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Reform der Finanzverfassung / von Thilo Sarrazin. - [Electronic ed.]. - Bonn, 1998. - 13 S. = 53 Kb, Text
Electronic ed.: Bonn: FES Library, 1998

© Friedrich-Ebert-Stiftung


INHALT






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1. ZUSAMMENFASSUNG

Die weitgehende Gleichverteilung der Steuereinnahmen über die westdeutschen Länder seit 1970 über den Länderfinanzausgleich hat entgegen den damaligen Erwartungen keine entsprechende Angleichung der Wirtschaftskraft, gemessen am Bruttoinlandsprodukt pro Einwohner, gebracht. Hingegen haben die westdeutschen Nehmerländer seither trotz vergleichbar hoher Steuereinnahmen durchweg deutlich mehr Schulden gemacht als die Geberländer.

Die gegenwärtige Konstruktion des bundesstaatlichen Finanzausgleichs birgt ein Anreizdefizit: Fiskalisch gesehen lohnt es sich nicht, wenn ein Bundesland seine relative Wirtschaftskraft steigert, denn das Ausgleichssystem verhindert, daß zwischen der Wirtschaftskraft eines Landes und seinen Steuereinnahmen ein nennenswerter Zusammenhang besteht.

Dies offenbart die ordnungspolitischen Systemmängel: Weder die reichen noch die armen Länder haben ein echtes Interesse an der effizienten Nutzung ihrer Steuerquellen. Bei der Existenz von höherer Staatsverschuldung in den ärmeren Ländern trägt der Grundsatz ‘Gleichheit der Lebensverhältnisse durch Gleichverteilung der Einnahmen’ nicht. Vergleichbare Leistungs- und Versorgungsniveaus können nur durch zusätzliche Verschuldung aufrechterhalten werden. Einheitliche bundesstaatliche Leistungsvorgaben verstärken diese Tendenzen.

Deshalb bedürfen die Konsolidierungsbemühungen der Länder einer Unterstützung durch veränderte institutionelle Regelungen. Der zentrale Reformgrundsatz muß dabei lauten: Jede Gebietskörperschaft braucht die ungeteilte Verantwortung für ihre Finanzen. Dazu müssen Bund und Länder ihre finanzpolitischen Entscheidungen und Verantwortlichkeiten entflechten und für mehr finanzpolitische Transparenz sorgen. Sie müssen in die Lage versetzt werden, den Umfang ihrer Einnahmen und Ausgaben eigenverantwortlich zu gestalten. Darüber hinaus muß das fiskalische Eigeninteresse am wirtschaftlichen Erfolg des jeweils eigenen Landes deutlich steigen.

Vorgeschlagen werden - bei entsprechenden Übergangsregelungen - folgende Reformelemente:

Die Steuereinnahmen der Nehmerländer werden durch den Finanzausgleich auf maximal 90 % des Bundesdurchschnitts aufgefüllt, um das finanzpolitische Eigeninteresse der Länder zu stärken.

Die Zweistufigkeit des Finanzausgleichs wird durch ein einstufiges Verfahren ersetzt, da die Kombination aus horizontalem Finanzausgleich und bundesstaatlichen Ergänzungszuweisungen erheblich zu den jetzigen Verzerrungen beiträgt.

Die bundesstaatlichen Vorgaben für Art und Umfang der Aufgabenerfüllung der Länder werden zurückgefahren, die Möglichkeiten zur eigenständigen Gestaltung der Steuereinnahmen für die Länder hingegen erhöht (steuerliches Zuschlagsrecht).

Einführung eines Trennsystems, bei dem die Umsatzsteuer zu einer reinen Bundessteuer wird und alle Steuern auf das Einkommen, einschließlich Solidaritätszuschlag, den Ländern zugeschlagen werden, wobei wegen der Einheitlichkeit der Besteuerung die Gesetzgebungskompetenz für Bemessungsgrundlage und Tarife der Steuern auch weiterhin allein beim Bund verbleiben muß - jedoch mit Zustimmungspflicht der Länder.

Die Vorteile dieser Regelungen liegen auf der Hand: Bund und Länder decken die ihnen zugewiesenen Aufgaben vollständig aus den eigenen Einnahmen, wodurch jede Gebietskörperschaft die volle Verantwortung für ihr Finanzgebaren erhält. Besondere finanzielle Wünsche einzelner Länder oder vorübergehende Notsituationen können durch (allerdings unpopuläre!) Zuschläge zur Einkommensteuer aufgefangen werden. Dies verstärkt den Produktivitätsdruck auf staatliches Handeln. Darüber hinaus ermöglicht das Trennsystem eine starke Vereinfachung und Entflechtung der Einnahmenverteilung, wobei Bund und Länder je aus eigenen Steuerquellen die politisch angestrebte Steuerquote erreichen können .

Für die volle Wirksamkeit dieses Reformkonzepts muß zusätzlich beachtet werden, daß bei dem vorgeschlagenen einstufigen 90prozentigen Finanzausgleich die Unterschiede zwischen den Ländern vor Umverteilung nicht zu groß sein dürfen, d.h. für die ostdeutschen Länder müssen gegebenenfalls auch über das Jahr 2004 hinaus Sonderregelungen gelten, und daß anders als bisher die Steuereinnahmen der Kommunen im Ausgleichsverfahren vollständig berücksichtigt werden. Darüber hinaus muß der Bund die Reichweite seiner Gesetzgebungskompetenz mehr auf die Festlegung von Rahmenbedingungen konzentrieren, damit die Länder die Möglichkeiten zu Kostensenkung und Effizienzsteigerung im öffentlichen Bereich voll ausschöpfen können.

