[Beilage zu SM, Nr. 81, 1945]

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Der Vorstand der
Sozialdemokratischen Partei Deutschlands

3, Fernside Avenue
London N.W.7

London, den 22. Dezember 1945


Werter Genosse,

wir haben in den letzten Tagen die folgenden Informationen erhalten:


SPD-KONFERENZ DER SOWJETZONE Am 4. u. 5.12. fand in Berlin eine Konferenz der Parteiorganisationen in der Russischen Zone statt. Die Hauptreferate hielten Otto Grotewohl (ueber politische Gegenwartsfragen) und Max Fechner (ueber den Stand der Parteiorganisation). Die Diskussion ergab den festen Willen, die Organisationsarbeit der Partei auf einheitlicher Grundlage durchzufuehren.


KINDERFREUNDE. Die Organisation der Sozialistischen Kinderfreunde ist in Bremen reorganisiert worden. Die Leitung in Bremen haben: W. Wassmann[1], Hans Warminghoff[2] und Eduard Fregin[3].


AUGUST-BEBEL-HAUS. Die Stadt Halle beschloss, das ehemalige Hans-Schemm-Haus[4] in ein August-Bebel-Haus umzuwandeln, in dem neben dem Stadtschulamt auch andere kulturelle Einrichtungen Halles untergebracht werden.


BEZIRKS-PARTEITAG BERLIN. An dem am 25.11. stattgefundenen Bezirksparteitag Berlin nahmen u. a. als Gaeste die Genossen Loebe, Alwin Brandes, Rudolf Wissel, Hildegard Wegscheider-Ziegler, Luise Schroeder, Friedrich Etzkorn und die Witwe des Genossen Franz Kuenstler[5] teil.

Die Wahl zum Bezirksvorstand ergaben: Hermann Harnisch[6] und Werner Ruediger[7] (Bezirksvorsitzende); Zimmermann[8], Kaethe Kern und Heines[9] Beisitzer; Buchmann[10], Haupt[11] und Meier[12], Revisoren; Luebbe[13], Barth[14] und Wend[15], Sekretäre; Dora Loesche[16], Frauensekretärin.


NEU-ERNENNUNGEN.Die Ernennung folgender Sozialdemokraten wurde in den letzten Tagen bekannt: Werner Bruschke[17] (Vizepräsident der Regierung der Provinz Sachsen), August Eckel[18] (Landrat Marburg), Albert Schaumann[19] (Senator, Hamburg).


ZEITUNGEN. Einer der Herausgeber der neu lizenzierten Aschaffenburger Zeitung "Main-Echo" ist der Genosse Jean Stock[20], bisher Oberbürgermeister von Aschaffenburg. In die Redaktion der "Fuldaer Volkszeitung" in Fulda ist Genosse Simon[21] als Redakteur eingetreten. Herausgeber der "Fränkischen Presse" in Bayreuth ist Gen. Julius Steeger[22].


GERHARD SEGER, Chefredakteur der Neuen Volkszeitung in New York, ist zur Zeit in Nuernberg als Zeuge im Kriegsverbrecher-Prozess.


AUS DER PARETEI-ORGANISATION. Genossin Martha Crummenerl[23], die Witwe des in Paris verstorbenen Kassierers der Partei, ist in Berlin im Zentralausschuss taetig. Gen. Dr. Alfred Werner[24] sprach als Vertreter der Partei auf einer sozialdemokratisch-kommunistischen Friedrich-Engels-Feier in Berlin. Als sozialdemokratischer Vertreter sprach Gen. Rudolf Gehring[25], Bezirksbürgermeister von Feuerbach, in einer 4-Parteien-Rundfunk Diskussion ueber das Säuberungsgesetz[26]. Mehr als 1000 Sozialdemokraten nahmen an der freien Versammlung in Garmisch-Partenkirchen teil, in der der bayerische Innenminister Gen. Seifried und Bürgermeister Georg Schütte[27] sprachen. Vorsitzender des Kreises Schleswig der Partei ist Gen. Andreas Paysen[28].


CARL SEVERING. In einem ausfuehrlichen Brief an den Gen. Ollenhauer wendet sich Carl Severing gegen die von kommunistischer Seite ausgestreuten Verleumdungen, die jetzt in Deutschland (in illegalen Flugblättern) und in der amerikanischen Presse wieder aufgetaucht sind. Hauptpunkt der Angriffe ist eine angeblich von Severing verfasste Schrift "Mein Weg zu Hitler".

Gen. Severing stellt fest, dass er nie eine derartige Schrift verfasst hat, nie Mitglied der NSDAP oder einer ihrer Gliederungen war, nie eine NS-Zeitung abonniert und nie den Hitlergruss entboten hat.

Ausgangspunkt für die Verleumdung war ein Artikel der kommunistischen "Deutschen Volkszeitung"[29], Saarbrücken, vom 15.3.34, in dem angeblich Auszüge aus dem Buch "Mein Weg zu Hitler" wiedergegeben wurden. Die KPD-Zeitung brachte gleichzeitig versteckt in einer Briefkastennotiz die Mitteilung: "Der in der vorliegenden Ausgabe von uns abgedruckte angebliche Auszug aus dem neuen Buch Carl Severings ist in unserer Redaktion entstanden".






