Nr. 27 - 1941 |
Ende Juni |
Sozialistische Mitteilungen News for German Socialists in England | |
This newsletter is published for the information of Social Democratic |
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Mit einem dramatischen Szenenwechsel ist der Weltkrieg, in dem wir uns befinden, in ein neues Stadium gelangt. Hitler hat den Angriff gegen seinen Pakt-Partner Stalin begonnen, Nazi-Deutschland liegt im Kriege mit Sowjet-Russland.[1]
Geht es Hitler um die Besetzung der Ukraine und der kaukasischen Oelfelder? Rechnet er mit der Vernichtung der Roten Armee und dem Zusammenbruch des Sowjetregimes? Glaubt er, dass der Weg nach Osten über Russland leichter zu bewältigen ist als der über Aegypten und Kleinasien? Man kann nicht mit Sicherheit sagen, was Hitler nach dem Steckenbleiben der Offensive in Nordafrika und nach den Rückschlägen im Irak und in Syrien veranlasst hat, seine Divisionen an die russische Grenze zu werfen. Die Sowjetregierung hat erklärt, dass sie sich an den Nichtangriffspakt gehalten habe. Und wenn Hitler erklärt hat, er habe geheime Beweise für feindselige Vorbereitungen Russlands, dann ist dies die gleiche Behauptung, die er bisher jedem Neutralen gegenüber, den er angreifen wollte, aufgestellt hat.
Stalins Politik hat dieselben Erfahrungen gemacht, die jede Politik erlebt hat, die mit Hitler paktieren zu können und sich durch Neutralität auf Kosten anderer zu sichern glaubte. Immer wieder haben sich Pakte mit Hitler als trügerisch, immer wieder hat sich Neutralität nicht als Schutz gegen den Angreifer, sondern als Lockung für ihn erwiesen. dass die Sowjetregierung an dieser Politik trotz so vieler böser Beispiele festhielt, dass sie darüber hinaus Hitler beim Kampf gegen die Blockade half, dass sie in vielen Fällen mit ihm die Beute des Angriffs teilte und ihn doch bis ans Schwarze Meer vorrücken liess, ja, dass sie durch den Abschluss des Nichtangriffspaktes im August 1939
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Hitler für seinen Angriff auf Polen Erfolg garantiert hat und diesen Pakt dann noch im Januar 1941 erneuerte,[2] das ist eine historische Schuld, die, wie sich nun zeigt und wie manche schon lange voraussahen, die Sowjetunion nicht hat davor bewahren können, schliesslich selbst zum Angriffsziel zu werden.
Es ist nicht der Augenblick, die Prinzipien zu diskutieren, die für das Paktieren Stalins mit Hitler, für die Opferung Polens und des Balkans, für die "Friedens"-Kampagne der Stalin-Anhänger in den demokratischen Ländern verantwortlich waren. Schuld findet Sühne, wenn auch oft nicht der Schuldige selbst dabei leidet. Die Völker der Welt büssen jetzt für die Fehler der Regierungen, die dem Faschismus in den Sattel halfen oder den Plänen Hitlers nicht rechtzeitig Einhalt taten, und das russische Volk wird furchtbare Opfer in einem Kampfe bringen müssen, der gestern noch, als ihn die Demokratien allein führten, von seiner Regierung als "imperialistisch" gebrandmarkt wurde.
Vielleicht war es die ideologische Verwirrung der Gegner, auf die Hitler spekuliert hat, als er sich für den Angriff auf Russland entschied. Aber es ist ihm sehr schnell klargemacht worden, dass die beiden grossen Demokratien mit dem dramatischen Szenen- und Frontwechsel nicht zu erschüttern waren. Churchill hat mit unvergesslich klaren und mutigen Worten festgestellt, dass der Kampf des britischen Reiches gegen Hitler-Deutschland weitergeführt und dass Russlands Abwehr unterstützt werden wird, und die britische Luftflotte hat dieser Feststellung mit ihren sich immer mehr steigernden Angriffen auf Deutschlands Industriezentren Nachdruck verliehen. Und auch in Amerika hat das plötzliche Losbrechen der Berliner gegen die Moskauer Diktatur nichts an der konsequenten Fortführung der Roosevelt-Politik ändern können, alles zur Verhinderung der Welteroberungspläne Hitlers zu tun. Vielleicht kann Hitler durch das Hervorholen der zwei Jahre lang stillgelegten antibolschewistischen Parolen bei der spanischen Regierung oder bei der französischen Reaktion Erfolge haben, vielleicht kann er die Rachegefühle der Finnen und Rumänen oder die Enttäuschung der Türken für sich ausnützen. Und sicher hofft er, Japan zum Eingreifen in den Krieg bringen zu können. Aber auch er weiss, dass Japans Armee noch immer in China kämpft und dass Japans Flotte allen Grund hat, Amerika zu fürchten.
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Keinen Augenblick dürfen wir uns unklar darüber sein, wieviel für den Ausgang dieses Weltkrieges und die Zukunft der Menschheit von den Ereignissen der nächsten Wochen abhängt. Die beiden zahlenmässig stärksten Armeen der Welt kämpfen miteinander an einer Front, die vom Eismeer oder von der Ostsee bis zum Schwarzen Meer oder zum Mittelmeer reicht. Gelingt einer von beiden ein schneller Sieg, dann kann ihr auf dem europäisch-asiatischen Festland niemand mehr ernstlichen militärischen Widerstand leisten. Erschöpfen sie sich in langen Schlachten, dann kann der Druck von den Völkern des Festlandes weichen, dann kann die Macht der britischen und amerikanischen Demokratie zum beherrschenden Faktor der politischen Neugestaltung der Welt werden. Es ist kaum daran zu zweifeln, dass Hitler gewusst hat, was er mit dem Angriff auf Russland aufs Spiel setzte, und es ist nicht anzunehmen, dass man es nicht auch im deutschen Volke ahnt. Man dürfte kaum mit der Vermutung fehlgehen, dass die Flucht des Herrn Hess mit dieser Spannung in Zusammenhang stand: Die Möglichkeit einer ideologischen Verwirrung, mit der Hitler bei seinen Gegnern rechnete, als er den Angriff auf Russland beschloss, besteht in höherem Grade in Deutschland selbst und in den von den Nazis besetzten Gebieten.
Es wäre sinnlos, in diesem Augenblick Voraussagen wagen zu wollen. Man kann von den bisherigen Kriegserfolgen Hitlers keine Schlüsse auf seine Chancen an der neuen Ostfront ziehen. Er hat sich in jenen Zweifrontenkrieg eingelassen, den er bisher vermeiden konnte - und der schon bei der Expansion nach Afrika und Kleinasien deutliche Gefahren für ihn erkennen liess. Hinzu kommt, dass Hitler ein Land angegriffen hat, von dem seit zwei Jahrzehnten nicht viel mehr bekannt ist als die fragwürdigen Behauptungen von Propagandisten und Polemikern. Jetzt erst wird sich zeigen, welches Rätsel die "russische Sphinx" verborgen hat.
