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Begrüßung - Dr. Christine Bergmann

Meine sehr geehrten Damen, mein sehr geehrter Herr,

ich begrüße Sie ganz herzlich zur gemeinsamen Veranstaltung der Friedrich-Ebert-Stiftung und des Forums Ostdeutschland „Frauen nach der Wende - Frauen im gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Umbruch".

Ich habe mich auf diese Stunden gefreut. Wir dürfen uns von den derzeitigen, in allen Ländern stattfindenden Debatten um die knappen Kassen und die gewaltigen Probleme auf dem Arbeitsmarkt nicht den Wind aus den Segeln nehmen lassen. Wir sollten diese Veranstaltung nutzen, um uns gegenseitig zu motivieren, Mut zu machen, zu sagen, wir müssen, wir können uns nicht unterkriegen lassen, gerade in diesen Zeiten. Wir müssen besonders dafür kämpfen, daß frauenpolitische Fragestellungen nach vorne kommen und daß wir ein Stück Erfolg für unsere Arbeit verbuchen können. Deshalb werden das heute für uns alle sicher ergebnisreiche Stunden sein.

Es wird Ihnen so gehen wie mir. Jedes Jahr um diese Zeit im November, wenn die Bilder der Demonstrationen und der Fall der Mauer wieder auf dem Bildschirm zu sehen sind, gucken wir ein Stück zurück, erinnern uns an unsere Erwartungen von damals, ziehen auch ein Stückchen Bilanz dessen, was wir erreicht haben. Mir geht es jedenfalls so, daß die Bilanz jedes Jahr ein wenig anders ausfällt. Aber es kommt auch jedes Jahr ein Stück mehr Selbstbewußtsein dazu, weil wir uns den Herausforderungen gut gestellt haben.

Wir haben gemeinsam an Runden Tischen überlegt, wie wir Bestehendes in unserem Sinne verändern können. Wir haben nach der Wiedervereinigung gelernt, nicht nur mit einem Rechts- oder Sozialsystem, sondern auch mit einem neuen Gesellschaftssystem umzugehen und Vorstellungen entwickelt, wie dieses zu verbessern ist.

Wir wollen, daß unsere Erfahrungen aus diesem Prozeß in die gesamtgesellschaftlichen Reformen, die wir in unserem Land dringend brauchen, einfließen. Dafür steht das Forum Ostdeutschland. Wir wollen ostdeutsche Erfahrungen bündeln, nutzbar machen für den gesamtdeutschen Reformprozeß. Deshalb freut es mich, daß wir diese gemeinsame Veranstaltung der Friedrich-Ebert-Stiftung und des Forums Ostdeutschland hier in Berlin durchführen.

Ich glaube, es gibt kaum einen besseren Ort als das Willy-Brandt-Haus, um über die Zeiten nach der Wende zu diskutieren. Aber wie ich schon sagte, nicht im nostalgischen Sinne, sondern in dem Sinne, daß wir sagen, was nutzt uns für die nächste Etappe, die wir zu bestehen ha-
ben.

„Jetzt wächst zusammen, was zusammen gehört." Wir haben alle noch diesen Ausspruch von Willy Brandt in den Ohren, der in den letzten Wochen auch wieder reichlich strapaziert wurde. Dieser Ausspruch gilt auch für die aktiven Frauen aus Ost und West, die sich zunächst nur langsam annäherten, die aber schnell erkannt haben, daß die gegenseitigen Stereotype der Westemanze und der Ostmutti ebenso wenig allgemeingültig waren wie die Umsetzung der Gleichberechtigungsartikel der Verfassung in die Lebensrealität der Frauen.

Wenn wir uns der Thematik „Frauen und deutsche Einheit" widmen, gibt es eine Standardformel, die sich gnadenlos in den Köpfen festgesetzt hat: „Frauen sind die Verliererinnen der deutschen Einheit." Ich schätze diesen Satz nicht besonders, denn wie differenziert man den Satz auch betrachten kann und muß, politisch weist er in eine Sackgasse. Er hält Frauen in einer Opferrolle, und Opferrollen wirken immer lähmend. Dieser Satz verändert nichts.

Wir wollen aber nicht in Resignation verfallen, sondern wir wollen verändern. Wenn wir in diesen Problemfällen die politische Handlungsfähigkeit zurückgewinnen wollen, müssen wir einen Perspektivenwechsel wagen. Ein Perspektivenwechsel, den vor allem die jüngere Generation in vielen Fällen schon vollzogen hat. Darüber bin ich froh.

Sieben Jahre, die durch ein Sichzurechtfinden in einem neuen Wirtschaftssystem gekennzeichnet sind, lassen offenbar gerade für die junge Generation wenig Zeit für sentimentale Rückschau. In den Worten einer jungen Frau, die ich zitieren möchte, heißt es selbstbewußt: „Es ist ein Segen, daß die Wende kam, ich bin froh darüber, ohne daß ich meine Vergangenheit leugnen will."

