[Beilage 2 zu SM, Nr. 88/89, 1946] |
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Als Material brachten wir vor einiger Zeit ein Gutachten[1], das dem Zentral-Ausschuss der SPD in Berlin zur damals diskutierten Fusionsfrage unterbreitete wurde. Heute teilen wir in Ergaenzung dazu den Begleitbrief an Otto Grotewohl mit, der zwar im Februar 1946 bereits geschrieben war, aber auch heute noch als ein wichtiger Beitrag zur Geschichte der Gleichschaltung im Osten Deutschlands bewertet werden muss.
London - Vertretung der SPD
Lieber Otto!
Dass Du so ploetzlich auf der Reise sein wuerdest, ahnte ich nicht; ich dachte, Schumacher kommt nach Berlin, so dass Deine Reiseabsicht ueberholt war. Dass Du an wichtige Dinge herangingst, ohne dass ich Dir "mein Testament in der Einigungsfrage" hatte uebergeben koennen, ist mir am Dienstag morgen schmerzlich gewesen, und ich quaelte mich die ganze Woche damit, ob ich damit Dir und der Sache gegenueber nicht etwas versaeumt habe. Ich fuege Dir das Schriftstueck[2] bei.
Die Welt stand inzwischen nicht stille, und ich hatte noch manche Querueberlegungen anzustellen und fuehrte manches Gespraech. Mein Hauptgedanke war, es moechte Dir die Vorbereitung einer Reichskonferenz der SPD gelingen. Waere das Gespraech auf der Reichskonferenz moeglich, so koennte vielleicht ein Kartell zwischen den beiden Parteien fuer das Reich erreichbar werden und die Festlegung auf ein gemeinsames Aktionsprogramm. Kaemest Du mit einem solchen ausfuehrbaren Plan nach Berlin und koenntest der Sowjetadministratur die Aktionseinheit der beiden Parteien fuer das ganze Staatsgebiet anmelden, so koennte das die Loesung werden, die den Sowjets lieber sein koennte als diese von ihnen gewollte problematische Einheit in der Zone zum 1. Mai. Eine solche Aktionseinheit der beiden Parteien auf der Grundlage eines festen Kartellverhaeltnisses waere fuer die Sowjets bezw. fuer die Verantwortlichen der Sowjetadministratur ein wirklicher, ein echter politischer Erfolg, statt des Linsengerichtes der Herrschaft in der Zone. Die Sowjets wuerden eine starke politische Position im ganzen Staatsgebiet beziehen, sie haetten die Basis fuer eine aussichtsreiche demokratische Entwicklung im ganzen Staatsgebiet, sie wuerden der Reaktion die Hoffnung abschneiden, durch Gewinnung der wesentlichen Sozialdemokratie fuer Koalitionen mit dem Buergertum Zeit zur Entwicklung [zu] gewinnen, und sie wuerden sich ueberfluessige diplomatische Spannungen mit den uebrigen Alliierten ersparen. Uns selbst gaebe ein solches Kartell fuer das gesamte Staatsgebiet die Luft, die wir zum Entspannen in der Zone brauchen, die Einigungsfrage kaeme wieder in das seit dem 20. Dezember vorgesehene Fahrwasser, wir wuerden im Stadium der Vorbereitung der Einigung bleiben, das fuer die Mitgliedschaft unbedingt notwenig ist, und vom Zentralausschuss wuerde das Odium genommen, dass er sich aus Schwaeche einem Druck gebeugt hat.
Die Lage bei der Sowjetadmistratur und den Sowjets kann nicht so sein, dass sie die Vereinigung zum 1. Mai als einzige moegliche Loesung betrachten. Die Einheit zum 1. Mai kann nur eine Notloesung fuer die Sowjets sein, der sie jede bessere Loesung vorziehen wuerden. Fuer die jetzt von den Sowjets gewollte Notloesung sprechen folgende Gruende:
1) Schumachers Haltung und offenbarer Einfluss wird auf laengere Zeit die SPD des Westens von der Einheit abhalten.
2) Durch die Wahlniederlagen der KPD im Westen kann die westliche SPD es auf die Isolierung der KPD ankommen lassen.
3) Der Wahlerfolg der christlichen Demokraten und die Festlegung der katholischen Parteien durch den Vatikan auf Planwirtschaft und Sozialisierung der Schluesselindustrien einerseits und auf die Distanzierung von der Sowjetunion und die Ablehnung der Diktatur andererseits machen die katholischen Parteien zum natuerlichen Koalitionspartner der westlichen SPD.
4) Die den Kommunalwahlen im englischen Sektor bald folgenden Kommunalwahlen in der russischen Zone duerfen keine Niederlage fuer die KPD werden.
Die Summierung dieser Gruende legt die Notloesung in der Zone nahe. Die Sowjetadministratur hofft, diese Notloesung in der Zone durch inoffiziellen Druck durchsetzen zu koennen. Sie glaubt, dass der Z.A. dem Druck aus dem Bezirken nicht widerstehen koenne. Da sie zunaechst keine bessere Loesung sieht, findet sie sich mit den handgreiflichen Nachteilen der Loesung ab.