Wir deutschen Sozialisten wissen, dass nur Hitlers Niederlage in diesem Kriege das deutsche Volk und die Welt befreien kann, und wir wünschen auch die Freiheit dem russischen Volke. Wir wissen, was von dem Ausgang des Kampfes abhängt und davon, dass die Demokratien die grossen Möglichkeiten nicht verkennen, die ihnen die nächste Zukunft eröffnen kann, und dass sie alles aufbieten für das Ziel, sich zu behaupten und Hitler zu vernichten.
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Im gleichen Verlage (Hamish Hamilton), in dem Sir Robert Vansittarts "Black Record" erschien, ist kürzlich eine Broschüre von Viscount Cecil erschienen, deren Titel "A real peace"[3] ist. Lord Cecil nimmt zu der Diskussion um die Deutschen Stellung und sagt dazu: "Es ist zweifellos richtig, dass man nicht eine Nation verurteilen kann. Auch im modernen Deutschland gibt es einen erheblichen Teil des Volkes, der sich weigert, die Nazi-Moral anzunehmen und Hitlers Leistungen zu bewundern. Aber dennoch finden sie sich mit dem ab, was ihre Herrscher tun. ... Die Wahrheit ist, dass die Deutschen von allen Völkern der Welt am leichtesten schlecht zu regieren sind. Zwei Jahrhunderte Feldwebel-Disziplin haben sie auf einen Zustand fast knechtischer Fügsamkeit herunter gebracht." Deshalb, sagt Lord Cecil, ist die Frage, was mit Deutschland beim Friedensschluss geschehen soll, sehr schwierig. "Hier ist ein Land mit einer grossen Geschichte und einer kraftvollen Bevölkerung von etwa 80 Millionen, die von einem Führer und seinen Kollegen regiert werden, welche die giftigsten Lehren des Preussentums zu rücksichtslosester Konsequenz gebracht haben. Wie weit sich das Gift auf die Massen ausgedehnt hat, ist ungewiss. Grosse Anstrengungen in dieser Richtung sind von einer wirkungsvollen Propagandamaschine gemacht worden ... Trotz dieser Bemühungen dürfen wir hoffen, dass es sehr viele Deutsche gibt, die im Herzen das ganze System ablehnen. Aber es wäre offenbar Wahnsinn, jetzt damit zu rechnen. Bei jedem Plan für einen Weltfrieden müssen wir deshalb voraussetzen, dass die friedensliebenden Mächte es mit der Drohung eines neuen deutschen Versuchs, eine Welttyrannei durch Krieg zu errichten, zu tun haben werden."
Lord Cecil weist weiter darauf hin, dass sich auch Italien und Japan als Friedensstörer erwiesen haben, und er erwähnt auch Ungarn, Rumänien und Bulgarien als Komplizen der Angreifer und vergisst auch die "rätselhafte" Politik Russlands nicht. Deutschland, sagt Lord Cecil, ist die Hauptgefahr, aber nicht die einzige Gefahr. Die Behauptung, dass die grosse Mehrheit der Deutschen innerlich anti-nazistisch ist und den Frieden will und dass man deshalb nur Hitler zu erledigen braucht, um dann mit einer parlamentarischen deutschen Regierung dauernden Frieden zu schliessen, hält Lord Cecil für eine gefährliche Utopie.
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"Ich hoffe wirklich, dass das deutsche Volk das ganze üble System der Gestapo und anderer Formen der Tyrannei abschaffen wird und dass es Hitler und seine Komplizen absetzen und angemessen bestrafen wird; ich hoffe, wir werden nichts mehr von Antisemitismus, Blut und Boden oder deutschem 'Christentum' oder der Anbetung nordischer Gottheiten hören. Zweifellos wird zugleich Freiheit und Gerechtigkeit wiederhergestellt werden und eine Form freier und demokratischer Regierung eingesetzt werden. All das ist, nach meiner Ansicht, eine Sache, die das deutsche Volk zustandebringen muss ... Aber ich glaube nicht, dass es möglich oder wünschenswert ist, Handlungen dieser Art als Beispiel dafür zu akzeptieren, dass die Deutschen endgültig und für immer eine Politik des Angriffs aufgegeben haben. Es ist etwas mehr nötig. Es muss eine positive Garantie gegen eine Wiederkehr der Politik sein, die so unendliches Leid über den Frieden und das Glück Europas gebracht hat."
Lord Cecil lehnt die Meinung derer ab, die für eine Besetzung Deutschlands für unbestimmte Zeit eintreten, und er weist darauf hin, dass die napoleonische Besetzung gerade den deutschen Nationalismus wachrief und dass die Beispiele der Saar und Danzigs warnende Beispiele waren.
Ebenso lehnt Lord Cecil die Aufteilung Deutschlands in Kleinstaaten ab. Das hiesse, die Entwickelung um hundert Jahre zurückdrehen zu wollen, es könnte nur zwangsweise, also nur durch militärische Besetzung geschehen, und es wäre nur in dem unwahrscheinlichen Falle zu rechtfertigen, dass das deutsche Volk selbst die Wieder-Errichtung der deutschen Kleinstaaten wünsche. Alle Pläne, die darauf hinauslaufen, Deutschland in seiner heutigen Form aus Europa zu eliminieren, bezeichnet Lord Cecil als genau so unmöglich wie den deutschen Plan, das britische Weltreich zu zerstören. "Wir müssen die Tatsache anerkennen, dass 70 Millionen turbulenter Deutscher inmitten Europas eine ernste Schwierigkeit für die Ordnung der Welt sind, aber eine Schwierigkeit, die weder vermieden noch ignoriert werden kann."
Von diesen Erwägungen ausgehend, fordert Lord Cecil die Schaffung einer "internationalen Autorität" als Kernstück des wahren Friedens. Es soll eine Organisation zur Sicherung des Friedens in Europa sein. Ihre Ausdehnung auf [die] USA hängt von der Entscheidung Amerikas ab, ihre Ausdehnung auf den fernen Osten ebenfalls. Auf jeden Fall ist [es] nötig,
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dass England und seine Verbündeten, also Norwegen, Holland, Belgien, Polen, Tschechoslowakei, Griechenland, Jugoslawien, Türkei und das freie Frankreich verbündet bleiben und, - wenn möglich, Finnland, Schweden, Dänemark und auch Russland und Spanien in den Bund aufnehmen. Diesen Friedensmächten ständen Deutschland, wahrscheinlich Italien und Ungarn gegenüber. Aber der Bund soll allen zugänglich sein, die durch ihr Verhalten ihre Fähigkeit, am Frieden mitzuarbeiten, genügend bewiesen haben.
