S O Z I A L I S T I S C H E

M I T T E I L U N G E N

der London-Vertretung der SPD



Issued by the London Representative of the German Social Democratic Party,
33, Fernside Avenue, London, NW 7 - Telephone: MIL1 Hill 3915



Nr. 95


Jan. 1947

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SPD-Konferenz in München

Im Anschluss an eine Tagung des Parteivorstandes, des Parteiausschusses und fuehrender Funktionaere aus den drei Westzonen und Berlin vom 10. - 12. Januar 1947 in Muenchen, veranstaltete die SPD in Muenchen eine Riesenkundgebung im Zirkus Krone, die lange vor Beginn ueberfuellt war. Einem Bericht der "Sueddeutschen Zeitung "[1] entnehmen wir die folgenden Ausfuehrungen, die der Genosse Schumacher, von stuermischem Beifall begruesst, machte:

"Das Jahr 1946 war trotz seiner Entwicklung in Deutschland ein Jahr der Enttaeuschungen. Der Keim der Unruhe und Besorgnis im deutschen Volk liegt nicht in den aeusseren Dingen, sondern tiefer: Letzten Endes bedeutet totaler Sieg auch totale Verantwortung. (Lebhafter Beifall.) Nach den verpassten Revolutionen des letzten Jahrhunderts hat die Tatsache der Besatzung im Jahre 1945 die notwendige revolutionaere Umschichtung in Deutschland verhindert. Den Siegern, die im Besitz aller Macht und aller oekonomischen Sicherheit in der Welt dastehen, wird es erscheinen, als ob sie das deutsche Volk wunder wie weit vorwaertsgebracht haetten, aber dem Volk, das diese Periode als Objekt durchleben muss, sind eineinhalb Jahre eine Ewigkeit des Elends und des Hungers." (Brausender Beifall)

Der Redner fand dann anerkennende Worte fuer die Leistungen der Siegermaechte, vor allem in den ersten Zeiten nach dem Zusammenbruch. "Wogegen sich die Kritik der Sozialdemokratie richtet, ist der Umstand, dass die Sieger in dieses Land gekommen sind, ohne zu wissen, was sie mit Deutschland machen wollen und was sie von Deutschland verlangen sollen. Die Welt steht voll erklaerlichen Misstrauens gegenueber Deutschland, aber gerade die gutwilligen Deutschen haben jetzt ein berechtigtes Misstrauen wegen der Gegenwart. Oft geschieht jetzt im tatsaechlichen Friedenszustand im Prinzip dasselbe, was in Krieg und Frieden an Unrecht vom Faschismus und Nazismus begangen wurde. Aber es ist kein Ruhmesblatt fuer die progressiven und humanitaeren Elemente in der Welt, dass all die Kraefte geschwiegen haben, als man Millionen von Deutschen geschlossen ueber die Grenze ihrer frueheren Heimat nach Restdeutschland hineingetrieben hat. (Anhaltender Beifall) Die Verfolgung der Juden durch das Dritte Reich ist eine Schande fuer das deutsche Volk gewesen. Aber in den Laendern der Siegermaechte sollte man auch bei der Vertreibung der Deutschen das Weltgewissen aufleben lassen. (Erneuter brausender Beifall) Es beginnt jetzt

ein Misstrauen gegen die Demokratie,
das gefaehrlich ist fuer die Welt und fuer Deutschland.

Denn die Demokratie ist fuer Deutschland und Europa die letzte Chance zum Aufbau Europas. Mit Methoden des 16. und 17. Jahrhunderts kann man die Probleme des 20. Jahrhunderts nicht loesen. In Deutschland scheint ein Nationalsozialismus des Hungers, der Verelendung und der Demuetigung aufzukommen. Das festzustellen ist keine Drohung, sondern nur die moralische Verpflichtung, auf das Gefaehrliche hinzuweisen. Der deutsche Nationalismus wird nicht aus eigenen Kraeften gefaehrlich, sondern als Instrument einer Siegermacht gegenueber den anderen Siegermaechten. Das deutsche Kriegspotential besteht in der Existenz von 70 Millionen Menschen; dieses Kriegspotential kann nicht von Deutschland, sondern nur von Kraeften ausserhalb Deutschlands ausgewertet werden. Der Kampf der Sozialdemokratie fuer Deutschland beruehrt weniger eine deutsche, als die entscheidende europaeische Frage. Europa kann man nicht aufbauen, wenn man im Herzen Europas einen politisch weissen Fleck auf der Landkarte laesst. Ein Verschulden gegenueber Europa liegt nicht bei den 70 Millionen Deutschen, sondern bei denen, die mit ihren Siegen nichts Vernuenftiges anzufangen wissen."

Dr. Schumacher warnte die Siegermaechte vor der Losloesung deutschen Landes. "Denn fuer Europa wie fuer Deutschland ist der Separatismus gleich verderblich. (Starker Beifall) Annexion ist die schlimmste Form der Reparationen." Fuer die deutsche Sozialdemokratie erklaerte er, dass sie eine Politik der vollendeten Tatsachen nicht anerkenne. (Stuermischer Beifall.) "Wir koennen vor die Frage der Anerkennung des Ergebnisses der Friedensverhandlungen gestellt werden, aber nicht vor die Anerkennung des subjektiv-willkuerlichen Herumfunktionierens einzelner Siegermaechte." Angesichts der Summe von Elend meinte er, dass

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auch die groessten Fanatiker des Strafprinzips mit dem, was bisher dem deutschen Volk gegenueber erreicht worden ist, endlich zufrieden sein sollten. "Die Verzweiflung und der Unwille der Deutschen entstehen jetzt doch daraus, dass viel Unrecht geschieht. Das deutsche Volk hat schwierigere wirtschaftliche und moralische Schlaege erlitten, als die Welt bisher erkennen konnte.

Die Sozialdemokratie wuenscht", so fuhr Dr. Schumacher fort, "eine Orientierung der Politik weder nach dem Osten, noch nach dem Westen. Wir in Deutschland muessen Sozialisten, aber wir koennten keine Kollektivisten sein." (Stuermischer Beifall)

Dr. Schumacher wandte sich dann gegen eine Ueberbetonung des Foederalismus. "Die gesamte deutsche Nation wird in staerkster Konzentration aller Kraefte zusammenarbeiten muessen. (Stuermischer Beifall) In einigen Jahren wird es sich herausstellen, dass das europaeische Schicksal von ganz Europa getragen werden muss. Die Welt will Frieden mit ganz Deutschland. Bei aller kulturellen Eigenart und aller Anerkennung der Notwendigkeit einer Dezentralisierung der Verwaltung muessen die Laender Bausteine fuer eine hoehere gesamtdeutsche Ordnung sein. (Stuermischer Beifall) Die Sozialdemokratie ist immer die Partei Gesamtdeutschlands gewesen; in allen Laendern ist die Partei in diesem grundsaetzlich entscheidenen Punkt einer Meinung. (Starker, anhaltender Beifall) Das ganze deutsche Volk muss einen Reichstag waehlen, aus dem die Regierung fuer Gesamtdeutschland hervorgehen kann. Einstweilen liegt die Souveraenitaet des deutschen Volkes beim Kontrollrat. Ein geeintes Deutschland soll sich nicht in einem Nationalstaat erschoepfen, sondern in einer internationalen europaeischen Ordnung, wobei wir die Gleichberechtigung des deutschen Volkes verlangen. Der beste Deutsche ist heute der, der den Patriotismus des Weltbuergertums beweist. Die wirtschaftliche Einheit muss die politische Einheit zur Folge haben. Diese ist aber nur moeglich, wenn in allen vier Zonen die staatsbuergerliche Gleichheit besteht. Das ist nicht der Fall. Die Sozialdemokratie ist die einzige Partei, die heute in Deutschland unter Ausnahmerecht steht. In der Ostzone ist die Partei praktisch verboten. Eine Einheit in Deutschland gibt es nur dann, wenn die demokratischen Parteien in allen vier Zonen unter demselben Recht stehen." (Anhaltender, stuermischer Beifall)