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2. EINFÜHRUNG

Seit der Verfassungsklage von Bayern und Baden-Württemberg gegen den geltenden Länderfinanzausgleich hat das Thema der Finanzverfassung in den Medien Konjunktur. Auch die Vorschläge des Sachverständigenrates im Jahresgutachten 1997/98 haben die Diskussion weiter belebt.

Die Diskussion hat in den letzten Monaten insoweit Fortschritte gemacht, als auch Nehmerländer eine Tendenz des gegenwärtigen Systems zur übermäßigen Nivellierung der Steuereinnahmen nicht gänzlich bestreiten. Auf der anderen Seite erkennen Geber- und Nehmerländer an, daß das 1993 mit dem Solidarpakt für Ostdeutschland vereinbarte Leistungspaket grundsätzlich für den Zeitraum der Geltung des Solidarpakts, also bis 2004, nicht in Frage gestellt werden kann. Schließlich wird zunehmend akzeptiert, daß eine grundlegende Reform des Länderfinanzausgleichs ohne gleichzeitige grundlegende Neuordnung der Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern nicht möglich ist,

weil die Bundesergänzungszuweisungen integraler Bestandteil des bundesstaatlichen Finanzausgleichs sind,

weil die von Bayern und Baden-Württemberg angestrebte größere Selbstbehaltsquote bei den Einnahmen Lücken bei den ärmeren Ländern reißt, die nur durch zusätzliche Einnahmen oder zusätzliche Einsparungen geschlossen werden können.

Für das Erstere brauchen auch die ärmeren Länder größere Freiheitsgrade bei der Festsetzung ihrer Einnahmen, für das Zweite brauchen sie größere Gestaltungsmöglichkeiten bei der Art der staatlichen Aufgabenerfüllung, insbesondere bei der Vergütung des öffentlichen Dienstes und der Durchführung von Leistungsgesetzen.

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3. DIE MÄNGEL DES BUNDESSTAATLICHEN FINANZAUSGLEICHS

In den letzten Jahren hat die Spreizung zwischen den Finanzverhältnissen der ärmeren und reicheren Bundesländer, gemessen an ihrer Verschuldung, ständig zugenommen. Bis Ende der sechziger Jahre hatten die Bundesländer, wie auch der Bund, kaum Schulden in nennenswertem Umfang. Die unterschiedliche Finanzkraft der Länder führte bei unvollkommenen Ausgleichsmechanismen zu einem entsprechend unterschiedlichen Ausgabeverhalten, kaum aber zu unterschiedlicher Verschuldung.

Dann aber bewirkte die Reform des bundesstaatlichen Finanzausgleichs 1969 in Bezug auf die Steuereinnahmen eine weitgehende Einebnung noch vorhandener Finanzkraftunterschiede zwischen den Bundesländern: Der damals neu geregelte horizontale Finanzausgleich und die ebenfalls gesetzlich geregelten Bundesergänzungszuweisungen stellen seitdem sicher, daß zwischen reichen und armen Ländern nennenswerte Unterschiede in den Steuereinnahmen pro Einwohner nicht mehr bestehen. Auch der Solidarpakt von 1993, der die neuen Länder in den bundesstaatlichen Finanzausgleich einbezog, änderte daran nichts. Im Gegenteil, die Verteilung der Steuereinnahmen wurde noch stärker von der Verteilung der Wirtschaftskraft abgekoppelt. Die Summe der Ausgleichsmechanismen bewirkt heute sogar, daß westdeutsche Nehmerländer im Finanzausgleich, wie Schleswig-Holstein, Niedersachsen oder Rheinland-Pfalz, inklusive Ausgleichszahlungen und Bundesergänzungszuweisungen teilweise höhere Steuereinnahmen pro Kopf erzielen als Geberländer, wie Nordrhein-Westfalen, Hessen, Bayern oder Baden-Württemberg. Die Lage wird sich zwar in dem Maße etwas entschärfen, in dem die den „armen" westdeutschen Ländern im Rahmen des Solidarpakts gewährten Übergangs-Bundesergänzungszuweisungen wie im Solidarpakt festgelegt stufenweise abgebaut werden. Gleichwohl verbleibt es nach dem gegenwärtigen System auch langfristig bei der Tatsache, daß die Steuereinnahmen der westdeutschen Länder durch den zweistufigen bundesstaatlichen Finanzausgleich praktisch vollständig nivelliert werden. Lediglich dann, wenn man die Steuereinnahmen der Gemeinden miteinbezieht, relativiert sich dies Feststellung etwas. Als Beleg mögen die Ist-Zahlen für das Jahr 1997 dienen:

Tabelle 1

Steuereinnahmen der Länder in DM je Einwohner 1997
(inklusive Länderfinanzausgleich und Bundesergänzungszuweisungen)

Land

Land und Gemeinden




Länder insgesamt (Durchschnitt)

3.997

5.174




Schleswig Holstein

3.723

4.857

Niedersachsen

3.638

4.762

Hessen

3.585

5.106

Rheinland-Pfalz

3.688

4.819

Baden-Württemberg

3.549

4.867

Bayern

3.638

4.901

Saarland

5.379

6.382

Nordrhein Westfalen

3.568

4.964

Alte Flächenländer (Durchschnitt)

3.635

4.935




Brandenburg

4.918

5.446

Mecklenburg-Vorpommern

4.991

5.443

Sachsen

4.816

5.329

Sachsen-Anhalt

4.945

5.417

Thüringen

4.923

5.338

Neue Flächenländer (Durchschnitt)