Die Möglichkeit, eine "Federal Union", also eine enge Vereinigung der europäischen Staaten bei Aufgabe ihrer wichtigsten Souveränitätsrechte (eigene Regierung, Armee, Zoll- und Währungshoheit) zustandezubringen, beurteilt Lord Cecil nach den Erfahrungen, die England mit seinen Dominions gemacht hat, sehr skeptisch. Er empfiehlt zunächst die Wiedererrichtung eines Völkerbundes, betont dabei die Wichtigkeit des Internationalen Arbeitsamtes, für das die Mitarbeit Deutschlands von vornherein nötig wäre, und schlägt zur Vermeidung der Schwierigkeiten, an denen der alte Völkerbund zugrundeging, die Schaffung regionaler Staatengruppen vor.
Am Ende schlägt Lord Cecil eine Prozedur für den Friedensschluss vor, die vor den Fehlern des Versailler Friedens bewahren soll. Der Friede nach diesem Krieg solle nicht hastig gemacht werden. Erst solle ein Waffenstillstand geschlossen werden, der die sofortige Räumung der besetzten Gebiete durch die deutsche Armee und die provisorische Festsetzung jener Grenzen, die bei Kriegsausbruch bestanden, zur Folge haben muss. Dann solle eine Konferenz der Kriegführenden folgen, die keine Strafmassnahmen beschliessen soll, aber die Entwaffnung Deutschlands und seiner Verbündeten, die Wiederherstellung der zerstörten Gebiete und irgendeine Art der Entschädigung wird fordern müssen, wobei Lord Cecil bemerkt, dass sich Geldentschädigung nach dem letzten Kriege als fragwürdige Massnahme erwiesen habe. Dann solle die Einsetzung der internationalen Autorität zur Aufrechterhaltung des Friedens folgen und schliesslich, nach einer notwendigen Zeitspanne, ein grosser Kongress aller an einer Weltlösung interessierten Staaten, auch solcher, die im Kriege neutral blieben.
Dieser Weltkongress wird in leidenschaftsloser Atmosphäre alle ungelösten Probleme zu beraten und sorgfältig die beste und für alle annehmbare Lösung zu finden haben.
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Propaganda among the German workers
The Executive Committee of the "Union of German Socialist Organisations in Great Britain" and of the "Trade Union Centre of German Workers in Great Britain" has issued a statement dealing with the question of propaganda to Germany. This statement, which is signed by Hans Vogel and Hans Gottfurcht, emphasized that "the British war effort has allies in Germany who are worth supporting and encouraging". It says: "Doubtless there are opponents and critics in every class in Germany, and to make use of these forces is of course justified. But the discontent among the various groups of the German population will not become a real danger for the Hitler regime, as long as the most important class in the German population, the workers, are not set in motion as well."
The following reasons are given for the opinion that the German working class is the decisive factor with regard to propaganda to Germany: "The working class has, unlike any other German social class, a natural basis for organisation, which even National Socialism has ben unable to destroy ..., namely their coming together in factories. Symptoms of revolt therefore spread more quickly than in other classes ... The German workers have, once again unlike most of the other classes of the population, a political tradition of fighting against suppression, which still lives on in hundreds of thousands of them. The working class offered the longest and most determined resistance to 'Gleichschaltung'. Whereas the majority of the German bourgeoisie was first of all politically absorbed, and its political organisations only destroyed after they had lost their mass basis, the workers organisations remained as such more or less intact, as the last legal elections showed. Even then the workers only bowed before the superior force of the terror, and did not capitulate in their hearts ... The workers have developed the most conscious, lasting and politically clearest oppositional core in Germany ... Finally, the interests of the German workers are constantly and inevitably opposed to those of the Nazi dictatorship ... Free representation of interests, free organisation, a say in general affairs,- these are much more vital questions to the workers than to any other class. The discomfort, the discontent and
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war-weariness are apparently by no means limited to the workers. But a mass movement can develop much more easily and with much greater effect on the stability of the Hitler regime from the working class owing to the conditions under which they live."
The statement reaches the following conclusions:
1. Propaganda for the workers must take first place in the whole plan of propaganda for the sake of England's war interests.
2. Propaganda for the workers must be based on a knowledge of the needs of the German workers, and must make full use of all those possibilities resulting from the particular role of this class, its traditions and its daily interests.
3. Propaganda for the workers must be in the language which the German workers understand. It must be simple and clear. Propaganda must be consequent, and subject to as few changes as possible.
4. Despite the simplicity of the language, the political judgement of the German workers should be estimated at a high level. Generalisations are bound to be without effect. Concrete statements as to the prospects of the war and the war aims are necessary.
5.The German workers must understand from the propaganda that Hitlers defeat will serve their interests much better than a Nazi victory. They must know what they can expect from a democratic victory. Destruction propaganda, and threats to keep Germany down economically after the defeat of the Nazi regime, will only drive the workers into Hitler's arms.
It is recommended for British propaganda to stress the following points: that Hitler's victory would not improve the situation of the German workers, that the democratic rights are vital for the workers, that there is a close connection between the fight of the democracies against the dictators and the social fight of the workers, and that the defeat of Germany will mean no return to prewar conditions.
Finally, it is urged that "full use should be made of the knowledge of Germany and the German workers possessed by the German Socialists in this country who are willing to co-operate in this work".
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Briefe aus den Vereinigten Staaten
In diesen Tagen, in denen die Haltung der USA im Kampfe gegen die Diktatur eine immer entscheidendere Bedeutung gewinnt, erscheint uns die Verbindung mit unseren in den USA befindlichen Genossen und Freunden besonders wertvoll.
Obwohl ihre Briefe an uns oft mit grosser Verspätung eintreffen, können wir aus ihnen mehr über das Denken und Fühlen in Amerika erfahren als aus Zeitungsberichten. Darüber hinaus geben sie uns meist anschauliche Schilderungen der Lage, in der sich die deutschen Emigranten zur Zeit in den USA befinden. Wir zitieren nachstehend einige Stellen aus Briefen deutscher Genossen, die wir im Laufe der letzten Wochen erhielten, um unseren Lesern Eindrücke von der Lage in [den] USA und von den Problemen der deutschen Emigranten dort zu vermitteln.
Eine schon einige Jahre in [den] USA lebende Genossin schreibt u.a. in einem Brief von Mitte Mai: "Die Spannung wird hier stets grösser. Diese Woche war ich in einem Meeting im Madison Square Garden, dem grössten Lokal mit 22.000 Menschen drinnen und ebenso vielen, die nicht mehr hereinkonnten. Die Stimmung war aufs höchste begeistert für England, und niemand bekam grösseren Beifall als Gracie Fields[4], wenn sie sang: "'t will always be an England." Die grosse Mehrheit des Volkes ist jetzt bereit. Wenn nur rasch gehandelt wird! Natürlich ist die Opposition auch sehr rührig, aber ich glaube nicht, dass sie zunimmt.