Zum Schluss seiner Ausfuehrungen wandte sich Dr. Schumacher gegen die Zurueckbehaltung der Kriegsgefangenen: "Reparationsleistungen koennen nur dem ganzen Volk auferlegt werden, nicht den einzelnen, die das Pech hatten, in Kriegsgefangenschaft zu kommen. (Stuermischer Beifall) Bei den politischen Aufgaben, die es zu loesen gilt, muss man ein ebenso guter Deutscher wie internationaler Sozialist sein." (Stuermischer anhaltender Beifall)

"Eine bayrische Politik ist nur im Rahmen einer gesamtdeutschen Politik moeglich." Diese Erklaerung gab Dr. Wilhelm Hoegner, der stellvertretende Ministerpraesident und Justizminister der neuen bayrischen Regierung in der Versammlung ab. Im weiteren Verlauf seiner Ausfuehrungen betonte Dr. Hoegner, dass jede Form von Separatismus vermieden werden muesse und dass die Politik Bayerns jetzt wie zu allen Zeiten mit der deutschen Politik identisch sei.

verwahrte sich Dr. Kurt Schumacher gegen den Vorwurf, dass die SPD die Sowjetunion nicht als einen Bestandteil Europas anerkenne. Er lehnte jedoch eine systematische Uebertragung ureigenster Kulturwerte fremder Voelker auf Deutschland ab. Deutschland sehe heute die Notwendigkeit einer Kontrolle durch die Siegermaechte ein und sei zu Reparationsleistungen bereit, wie es gleicherweise um die Erhaltung seiner Produktionsmittel besorgt waere, die zur Herstellung der abzufuehrenden Sachwerte benoetigt wuerden. Der Redner wies in diesem Zusammenhang auf die Notwendigkeit hin, genaue Informationen ueber das Ausmass der Demontage zu erhalten, um den Siedlungsplan fuer die Fluechtlinge den neuen Gegebenheiten anpassen zu koennen.

Eine solide sozialistische Grundlage bezeichnete Dr. Schumacher als die Voraussetzung fuer den Neubau Deutschlands. Aus diesem Grunde seien die Sozialdemokraten bei der Regierungsbildung in den Westzonen bestrebt, das Wirtschaftsministerium zu besetzen. Von besonderer Wichtigkeit sei augenblicklich die Besetzung und Kontrolle der bizonalen Aemter, weil der deutsche Restkapitalismus seine Schreckmomente ueberstanden habe und versuche, die Arbeiter in die Defensive zu draengen. Die Sozialisierung bedeute nicht das Ende der individuellen und politischen Freiheit, denn sie werde nicht zentralistisch gehandhabt sein, sondern soviel Bewegungsfreiheit wie nur moeglich gestatten.

Dr. Schumacher wandte sich gegen den von einzelnen Laendern erhobenen Vorwurf, die Sozialdemokraten seien Nationalisten. "Wenn es in der Welt offensichtlich Kraefte gibt, die jetzt meinen, dass die Deutschen keine Freiheit brauchen, dann zeigen sie damit, dass sie selbst keine vertragen. Keinerlei Denunziation kann uns daran hindern, uns gegen den wirklichen, wenn auch geschichtlich zu erklaerenden Nationalismus anderer Voelker freimuetig auszusprechen. Wir wissen, dass Deutschland in Europa keine Mission, sondern nur eine Funktion hat. Aber diese Funktion ist notwendig, denn man kann Europa nicht mit einer leeren Stelle in der Mitte formen." Die von der SPD gewollte Internationalisierung auf

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allen Gebieten koennte nicht auf dem deutschen Verzicht gegenueber nationalwirtschaftlichen Anspruechen anderer bestehen. "Wenn die fuer Europa so notwendige Internationalisierung entstehen soll, muessen alle unter gleichen Voraussetzungen das im Prinzip Gleiche dafuer tun."

Die beiden hoechsten Koerperschaften der SPD haben sich insbesondere mit den Fragen beschaeftigt, die im Fruehjahr das Schicksal Deutschlands bestimmen werden: die Friedensvertraege. Inwieweit Deutschland dabei mitzuwirken in der Lage ist, haengt von vielen Dingen ab, die sich erst entwickeln, aber die SPD will alle Moeglichkeiten ausschoepfen, um die Zukunft Deutschlands und somit Europas nach den Grundsaetzen der Vernunft zu gestalten. Um den Ereignissen naeher zu sein, fassten die Vertreter der SPD den Beschluss, in Berlin ein Buero des Parteivorstandes einzurichten. Es steht unter der Leitung des bisherigen Chefredakteurs der Essener "Neuen Ruhr-Zeitung", Erich Brost, der auf dem schwierigen und gefahrvollen politischen und diplomatischen Boden der ehemaligen Freien Stadt Danzig eine ungemein wichtige und von Klugheit getragene Wirksamkeit entfaltet hat, die ihn mit weiten Kreisen des internationalen politischen Lebens in Kontakt brachte.

soll alle Fragen behandeln, die das einschlaegige Gebiet umfassen. Er ist zusammengesetzt aus: Dr. Agartz, M. Brauer, E. Brost, W. Eichler, F. Heine, Dr. W. Hoegner, M. Hoffmann[2], P. Loebe, E. Ollenhauer, E. Schoettle und Dr. K. Schumacher. Ausserdem wurde beschlossen, einen Fluechtlingsbeirat unter Sekretaer E. Zimmer[3]-Breslau zu schaffen und die "Friedrich-Ebert-Stiftung zur Nachwuchsfoerderung"[4] wieder einzurichten.

Vorher hatte Dr. Schumacher einen Bericht ueber die Englandreise der SPD-Delegation abgegeben.


Zur politischen und wirtschaftlichen Lage Deutschlands wurde von den beiden hoechsten Koerperschaften der SPD eine Entschliessung angenommen, in der gesagt wird: "Die bisher auf deutschem Boden angewandten Methoden und die aus dem Kapitalismus resultierenden Zustaende bringen das deutsche Volk und damit Europa in eine Gefahr auf Leben und Tod." Die SPD habe auf die Gefahren gerade in bezug auf den Kohlen- und Stromexport rechtzeitig mit Nachdruck hingewiesen. Die tatsaechliche Macht und damit die tatsaechliche Verantwortung ruhe aber nach wie vor in den Haenden der Militaerregierung. Die SPD bekenne sich zu ihrer Koelner Entschliessung vom 26. Sept. 1946, die eindeutig die letzten Moeglichkeiten positiver sozialdemokratischer Politik umreisse. Woertlich heisst es in der Entschliessung: "Die Ruecksicht auf die Tatsache, dass die Ergebnisse des Zwei-Zonen-Abkommens noch nicht uebersehbar sind und dass die fuer das Schicksal Deutschlands und den Frieden Europas entscheidenden internationalen Verhandlungen vor der Tuer stehen, haelt die SPD davon ab, zentral fuer alle deutschen Laender die letzten Konsequenzen aus der verhaengnisvollen Situation zu ziehen."


Gegen separatistische Bestrebungen in der Franzoesischen Zone und mit der Notwendigkeit der Erweiterung des Zwei-Zonen-Abkommens beschaeftigen sich zwei weitere Entschliessungen.


Gegen eine Benachteiligung der SPD im Pressewesen,
die in ihrer Wirkung zu einem politischen Rechtsruck im deutschen Pressewesen gefuehrt hat, wandte sich der Leiter des Pressewesens im Parteivorstand, Genosse Fritz Heine. Eine in diesem Sinne gehaltene Protestentschliessung fand einmuetige Zustimmung der Tagung.


Der naechste Parteitag der SPD soll Ende Juni dieses Jahres in Nuernberg stattfinden. Die SPD will damit der Weltoeffentlichkeit zeigen, dass es nicht nur ein Nuernberg nationalsozialistischer Reichsparteitage und der Kriegsverbrecherprozesse gibt, sondern ein demokratisch-sozialistisches Nuernberg alter Tradition.

