No. 6 - 1940

March, 15th

Sozialistische Mitteilungen

News for German Socialists in England

This news-letter is published for the information of Social Democratic
refugees from Germany who are opposing dictatorship of any kind.

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Die beiden Diktatoren und Schuldigen an diesem Krieg, Adolf Hitler und Joseph Stalin, haben statt der angedrohten Frühjahrsoffensive eine neue und diesmal dramatische Friedensoffensive unternommen. Die zweite Etappe des Krieges, der russische Ueberfall auf Finnland, hat der Roten Armee nach mehr als drei Monaten Kampf und mehr als 300.000 Mann Verlusten nur kümmerliche Erfolge gebracht. Der "Triumph" des Feldzuges gegen Polen konnte nicht wiederholt werden. Stalin, der die rechtmässige finnische Regierung für erledigt erklärt hatte und eine groteske "Volksregierung" unter Herrn Kuusinen eingesetzt und mit ihr einen "Vertrag" geschlossen hatte, sah sich genötigt, schon am 22. Februar durch seinen Londoner Botschafter Maiski[1] die "imperialistische" englische Regierung um Vermittlung eines Friedens mit der "weissgardistischen" finnischen Regierung zu ersuchen, und als die englische Regierung ablehnte, musste er Hitlers Hilfe in Anspruch nehmen, der durch Druck auf Schweden die Finnen zur Annahme der Stalinschen Bedingungen veranlassen wollte. Und als auch das nichts half, hat sich Stalin schliesslich bequemt, den Ministerpräsidenten der "weissgardistischen" finnischen Regierung nach Moskau einzuladen.

Die Finnen haben Bedingungen angenommen, die ihnen ehrenvoll erschienen. Sie haben erklärt, dass sie ihre Armee weiter behalten werden, nachdem Chamberlain und Daladier ihnen versichert hatten, dass die Alliierten auf Wunsch jede mögliche Hilfe bieten werden, was aber durch Schwedens Neutralität erschwert [würde].

Der finnländische Aussenminister Tanner hat nach Abschluss des Friedens noch einmal die Schuld des russischen Angreifers ausdrücklich festgestellt.

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So gefährlich es für Finnland ist, wenn es durch Abtretung seiner Grenzbefestigungen eine "Münchener" Grenze bekommt, so klar ist es doch, dass die Art des Friedensschlusses ein Prestigeverlust Stalins ist und eine Bestätigung für das wirksame Heldentum, mit dem die Finnen ihr Land und ihre Unabhängigkeit bisher verteidigt haben.

Aber da der Ueberfall auf Finnland nur eine Etappe des Krieges war, hat die Friedensoffensive Hitlers und Stalins weiterreichende Bedeutung. Hat Hitler sich um Frieden mit Finnland bemüht, um die Kräfte des russischen Verbündeten für einen Angriff auf den Balkan freizubekommen und hat er deshalb Ribbentrop nach Rom geschickt, um Mussolinis Einverständnis zu einem solchen Angriff zu erhalten? Die Situation ist unklar, und die Friedensfanfaren der Diktatoren deuten neue Gefahren an. Zu diesen Gefahren gehört auch die Lage in Skandinavien, das nach einer Beendigung des finnischen Krieges einem noch stärkeren Druck Nazi-Deutschlands ausgesetzt werden könnte, nachdem es die Möglichkeit eines Eingreifens der Alliierten im Norden verhindert hat.

Die Lage ist durch die Rundreise des Mr. Welles, des Abgesandten Roosevelts, durch Europa noch kompliziert worden. Mr. Welles hat Rom, Berlin, Paris und London besucht, hat mit Mussolini, Hitler, Daladier und Chamberlain, mit dem französischen Präsidenten und dem englischen König und auch mit Vertretern der französischen und englischen Sozialisten gesprochen. Er dürfte kaum Vorschläge gemacht, sondern nur die Meinung über Kriegs- und Friedensziele bei den vier Grossmächten Europas erkundet haben, wobei er aber nicht in der Lage war, die Meinung des deutschen und des italienischen Volkes, sondern nur die ihrer Beherrscher zu hören. In Moskau hat man gefürchtet, dass der Besuch des Mr. Welles das Vorspiel zum Eintritt Amerikas auf Seiten der Westmächte sein wird. In London und Paris glauben manche, dass Roosevelt als Auftakt zum Wahlkampf in Amerika eine Friedensaktion starten möchte.[2] Gewiss wird sie sich von der Friedensoffensive der Diktatoren unterscheiden, aber es wird viel davon abhängen, wie deutlich sie sich von ihr unterscheiden wird. Was immer von den Diktatoren angeboten und zugesichert werden mag, wir wissen, dass nur ihr Sturz einen wirklichen Frieden bringen kann.

