CENSORSHIP POSTAL PERMIT B 9692

SOZIALISTISCHE MITTEILUNGEN

News for German Socialists in England

This newsletter is published for the information of Social Democratic
refugees from Germany who are opposing dictatorship of any kind.

Nr. 75 / 76 - 1945

Juni - Juli 1945

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Die Konferenz der fuehrenden Staatsmaenner von Grossbritannien, der Sowjetunion und der Vereinigten Staaten, die am 17. Juli in Potsdam begonnen hat, steht auch vor der Aufgabe, einheitliche Richtlinien fuer die Behandlung und Verwaltung des besetzten Deutschland festzulegen.

Im Augenblick ist die Praxis der Besatzungsmaechte in den einzelnen Zonen voellig verschieden.

In der amerikanischen, britischen und franzoesischen Zone besteht nach wie vor das Verbot der politischen Betaetigung. Die Wiederherstellung einer freien Gewerkschaftsbewegung ist zwar im Prinzip zugesichert worden, aber die Aufnahme der gewerkschaftlichen Betaetigung bedarf in jedem Fall der besonderen Bewilligung durch die oertlichen oder bezirklichen Organe der Militaerregierung. Bis jetzt war die Praxis dieser Stellen unterschiedlich. In einzelnen Orten und Bezirken wurden bisher nur die Vorbereitungen fuer den Wiederaufbau der Gewerkschaften erlaubt, in anderen Teilen funktionieren bereits neue oertliche und bezirkliche Koerperschaften der Gewerkschaften. Es ist jedoch anzunehmen, dass der Aufbau einer einheitlichen freien Gewerkschaftsbewegung an Stelle der "Arbeitsfront" in der naechsten Zukunft in allen Besatzungszonen in Gang kommen wird.

In den Besatzungszonen der Westmaechten hat das bis jetzt gueltige Verbot der politischen Betaetigung den Wiederaufbau der Sozialdemokratischen Partei unmoeglich gemacht. Die Behoerden der Militaerregierung haben jedoch in vielen Faellen bekannte Sozialdemokraten zu leitenden Beamten der oertlichen, bezirklichen und laenderweisen Verwaltung ernannt, die jetzt in Deutschland aufgebaut wird. Im Zusammenhang mit diesen Ernennungen [ist] eine ganze Anzahl gut bekannter sozialdemokratischer Namen genannt worden, und auf diesem Wege haben wir erfahren, dass diese Genossen die schwere Zeit der Verfolgung und Unterdrueckung ueberlebt und sich jetzt wieder bereit erklaert haben, bei der Loesung

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der schweren Aufgaben des Uebergangs und des Wiederaufbaus mitzuwirken.

In der russischen Besatzungszone wurde Anfang Juni die Bildung antifaschistischer demokratischer Parteien gestattet. Diese Entscheidung fuehrte zur Bildung von vier politischen Parteien in Berlin. Das Moskauer und das Berliner Radio berichteten nacheinander ueber die Bildung der Kommunistischen Partei, der Sozialdemokratischen Partei, einer Christlich-Demokratischen Union und einer Liberalen Partei Deutschland.

Die Leitung der Kommunistischen Partei Deutschlands liegt bei einem Zentralkomitee, das in seiner Mehrheit aus Mitgliedern des alten Zentralkomitees der KPD besteht, die bis vor kurzem in Moskau gelebt haben.

Die Fuehrung der Berliner Sozialdemokraten bezeichnet sich als "Zentralausschuss der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands".[1] Er besteht aus 16 Mitgliedern, unter denen sich fuenf Genossen befinden, die schon vor Hitler in der politischen Oeffentlichkeit als Sozialdemokraten bekannt waren: Gustav Dahrendorf[2], Mitglied des Reichstages und Redakteur am "Hamburger Echo"[3], spaeter fuehrend beteiligt an der Friedensbewegung vom 20. Juli 1944, Max Fechner[4], Mitglied des Preussischen Landtages und Leiter der Kommunalpolitischen Zentralstelle des Parteivorstandes, Carl Litke[5], Mitglied des Reichstages, Mitglied des Parteivorstandes und 2. Vorsitzender der Bezirksorganisation Gross-Berlin, Otto Meyer[6], Mitglied des Landtages und Vorsitzender der Presskommission des "Vorwaerts", Richard Weimann, Sekretaer des Reichsausschusses fuer sozialistische Bildungsarbeit[7]. In spaeteren Sendungen wurde Otto Grotewohl[8], frueher Braunschweig, als Vorsitzender der Partei bezeichnet. Seit Anfang Juli erscheint in Berlin eine Tageszeitung der Sozialdemokraten unter dem Titel: "Das Volk"[9].

Das Zentralkomitee der Kommunisten und der Zentralausschuss der Sozialdemokraten haben am 26. Juni einen gemeinsamen Arbeitsausschuss gebildet, der aus je zehn Mitgliedern der beiden Koerperschaften besteht.[10] Als Aufgaben dieser Zusammenarbeit werden die Ausrottung des Nationalsozialismus, der Aufbau einer neuen demokratischen Republik, die Veranstaltung gemeinsamer Sitzungen und Versammlungen und die gemeinsame Diskussion ideologischer Fragen bezeichnet.

Darueber hinaus wird die Bildung eines Antifaschistischen Blocks aller demokratischer Parteien angestrebt. In Berlin erfolgte die Gruendung dieses Blocks nach einer Meldung des Berliner Radios am 15. Juli. In der neuen Arbeitsgemeinschaft sind die vier Parteien durch je fuenf Delegierte vertreten. Die Aufgabe des "Blocks" ist die Zusammenarbeit in allen Gegenwartsaufgaben unter Aufrechter-

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haltung der organisatorischen Selbstaendigkeit der Parteien. Sowohl die KPD wie die SPD haben ausfuehrliche Aufrufe veroeffentlicht, in denen sie sich mit den Aufgaben des Aufbaus eines demokratischen Deutschland auseinandersetzen.

Die Texte der Aufrufe wurden durch den Rundfunk verbreitet. Der Empfang des sozialdemokratischen Aufrufs war so schlecht, dass bisher nur ein verstuemmelter Auszug in London vorliegt.

Alle diese Angaben ueber die Entwicklung des Lebens der politischen Parteien in Berlin stuetzten sich ausschliesslich auf die Informationen, die wir durch das Abhoeren des Berliner oder Moskauer Senders erhalten konnten. Direkte Verbindungen mit unseren Freunden in Berlin bestehen nicht.

Eine Erklaerung des Parteivorstandes

Zu der Frage der Wiederzulassung der politischen Parteien in allen Teilen des besetzten Deutschland hat der Vorstand der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, Sitz London, am 11. Juli, folgende Erklaerung veroeffentlicht:

"Die Wiederherstellung der Organisations- und Pressefreiheit für die demokratischen Kräfte des deutschen Volkes in allen Teilen des besetzten Deutschland ist eine dringende Notwendigkeit. Ohne diese Freiheit ist es unmöglich, die schweren Probleme der Arbeitsbeschaffung, der Ernährung und Behausung zu lösen, eine neue soziale Demokratie in Deutschland aufzubauen und das deutsche Volk in die Gemeinschaft friedliebender Völker zurückzuführen. Wir hoffen, dass der Zulassung antifaschistischer Parteien in der russischen Besatzungszone baldmöglichst eine gemeinsame Entscheidung aller Besatzungsmächte für eine freie politische Betätigung der demokratischen Kräfte in allen Teilen Deutschlands folgt. Der Vorstand der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands grüsst die sozialdemokratischen Freunde, die die schwere Aufgabe des organisatorischen Wiederaufbaus der Partei in Berlin übernommen haben. Er gibt der Hoffnung Ausdruck, dass auch die Sozialdemokraten in den übrigen Besatzungszonen bald wieder ihre organisatorische und politische Tätigkeit aufnehmen können.

Die Aufgaben der gegenwärtigen Uebergangszeit, der Aufbau und die Sicherung eines neuen demokratischen Deutschland erfordern ein kameradschaftliches und verantwortungsbewusstes Zusammenwirken aller deutschen demokratischen Kräfte. Diese Zusammenarbeit kann nur erfolgreich sein, wenn sie auf gegenseitigem Vertrauen gegründet ist und wenn alle beteiligten Parteien frei sind im inneren Aufbau ihrer eigenen Organisation.

Die sozialdemokratische Partei steht auf dem Boden der inneren Parteidemokratie. Der organisatorische und politische Wiederauf-

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bau der Partei kann daher nur auf dem Wege freier demokratischer Meinungsbildung und der freien Wahl der Funktionäre der Partei durch die Mitgliedschaft erfolgen. Die Konstituierung der Partei in den einzelnen Orten und Bezirken auf dieser demokratischen Grundlage muss daher eine der vordringlichen Aufgaben der Ausschüsse oder Gruppen von Sozialdemokraten sein, die sich den Wiederaufbau der Partei zum Ziel gesetzt haben.

