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Verkehrspolitik im Strukturwandel : die neuen Chancen der Mobilität ; Thesenpapier / von Fritjof Mietsch (Federführung) ... Managerkreis der Friedrich-Ebert-Stiftung - [Electronic ed.] - Berlin, 2001 - 12 S. = 41 KB, Text.
Electronic ed.: Bonn : FES Library, 2001

© Friedrich-Ebert-Stiftung


INHALT











1. Die fundamentale strategische Herausforderung

Die Verkehrspolitik, wie auch andere Politikbereiche, muss dem Erfordernis, bis zum Jahrzehnt 2020-30 die Verschuldung der öffentlichen Haushalte abzubauen, entsprechen. Dies bedeutet, dass den öffentlichen Verkehrswegeinvestitionen enge Grenzen gesetzt sein werden, und die Verkehrswege zunehmend mit Mitteln der Privatwirtschaft finanziert werden müssen.

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2. Ausgangslage: Lebenslügen und Perspektiven der Verkehrspolitik

Die Informations- und Kommunikationstechnik hat den Markt der realen Transaktionen auch außerhalb der industriellen Güterproduktion erreicht und führt zu tiefgreifenden Veränderungen der Wertschöpfungsprozesse. Der weitgehend abgeschlossenen, branchenübergreifenden Rationalisierung der Unternehmensverwaltung folgt die branchenspezifische Automatisierung der Unternehmensprozesse. Die automatisierte Produktion von alten und neuen Dienstleistungen hat begonnen. Alle diese Prozessinnovationen erzeugen Produktivitätssteigerungen, die personalintensive, teure Dienste bezahlbar halten oder machen, so dass zusätzliche Nachfrage für neue Dienstleistungsprodukte entsteht. Im Unterschied zum Beschäftigungsabbau im industriellen Sektor ist eher mit zusätzlicher Beschäftigung als einer Netto-Rationalisierung zu rechnen.

2.1. Mobilität, Raum, Effizienz

Das gilt bis auf weiteres auch für den Sektor der Mobilität, in dem sich in schwachem Tempo völlig neue Dienstleistungen und Wertschöpfungen herausbilden. Die Telematik ist zwar immer noch eher ein Fachgebiet, auf dem die Experten nach Anwendungen und gelegentlich auch Kunden suchen, aber vor allem die politischen Rahmenbedingungen wirken der Entwicklung einer kräftig wachsenden mobilitätsbezogenen Dienstleistungswirtschaft entgegen. Dies wird immer mehr zu einer verkehrs- und strukturpolitischen Herausforderung, weil die überproportional expandierende, hohe Mobilitätsnachfrage und die Grenzen des verfügbaren Raums insbesondere in Ballungszentren dazu zwingen, primär nicht durch einen weiteren Ausbau des Infrastrukturangebots die erforderlichen Verkehrswege bereitzustellen. Vielmehr muss die auf der Straße seit langem laufende Effizienzsteigerung des Verkehrs weiter beschleunigt und im Bereich der öffentlichen Verkehrsträger überhaupt erst einmal in Gang gesetzt werden.

2.2. Benzinpreis und verursachergerechte Mobilitätskosten

Mit dem fragwürdigen Horrorgemälde vom Dauerstau, in dem Deutschland demnächst erstickt, sind allerdings ebenso wenig rationale Lösungsansätze, gar politische Mehrheiten zu gewinnen wie mit der überbordenden Subventionierung von Mobilität. Deutschland wird nicht im Dauerstau ersticken, sondern in einem verkehrspolitischen und Nachfrage-Immobilismus erstarren, an dem eine Mehrheit der Bevölkerung festhält, weil ihre Mobilitätsgewohnheiten hoch subventioniert werden. Es ist Zeit, die Ära der verkehrspolitischen Legenden und Lebenslügen durch einen Ehrgeiz zur neuen Sachlichkeit zu ersetzen, in der Markt, Erfindungsreichtum und Flexibilitätspotentiale ihre problemlösenden Potentiale entfalten können.