Diese Woche haben wir Streikposten aufgestellt vor einem Filmtheater im deutschen Viertel, wo der Nazifilm lief: 'Sieg im Westen'[5]. Wir haben zwar nicht erreicht, dass der Film gestoppt wurde, doch haben die Zeitungen sehr lebhaft für uns Stellung genommen. Natürlich wird der Film von den hiesigen Nazis und Faschisten protegiert. Wir führten sehr anschaulich dargestellte Plakate mit uns, in denen auf die Fifth Column-Tätigkeit dieser Leute hingewiesen wurde.
Grosse Erleichterung war es, als die Nachrichten von drüben zeigten, dass England die Offensive in der Luft gegen Deutschland ergriffen hat. Ich wünsche sehr, dass genug Flugzeuge von hier geliefert werden, damit es auf immer breiterer Basis geschehen kann. Ich glaube nicht, dass die Deutschen soviel ertragen können wie die Engländer."
Ein erst kürzlich von England nach USA emigrierter Freund schreibt: "Heimweh haben wir nach England. Ja, nicht nach
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Deutschland, nicht nach der Tschechoslowakei, sondern nach England. Es ist grausig, die täglichen Radio- und Zeitungsreportagen über die neuen Bombenangriffe zu hören. Wir selbst haben zwar die Zeit von September bis November selber in London miterlebt, und doch: Steckt man nicht mehr mitten drin (aber kennt alles), so ist man dann plötzlich wie ausgeleert. Dies Beteiligt-Unbeteiligtsein ist drückender als in der direkten Aktion als Teil eines grossen Teils unmittelbar mitbetroffen und mithandelnd zu leben. Die grosse Leere und auch Angst nimmt einen hier gefangen."
Eine im Westen Amerikas lebende Genossin schrieb uns: "Ein Beitrag soll meinem Denken an eure Arbeit und unsere gemeinsamen Sorgen Ausdruck geben. Es sind schwarze Tage, und alle denkenden Menschen gehen auch hier sorgenvoll herum, freilich ist die Erkenntnis für viele langsam, zu langsam gekommen. Vielleicht ehrt es die Menschen, dass sie die Gefahr solchen Geschehens nicht glauben wollten, aber es rettet sie nicht. Ich bin nicht hoffnungslos, es erscheint mir aber unmöglich, mit dieser Lage wirklich fertig zu werden, wenn die USA nicht ausser mit ihren Produkten auch mit ihren Menschen eingreifen ..."
Und ein junger, Ende vorigen Jahres aus Frankreich nach USA eingetroffener Student schrieb u.a.: "Man wird mehr und mehr mit dem Gedanken vertraut, dass es nicht nur ein 'short of war' sein kann. Die Nachrichten, die wir täglich lesen, machen es geradezu gewiss. Interessant ist, dass hier in der Universität die Jugend sehr gegen den Gedanken eines Krieges kämpft. Es wird noch Monate dauern, um die amerikanischen Studenten zu überzeugen, dass dieser Krieg mehr ist als ein 'imperialistischer Krieg'. Ich habe täglich Diskussionen in der Schule, auf dem Camp, im Cafe, in der Bar, alles natürlich in dem denkbar freundlichsten Rahmen, wie es in Amerika Sitte ist."
Ein deutscher Genosse in New York schrieb uns nach seiner Rückkehr von einer Reise in die Südstaaten Amerikas: "Die Reise führte mich durch zehn Staaten und brachte mich mit allen Bevölkerungsschichten zusammen. Der Gesprächsstoff war der Krieg. Einen anderen gibt es kaum. Erfreulicherweise konnte ich dabei feststellen, dass die Sympathie einhellig auf Seiten der Briten ist. Die Presse im Süden ist ohne Ausnahme pro-britisch eingestellt und macht aus ihrer Ablehnung Hitlers keinen Hehl.
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Einige der Zeitungen können sehr wohl zwischen Hitler und Deutschland unterscheiden, andere nicht. Im allgemeinen kann man aber sagen, dass im Süden die Stimmung für einen Krieg gegen Deutschland stärker ist als hier in New York. Wenn man auch noch nicht dafür zu haben ist, ein Expeditionsheer nach Europa zu schicken, so glaubt man doch nicht mehr daran, dass man sich einem bewaffneten Eingreifen entziehen kann. Der denkende Amerikaner sieht ein, dass am Ende der Politik Roosevelts,- der ja eine seltene Zustimmung in allen Kreisen und bei allen Parteien findet-, der bewaffnete Konflikt steht. Aus dieser Tatsache erklärt sich auch, dass sich die öffentliche Meinung mehr [als] bisher gegen die Streiks richtet. Man weiss, dass die in manchen Gewerkschaften dominierenden Kommunisten durch ihre Taktik das Regierungsprogramm, das die schnelle Aufrüstung vorsieht, gefährden. Diese Einstellung findet man unter den Arbeitern mehr als unter den sogenannten besseren Schichten.
Besonders interessieren dürfte die Frage, wie sich die Deutschen in Amerika und auch die Deutschamerikaner zu dem Krieg stellen. Natürlich sind die Nazis dagegen, das ist selbstverständlich ... Viel wichtiger ist es, die Stimmungen derer zu beobachten, die prodeutsch, aber nicht pro Hitler sind. Da hat sich, soweit ich beobachten konnte, in den letzten Monaten eine gründliche Wandlung vollzogen. Im Herzen, das kann man wohl ohne Uebertreibung sagen, ist selten jemand zu finden, der sich voll und ganz hinter die Hitlersche Politik stellt, und es ist schon sehr oft beobachtet worden, dass gerade diejenigen, die mit Begeisterung für Hitler eintraten, sehr bald ein Haar in der Suppe gefunden haben. Das Notwendigste wäre, eine grosse Organisation zu schaffen, die aus Deutschen besteht und die offen und mit allen Mitteln eine englandfreundliche und antihitleristische Propaganda betreibt..."
Ein sozialdemokratischer Schriftsteller, der kürzlich aus Frankreich nach USA emigrieren konnte, berichtet in seinem Briefe: "Mit dem 'Start' ist das hier für deutsche Schriftsteller sehr schwierig. Wir leiden hier an einer Uebersättigung mit deutscher Literatur. Es wird nur noch ganz wenig übersetzt. Das Angebot wächst dauernd, die Nachfrage nimmt ab. Dazu kommt die wachsende Antipathie gegen alles Deutsche, was man gut verstehen kann. Wenige deutsche Blätter hier und keins richtig zahlungsfähig. Film, Theater ebenso überlaufen,- von ersten Namen, wie ihr euch denken
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könnt. Ich teilte euch mit, dass hier ein 'Theater of German Freemen' gegründet werden soll (und im Rundfunk schon besteht). Gute Kräfte vorhanden. Berthold Viertel als Regisseur. Der Start sollte Anfang Mai sein, voraussichtlich wird er aber erst im September erfolgen.