4.901

5.383




Hamburg

4.685

6.960

Bremen

7.669

9.248

Berlin

5.767

6.941

Stadtstaaten (Durchschnitt)

5.671

7.214

Die alten Flächenländer liegen bei den Pro-Kopf-Einnahmen extrem dicht zusammen, und auch inklusive der Gemeindesteuern kaum auseinander. (Lediglich das Saarland hat aufgrund der zeitlich begrenzten Haushaltsnotlage-Zuweisungen deutlich höhere Pro-Kopf-Einnahmen.) Auch die neuen Länder liegen dicht beieinander, wegen des Solidarpaktes sind die Einnahmen aber etwa um 8 % höher als bei den alten Ländern. Wesentlich höhere Pro-Kopf-Einnahmen haben die Stadtstaaten, wobei im Falle Bremens wiederum die Haushaltsnotlage-Zuweisungen maßgebend sind, im Falle Berlins die Teilnahme am Solidarpakt.

Die im Rahmen des Solidarpakts vereinbarten, zunächst bis 2004 befristeten Sonderbedarfs-Bundesergänzungszuweisungen für die neuen Bundesländer werden als historische Ausnahme und Übergangssituation in diesem Zusammenhang nicht weiter grundsätzlich betrachtet. Für Deutschland als Gesamtheit stellt sich die Aufgabe, nach Ausläufen dieser Übergangshilfen zu einer rationalen Finanzverfassung zu finden.

Die weitgehende Gleichverteilung der Steuereinnahmen der westdeutschen Länder seit 1970 hat entgegen den damaligen Erwartungen keineswegs eine entsprechende Angleichung der Wirtschaftskraft, gemessen am Bruttoinlandsprodukt pro Einwohner, bewirkt. Die überkommenen Unterschiede in der Wirtschaftskraft sind vielmehr bei kleineren Verschiebungen und Schwankungen im wesentlichen unverändert geblieben.

Geändert hat sich etwas anderes. Die westdeutschen Nehmerländer haben seit Anfang der siebziger Jahre trotz vergleichbar hoher Steuereinnahmen durchweg deutlich mehr Schulden gemacht als die Geberländer, und dieser Prozeß setzt sich fort. Einschließlich der Zinsausgaben haben heute die westdeutschen Nehmerländer durchweg deutlich höhere Nettoausgaben pro Einwohner als die Geberländer und Jahr für Jahr eine deutlich höhere Nettoneuverschuldung. Damit sind die Nehmerländer (hier ist immer nur von Westdeutschland die Rede) in eine Falle geraten: Ohne Zinsen sind ihre Pro-Kopf-Ausgaben niedriger, mit Zinsen aber höher als die der reichen Länder, und das Bestreben, auf allen Gebieten gleiche Standards wie die reicheren Länder anzubieten, führt dazu, daß die Verschuldung der ärmeren Länder relativ zu den reicheren mehr und mehr ansteigt, das Problem sich also ständig weiter verschärft: Noch 1980 hatte die Gesamtverschuldung der alten Bundesländer (ohne Stadtstaaten) 95 % der jährlichen Steuereinnahmen betragen, 1995 waren es bereits 160 %. Diese allgemeine Verschlechterung verteilte sich aber sehr ungleichmäßig: Während 1980 die Verschuldung Bayerns um 37 % unter dem Bundesdurchschnitt lag, waren es 1995 bereits 60 %. Das Saarland auf der anderen Seite lag mit seiner Gesamtverschuldung schon 1980 um 88 % über dem Bundesdurchschnitt, 1995 aber um 153 %!

Gegenüber diesen Divergenzen ist der einnahmeorientierte Finanzausgleich aber an das Ende seiner Ausgleichsmöglichkeiten angekommen. Er war auch nie dazu bestimmt, verschuldungsbedingte Unterschiede der Ausgabenhöhe auszugleichen. Im Gegenteil: Die Geberländer beklagen grundsätzlich zu Recht, daß das gegenwärtige Ausgleichssystem die Einnahmen der Länder übernivelliert. Fiskalisch gesehen lohnt es nicht, wenn ein Bundesland durch eine geschickte Politik oder glückliche Umstände seine relative Wirtschaftskraft steigert, denn die gegenwärtige Konstruktion des bundesstaatlichen Finanzausgleichs verhindert, daß es zwischen der Wirtschaftskraft eines Landes und den Steuereinnahmen des Landeshaushalts irgendeinen nennenswerten Zusammenhang gibt. Jedenfalls in bezug auf die Steuereinnahmen wird den armen und reichen Ländern, den fähigen und unfähigen Landesregierungen durch eine umfassende Umverteilung die Gleichheit der Ergebnisse garantiert.

Die Situation scheint völlig verfahren: Weder kann der selbst hochverschuldete Bund in den kommenden Jahrzehnten die Gruppe der hochverschuldeten Länder stärker entlasten, noch ist es den Geberländern im Finanzausgleich zuzumuten, über die praktisch jetzt schon erreichte völlige Gleichverteilung der Steuereinnahmen hinaus an die Gruppe der aufgrund ihrer hohen Verschuldung finanzschwachen Länder weitere Einnahmen abzugeben.

Dies sollte den Blick auf die grundsätzlichen ordnungspolitischen Mängel der gegenwärtigen bundesstaatlichen Finanzverfassung lenken:

Wegen der Gleichverteilung der Einnahmen haben weder die reichen noch die armen Länder an einer ergiebigen Nutzung ihrer Steuerquellen ein tatsächliches Interesse. Im Gegenteil, es besteht immer wieder die Versuchung, lasche Verhaltensweisen als ein bequemes Instrument der Wirtschaftsförderung zu Lasten der übrigen Länder und des Bundes anzusehen.