Der Vorstand der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands hofft, dass auch bald die Voraussetzungen für die Abhaltung einer Tagung der Gesamtpartei geschaffen sein werden, an die der Vorstand das ihm von der letzten legalen Reichskonferenz der Partei im April 1933 übertragene Mandat zurückgeben kann und auf der die Delegierten nach mehr als zwölf Jahren der Unterdrückung und der Illegalität frei und unabhängig über die Politik und die Leitung der wieder erstandenen Sozialdemokratie entscheiden können. Bis zu diesem Zeitpunkt fühlt sich der Vorstand an sein Mandat der Treuhänderschaft gegenüber der Gesamtpartei gebunden."

Die deutsche sozialistische Arbeiterbewegung hat wieder eine Anzahl von sehr schmerzlichen Verlusten zu beklagen:

Genosse Theodor Haubach, Dr.phil., Frankfurt a. M.

ist vor Vollendung seines 50. Lebensjahres Ende Januar 1945 in Berlin durch die Nazis durch Erhängen hingerichtet worden. Der Name des Gen. Haubach hatte schon in der Vorhitlerzeit als Redakteur am "Hamburger Echo", als Gauvorstandsmitglied beim Reichsbanner "Schwarz-Rot-Gold" und in der republikanischen und sozialistischen Bewegung einen guten Klang. Zusammen mit Carlo Mierendorff und anderen jüngeren Sozialdemokraten und Republikanern gehörte Haubach zu den leidenschaftlichsten und aktivsten Bekämpfern des Nationalsozialismus. Haubach hat auch in der Zeit des Hitlerregimes trotz aller Verfolgungen den Kampf nicht aufgegeben. Er war einer der führenden Sozialdemokraten in der Friedensbewegung des 20. Juli, und er wurde in diesem Zusammenhang erneut von der Gestapo verhaftet. Wahrscheinlich wurde er wie zahlreiche andere beteiligte Politiker zu einer hohen Zuchthausstrafe verurteilt.[11] Als die Nazis die militärische Katastrophe kommen sahen, brachten sie Haubach um. Er starb als eines der letzten Opfer der Diktatur und starb als mutiger Kämpfer!

Erich Kuttner, Jurist, Berlin-Schöneberg,

ehemaliger Redakteur am "Vorwärts", der Chemnitzer "Volksstimme"[12], der "Glocke"[13], "Lachen links"[14] und Verfasser zahlreicher Broschü-

(Fortsetzung Seite 20)

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Die "Union deutscher sozialistischer Organisationen in Grossbritannien" ist eine Arbeitsgemeinschaft folgender Vertretungen deutscher sozialistischer Fluechtlinge: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD), Sozialistische Arbeiter-Partei (SAP), Gruppe "Neu-Beginnen" (NB) [und] Internationaler Sozialistischer Kampfbund (ISK). Die Union wurde im Fruehjahr 1941 gegruendet. Sie stellte sich die Aufgabe, am Sturz des Hitler-Systems zu arbeiten und an der Seite der Alliierten fuer die Niederlage Hitlers zu wirken.

Darueber hinaus benutzten wir die Moeglichkeiten, in einem freien Lande die Voraussetzungen und die Aufgaben einer kommenden einheitlichen sozialistischen Partei in Deutschland zu diskutieren und zu klaeren. Wir wollten damit unseren Freunden in Deutschland bei der schwierigen Aufgabe helfen, nach dem Sturz der Hitlerdiktatur eine freie sozialistische Arbeiterbewegung aufzubauen. In programmatischen Richtlinien haben wir unsere Gedanken ueber die Zielsetzung und die praktische Politik einer neuen deutschen sozialistischen Partei entwickelt.

Diese Richtlinien werden wir in Kuerze veroeffentlichen. Zunaechst legen wir heute ein
Sofortprogramm fuer die oertliche Selbstverwaltung vor.

Der Aufbau eines neuen freiheitlichen, demokratischen, sozialen und friedlichen Deutschland und die Beseitigung aller nationalsozialistischen, nationalistischen und militaristischen Elemente in Deutschland kann nur gelingen, wenn den demokratischen Kraeften im deutschen Volk Freiheit der Organisation und der Aktion gelassen wird.

Wir sind uns der Grenzen bewusst, die unter der Herrschaft der Besatzungsmaechte einer selbstaendigen und aufbauenden Politik deutscher Sozialisten gezogen sind. Aber es gibt ein gemeinsames Interesse der deutschen freiheitlichen Kraefte und der Besatzungsmaechte, sofort mit der Reinigung des deutschen Volkskoerpers von allen nationalsozialistischen Einfluessen zu beginnen und das taegliche Leben des deutschen Volkes, vor allem Arbeit, Brot und Wohnung, zu sichern. Die Heranziehung und die Mitarbeit deutscher sozialistischer und anderer demokratischer Organisationen dient dieser Sicherung. Sie ist gleichzeitig der erste Schritt beim Wiederaufbau eines demokratischen Deutschland.

Das Sofortprogramm soll Richtlinien fuer diese Arbeit geben.

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Sie sind in der Annahme aufgestellt worden, dass die deutschen antifaschistischen Kräfte vor der Aufgabe stehen werden, aus eigener Kraft und unter eigener Verantwortung das Chaos der Niederlage zu meistern, die notwendige Reinigung zu vollziehen und die Grundlagen für eine neue demokratische und soziale Ordnung in Deutschland zu legen.

Daraus folgt die begrenzte Anwendbarkeit der Richtlinien auf die heute in Deutschland tatsächlich gegebenen Verhältnisse. Auf manchen Gebieten ist unseren Freunden in Deutschland gegenwärtig jeder Einfluss verwehrt. Auf anderen Gebieten sind notwendige Sofortmassnahmen durch die von den Besatzungsbehörden eingesetzten Verwaltungsorgane nach den Anweisungen der Besatzungsmächte durchzuführen. Die Entwicklung echter demokratischer Selbstverwaltung kann jedoch nur vorbereitet und selbst die dringlichen Notmassnahmen können nur dann wirksam durchgeführt werden, wenn schon heute alle demokratischen Kräfte und ihre Organisationen zur Mitarbeit herangezogen werden.

Es ist die erklärte Politik der Alliierten, Deutschland nicht selber zu verwalten, sondern die entstehende Verwaltung im Sinne der Sicherungspolitik der Alliierten zu kontrollieren. Hier liegt die Möglichkeit einer eigenen Initiative unserer Freunde für eine wirkliche Selbstverwaltung. Von der Kraft und dem zielbewussten Einsatz dieser Initiative wird in hohem Mass abhängen, wann und in welchem Umfang den deutschen demokratischen Kräften die Selbstbestimmung in der innerdeutschen Politik zurückgegeben wird. Wir glauben, dass unser Sofortprogramm brauchbare Hinweise für Richtung und Inhalt dieser Initiative enthält. Dabei erscheint uns der Geist unserer Richtlinien wichtiger als die Methoden ihrer Durchführung. Diese werden in hohem Mass von örtlichen Verhältnissen abhängen.

Im gleichen Sinn möchten wir die Richtlinien für Straf- und Sicherungsmassnahmen verstanden wissen. Wir hoffen, dass deutschen Stellen die Möglichkeit gegeben wird, gegen alle Hauptträger, Hintermänner und Helfershelfer der Naziherrschaft, die von den Vereinten Nationen nicht zur Rechenschaft gezogen werden, Strafen und sichernde Massnahmen nach den vorliegenden Richtlinien zu verhängen.

Dieses Sofortprogramm ist ein Versuch, unter den schwierigen Bedingungen der räumlichen Trennung unseren Freunden in Deutschland bei der Durchführung und Lösung ihrer schweren Aufgaben zu helfen. Möge es ein fruchtbarer Beitrag zu unserer gemeinsamen Aufgabe sein, ein neues freiheitliches, demokratisches, soziales und friedliches Deutschland zu sein.

London, im Juli 1945

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SOFORTPROGRAMM FUER DIE OERTLICHE SELBSTVERWALTUNG


Die Koerperschaften der oertlichen und bezirklichen gemeindlichen Selbstverwaltung muessen ohne Zeitverlust demokratisch gesinnte vorlaeufige Vertretungen erhalten.

Mit der Bestellung dieser Vertretungen (vorlaeufige Orts- und Kreis- (Bezirks-)raete) kann wegen der Dringlichkeit nicht ueberall gewartet werden, bis demokratische Wahlen moeglich sind.

Soweit demokratische Wahlen noch nicht moeglich sind, sind die Ortsraete aus Vertretern aller derjenigen Antinaziorganisationen zu bilden, die auch als zuverlaessige Kraefte beim Aufbau eines neuen demokratischen und sozialen Staaten anzusehen sind.