So geht es mit vielen Dingen hier. Rascher Anlauf,- dann hängt's plötzlich. Wenigstens verläuft es im Kreise der freien Deutschen oft so, weil sie immer mit finanziellen Schwierigkeiten zu kämpfen haben ... Dazu der ewige Spaltungsgeist, der auch in und durch die Emigration gedeiht. Jedes Grüppchen möchte seine Souveränität bewahren und seine besondere 'Linie' ... Dazu hat die Flüchtlingsnot (Frankreich!) alle freiheitlichen Arbeiterorganisationen finanziell ungeheuerlich beansprucht. Manche Gelder, die für die deutsche sozialistische Bewegung hätten gebraucht oder verwandt werden können, wanderten nach Frankreich oder Lissabon. Musterhaft haben sich die jüdischen Organisationen verhalten. Sie sind am besten beisammen und entsprechen am meisten unserer Auffassung von Disziplin und internationaler Solidarität. Ich weiss nicht, wo wir ohne sie wären. Bestimmt nicht hier. Ich habe bei ihnen geredet (für Lissabon und die Kameraden in Frankreich), sie sind nicht gerade deutschfreundlich, selbstverständlich nicht, aber die internationale Solidarität sitzt ihnen im Blute. Manche haben beschlossen, einen halben Tag länger zu arbeiten, um den Verdienst für die Flüchtlingshilfe abzuführen. Es ist, für uns besonders, der Lichtblick im hiesigen Organisationsgewirre.
Wie es mit unseren Arbeitsmöglichkeiten steht? Ueber die schriftstellerischen - siehe oben. Mit den anderen steht es besser. Frauen (und Männer) kommen leicht im Haus- oder Restaurationsbetrieb unter. Das Council, das uns nichtjüdischen Refugees betreut und mit einem Minimum unterstützt, vermittelt Kurse, durch die einer im Beruf unterschlüpfen kann, wenn er nicht zu alt ist, mit den Jüngeren den Wettlauf auszuhalten ... Die Unions sperren sich gegen Mitgliederzunahme, weil es ihnen vor allem die Arbeitsvermittlung in Zeiten der Arbeitslosigkeit kompliziert. Also müssen wir oft in "unionfreien" Betrieben arbeiten, die schlechter zahlen ... Es ist hier nicht schwer, aufs Land hinaus zu kommen. Unser christliches Council vermittelt nach dem Land Arbeitskräfte aller Art, wovon aber nur selten Gebrauch gemacht wird ..."
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wurde kürzlich in "New Statesman and Nation" in einem von Richard Wi[e]ner[6] gezeichneten Artikel Stellung genommen. Es wurde auf die Schwierigkeit hingewiesen, die für die deutsche Sendung im Unterschied etwa zu den tschechischen, polnischen und auch französischen Sendungen besteht und die in der Frage liegt, an welche Kreise der deutschen Hörerschaft sich die Sendung richten soll. Der Schreiber, der sich kritisch mit den verschiedenen Teilen der deutschen Sendung de[r] BBC und mit einzelnen Darbietungen der letzten Zeit beschäftigt, stellt fest, dass die für Mittelstands-Hörer bestimmten Sendungen am ehesten gelungen sind, während die Arbeiter-Sendungen am wenigsten befriedigen können. "Das vornehmste von all den mannigfachen Zielen unserer Propaganda nach Deutschland ist, in Deutschland ein Gefühl europäischer Solidarität gegen den Nazismus zu schaffen. Niemand kann mit einiger Sicherheit sagen, bis zu welchem Grade diese Propaganda wirksam gewesen ist. Wir unterscheiden gewöhnlich zwei Arten von Hörern: den gelegentlichen und den regelmässigen, und wir sind geneigt zu glauben, dass, abgesehen vom Militär, der erstgenannte den Massen, der letztere jedoch der Elite angehört. Wenn das richtig ist, dann kann man sagen, dass bisher d[ie] BBC gute Arbeit für den gelegentlichen Hörer geleistet hat, aber dass sie für die politisch bewusste Opposition von viel grösserem Nutzen sein könnte. Sie stellt schliesslich das Deutschland von morgen dar. Aber, und das ist das grösste Hindernis, das dieser schwierigen Aufgabe entgegensteht, wir können nicht hoffen, das Vertrauen der Elite zu gewinnen, solange wir ihnen nicht sagen, was sie nach Hitlers Niederlage zu erwarten haben ... Solange wir den Deutschen nicht ein klares Bild von der Alternative bieten, die an die Stelle des Nazi-Regimes treten soll, solange werden unsere Worte über Freiheit und Zivilisation in den Ohren der Besten, d.h. der kritischsten deutschen Hörer, hohl klingen.
Es mag alle möglichen Argumente gegen die Veröffentlichung von Kriegszielen geben, aber wir müssen uns klar sein: Wir können nicht zu den Deutschen so wirkungsvoll sprechen, wie wir müssten, wenn wir ihnen nicht ehrlich und konkret sagen, in was für einer Welt sie nach unserem Willen leben sollen."
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Neue amerikanische Visavorschriften
Das [State] Department in Washington hat die amerikanischen Konsulate angewiesen, in Zukunft keine Visa an Ausländer auszugeben, die nahe Verwandte (d.h. Ehegatten, Kinder, Eltern, Geschwister) in Deutschland, Italien, Russland oder den von diesen Staaten kontrollierten Gebieten haben. Das bezieht sich auf alle europäischen Gebiete des Festlandes mit Ausnahme der Schweiz, Spaniens und Portugals, vielleicht auch Schwedens und des unbesetzten Frankreichs. Die Nachprüfung wird von den Konsulaten erst begonnen, wenn der Antragsteller bereits einen "Passenger Letter" (Bestätigung, dass er innerhalb der nächsten vier Monate einen Schiffsplatz erhalten kann) vorweisen kann. Nur wenn sich dann ergibt, dass der Antragsteller keine nahen Verwandten in den genannten Gebieten hat, wird der Visa-Antrag nach Washington weitergeleitet. Wer schon ein gültiges Visum hat, braucht sich der Prüfung nicht mehr zu unterziehen. Wessen Visum vor der Abreise abläuft, muss jedoch gewärtigen, dass ihm eine Erneuerung verweigert wird, wenn er nahe Verwandte in den genannten Gebieten hat. Es wird darauf hingewiesen, dass die Bestimmung zum Schutz der Vereinigten Staaten vor Einwanderern, die dem Druck ausländischen Terrors ausgesetzt sein könnten, erlassen wurden. Falsche Angaben über Verwandte können sehr ernste Folge[n] für den Auswanderer, auch nach seiner Ankunft in [den] USA, haben.