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In einer Rede in Wakefield erklärte der stellvertretende Führer der Labour Party im Parlament, Arthur Greenwood, dass die Labour Party jede Massnahme unterstützen werde, die zur erfolgreichen Durchführung des Krieges notwendig sei, aber weiterhin jede Schwäche, jedes Schwanken und jeden Mangel an Weitblick kritisieren werde. "Aber", sagte Greenwood, "wenn wir die Regierung offen kritisieren, soll der Feind nicht glauben, dass die Nation gespalten ist. Die Nation ist geeint und entschlossen, ihre volle Kraft zu gebrauchen, in der Absicht, den Krieg so rasch und so erfolgreich wie möglich zu entscheiden. Zu diesem Zweck wird die Labour Party immer grössere Kraftanspannungen fordern und wird sich nicht enthalten, jene Männer aufs schärfste zu verurteilen, die ihre hohe Verantwortung nicht erfüllen." Greenwood fuhr fort: "Eine Niederlage ist undenkbar. Was auf dem Spiel steht, ist so kostbar und so grundlegend, dass die demokratischen Bewegungen in England, die im Kampf für die Freiheit des Volkes gross wurden, weiter allen ihren Glauben, ihre Entschlossenheit und ihre Macht in den Endkampf zum Sturz des Regimes der Drohungen und der geballten Faust werfen werden."

In einer Rede in Bradford sagte der Labour-Abgeordnete Hugh Dalton[3]: "Nach dem Sieg muss ein wahrer und dauernder Frieden kommen, der auf Gerechtigkeit zwischen den Nationen basiert und auf einer organisierten internationalen Macht gegen jeden künftigen Angriff und einer Neugestaltung des Wirtschaftslebens der Welt."

In der Reihe der Penguin-Bücher ist eine Broschüre des liberalen Abg. Sir Richard Acland[4] unter dem Titel "Unser Kampf" erschienen. In dieser Broschüre vertritt der Verfasser die Meinung, dass der Krieg von den Westmächten weder militärisch noch wirtschaftlich entschieden werden kann. Er fordert deshalb umwälzende Massnahmen in England: eine radikale Sozialisierung durch Ueberführung des Privateigentums in "Gemeineigentum" und eine freiheitliche Reform der britischen Verfassung unter Beibehaltung der Monarchie. Durch eine solche Revolutionierung Englands, meint Acland, könne man Goebbels die Propagandawaffe

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aus der Hand schlagen und das deutsche Volk bereit machen, Hitler zu stürzen und Frieden mit den Völkern Englands und Frankreichs zu schliessen.

Auch Captain Liddell Hart[5], der bekannte Militärschriftsteller, kam in einem Artikel im "Sunday Express"[6] zu dem Schluss, dass bei den gegenwärtigen Kräfteverhältnissen ein entscheidender Sieg Englands und Frankreichs nicht gewiss sei. Die Erfahrung von 1914/18 habe gelehrt, dass dazu das Kräfteverhältnis 3:1 nötig sei. Liddell Hart folgert daraus: "Wir brauchen eine schöpferische Idee. Unser Denken sollte sich unverzüglich auf die Entwicklung eines konstruktiven und dynamischen Friedensplans richten, der einen positiven Einfluss auf die Massen des Volkes im gegnerischen Land und ebenso in unserem eigenen hat. Nichts hat mehr Aussicht, die Neigung des deutschen Volkes zu kurieren, eine Politik des Angriffs zu unterstützen, und nichts wäre ein besseres Heilmittel für unser eigenes Volk."

Ein Interview mit Kerenski[7], dem ehemaligen russischen Ministerpräsidenten, veröffentlicht "News Chronicle" am 11.3. Kerenski sagte, dass Russland heute der Schlüssel zur Lösung des deutschen Problems sei, da Hitler die Sowjetunion als Hintertür benutze.

Wenn man Russland von Stalins Herrschaft befreien kann, kann man Ribbentrops Erfolg vom August 1939 zunichte machen.

Kerenski erklärte, dass das russische Volk heute zum Aufstand gegen die Tyrannei am reifsten sei. Sieben Millionen seien in den Konzentrationslagern Russlands. Das Volk sehne sich nach einem Mindestmass an Freiheit.