Neben neu entstehenden politischen Organisationen werden Vertretungen der Betriebsbelegschaften und Gewerkschaften sowie Interessenvertretungen von Arbeitern, Bauern und andern Bevoelkerungsschichten an der Bildung der Ortsraete beteiligt.

Mitglieder der Orts- und Kreis (Bezirks-)raete koennen ohne Ruecksicht auf Religionsbekenntnis oder sog. Rassenzugehoerigkeit nur Personen werden, die durch Betaetigung in der Illegalitaet oder durch sonstiges Verhalten in der Zeit der Naziherrschaft ihre antifaschistische und freiheitlich-demokratische Gesinnung bewiesen haben.

Die Orts- und Bezirksraete faellen ihre grundsaetzlichen und politischen Entscheidungen im demokratisch-parlamentarischen Verfahren. Zur Durchfuehrung ihrer Beschluesse und fuer die laufende Verwaltung bestellen sie Ausschuesse oder Vertrauensleute mit den notwendigen Vollmachen.

1. Aufloesung der NSDAP, ihrer Gliederungen und angeschlossenen Organisationen. Das beschlagnahmte Vermoegen und die Einrichtungen der Organisationen haben die Orts- und Kreis- (Bezirks-)raete bis zur Entscheidung ueber ihre zukuenftige Verwendung zu verwalten.

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2. Verhaftung

a) aller Funktionaere der Naziorganisationen bis herab zu den politischen Leitern der Ortsgruppen;

b) aller Mitglieder der SS, der Gestapo und des Sicherheitsdienstes (SD);

c) aller Mitglieder der SA und der NSDAP sowie der unteren Funktionaere ihrer Gliederungen und angeschlossenen Organisationen (Blockwarte, Zellenwarte, Betriebsvertrauensleute usw.), die sich aktiv an den Terrormassnahmen der Nazidiktatur beteiligt haben;

d) sonstiger Personen, die in fuehrender Stellung durch aktive Hilfe und Rat das Nazisystem absichtlich gefoerdert und gestuetzt haben.

Die Verhaftungen haben sofort und ohne Ruecksicht auf die Bedeutung der Betreffenden fuer Verwaltung und Wirtschaft zu erfolgen. Das Vermoegen der Verhafteten ist zu beschlagnahmen; die den Verhafteten aus oeffentlichen Kassen zustehenden Bezuege sind zu sperren.


3. Uebernahme der Kommunalverwaltung

Nicht verhaftete leitende Kommunalbeamte einschl[iesslich] der leitenden Angestellten kommunaler Betriebe, Wohlfahrtseinrichtungen und Fuersorgeeinrichtungen werden ihrer Aemter enthoben; ihre Bezuege werden gesperrt. Ueber ihre weitere Verwendung wird nach Pruefung ihres dienstlichen und politischen Verhaltens waehrend des Naziregimes entschieden.

Die uebrigen nicht verhafteten Kommunalbeamten haben ihren Dienst unter der neuen Verwaltung fortzusetzen, vorbehaltlich einer spaeteren Entscheidung ueber ihre kuenftige Verwendung.

Die Aufgaben der leitenden Kommunalbeamten und Angestellten werden vorlaeufig Vertrauensleuten der Orts- bezw. Kreis- (Bezirks-)raete uebertragen. Bewaehrte Kommunal- und Verwaltungsbeamte, sonstige zuverlaessige Personen mit kommunalpolitischer Erfahrung, zuverlaessige leitende Angestellte in kommunalen Unternehmungen oder im landwirtschaftlichen Versorgungs- und Verteilungsapparat aus der Nazizeit sind dabei in erster Linie zu beruecksichtigen.


4. Freilassung von Gefangenen

Alle Gefangenen, die aus politischen Gruenden oder auf Grund von Ausnahmegesetzen gegen bestimmte Bevoelkerungsgruppen sich noch in Haft befinden, werden befreit.

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Soweit nicht bereits wieder Gerichte eingesetzt sind, werden vorlaeufige Schiedsstellen eingerichtet. Sie werden von den Ortsraeten mit vertrauenswuerdigen, moeglichst rechtskundigen Personen besetzt. Aufgaben der Schiedsstellen sind:

a) in Strafsachen, in denen eine Geldstrafe ausreichend erscheint, eine solche zu verhaengen;

b) in Strafsachen anderer Art die Inhaftnahme des Taeters anzuordnen, wenn sie [für] die Durchfuehrung eines spaeteren Strafverfahrens notwendig erscheint;

c) in anderen dringenden Rechtsangelegenheiten vorlaeufig verbindliche Anordnungen zu treffen.

Die Parteien duerfen nicht von Rechtsanwaelten oder berufsmaessigen Rechtsbeistaenden vertreten werden, die Mitglieder der NSDAP oder Amtstraeger des NS-Rechtswahrerbundes gewesen sind. Nicht verhafteten richterlichen Beamten und nicht verhafteten hoeheren Beamten der Staatsanwaltschaft, soweit sie Mitglieder der NSDAP oder Amtstraeger ihrer Gliederungen oder der ihr angeschlossenen Verbaende waren, sind die Bezuege zu sperren.

Aufgaben der Staatsanwaltschaft, die ihr in der Uebergangszeit verblieben sind oder aus der Mitwirkung bei der Taetigkeit der Schiedsstellen erwachsen, sind von den von der Sperrung der Bezuege nicht betroffenen Beamten der Staatsanwaltschaft und erforderlichenfalls von Vertrauensleuten der Ortsraete wahrzunehmen. Dafuer sind in erster Linie zuverlaessige rechtskundige Personen oder zuverlaessige Personen des mittleren Justizdienstes heranzuziehen.

Fuer die Aburteilung der aktiven Nazis durch besondere Stellen siehe die Richtlinien fuer Straf- und Sicherungsmassnahmen gegen Nazis.

Die gemeindlichen Selbstverwaltungskoerperschaften schaffen eine neue Polizei. Diese hat

die Aufloesung der Naziorganisationen zu ueberwachen;
die oeffentliche Sicherheit aufrecht zu erhalten;
die illegale Weiterexistenz und Taetigkeit der verbotenen Naziorganisationen zu verhindern;
die demokratischen Freiheiten und den demokratischen Neuaufbau zu sichern.

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Die neue Polizei tritt an die Stelle der Schutzpolizei und der Gendarmerie. Mitglieder der neuen Polizei koennen nur werden:

Angehoerige illegaler antifaschistischer Gruppen,
Mitglieder frueherer republikanischer Schutzorganisationen oder Polizeibeamte, die 1933 oder in den ersten Jahren der Hitlerdiktatur entlassen wurden, soweit diese Personen sich unter der Nazidiktatur als Antifaschisten bewaehrt haben.
Beamte der Schutzpolizei, die sich als Antifaschisten bewaehrt haben, koennen in die neue Polizei uebernommen werden.

Die neue Polizei untersteht der ausschliesslichen Befehlsgewalt der vorlaeufigen Orts- bezw. Kreis- (Bezirks-)raete.

Nur die Mitglieder der neuen Polizei haben das Recht, Waffen zu tragen. Die vorlaeufigen Orts- bezw. Kreis- (Bezirks-)raete koennen darueber hinaus einzelnen Personen die Erlaubnis zum Waffentragen erteilen. Alle Waffen in Privat- oder Organisationsbesitz werden beschlagnahmt.

Die Gestapo und der Sicherheitsdienst (SD) werden aufgeloest; ihre Angehoerigen werden verhaftet.

Die nicht verhafteten leitenden Beamten aller uebrigen Zweige der Polizei werden ihrer Aemter enthoben. Ihre Bezuege werden gesperrt. Ueber ihre weitere Verwendung wird nach Pruefung ihres dienstlichen und politischen Verhaltens unter dem Naziregime entschieden.

Die uebrigen nicht verhafteten Beamten stehen zur Verfuegung der vorlaeufigen Orts- bezw. Kreis- (Bezirks-)raete, vorbehaltlich der spaeteren Entscheidung ueber ihre endgueltige Verwendung.

Alle Arten von Hilfspolizei, die die Nazis zur Sicherung ihres Systems aus- oder aufgebaut haben, wie Land- und Stadtwacht und Werkpolizei, sowie die Technische Nothilfe werden aufgeloest.

1. Sofortige Inbesitznahme und strenge Ueberwachung aller Vorrats- und Reservelager von Lebensmitteln, Konsumguetern, einschliesslich der Heeres- und Handelsvorraete.


2. Zur Sicherung der Lebensmittelversorgung ist notwendig:
Volle Aufrechterhaltung des Rationierungssystems,
Beseitigung aller Unterschiede in den Rationen nach Nationalitaet, Religion oder Rasse.

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Grosse Vorraete sollen zum Ausgleich fuer Mangelgebiete zur Verfuegung gehalten werden.
Beibehaltung der Preisfestsetzungen und Hoechstpreis-Vorschriften.
Strenges Vorgehen gegen Schwarz- und Schleichhandel.
Schaerfste Massnahmen gegen Sabotage aller Art.
Aufrechterhaltung bezw. Einrichtung von Schul- und Massenspeisungen.