Wie wir hören, besteht neuerdings eine Möglichkeit, auf dem Wege über Uruguay nach USA zu reisen. Die Fahrten werden von der Blue Star Line arrangiert, bei der alles Nähere zu erfahren ist. (Adresse: Passenger Office, Blue Star Line, 3 Regent Street, London, SW1) Es handelt sich um Fahrten erster Klasse, die Gesamtkosten (einschl. Transitvisa usw.) sind etwa £ 180.-.- für einen Erwachsenen, und die Flüchtlingskomitees sind ausserstande, eine Emigration auf diesem Wege zu finanzieren.
Lord Lytton, Vorsitzender des Beratungskomitees
für Ausländerfragen beim Foreign Office, hat sein Amt, Pressemeldungen zufolge, aus Gesundheitsgründen, vor kurzem niedergelegt. -Der "Curfew" für Ausländer[7], die ausserhalb Londons wohnen, ist für die Periode der erweiterten Sommerzeit auf 11.30 p.m. - 6.00 [von 23.30 Uhr nachts bis morgens 6.00 Uhr] festgesetzt worden.
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Die Jahreskonferenz der Britischen Arbeiterpartei
nahm mit überwältigender Mehrheit die Entschliessung der Exekutive der Labour Party an, die wir bereits in Nr. 26 der SM auszugsweise veröffentlichten und die sich entschieden für die Verwirklichung sozialistischer Forderungen während des Krieges und nach dem Kriege aussprach, den Gedanken eines Kompromissfriedens mit Hitler oder Mussolini zurückwies und die Ausfechtung des Krieges gegen den Faschismus bis zum Sturze der Diktatoren forderte. Der Verlauf des zu Pfingsten in London abgehaltenen Kongresses, dem auch deutsche Genossen als Gäste beiwohnten, bewies, dass die Labour Party und die Gewerkschaften mit derselben Entschiedenheit wie vor einem Jahre die Beteiligung an der Regierung und die volle Mitwirkung an allen Bemühungen zur wirksamen Durchführung des Krieges unterstützen.
C.R. Attlee, der parlamentarische Führer der LP, Lordsiegelbewahrer in der Churchill-Regierung, hielt die programmatische Rede, die den Willen der britischen Arbeiterbewegung zum Sieg im Kriege gegen Hitler zum Ausdruck brachte. dass diese Haltung der LP kein Aufgeben der kritischen Stellungnahme gegen Mängel der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Organisation des Landes und der Kriegsführung bedeutet, ging aus der Debatte hervor. Besonders bedeutsam war die von Harold Laski zum Ausdruck gebrachte Kritik an den Fehlern der Propaganda fürs Ausland. Laski kündigte an, dass die LP ihre Mitarbeit an der Propaganda einstellen werde, wenn die Politik des Informationsministeriums sich nicht ändere, Auch an der Ernährungswirtschaft wurde lebhafte Kritik geübt, und die bisherige Vorsitzende der LP, Mrs. Gould, forderte, dass die Ernährungswirtschaft vom Gesichtspunkte des Konsumenten aus geregelt und nicht von den Interessen der Verkäufer und Hersteller beherrscht sein dürfe. Ein weiterer Gegenstand der Kritik war die noch immer unbefriedigende Organisation der kriegswichtigen Industrien.
Hugh Dalton, der Minister für ökonomische Kriegsführung, und Arthur Greenwood, der Minister für Nachkriegswiederaufbau, gaben wichtige Erklärungen über die Nachkriegspläne der Labour Party ab, wobei besonders Greenwood die Notwendigkeit internationaler Zusammenarbeit und die wichtige Rolle der Vereinigten Staaten von Amerika betonte.
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Der Ueberfall auf die Sowjetunion
Hitler hat sich damit abgefunden, dass der Krieg noch mehrere Jahre dauern wird. Um ein wirksames Gegenmittel gegen die zu erwartende amerikanische Hilfe und gegen die Blockade zu haben, braucht Hitler die unermesslichen Reichtümer der Sowjet-Ukraine und des Kaukasus, insbesondere Getreide, Erdöl und Mangan-Erze.
Seit dem missglückten Versuch des Kaiserlichen Deutschland, im Jahre 1918 die landwirtschaftl[iche] Produktion der Ukraine zu requirieren, hat sich ein Mythus herausgebildet, dass Deutschlands Ernährungsschwierigkeiten verschwinden würden, wenn man den Versuch ein zweites Mal wiederholen würde. Die kaukasische Erdölproduktion würde ausserdem alle Oelsorgen Hitlers lösen.- Die deutsch-russischen Handelsverträge von August 1939, Februar 1940 und Januar 1941 sicherten jedoch Deutschland bedeutende Getreide- und Rohmaterialen.
Grobe Schätzungen zeigen, dass sich Deutschlands Einfuhr seit Kriegsbeginn günstig entwickelte. Die Getreideeinfuhr mag 1,5 bis 2 Millionen Tonnen erreicht haben. Hinzu kommen rund 500.000 Tonnen Oelsaaten, 1 Million Tonnen Erdöl und bedeutende Mengen Eisen- und Stahl-Schrott, Eisenerze und Manganerze. Bedeutende Warenmengen wurden ausserdem im Trans[port] vom Nahen und Fernen Osten nach Deutschland befördert. Diese Lieferungen fallen nun für absehbare Zeit aus.
Die Wirtschaft der Sowjetunion ist im gegenwärtigen Zustande der beschleunigten Industrialisierung ein leicht verwundbares Gebilde. Militärische Operationen an der gesamten Westgrenze Russlands, die mit einer Luftlinie von 2.000 km einer Entfernung Berlin-Gibraltar gleichkommt, können sehr leicht den delikaten Organismus der Sowjetwirtschaft desorganisieren.
Die russische Volkszählung von 1939 ergab eine Bevölk[erun]g von ca. 170 Millionen. Von 1927 bis 1939 stieg der Anteil der städtischen Bevölkerung von 17,9% auf 32,4%. Die Sowjetunion erlebte einen unerhört schnellen Industrialisierungsprozess. Die Landwirtschaft wurde in der gleichen Zeit fast völlig mechanisiert. Der Getreideanbau ist zu 90% mechanisiert. Aussaat und Ernte wird ausgeführt von insges[amt] 6.500 Maschinenstationen. Im Jahre 1939 waren 500.000 Traktoren, 165.000 Mähdrescher und 211.000 schwere Lastwagen in der Landwirtschaft im Gebrauch. Der Schluss aus diesen Zahlen ist einfach.
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Wenn die Oel- und Benzinzufuhr unterbrochen wird, bricht diese Landwirtschaft zusammen und muss zu den primitiven Anbaumethoden der vorrevolutionären Zeit zurückgehen.