Kerenski schlägt deshalb vor, Rundfunkpropaganda für die Demokratie nach Russland zu treiben und die freiheitlichen Regungen im russischen Volk zu erwecken und zu unterstützen, um Stalins Sturz zu beschleunigen und damit Hitler der wichtigsten Stütze zu berauben.



[Freiwillige Beiträge]

Unkostenbeiträge für die Herstellung der SM leisteten: Sch., Warwickshire, sh 5/-; Miss Ann G., Wimbledon, sh 2/6; Ungenannt, Laughton, sh 2/-; Rein, Argentinien, 1 arg. Peso (sh 1/1); W., Bloomsbury House, sh 10/-; H.G., London, sh -/6. Wir danken allen Spendern. Wir bitten um Weitergabe der "Mitteilungen" an Interessenten oder um Einsendung von Adressen. Wir bitten um freiwillige Beiträge.

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Ende Februar fand eine Tagung der Sozialistischen Arbeiter-Internationale statt, die eine dreitägige Aussprache über die weltpolitischen Probleme zwischen den Vertretern der sozialistischen Parteien aus den neutralen und den kriegführenden demokratischen Ländern Europas brachte.

Obwohl sich dabei Verschiedenheiten in der Auffassung der politischen Notwendigkeiten des Augenblicks zeigten, kam es zu völliger Uebereinstimmung über eine weitere internationale Zusammenarbeit. Als Präsident wurde Camille Huysmans[8] gewählt. Der bisherige Sekretär der Internationale, Friedrich Adler[9], legte sein Amt endgültig nieder. Über die Wahl seines Nachfolgers soll vom Büro Beschluss gefasst werden.

Von besonderer Bedeutung war, dass man sich dahin einigte, schon jetzt mit den Vorarbeiten für ein sozialist[isches] Friedensprogramm zu beginnen.

Für die Sopade waren Hans Vogel und Erich Ollenhauer, für die sudetendeutsche Sozialdemokratie Wenzel Jaksch[10] und Ernst Paul[11] zur Tagung in Brüssel.

In den letzten Wochen hielten sich der ehemalige tschechoslowakische Minister Necas[12] und Ernst Paul vom Vorstand der sudetendeutschen Sozialdemokratie in London auf und führten hier wichtige Besprechungen mit den Vertretern der englischen Politik und der sozialdemokratischen Bruderparteien.

Die öster[reichischen] Sozialisten in England haben die erste Nummer eines Mitteilungsblattes "London Information" herausgegeben, die vor allem einer Darstellung des "Falles Allina" gewidmet war. Heinrich Allina[13], früher Mitglied des öster[reichischen] Nationalrates, hat gegen den Beschluss seiner Partei einem von österreichischen Monarchisten ins Leben gerufenen "Austria Office"[14] in London seine Mitarbeit zur Verfügung gestellt und wird, da er die Mitarbeit trotz Warnung der Auslandsvertretung österr[eichischer] Sozialisten nicht einstellte, von ihr nicht mehr als österreichischer Sozialist betrachtet und aus dem Klub der österreichischen Sozialisten in London ausgeschlossen.

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die in deutsch, französisch und englisch erscheinen, bringen in ihrer Märznummer Berichte über die allgemeine Situation in Deutschland: über die Stellung des deutschen Volkes zum Krieg, über die Einstellung des Offizierkorps und der Jugend in der Armee, über die nationalsozialist[ische] Kriegspropaganda gegen Frankreich, England, Polen und in der Innenpolitik und über die Wirkungen dieser Propaganda.

Weitere Berichte behandeln die wirtschaftliche Kriegsorganisation in der Landwirtschaft, der Industrie und im Sparwesen. Der Teil "Uebersichten" ist diesmal der deutschen Ersatzstoffproduktion gewidmet und behandelt besonders die Versorgung mit Petroleum, Ersatzgummi, Zellwolle, Leichtmetall und den Kohle- und Strombedarf der Ersatzstoffproduktion.

Der "Neue Vorwärts", die einzige deutschsprachige Wochenzeitung, wird ebenfalls in Paris von der Sopade herausgegeben. Sie ist gerade in der gegenwärtigen Zeit für jeden politisch interessierten Menschen als Informationsquelle unentbehrlich. Um den Flüchtlingen in England ein Abonnement zu erleichtern, erhalten die sozialistischen Flüchtlinge auf Wunsch die Zeitung einen Monat unentgeltlich zur Probe geliefert und können dann ein Vorzugsabonnement erhalten. Man schreibe auf einer Postkarte seine Adresse an: Hans Vogel, Paris-5e, 30, Rue des Ecoles.