3. Zur Sicherstellung ausreichender Lebensmittellieferungen, die nur in engster Zusammenarbeit mit Vertretern der Bauern, Landarbeiter und Genossenschaften erreicht werden kann, ist notwendig:

Sofortige Uebernahme der Betriebe und Einrichtungen des ehemaligen Reichsnaehrstandes;
Uebernahme und Fortfuehrung des bestehenden Versorgungs- und Verteilungsapparates;
Beibehaltung von Ablieferungskontingenten fuer alle landwirtschaftlichen Betriebe;
Bereitstellung der notwendigen Arbeitskraefte fuer die Landwirtschaft;
Regelung des Lebensmittelstransports in enger Zusammenarbeit von staedtischen und laendlichen Vertretungskoerperschaften;
schaerfstes Vorgehen gegen Lieferungsverweigerung und gegen andere Sabotage der oeffentlichen Lebensmittelversorgung.


4. Zur Aufrechterhaltung der lebenswichtigen Betriebe ist notwendig:

Uebernahme aller oeffentlichen Versorgungsbetriebe (Gas-, Wasser- und Elektrizitaetswerke) sowie aller sonstigen oeffentlichen Unternehmungen in die eigene Regie der gemeindlichen Selbstverwaltung.
Oeffentliche Kontrolle des gesamten Gueterbefoerderungswesens.

Alle Zivil-Evakuierten oder von auswaerts zugezogenen Arbeitskraefte sind, soweit sie arbeitslos werden, in die oertlichen Massnahmen fuer die Beschaeftigung, Unterbringung und Verpflegung in gleicher Weise und unter den gleichen Bedingungen wie die Ortsansaessigen einzubeziehen.

Fuer Zivilevakuierte und Arbeiter, die auf der Rueckreise aus den ehemals besetzten Laendern in ihre frueheren Wohnorte begriffen sind, muessen die oertlichen Selbstverwaltungskoerperschaften Unterkunfts- und Verpflegungsmoeglichkeiten bereitstellen.

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Sicherung der Lebensmittelversorgung, Unterbindung von Preiserhoehungen und Ankurbelung der Konsumgueterproduktion wirken auch der Gefahr der Inflation und Teuerung entgegen. Darueber hinaus sind folgende Massnahmen unerlaesslich:

Voruebergehende Sperrung aller Banken und Sparkassen;
Limitierung der Abhebungen von Guthaben;
Kontrolle der Verwendung groesserer Ueberweisungen und Abhebung fuer Lohnzahlungen, Unterstuetzungszwecke, Betriebskredite usw.;
die Ausgabe von Notgeld muss eine kurzfristig zu liquidierende Notmassnahme bleiben. Aus demselben Grund sollen Loehne und oeffentliche Unterstuetzungsmassnahmen und Renten aller Art unveraendert bleiben.

Die Massnahmen haben nur dann Erfolg, wenn sie in ihrer Gesamtheit durchgefuehrt werden. Sollten Anordnungen der Besatzungsbehoerden den Erfolg unmoeglich machen, so kann nicht mehr die Verhinderung der Inflation, sondern nur die Sicherung der Lebensnotwendigkeiten der arbeitenden Bevoelkerung das Ziel sein.

Es muss versucht werden, die wirtschaftlichen und sozialen Folgen des Zusammenbruchs abzuschwaechen und es nicht zu lang anhaltender Unterbrechung der Produktion kommen zu lassen. Hierfuer ist, ueber die einzelnen Betriebe hinaus, oertliche und bezirkliche Zusammenarbeit der gemeindlichen Selbstverwaltungskoerperschaften mit Vertretern der Betriebsbelegschaften von entscheidender Bedeutung.

1. In industriellen und landwirtschaftlichen, privaten und oeffentlichen Betrieben sollen die Arbeitnehmer sich sofort kontrollierenden Einfluss auf die Betriebsleitung sichern.

Diese neuen Betriebsvertretungen, beraten durch technische Sachverstaendige und Fachausschuesse, sollen bei notwendigen Umstellungen der Betriebe nach folgenden Richtlinien vorgehen:

moeglichst vielen Beschaeftigung zu geben,
Rohstoffe sparsam zu verwenden,
leicht und schnell herstellbare Massengebrauchsgueter zu erzeugen.

Durch ueberbetriebliche Verstaendigung muss versucht werden, die Produktionsmassnahmen den Gesamtbeduerfnissen eines Ortes oder Bezirkes anzupassen, um sie moeglichst bald auf noch breiterer Basis planmaessig weiter entwickeln zu koennen.

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2. Massnahmen gegen Massenarbeitslosigkeit

Die durch Betriebsstillegungen und Arbeiter-Entlassungen entstehende Arbeitslosigkeit soll durch planmaessige Arbeitsbeschaffung der Arbeitsaemter und der gemeindlichen Selbstverwaltungskoerperschaften gemildert werden.

In gebombten Gebieten muss sofort mit Aufraeumungs- und Wiederherstellungsarbeiten angefangen werden.

Ueberall sind infolge des Krieges lange zurueckgestellte Instandsetzungsarbeiten auszufuehren, z.B. auf dem Gebiet des Transport-, Wohnungs- und des Gesundheitswesens.

Die Herstellung von Notstandsquartieren ist, ebenso wie die Anlage und der Betrieb von Massenspeisungen, dringend erforderlich.

Der dringende Bedarf der Landwirtschaft an Arbeitskraeften wird und muss durch Arbeiter der staedtischen Gebiete mit befriedigt werden.

Alle, die in ihrem Beruf zur Zeit nicht beschaeftigt werden koennen, sollten in Gruppen der Aufbauarbeit zusammengefasst werden, bis sie in einen normalen Produktionsprozess wieder eingegliedert werden koennen.

Die gemeindlichen Selbstverwaltungskoerperschaften sollen sich mit den Arbeitsaemtern ueber die Einrichtung von Stellen verstaendigen, die den aus dem Kriegsdienst oder der Kriegsbeschaeftigung Entlassenen bei der Entscheidung ueber den zu ergreifenden Beruf und ev[t]l. bei der Ausbildung dafuer behilflich sind.

Die Druckereien und Verlagseinrichtungen der verbotenen Zeitungen und Zeitschriften der Nazizeit sind von den gemeindlichen Selbstverwaltungskoerperschaften (und zwar fuer das Gebiet der Landkreise oder Bezirke) von diesen zu beschlagnahmen und in treuhaenderische Verwaltung zu nehmen.

Soweit beschlagnahmte Einrichtungen aus dem frueheren Eigentum zuverlaessiger demokratischer Organisationen stammen, sind sie diesen zurueckzugeben. Die Benutzung der uebrigen sichergestellten Einrichtungen ist fuer die Herstellung und den Vertrieb von Zeitungen, Zeitschriften und sonstigen Presseerzeugnissen ausschliesslich zuverlaessigen und demokratischen Organisationen zu gestatten.

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Die Herausgabe von Zeitungen und Zeitschriften unterliegt der Genehmigung. Sie kann nur bei einer zuverlaessig demokratischen Zusammensetzung der Verlags- und Schriftleitung erteilt werden. Sie ist jederzeit widerruflich. Ueber die Genehmigung entscheiden die gemeindlichen Selbstverwaltungskoerperschaften und zwar fuer die Landkreise und Bezirke ausschliesslich diese.

Die oertlichen und bezirklichen Selbstverwaltungskoerperschaften haben auf dem Gebiet der Erziehung folgende Aufgaben:

1. Die Bildung oertlicher und bezirklicher Vertrauensausschuesse aus politisch zuverlaessigen Eltern und Lehrern, sowie Angehoerigen anderer Berufe.

Die Aufgaben dieser Ausschuesse sind:

a) Vorschlaege einzubringen ueber die Entlassung von paedagogisch ungeeigneten Personen aus dem Schuldienst, die nicht ohnehin nach den Bestimmungen ueber die Entfernung von Nazi-Beamten auszuscheiden haben;

b) Saeuberung aller Schulen von nationalsozialistischen und militaristischen Einrichtungen;

c) Vorschlaege einzubringen zur Besetzung von Schulleiter- und Lehrerstellen, dabei sind auch Laien mit paedagogischer Begabungen zu beruecksichtigen;

d) Betreuung der Jugend in der Zeit bis zur Wiederaufnahme des Unterrichts. Dafuer sind zuverlaessige Lehrer und freiwillige Helfer zu bestellen. Politisch zuverlaessige Einrichtungen und freie Organisationen der Jugendwohlfahrt und Jugendbewegung sollen zur Mitarbeit herangezogen werden.

e) sonstige Vorarbeit fuer die Wiederaufnahme des Unterrichts.

