der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Russlands), 1922-1933 in deutschem Exil, danach in Frankreich, ab 1940 in den USA, ab 1970 in Jerusalem (Lehrtätigkeit an der Universität).

21 - "Yugow": Richtig: Aaron Jugow (oder: Yugov), Pseudonym für A. A. Frumson, russischer emigrierter Menschewik und Publizist, in den 20er und 30er in Deutschland und Frankreich, später in den USA.

22 - Gregor Bienstock (1885 - 1954), russischer emigrierter Sozialdemokrat und Publizist, 1922 aus Russland ausgewiesen, ins Exil nach Deutschland (bis 1933), dann CSR, 1938 Großbritannien, 1940 in die USA.
Die Gemeinschaftspublikation der drei Autoren: G. Bienstock, S. M. Schwarz and A. Yugow: Management in Russian industry and agriculture, London etc. 1944

23 - Leonard E. Hubbard, der in den 30er und 40er Jahren eine Reihe von Arbeiten über die sowjetische Volkswirtschaft veröffentlicht hat Hier könnte folgende Publikation gemeint sein: Soviet labour and industry, London 1942.

24 - Boris Souvarine (1895 - 1984), aus der Ukraine stammender französischer Sozialist und Publizist, in den 20er Jahren kommunistischer Funktionär, in den 30er Jahren Abkehr vom Kommunismus, 1941-1947 Exil in den USA, dann Rückkehr nach Frankreich, Autor zahlreicher Publikation über den Kommunismus und die Sowjetunion.

25 - M. Yvon, Pseudonym bzw. Schriftstellername für Robert Guiheneuf (1899 - 1986), französischer Sozialist und Publizist, ursprünglich Kommunist, 1933 Abkehr vom Kommunismus, Autor zahlreicher Publikationen über das soziale und politische Leben in der Sowjetunion.

26 - Zu Anton Ciliga konnten keine biographischen Angaben ermittelt werden. Von ihm ist in der Bibliothek der FES folgende Publikation zu finden: The Kronstadt Revolt, London 1942.

27 - Arthur Koestler (1905 - 1983), aus Ungarn stammender Schriftsteller und Publizist, 1926-1929 als Zionist in Palästina, Korrespondententätigkeit für deutsche Zeitungen im Nahen Osten und später in Paris, 1931 KPD-Mitglied, 1932/33 in der UdSSR, während des Spanischen Bürgerkriegs Kriegsberichterstatter auf republikanischer Seite für "News Chronicle", 1937 von den Faschisten gefangengenommen und "als Spion" zum Tode verurteilt, nach Intervention der britischen Regierung freigekommen, 1937/38 Abkehr vom Kommunismus, 1938/39 nach Frankreich, 1940 nach Großbritannien, dort Mitarbeit an englischen Zeitungen und der BBC.
"Der Yogi und der Kommissar" erschien zuerst - in englisch - 1945 in London. Eine deutsche Übersetzung folgte 1950.

28 - Willy Strzelewicz (geb. 1905), Publizist und Hochschullehrer, anfänglich KPD-, dann SPD-Mitglied, 1933 Emigration in die CSR, mit Hans Jaeger (s. d.) Anhänger der "Volkssozialisten" (s. d.), 1938 Exil in Norwegen, 1940 in Schweden, dort Tätigkeit u. a. als Journalist und Archivar. 1954 Rückkehr nach Deutschland, 1960-1974 Prof. für Soziologie in Hannover.

29 - Ernest Ashley Bramall (geb. 1916), 1946-1950 Labour-MP.

30 - Zu Hermann Jäckel konnten keine biographischen Angaben ermittelt werden. In der Ende April 1947 in London herausgegangenen Einladung zu der o. e. Veranstaltung (gez. u. a. von Willi Sander) ist davon die Rede, dass "ein Sozialdemokrat aus der Heimat" sprechen würde. H. J. war Vorsitzender des Gesamtbetriebsrats der Berliner Siemens-Werke (vgl. Text der SM).

31 - Eugen de Witte (1882 - 1952), Zeichner und Fotograf, sudetendeutscher Sozialdemokrat, ab 1906 Redakteur, später Chefredakteur des "Volkswille" in Karlsbad, 1925-1938 DSAP-Abgeordneter der CSR-Nationalversammlung, ab 1928 stellv. Vorsitzender der DSAP, 1938 nach Großbritannien emigriert, dort im Vorstand der Treuegemeinschaft sudetendeutscher Sozialdemokraten. Im Mai 1945 Unterzeichner eines Aufrufs gegen die Zwangsaussiedlung der Deutschen aus der CSR, nicht zurückgekehrt.

32 - Die Union of Democratic Control war schon 1914 gegründet worden. Zu ihren Gründungsmitgliedern gehörten Liberale und Labour-Politiker u. a. H. N. Brailsford (s. d.) und Bertrand Russell (s. d.). Man war damals von der Vorstellung ausgegangen, dass die britische Außenpolitik im Sinne einer Geheimdiplomatie betrieben wurde. Eine solche unüberschaubare Geheimdiplomatie bedürfe der öffentlichen bzw. demokratischen Kontrolle. In den Mittelpunkt weiterer Überlegungen der Union rückte die Forderung nach dem nationalen Selbstbestimmungsrecht der Völker, so auch im und nach dem Zweiten Weltkrieg. 1944 erklärte die Union: "We cannot permanently occupy and rule Germany. Sooner or later Germans will administer Germany."

33 - Die "Victory for Socialism"-Gruppe war 1943 gegründet worden, vornehmlich von Anti-Vansittartisten. Eines ihrer führenden Mitglieder war Fred Messer (s. d.). Der Vorstand der Labour Party stand dieser linken Gruppe sehr kritisch gegenüber. In späteren Jahren bemühte sich die VfS, unterstützt von Labour MP's, um eine Annäherung von ILP und Labour Party.

34 - "Hirsch": Lisa Schneider-Hirsch (geb. 1892), Bibliothekarin; seit 1910 SPD- und Gewerkschaftsmitglied, seit 1937 Exil in Großbritannien.




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