Die Getreideernte entwickelte sich in den letzten Jahren erfolgreich. Sie betrug in Millionen Tonnen
1937 |
108,3 |
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1939 |
106,5 | |
1938 |
85,5 |
|
1940 |
112,0 |
Der Viehbestand entwickelte sich günstiger durch die Wiedereinführung der privaten Viehzucht in den bäuerlichen Kollektiven. Die letzten bekannten Zahlen ergaben 3.691 staatliche Kollektive, die im Durchschnitt je 2.691 Hektar gross sind. Daneben bestehen 242.000 bäuerliche Kollektive, die 18.800.000 bäuerliche Besitzungen umfassen. Die Zahl der unabhängigen Bauern beträgt 1.300.000.
Um die industrielle Entwickelung anzudeuten, wird es genügen, festzustellen, dass die Stahl-Produktion von 4,5 Millionen Tonnen im Jahre 1938 auf 21,5 Millionen Tonnen im Jahre 1940 gestiegen ist. Die gesamte Schwerindustrie der Sowjetunion zeigt eine ähnliche Entwickelung. Die Verbrauchsgüterindustrie ist dagegen zurückgeblieben.
Im zaristischen Russland produzierte die Ukraine fast 100% des gesamten Eisen und Stahls und mehr als 4/5 der gesamten Kohlenausbeute. Heute ist der Anteil der Ukraine infolge einer gleichmässigeren Verteilung der Industriezentren an der gesamten russischen Schwerindustrie nur noch ca. 55%. Die neuen Industriezentren liegen im Ural und in Asien. Die Ukraine, die schon vor 1914 das Industriegebiet Russlands war, ist heute ein hochentwickeltes Industrieland mit einer Bevölkerung von 31 Millionen auf einem Gebiet, das ein wenig grösser ist als Deutschland vor der Eingliederung Oesterreichs.
Eine Besetzung der Ukraine und des Kaukasus würde den zeitweiligen Zusammenbruch der neuen Industrien und der mechanisierten Landwirtschaft in den anderen Teilen der Union bedeuten. Bevor die Industrien der Ukraine und des Kaukasus wieder produzieren können, würde eine lange Zeit vergehen, zumal der Versuch, kapitalistische Verhältnisse wieder einzuführen, zusätzliche Schwierigkeiten mit sich bringen müsste.
Hitlers Angriff auf die Sowjetunion muss deshalb in erster Linie rein militärisch-strategische Ziele und das politische Ziel der völligen Vernichtung des Sowjet-Regimes haben.
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Eine Ausländer-Registrierung in Grossbritannien
hat auf Anordnung des britischen Arbeitsministeriums am 9. Juni begonnen und umfasst die männlichen Ausländer von 16 bis 65 und die weiblichen Ausländer von 16 bis 50 Jahren. Der Zweck der Registrierung ist, eine Uebersicht über die gegenwärtige Beschäftigung der Ausländer, über ihre Qualifikationen und ihre mögliche Verwendung für Kriegsindustrie und "National Service" zu gewinnen. Die Registrierung der Angehörigen verbündeter Staaten ist bereits im Juni durchgeführt worden, für die Deutschen, Oesterreicher und Italiener wird sie im Lauf des Juli erfolgen. Zeit und Ort der Registrierung für die einzelnen Nationen und Altersklassen werden in der Presse bekanntgegeben werden. Im Zweifelsfalle empfiehlt sich eine Nachfrage bei der nächsten "Labour-Ex[ch]ange". Die Registrierung erstreckt sich nicht auf Internierte.
Die Labour Party von West-London
setzt ihre dankenswerten Bestrebungen zur Ausgestaltung des persönlichen und politischen Kontaktes zwischen der britischen Labour-Bewegung und den Vertretern der kontinentalen Arbeiterparteien, die zuerst in der Maifeier in Hammersmith ihren Ausdruck fanden, fort. Kürzlich waren deutsche, sudetendeutsche, österr[eichische], französische, norwegische, polnische und tschechische Genossen zu einer Besichtigung des Rathauses von Hammersmith eingeladen, wo sie vom Bürgermeister, Counciller Kent[8] und Mrs. Kent, empfangen wurden und Gelegenheit hatten, die Räumlichkeiten des vorbildlich modernen Rathausbaus und in Aussprachen mit Mitgliedern des Gemeinderates die Arbeitsweise der Gemeinde-Selbstverwaltung kennenzulernen.
Für den 12. Juli ist eine Konferenz britischer und kontinentaler Sozialisten und Gewerkschafter geplant, für den 19. Juli eine Beteiligung an der Garden-Party der Labour Party im Garten des Bischofs von Fulham. Die Teilnehmerzahl an der Konferenz ist beschränkt und nur gegen Vorweisung einer Teilnehmerkarte möglich, für die ein Unkostenbeitrag von 1 sh (für Tee usw.) vorgesehen ist.
[Hinweis]
Aus Lissabon eingetroffen sind in London Curt Geyer[9] und Fritz Heine[10] vom "Neuen Vorwärts" in Paris.
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Die Arbeitsgemeinschaft deutscher Sozialdemokraten,
die sich in London unter dem Vorsitz von Hans Vogel versammelte, um sich über die verschiedenen Probleme zu besprechen, die mit der Frage des kommenden demokratischen Deutschland nach der Niederlage Hitlers im Zusammenhang stehen, hat auch im Juni viermal getagt. Im Anschluss an die in der letzten Nummer der SM berichteten Vorträge sprachen diesmal Hans Gottfurcht über Wirtschafts- und Sozialverfassung, Bernhard Menne[11] über Aussenpolitik und internationale Beziehungen und Kurt Weckel über die geistige Grundlegung unserer Bewegung. Alle Referenten legten den Versammelten je eine vervielfältigte Disposition vor, die für die weitere Arbeit eine wesentliche Erleichterung darstellt. Dr. Carl Herz überreichte den Teilnehmern als Ergänzung zum Thema Staats- und Verwaltungsreform einen Entwurf über [eine] Justizreform.
Die Internierten
Von Australien befindet sich, Zeitungsmeldungen zufolge, ein Transport von etwa 200 Internierten auf dem Rückwege nach England, doch ist mit seinem Eintreffen nicht vor Mitte August zu rechnen.- Wie wir hören, wird das Onchan Camp auf der Isle of Man aufgelöst. Die Insassen sollen ins Hutchinson Camp überführt werden.
Das London Office des Czech Refugee Trust Fund
ist am 23. Juni von 22, Montague Street, nach Canterbury Hall, Cartwright Gardens, London, WC1 (Eingang nur Sandwig Street), nahe Russel Square und King's Cross verlegt worden. Das Gruppensekretariat, 128, Westbourn Terrace, London, W2, und die dort amtierenden Gruppenleitungen sind jetzt telefonisch unter PAD 2776 zu erreichen.