2. Einrichtungen von Heimen fuer heimat- und elternlose Kinder; Betreuung von noch nicht aufgeloesten Kinderlagern.

3. Einrichtung von Arbeitsstaetten, in denen Schulentlassene bis zum Alter von 20 Jahren, die noch nicht im Berufsleben stehen, und noch nicht wieder eingeschulte Schueler der hoeheren Lehranstalten zu gemeinnuetziger Arbeit herangezogen werden.

4. Wiedereroeffnung der Schulen unter Einfuehrung eines neuen vorlaeufigen Lehrplans.

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Der systematische Geschichtsunterricht wird erst wieder aufgenommen, nachdem ein neuer Lehrplan in Uebereinstimmung mit den Grundsaetzen und Zielen des neuen Staates ausgearbeitet worden ist.

Solange eine normale Schulzeit nicht durch den Unterricht in den elementaren Lehrfaechern ausgefuellt wird, ist der Unterricht durch praktische Arbeiten und Spiele zu ergaenzen.

Es werden paedagogische Einfuehrungskurse fuer die zum Schuldienst heranzuziehenden Laien und Auffrischungskurse fuer Lehrer eingerichtet.

5. Schueler der ausgesprochenen nationalsozialistischen Lehranstalten (Nationalpolitische Schullandheime, Adolf-Hitler-Schulen und Ordensburgen) werden in Gemeinschaftslagern untergebracht, wo ihre Einfuehrung in die neuen Verhaeltnisse mit erzieherischen Mitteln versucht werden wird.

6. Alle Hochschulen werden bis zu ihrer gruendlichen sachlichen und personellen Umstellung geschlossen. Institute der Hochschulen, die, wie Kliniken und Laboratorien, nicht nur dem Unterricht und der Forschung dienen, werden weitergefuehrt.

7. Die Gruendung oder Wiedereroeffnung von Anstalten der Erwachsenenbildung (Abendvolkshochschulen, Volkshochschulheime oder Volksbuechereien) ist zu unterstuetzen.

8. Die Bildung von freiwilligen Jugendgruppen durch politisch und erzieherisch einwandfreie Personen [und] Gruppen ist zu foerdern.

9. Theater und Filmtheater unterliegen der Kontrolle der Einzelgemeinden, die hierfuer Schriftsteller, Schauspieler und Buehnenleiter heranzuziehen haben. Filme und Buehnenstuecke mit nationalsozialistischer Tendenz duerfen zur Auffuehrung nicht zugelassen werden. Dagegen ist die Auffuehrung von Filmen und Buehnenstuecken zu foerdern, die den Ideen der Demokratie, der Voelkerverstaendigung und der sozialen Verantwortung Ausdruck geben.

10. Der Verkauf und das Ausleihen von Buechern nationalsozialistischen oder voelker- oder rassenverhetzenden Inhalts ist zu unterbinden. Die oeffentlichen Buechereien sollen unter Hinzuziehung von Vertretern der Schriftsteller und der Volksbildung von Buechern solcher Art gereinigt und sobald wie moeglich fuer die oeffentliche Benutzung freigegeben werden.

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RICHTLINIEN FUER STRAFMASSNAHMEN GEGEN NAZIS UND FUER
DIE REINIGUNG DER VERWALTUNG


Die Haupttraeger, Hintermaenner und Helfershelfer der Naziherrschaft und die Hauptschuldigen am Kriege, soweit sie den militaerischen Zusammenbruch und seine unmittelbaren Folgeerscheinungen ueberleben sollten, koennen mit den Mitteln des Strafrechts allein nicht unschaedlich gemacht werden. Die notwendige Sicherung wuerde nicht erreicht, wollte man sie auf Personen beschraenken, denen strafbare Handlungen im Sinne des Strafgesetzes nachgewiesen werden koennen.

Es bedarf vielmehr noch politischer Massnahmen ausserhalb der Rechtspflege, um der Groesse des straeflichen Verhaltens all derer gerecht zu werden, die soviel Unheil ueber das eigene Volk und die Welt gebracht haben. Fuer die Anwendung dieser Massnahmen koennen nicht einzelne Handlungen massgebend sein, sondern das Gesamtverhalten derer, die die Verantwortung tragen fuer die geschichtliche Periode, die durch den Zusammenbruch der Naziherrschaft den Urteilsspruch der Geschichte bereits gefunden hat.

Zur Sicherung von Welt und Volk vor der Wiederholung gleich frevelhaften Spiels mit Freiheit und Frieden ist das Naziregime durch folgende, einer zentralen Anordnung beduerfende Massnahmen zu liquidieren.

I. Politische Tribunale

Fuer den Bezirk jeden Oberlandesgerichts werden politische Volkstribunale eingesetzt. Sie sind voruebergehende Einrichtungen zur Durchfuehrung der Reinigung und Sicherung. Sie entscheiden in der Besetzung von drei Mitgliedern, von denen eins die Faehigkeit zum Richteramt haben muss. Den Vorsitz fuehrt der Jurist. Die Mitglieder der Volkstribunale werden von dem vorlaeufigen Orts- bezw. Kreis- (Bezirks-)rat berufen, der fuer den Sitz des Volkstribunals zustaendig ist. Der Spruch der Volkstribunale ist endgueltig.

Die politischen Volkstribunale entscheiden ueber:

1. Personen in Staat, Wehrmacht, Wirtschaft und oeffentlichem Leben, die in fuehrender Stellung durch aktive Hilfe und Rat dem Nationalsozialismus zur Machtergreifung verholfen oder die Naziherrschaft oder die Vorbereitung des Krieges absichtlich erheblich gefoerdert haben;

2. alle Personen, die in der NSDAP den Rang eines Gauleiters oder einen entsprechenden Rang in ihren Gliederungen und angeschlos-

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senen Verbaenden bekleidet haben;

3. alle Angehoerigen der Gestapo oder des Sicherheitsdienstes, die mindestens im Rang einem politischen Leiter der Ortsgruppen der Partei gleichstanden;

4. alle sonstigen Funktionaere der Naziorganisationen bis herab zum Rang der politischen Leiter der Ortsgruppen der NSDAP, wenn sie sich besonders aktiv an der Durchfuehrung und Aufrechterhaltung der Nazidiktatur beteiligt haben;

5. Personen, die ihnen von den Volksgerichten ueberwiesen werden, weil sie unwiderlegt behaupten, an die Rechtmaessigkeit ihrer Handlungen geglaubt zu haben.

Die Volkstribunale erkennen auf Tod oder lebenslaengliche Verwahrung.

Die notwendige Reinigung und Sicherung erlaubt nicht das Weiterleben der Hauptverantwortlichen der Weltkatastrophe und der Haupttraeger des Systems, das zu ihr gefuehrt hat. Sie verlangt dauernde Sicherung gegen ihre bewussten Helfershelfer, insbesondere auch gegen die, die sich auf Grund der Verwirrung, die die Naziordnung im Rechts- und Sittlichkeitsbewusstsein angerichtet hat, auf die Rechtmaessigkeit ihres strafbaren Tuns berufen.

II. Volksgerichte

Fuer den Bezirk jeden Oberlandesgerichtes werden Volksgerichte eingesetzt. Sie entscheiden in der Besetzung von 5 Mitgliedern, von denen zwei die Faehigkeit zum Richteramt haben muessen. Den Vorsitz fuehrt einer der Juristen. Die Mitglieder werden von den vorlaeufigen Orts- bezw. Kreis- (Bezirks-)raeten ernannt. Das Verfahren regelt sich nach der Strafprozessordnung, wie sie vor dem 30. Januar 1933 galt. Jedoch brauchen der Verteidigung nicht mehr Rechte eingeraeumt zu werden, als sie vor dem Kriegsausbruch hatte.

Die Volksgerichte sind zustaendig fuer folgende im In- oder Ausland begangene Handlungen:

1. alle Arten vorsaetzlicher Toetung;

2. Brandstiftung und Sprengstoffverbrechen;

3. Freiheitsberaubung;

4. vorsaetzliche Koerperverletzung;

5. Raub, Diebstahl, Erpressung, alle Arten strafbarer Bedrohung und Noetigung, einschl[iesslich] der Pluenderung im Sinne des Militaerstrafgesetzbuches;

6. Bestechung;

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7. Hochverrat gegen auslaendische Staaten, und zwar auch wenn die Gegenseitigkeit nicht verbuergt war oder ein Antrag der auslaendischen Regierung nicht gestellt worden ist, wenn diese Handlungen den nationalsozialistischen Bestrebungen oder den Zwecken der Naziherrschaft dienen sollten oder unter Bezugnahme auf diese Zwecke oder unter Ausnutzung der Zugehoerigkeit des Taeters oder eines der Teilnehmer zur Partei, zu ihren Gliederungen oder angeschlossenen Verbaenden begangen wurden;

8. jede Betaetigung zur Fortsetzung der nationalsozialistischen Bestrebungen oder Fortfuehrung der Partei, ihrer Organisationen oder ihr angeschlossener Verbaende.