Die Ideologie des Finanzausgleichs, über die Gleichverteilung der Einnahmen die Gleichheit der Lebensverhältnisse in Deutschland sicherzustellen, führt auf der Ausgabenseite zum Anspruch der armen Länder, trotz überdurchschnittlicher Verschuldung auf möglichst allen Gebieten - Polizei, Justiz, Kindergärten, Schulen, Soziales, Wirtschaftsförderung, Städtebau etc. - die Versorgungs- und Leistungsstandards der reichen Länder sicherzustellen.

Dies wird unterstützt durch einheitliche bundesstaatliche Leistungsvorgaben vom Bundessozialhilfe- bis zum Unterhaltsvorschußgesetz.

Am Ende wird so der Staatscharakter der Bundesländer ausgehöhlt: Gleichgeschaltet bei den Einnahmen, gleichgeschaltet bei den Besoldungsstrukturen und beim größten Teil der Leistungsstandards, hoffen die hochverschuldeten Länder darauf, daß ihnen am Ende ein gnädiger deus ex machina, wahrscheinlich der Bund, aus der Patsche hilft.

Mit dieser Hoffnung aber wird in der politischen Realität jede ernsthafte und andauernde Sparbemühung ad absurdum getrieben: Der politische Wettbewerb - sowohl in den Ländern zwischen Opposition und Regierung als auch zwischen Ländern - ist fast ausschließlich auf Verbesserung der Leistungsstandards durch weitere Ausgabenerhöhungen ausgerichtet. Nennenswerte Konsolidierungsbemühungen versickern regelmäßig, wenn die nächste Landtagswahl am Horizont erscheint, und dies bleibt in der verqueren Logik unserer bundesstaatlichen Finanzverfassung auch so lange rational, als kein Bundesland befürchten muß, mit seinen selbstverursachten Verschuldungsproblemen auch tatsächlich dauerhaft alleingelassen zu werden. Die hochverschuldeten Länder müßten nämlich durch eine mehr als 10jährige Phase beträchtlicher Minderausgaben gehen, bis zum Beispiel Schleswig-Holstein oder Niedersachsen die vergleichsweise niedrigen Zinsbelastungen von Baden-Württemberg oder Bayern erreicht hätten. Deshalb bedürfen die Konsolidierungsbemühungen der Länder einer Unterstützung durch veränderte institutionelle Regelungen.

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4. ZENTRALER REFORMGRUNDSATZ: JEDE GEBIETSKÖRPERSCHAFT BRAUCHT DIE UNGETEILTE VERANTWORTUNG FÜR IHRE FINANZEN

Der im Maastricht-Vertrag festgelegte und für eine europäische Finanzverfassung mittlerweile weitgehend unstreitige Grundsatz des „no bailing out" - jeder Staat steht in der ungeteilten Verantwortung für die Ergebnisse seiner Haushaltspolitik - sollte auch die Ausgangsbasis für eine grundlegende Reform des bundesstaatlichen Finanzausgleichs werden.

In den Vereinigten Staaten hat dieses Prinzip eine 200jährige Tradition: Die Zentralregierung konzentriert sich auf bestimmte Aufgabenfelder und läßt die Staaten in weitgehend ungeteilter Verantwortung für ihre Leistungsstandards, für die Art der Aufgabenerfüllung und für ihre Staatsfinanzen. Ein allgemeiner Finanzausgleich nach unserem Muster ist dort unbekannt.

Ergebnis: Die Wähler und die Regierungen sind sich der Risiken einer Verschuldung auf der Ebene der Einzelstaaten in hohem Maße bewußt und verhalten sich entsprechend. Zwischen den Staaten der USA bestehen viel größere Unterschiede im Wohlstand und dem staatlichen Leistungsniveau als zwischen den deutschen Bundesländern. Aber für arme und reiche US-Staaten gilt gleichermaßen: Größere Finanzschulden bleiben die Ausnahme. In der Summe weisen die US-Staaten sogar einen Haushaltsüberschuß auf. Ähnlich deutschen Kommunalhaushalten werden Einnahmeschwankungen in erster Linie durch die Auflösung und Bildung von Rücklagen ausgeglichen. Der Preis dafür sind die wesentlich größeren Unterschiede im staatlichen Leistungsniveau. Diese gehen allerdings mit deutlich größeren Unterschieden in den Lohnkosten und einer auch in den armen Staaten deutlich niedrigeren Arbeitslosigkeit Hand in Hand.

Für Deutschland bleibt festzuhalten: Nicht die Länder, die abgeben mußten, sondern jene, die Ausgleichsmittel empfangen haben, betrieben trotz der weitgehenden Gleichverteilung der Steuereinnahmen in den letzten 30 Jahren eine mit ihren langfristigen Ausgabemöglichkeiten nicht übereinstimmende Finanzpolitik. Darüber muß man vertieft nachdenken. Auch die politische Farbenlehre hilft hier nicht weiter: Zwar werden zwei besonders finanzstarke und im Ländervergleich besonders sparsame Länder wie Bayern und Baden-Württemberg von der CSU bzw. CDU regiert, aber auch die Geberländer Nordrhein-Westfalen und Hessen können sich sehen lassen. Auf der anderen Seite legten die Nehmerländer Schleswig-Holstein, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz und Saarland den Grund für ihre heutige überdurchschnittliche Verschuldung vor der Zeit der heutigen SPD-geführten Regierungen.