Nach Meldungen aus Belgrad befinden sich etwa 1200 politische Flüchtlinge aus der Tschechoslowakei, und zwar in der Mehrzahl ehemalige Offiziere und Studenten, in Ungarn, wohin sie sich in der Hoffnung begaben, von dort aus in andere Länder weiterflüchten zu können.

Die ungarischen Grenz- und Polizeibehörden haben aber eine sehr feindliche Haltung eingenommen, einen Grossteil ins Gefängnis geworfen und Razzien auf Flüchtlinge in Budapest veranstaltet. Es besteht die Gefahr, dass die ungarischen Behörden auf Wunsch der Gestapo die Flüchtlinge ausliefern werden.

Die 35 Flüchtlinge aus der Tschechoslowakei in Litauen, über deren Schicksal wir in Nummer 2 unserer "Mitteilungen" berichteten, werden demnächst in England eintreffen, nachdem es gelungen ist, die letzten Schwierigkeiten zu überwinden.

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Wir haben schon in der vorigen Ausgabe unserer "Mitteilungen" kurz berichtet, dass demnächst "Beratungskomitees" zur Prüfung jener "feindlichen Ausländer" in Aktion treten werden, die vor den Tribunalen als "B-Fälle" klassifiziert wurden, also nicht von den für feindliche Ausländer geltenden Restriktionen befreit wurden. Inzwischen wird bekannt, dass sich die Tätigkeit dieser Beratungskomitees, bei denen mehrere Personen als Richter amtieren werden, in Einzelfällen auch auf solche Ausländer erstrecken wird, die von den Tribunalen als "freundlich" klassifiziert wurden. Ausserdem soll eine Nachprüfung der Tschechoslowaken in England stattfinden.

In den letzten Wochen haben im Parlament und in der Presse zahlreiche Debatten über die Ausländer in England stattgefunden, die auch das Flüchtlingsproblem berühren. Hauptanlass zu diesen Debatten war die Festnahme und Bestrafung des Sohnes des ehemaligen deutschen Botschafters Solf[15], der, obwohl er nicht von den Restriktionen befreit war, im Besitz einer Filmkamera [an]getroffen wurde, mit der er Aufnahmen von einem in England abgestürzten englischen Flugzeug machte. Auf Anfrage im Parlament wurde erklärt, dass hochgestellte englische Persönlichkeiten sich vor dem Tribunal für Solf eingesetzt hatten. Zwei weitere in der Oeffentlichkeit diskutierte Fälle betrafen einen Flüchtling aus Deutschland, der unter falschem Namen in die britische Armee eingetreten war, und einen anderen, der sich im Pionierkorps befindet und wegen eines Vergehens gegen die polizeiliche Meldevorschrift bestraft wurde. Eine deutsche Hausangestellte in Hampstead wurde wegen unbefugten Besitzes einer Kamera zu einem Monat Gefängnis verurteilt, zwei deutsche Zwillingsbrüder in London wurden wegen Passvergehens und unerlaubter Landung in England zu sechs Monaten Gefängnis und Ausweisung verurteilt. Ebenfalls sechs Monate Gefängnis erhielt in Uxbridge eine Tschechoslowakin, die sich nicht bei der Polizei gemeldet hatte und Verkehr mit englischen Fliegern suchte.

Der Innenminister wurde im Parlament wegen der kommunistischen Flüchtlinge interpelliert und erklärte, die Regierung habe nicht die Absicht, die in Frankreich gegen sie getroffenen Massnahmen zu ergreifen, er versicherte

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aber, dass ihre Tätigkeit streng beobachtet werde. Zur Frage der deutschen Hausangestellten, von denen viele in der Nähe militärisch wichtiger Objekte wohnen, erklärte der Minister, er halte es nicht für ratsam, verbotene Zonen für sie festzusetzen, da es militärisch wichtige Objekte fast überall im Lande gebe. Es ist aber eine Verordnung erfolgt, dass Militärpersonen, in deren Haushalt sich ausländische Angestellte befinden, dies zu melden haben. Auch wird eine erneute Nachprüfung der in kriegswichtigen Industrien beschäftigten Ausländer stattfinden. Unter diese Bestimmungen fallen auch Krankenhäuser, in denen Militärpersonen Aufnahme finden.