Dem Benzinpreis wird seit Jahren eine Bedeutung zugemessen, die auf Nachfrageverhalten, öffentliche Meinungsbildung und verkehrspolitische Entscheidungsträger einen hemmenden Einfluss ausübt. Er ist ein politischer Symbolpreis, bei dem nicht Tatsachen, sondern Emotionen zählen. Rationale Politik, die dagegen anzugehen versucht, hat kaum eine Chance; sie wird mittlerweile nicht einmal mehr versucht, sondern bereitet mit der sozialen und ökologischen Unvernunft einer verkehrsmittelunabhängigen Entfernungspauschale ihre endgültige Abdankung vor.

Künftig sollen Automobilität belohnt und andere Formen der Verkehrsnachfrage zum Steuerschnäppchen gemacht werden. Gegen den Übergang zur verursachungsgerechten Anlastung von Mobilitätskosten wird damit eine Interessentenkoalition geschmiedet, gegen die in der Zukunft niemand mehr entscheiden kann. Der Widerspruch zu den erklärten Zielen der Steuerreform ist offensichtlich. Die Abschaffung von steuerlichen Sondertatbeständen und die Zurückdrängung von finanzpolitischer Regelungswut, die zu einer Vereinfachung des Steuersystems bei Senkung des Abgabenniveaus führen sollten, werden an einem entscheidenden Punkt aufgegeben. Wo ein gezielter Ausgleich sozialer Härten geboten gewesen wäre und gereicht hätte, wird stattdessen eine Motivationslandschaft geschaffen, in der der verkehrspolitische Status quo künftig in jedem Portemonnaie verteidigt wird.

Die Tatsache, dass die Fahrzeugkosten im Haushaltsbudget seit Jahrzehnten, von wenigen kurzzeitigen Ausnahmen abgesehen, kontinuierlich sinken, wird endgültig aus der Wahrnehmung verdrängt und in Phasen weltmarktbedingter Preisturbulenzen durch eine Spirale der Hysterie ersetzt, in der kurzsichtiger individueller Egoismus und politischer Populismus ein Bündnis eingehen, das einer modernen Mobilitätswirtschaft und höherer Lebensqualität unerträgliche Fesseln anlegt.

Dagegen hilft auch nicht das fortgesetzte Lippenbekenntnis, die Politik habe für eine Verlagerung von privatem Autoverkehr in öffentliche Verkehrsmittel zu sorgen. Dies hat sich als eine politische Gebetsmühle erwiesen, der die Wirklichkeit tagtäglich Hohn spricht.

2.3. Individualverkehr vs. öffentlicher Verkehr

Die Verkehrswege geraten zunehmend in eine Schere zwischen zunehmender Nutzung, unzureichender Unterhaltung und unterlassenem Ausbau an Engpassstellen sowie fehlenden Anreizen zu einer rationelleren Nutzung. Daraus hat sich seit mehr als zehn Jahren ein infrastrukturelles Finanzierungsdefizit aufgebaut, das sich vor dem Hintergrund reduzierter Verschuldungsspielräume in Euroland weiter verschärfen wird. Weil der Übergang von der Haushalts- zur Nutzerfinanzierung viel zu zögerlich angegangen wird, fahren Wachstum und technischer Fortschritt in Deutschland in eine Mobilitätsfalle.

Die Hoffnung, dass wachsende Haushaltsdefizite vor dem Hintergrund der Stabilitätserfordernisse in Euroland nicht mehr hingenommen werden und dass damit ein heilsamer Zwang entsteht, über Deregulierung und Wettbewerb mehr Leistungsfähigkeit und Kundenorientierung in den Öffentlichen Verkehr hinzutragen, wird auf eine neue Geduldsprobe gestellt. Durch den Einsatz der Zinsersparnisse, die aus der Einnahme der UMTS-Milliarden und ihrem Einsatz für die Schuldentilgung resultieren, werden zwar dringende Ausgabebedürfnisse der Bahn befriedigt werden, entscheidend ist jedoch, dass zugleich der Druck entfällt, der wirtschaftlichen Wahrheit des öffentlichen Verkehrs endlich ins Auge zu sehen und problemgerechte Konsequenzen zu ziehen.

Gegen alle Erfahrungen, dass Dynamik die entscheidende Erfolgsbedingung von Strukturwandel in Unternehmen ist, hängen ÖPNV-Betreiber und Politik dem Irrglauben an, eine substantielle Verlängerung der Zeit, in der der Schutz vor Wettbewerb aufrechterhalten wird, würde ihre Marktstellung fördern. Dabei muss man vor dem Hintergrund der beginnenden nächsten Effizienzrevolution im Automobil grundsätzlich zweifeln, ob es dem öffentlichen Verkehr überhaupt gelingen kann, den anhaltenden Wettbewerb gegen die private Automobilität in seiner gegenwärtigen Gestalt zu überleben. Seinen Marktanteil wird er mit seinem derzeitigen Veränderungstempo keinesfalls behaupten können.