Die Bemühung um wirtschaftliches Aufholen und die Herstellung gleicher Lebensverhältnisse trieb bei den ärmeren Ländern die Ausgaben und eine überdurchschnittliche Verschuldung an, ohne daß dies wegen der schon vollzogenen Gleichverteilung der Steuereinnahmen einen einnahmesteigernden Effekt gehabt hätte.

4.1. Elemente einer Reform

Was ist zu tun? Die überfällige Reform des bundesstaatlichen Finanzausgleichs muß

Bund und Länder in ihren Finanzen und ihren finanzpolitischen Entscheidungen voneinander unabhängiger machen und für eine Entflechtung der Verantwortung sorgen,

politisches Handeln auf Bundes- und Landesebene wieder transparent und für den Bürger in der Einheit von Entscheidung und Verantwortung zuordnungsfähig machen,

Bund und Länder in die Lage versetzen, den Umfang ihrer Einnahmen und Ausgaben eigenverantwortlich zu gestalten,

das fiskalische Eigeninteresse der Länder am wirtschaftlichen Erfolg ihres Landes deutlich steigern.

Es muß also eine klare Rückmeldung vom wirtschaftlichen Erfolg zur finanziellen Leistungskraft eines Landes, aber auch mehr Möglichkeiten für ein eigenverantwortliches Handeln der Landesebene geben. Dann werden sich mit der Zeit auch die Entscheidungsmaßstäbe der Wähler ändern, und solides finanzpolitisches Verhalten wird bei Wahlen mit mehr Nachdruck eingefordert werden.

Zu einer grundlegenden Reform gehören die folgenden Ansatzpunkte:

Beschränkung aller Wirkelemente des bundesstaatlichen Finanzausgleichs dergestalt, daß die Steuereinnahmen der Nehmerländer auf nicht mehr als 90 % des Bundesdurchschnitts aufgefüllt werden.

Beseitigung des zweistufigen Finanzausgleichs. Die insgesamt zur Finanzausstattung der Länder notwendigen Mittel sollen diesen unmittelbar zufließen und in einem einstufigen Verfahren umverteilt werden. Die oben dargestellten teilweise absurden Verteilungsergebnisse sind wesentlich in der Zweistufigkeit - zunächst horizontaler Finanzausgleich, dann Bundesergänzungszuweisungen - begründet.

Beschränkung der bundesstaatlichen Vorgaben für Art und Umfang der Aufgabenerfüllung der Länder. Finanzschwache Länder müssen die tatsächliche Möglichkeit besitzen, auch in den Kernaufgaben der staatlichen Aufgabenerfüllung andere Akzente zu setzen als reichere Länder. Für die Sozialhilfe z.B. wäre eine allgemeine bundesrechtliche Rahmenregelung grundsätzlich ausreichend.

Lockerung der bundeseinheitlichen besoldungsrechtlichen Vorgaben, Möglichkeit zum Abschluß abweichender Tarifverträge durch die Länder.

Mehr Möglichkeiten zur eigenständigen Gestaltung der Steuereinnahmen, z.B. durch eigene Hebesätze oder Zuschlagsmöglichkeiten analog zum amerikanischen Beispiel.

Systematisch am saubersten wäre eine Lösung, bei der die Steuerquellen von Bund und Ländern vollständig getrennt werden. 1996 hatten die gemeinschaftlichen Steuern, die Bund und Ländern (bzw. Gemeinden) zu je unterschiedlichen Anteilen gemeinsam zustehen, ein Gesamtaufkommen von 555 Mrd. DM, davon flossen 201 Mrd. dem Bund zu, der Rest (einschließlich Bundesergänzungszuweisungen und Beteiligung der Länder an der Mineralölsteuer) an Länder und Gemeinden. Außerdem nahm der Bund aus dem Solidaritätszuschlag 26 Mrd. DM ein. Im gleichen Jahr betrug das Aufkommen aus der Umsatzsteuer 237 Mrd. DM.

Falls man nun

die Umsatzsteuer zu einer reinen Bundessteuer,

alle Steuern auf das Einkommen zu reinen Ländersteuern (inklusive Gemeinden) machte,

und den Solidaritätszuschlag (Ergänzungsabgabe) ebenfalls den Ländern zuwiese,

dann verbliebe gegenüber der bisherigen Verteilung noch ein Betrag von 11 Mrd. DM zugunsten des Bundes (der allerdings den seit 1991 eingetretenen strukturellen Verlust in der relativen Einnahmeposition des Bundes nicht annähernd ausgleichen würde).

Man hätte dann die gesamte Einnahmenverteilung radikal vereinfacht und entflochten. Der Bund würde sich künftig ausschließlich aus Verbrauchsteuern, Länder und Gemeinden im wesentlichen ausschließlich aus Steuern auf das Einkommen finanzieren.

Der Bund hätte dann jederzeit die Möglichkeit, seinen Finanzbedarf über veränderte Steuersätze bei den spezifischen Verbrauchsteuern und der Umsatzsteuer in angemessener Weise zu decken, müßte sich dafür aber auch jeweils unmittelbar politisch rechtfertigen.