Editorische Anmerkungen


1 - Willi Waßmann, vor 1933 Vorsitzender der Kinderfreunde in Bremen.

2 - Hans Warminghoff (geb. 1906), Lehrer, vor 1933 ISK-Mitglied. Nach Kriegsende 1945 SPD, ab 1960 Landesschulrat in Bremen.

3 - Zu Eduard Fregin konnten keine biographischen Angaben ermittelt werden.

4 - Benannt nach Hans Schemm (1891 - 1935), Gründer und Leiter des NS-Lehrerbundes und NSDAP-MdR 1930-1935.

5 - Witwe von Franz Künstler. Vorname u.a. biografische Daten konnten nicht ermittelt werden.

6 - Hermann Harnisch: Siehe SM 77/78, Aug./Sept. 1945, Anm. 7.

7 - Werner Rüdiger (1901 - 1966), kaufmännischer Angestellter, SPD-Mitglied seit 1919, nach 1933 illegale Tätigkeit, zeitweise in Haft. Blieb April 1946 bei der SPD in Berlin-Ost, 1946 ff. SPD-Stadtverordneter in Berlin, 1949 wegen Verbreitung des sozialdemokratischen "Telegraf" im Ostsektor Berlins zu 25 Jahren Zuchthaus verurteilt, nach 5 Jahren (in der Strafvollzugsanstalt Waldheim) entlassen, nahm er seinen Wohnsitz erneut in Ostberlin. Offiziell war er als Vertreter der Ostberliner Bevölkerung von 1949-1965 SPD-Mitglied des Westberliner Abgeordnetenhauses, obwohl er viele Jahre lang (Zuchthaus und Mauerbau) an der Ausübung seiner parlamentarischen Rechte gehindert war.

8 - Rudolf Zimmermann (geb. 1912), vor 1933 SPD, nach der "Machtergreifung" illegale Tätigkeit, im Zuchthaus Brandenburg inhaftiert. April 1946 bis Dezember 1948 Sekretär des Landesverbandes Berlin der SED (Leiter der Kaderabteilung), Dezember 1948 nach Meldung des "Telegraf" seines Postens enthoben.

9 - "Heines": Es handelt sich um Georg Heims, Verwaltungsangestellter, 1946 SPD-Bezirksverordneter in Berlin-Weißensee.

10 - "Buchmann": Wahrscheinlich: Georg Buchmann (gest. 1947), ein alter Sozialdemokrat und Gewerkschafter, nachmaliger SED-Parteisekretär des Kreises Berlin-Friedrichshain, Freitod.

11 - "Haupt": Wahrscheinlich: Paul Haupt (geb. 1896), in der Weimarer Republik Korrespondent des "Sozialdemokratischen Pressedienstes".

12 - Zu "Meier" konnten keine biographischen Angaben ermittelt werden. In dem Bericht von "Das Volk" vom 27.11.1945 über den Berliner SPD-Bezirksparteitag findet sich nur der Zusatz "Meier-Pankow".

13 - Erich Lübbe (1891 - 1977), Maschinenschlosser und Dreher, seit 1910 gewerkschaftlich organisiert, 1918 Eintritt in die USPD, später SPD, ab 1919 Betriebsrat bei den Siemens-Schuckert-Werken in Berlin, dann bis 1933 Vorsitzender des Gesamtbetriebsrates des Siemens-Konzerns, 1932/1933 SPD-MdR, 1933 unter Polizeiaufsicht gestellt, illegale Gewerkschaftsarbeit, 1939-1945 KZ Sachsenhausen. 1945/46 im Zentralausschuss der SPD (Ost), April 1946 bis 1947 Parteivorstand der SED und Leiter der kommunalpolitischen Abteilung des SED-Landesverbandes von Berlin, 1950 Austritt aus der SED, 1954-1961 Geschäftsführer der Stiftung Mitbestimmung (Düsseldorf), dem Studienförderungswerk des DGB.

14 - Richard Barth (geb. 1882), Buchdrucker, Mitglied der SPD seit 1903, ab 1909 "Sitzredakteur" des "Vorwärts" (Berlin), 1929-1933 2. Vorsitzender des Verbandes Deutscher Buchdrucker, während der NS-Zeit viermal verhaftet, zweimal im KZ Sachsenhausen. 1945/46 Geschäftsführer der sozialdemokratischen Zeitung "Das Volk" (Berlin), 1946 zum 1. Vorsitzenden der Industriegewerkschaft Graphisches Gewerbe und Papierverarbeitung (Ost) gewählt.

15 - "Wend": Georg Wendt (1889 - 1948), Glaser, dann Büroangestellter, 1928-1930 und 1932 SPD-MdR, 1933 für 6 Monate in sog. Schutzhaft. 1946-1948 im Sekretariat des SED-Landesvorstandes Berlin.

