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Ansatzpunkte für eine europäische Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik : Thesenpapier / von Thilo Sarrazin. - [Electronic ed.]. - Bonn, 1999. - 8 S. = 24 Kb, Text . - (Thesenpapiere des Managerkreises der Friedrich-Ebert-Stiftung) Electronic ed.: Bonn: FES Library, 2000 © Friedrich-Ebert-Stiftung
Der Europäische Rat hat am 3.und 4. Juni 1999 in Köln die Initiative für einen Europäischen Beschäftigungspakt zum nachhaltigen Abbau der Arbeitslosigkeit beschlossen und als dessen drei Säulen definiert:
Sieht man von der diplomatischen Fülligkeit der Formulierungen ab, so ist das Konzept des Europäischen Beschäftigungspaktes so einfach, wie es unbestreitbar richtig ist: Die Beschäftigung wird verbessert durch mehr Wachstum, effizientere Arbeitsmärkte, effizientere Güter-, Dienstleistungs- und Kapitalmärkte. Die in Köln verabschiedete Entschließung des Europäischen Rates über den europäischen Beschäftigungspakt" enthält zwar viel Unverbindliches, aber auch zwei Aufträge an die Europäische Kommission, die künftig Eigendynamik entfalten könnten, nämlich
Die folgenden 5 Thesen versuchen den Aktionsrahmen einer Europäischen Beschäftigungspolitik zu systematisieren. Erst dann, wenn klar wird, was eine Europäische Beschäftigungspolitik nicht vermag, wird auch deutlich, was sie tun kann und tun muß:
Auch auf europäischer Ebene gilt: Stabilitätsorientierte Geldpolitik, solide öffentliche Haushalte und eine maßvolle Lohnentwicklung sind notwendige, nicht aber hinreichende Bedingungen für mehr Wirtschaftswachstum und Abbau von Arbeitslosigkeit. Die Europäische Union, aber auch Euroland im engeren Sinne, umfaßt Länder mit recht unterschiedlicher Arbeitslosigkeit und Beschäftigungsintensität. Zu den in den letzten Jahren erfolgreicheren Ländern gehören Großbritannien, Dänemark oder die Niederlande, zu den weniger erfolgreichen Ländern gehören die Bundesrepublik, Frankreich oder Italien. Dies gilt sowohl gemessen an den standardisierten Arbeitslosenquoten als auch gemessen am Beschäftigungsvolumen im Verhältnis zur Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter. Interessanterweise haben die Länder mit den höchsten Arbeitslosenquoten durchweg auch die niedrigste Erwerbsbeteiligung und den niedrigsten absoluten Beschäftigungszuwachs in den vergangenen Jahren. Insgesamt aber hat die EU eine deutlich höhere Arbeitslosigkeit und eine deutlich niedrigere Beschäftigungsintensität als die USA. Die Unterschiede in der EU bzw. in Euroland können im wesentlichen nicht durch unterschiedliche Pfade in der Geld- und Fiskalpolitik erklärt werden. Die neunziger Jahre waren bedingt durch die Vorbereitung auf die Europäische Währungsunion von einer weitgehenden Harmonisierung der Geldpolitik und einen recht strikten Konsolidierungspfad aller öffentlichen Haushalte gekennzeichnet. Besonders naheliegend ist der Vergleich zwischen Deutschland und den Niederlanden, das durch die Bindung des Gulden an die D-Mark de facto seit Jahrzehnten Teil des deutschen Währungsraumes war. Die standardisierte Arbeitslosenquote ist in Deutschland mit rd. 10 % doppelt so hoch wie in den Niederlanden mit rd. 5 %. Beide Länder hatten in den neunziger Jahren im wesentlichen identische Zinsen und Inflationsraten. Vor diesem Hintergrund wird die Betrachtung der unterschiedlichen Entwicklung bei anderen Aggregaten um so aufschlußreicher: [ Übersicht entnommen aus Thomas Meyer: Euroland: How (not) to restart Growth; Goldman Sachs, Global Eco nomics Paper 7 vom 19. Februar 1999, S. 7] Wachstumsbeiträge in Deutschland und den Niederlanden 1993-98 in %