Die erste Nummer des "News Letter" der "Union deutscher sozialistischer Organisationen in Grossbritannien" ist Ende Mai erschienen. Die erste Nummer brachte einen Artikel über die Hess-Affäre, Berichte aus Deutschland und Nachrichten über die Tätigkeit der deutschen Sozialisten und Gewerkschafter in Grossbritannien und das Schicksal der Flüchtlinge in Frankreich und Spanien. Der "News Letter" erscheint in englischer Sprache (3, Fernside Ave, London, NW 7) zur Information englischer Kreise.[12]
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Registrierung der SPD-Mitglieder in England
Die vom PV in Prag im Jahre 1933 herausgegebenen roten SPD-Mitgliedskarten verlieren ihre Gültigkeit. Von der Ausgabe neuer Karten und Beitragsmarken wird Abstand genommen, da ein Missbrauch verlorengegangener Karten und andere Konsequenzen in Kriegszeiten ernster sind als während der ersten Emigrationsjahre.
Es wird eine Registrierung der SPD-Mitglieder in England vorgenommen und die Fragebogen hierfür wurden bereits an alle Mitglieder verschickt. Es wird um baldige Ausfüllung und Einsendung der Bogen gebeten. Es wird erwartet, dass jeder Sozialdemokrat nach seinen Kräften beiträgt, die Unkosten unserer politischen Arbeit aufzubringen.
Die von unseren Genossen erbetenen Richtlinien für eine Beitragsleistung zur Organisationsarbeit sind folgende:
Arbeitslose (auch Unterstützungsempfänger,
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Arbeitende |
bis |
3 £ |
Wochenverdienst |
Mindestbeitrag |
pro |
Monat. |
sh 1/- |
bis |
4 £ |
Wochenverdienst |
Mindestbeitrag |
pro |
Monat |
sh 1/6 | |
bis |
5 £ |
Wochenverdienst |
" |
" |
" |
sh 2/- | |
über |
5 £ |
" |
" |
" |
" |
sh 2/6 |
Da die Beitragsleistung auf dem Prinzip der Freiwilligkeit beruht, können gewisse soziale Ausgleichungen bei Pionieren, Ledigen, Verheirateten mit Kindern, bei sonstigen sozialen Umständen durch die Selbsteinschätzung der Beitragsleist[enden] persönlich berücksichtigt werden.
[Freiwillige Beiträge]
Für die "Sozialistischen Mitteilungen" werden wie bisher freiwillige Beiträge kassiert, die in den SM quittiert werden. Aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung und Arbeitsersparnis soll am Jahresende 1941 an jeden Genossen eine Gesamtquittung über seine geleisteten Beiträge ausgestellt werden. Aus dem gleichen Grunde bitten wir alle Freunde, die hierzu in der Lage sind, einen Beitrag immer gleich für mehrere Monate an uns zu senden (Postal Order).
Für die SM gingen folgende Beiträge ein: WJ sh 1/-; WK 2/-; Dr.B. 3/-; Miss F. 2/6; CH £ 5.-.-; Bo 1/6; KB 2/-; HN. 5/-; Mrs. B. 2/-; TL 2/6; R., SHill, 20/-; JK. 3/-; TK 3/-; HD 1/-; Bl. 1/-; Sch, St., £ 5/-.-; WMM. 10/-; W.J. 1/-; WL 8/-; Wo 2/-; Sch 4/-; WL 5/-; WK. 2/6; HM 5/-; JB 10/-; LC 3/-; Bo 2/6; KD. 5/-; L.B. 10/-; Hans L. 3/9; Mrs. B. 1/6; Sp. 3/-; RH. JZ. 6/-.
Issued by the London Representative of the German Social
Democratic Party, 33, Fernside Avenue, London NW7.
Editorische Anmerkungen 2 - Im Januar 1941 ging es um eine Erweiterung des Vertrages vom 22.8.1939 durch ein Wirtschafts- und ein Grenzabkommen. 3 - "Viscount Cecil": Edgar Algernon Cecil, Viscount of Chelwood (1864 - 1958), konservativer Politiker, ab 1916 Ministerfunktionen, 1906-1923 MP, 1937 Friedensnobelpreisträger.
4 - Gracie Fields (1898 - 1979), britische Sängerin, Theater- und Filmschauspielerin. 5 - "Sieg im Westen" = NS-Dokumentarfilm über den "Westfeldzug" 1940. 6 - Richard Wiener (geb. 1885), aus Oesterreich stammender Autor und Journalist (Pseudonym: Alexander Tapping), seit 1939 im englischen Exil, u.a. Mitarbeiter des "Oesterreichprogramms" der BBC. 8 - Zu Mr. und Mrs. Kent konnten keine biographischen Angaben ermittelt werden. 9 - Curt Geyer (1891 - 1967), nannte sich auch Max Klinger, Journalist, sozialdemokratischer Politiker, Studium von Geschichte und Volkswirtschaft (Dr. phil.), 1917 von der SPD zur USPD, 1919-1924 Mitglied der Nationalversammlung bzw. des Reichstags (USPD, KPD, Kommunistische Arbeitsgemeinschaft, SPD), ab 1933 Exil in CSR, 1935-1940 Chefredakteur des "Neuen Vorwärts" 1936 ausgebürgert, 1937 nach Frankreich, 1941 Großbritannien, zeitweise Vansittartist, 1942 aus der SPD ausgetreten bzw. ausgeschlossen. Nach 1945 journalistische und Korrespondententätigkeit in London (u. a. für die "Süddeutsche Zeitung"). 10 - Fritz Heine (geb. 1904), ab 1925 Sekretär beim SPD-Parteivorstand in Berlin, ab 1933 Exil in der CSR, Mitarbeiter des "Neuen Vorwärts" und des Graphia-Verlages, 1937 Frankreich, 1939 ausgebürgert, 1941 Großbritannien, in London Mitglied des Exilparteivorstandes der SPD. 1946 Rückkehr nach Deutschland, 1946-1957 Mitglied des PV, dort zuständig für Pressewesen, 1958-1974 Geschäftsführer der "Konzentration". Vgl. auch Einleitung. 11 - Bernhard Menne (1901 - 1968), Journalist, 1919 USPD, 1920-1928 KPD (ausgeschlossen), 1929-1942 SPD (ausgeschlossen), ab 1933 Exil in der CSR, 1936 ausgebürgert, 1939 Großbritannien, Vansittartist. 1948-1968 Chefredakteur der "Welt am Sonntag". 12 - "News Letter", issued and published by the Union of German Socialist Organisations in Great Britain. Nachgewiesen sind nur zwei Ausgaben (Mai und August 1941) dieser hektogr. Mitteilungen. |