Der öffentliche Verkehr hat im intermodalen Wettbewerb kaum eine Chance, solange seine grundlegende Struktur durch die Fragmentierung der Entscheidungsbildung zwischen Europa, Bund, Ländern und Gemeinden als politisches System ohne unternehmerische Dynamik aufrechterhalten wird. Die bestehende gebietskörperschaftliche Trennung der verkehrspolitischen Zuständigkeit für Aufgabe, Ausgabe und Finanzierung ersetzt konkrete verkehrspolitische Verantwortung durch Nullsummenspiele, in der nicht die bessere Aufgabenwahrnehmung den größten politischen Erfolg verspricht, sondern die Fähigkeit, in einem für den Bürger unüberschaubaren Staatsapparat Scheinsiege im Kampf um öffentliche Mittel und Vorzeigeobjekte zu erringen. In unserer Finanzverfassung blockiert sich jede Modernisierung in einem Verhau der organisierten Verantwortungslosigkeit, das Schwerpunkte und Entwicklungsstrategien dem Zufall einiger weniger ÖV-Betreiber und -Verbünde überlässt, die mit erheblichem Einsatz und viel Phantasie einen Kampf mit begrenzten Erfolgschancen führen. Denn die Zukunft des Verkehrs wird eine Zukunft der Telematik-gestützten Mobilitätsdienstleistungen sein.

2.4. Verkehr, Mobilität, Telematik

Die Infrastruktur der Verkehrswege wird längst durch eine sich allmählich aufbauende Infrastruktur der Verkehrstelematik - eine Kombination aus Informations-, Nachrichten- und Navigationstechnik - ergänzt. Sie verknüpft die physischen Transportabläufe informationell und bietet für die Planung und Durchführung von Verkehr erhebliche Organisationsvorteile. In einer sehr zugespitzten Form kann man unterstellen, dass die Verkehrswege gegeben und kaum noch vermehrbar sind und dass die entscheidenden Parameter in der Infrastrukturversorgung nicht mehr durch physische Verkehrswege sondern durch die telematische Infrastruktur gesetzt werden. Das Bewusstsein dafür, dass wir ein modernisiertes Verständnis von Infrastruktur benötigen, ist noch keineswegs ausreichend ausgeprägt. Entscheidende Fragen der Zukunftsgestaltung spielen sich in Expertenzirkeln ab, ohne dass Politik und Öffentlichkeit ihre Bedeutung bisher wirklich erkannt haben.

Eine wichtige Randbedingung für die künftige Entwicklung von Wachstum und Beschäftigung wird durch Verfügbarkeit, Bandbreite und Kosten der Mobilkommunikation bestimmt. Dazu gehört, dass diese Techniken auch für eine bessere Organisation von Verkehr benötigt werden. Es wäre allerdings falsch, einzig in der Einführung von elektronischen Mautsystemen Lösungsansätze zu suchen. Privatwirtschaftliche Mobilitätsdienste können wichtige Beiträge zur effizienteren Organisation von Mobilität leisten. Diese sind aber nur erreichbar, wenn sie als Teil umfassenderer Dienstkonzepte vermarktungsfähig werden.

2.5. Strategische Bedeutung der Navigationssysteme

Eine strategisch ausgerichtete Investitionspolitik in moderne Verkehrsinfrastrukturen ist in der Vorbereitung der elektronischen Mautsysteme nicht erkennbar. Nach herkömmlicher Konfiguration bestehen solche Systeme aus Lese- oder Kontrollstellen. Der heute mögliche Modernisierungsschritt besteht jedoch nicht darin, Mauthäuser durch elektronische Lesestellen zu ersetzen. Ein universell einsetzbares, flexibel veränderbares und preiswertes System, das der Politik die Freiheit verschafft, über die nutzungspflichtigen Straßen immer wieder neu zu befinden und im Tagesverlauf je nach Aufkommen wechselnde Tarife festzulegen, kann nur auf der Grundlage von hybriden Navigationssystemen geschaffen werden. Dafür werden zwei Systemelemente benötigt: Zum einen mindestens zwei voneinander unabhängige, nach unterschiedlichen physikalischen Prinzipien arbeitende Positionierungssysteme, zum anderen Fahrzeugnavigationsgeräte, die die Straßennutzung dokumentieren und zur Abrechnung weitergeben.