Wegen der Einheitlichkeit der Besteuerung sollte die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz für die Bemessungsgrundlage und die Tarife der Steuern auf das Einkommen auch künftig dem Bund (mit Zustimmungspflicht des Bundesrates) zustehen. Länder und Gemeinden müßten bundesrechtlich definierte und durch die eigene Gesetzgebung (Rechtsverordnung) zu aktivierende Zuschlagsrechte zur Einkommen- und Körperschaftsteuer erhalten. Die Zuschlagsrechte müßten so ausgestaltet sein, daß die bisherigen Zuschußempfänger im Finanzausgleich ihre bisherigen Einnahmevolumen durch Nutzung der Zuschläge sichern könnten. Eine Zuschlagsmöglichkeit von 10 % zu den Tarifen der Einkommen- und Körperschaftsteuer wäre hierzu ausreichend.

Zusammenfassend:

• Länder und Gemeinden verfügen allein über die Steuern auf das Einkommen

• Der Bund verfügt allein über die Steuern auf den Verbrauch

• Ein einstufiger horizontaler Länderfinanzausgleich füllt die Steuereinnahmen der ärmeren Länder auf 90 % des Bundesdurchschnitts auf. Die Höhe des dafür notwendigen Abschöpfungssatzes wird jedes Jahr erneut ermittelt. Es gibt nur eine einheitliche Abschöpfungsrate, die auf die 100 % des Bundesdurchschnitts überstiegene Finanzkraft angewandt wird.

• Der Bund behält die Gesetzgebungskompetenz für Bemessungsgrundlage und Tarif bei der Einkommen- und Körperschaftsteuer. Die Länder erhalten die Möglichkeit, in eigener Zuständigkeit Zuschläge von bis zu 10 % zu erheben. Die Steuereinnahmen aus Zuschlägen werden bei der Emittlung der Finanzkraft nicht in Anschlag gebracht.

Damit können Bund und Länder ihre Finanzierungsnotwendigkeiten aus eigenen Steuerquellen decken und insoweit eigenständig handeln. Sie stehen andererseits gegenüber der Öffentlichkeit in einer transparenten und eindeutigen Verantwortung. Es kann sicher vorhergesagt werden, daß dies auf die Qualität der Entscheidungsfindung in Bund und Ländern einen erheblich - und positiven - Einfluß haben wird.

Solch ein neues System bedarf natürlich einer angemessenen Übergangsregelung, zu der auch eine teilweise Bereinigung der in der Ausgangslage unterschiedlichen Schuldenverhältnisse gehören muß.

Es wird außerdem notwendig sein, den Ländern bei der Umsetzung bundesstaatlicher Vorgaben, etwa im Sozialleistungsvergleich, mehr gesetzlichen Spielraum zu geben, um die finanzpolitische Autonomie auch auf der Ausgabenseite zu stärken.

Leider sind die Chancen eines solchen vom Managerkreis der Friedrich-Ebert-Stiftung im März 1998 erstmals vorgeschlagenen Trennsystems nicht dadurch größer geworden, daß der damalige Bundesfinanzminister Waigel im Juli 1998, mitten in den Wahlkampf hinein, ohne die notwendige Differenzierung und argumentative Unterfütterung, ein ähnliches Trennsystem vorschlug. Der erste, der dies öffentlich rundheraus ablehnte, war der Finanzminister des Freistaats Bayern.

4.2. Vorteile der vorgeschlagenen Neuregelung

Bund und Länder decken die ihnen zugewiesenen Aufgaben vollständig aus eigenen Einnahmen. Die ständige Vermischung inhaltlicher Fragen mit dem Streit um die Finanzverteilung hört auf.

Jede Gebietskörperschaft hat die volle Verantwortung für ihr Finanzgebaren. Dies macht Entscheidungen zunächst schwieriger, führt aber am Ende zu produktiveren Lösungen. Regierung und Parlamente werden in ganz anderem Umfang gezwungen, langfristige finanzielle Folgen ihrer Entscheidungen in die Entscheidungsfindung einzubeziehen.

Das Verhalten der Länder im Bundesrat wird sowohl kritischer als auch konstruktiver werden. Kritischer - weil dort, wo der Bund seine rechtssetzende Rahmenkompetenz für von den Ländern durchzuführende Aufgaben wahrnimmt, die Länder die finanziellen Folgen intensiver im Auge haben werden. Konstruktiver - weil in einem System deutlich getrennter Finanzen und Zuständigkeiten Entscheidungsblockaden unattraktiver werden.

Besondere finanzielle Wünsche einzelner Länder oder vorübergehende Notlagen können durch die Zuschläge zur Einkommensteuer aufgefangen werden. Damit entfällt die Notwendigkeit, immer gleich in zusätzliche Verschuldung auszuweichen. Da die Erhebung von Zuschlägen extrem unpopulär sein dürfte, wird sich der Druck, Mehrausgaben gründlich zu rechtfertigen und alle Wirtschaftlichkeitsreserven der öffentlichen Leistungserstellung aufzuspüren, wesentlich erhöhen.

Dies verstärkt den Produktivitätsdruck auf staatliches Handeln. Es stimmt ja nicht, daß zwischen den Kosten und der Qualität staatlicher Leistungserstellung ein besonders enger Zusammenhang besteht. Er ist im Gegenteil relativ lose, oder anders ausgedrückt: im öffentlichen Bereich gibt es besonders hohe Produktivitätsreserven.

Es wird für die Länder attraktiver, potente Steuerzahler, seien es private Haushalte oder Unternehmen, in die eigenen Grenzen zu ziehen. Gleichzeitig wird es für die Länder attraktiv, Kosten und Leistungen abzubauen, die nur einen geringen werbenden Charakter haben.

Die positiven Wirkungen solcher Verhaltensänderungen werden machtvoll sein, aber sie werden sich erst allmählich einstellen. In der Summe wird es relative Gewinner und Verlierer, aber einen Wohlstandsgewinn für die ganze Nation geben.