Der Vorsitzende des Zweizonenverwaltungsamtes fuer Wirtschaft in Minden, Minister Dr. Rudolf Mueller[5], hat am Donnerstag sein Amt niedergelegt, nachdem ihm von den Wirtschaftsministern der sechs Laender der Britischen und Amerikanischen Zone sowie der beiden Hansestaedte das Misstrauen ausgesprochen war. Zum Nachfolger Dr. Muellers wurde Dr. Victor Agartz vorgeschlagen. Die Bestaetigung durch die Militaerregierung steht noch aus. - Dr. Agartz war der Leiter des Wirtschaftsamtes der Britischen Zone, bevor das Zweizonenwirtschaftsamt gegruendet wurde. Er ist einer der fuehrenden Persoenlichkeiten der deutschen Genossenschafts- und Gewerkschaftsbewegung und Mitglied des Parteivorstandes der SPD. Er gehoerte der SPD-Delegation an, die kuerzlich mit Dr. Schumacher London besuchte.

Aus dem gleichen Grunde wie Dr. Rudolf Mueller trat auch dessen Stellvertreter Dr. Harold Rasch[6] zurueck.

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Ein Appell an Gewissen und Menschlichkeit


Ueber eine wichtige Kundgebung zehn emigrierter Reichstagsabgeordneter fuer die Anwendung demokratischer Prinzipien gegenueber Deutschland berichtet die "New Yorker Staatszeitung"[7] folgendes:

Die folgende Erklaerung frueherer deutscher Reichstagsabgeordneter ist von Gerhart H. Seger im State Department persoenlich ueberreicht worden:

"Im Hinblick auf die bevorstehenden Verhandlungen ueber einen Friedensvertrag mit Deutschland sehen sich die unterzeichneten frueheren Mitglieder des Deutschen Reichstags, die in diesem freien Lande Zuflucht gefunden haben, veranlasst, folgende Erklaerung abzugeben:

Auch eine besiegte Nation hat das unbestreitbare Recht, am Friedenstisch vertreten zu sein. Es sollte darum dem deutschen Volke ohne Verzug Gelegenheit gegeben werden, eine zentrale Koerperschaft zu errichten, die im Namen des deutschen Volkes zu verhandeln berechtigt ist. Diese Koerperschaft sollte auch berechtigt sein, mit den Regierungen der Nachbarstaaten ueber alle Angelegenheiten, die beide Nationen betreffen, zu verhandeln.

Ansprueche auf Gebiete, die selbst durch den Frieden von Versailles als deutsch anerkannt wurden, verletzen die Grundsaetze der Demokratie, wie sie in der Atlantic Charter und im Moskauer Dekret ueber den Frieden vom 9. November 1917[8] niedergelegt worden sind. Die Probleme Europas koennen nicht geloest werden, indem man Grenzen hin und her schiebt, wie das durch viele Jahrhunderte geschah, immer mit dem gleichen Resultat neuer Kriege. Die Tendenz, durch Massenaustreibung ganzer Bevoelkerungen geschlossene Nationalstaaten zu schaffen, die von unuebersteigbaren Mauern umgeben sind, muss unweigerlich zur allgemeinen Verarmung und Stoerung der internationalen Beziehungen fuehren. Will man, im Gegensatz dazu, einen dauernden Frieden, so muessen die Grenzen aufhoeren, fuer den freien Verkehr von Menschen, Waren, Nachrichten und Ideen Hindernisse zu sein.

Um die zerstoerten Gebiete wieder aufzubauen und die Wirtschaft Europas und der Welt wieder aufzurichten, muss das deutsche Volk die Freiheit haben, ueber seine Bodenschaetze zu verfuegen und Gueter fuer den Friedensbedarf bis zur aeussersten Grenze seiner Leistungsfaehigkeit herzustellen. Entwaffnungsbestimmungen sollen nicht dazu missbraucht werden, die deutsche Industrie zu verkrueppeln; sie sollten vielmehr auf ihre eigentlichen Zwecke beschraenkt bleiben. Die deutsche Wirtschaft sollte sich, frei von drosselnden Regulierungen, entsprechend ihren eigenen Bedingungen und Notwendigkeiten entwickeln duerfen. Nur auf diese Weise kann Deutschland wirtschaftlich reorganisiert und befaehigt werden, wirksam an der Wiederherstellung der durch den Angriff der Nazis verwuesteten Laender mitzuarbeiten. Die Abmontierung von Industrien und die verheerend wirkende Ausfuhr lebenswichtiger Rohstoffe sollten eingestellt und die Erneuerung zerstoerten oder beschlagnahmten Maschinenmaterials, das fuer die Friedensproduktion notwendig ist, sollte gestattet werden.

Um die Menschenrechte wieder herzustellen, sollten alle Kriegsgefangenen sofort befreit, jede Art von Sklavenarbeit abgeschafft werden.

Wann immer der Kriegszustand formal beendigt werden mag - der wirkliche Frieden wird nicht frueher beginnen, als bis der letzte Soldat aller siegreichen Armeen den Boden des frueheren Feindes verlassen haben wird. Je frueher dies geschehen wird, desto besser wird es fuer die Sieger wie die Besiegten sein.

Ohne Ruecksicht auf die Frage, in welchem Grade das deutsche Volk fuer die Nazityrannei und ihre verwuestenden Folgen fuer die ganze Welt verantwortlich ist, hat dieses Volk bereits eine Strafe erlitten, die in der Geschichte der neueren Zeit kein Gegenstueck hat. Nun ist die Zeit gekommen, den demokratischen Kraeften im deutschen Volk, deren verzweifelter, heldenmuetiger Kampf fuer die Freiheit Bewunderung und Unterstuetzung verdient, freie Bahn zu geben. Die Zeit ist gekommen, die Politik der Rache zu verlassen und eine Politik der Verstaendigung und Versoehnung zu treiben, die einzige, die zum dauernden Frieden fuehrt."

Die Erklaerung traegt die Unterschriften der folgenden zehn frueheren Reichstagsabgeordneten: S. Aufhaeuser, Dr. F. Baade[9], Gustav Ferl, Hugo Heimann, Marie Juchacz, Emil Kirschmann, Gerhart H. Seger, William Sollmann, Friedrich Stampfer und Dr. H. Staudinger[10].

In einer Vorbemerkung zu dieser Erklaerung wird gesagt, dass einige der Unterzeichner jetzt amerikanische Staatsbuerger sind und mitunterschrieben haben, weil sie als solche aufs staerkste an einer amerikanischen Aussenpolitik interessiert sind, die einen Dauerfrieden zum Ziel hat.

sind seit dem 15. Januar 1947 aus allen Laendern des Weltpostvereins (mit Ausnahme von Spanien u. Japan) moeglich. Von England aus koennen nur rationierte Lebensmittel bis zum Hoechstgewicht von 7 Pfd. einmal monatlich verschenkt werden. (Siehe letzte Nummer der "SM")

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Der Rechtsruck im Pressewesen


In der letzten Nummer der "SM" brachten wir die neu festgesetzten Auflagenhoehen der SPD-Zeitungen in der Britischen Zone. Ein Kommentar aus der Feder des Genossen Fritz Heine, Hannover, beleuchtet die politische Seite dieser Massnahme.

Nach wochenlangen Beratungen sind die Auflagehoehen der Zeitungen der Britischen Zone neu festgesetzt worden. Die Besatzungsmacht hat ihre Entscheidung nach Anhoerung der Parteien und Verlegervereine bekanntgegeben.

Die CDU kann die Neuregelung mit Recht als einen grossen Erfolg fuer sich buchen. Sie hat nicht nur absolut die bei weitem groesste Auflagensteigerung erhalten - mehr als doppelt soviel [wie] alle anderen Parteien zusammengenommen - ihrer Presse ist von der Ockupationsbehoerde jetzt auch die groesste Auflage insgesamt zugebilligt worden, obwohl sie nicht die staerkste Partei ist.

Die Vertreter der Besatzungsmacht hatten vor den Wahlen in der Britischen Zone verkuendet, dass die Auflagenverteilung auf Grund der Wahlergebnisse, also nach der Parteienstaerke, erfolgen wuerde.

Die Waehler haben der Sozialdemokratie ihr Vertrauen geschenkt, sie wurde am 13. Oktober zur staerksten Partei in der Britischen Besatzungszone und hat damit Anspruch auf die groesste Auflage. Ein Anspruch, der in den Vorverhandlungen weder von der Militaerregierung noch von den anderen Parteien bestritten wurde.