Bei den Positionierungssystemen steht mit GPS ein amerikanisches Satellitensystem zur Verfügung, das bis 2010 durch das europäische System Galileo ergänzt und erweitert werden soll. Dieses arbeitet jedoch nach dem gleichen physikalischen Prinzip wie GPS und ist insoweit für den hier relevanten Zweck weniger geeignet. Als zweites System mit potentiell flächendeckender Versorgung käme eher ein System wie das terrestrische System Loran C in Frage. Bereits die Ausschreibung für ein Mautsystem hätte die Chance geboten, eine technische Systementscheidung vorzugeben und damit privatwirtschaftliche Anbieter zu ermutigen, endlich in das amerikanische dominierte Positionierungsgeschäft einzudringen.

Zugleich würde eine solche Systementscheidung für die Marktentwicklung künftiger Navigationssysteme wichtige Anregungen vermitteln. Die Dynamik, mit der die bisherigen Kfz-Navigationsgeräte und die Mobiltelefone den Markt erobert haben, berechtigt zu der Annahme, dass der nächste Entwicklungsschub die Integration der beiden Systeme in mobilen Endgeräten bringen wird. Wie diese ausgelegt sind, ist aus der Sicht des zahlungswilligen Publikums nicht kaufentscheidend, wohl aber könnte die Marktdurchsetzung von Mauterfassungssystemen wesentlich erleichtert werden. Die gleiche Hybridtechnik ermöglicht nämlich den Aufbau umfassender mobiler Dienstleistungen, für die es ausreichende Kaufbereitschaften gibt. In einem solchen Szenario würde die notwendige Ausstattung von Kfz für die Bemautung zu einer preislich kaum noch spürbaren ergänzenden Software in Geräten, die entweder aufwendige Navigationssysteme oder auch nur einfach Autoradios sind.

2.6. Effizienter Bahn- und Luftverkehr

Das anwendungsreife technische Potential der Navigation, das einmal zu einer modernen Leit- und Sicherungstechnik mit erheblichen Produktivitätssteigerungen für die Leistungsfähigkeit des Schienennetzes führen sollte, droht endgültig zu versinken. Die einmal als technische Referenz geplante Neubaustrecke Rhein-Main wurde vor den Augen einer ahnungslosen Öffentlichkeit mit diskretem Etikettenschwindel beerdigt. In der Konsequenz bleibt es bei einer Fahrweg-gebundenen Leit- und Sicherungstechnik, die ursprünglich in einem geordneten Übergang durch ein fahrzeuggebundenes System ersetzt werden sollte. Eine effiziente und im intermodalen Marktvergleich bestandsfähige Schieneninfrastruktur ist jedoch solange nicht zu haben, wie neben den wettbewerblichen die technischen Voraussetzungen fehlen, die dazu befähigen, die Streckenleistungsfähigkeit der Schiene erheblich zu steigern, ihre Unterhaltskosten drastisch zu senken, die Managementfähigkeit im Fahrbetrieb on line- und real time-fähig zu machen, die Servicepotentiale einer modernen Leit- und Sicherungstechnik für den Dienst am Kunden zu mobilisieren und die Ansprüche konkurrierender Verkehrsbetreiber in der Planung und Durchführung des Fahrbetriebs als neutraler Betreiber von Schienensystemen zu integrieren. Wer die Schieneninfrastruktur nicht als eigenständige Wertschöpfungsquelle organisiert und wettbewerbsneutral vermarktet, kann dem System Eisenbahn insgesamt die drohende Perspektive der Schrumpfbahn nicht ersparen.

So wie man im Eisenbahnbereich mit free float-Konzepten einen Quantensprung erreichen kann, ist das mit durchaus ähnlichen free flight-Konzepten im Flugverkehr möglich, der zunehmend unter einer Überlastung der Lufträume leidet. Die regelungstechnische Gemeinsamkeit der Ansätze besteht darin, dass alle am Verkehr teilnehmende Fahrzeuge in einer geschlossenen Schleife ständige Optimierungsanpassungen durchführen können, ohne von den starren Vorgaben einer Zentrale abhängig zu sein. Weil derartige Systeme für Schiene- und Luftwege extremen Sicherheitsanforderungen genügen müssen, zöge die Realisierung dieser Techniken volumenstarke Wachstums- und Synergiepotentiale in anderen Anwendungsbereichen nach sich, die noch gar nicht zu überschauen sind.