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5. ZU DEN WESENTLICHEN EINWÄNDEN

Das vorgeschlagene Reformkonzept steht quer zum gesamten „mainstream" der politischen Diskussion und Willensbildung der letzten 30 Jahre. Die wesentlichen Kritikpunkte, die es erfahren hat bzw. noch erfahren wird, werden im folgenden kurz angesprochen und erörtert.

5.1. Einbeziehung der Gemeinden

Bei der dem Finanzausgleich zugrundeliegenden Berechnung der Finanzkraft der Länder werden bislang die Steuereinnahmen der Gemeinden nur hälftig einbezogen. Dieser 1957 gefundene Kompromiß blieb bis heute unangetastet. Dies bedeutet natürlich auch, daß die ärmeren Länder im Rahmen des kommunalen Finanzausgleichs mit relativ höheren Ausgleichsforderungen ihrer Gemeinden konfrontiert werden, wenn und soweit das Erreichen eine bundesdeutschen Durchschnittsstandards das Ziel ist.

Es erscheint deshalb angebracht, bei einem einstufigen Finanzausgleich, der die Finanzkraft lediglich auf 90 % des Bundesdurchschnitts auffüllt, die Steuereinnahmen der Gemeinden vollständig miteinzubeziehen. Dabei ist von normierten Hebesätzen auszugehen. Dies trägt auch dem Charakter der Gemeinden als Selbstverwaltungskörperschaften der Länder Rechnung.

5.2. Neunzig-Prozent-Niveau des Finanzausgleichs

Das vorgeschlagene Ausgleichsniveau stellt einen pragmatischen Kompromiß dar zwischen der politischen Zielsetzung, keine übergroßen Disparitäten im staatlichen Leistungsniveau entstehen zu lassen, und der Notwendigkeit, einen hinreichenden Zusammenhang zwischen wirtschaftlicher Leistungskraft und staatlichem Einnahmeniveau zu erhalten. In einem einstufigen Verfahren und bei akzeptablen Abschöpfungssätzen wird dieses Ausgleichsniveau nur zu erreichen sein, wenn die Unterschiede vor Umverteilung nicht zu groß sind. Gegebenenfalls wird man deshalb für die ostdeutschen Länder noch über das Jahr 2004 hinaus eine Sonderlösung vereinbaren müssen.

5.3. Berücksichtigung anderer staatlicher Leistungen

Die Vertreter der ärmeren Länder weisen regelmäßig darauf hin, daß die reicheren Länder wegen der größeren Konzentration von Industrie und Forschungseinrichtungen durch öffentliche Beschaffungsaufträge, insbesondere der Bundeswehr, oder durch Forschungsgelder stärker begünstigt werden.

Diese Argumentation ist im Zusammenhang mit dem Finanzausgleich schief. Beschaffungs- oder Forschungsaufträge sind ja keine staatliche Transferleistung, sondern Teil eines wirtschaftlichen Leistungsaustauschs, an dem Unternehmen eines leistungsstärkeren Landes in höherem Maße beteiligt sind.

Als Gegenmittel hilft hier nur die Steigerung der Standortattraktivität eines ärmeren Landes. Dies kann z.B. auch bestehen in günstigeren Lohnkosten, billigeren Grundstücken und einer unternehmerisch denkenden, unbrürokratischen Verwaltung.

5.4. Fallen die armen Länder bei einem abgespeckten Finanzausgleich zwingend immer weiter zurück?

Dies ist das Hauptargument der Anhänger des gegenwärtigen Finanzausgleichs. Es hätte dann Berechtigung, wenn man die weitgehende Gleichartigkeit der Ausgabestrukturen und Leistungsprofile der Länder als sachgerecht und zwingend ansieht, und weniger Ausgabemöglichkeiten mit geringerer Leistungsfähigkeit gleichsetzt. Dies verkennt aber die großen Möglichkeiten der Produktivitätssteigerung und die ganz unterschiedlichen denkbaren Wege der Leistungserstellung im öffentlichen Bereich, die bisher kaum oder nur unzureichend genutzt werden:

• Es gibt keine Sachgesetzlichkeit, daß Polizisten in unterschiedlich reichen Ländern gleiche Einkommen beziehen. (Es gibt daneben interessanterweise auch keinen statistisch meßbaren Zusammenhang zwischen Polizeidichte einerseits und Verbrechensrate oder Aufklärungsquote andererseits).

• Die Leistungsfähigkeit des Bildungssystems weist zwischen den Bundesländern signifikante Unterschiede auf, die allerdings zu den Unterschieden der Lehrerdichte oder der Bildungsausgaben pro Kopf nicht in Korrelation stehen.

• Von Land zu Land gibt es signifikante Unterschiede in der Zahl der Verwaltungsmitarbeiter pro Kopf der Bevölkerung.

• In der Förderung des Wohnungsbaus, aber auch im Sozialhilfesystem, stecken riesige Produktivitätsreserven.

• Deutschland hat mit die höchste Richterdichte in der Welt, ohne daß die Länderjustizminister in den letzten Jahrzehnten je einen Versuch zu einer durchgreifenden Justizreform gemacht hatten.

• Das staatliche Bauen und die staatliche Liegenschaftsverwaltung haben große unausgeschöpfte Produktivitätsreserven.