Nun möchte ich nicht falsch verstanden werden. Ich glaube, das tun Sie auch nicht. Es geht nicht um einen Perspektivenwechsel, der die soziale Schieflage unserer Gesellschaft ausblendet oder von schwarz auf rosa schaltet, sondern es geht darum, einen Weg zu finden, der es uns erlaubt, positiv an das ungeheure Potential und die Leistungsbereitschaft der ostdeutschen Frauen anzuknüpfen.

Die gesamtdeutsche Gesellschaft kann und darf es sich nicht leisten, auf dieses Potential zu verzichten, denn ein solcher Verzicht begründet Armut im Gemeinwesen.

Kein Zweifel, reformpolitische Debatten und vor allem ein entsprechender Umsetzungswille sind notwendig. Erfolgreich aber wird dieser Prozeß nur sein, wenn es gelingt, die ostdeutschen Frauenerfahrungen und -kompetenzen in die Debatte zu integrieren. Wir sollten uns immer wieder vor Augen halten, wo wir vorangekommen sind. Das ist nicht immer unsere Stärke, uns zu sagen, daß das eine oder andere auch gelungen ist, jedenfalls im Gesamtprozeß, aber es hilft natürlich für die nächste Etappe. Wir sind in den letzten Jahren, bezogen auf die Verhältnisse der alten Bundesrepublik, frauenpolitisch - und gerade dank den Frauen aus dem Osten - auch ein Stück vorangekommen.

Dafür ist die Novellierung des § 218 für mich das beste Beispiel, wohlgemerkt bezogen auf die alte Bundesrepublik. Wir wissen, daß die Regelung, die wir haben, für die Frauen im Osten ein Schritt zurück war. Aber die modifizierte Fristenregelung mit dem Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz ist für Frauen aus dem Westen eine deutliche Verbesserung. Und diese Verbesserung wäre sicher ohne den Druck der liberalen Fristenregelung der DDR nicht zustande gekommen. Wir sollten uns das immer wieder deutlich machen. Für die Frauen aus dem Westen war es ein ganzes Stück nach vorne.

Es gibt auch andere Beispiele: Die verlängerten Fristen bei der Freistellung zur Betreuung erkrankter Kinder, die Ausweitung der Unterhaltsvorschußkasse, die additive Anrechnung von Kindererziehungszeiten auf die Rente und nicht zuletzt ein verfassungsrechtlicher Reformschub hinsichtlich der Gleichstellung von Frauen und auch der Gleichstellung von verschiedenen Lebensformen.

Die Neufassung des Artikels 3 ist hierfür ein gutes Beispiel. und manche Bundesländer, zum Beispiel auch Berlin, sind in ihrer Landesverfassung darüber hinausgegangen und haben gesagt: Das reicht uns nicht. Wir formulierten in unsere Verfassung den Auftrag, daß das Land verpflichtet ist, die Gleichstellung und die gleichberechtigte Teilhabe herzustellen und zu sichern und daß zum Ausgleich bestehender Ungleichheiten auch Maßnahmen zur Förderung zulässig sind.

Durch die Vereinigung sind Frauen dazu gekommen, die ihre Berufstätigkeit als selbstverständlich betrachten. Auf diesem Selbstverständnis aufzubauen ist ein ganz wichtiges frauenpolitisches Kapital. Wir versuchen, das in alle Politikfelder hineinzutragen.

Ich will noch einmal kurz neue Zahlen nennen. Im Oktober 1997 stellten die Frauen in den neuen Ländern 58,3 Prozent aller 1,3 Millionen der gemeldeten Arbeitslosen, aber nur 46,9 Prozent der 5,2 Millionen sozialversicherungspflichtig beschäftigten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. An der seit Jahren bestehenden Situation, daß Frauen die größeren Probleme auf dem Arbeitsmarkt haben, in den neuen Ländern mehr von Arbeitslosigkeit betroffen sind, hat sich nichts geändert.

Nach einer kürzlich veröffentlichten Studie des DIW lassen sich Frauen aus den neuen Ländern weniger in die stille Reserve abdrängen. Erwerbsorientierte Nicht-Erwerbstätige, so heißt das in der Statistik, melden sich in Ostdeutschland arbeitslos. Die stille Reserve spielte 1996 mit rund 270.000 Personen kaum eine Rolle. In den alten Ländern ist das noch anders. Da ist die zu über drei Vierteln aus Frauen bestehende stille Reserve auf einem hohen Niveau von rund 2,5 Millionen Personen. In diesem Festhalten an dem Wunsch nach Erwerbstätigkeit, das sich auch statistisch manifestiert, zeigt sich, daß insgesamt in Ostdeutschland eine ungebrochen hohe Erwerbsorientierung zu verzeichnen ist. Erwerbsarbeit gehört zur selbstverständlichen Lebensplanung von Frauen. Es gibt auch andere Studien, die das belegen.