Die Kommunisten in der Schweiz, die bei den letzten Nationalratswahlen die letzten beiden Vertreter in der Bundesversammlung verloren und deren einzige Zeitung "Freiheit"[16] eingestellt werden musste, haben den Versuch unternommen, die Reste ihrer Bewegung bei der Sozialdemokratie unterzubringen. Hilfreiche Hand dabei wollte ihnen der Genfer Léon Nicole[17] bieten, der daraufhin von der Sozialdemokratischen Partei ausgeschlossen wurde und nun versucht hat, in Genf eine eigene, den Parolen der Stalin-Partei gefügige Partei aufzumachen. Ausserdem versuchten die Kommunisten, auf dem Umweg über die "Sozialistische Jugend" in die Sozialdemokratie einzudringen und die "Sozialistische Arbeiterjugend" in der Schweiz zu einer autonomen Vereinigung zu erklären. Der Erfolg war, dass die Schweizer Sozialdemokratische Partei in Beantwortung dieses Spaltungsversuches die "Sozialistische Arbeiterjugend" ebenfalls ausgeschlossen hat.

Der "Daily Herald" hat einige Stellen aus einer Flugschrift veröffentlicht, welche die Labour Party unter dem Titel "Finnland, die verbrecherische Verschwörung Stalins und Hitlers" herausgibt, um der Fälscherpropaganda der Agenten Stalin entgegenzutreten. In dieser Flugschrift heisst es: "Joseph und Adolf haben den Krieg 'umgeschaltet', auch den 'ideologischen Krieg'. Sie ver-

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einbaren, ihre Kräfte, die rednerischen ebenso wie die materiellen, nicht gegeneinander zu verschwenden. Sie täuschen eine gemeinsame Verfolgung durch die 'Plutokratien'[18] Frankreich und England vor. Es gibt zwar keine finnische Plutokratie, aber das hat Finnland nicht gerettet. Herr Joseph Stalin hat noch immer Komplizen, bezahlte und unbezahlte, in unserem Land, wo ihnen die Wahrheit nicht verborgen ist. Stalins Leute haben nach dem russisch-deutschen Pakt sofort den Schritt gewechselt und sind dem Führer gefolgt. Ihre alten Flugblätter, Reden, Artikel und Aufrufe wurden in ihre grossen ideologischen Müllkästen verbannt. Sie hörten auf die Stimme Moskaus, verglichen ihre Notizen mit Berlin, riefen, dass sie Frieden mit Hitler wollten, und vereinigten sich mit den Unity Mitfords[19] der Rechten in einem Chor der Schmähung gegen die französischen und britischen 'Kriegshetzer'. Stalins Leute nützten die Freiheit, die sie geniessen, zur Verteidigung des Krieges und der Tyrannei aus, eines Krieges, den ein fremder und gewaltsamer Despot gegen einen kleinen Vorposten der republikanischen Demokratie führt. Diese Niedrigkeit wird zum ersten Mal im Namen der britischen Arbeiterklasse begangen. Noch heute weigern sich diese Sendboten eines fremden Despotismus, die Maske des roten Zaren zu durchschauen, der ein neues soziales und politisches System benutzt hat, um eine neue Form der Sklaverei für das russische Volk zu erfinden."

Die vielgelesene englische illustrierte Wochenschrift "Picture Post"[20] hat am 24. Februar eine Zuschrift aus dem Pyrenäen-Lager Gurs[21] veröffentlicht, die von neun deutschen und österreichischen Spanien-Kämpfern unterzeichnet ist. Die Zuschrift lautet: "Wir deutschen und österreichischen ehemaligen Freiwilligen der spanischen republikanischen Armee gingen nach Spanien, um dort gegen Hitlers Banditen zu kämpfen und für das spanische Volk das zu verteidigen, was wir in unserem Vaterland verloren hatten: die Demokratie! Ein ganzer Band der 'Picture Post' würde nicht ausreichen, um zu erklären, warum wir auf Grund unsrer Erfahrungen in Spanien die kom-

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munistischen Parteien wie die Pest hassen und die Führer der Kommunisten als Verbrecher und Arbeitermörder bezeichnen. Wir haben zwei Todfeinde: Hitler und Stalin. Nach dem schändlichen Abkommen Moskau-Berlin, nach der räuberischen Invasion in Polen, nach dem Angriff auf das tapfere finnische Volk stehen wir ohne Vorbehalt auf der Seite der demokratischen Nationen. Wir sind sofort bereit, in die finnische Armee einzutreten, um gegen den Imperialismus des Diktators Stalin zu kämpfen, den er mit einem roten Mäntelchen bedecken möchte."