Fuer die Strafbarkeit der Handlung gilt im uebrigen das Strafrecht einschliesslich des Militaerstrafrechts, wie es vor dem 30. Januar 1933 gegolten hat, mit folgenden Aenderungen:

a) der strafbare Versuch, die Beihilfe und die Beguenstigung, auch wenn sie Angehoerigen gewaehrt wird, sind wie die vollendete Tat zu bestrafen;

b) die Strafe ist je nach der Schwere der Tat, der Hartnaeckigkeit der betaetigten Gesinnung oder dem Grade der durch sie zutagegetretenen Gefuehllosigkeit oder Neigung zur Roheit und Grausamkeit Zuchthaus bis zu 15 Jahren, lebenslaengliches Zuchthaus oder Todesstrafe;

c) die Verfolgungsverjaehrung hat seit dem 30. Januar 1933 geruht, sie beginnt erst mit dem Ablauf eines Jahres seit der Einsetzung der Volksgerichte wieder zu laufen;

d) die Tatsache, dass dem Taeter im Fall der Unterlassung der Handlung eine gegenwaertige Gefahr fuer Leib oder Leben drohte, schliesst die Strafbarkeit nicht aus, wenn diese Gefahr aus einer Unterstellung unter die Disziplin der Partei, ihrer Gliederungen, der Gestapo oder des Sicherheitsdienstes folgte;

e) Vorschriften, die, ohne in einer fuer die Allgemeinheit zugaenglichen Weise veroeffentlicht zu sein, eine sonst strafbare Handlung gestatteten oder zur Pflicht machten, sind nicht zu beachten. Beruft sich ein Taeter unwiderlegt darauf, dass er auf Grund solcher Vorschriften an die Rechtmaessigkeit seiner Handlungen geglaubt habe, so ist er dem politischen Volkstribunal zu ueberweisen, das fuer den Sitz des Volksgerichts zustaendig ist. Bei der Ueberweisung ist eine tatsaechliche Feststellung dahin zu treffen, welcher strafbaren Handlung der Angeklagte ohne die

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Berufung auf die Rechtmaessigkeit als ueberfuehrt erachtet sein wuerde. Das politische Volkstribunal ist an diese Feststellung gebunden.

Alle seit dem 30. Januar 1933 erlassenen Vorschriften ueber Straffreiheit, Niederschlagung von Verfahren und Erlass von Strafen sind fuer die unter die Zustaendigkeit der Volksgerichte fallenden Straftaten mit rueckwirkender Kraft aufzuheben: Die Vollstreckungsverjaehrung beginnt jedoch erneut zu laufen. Bestehen Zweifel, ob eine erlassene Strafe fuer eine solche Straftat verhaengt worden war, so entscheidet darueber auf Antrag des Verurteilten das Volksgericht, in dessen Bezirk das Gericht gelegen war, das die Strafe verhaengt hat. Bis zur Entscheidung ist die Unterbringung des Verurteilten in einem Zwangsarbeitslager zulaessig.

Sind Personen, die der Zustaendigkeit der politischen Volkstribunale unterstehen, einer strafbaren Handlung verdaechtig, die der Aburteilung der Volksgerichte unterliegt, so darf und muss das Volksgericht die Verhandlung erst beginnen, wenn feststeht, dass der Verdaechtige nicht auf Grund eines Spruches eines politischen Volkstribunals hingerichtet wird.

III. Sichernde Massnahmen

A) Einschliessung zur Zwangsarbeit

Sie ist eine Folge der Verurteilung durch die Volksgerichte und zugleich eine sichernde Massnahme gegen die grosse Menge der Handlager, von denen man gewaertig sein muss, dass sie durch ihre Zugehoerigkeit zu beruechtigten Naziorganisationen unfaehig sind, sich in eine andere Ordnung einzugliedern.

Als gefaehrliche Staats- und Volksschaedlinge sind auf unbestimmte Zeit zur Zwangsarbeit in Lagern einzuschliessen:

1. alle von den Volksgerichten Verurteilten im Anschluss an die verbuesste Strafe;

2. Personen, gegen die die Vollstreckung einer frueheren, von den Nazis erlassenen Strafe fuer eine unter II fallende Straftat wieder aufgenommen worden ist, nach Verbuessung der Strafe oder des Strafrestes;

3. a) alle Personen, die jemals der SS angehoert haben,

b) alle Personen, die jemals in der NSDAP, ihren Gliederungen und den den angeschlossenen Verbaenden mindestens den Rang eines politischen Leiters der Ortsgruppen der Partei bekleidet haben,

c) alle Personen, die jemals der Gestapo und dem Sicherheitsdienst angehoert haben.

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Die Festnahme dieser Personen und ihre Unterbringung in die Lager erfolgt durch die vorlaeufigen Orts- bezw. Kreis- (Bezirks-)raete, in deren Bezirk sie ergriffen werden.


B) Verbannung

Im Ausland befindlichen Deutschen, die waehrend der Naziherrschaft im Auslandsdienst des Reiches gestanden haben oder Amtstraeger der Auslandsorganisationen der Partei gewesen sind, kann das Betreten des Reichsgebiets untersagt werden, wenn ihr Verhalten in einem mit Deutschland in diplomatischen Beziehungen stehenden Staat geeignet war, das Vertrauen in ein voelkerrechtgemaesses Verhalten der deutschen Auslandsvertretungen oder in den Gehorsam der Auslandsdeutschen gegenueber den Gesetzen der Aufenthaltsstaaten zu erschuettern.

Die Verbannung schliesst nicht aus, die Auslieferung zur Aburteilung durch ein Volksgericht oder ein anderes deutschen Gericht zu verlangen.

Die unerlaubte Rueckkehr wird mit Zuchthaus bestraft. An die Zuchthausstrafe schliesst sich Einschliessung zur Zwangsarbeit an.


C) Ehrverlust

1. Die Einschliessung zur Zwangsarbeit, die Anordnung der Verwahrung durch das politische Volkstribunal und die Verbannung haben den dauernden Verlust der buergerlichen Ehrenrechte zur Folge;

2. im uebrigen gehen der buergerlichen Ehrenrechte verlustig:

a) fuer die Dauer von 25 Jahren alle politischen Leiter der NSDAP und entsprechende Funktionaere der Gliederungen sowie die Amtsleiter der angeschlossenen Verbaende, soweit sie Mitglieder der NSDAP waren;

b) fuer die Dauer von 10 Jahren alle Personen, die vor dem Jahre 1933 Mitglieder der NSDAP waren;

c) fuer die Dauer von 5 Jahren alle uebrigen Mitglieder der NSDAP.

Der Verlust der buergerlichen Ehrenrechte hat die dauernde Unfaehigkeit zur Folge, fuer irgendwelche vormundschaftlichen Verrichtungen fuer andere Minderjaehrige als eigene Abkoemmlinge bestellt zu werden oder mit anderen Aufgaben betraut zu werden, die die Obhut oder Beaufsichtigung solcher Minderjaehrigen zum Gegenstand haben.

Der Ehrverlust tritt fuer nach dem 30. Januar 1933 der Partei beigetretene Personen so lange nicht ein, wie sie im oeffentlichen

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Dienst belassen werden.

Die verlustig gegangenen Rechte koennen vor Ablauf der fuer den Verlust bestimmten Zeit wiedergewaehrt werden.


D) Vermoegenseinziehung

Die Verurteilung durch ein Volksgericht, die Anordnung zur Einschliessung zur Zwangsarbeit und die Verbannung haben den Verfall des Vermoegens an den Staat zur Folge. Das Gleiche gilt fuer Gegenstaende, auf die sich eine strafbare Handlung zu II 5 und 6 bezogen hat, auch wenn sie sich nicht oder nicht mehr im Besitz des Verurteilten befinden.

IV. Straffreiheit fuer Antinazis

Abschnitt I bis III finden keine Anwendung auf Personen, die den Naziorganisationen oder der Nazipolizei bekanntermassen oder nachweislich nur zum Schein angehört haben in der Absicht, die Nazis zu bekämpfen oder den Kampf gegen sie vorzubereiten (Antinazis). Sie koennen hierauf einen Einspruch gegen eine etwaige Einschliessung zur Zwangsarbeit oder gegen eine Verfuegung stuetzen, die auf Grund III C 2 den Verlust der buergerlichen Ehrenrechte feststellt. Ueber den Einspruch entscheidet das politische Volkstribunal, das fuer die Stelle zustaendig ist, die die Einschliessung oder den Verlust der buergerlichen Ehrenrechte verfuegt hat. Es kann das persoenliche Erscheinen des Betroffenen anordnen. Es muss dies tun, wenn er es beantragt.