Der Staatsverbrauch entwickelte sich in den Niederlanden noch etwas langsamer als in Deutschland, auch der Außenbeitrag war in den Niederlanden etwas niedriger, deutlich niedriger war der Lageraufbau. Von diesen drei Elementen gingen also in Holland im Vergleich zu Deutschland eher dämpfende Wirkungen auf das Wachstum aus. Dagegen war der Wachstumsbeitrag des privaten Verbrauchs in Holland mehr als doppelt so hoch wie in Deutschland, der Beitrag der Investitionsnachfrage sogar siebenmal so hoch. Das Wirtschaftswachstum war in Holland anderthalbmal so stark wie in Deutschland, die Löhne stiegen jedoch etwas langsamer. Die eigentliche Pointe des Vergleichs liegt in der unterschiedlichen Beschäftigungsentwicklung: In Deutschland fiel die Beschäftigung um 3,5 %, in Holland stieg sie um 8,5 %, in der Summe eine Auseinanderentwicklung um 12 %. Das bedeutet: Innerhalb der EU ist bei zwei strukturell sehr ähnlichen Ländern mit gleicher Geldpolitik und mit vergleichbar restriktiver Entwicklung der Löhne und des Staatsverbrauchs eine völlig unterschiedliche Entwicklung möglich: In Deutschland bei gedrücktem Wirtschaftswachstum fallende Beschäftigung und stagnierende Investitionen, in den Niederlanden stark anwachsende Investitionen und noch stärker anwachsende Beschäftigung. Die Antwort liegt ganz offenbar in der wesentlich stärkeren Deregulierung des holländischen Arbeitsmarktes und aller wirtschaftlichen Aktivitäten. Es fällt holländischen Unternehmen offenbar leichter, zu expandieren. Es ist weniger riskant und kostenträchtig, die Beschäftigung kurzfristig zu erhöhen. Schwarzarbeit ist weniger attraktiv und die direkte Besteuerung ist niedriger, einfacher und transparenter. Ganz nebenbei wird empirisch belegt, daß jede Betrachtung zu kurz greift, die Gesamtnachfrage und Wachstum einfach aus Staatsnachfrage und Lohnentwicklung erklären will. Dann müßte nämlich Holland mindestens so erfolglos sein wie Deutschland. Die Pointe des Vergleichs: Der sehr unterschiedliche Erfolg bei Investitionen, Wirtschaftswachstum und Beschäftigung lag nicht in Unterschieden der Geldpolitik, des Staatsverbrauchs und des durchschnittlichen Lohnzuwachses begründet. Der Vergleich zwischen Deutschland und den Niederlanden diente als anschauliches Beispiel. Durchweg ist im internationalen Vergleich ob innerhalb oder außerhalb der EU zu beobachten, daß stabilitätsorientierte Geldpolitik, zurückhaltende Lohnentwicklung und hinreichend solide öffentliche Haushalte zwar notwendige, nicht aber hinreichende Bedingungen für eine positive Entwicklung von Wachstum und Beschäftigung sind. Wenn in Köln der vom Europäischen Rat geforderte Makroökonomische Dialog sich damit auseinandersetzt, welche Unterschiede im Policy Mix ansonsten vergleichbarer Volkswirtschaften so große Beschäftigungsunterschiede produzieren, dann wird er erfolgreich sein.
Die europäische Währungsverfassung und der Stabilitätspakt schließen eine aktive Beschäftigungspolitik über die staatliche Steuerung volkswirtschaftlicher Aggregate weitgehend aus. Der Euro und der europäische Stabilitätspakt setzen wesentliche Rahmenbedingungen für die Möglichkeiten einer europäischen Beschäftigungspolitik:
Auch größere europäische Ausgabenprogramme im Rahmen der Arbeitsmarkt- oder Beschäftigungspolitik scheiden aus folgenden Gründen aus:
Die Chance für die nachhaltige Verbesserung von Wachstum und Beschäftigung liegt in der Gestaltung des Ordnungsrahmens und der Schaffung eines für den wirtschaftlichen Unternehmungsgeist freundlichen Umfeldes. Dazu zählen insbesondere
Dazu gehören aber auch
Die Schaffung dieser Voraussetzungen ist im wesentlichen Aufgabe der Mitgliedstaaten und ihrer nachgeordneten Ebenen. Die Europäische Kommission sollte sich konzentrieren auf