Nach den urspruenglichen Plaenen der britischen Militaerstellen sollten die SPD-Zeitungen insgesamt 1.821.700 und die CDU-Zeitungen 1.770.500 Exemplare bewilligt erhalten. Die sozialdemokratischen Vertreter bei den Verhandlungen hielten diese Vorschlaege noch nicht fuer befriedigend, da eine Anzahl buergerlicher Zeitungen nicht in die Berechnungsgrundlagen einbezogen worden waren.

Die Besatzungsbehoerde hat offenbar keine Moeglichkeit gesehen, diese wie alle anderen Vorschlaege und Einwendungen der Sozialdemokraten bei ihrer Entscheidung zu beruecksichtigen. Sie ist darueber hinausgegangen und hat festgelegt, dass die - obwohl kleinere - CDU eine hoehere Gesamtauflage an Zeitungsexemplaren als die SPD erhaelt. Waehrend die SPD jetzt 1.665.600 (statt wie vorgesehen 1.821.700) bewilligt erhielt, werden der CDU 1.771.000 zugesprochen - also sogar noch etwas mehr als urspruenglich geplant war.

Die Gruende fuer diese Entscheidung sind uns nicht bekannt. Durch sie wird die nach rechts gehende Entwicklung im Pressewesen der Britischen Besatzungszone noch unterstrichen. Gegenueber dem Stand vom Sommer 1946 sind weit ueber eine Million Zeitungsexemplare neu nach rechts abgewandert - bei einer Gesamtauflage von rund 5 Millionen Exemplaren. Die Linke hat durch die entscheidende Wahlniederlage der Kommunisten rund 400.000 Exemplare verloren, der Rechten dagegen (CDU, FDP und NLP) sind insgesamt rund 800.000 neu zugeflossen.

Es ist kein Geheimnis, dass die Sozialdemokraten diese Entwicklung mit grosser Sorge betrachten und dass sie insbesondere die Zuruecksetzung der SPD, die Nichtbewilligung der vorgesehenen 166.000 Exemplare und die Nichtakzeptierung aller ihrer Vorstellungen nicht verstehen und nicht akzeptieren.

Ein Trost verbleibt: Die CDU hat durch ihren Zonenvorsitzenden Adenauer waehrend des Herbstwahlkampfes den Eindruck hervorzurufen versucht, die Sozialdemokratie werde von der britischen Besatzungsbehoerde bevorzugt behandelt. Die Entscheidung im Pressewesen bestaetigt mit erfreulicher Deutlichkeit, was auch auf die uebrigen Gebiete des oeffentlichen Lebens zutrifft: dass von einer Beguenstigung der SPD nicht gesprochen werden kann. Den Militaerstellen gebuehrt unser Dank, das auch in dieser Frage klargestellt zu haben.


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Sudetendeutsche in Sueddeutschland


Genosse Ernst Paul, frueher Sekretaer unserer sudetendeutschen Bruderpartei in Prag, jetzt in Stockholm, fasst die Eindruecke und Erfahrungen seiner kuerzlichen Deutschlandreise in dem folgenden Artikel im "TELEGRAF", Berlin[11], zusammen:

Nach den offiziellen Erklaerungen tschechoslowakischer Staatsmaenner wurde die Aussiedlung der Sudetendeutschen mit Ende Oktober beendet. Dies ist nur bedingt richtig, denn noch harren weitere Tausende des Abtransportes. Immerhin, 2,2 Millionen Sudetendeutsche wurden bereits ausgesiedelt. Zwei Drittel davon befinden sich in der amerikanisch besetzten Zone Deutschlands. Wie sich das Schicksal dieser Menschen gestaltet, laesst sich heute schon einigermassen beurteilen.

Zunaechst sind viele negative Dinge ins Auge springend. Die Laender Bayern, Gross-Hessen und Baden-Wuerttemberg sind vor schwere Probleme gestellt, der Millionenzahl der Ausgewiesenen aus dem Sudetenland und den Gebieten oestlich der Oder und Neisse den

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Aufenthalt zu sichern. Auch diese Laender sind durch die Folgen des Hitlerkrieges hart betroffen - Wuerzburg und Kassel, Muenchen und Frankfurt sind durch die Bombardements nicht weniger zerstoert als Berlin, Hamburg oder Hannover. Nur allmaehlich gelingt es, den Fluechtlingen - man nennt sie jetzt gern "Neubuerger" - notduerftig Wohnraum zu schaffen. Hunderttausende leben noch immer in Lagern, andere zusammengepresst in engen Stuben. Nicht immer werden sie von der alteingesessenen Bevoelkerung freundlich aufgenommen. Gar oft erweist es sich, dass jene, die am Sonntag in der Kirche ihr Christentum zur Schau tragen, recht hartherzig sein koennen, wenn es sich darum handelt, einem Heimatlosen eine Stube abzutreten. Es ist keine Seltenheit, dass die Behoerden bei der Einweisung der Neubuerger zu drastischen Massnahmen greifen muessen. Auch die Laenderregierungen sind nicht immer einig, wenn es sich um die Verteilung der grossen Buerde handelt, die ihnen da zugewachsen ist.

Die Mehrzahl der Neubuerger befindet sich noch in einem Zustand der Hoffnungslosigkeit. Die 500 RM, die bestenfalls mit ueber die Grenze genommen werden konnten, sind rasch aufgebraucht, und es muss oeffentliche Hilfe in Anspruch genommen werden. Die Fluechtlinge sind dem Hunger mehr ausgesetzt als die Eingesessenen, denn sie haben weder Gaerten, von deren Ertrag sie die knappen Rationen ergaenzen, noch Verbindungen auf dem Lande, noch Tauschgut, um zusaetzliche Nahrungsmittel einhandeln zu koennen. Dazu kommen die seelischen Nachwirkungen, die der Verlust der geliebten Heimat und der muehsam erworbenen Habe nach sich zieht. Lange Arbeitslosigkeit demoralisiert, und nur langsam kommen neue Industrien und andere Arbeitsvorhaben in Gang. Zehntausende sudetendeutscher Industriearbeiter leben in rein laendlichen Gegenden, wo weit und breit kein Schornstein ragt und es keine Aussicht gibt, in absehbarer Zeit Industriearbeit zu finden. Die vielleicht beschaffbare Grobarbeit verdirbt den Spinnern und Seidenwebern, den Glasschleifern und Porzellanmalern das feine Gefuehl und setzt ihre Qualifikation herab. Die Aussicht, innerhalb der neuen Heimat nochmals umgesiedelt zu werden, erschwert fuer viele das Einleben.

Das Bild ist jedoch nicht eindeutig schwarz, es zeigt auch hellere Seiten. Der Sudetendeutsche ist im allgemeinen ein genuegsamer, zaeher und arbeitsamer Menschentyp. Im oberbayrischen Allgaeu ist die Gablenzer Bijouterieerzeugung mit einer Million Monatsertrag bereits in Gang gekommen, anderswo arbeiten schon die ersten Glasschleifereien - es grenzt an Zauberei, wie man es verstand, aus altem Eisen Pressen und Schmirgelmaschinen zusammenzubasteln. Wieder anderswo macht man Spielwaren und baut Musikinstrumente, putzt verrostete Spindeln in zu Munitionsfabriken umgewandelten verfallenen Spinnereien auf Hochglanz, und im Maintal sind Saegewerke, die stillgelegt waren, von sudetendeutschen Arbeitern wieder flottgemacht worden. Ein Teil der neuen Kleinindustrien, wie die Spitzenkloeppelei, wird auf genossenschaftlicher Grundlage aufgebaut, die Errichtung von Grossbetrieben wird auf kapitalistische Weise versucht.