Die dafür erforderlichen Forschungs- und Entwicklungsarbeiten sind jedoch nur dann zielführend, wenn zugleich die dafür erforderlichen neuen Strukturen industrieller Kooperation aufgebaut werden.

Die bisherige Arbeitsteilung im Bahnbereich - zwischen Bestellern und Lieferanten einerseits, zwischen existierenden Lieferanten und benötigten neuen Branchen andererseits - hat sich dafür als untauglich erwiesen. Der Wechsel der Bahn vom technologischen Entwicklungsleiter zum Besteller konnte nicht funktionieren, weil das in der Bahn vorhandene Entwicklungs-Know How nicht systematisch auf die Bahnindustrie und neue potentielle Lieferanten übertragen wurde. Neben diesem unternehmerischen Fehler, der der Bahn unterlaufen ist, muss jedoch auch der Staat die erforderlichen Impulse in seiner Investitionspolitik geben. Auch insoweit sind die Zusagen, der Bahn aus den UMTS-Einnahmen resultierende zusätzliche Mittel zur Verfügung zu stellen, zu stark von Ausbaubegehren im Rahmen der bisherigen technischen Konzepte geprägt.

Beim schienengebundenen Verkehr ließe sich der Übergang zu Telematik-gestützten free-float Konzepten auf der Basis fahrzeuggebundener Leit- und Sicherungstechnik auf nationaler Ebene realisieren. Eine geeignete Arbeitsteilung in Luftverkehr und Luftfahrtindustrie setzt dagegen voraus, dass eine europäische Entwicklungsbasis geschaffen wird. Hier kommt einer einheitlichen Willensbildung in der Europäischen Union über die F&E-Politik sowie über ein europäisches Luft-Leit- und Sicherungssystem entscheidende Bedeutung zu.

Insgesamt zeigt jede verkehrspolitische Bilanz, dass die Zeit des „weiter so„ längst an ihre Grenzen gestoßen ist. Der Bedarf für ein neues Grand Design der Verkehrspolitik ist unabweisbar geworden. Der dafür erforderliche New Deal wird durch die aktuelle Politik erheblich erschwert.

Der Managerkreis tritt für ein neues Leitbild der Verkehrspolitik ein. Markteffizienz muss gewollt und organisiert werden, damit Modernisierungspotentiale freigesetzt und der Nutzen von Verkehr, ohne den eine moderne Industrie- und Freizeitgesellschaft nicht leben kann, gemehrt werden kann. Nicht ein geringerer Preis für die Mobilität sondern mehr Nutzen durch Mobilität muss die Grundlage für eine neue gesellschaftliche Verständigung über die Verkehrspolitik des 21. Jahrhunderts bilden und den Ausgleich der Interessen bestimmen. Die verfügbaren technischen und marktbezogenen Verbesserungspotentiale geben für eine solche Verkehrspolitik ausreichenden, neuen Gestaltungsraum.

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3. Die Finanzierung und Organisation von Mobilität neu regeln


3.1. Verkehrswegekosten

Die Bundesverkehrswege (Fernstraßen, nationales Schienennetz, Bundeswasserwege) sollten mittel- bis langfristig auf der Grundlage des Verursacherprinzips finanziert werden. Institutionell könnte dies über privatrechtlich organisierte Finanzierungsgesellschaften geschehen, die sukzessive ganz oder teilweise in Betreibergesellschaften überführt werden, an denen sich interessierte oder nutznießende Dritte beteiligen können.

Die Gebührenbemessung sollte sich an den bundesweiten Kosten für einen nachfragegerechten Ausbauzustand und Betrieb nach Maßgabe der tatsächlichen Nutzung orientieren. Die Gebühreneinnahmen wären dazu zweckgebunden für den Bau und Unterhalt des betreffenden Verkehrsweges. Für politisch veranlasste Verkehrswege, insbesondere im Bereich der Schiene, kommt der Fiskus mit dem Anteil auf, der nicht durch vergleichbare Gebühren auf die tatsächliche Nachfrage gedeckt ist.