Einer unserer Leser stellt uns die Nummer der Baseler "Rundschau" (des damaligen deutschen kommunistischen Zentralorgans) vom 10. August 1939 zur Verfügung, eine Nummer also, die weniger als drei Wochen vor der Unterzeichnung des Hitler-Stalin-Paktes, der die gemeinsame Unterjochung Polens im Gefolge hatte, erschien. In dieser Nummer (S. 1219) steht in einem Artikel "Gedenken und Lernen!" von Franz Dahlem[22] zu lesen: "Heute steht die Welt wieder dicht vor dem zweiten imperialistischen Weltkrieg ... Wie 1914 das Regime Kaiser Wilhelms II., so ist es heute das Naziregime, das das im Innern unterjochte Volk zur Durchsetzung der alten imperialistischen Eroberungsziele in den Krieg stürzen will. Jetzt verlangt Hitler, als Etappe auf dem bisherigen erfolgreichen Eroberungsfeldzug gegen andere Völker, den Anschluss Danzigs an Deutschland. Alle Welt weiss, dass es nicht um Danzig geht, sondern dass Danzig nur der Vorwand ist zur Erdrosselung und Vernichtung Polens, zur Schaffung noch günstigerer strategischer Punkte, zur Eroberung des Balkans und zum entscheidenden Angriff auf Frankreich und auf das englische Weltreich. Wird Hitler seine Eroberungspolitik weiter durchführen können, ohne auf Widerstand zu stossen? Wie steht das deutsche Volk dazu? Im deutschen Volk gehen grosse Veränderungen vor sich. Es setzt sich die Erkenntnis durch, dass es im Interesse der Danziger Bevölkerung, im Interesse des deutschen Volkes, im Interesse des Friedens ist, dass auch ein 'friedlicher' Anschluss Danzigs, ein zweites München, verhindert werde. Wie man ein tiefes Gefühl für das am österreichischen und

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am tschechischen Volk verübte Unrecht verspürt, so setzt sich im Volk in der Diskussion durch, dass das polnische Volk im Recht ist, wenn es sich mit den Waffen in der Hand gegen einen Angriff auf seine Selbständigkeit und Unabhängigkeit wehrt ... Ein Krieg gegen die Sowjetunion wäre in Deutschland der unpopulärste Krieg, zu dem man die deutschen Arbeiter und das Gros der deutschen Soldaten nicht bekommen wird. ... Auf Grund dieser Einstellung im deutschen Volk macht jetzt die Nazi-Propaganda das sehr gewagte Manöver, ... durch eine Kampagne gegen die 'plutokratischen Staaten England und Frankreich', bei gleichzeitiger Verbreitung von Gerüchten, Hitlerdeutschland und die Sowjetunion würden sich verständigen, die Sowjetunion würde Hitler freie Hand gegen Polen und gegen den Westen lassen, die grosse Kriegsfurcht vor dem Zweifrontenkrieg zu brechen, die Meinung zu verbreiten, die Auseinandersetzung mit Polen werde 'friedlich' vor sich gehen, da die Westmächte wieder nachgeben würden. Die Kräfte der Organisationen der KPD, die wachsende Einheitsfront der kommunistischen und sozial-demokratischen und der christlichen Arbeiter in Deutschland vermögen es heute schon mit einem wachsenden Erfolg, diese demagogischen Manöver der Nazis zu durchkreuzen ..." Dies alles stand wörtlich in der "Rundschau", knapp drei Wochen, bevor Stalin das "Gerücht" der Nazis zur Wahrheit machte, Hitler freie Hand liess und sich der Kampagne gegen die "plutokratischen Staaten England und Frankreich" anschloss. Es stand wörtlich in der "Rundschau", vier Wochen bevor Molotow das polnische Volk, das sich mit den Waffen in der Hand gegen einen Angriff auf seine Selbständigkeit und Unabhängigkeit wehrte, dafür verdammte und die Rote Armee dieses Volk hinterrücks überfiel. Und dieselben "Organisationen der KPD", die am 10. August das oben Zitierte für wahr und richtig erklärten, und die "demagogischen Manöver" der Nazis durchkreuzen wollten, zu welchem Zwecke sie die Sozialdemokraten zur Einheitsfront einluden, haben drei Wochen später das Gegenteil für die höchste Weisheit und Konsequenz erklärt.