Auf lange Sicht betrachtet, erfolgt durch die grosse Zahl von Neubuergern eine tiefgehende soziale Veraenderung der sueddeutschen Laender, vor allem des konservativen Bayern. Die bis in die abgeschiedensten Doerfer verstreuten Fluechtlinge sind ein neues Element. Auch wenn die Anpassung an Stammessitten und -gebraeuche weitgehend zu erwarten ist, so wird sich doch eine Wechselwirkung einstellen, die auch gesunde Folgen haben kann. Wesentlicher ist jedoch, dass die Errichtung von Industrien in rein baeuerlichen Gebieten eine neue soziale Schicht entstehen laesst, die bleibende soziale und politische Veraenderungen nach sich zieht. Das sueddeutsche Dorf wird politisch aufgebrochen. Die SPD spuert diese Wirkungen deutlich, sie bekommt nun Ortsgruppen, wo sie frueher nur vereinzelte Waehler hatte, und es gibt Gegenden, wo sich dank der politischen Aktivitaet der ehemaligen sudetendeutschen Sozialdemokraten die Zahl der Parteimitglieder vervielfacht hat. Die sudetendeutschen Sozialdemokraten hatten eine besondere Staerke: einen geschulten Stab von Vertrauensmaennern, der fuer seine lange zurueckgehaltene Aktivitaet freien Auslauf sucht und findet. Hinzu kommt, dass bei den ausgewiesenen sudetendeutschen Sozialdemokraten der Mangel an juengeren Funktionaeren nicht ganz so empfindlich ist wie sonst in Deutschland. Die sudetendeutsche Sozialdemokratie konnte fuenfeinhalb Jahre laenger politisch arbeiten als die SPD, und die unter schwersten Verhaeltnissen erfolgte politische Schulung von fuenf Funktionaersjahrgaengen faellt erheblich ins Gewicht.

Unter den ausgewiesenen Sudetendeutschen bemerkt man starke Sympathien fuer die Sozialdemokratie. Es ist nicht vergessen, dass die sudetendeutschen Sozialdemokraten vor Hitler gewarnt hatten. Und wer will bestreiten, dass sie recht behalten haben? Den total verarmten Ausgewiesenen, auch denen kleinbuergerlicher und baeuerlicher Herkunft, ist klarzumachen, dass ihr Schicksal ohne tiefgreifende, soziale Veraenderungen nicht besser gestaltet werden kann. Ohne Bodenreform kann ihnen nicht geholfen werden, ebensowenig, wie wenn die alten Besitzverhaeltnisse in der Industrie wiederhergestellt werden.

Die SPD in Bayern beschloss auf ihrer ausserordentlichen Landeskonferenz in Ingolstadt[12] fuer die Schaffung eines Sonderministeriums fuer Fluechtlingsfragen einzutreten und zu verlangen, dass dieses Amt einem sudetendeutschen Neubuerger uebertragen wird. Eine solche Einrichtung erscheint unentbehrlich, um das noch viele Jahre ueberhaengende Problem des Einbaues eines so grossen Bevoelkerungszuwachses zu loesen.


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aus englischer Gefangenschaft wird bekannt, dass vom 26. September bis 30. November 1946 folgende Kriegsgefangene heimkehrten:

A. Kriegsgefangene mit antinazistischer Anschauung

14.303

B. Kriegsgefangene, die fuer den wirtschaftlichen Aufbau Deutschlands angefordert wurden

2.950

C. Kranke Kriegsgefangene

11.405

D. Kriegsgefangene, rueckgefuehrt entsprechend der Dauer ihrer Gefangenschaft

2.580

E. Besondere Faelle verschiedener Art

1.412
______


Insgesamt also 32.650


Der groesste Teil der Kriegsgefangenen, die waehrend des Monats Dezember 1946 rueckgefuehrt wurden, faellt unter die Gruppen A, B, C und E, aber einige wenige wurden unter D rueckgefuehrt.

Waehrend des Monats Januar 1947 und der folgenden Monate werden Kriegsgefangene unter D fortschreitend einen groesseren Teil ausmachen.

Soweit es uebersehen werden kann, koennen Kriegsgefangene in England unter D damit rechnen, dass sie zu folgenden Zeitpunkten rueckgefuehrt werden:

Datum der Gefangennahme:

Rueckfuehrung beendet ungefaehr am:

Vor 31. Dezember 1942

15. Februar 1947

Zwischen 1. Januar 1943
und 30. April 1943

15. Maerz 1947

Waehrend des Monats Mai 1943

30. Juni 1947


Die Kriegsgefangenen, die nach dem Monat Mai 1943 in Kriegsgefangenschaft kamen, erhalten zu einem spaeteren Zeitpunkt Mitteilung, wann mit ihrer voraussichtlichen Rueckfuehrung zu rechnen ist, sofern sie nicht unter den Kategorien A, B, C oder E bereits frueher entlassen werden. Wir hoffen, von Zeit zu Zeit ueber den Fortgang der Entlassung von Kriegsgefangenen berichten zu koennen.


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SPD - Frauen
fordern die Heimkehr der deutschen Kriegsgefangenen


Im Dezember fanden in den drei Westzonen und in Berlin grosse sozialdemokratische Frauenkundgebungen statt, auf denen die folgende Botschaft an die Kriegsgefangenen und an die Siegermaechte verlesen wurde:

"In dieser Woche finden in ganz Deutschland Kundgebungen statt, in denen die deutschen sozialdemokratischen Frauen ganz besonders an die Kriegsgefangenen denken, die auch dieses zweite Weihnachten nach dem Zusammenbruch des Hitlerregimes fern der Heimat und fern von ihren Lieben verbringen muessen. - Wir senden unsere Gruesse an alle unsere Kriegsgefangenen, die noch in auslaendischen Lagern sind oder innerhalb Deutschlands festgehalten werden.

Wir appellieren an die Regierungen, alle Kriegsgefangenen, die nicht Naziaktivisten und Kriegsverbrecher waren, und ganz besonders die Antifaschisten, so schnell wie moeglich zu entlassen.

Wir wissen, dass das Naziregime, gegen das die Sozialdemokratische Partei einen jahrzehntelangen erbitterten und kompromisslosen Kampf gefuehrt hat, unermessliches Elend ueber Europa und ueber unser eigenes Land gebracht hat. Wir wissen, dass das ganze deutsche Volk seinen Beitrag zum Wiederaufbau Europas leisten muss, aber wir sind der Meinung, dass in erster Linie jene herangezogen werden sollten, die das Naziregime aktiv unterstuetzt und jahrelang von ihm profitiert haben. Darueber hinaus sollte alle Wiederaufbauarbeit durch freie und freiwillige Arbeiter geleistet werden, die zu denselben Bedingungen arbeiten und leben wie die Arbeiter des Landes. Jahrelange Sklavenarbeit von Millionen Zwangsarbeitern demoralisiert nicht nur die Menschen, die zu einer solchen Arbeit gezwungen werden, sondern sie gefaehrdet auch die sozialen und wirtschaftlichen Errungenschaften der Arbeiterschaft des betreffenden Landes.

Wir appellieren an die sozialistischen Bruderparteien und besonders an die Genossinnen in den anderen Laendern, uns in unserem Bemuehen fuer die Freilassung unserer Kriegsgefangenen zu unterstuetzen. - Die deutschen Frauen aber rufen wir auf, mitzukaempfen in unseren Reihen fuer ein freies, demokratisches und sozialistisches Deutschland, fuer den Frieden Europas, fuer den Frieden der Welt!"


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Division 999 kehrt heim aus Afrika

Mit dem britischen Dampfer "Indian Victoria" kamen am 30. Dezember die ersten 1000 von der britischen Regierung bevorzugt entlassenen Kriegsgefangenen aus Afrika in Cuxhaven an. Es handelt sich um Soldaten, die ehemals politische Gefangene waren und von den Nazi-Machthabern zunaechst "wehrunwuerdig" gestempelt, in den letzten Kriegsjahren aber fuer wuerdig befunden wurden, fuer Hitler den Heldentod sterben zu duerfen; sie wurden damals in die bekannte Heuberg-Division 999 oder zu anderen Einheiten eingezogen.

Die Wehrbezirkskommandos im Dritten Reich hatten in der Bluetezeit des deutschen Militarismus alle "missliebigen Elemente" vom Wehrdienst ausgeschlossen. Fuer zahllose ueberzeugte Antifaschisten war es eine Auszeichnung, den blauen Ausschlusschein zu besitzen.