Für die Nutzung der Bundesfernstraßen sollte eine universell einsetzbare Gebührenerhebungstechnik aufgebaut werden. Die Gebührenpflicht ist stufenweise auf alle Fahrzeugklassen auszudehnen. Der Betrieb von Bundesfernstraßen soll schrittweise durch Ausschreibungs- und Vergabeverfahren an private Konzessionen überführt werden.

Eine umfassende Gebührenerhebung für die Verkehrswege, insbesondere die Bundesfernstrassen, wird auf erhebliche politische Widerstände stoßen. Deshalb sollten die offenen und impliziten Subventionen für die Verkehrswege transparent gemacht werden, um den Steuerzahlern die tatsächlichen Kosten deutlich zu machen. Die ökologischen Kosten gehören selbstverständlich dazu.

3.2. Entflechtung von Zuständigkeiten

Im Zuge der Finanzverfassungsreform sollte weitgehende Deckungsgleichheit der jeweiligen verkehrspolitischen Zuständigkeit für Aufgabe, Ausgabe und Mittelbeschaffung geschaffen werden. Dafür sind z.B. die Teile des Schienennetzes, die überwiegend regionale und lokale Funktionen erfüllen, an Länder und Gemeinden zu übertragen.

3.3. Externe Kosten von Verkehr

Die Ökosteuer sollte langfristig berechenbar und kontinuierlich ausgebaut, aber das Gesamtsteueraufkommen belastungsneutral gehalten werden. Die schrittweise Erhöhung der Ökosteuer kann durch Absenkung der Besteuerung von Arbeit kompensiert werden. Die Mineralölsteuer sollte keine Zweckbindung haben, und die Kfz-Steuer kann nach Schaffung der technischen Voraussetzungen – universelle Straßengebühren - schrittweise in die Nutzungsgebühren überführt werden.

3.4. Subventionierung von Mobilität

Mobilität ist Gegenstand der privaten Lebensführung oder wirtschaftlicher Betätigung und kann als solche nicht der öffentlichen Bezuschussung unterliegen. Mobilitätssubventionen sind personengebunden auf ein politisch definiertes Maß für die Wahrnehmung persönlicher Chancen zu begrenzen. Die verkehrsmittelneutrale Entfernungspauschale ist deshalb zunächst einzufrieren und dann mit langfristigen Ankündigungsfristen abzubauen.

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4. Bahnstruktur in der Welt von Wettbewerb, Börse, Navigation und Kommunikation

Die Bahn ist erneut in die politische Diskussion gekommen. Dabei geht es vor allem um die Einheit von Netz und Betrieb – oder wie es bei der Deutschen Bahn AG heißt: Netz und Transport – unter wettbewerblichen und finanziellen Aspekten. Zum einen geht es darum sicherzustellen, dass externe, privatwirtschaftliche Transportdienstleister fairen Zugang zum Netz bekommen. Zum anderen um die Frage, wie die Deutsche Bahn an die Börse gebracht werden kann, wenn sie durch die DB Netz AG mit einem langfristig defizitären Unternehmensteil belastet ist.

4.1. Die Trennung von Netz und Betrieb aus wettbewerbspolitischer Sicht

Das wettbewerbliche Problem ließe sich auch ohne eine strikte unternehmerische Trennung von Netz und Betrieb lösen, nämlich durch eine Regulierungsbehörde bzw. Wettbewerbsaufsicht, die beim Bundeskartellamt oder beim Eisenbahnbundesamt angesiedelt sein könnte, um die beiden in der Diskussion befindlichen Institutionen zu nennen. Der Managerkreis würde hier aus prinzipiellen Gründen eher zum Bundeskartellamt tendieren, aber der entscheidende Punkt ist, dass die für die Wettbewerbsaufsicht ausgewählte Institution die notwendige wettbewerbliche und technische Kompetenz entwickelt. Das wettbewerbliche Problem wird durch eine unternehmerische Trennung von Netz und Betrieb gemindert, aber nicht aus der Welt geschafft, denn das Netz bzw. seine Bestandteile bleiben unabhängig von ihrer unternehmerischen Organisationsstruktur ein bzw. mehrere Monopole.