Es ist schwer, sich einen schändlicheren Betrug und eine schlimmere Niedrigkeit vorzustellen. Und wir können die Erinnerung daran am besten mit den Worten schliessen,

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die jener "Rundschau"-Artikel als Titel trug: "Gedenken und lernen!"




Nach Bekanntwerden des Friedensschlusses zwischen der finnischen Regierung und Moskau hielt Ministerpräsident Chamberlain im Unterhaus eine Rede, in der er noch einmal die Sympathien der englischen Regierung für Finnlands heldenhaften Widerstand und für das finnische Volk zum Ausdruck brachte. Er erklärte, dass England am 25. Februar Finnland mitgeteilt habe, dass es auf Wunsch auch militärische Hilfe haben könne, nachdem es bis dahin nur materielle Hilfe erhalten hatte. Ein solcher Wunsch Finnlands sei aber nicht erfolgt. (Wie der finnische Aussenminister Tanner in seiner Rundfunkansprache nach Friedensschluss erklärte, hätte die schwedische Neutralität die Frage aufkommen lassen, wie die Hilfe der Westmächte Finnland hätte erreichen sollen, da die Ostsee und der Zugang zur finnischen Nordküste gesperrt waren.)

Mr. Hoare-Belisha[23], der frühere englische Kriegsminister, übte scharfe Kritik daran, dass England diese Hilfe für Finnland nicht schon früher angeboten hat, und er sowie andere Mitglieder des Parlaments forderten eine Diskussion in dieser Frage.




Issued by the London Representative of the German Social Demo-
cratic Party, 33, Fernside Avenue, London NW 7






Editorische Anmerkungen


1 - Iwan Michailowitsch Maiski (1884 - 1975), 1932-1943 Botschafter der UdSSR in Großbritannien, später Botschafter in Washington. Vgl. I. Maiski: Memoiren eines sowjetischen Botschafters, Berlin (O) 1967.

2 - Die amerikanischen Präsidentschaftswahlen, bei denen der republikanische Gegenkandidat von Roosevelt klar unterlag, fanden am 5. November 1940 statt.

3 - Hugh Dalton (1887 - 1962), Jurist und Finanzexperte, Professor an der London School of Economics, 1924 zum ersten Mal Labour-Abgeordneter, Kabinettsmitglied in verschiedenen Labourregierungen.

4 - Richard Acland (1906 - 1990), Sir, 1935-1942 liberales, 1942-1945 unabhängiges Mitglied des Unterhauses, 1945 Beitritt zur Labour Party, 1947-1955 Labour-MP. Titel der Broschüre: Unser Kampf. Our Struggle, Harmondsworth/New York 1940.

5 - Basil Henry Liddell Hart (1895 - 1970), Autor zahlreicher Veröffentlichungen über kriegsgeschichtliche und militärpolitische Themen.

6 - "Sunday Express", unabhängige konserv. Sonntagszeitung (London), erscheint seit 1918.

7 - Aleksander Fjodorowitsch Kerenski (1881 - 1970), 1917 nach der Februarrevolution Kriegsminister und dann russischer Ministerpräsident; ab 1918 im Exil.

8 - Camille Huysmans (1871 - 1968), belgischer Sozialist, ab 1905 Generalsekretär der II. (Sozialistischen) Internationale; Minister in verschiedenen belgischen Kabinetten; Bürgermeister von Antwerpen; 1940 im englischen Exil, 1946/47 belgischer Ministerpräsident.

9 - Friedrich Adler (1879 - 1960), österreichischer Sozialist. Erschoss 1916 aus Protest gegen die Kriegspolitik den österreichischen Ministerpräsidenten Karl Graf Stürgkh. 1927-1939/40 Sekretär der Sozialistischen Arbeiter-Internationale (Zürich, Brüssel), ab 1940 im Exil in den USA, 1946 Rückkehr nach Europa.

10 - Wenzel Jaksch (1896 - 1966), Beruf: Maurer, DSAP-Funktionär, 1924-1938 Redakteur von "Der Sozialdemokrat" (Prag), 1929-1938 CSR-Parlamentsabgeordneter (für die DSAP), seit 1939 im englischen Exil, 1941 ausgebürgert. 1953-1966 SPD-MdB. Seit 1945 verheiratet mit Joan Clarke (siehe SM 42, Anf. Okt. 1942, Anm. 9). Die Exilorganisation der Deutschen Sozialdemokratischen Arbeiterpartei (vorwiegend sudetendeutsche Sozialdemokraten) war die 1939 gegründete sog. Treu(e)gemeinschaft (TG) Sudetendeutscher Sozialdemokraten.