Handlungen von Antinazis, die unter dem Naziregime oder waehrend einer begrenzten Uebergangszeit nach dem Zusammenbruch begangen wurden, sind straffrei, wenn sie der Bekaempfung der Nazis oder der Vorbereitung des Kampfes gegen sie zu dienen bestimmt waren. Im Zweifel entscheidet auf Antrag des Angeschuldigten das politische Volkstribunal ueber die Einstellung des Strafverfahrens.

V. Liquidierung der Nazi-Organisationen

Das Vermoegen der NSDAP, ihrer Gliederungen und der ihr angeschlossenen Verbaende wird Volks- und Staatsvermoegen. Es wird ebenso wie verfallene Vermoegen von Einzelpersonen in einem Wiedergutmachungsfonds verwaltet. Sachwerte, die die Partei und andere aufgelöste Organisationen aus dem Vermögen anderer Körperschaften und Organisationen erhalten haben, sind diesen, ihren Rechtsnachfolgern oder ihren ideellen Funktionsnachfolgern zurueckzuuebertragen.

(Das "Sofortprogramm" auf den Seiten 3 - 19 der "SM" ist als Sonderdruck erschienen (Preis 1/-), es erscheint auch in Englisch.)

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ren, wurde wie wir erst jetzt erfahren, kurz vor seinem 55. Geburtstag im April 1942 von der Gestapo in Amsterdam verhaftet und im Oktober 1942 im Konzentrationslager Mauthausen "auf der Flucht erschossen". Erich Kuttner[15] ist mit dem Kampf der deutschen Demokratie gegen den Nazismus auf das engste verbunden.

Ein tragisches Schicksal hat dem Leben der greisen Genossin

Luise Kautsky[16]

ein Ende gesetzt. Sie wurde von den Nazis aus ihrem Asylland Holland im September 1944 - wenige Wochen nach ihrem 80. Geburtstag - in das Todeslager Auschwitz verschleppt. Dort ist sie wenige Wochen spaeter verstorben. Ihr Sohn, Dr. Benedict Kautsky[17], der im Konzentrationslager Buchenwald befreit wurde, uebermittelte diese tragische Nachricht seinen Freunden in London. Luise Kautsky - selbst eine grosse, aufrechte Sozialistin - ist als die treue Lebensgefaehrtin unseres Karl Kautsky aus der Geschichte der internationalen und der deutschen Arbeiterbewegung nicht wegzudenken.

Lothar Erdmann[18], Berlin,

der Redakteur der Zeitschrift des ADGB "Die Arbeit"[19], ehemaliger Leiter der Presseabteilung des IGB in Amsterdam[20], ist als eines der ersten Opfer des Naziterrors waehrend des Krieges im Konzentrationslager Sachsenhausen ermordet worden. Er befand sich unter den fast 400 Berliner Sozialdemokraten, die zu Beginn des Krieges verhaftet wurden. - Auch in den Reihen unserer Emigration haben wir neue empfindliche Verluste zu beklagen.

Genossin Hilda Monte,

die Verfasserin des kuerzlich im Victor Gollancz-Verlag erschienenen Buches "THE UNITY OF EUROPE"[21], wurde Anfang April 1945 in der Naehe der oesterreichischen Grenze von einer SS-Patrouille erschossen. Hilda Monte war auf dem Weg nach Oesterreich, um der oesterreichischen Widerstandsbewegung wichtige Informationen zu ueberbringen. Kurz vor dem Ende das Nazisystems starb sie im aktiven Dienst fuer die grosse Freiheitsbewegung, der sie in der Emigration mit grossen Faehigkeiten in Wort und Schrift gedient hatte. Im Alter von nur 31 Jahren musste sie ihr Leben lassen, aber ihr Name und ihre Leistungen werden in der Geschichte der Bewegung fortleben. - In London verstarb ploetzlich am 3. Juli 1945

Max Braun, Saarbuecken,

an Herzschlag. Der Genosse Max Braun war Stadtverordneter in Saarbruecken und als Chefredakteur der Volksstimme[22] in Saarbruecken und als Fuehrer der deutschen Sozialdemokraten und Antifaschisten im Saarkampf 1934 und 1935 hervorgetreten. Sein Name ist fuer immer verbunden mit dem tapferen Widerstand der saarlaendischen Freiheitskaempfer gegen die Eingliederung des Saargebietes in das Terrorregime des Dritten Reiches. In der Emigration hat Max Braun[23]

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zunaechst in Frankreich und dann spaeter in England weiterhin seine ganze Kraft und seine grossen Faehigkeiten eingesetzt, um den Sturz der Hitlerdiktatur zu beschleunigen. Wenige Tage spaeter, am 12. Juli, verstarb in London der

Genosse Alfred Abramowitz[24]

nach langem und schwerem Krankenlager. Der Genosse Abramowitz war in der Weimarer Republik ein fuehrender Verwaltungsbeamter Preussens, er ist auch in der Emigration seinen sozialistischen und demokratischen Ueberzeugungen treu geblieben.

In dem kleinen schwedischen Ort Straengäs ist am 30. Juni 1945

Genosse Kurt Pittig[25],Freiberg,

kurz vor Vollendung seines 60. Lebensjahres gestorben. Seit 42 Jahren war Kurt Pittig unermuedlich in den verschiedensten Organisationen der Arbeiterbewegung aktiv taetig. In der Gewerkschafts-, Genossenschafts-, Sport- und Parteibewegung hielt er in Dresden und in Freiberg fuehrende Funktionen inne. Als Lokalredakteur und Parteisekretaer in Freiberg leistete er harte Arbeit unter unguenstigen Verhältnissen. Auch in der Emigration in der Tschechoslowakei war sein Leben ein einziger Arbeitstag. Als der von der Sozialdemokratischen Fluechtlingshilfe eingesetzte Heimleiter in den Fluechtlingsheimen Schloss Zbraslav und im Hörragrund leisteten er und seine Else erfolgreiche Arbeit, die in Robert Grötzschs Roman der sozialdemokratischen Emigration "Wir suchen ein Land"[26] einen dichterischen Niederschlag gefunden hat.

Wir danken all den toten Kaempfern fuer ihre Arbeit und fuer ihre Opfer, die sie der Sache des internationalen Sozialismus leisteten, und wir werden dafuer arbeiten, dass ihre Namen in der deutschen Arbeiterbewegung nicht untergehen werden.

Eine kleine 29seitige Schrift, vom Stockholmer Arbeitskreis demokratischer Deutscher herausgegeben, fordert vom deutschen Volk das "feierliche, öffentliche, staatsrechtlich unmissverständliche Bekenntnis zu den Fundamenten aller Rechtsgemeinschaft zwischen Individuen und Völkern, zu den Gedanken der Menschenrechte als der Grundlage jeder Rechtsordnung."[27]

Die Herausgeber, aus verschiedenen sozialen Verhaeltnissen kommend und sich zu verschiedenen Weltanschauungen bekennend, sind sich einig darin, das Prinzip der Rechtsgemeinschaft als gemeinsame Basis zu betrachten. Die Ideen der Menschenrechte in ihrer zentralen Bedeutung zu zeigen, erachten sie als eine dringende Aufgabe. Die kleine Schrift ist ein wertvoller Beitrag dazu.

[Seite im Original:] - 22 -

gibt ein umfangreiches Programm in deutscher Sprache, das wir auf Wunsch mehrerer Leser mit den gegenwaertigen Sendezeiten zusammenfassend anzuzeigen:

5.00

-

5.15 Uhr :

Nachrichten, Arbeitersendung

6.00

-

6.15 Uhr :

Nachrichten

7.00

-

7.15 Uhr :

Amerika ruft Deutschland

8.00

-

8.15 Uhr :

Nachrichten. Lernt Englisch!

11.00

-

11.15 Uhr :

Nachrichten, Berichte aus Deutschland

12.00

-

12.15 Uhr :

Amerika ruft Deutschland

13.00

-

13.30 Uhr :

Nachrichten [und] Wiederholung der 21-Uhr-Sendung

16.00

-

16.15 Uhr :

Im Spiegel der englischen Presse

16.30

-

17.00 Uhr :

Amerika ruft Deutschland

18.00

-

18.15 Uhr :

Kriegsgefangenensendung

19.00

-

19.20 Uhr :

Nachrichten [und] Kommentare
Montags [und] Donnerstags: Arbeitersendung

20.00

-

20.15 Uhr :

Amerika ruft Deutschland

20.15

-

22.00 Uhr :

Vortraege, Musik

21.00

-

21.30 Uhr :

Nachrichten, Kommentare

22.00

-

22.15 Uhr :

Kriegsgefangenensendung (18-Uhr-Sendung)

22.30

-

23.00 Uhr :

Leichte Musik

23.00

-

23.30 Uhr :

Nachrichten, Wiederholung der 21-Uhr-Sendung




[Hinweis]


Emigrierte deutsche Sozialdemokraten in Holland, Belgien und Island sind mit uns in Verbindung getreten und wuenschen zu ihrer Information aeltere Nummern der "Sozialistischen Mitteilungen". Fast alle Nummern sind jedoch vergriffen. Freunde und Leser, die die "SM" nicht aufbewahren und einzelne Nummern an uns zurücksenden wollen, wuerden uns dann eine Möglichkeit geben, neuen Lesern diese Nummern festzustellen. Es muss damit gerechnet werden, dass sich bald auch Genossen aus Norwegen, Dänemark, Portugal und Spanien mit dem gleichen Ersuchen melden werden.