Waehrend der Zeit um Stalingrad bekamen die "Wehrunwuerdigen" ploetzlich Einberufungsbefehle. In Sammeltransporten brachte man damals gegen Ende des Jahres 1943 mehr als 40.000 Menschen aus ganz Deutschland und aus den annektierten Gebieten zum Heuberg in Baden.

Auf dem Gelaende eines ehemaligen Konzentrationslagers und spaeteren Truppenuebungplatzes entstand die "Afrika-Division" 999, deren Name bald vielen Deutschen ueber den englischen Rundfunk bekannt wurde. Als Soldaten ohne Wehrpass wurden sie in verschiedenen Einheiten in Afrika, spaeter in Griechenland und auf dem Balkan eingesetzt. Viele liefen zu den Gegnern ueber, Tausende gingen nach der Kapitulation in Gefangenschaft und kamen in britische Sammellager des Mittleren Ostens. Viele deutsche Stellen bemuehen sich seit der Zeit um die bevorzugte Entlassung dieser Maenner.

Die Schwierigkeiten der Identifizierung der aufrechten Antifaschisten in den Gefangenenlagern Afrikas schien besonders gross, weil das Hitler-Reich in die "Bewaehrungseinheiten" nach dem Prinzip der Konzentrationslager kriminelle und politische Gefangene durcheinandergewuerfelt hatte. Nun aber ist der erste geschlossene Transport angekommen; weitere sind auf dem Wege.

Albert B., ein alter Sozialdemokrat und Reichsbannermann, einer der Erstentlassenen, besuchte die Redaktion des "Hamburger Echo" und erzaehlte aus seinen Erlebnissen:

"Am 21. Dezember sind wir in Port Said abgefahren, und nach 9 Tagen gingen wir in Cuxhaven an Land. Wir waren 1.010 Soldaten, die in den Westzonen beheimatet sind, darunter 113 Hamburger. Mit dem LKW ging es sofort zum Munsterlager und nach kurzem Aufenthalt, mit Entlassungsgeld und -papieren versehen, in den Heimatbezirk, wo wir Hamburger am 1. Januar 1947 eintrafen. Die Freude war nur etwas getruebt", erzaehlte der Heimkehrer weiter, "in Hammerbrook fand ich nach jahrelanger Abwesenheit nicht nur meine Wohnung, sondern auch meine ganze Heimat zertruemmert; mein 18jaehriger Sohn lebte im Jugendwohnheim Osterbeckstrasse, ja, und meine Frau weiss noch nicht, dass ich hier bin, denn sie musste damals nach Ost-Friesland fliehen und braucht jetzt erst wieder Zuzug nach Hamburg. Ich habe mein Domizil zunaechst im Bunker Eiffelstrasse aufgeschlagen, da bin ich wenigstens in der engeren Heimat. Wi hebbt jo veeles gloewt, aber datt datt hier so utsueht, doch nicht", erklaerte er und erzaehlte weiter.

"In den Lagern 306, 307, 379 und 380 in der Wueste Afrikas am Rande des Bitter-Sees, wohnten vornehmlich ueberzeugte Antifaschisten als Kriegsgefangene, ganz in der Naehe des Suez-Kanals. Mitte November 1946 bekamen rund 2.600 Kriegsgefangene Bescheid, dass sie fuer den ersten Transport vorgesehen seien. Die Kranken kamen zunaechst dran. Erstmalig im Sommer 1945 waren die Kriegsgefangenen im Mittleren Osten ueberprueft werden. Ueber ein Jahr lang lebten alle Gefangenen der Mannschaftsgrade ohne Aussiebung in Arbeitskompanien oder in Camps, in denen es wenigstens eine geistige Betaetigungsmoeglichkeit gab. Die Lagerverwaltung war in deutschen Haenden, das militaristische Leben war abgeschafft, Grusspflicht bestand nur gegenueber britischen Offizieren.

Im Maerz 1946 wurde unter Aufsicht englischer Offiziere eine Registrierung vorgenommen. Wer in die Gruppe A wollte, musste sich als Hitlergegner ausweisen. Gruppe B waren Indifferente, und Gruppe C waren Nazis.

Die erste Gruppe kam erst in ein Sonderlager, wo es allerdings keine Sonderbehandlung gab, aber dennoch menschliche Erleichterungen geschaffen wurden; spaeter wurden die Gruppen teilweise wieder mit den anderen in Arbeitskompanien zusammengefasst. Produktive Arbeit wird dort nicht verrichtet, gearbeitet wird nur fuer die britische Militaerverwaltung."

"Wir lagen immer hinter Stacheldraht", erzaehlte unser Afrikaner, aber sonntags konnten wir auch frei andere Lager besuchen. Es ist dort aber alles Wueste am Ausgang des Horeb-Hoehenzuges, nur am Rande des Wassers wachsen ein paar Dattelpalmen. Trotzdem", bemerkte der braungebrannte Heimkehrer, dessen Aussehen sich von den Bleichgesichtern der unterernaehrten Grossstadtmenschen sehr abhebt, "war das Klima verhaeltnismaessig gesund. Es gab keine Fliegen- oder Moskitoplage, wenig Kranke und regelmaessiges Essen."

Rund 98.000 Kriegsgefangene sind noch im Bereich des Kommandos - Middle East -, dieser Transport ist der erste groessere aus dem Gebiet, dem hoffentlich recht bald weitere folgen werden.

(Hamburger Echo v. 7. Jan. 1947[13])

[Seite im Original:] - 9 -

Reifepruefung in der Kriegsgefangenschaft

Das harte Los der deutschen Kriegsgefangenen wird in England durch manche aeussere Gunst erleichtert. Sie frieren nicht. Sie leiden keinen Hunger - auch nicht geistig. Alle Lager haben Buechereien und Rundfunkanlagen, bekommen Post und deutsche Zeitungen und bringen Ausschnitte aus der englischen Presse als Wandzeitung. Ueber alle Lager hin ist der Englischunterricht durch Lehrer und eine Unterrichtszeitschrift so vorzueglich ausgebaut, dass das volle Abschlusszeugnis in Deutschland als der Englischpruefung im Abitur gleich bewertet wird.

Oberschulrat Merck[14] (Hamburg) hat kuerzlich die Lager bereist, um die Anerkennung dieser und anderer Lagerpruefungen zu ermoeglichen. Dabei war er vor allem in den Sonderlagern, die, frei von Stacheldraht und und koerperlicher Arbeit, als Studienlager bezeichnet werden koennen.

Eine Vorrangstellung geniesst Wilton Park, ein Lager mit hochstehendem Vortragswesen, gegabelt nach der politisch-geschichtlichen und nach der kuenstlerisch-geisteswissenschaftlichen Seite. Die uebrigen Sonderlager sind mehr auf Schul- und Studienbetrieb abgestellt. Norton Camp hat eine theologische Fakultaet und eine Lehrerausbildung, beide mit deutschem Lehrkoerper. Die Arbeitsbedingungen sind guenstiger als in Deutschland: ausreichende Verpflegung, helle Hoersaele, warme Arbeitsplaetze, reiche Bibliothek, eigene Druckerei. Trotzdem wuerden die Gefangenen lieber mit uns frieren und hungern. Das Latinum, das Graecum und Hebraicum von Norton Camp sind nun in Deutschland anerkannt.

Die Lager 17 und 18 sind Offizierslager mit ausgedehntem geistigem Arbeitsbetrieb. Sie fuehren eine juristische Fakultaet mit deutschem Lehrkoerper und beteiligen sich an den englischen Ausgrabungsarbeiten beim Roemerwall. Lager 13 hat eine medizinische Fakultaet, fuer die die medizinische Fakultaet der Hamburgischen Universitaet die Patenschaft uebernommen hat. Die klinische Praxis ist allerdings auf maennliche Patienten beschraenkt, naemlich auf ein ausgezeichnet eingerichtetes benachbartes Militaerlazarett.

Der kuenstlerische Betrieb in den Offizierslagern ist rege und aeussert sich in Konzerten, literarischen Veranstaltungen und Bilderausstellungen. Die Spielgruppe verfuegt ueber eine eigene Buehne und hofft, nach der Entlassung in Deutschland geschlossen weiterspielen zu koennen. Zu gemeinsamen Gottesdiensten in den Gemeindekirchen stellen die Lager gelegentlich den Chor.