Einsichtsvolle Leute, mit denen ich gesprochen habe, begreifen die Sowjets nicht. Wenn die Sowjets die Einheit der Arbeiterbewegung in ganz Deutschland wollen, und sie sind darauf angewiesen, wenn sie dem Faschismus in Deutschland nicht neue Chancen geben wollen, so duerfen sie an der Elbe keine Brandlinie zwischen die deutsche Arbeiterschaft legen. Sie duerfen mit der Drangsalierung der SPD im Osten keine Drangsalierung der KPD im Westen herausfordern. Sie duerfen Schumacher kein trojanisches Pferd bei den opponierenden Teilen der SPD in der Sowjetzone zur Verfuegung stellen, das Schumachers Eindringen mindestens in Berlin ermoeglicht. Sie duerfen nicht den misslichen Eindruck hervorrufen, dass in der Sowjetzone russische Diktatur herrscht und dass sie mit der Einigung in der Zone alleine, deren Druckcharakter niemandem verborgen bleibt, prorussischen Separatismus foerdern. Sie duerfen sich nicht der Gefahr
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aussetzen, in den Provinzen und Laendern zwar siegreich zu sein, in Gross-Berlin aber, wo der Druck der Bajonette in grossen Stadtteilen unwirksam bleiben muss, zu versagen. Sie duerfen der natuerlichen aussenpolitischen Spannung mit England nicht unnoetig eine neue Reibungsflaeche geben. Sie duerfen ihr Dauerinteresse, in ganz Deutschland ihren Einfluss gleichmaessig auszudehnen, nicht fuer ein Linsengericht preisgeben. Alle diese Gegengruende wiegen schwer und muessen den Sowjets eine Loesung willkommen machen, die besser ist als die Notloesung der Einigung in der Zone.
Man versteht auch die Sozialdemokratie und [den] Z.A. nicht. Die Sozialdemokratie sei, trotz der Zonengrenzen, doch eine gesamtdeutsche Partei. Sie habe doch gesamtdeutsche Interessen zu vertreten, es sei ihr Lebensinteresse, die Voraussetzungen zu schaffen, dass ein baldiger Friedensschluss moeglich werde. Das setze voraus, dass im kommenden Reichsparlament eine dauernde und feste demokratische Mehrheit zustande komme. Ohne diese Aussicht komme es nicht zur Einsetzung einer deutschen Regierung. Wenn zu der Spaltung der deutschen Arbeiterschaft in zwei Parteien noch eine Spaltung in Ost und West kommt, sei eine dauernde demokratische Mehrheit im Reichsparlament ausgeschlossen. Damit komme es in absehbarere Zeit weder zu einer Selbstregierung noch zu einer militaerischen Raeumung Deutschlands. Notwendig wuerde die Zoneneinteilung verhaertet, auf nicht absehbare Zeit hinausgeschoben. Die Aussichten Frankreichs im deutschen Westen wuerden verbessert, die Hoffnungen auf eine bessere Grenzregulierung im Osten muessten begraben werden. Der Abzug der russischen Truppen kaeme weniger in Frage als je; die Behauptung, die russischen Truppen wuerden nicht abziehen, wenn die Einheit in der Zone nicht gemacht wuerde, sei ein mit Haenden greifbarer Bluff. Wegen der Komplizierung der diplomatischen Situation koennten die Russen gerade dann nicht raeumen, wenn und weil die Einheit in der Zone gemacht wuerde.
In der Tat wird, wie ich hoere, die USA-Regierung schon in dem Sinne informiert, dass die Einheit in der Zone die Bildung einer demokratischen Mehrheit im ganzen Staatsgebiet ausschliesse, was Konsequenzen fuer den Friedensschluss, die Raeumung Deutschlands und die Bildung einer deutschen Regierung haben muss.
Auch sei die Kurzsichtigkeit der SPD nicht zu begreifen, wenn sie sich zu einer Einheit in der Zone bereitfinde. Nicht nur wegen der deutschen Gesamtinteressen, sondern auch wegen des eigenen Parteiinteresses. Selbstverstaendlich bedeute die Einheit in der Zone die Selbstaufgabe der Partei. Die Hoffnung auf eine Durchdringung der KPD durch die SPD sei zu kindlich, als dass man ueberhaupt davon reden duerfe. Die vereinigte Partei koenne nur eine kommunistische Partei sein. Die Anwesenheit der Sowjets in der Zone lasse gar nichts anderes zu, von der unveraenderten Abhaengigkeit der KPD von der sowjetrussischen Politik gar nicht erst zu sprechen. Fuer einen wirklichen Erfolg der Sowjetadministratur gegenueber dem Z.A. und der Partei gaebe es nur eine Chance, das sei die Schwaeche des Z.A. und der Partei. Auf der anderen Seite habe Shukow[3] mit der Zulassung der Partei sich jeder Moeglichkeit begeben, dem Z.A. oder der Partei seinen Willen aufzwingen zu koennen. Er koenne nur die Aufloesung der Partei anordnen; das sei der einzig moegliche Befehl, der befolgt werden muesse. Wenn die Provinz kapituliere, so sei das unnoetige Schwaeche. Selbst wenn die Provinz aber den Z.A. dadurch isoliere, brauche der Z.A. seine Haltung nicht aufzugeben: denn wenn Gross-Berlin zum Z.A. stehe, so sei damit der Beweis erbracht, dass die Bezirke in der Provinz, trotz des gegenteiligen Anscheins, nicht aus innerer Bereitschaft, sondern unter Druck gehandelt haben. Was noetig sei, sei nur die Bereitschaft zum Widerstand. Fuer diesen Widerstand sei es keinen Augenblick zu spaet. Wuerde dieser Wiederstand nur gewagt, und Demokraten seien zu diesem Wiederstand verpflichtet, so zoege das Ausland seine Konsequenzen daraus ueber die wirkliche Lage in der Zone. Das sei nicht nur die Rettung der Partei, sondern auch die Rettung der deutschen Chancen fuer den Frieden und fuer die Raeumung Deutschlands. Die Sowjetadministratur werde, da Berlin im Brennpunkt der Weltoeffentlichkeit und Weltbeobachtung laege, damit in eine aussichtslose Verteidigung gedraengt.