4.2. Die Bahn und die Börse

Im Hinblick auf das Netz als Belastung beim Gang an die Börse sind zum einen ebenfalls die strikte unternehmerische Trennung von Netz und Betrieb, und zum anderen eine langfristige Finanzierungsgarantie für das Netz durch den jetzigen Eigentümer in der Diskussion. Eine solche Garantie, wenn sie gegeben würde, wäre jedoch unglaubwürdig. Denn die öffentlichen Haushalte werden sich mittelfristig durch die Alterung der Bevölkerung enormen Lasten ausgesetzt sehen, die einer Finanzierungsgarantie – und damit auch einer langfristig planbaren und effizienten Bahninfrastruktur - den Garaus machen wird.

Allerdings ist damit die Alternative einer strikten unternehmerischen Trennung von Netz und Betrieb im Hinblick auf den Börsengang noch keine Notwendigkeit. Denn die Bahn gliedert sich auf in unterschiedliche Verkehre und damit auch unterschiedliche, wenn auch überlappende, Netze für Fern-, Regional- und Nahverkehre im Personentransport und den Güterverkehr. Soweit solche Verkehre politisch subventioniert werden, sind sie sowieso nicht börsenfähig. Aber auch aus den oben geschilderten verkehrspolitischen Gründen plädiert der Managerkreis dafür, die Teile des Schienennetzes, die überwiegend regionale und lokale Funktionen erfüllen, an Länder und Gemeinden zu übertragen, so dass im Zuge der Finanzverfassungsreform weitgehende Deckungsgleichheit der jeweiligen verkehrspolitischen Zuständigkeit für Aufgabe, Ausgabe und Mittelbeschaffung geschaffen wird (Siehe unter 3.2).

Das im Zuge einer solchen Reform bei der Deutschen Bahn verbleibende Fernverkehrsnetz wäre jedoch, nach Schließung der in den letzten Jahren entstandenen Infrastrukturlücken, der Börsenfähigkeit der Deutschen Bahn nicht abträglich. Damit befindet sich die Bahn jedoch in einem Dilemma: Ohne eine glaubwürdige Finanzierungsgarantie der öffentlichen Haushalte für die Netzinfrastruktur in ihrer jetzigen Form ist an einen Börsengang in absehbarer Zeit nicht zu denken. Aber eine Reform der Finanzverfassung, die die Bahn von der finanziellen Last dauerhaft defizitärer Netzkomponenten entlastet, dürfte noch einige Jahre in Anspruch nehmen, bis ein Zustand hergestellt ist, in dem die Infrastrukturverantwortung des Staates mit einem normalen unternehmerischen Handeln nachhaltig vereinbar sein wird.

Mit anderen Worten: Eine schnelle Lösung wird sich nicht finden lassen. Daraus ergibt sich aber eine Chance: Statt vorschneller Entscheidungen das Potential der mobilitätsorientierten I&K-Technologien für eine zukunftsfähige Bahn zu berücksichtigen.

4.3. Navigation und Kommunikation in der Leit- und Sicherungstechnik: Für eine effiziente und zukunftsfähige Bahn

Nach Auffassung der Bahn gibt es jenseits der Diskussion um fairen Zugang zum Netz und ihrem Börsengang jedoch auch technische, d.h. vor allem sicherheitstechnische, Gründe für die Einheit von Netz und Transport. Diese Sichtweise wird am pointiertesten vom Chef der schweizerischen Bundesbahn, Weibel, vertreten. Grundlage ist die Prämisse, dass bisher Leit- und Sicherungstechnik fahrweggebunden sind. In dichten Netzen, in denen verschiedene Arten von Transporten mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten oft die gleichen Fahrwege benutzen, wie sie sich in Europa im Gegensatz zu den USA finden, ist das jetzige Betriebsmodell damit bisher technisch alternativlos, obwohl auch hier zwischen technischer Einheit von Netz und Betrieb und unternehmerischer vertikaler Integration zu unterscheiden wäre.

Der mittlerweile erreichte Stand der Technik in den Bereichen Navigation und Kommunikation ermöglicht jedoch endlich die Verlagerung der Intelligenz vom Fahrweg ins Rollmaterial. Das war bereits Mitte der 90er Jahre ein betriebswirtschaftlicher und verkehrspolitischer Traum, der für die Bahn bei der Rhein-Main-NBS allerdings bitter enttäuscht wurde und jetzt zu einem sehr teuren Zwischenschritt mit den 200 neuen elektronischen Stellwerken führt.