Die Liste der Beispiele ließe sich fortsetzen, die damit verbundenen Möglichkeiten der Kostensenkung und Leistungssteigerung im öffentlichen Bereich gehen über einen Finanzkraftunterschied von 10 % weit hinaus. Ein armes Land, das hier mit Energie und Phantasie zu Werke geht, kann sehr schnell ein wesentlich besseres Leistungsprofil erreichen als ein träges reiches Land.

Nicht unterschätzt werden sollte der Gesichtspunkt, daß das gegenwärtige System Trägheit und Opportunismus in der Landespolitik eher belohnt, innovative Aktivität dagegen eher bestraft, denn den zahlreichen Negativkoalitionen der Betroffenen steht nie eine annähernd gleich starke Koalition von Produktivitätsgewinnern gegenüber.

Dazu gehört natürlich auch, daß sich der Bund bei der Wahrnehmung seiner bundesgesetzlichen Zuständigkeiten mehr auf die Festlegung von Rahmenkompetenzen konzentriert. Weder die Beamtenbesoldung, noch die Förderung des sozialen Wohnungsbaus noch die Ausstattung mit Kindergartenplätzen, noch der Leistungskatalog der Sozialhilfe bedürfen bundeseinheitlicher Regelungen.

5.5 Ist ein Trennsystem bei den Steuerquellen fair und praktikabel?

Jede Steuerart hat bekanntlich spezifische Eigenarten bzw. Vor- und Nachteile:

• Die Spezifischen Verbrauchsteuern wie Mineralöl-, Branntwein- oder Tabaksteuer sind relativ einfach zu erheben, Steuervermeidung ist schwierig. Sie haben aber nur eine niedrige Elastizität in bezug auf die allgemeine Einkommens- und Produktionsentwicklung und steigen ohne ständige Erhöhung des Steuersatzes nur unterproportional. Selbst Steuersatzerhöhungen helfen aber irgendwann nicht mehr, wenn die Nachfrage preiselastisch ist bzw. der mengenmäßige Verbrauch nicht mehr zunimmt oder gar abnimmt.

• Die Mehrwertsteuer wächst bei richtiger Erhebungstechnik auch ohne Steuersatzänderungen proportional zum Sozialprodukt. Sie ist aber vermeidungsanfälliger als die spezifischen Verbrauchsteuern (Schwarzarbeit, Außenhandel). Ihrer häufig kritisierten regressiven Verteilungswirkung (die so einfach gar nicht nachzuweisen ist) kann man durch eine Differenzierung des Steuersatzes begegnen.

• Die Steuern auf das Einkommen (Einkommensteuer, Lohnsteuer, Körperschaftsteuer, Gewerbeertragsteuer), wachsen bei progressivem Tarif, gegebenem Steuerrecht und gegebenem Steuervermeidungsgrad tendenziell schneller als Einkommen und Produktion. Es bestehen jedoch große dynamische Wechselwirkungen zwischen Steuertarif, Definition der Bemessungsgrundlage, Art und Umfang der Ausnahmetatbestände und Steuervermeidungsgrad. Das deutsche System ist an einem Punkt angekommen, wo die Steuern auf Einkommen und Ertrag, trotz im internationalen Vergleich sehr hoher nominaler Sätze, einen niedrigeren Anteil am BIP ausmachen als beispielsweise in den USA oder England.

• Steuern auf den Verbrauch haben generell geringere zyklisch bedingte Schwankungen als Steuern auf Einkommen und Ertrag.

Gegen ein Trennsystem werden insbesondere die folgenden drei Argumente ins Feld geführt:

1. Die stärkeren zyklischen Schwankungen der Steuern auf das Einkommen bedeuteten ein größeres Haushaltsrisiko.

2. Senkungen der Einkommensteuer würden einseitig nur einen Teil der öffentlichen Haushalte treffen.

3. In einem Trennsystem könne der finanzielle Deckungsbedarf zwischen Bund einerseits und Ländern andererseits nicht flexibel genug an veränderte Notwendigkeiten angepaßt werden.

Alle drei Argumente überzeugen bei näherer Betrachtung nicht:

Zyklische Schwankungen um eine grundsätzlich konstante Quote sind keine grundsätzliche Schwierigkeit für eine mittelfristig orientierte staatliche Haushaltspolitik, die über den Tellerrand des einzelnen Jahres hinaussieht. Wenn man von jedem Bauern verlangt, mit Schwankungen der Erntemengen und Agrarpreise fertig zu werden, sollten zyklische Schwankungen der Steuereinnahmen für die Haushaltspolitik eines Bundeslandes auch kein Problem sein, zumal der Trend ja grundsätzlich bekannt ist.

Wie der Vergleich mit dem Ausland zeigt, hat Deutschland keinen Bedarf an Nettoentlastung bei den Steuern auf Einkommen und Ertrag. Im Gegenteil, eine etwa an den Steuersätzen und Bemessungsgrundlagen des amerikanischen Steuerrechts orientierte Einkommensbesteuerung würde sogar erhebliche Mehreinnahmen mit sich bringen.

• Nach geltendem Recht soll die Anpassung der Umsatzsteuerverteilung für den notwendigen Ausgleich der Deckungsverhältnisse bei Bund und Ländern sorgen. Dies hat sich nicht bewährt: Weder hat der Bund als Interessent je objektive Berechnungen und Vorschläge vorgelegt, noch haben sich die Länder je zu einem fairen Ausgleich bereitgefunden. Vielmehr wurden die Verhältnisse in den vergangenen 25 Jahren kontinuierlich wirrer und konfuser. In einem Trennsystem kann dagegen für Bund und Länder je aus den eigenen Steuerquellen die politisch angestrebte Steuerquote erreicht werden.


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