Die Lage in Berlin ist tatsaechlich so, dass der Z.A. sich auf Berlin stuetzen kann. Es kommt ja hinzu, dass Gross-Berlin zu 2/3 amerikanisch, englisch und franzoesisch verwaltet wird. Das weiss auch die Sowjetadministratur genau.
Nach den Besprechungen, die ich hatte, scheinen Erklaerungen von englischer Seite erreichbar zu sein, dass
1) England entscheidenden Wert darauf legt, dass eine dauerhafte demokratische Mehrheit in Deutschland zustande kommt,
2) England deshalb eine Verstaendigung der beiden Arbeiterparteien in ganz Deutschland begruessen wuerde,
3) England der Veranstaltung von Reichskonferenzen der beiden Parteien sympathisch gegenuebersteht.
Kaeme es zu einer solchen Klarstellung, die durch ein Interview ueber die politische Lage in Deutschland durch die "Times" oder "Manchester Guardian" herbeigefuehrt werden koenne, so waere ein grosser Schritt zur Klaerung der Situation auch in der Zone getan. Die Voraussetzung zur Schaffung eines Kartells der beiden Parteien fuer ganz Deutschland waere geschaffen; die Sowjets wuerden sich der Bedeutung der neuen Lage sehr bald bewusst werden und ihr Rechnung tragen. Nachdem die Gewerkschaftswahlen gezeigt haben, dass die Lage der KPD in der Zone alles weniger als hoffnungslos ist, koennte auch mit getrennten Listen in die Wahlen gegangen werden. Der Bann waere auch fuer unsere Partei gebrochen.
gez. Klingelhöfer
Editorische Anmerkungen 1 - Gustav Klingelhöfer hat viele Stellungnahmen für den Zentralausschuss geschrieben (vgl. auch Hurwitz, Harold: "Demokratie und Antikommunismus in Berlin nach 1945", Band 4, Teil 1: "Führungsanspruch und Isolation der Sozialdemokraten", Köln 1990, insbesondere S. 468 ff.). Das in der SM-Beilage erwähnte "Gutachten" wurde jedoch in den SM nicht veröffentlicht. Auch eine entsprechende Beilage konnte nicht ermittelt werden. Es ist aber nicht ausgeschlossen, dass mit dem "Gutachten" das in der folgenden Fußnote erwähnte "Testament in der Einheitsfrage" Gustav Klingelhöfers vom 3. Februar 1946 gemeint ist, das aber - als SM-Beilage - nicht ermittelt werden konnte. 2 - Das Schriftstück, das Klingelhöfer als sein "Testament in der Einheitsfrage" bezeichnete, wurde in den SM nicht veröffentlicht. Aus dem Text (vom 3. Februar 1946) geht hervor, dass "Besprechungen mit der SPD des Westens" vorgesehen waren: Schumacher sollte für die Linie gewonnen werden, die der Z.A. schon auf der Sechziger-Konferenz eingenommen hatte. Den Sowjets und den Kommunisten sollte das Argument entrissen werden, dass sich die Einheit der beiden Parteien wegen des Widerstandes der West-SPD nicht in ganz Deutschland verwirklichen lasse und deshalb zunächst in der Ostzone hergestellt werden müsse. Entsprechend sprach Klingelhöfer in seinem oben veröffentlichten Brief (vom 8. Februar 1946) von einer "Reichskonferenz" der SPD und einem "Kartell" der Parteien. Hauptsächlich ging es ihm aber darum, Zeit zu gewinnen ("... die Luft, die wir zum Entspannen in der Zone brauchen ..."). Vgl. Kaden, Albrecht: "Einheit oder Freiheit. Die Wiedergründung der SPD 1945/46", mit einem Vorwort von Fritz Sänger, 3. Aufl., Bonn 1990, S. 232 (Fußnote 520). 3 - "Shukow": Georgij K. Schukow, siehe SM 81, Dez. 1945, Anm. 12. |