In allen diesen Studienlagern hat Oberschulrat Merck jetzt die Abiturpruefungen amtlich anerkannt. Sie werden von einem kriegsgefangenen Hamburger Studienrat abgenommen, die Akten gehen zum Pruefungsamt Hamburg und werden behandelt und gewertet, als wenn sie etwa von einer deutschen Oberschule kaemen. Eine bestimmte, noch nicht endgueltig festgelegte, wahrscheinlich von Fall zu Fall verschiedene Zahl von Semestern wird beim Studium in Deutschland angerechnet, so dass den Kriegsgefangenen die Zeit nicht verlorengeht. Allerdings gibt es keine Studienabschlussmoeglichkeit in Kriegsgefangenschaft, wie denn auch jeder nach wenigen Semestern anderen Kameraden Platz machen muss.

Als eines der geistig und seelisch aufgeschlossensten Lager empfand Oberschulrat Merck das Jugendlager bei Saffron Waldon, das tausend Achtzehn- bis Fuenfundzwanzigjaehrige beherbergt. Wie die anderen Studienlager kennt es keinen Stacheldraht und bietet weithin Ausgehfreiheit, ist aber ein Arbeitslager und haelt fuer geistige Schulung nur einen Wochentag frei, in dessen Morgenstunden regelrechter Schulbetrieb gehalten wird. Abends versammelt man sich zu offenen Unterhaltungen, bei denen es ueblich ist, dass die Vortragenden oder Lehrer jede Frage der jungen Gefangenen aus dem Stehgreif beantworten muessen. Solche Fragen waren: Wie steht die Welt heute zur Atlantik-Charta? Ist Diktatur immer verwerflich? Sind Macht und Recht identisch?

Die Fragen zeigen, dass keine Umschulung nach beruechtigtem Rezept stattfindet und dass unsere gefangenen Kameraden nicht durch eine Propagandamuehle gedreht werden. Vielmehr verbinden sich verantwortungsbewusste deutsche und englische Kraefte, um ihnen das schwere Schicksal der Gefangenschaft zu erleichtern und bei aeusserer Unfreiheit die innere Freiheit des offenen Blickes in die Welt, der Gewissensentscheidung in allen letzten Fragen zu wahren, zu foerdern und - bei manchen - anzubahnen.

(Die Welt, Hamburg)[15]


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Unter dieser Ueberschrift berichtet die deutsche Presse, dass eine Reihe von deutschen Politikern, Erziehern, Journalisten, Gewerkschaftlern und Wissenschaftlern vom Britischen Kontrollamt fuer Deutschland zu einem Besuch nach England eingeladen wurden. Die deutschen Gaeste sollen gemeinsam mit deutschen Kriegsgefangenen im Ausbildungslager Wilton Park leben und sich mit britischen Institutionen vertraut machen sowie das Parlament, Universitaeten usw. besuchen. Der Besuch erstreckt sich, wie wir aus privaten Quellen erfahren, auf etwa 6 Wochen und wird sich moeglicherweise wiederholen. Unter den im Januar eingetroffenen etwa 30 Gaesten befinden sich auch zehn SPD-Mitgliedern.


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[Seite im Original:] - 10 -

Eine Blut-Statistik

Der bekannte Arbeiterdichter Otto Krille[16] bringt unter dieser Ueberschrift im Mitteilungsblatt der Arbeitsgemeinschaft "Demokratisches Deutschland" in Basel und auf der Buecherseite des "Volksrecht", Zuerich, zwei grosse Artikel, die sich mit dem von uns herausgegebenen "Weissbuch" beschaeftigen. Der Besprechung im "Volksrecht" - sie nimmt vier Spalten in Anspruch - stellt er folgenden Ausspruch Karl Renners voran:

"Bei der Verstrickung der Arbeiterklasse jedes Landes in ihr Staatswesen und dessen Fuehrung traegt nicht die Arbeiterklasse, sondern die jeweilige Staatsfuehrung die volle Verantwortung, sie allein traegt die Kriegsschuld, und an ihr haben manche der Sieger ihren gemessenen Anteil. Die Klarstellung dessen ist Pflicht jedes Sozialisten, sie zu unterlassen, ist zurzeit die groesste und gefaehrlichste Versuendigung gegen das internationale Proletariat."

Otto Krilles Darlegungen entnehmen wir die folgenden Zeilen aus dem "Volksrecht":

"Der Vorstand der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, der nach Beginn der Hitlerdiktatur zunaechst nach Prag, dann nach Paris und zuletzt nach London emigrieren musste, hat gewissenhaft alle Veroeffentlichungen ueber die Verbrechen der Nazi an Leib und Leben ihrer Gegner gesammelt, geprueft und durch eigenen Nachrichtendienst ergaenzt. Das wurde aus naheliegenden Gruenden in der Kriegszeit schwerer, obschon sich Verurteilungen und Verbrechen verdoppelten, denn schon seit dem 30. Juni 1934 hatte das System Himmler die Herrschaft uebernommen; die Oeffentlichkeit moeglichst wenig durch Laerm zu schockieren. Wer nicht durch die 36 Sondergerichte oder die gewoehnlichen Gerichte abgeurteilt werden konnte, verschwand lautlos. Gleich seinem Herrn und Meister war der diplomierte Landwirt bei aller Grausamkeit persoenlich sehr feige. Ob er auf seiner Huehnerfarm in Trudering bei Muenchen je einem Huhn selbst den Hals umgedreht hat, entzieht sich unserer Kenntnis; indessen verriet dieser eiskalte Massenmoerder nicht einmal seine wahre Natur durch Tobsuchtsanfaelle wie Hitler, sondern versuchte, bei Dummglaeubigen des In- und Auslandes noch als Hueter der 'Legalitaet' zu erscheinen, bis 1943 die Goetzendaemmerung langsam anbrach und die von ihm diktierten Massenerschiessungen begannen. Auch diese Massenexekutionen sind nicht alle bekannt. Die Liste der Opfer, die der Parteivorstand der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands zusammengestellt hat, bildet also nur einen Bruchteil der wirklichen Opfer. Bis diese, soweit ueberhaupt moeglich, ermittelt sind, duerften bei den allgemeinen Zustaenden in Deutschland noch Jahre vergehen. Die in London gebliebene Vertretung der SPD hat darum richtig gehandelt, ihre Liste herauszugeben, wenn auch nur als Manuskript vervielfaeltigt, zur Nachpruefung und Ergaenzung, zu der sie am Schluss ausdruecklich aufruft. Die Zusammenstellung betitelt sich: 'Material zu einem Weissbuch der deutschen Opposition gegen die Hitlerdiktatur' und berichtet ueber 15.247 benannte Opfer. 4.469 Personen wurden hingerichtet, ermordet oder durch 'Selbstmord' (102) erledigt. Das Schicksal von 187 von der Gestapo Verhafteten ist nicht bekanntgeworden. 2.901 andere Personen wurden entweder zum Tode oder zu hohen Freiheitsstrafen verurteilt, aber ihre Strafhoehe oder der Hinrichtungstag sind nicht gekanntgeworden, 1.774 erhielten insgesamt 7.682 Jahre Zuchthaus, 868 1.361 Jahre Gefaengnis, 61 Personen lebenslaenglich Zuchthaus, und von 4.911 in Massenprozessen zu Freiheitsstrafen Verurteilten ist die Strafhoehe unbekannt geblieben. Diese Zahlen erscheinen sofort geringfuegig, wenn man aus dem 'Statistischen Jahrbuch des deutschen Reiches' erfaehrt, dass diese Nazistatistik fuer 1933 die Zahl der verurteilten Personen mit 489.090 angibt, 369.190 Straffaelle aber als 'bemerkenswert durch schwere Zahl oder Eigenart' spezifiziert. Es sind aber nur acht dieser spezialisierten Strafgruppen als Gruppen politisch Verurteilter erkennbar, die allein 20.565 Personen umfassen. Da damals Hunderttausende verhaftet und 36 Sondergerichte geschaffen wurden, liegt auf der Hand, dass diese Zahl - 4 Prozent der Verurteilten - nicht stimmen kann und bedeutend hoeher war ..."