[Spendenaufruf]


Freiwillige Beiträge
fuer die Herstellung und den Vertrieb dieser "Sozialistischen Mitteilungen" und anderer Vervielfältigungen werden erbeten an:

Wilhelm Sander, 33, Fernside Avenue, London N.W.7.




Issued by the London Representative of the German Social
Democratic Party, 33, Fernside Avenue, London N.W.7. Tel: MIL 3915






Editorische Anmerkungen


1 - Der ZA konstituierte sich am 15. Juni 1945; sein Geltungsbereich ist zunächst Berlin, später auch die Sowjetische Besatzungszone (SBZ).

2 - Gustav Dahrendorf (1901 - 1954), 1924-1933 Redakteur am sozialdemokratischen "Hamburger Echo"; in der Reichsleitung der Jungsozialisten, SPD-MdR 1932/1933, 1933 drei Monate in einem KZ, 1944 im Zusammenhang mit dem Attentat auf Hitler zu 7 Jahren Zuchthaus verurteilt. Im ZA gegen die Vereinigung von SPD und KPD, im Februar 1946 nach Westdeutschland, 1947-1949 Abgeordneter im Frankfurter Wirtschaftsrat.

3 - "Hamburger Echo", 1887-1933 und 1945-1963 sozialdemokratische Tageszeitung.

4 - Max Fechner (1892 - 1973), 1920-1922 Angestellter im Zentralkomitee der USPD, seit 1922 im SPD-Parteivorstand, Redakteur der Zeitschrift "Die Gemeinde", ab 1928 MdL Preußen. 1949-1953 Justizminister der DDR, 1953 wegen "republikfeindlicher Tätigkeit" seines Amtes enthoben und verhaftet; 1956 entlassen, 1958 wieder in die SED aufgenommen.

5 - Karl Litke (1893 - 1962), bis 1922 Steindrucker in Berlin, ab 1912 SPD-Mitglied, 1928-1933 SPD-MdR, 1923-1933 Zweiter Vorsitzender der SPD-Bezirksorganisation Groß-Berlin, Juni-Dezember 1933 in Haft, bis 1939 arbeitslos. Seit 1950 Hauptabteilungsleiter im DDR-Ministerium für Arbeit.

6 - Otto Meier (1889 - 1962), Handlungsgehilfe, später Redakteur und Parteisekretär, 1921-1933 SPD-MdL Preußen, 1939-1940 Schutzhaft bzw. KZ, im August 1944 erneut festgenommen. 1945/1946 Chefredakteur von "Das Volk", der damaligen Zeitung der Ost-SPD, 1946-1952 SED-MdL Brandenburg (Landtagspräsident 1949 - 1952).

7 - Richard Weimann (1890 - 1976), von Beruf Büroangestellter, Geschäftsführer der Reichsarbeitsgemeinschaft der Kinderfreunde. Ab 1946 Vorsitzender des Kulturausschusses der SED und Leiter der entsprechenden SED-Abteilung, ab 1950 Leiter des DEFA-Kurzfilmvertriebs.

8 - Otto Grotewohl (1894 - 1964), bis 1914 Buchdrucker in Braunschweig, 1912 SPD- und Gewerkschaftsmitglied, 1914-1918 Militärdienst, 1918 USPD-Mitglied, 1920-1925 Abgeordneter im Braunschweigischen Landtag, 1921/22 Innen- und Volksbildungsminister des Freistaates Braunschweig, 1923/24 Justizminister ebd., 1925-1933 Vorsitzender des SPD-Landesverbandes Braunschweig, 1925-1933 SPD-MdR, in der NS-Zeit 1938 und 1944 mehrere Monate in Haft. 1946-1954 gemeinsam mit Wilhelm Pieck Vorsitzender der SED, 1949 ff. Ministerpräsident der DDR, 1960 einer der Stellvertreter des Vorsitzenden des Staatsrats.

9 - "Das Volk", erschien 1945/46.

10 - Vgl. Gert Gruner/Manfred Wilke (Hrsg.): Sozialdemokraten im Kampf um die Freiheit. Die Auseinandersetzung zwischen SPD und KPD, München 1981.

11 - T. Haubach war vom Volksgerichtshof zum Tode verurteilt worden.

12 - Die Chemnitzer "Volksstimme" erschien als sozialdemokratische Tageszeitung 1899-1933.

13 - "Die Glocke" (Sozialistische Wochenschrift), erschien 1916-1925 in Berlin.

14 - "Lachen links" (Republikanisches Witzblatt), erschien 1924-1927 als Wochenzeitung in Berlin. Nachfolger und dann wieder Vorgänger von "Der wahre Jakob" (1884-1923 und 1927-1933).

15 - Erich Kuttner (1887 - 1942), Redakteur (u.a. "Volksstimme", Chemnitz, und "Vorwärts", Berlin) und Schriftsteller, 1918 Mitbegründer des Reichsbundes der Kriegsbeschädigten, 1921-1933 SPD-MdL Preußen, 1933 Emigration in die Niederlande, Korrespondent in Spanien während des Bürgerkriegs, 1937 Rückkehr nach Amsterdam, im selben Jahr ausgebürgert, 1940 in die Illegalität.

16 - Luise Kautsky (1864 - 1944), in der Weimarer Republik zeitweise SPD-Stadtverordnete in Berlin, 1924 nach Österreich verzogen, 1938 in die CSR und im selben Jahr nach Amsterdam.

17 - Benedikt Kautsky (1894 - 1960), sozialdemokratischer Historiker und Theoretiker, 1921 ff. Sekretär der Wiener Arbeitskammer, 1938-1945 in den KZ-Lagern Dachau, Auschwitz und Buchenwald. Nach dem Krieg führender Theoretiker der SPÖ. Das Programm der SPÖ von 1958 geht auf ihn zurück.

18 - Lothar Erdmann (1888 - 1939), Gewerkschafter und Sozialdemokrat, 1923-1933 Redakteur von "Die Arbeit", 1939 in das KZ Sachsenhausen eingeliefert, starb an den Folgen von Misshandlungen.

19 - "Die Arbeit" (Zeitschrift für Gewerkschaftspolitik und Wirtschaftskunde), erschien in Berlin Juli 1924-1933.

20 - Von 1921-1923 war Lothar Erdmann in dieser Funktion.

21 - Hilda Monte: The Unity of Europe. With an introduction from H. N. Brailsford, London 1943.

22 - "Die Volksstimme" (Organ der sozialdemokratischen Partei für das Saargebiet), erschien 1908-1934 in Saarbrücken als Tageszeitung.

23 - Max Braun (1892 - 1945), sozialdemokratischer Journalist und Politiker, 1925-1928 zweiter und 1928-1935 erster Vorsitzender der SPD (Saar), 1935 Emigration nach Frankreich, 1940 Großbritannien, dort Rundfunkmitarbeiter.

24 - Alfred Abramowitz (1887 - 1945), in der Weimarer Republik u.a. Ministerialrat im preußischen Innenministerium, 1934 Emigration über die Schweiz nach Großbritannien.

25 - Kurt Pittig (1885 - 1945); Elsa Pittig (geb. 1896). Das Ehepaar wurde 1939 ausgebürgert.

26 - Vgl. Textauszug aus SM 83/84, Febr./März 1946, S. 23 : "Beim Schreiben dieser Zeilen erreicht uns ein Telegramm aus New York mit der schmerzlichen Mitteilung, dass am 6. März 1946 Robert Grötzsch an den Folgen einer Operation wegen Lungenkrebs verstorben ist. Robert Grötsch war viele Jahre Chefredakteur der "Dresdner Volkszeitung" und nach seiner Emigration nach Prag Mitarbeiter am "Neuen Vorwärts", am "Sozialdemokrat" und in New York an der "Volkszeitung". Er hat sich selbst ein Denkmal gesetzt durch seinen Emigrantenroman "Wir suchen ein Land", und durch seine erfolgreichen Kinderbücher und die Märchen für die arbeitende Jugend, die hoffentlich recht bald als Neudrucke in der befreiten Heimat erscheinen werden. Wir werden all unseren toten Genossen ein ehrendes Andenken bewahren." Siehe Robert Grötzsch: Wir suchen ein Land. Roman einer Emigration, Bratislava 1936.

27 - Stockholmer Arbeitskreis demokratischer Deutscher: Die Menschenrechte in einem neuen Deutschland, 2. Auflage, Stockholm 1945.




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