16 - Dorothea Lösche, geb. Ludwig (1906 - 1985), Tochter des früheren SPD-Schatzmeisters Konrad Ludwig (1880 - 1935), Stenotypistin und Sekretärin, seit 1923 SPD-Mitglied, in der Weimarer Republik angestellt bei der Sozialdemokratischen Fraktion des Preußischen Landtags, tätig in der Frauenarbeit der SPD-Berlin. Seit 1947 Hausfrau, 1958- 1963 Mitglied des Westberliner Abgeordnetenhauses, Berliner SPD-MdB 1963-1965 und 1966- 1969.

17 - Werner Bruschke (1898 - 1995), Schlosser, 1917-1919 Soldat, nach Kriegsende politische Betätigung in der SPD, 1927-1933 SPD-Sekretär im Bezirk Magdeburg, in der NS-Zeit insgesamt 7 Jahre in Haft und KZ. Juli bis August 1945 Sekretär im SPD-Bezirksvorstand Magdeburg, ab Sommer 1946 im Landesvorstand der SED-Sachsen-Anhalt, 1949-1952 Ministerpräsident Sachsen-Anhalt, 1950-1954 im ZK der SED.

18 - August Eckel (1896 - 1978), 1929-1933 Vorsitzender der SPD-Stadtverordnetenfraktion Marburg. 1945-1966 Landrat des Kreises Marburg.

19 - Zu Albert Schaumann konnten keine biographischen Angaben ermittelt werden.

20 - Jean Stock (1893 - 1965), Buchdrucker, 1911 Eintritt in die SPD und in die Freien Gewerkschaften, 1917 zur USPD, 1919-1924 USPD/SPD-Mitglied der provisorischen Bayerischen Nationalversammlung und des Bayerischen Landtages, 1922-1933 Geschäftsführer des Verlages der sozialdemokratischen "Aschaffenburger Volkszeitung", 1933-1935 selbständiger Unternehmer in Aschaffenburg (Verlag und Druckerei), in der NS-Zeit mehrmalige "Schutzhaft" (zuletzt 1944 für 3 Monate im KZ Dachau). April bis Dezember 1945 Oberbürgermeister in Aschaffenburg, 1945-1946 Regierungspräsident in Unterfranken, 1946 SPD-Mitglied der Verfassungsgebenden Landesversammlung in Bayern, 1946-1962 SPD-MdL Bayern, davon 4 Jahre Vorsitzender der sozialdemokratischen Fraktion.
Das unabhängige und überparteiliche "Main-Echo" erschien als Tageszeitung seit November 1945.

21 - Zu Georg Simon konnten keine biographischen Angaben ermittelt werden.
Die "Fuldaer Volkszeitung" (überparteilich) erschien seit Oktober 1945; sie stellte ihr Erscheinen in den 70er Jahren ein.

22 - Julius Steeger (1881 - 1954), 1919-1932 SPD-MdL Bayern; nach dem Krieg Leiter des gleichnamigen Verlages in Bayreuth.
Die "Fränkische Presse" (überparteiliche Tageszeitung) erschien vom Dezember 1945 bis 1967.

23 - Martha Crummenerl (geb. 1895), geb. Bühring, Frau von Siegmund Crummenerl, nach 1918 in der sozialistischen Jugendbewegung und in der SPD tätig, Mai 1933 zusammen mit ihrem Mann in die Emigration (Prag, Paris), 1937 ausgebürgert.

24 - Zu Alfred Werner konnten keine biographischen Angaben ermittelt werden.
Die angesprochene Friedrich-Engels-Feier hatte am 2.12.1945 im Berliner Admiralspalast (Metropoltheater) stattgefunden.

25 - Rudolf Gehring (1888 - 1980), Werkzeugfräser und Dreher, seit 1905 Gewerkschafts- und seit 1909 SPD-Mitglied, 1921-1923 Sekretär bei der SPD in Stuttgart, danach Geschäftsführer und später Teilhaber einer Firma, ab 1941 Helfer in Steuersachen. 1946 ff. SPD-MdL Württemberg-Baden bzw. Baden Württemberg.

26 - Bezieht sich offensichtlich auf die Maßnahmen der Alliierten zur politischen Säuberung (Entnazifizierung) Deutschlands, hier wohl speziell auf das Gesetz der amerikanischen Militärregierung (26.9.1945) für die US-Zone, das die Beschäftigung von ehemaligen Mitgliedern der NSDAP usw. mit Ausnahme von Beschäftigung in "gewöhnlicher Arbeit" verbot.

27 - Zu Georg Schütte konnten keine biographischen Angaben ermittelt werden.

28 - Zu Andreas Paysen konnten keine biographischen Angaben ermittelt werden.

29 - Diese "Deutsche Volkszeitung" (Untertitel: Einziges unabhängiges Wochenblatt aller Werktätigen) erschien 1934. Als Erscheinungsorte sind verschiedene Städte angegeben. Tatsächlicher Erscheinungsort war Saarbrücken.




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