"Es ist zu hoffen", schliesst der Artikel, "dass diese partielle Darstellung bald die groesstmoegliche Ergaenzung erfaehrt, aber schon nach der Durchsicht des vorliegenden Materials kann man sagen, dass nur Boeswilligkeit noch von einer Kollektivschuld des deutschen Volkes reden kann."


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[Veröffentlichungshinweis]

Die in zweiter Auflage erschienene Vervielfaeltigung des "Weissbuches" ist an folgenden Stellen zu beziehen:

In Deutschland: Fritz Heine, Hannover, Odeonstrasse 15/16;
in England: Wilhelm Sander, 33 Fernside Avenue, London, N.W.7;
in den USA: Kurt Schumann[17], 1319 University Avenue, Bronx-New York 52, N.Y.


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[Hinweis]

Freiwillige Beitraege fuer 1947
fuer die weitere Herstellung und Verbreitung
dieser "Sozialistischen Mitteilungen" an
W. Sander, 33 Fernside Avenue, London N.W.7







Editorische Anmerkungen


1 - Die erste Ausgabe der Süddeutschen Zeitung war am 6. Oktober 1945 erschienen. Nach dem Willen amerikanischer Presseoffiziere, den Geburtshelfern der SZ, sollte die Süddeutsche Zeitung "nicht nur die beste Zeitung in der amerikanischen Zone, sondern in ganz Deutschland" und darüber hinaus "eine weltbekannte Zeitung" werden. Fast in Vergessenheit geraten ist, dass einer der drei deutschen Lizenzträger ein sozialdemokratischer Journalist war, der bis 1923 bei der "Münchener Post" (SPD-Zeitung) gearbeitet hatte: E. Goldschagg. Lizenzträger Goldschagg war der erste Chefredakteur (später Mitchefredakteur), Herausgeber und dann als Verleger mehr als zwei Jahrzehnte maßgeblich an der Entwicklung und am Aufstieg der SZ beteiligt. Vgl. Edmund Goldschagg 1896 - 1971. Das Leben des Journalisten, Sozialdemokraten und Mitbegründers der "Süddeutschen Zeitung", nacherzählt von Hans Dollinger, München 1986.

2 - "M. Hoffmann": Gemeint ist Hans Hoffmann (siehe SM 77/78, Aug./Sept. 1945, Anm. 56).

3 - Ernst Zimmer (1884 - 1970), Tischler, 1919-1933 Redakteur der sozialdemokratischen Breslauer "Volkswacht", Mitglied der schlesischen Gauleitung des Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold, 1933, 1934 im KZ, 1934 und 1936 vorübergehend in Haft. 1947-1951 Vertriebenensekretär beim PV der SPD in Hannover.

4 - Nach dem Tod Friedrich Eberts gab der SPD-Parteivorstand im März 1925 bekannt, er werde das Andenken des verstorbenen Reichspräsidenten durch eine Stiftung ehren. Die Friedrich-Ebert-Stiftung sollte jungen, befähigten Menschen Beihilfen für ein Studium geben. 1933 wurde die Stiftung verboten. Mit der Wiedergründung 1947 traten zur Nachwuchsförderung weitere Tätigkeitsbereiche hinzu: u. a. die Vermittlung allgemeiner politischer Bildung, internationale Entwicklungszusammenarbeit, sozialpolitische und historische Forschung sowie die Sammlung und Zurverfügungstellung von historischen Materialien zur Geschichte der Arbeiterbewegung.

5 - Rudolf Mueller (geb. 1904), 1934-1945 in der chemischen Industrie tätig, Oktober 1945 bis September 1946 hessischer Wirtschaftsminister, bis Januar 1947 Leiter des Verwaltungsamtes für Wirtschaft der Bizone in Minden, parteilos, nach 1947 als Rechtsanwalt und Notar tätig.

6 - Zu Harold Rasch konnten keine biographischen Angaben ermittelt werden.

7 - Am 31. 12.1946. Die Erklärung wurde übrigens am 4.1.1947 auch dem State Department überreicht.

8 - Am 8. November 1917 war in Russland die kommunistische Regierung der Volkskommissare gebildet worden. Ihr Regierungsdekret forderte den sofortigen Abschluss eines Friedens ohne Annexionen und Kontributionen, der als gerechter und demokratischer Frieden für alle Völker bezeichnet wird.

9 - Fritz Baade (1893 - 1974), Wirtschaftswissenschaftler, ab 1915 SPD-Mitglied, 1919-1925 Landwirt, 1925-1929 Leiter der Forschungsstelle von SPD und ADGB für Wirtschaftspolitik, 1931 Mitverfasser des sog. WTB-Plans (zusammen mit Fritz Tarnow und dem zeitweise in Deutschland lebenden sozialdemokratischen Russlandemigranten Wladimir Woytinsky, der von 1895 bis 1960 lebte), 1930-1933 SPD-MdR, Dezember 1934 mit Genehmigung der Reichsregierung nach Ankara, 1935-1939 Agrarsachverständiger und Berater der türkischen Regierung, anschließend freier Industrie- und Wirtschaftsberater in Istanbul, 1944-1945 quasi interniert. September 1946 in die USA, dort Versuche zur Revision der amerikanischen Deutschlandpolitik (u. a. in der Demontagefrage), 1948-1961 Ordinarius für Wirtschafts- und Staatswissenschaft und Direktor des Instituts für Weltwirtschaft in Kiel, 1949-1965 SPD-MdB.

10 - Hans Staudinger (1889 - 1980), Ministerialbeamter, seit 1912 Mitglied der SPD, 1929-1932 Staatssekretär im Preußischen Handelsministerium, von wo aus er die preußischen Staatsbetriebe koordinierte und sich als Gründer der VEBA einen Namen machte, 1932-1933 SPD-MdR, Juni/Juli 1933 in Haft, danach über Belgien, Frankreich, Großbritannien in die USA, 1934-1960 Professor für Wirtschaftswissenschaften an der New School for Social Research (New York), 1939-1942 aktive Mitarbeit in der German Labor Delegation (GLD). Vgl. Hans Staudinger: Wirtschaftspolitik um Weimarer Staat. Lebenserinnerungen eines politischen Beamten im Reich und in Preußen 1889 bis 1934, herausgegeben und eingeleitet von Hagen Schulze, Bonn 1982.

11 - In den im Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung überprüfbaren Ausgaben des "Telegraf" fand sich dieser Paul-Artikel nicht, wohl aber in "Der Sozialdemokrat" (Berlin) vom 27.12.1946.

12 - Es handelt sich um den ordentlichen Parteitag der bayrischen SPD am 19./20.10.1946 in Ingolstadt.

13 - Der Untertitel des Artikels lautete "'Wehrunwürdig' - 'Bewährungssoldat' - Kriegsgefangener und Heimkehrer".

14 - Walther Merck, seit 1950 Professor für Vergleichende Pädagogik an der Universität Hamburg.

15 - "Die Welt" vom 24.12.1946.

16 - Otto Krille (1878 - 1953), vor 1933 Mitarbeit an sozialdemokratischen Zeitungen, schriftstellerische Tätigkeit, 1933 Flucht in die Schweiz, 1937 ausgebürgert, 1940 Ausweisungsbefehl der Schweizer Fremdenpolizei wegen angeblicher Hilfsdienste für ausländische kommunistische Funktionäre und angeblicher Beeinflussung der Jugend im kommunistischen Sinne, 1940-1941 in der Schweiz interniert.

17 - Nach Erich Matthias (Hrsg.) und Werner Link (Bearb.): Mit dem Gesicht nach Deutschland. Eine Dokumentation über die sozialdemokratische Emigration aus dem Nachlaß von Friedrich Stampfer, ergänzt durch andere Überlieferungen, Düsseldorf 1968, S. 570, lautet der Name korrekt: Kurt Schuhmann. Schuhmann (New York City) wird dort als Unterzeichner einer Erklärung der Association of Free Germans ("Für das Freie Deutschland von Morgen") vom Oktober 1942 genannt. Weitere biographische Angaben konnten nicht ermittelt werden.




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