Auf europäischer Ebene vereinbarte Beschäftigungsziele und deren Überwachung durch die Europäische Kommission können eine ähnliche Eigendynamik in Gang setzen wie vor acht Jahren das Stufenprogramm zur Europäischen Währungsunion. Die Mitgliedsländer brauchen moralische und beratende Unterstützung allerdings wohl auch öffentlichen Druck beim Abbau all jener Hemmnisse, die bisher etwa Deutschland, Frankreich und Italien daran hindern, in der Beschäftigungspolitik ähnliche Erfolge aufzuweisen wie die Niederlande, Dänemark, Großbritannien oder die USA. Wichtig wäre ein intensives "Monitoring" der nationalen Beschäftigungspolitiken im Rahmen der Überwachung der gesamten Wirtschaftspolitik, um einen Prozeß des ständigen Lernens voneinander zu fördern. In dieses "Monitoring" sollte aber auch die systematische Auswertung von Erfahrungen und (Miß)Erfolgen außerhalb der EU einbezogen werden. Ein grundlegendes Mißverständnis der europäischen Aufgabe mit sehr negativen Folgen für die Beschäftigung wäre allerdings jeder Versuch, Regulierungen auf nationaler Ebene zwecks Eindämmung von Wettbewerb auf die europäische Ebene zu heben. Im Gegenteil. Europäische Beschäftigungspolitik sollte ein Wettbewerb auch unterschiedlicher Ideen und Lösungsansätze sein. Die Stärke aller föderalen Systeme war stets ihre Vielfalt. Das gilt auch für Europa. Der Euro wird den Wettbewerb zwischen den europäischen Regionen auch am Arbeitsmarkt erhöhen. Arbeitsrechtliche und sozialpolitische Mindeststandards müssen zwar für Fairness sorgen und Ausbeutung verhindern. Mehr an Wettbewerbseinschränkung wird aber nicht durchsetzbar sein und wäre auch schädlich für den Arbeitsmarkt. Die Aufgabe des Monitoring" erfordert eine starke und unabhängige Kommission. Es muß verhindert werden, daß die Best-Practice-Berichte und die aus ihnen gezogenen Schlußfolgerungen durch Einwirkungen aus dem Kreis der Mitgliedstaaten und Sozialpartnern verwässert werden. Wenn die Kommission in die Lage versetzt wird, Handlungsdefizite und besondere Erfolge in den Mitgliedstaaten offen anzusprechen und die Ursachen zu diskutieren, dann kann sich ein europäischer Beschäftigungswettbewerb im besten Sinne entfalten.
Die Einbettung Europas in die globalisierte Weltwirtschaft und die zunehmende Globalisierung auch des einzelnen Unternehmens ist unumkehrbar. Vor diesem Hintergrund begünstigt eine strukturkonservative Ordnungspolitik die defensive Anpassung europäischer Unternehmen durch Beschäftigungsabbau. Offensive Deregulierung dagegen nutzt die Globalisierung zur Schaffung von Wachstum und Arbeit. Hier liegt die künftige Hauptaufgabe der europäischen und nationalen Ordnungspolitik. Die vielfach unscharfe Wortwahl und die breit angelegten Formulierungen in der Kölner Entschließung des Europäischen Rates sowie dem zugrundeliegenden Bericht der Europäischen Kommission zeigen, daß Europa noch keine einheitliche ordnungspolitische Linie gefunden hat: Die als notwendig erkannten Regulierungen auf Arbeits-, Güter- und Kapitalmärkten werden hinter der unverbindlichen Forderung nach mehr Effizienz versteckt. Der Makroökononomische Dialog ist irgendwo angesiedelt zwischen einem Bündnis für Arbeit nach deutschem Muster und dem französischen Wunsch, die Geldpolitik stärker in die staatliche Wirtschafts- und Finanzpolitik einzubinden. Die Adressaten und Teilnehmer des Makroökonomischen Dialogs auf Europäischer Ebene bleiben unklar. Insgesamt scheint noch durchaus offen, ob die Europäische Union und insbesondere der Europäische Währungsraum eher einen strukturkonservativen Weg wählt oder schmerzhafte Herausforderungen offensiv angeht. Nicht überall wird mit der notwendigen Schärfe gesehen, daß die Freiheit des Unternehmenssektors in der globalisierten Weltwirtschaft nicht mehr rückholbar ist. Der industrielle Sektor, die Kapitalmärkte und die Märkte für hochwertige Dienstleistungen machen an den europäischen Grenzen nicht mehr halt. Wer überkommene Strukturen und Regulierungen unbedacht stützt, verlagert im Ergebnis Arbeitsplätze aus dem Wirtschaftsraum, den er schützen möchte, und behindert damit auch die Entwicklung von Arbeitsplätzen in jenen Wirtschaftszweigen, die nicht in internationaler Konkurrenz stehen. Die hierin liegende Wahlentscheidung hat Europa zum größeren Teile noch zu treffen. © Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Februar 2000 |