Schaut man auf die Gründe dieses Scheiterns, so gilt auch für die Zukunft, dass free float auf der Schiene zwei Kernfähigkeiten voraussetzt, das Betriebs-Know-How der Bahn, das natürlich nur sie hat, und eine neuartige Mischung von Hard- und Software-Fähigkeiten in den Bereichen Fahrplanplanung sowie Navigation und Kommunikation im Fahrbetrieb, die bisher nur außerhalb der Bahn existieren, im wesentlichen bei einigen Unternehmen der Bahnindustrie und einigen kleineren Systemhäusern. Im Lieferantenverhältnis wird sich das nicht zu einer einsatzfähigen, vom Fahrweg schrittweise unabhängig werdenden Leit- und Sicherungstechnik integrieren lassen, weil in der gegebenen Konstellation niemand die Verantwortung für die Betriebssicherheit übernehmen wird. Dazu braucht man ein Unternehmen, das in sich diese heute verstreuten Fähigkeiten vereint.

Endogen können diese Fähigkeiten bei der Bahn nicht schnell genug wachsen, wenn überhaupt. Behält man eine uneingeschränkte Einbindung in die gewachsene Unternehmenskultur der Eisenbahner bei, erscheint es unvorstellbar, damit die völlig unterschiedlichen, um nicht zu sagen entgegengesetzten Unternehmenskulturen, die mit der I&K-Technologie verbunden sind, zu einer neuen, leistungsfähigen Qualität zu verschmelzen Allein die dafür erforderliche Managementkapazität würde vor dem Hintergrund der ungewöhnlich vielen anderen Aufgaben die Führungskräfte überfordern. Insofern wäre der Einstieg über eine Entwicklungsgesellschaft naheliegend, an der die genannten privaten Unternehmen von vornherein durch Einbringung realer Ressourcen beteiligt sind. Der erreichbare internationale Entwicklungsvorsprung und die damit verbundenen Exportchancen müssten Motiv genug sein, solche Partner zu finden.

4.4. Fahrweg, Fahrbetriebsverwaltung, Transport: Funktionale Dreiteilung der Bahn

Die Empfehlung des Managerkreises geht dahin, ein derart spezialisiertes Unternehmen zu entwickeln, das zunächst Entwicklungsaufgaben hätte, die dann in operative Aufgaben übergehen. Dass dies unabhängig davon, wie man sich die weitere Konzernentwicklung politisch oder unternehmerisch wünscht, zunächst als Tochter der Holding oder des Netzes begonnen werden muss, liegt auf der Hand.

Eine auf Dauer ausschließlich konzerninterne Zuordnung von Trassenplanung und Fahrbetriebskontrolle dürfte von privatwirtschaftlichen Partnern jedoch nur akzeptiert werden, wenn gewährleistet ist, dass dieses Unternehmen von den nicht betriebswirtschaftlichen Einflüssen und politischen Lasten, die die Bahn oder Teile von ihr auch künftig tragen müssen, freigestellt ist. Damit stellt sich die Frage nach der Einheit von Netz und Betrieb auf eine neuartige Weise, weil diese Aufgabe getrennt von den klassischen Grundfunktionen wahrgenommen werden müsste und auf ein dreigeteiltes Verständnis hinausliefe: Nicht mehr Netz und Betrieb, sondern Errichtung und Unterhalt des Fahrwegs, Vermarktung und Durchführung von Transport und dazwischen Slotplanung, Slotvergabe und Fahrbetriebskontrolle. Dazu käme eine Wettbewerbsaufsicht – am besten durch das Bundeskartellamt - für die notwendigerweise monopolistischen Komponenten des Fahrweges und der Fahrbetriebskontrolle.

Vor dem Hintergrund der technischen Möglichkeiten stellt das eine reale Chance dar, die zunächst mit den ordnungspolitischen Vorstellungen der Volkswirte und Politiker nichts zu tun hat, in jedem Fall aber den Vorteil hätte, dass der Konzern sich Spezialisierungsvorteile erschließt, die eine reinrassig vertikale Struktur nicht bietet, nicht zuletzt übrigens im Bereich der Finanzierung und des vermögensrechtlichen Schutzes gegen free lunch-Ansinnen, zu denen sich die Politik immer wieder versucht fühlen wird.


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