11 - Ernst Paul (1897 - 1978), von Beruf Schriftsetzer, DSAP-Funktionär, 1925-1938 in der Redaktion von "Der Sozialdemokrat" (Prag), ab 1939 Exil in Schweden, vorübergehend in London, 1943 Verlust seiner CSR-Staatsangehörigkeit wegen seiner Ablehnung der CSR-Aussiedlungspolitik. 1949-1969 SPD-MdB.

12 - Jaromir Necas (1885 - 1945), Bauingenieur, Publizist, tschechoslowakischer Sozialdemokrat, 1924-1939 Parlamentsabgeordneter, 1935-1938 CSR-Minister für soziale Fürsorge, 1940 über Frankreich nach GB, 1940-1942 Ministerfunktionen in der tschechoslowakischen Exilregierung.

13 - Heinrich Allina (1878 - 1953), österreichischer Sozialist und Gewerkschafter, 1919-1920 Mitglied der konstituierenden Nationalversammlung, 1920-1934 SPÖ-Parlamentsabgeordneter (Nationalrat), seit 1939 im Londoner Exil. 1949 Rückkehr nach Österreich. Die "London Informations of the Austrian Socialists in Great Britain" erschienen von 1940 bis 1945.

14 - "Austria Office" ist ein von österreichischen legitimistischen und konservativen Exil-Gruppen 1939 gegründetes Verbindungsbüro.

15 - Wilhelm Solf (1862 - 1936), ab 1919 Mitglied der Deutschen Demokratischen Partei (DDP), 1921-1928 deutscher Botschafter in Tokio, gegen das NS-Regime eingestellt. Über seinen Sohn konnte nichts in Erfahrung gebracht werden.

16 - Die "Freiheit" (Basel) erschien von August 1936 - Ende Dezember 1939.

17 - Léon Nicole (1887 - 1965), Schweizer Gewerkschafter und sozialistischer Politiker; in den 30er Jahren Präsident des Großen Staatsrats in Genf; 1942 gründete er die Partei der Arbeit, eine Verbindung von Linkssozialisten und Kommunisten, und war Leiter ihrer Zeitung "Voix Ouvrière" von 1944 bis 1952.

18 - Plutokratie = politische Herrschaft aufgrund von Reichtum und Geld; ein Begriff, der vorwiegend in der NS-Propaganda verwendet wurde.

19 - Unity Mitford (1914 - 1948), Tochter von Lord Redesdale, sympathisierte mit Hitler und dem NS-Regime; bei Kriegsausbruch Selbsttötungsversuch, an dessen Spätfolgen sie 1948 starb. Ihre Schwester Diana war die Frau des britischen Faschistenführers Oswald Mosley.

20 - Die "Picture Post" (London), erschien von 1938-1957.

21 - Gurs: südfranzösisches Lager, das 1939 nach dem Ende des Spanischen Bürgerkriegs eingerichtet wurde, um spanische Flüchtlinge (Republikaner) und nichtfranzösische Spanienkämpfer aufzunehmen. Nach Ausbruch des Weltkrieges auch als Internierungslager für andere Ausländer genutzt.

22 - Franz Dahlem (1892 - 1981), deutscher kommunistischer Politiker, Redakteur, 1913 SPD, 1917 USPD, 1920 KPD, 1921-1924 MdL Preußen, 1928-1933 MdR; ab 1933 Exil in Frankreich (bis 1934 zeitweise illegale Tätigkeit in Berlin), Mitglied der KPD-Auslandsleitung, 1936 ausgebürgert, 1936-1937 Mitglied der Politischen Kommission der Internationalen Brigaden im Spanischen Bürgerkrieg; 1937 Frankreich, wo Dahlem 1939 interniert und 1942 an Deutschland ausgeliefert wird, 1943-1945 KZ Mauthausen. 1945-1953 Mitglied der Führungsgremien von KPD bzw. SED, 1953 Verlust aller Parteiämter, 1956 rehabilitiert, Mitglied der Volkskammer 1950-1953 und 1963-1977.

23 - "Hoare-Belisha": Leslie Hore-Belisha (1893 - 1957), Liberaler, 1937 - Januar 1940 brit. Kriegsminister.



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