Eine aktuelle Studie der Humboldt-Universität von Frau Prof. Giesecke und Frau Dr. Siepers zur Umschulungssituation von Frauen in den neuen Ländern kommt zu dem Ergebnis, daß trotz hoher Motivation und guter Ergebnisse bei Umschulung Frauen am Arbeitsmarkt benachteiligt sind: Die Frauen haben nach wie vor die schlechteren Möglichkeiten, integriert zu werden. Aber das Verständnis von der Erwerbsarbeit bei Frauen aus den neuen Ländern ist nach wie vor ein anderes. Es gibt nicht die im Westen übliche Polarisierung von Familien- und Berufsorientierung.

Es ist nach wie vor auch jungen Frauen aus den neuen Ländern unverständlich, daß man zwischen einer Orientierung auf Familie oder einer auf Erwerbsarbeit entscheiden muß. Ich hoffe, daß das so bleibt. Die Frauen leiden darunter – und formulieren das auch -, daß den Frauen faktisch die Möglichkeit, sich selbständig den eigenen Lebensunterhalt zu sichern, nur gewährt, nicht aber selbstverständlich zugestanden wird. Wir kämpfen um das selbstverständliche gleiche Recht auf Erwerbsarbeit. Also nicht etwas, was in guten Zeiten Frauen zur Verfügung steht und in schlechten wieder nicht.

In einem Zwischenbericht der Bundeskonferenz der Frauen und Gleichstellungsbeauftragten der Hochschulen kommen diese zu dem Ergebnis, daß es bei der Umgestaltung der Hochschuleinrichtungen in den neuen Ländern zwar gelungen ist, Frauen zu integrieren, aber die personelle Umstrukturierung der Hochschulen in den neuen Bundesländern vor allem einen Karriereschub für Wissenschaftlerinnen aus den alten Bundesländern gebracht hat. Wir freuen uns natürlich immer, wenn es für Frauen wenigstens insgesamt bergauf gegangen ist. Aber die ungleichen Bedingungen in den wissenschaftlichen Biographien, natürlich auch bei Männern, führen, wenn es darum geht, wer welchen Lehrstuhl besetzt, dazu, daß die ostdeutschen Frauen gegenüber den westdeutschen benachteiligt sind. Man muß das durchaus sehen, auch wenn es in dem einen oder anderen Bereich insgesamt für Frauen einen Schub gebracht hat.

Wir wissen, daß an den Universitäten Frauen vor allem im Mittelbau verloren haben und daß der Frauenanteil bei den Hochschullehrern im Mittelbau in den neuen Ländern insgesamt gesunken ist. Das ist ein wichtiges frauenpolitisches Feld, an dem wir alle gemeinsam arbeiten müssen.

Diese Veranstaltung hier ist ein Auftakt. Wir wollen am 28. März 1998 in Halle eine größere Veranstaltung des Forums Ostdeutschland durchführen, Frauen und Erwerbsarbeit ist dort ein zentrales Thema. Wir möchten die Ergebnisse der heutigen Veranstaltung dort einfließen lassen und die eine oder andere Veranstaltung bis dahin auch noch einmal an einem anderen Ort durchführen. Wir alle müssen die nächsten Monate nutzen, um frauenpolitische Ziele zu formulieren.

In den Zeiten, wo man sich daran erinnert, daß man Frauen mindestens als Wählerinnen braucht, und vielleicht das eine oder andere parteiübergreifend mit einspeist, können durchaus Fortschritte erzielt werden. Das ist unsere Zielstellung. Deshalb wollen wir nicht nur den Erfahrungsaustausch, sondern auch sehen, daß wir aus dem, was wir hier lernen, mehr machen können und daß wir es im nächsten Jahr als Forderungen aufstellen werden.

Ich hoffe auf eine interessante und lebhafte Diskussion. Bevor ich dann zur Moderation für den ersten Schwerpunkt an Eva Kunz übergebe, möchte ich die Gelegenheit nutzen und noch einmal allen danken, die durch ihre Arbeit am Zustandekommen dieser Veranstaltung beteiligt waren. In erster Linie natürlich der Friedrich-Ebert-Stiftung und damit Gisela Zierau, herzlichen Dank. Es macht ja doch immer eine ganze Menge Mühe. Herzlichen Dank auch der Mitarbeiterin, die das hier alles organisiert hat. Ich möchte Anna Damrat, Petra Weis und Margrit Zauner danken. Ohne diese wären die Planung und Organisation nicht möglich gewesen. Ebenso danke ich Marlies Stieglitz vom Forum Ostdeutschland für ihre Unterstützung. Also Euch und Ihnen allen herzlichen Dank. Ich denke, die Veranstaltung wird so sein, daß am Ende alle sagen, die Arbeit hat sich gelohnt. In diesem Sinne übergebe ich jetzt Eva Kunz die Moderation.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | März 1998

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