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Europäische Integration : Stand des Binnenmarktes und des Maastricht-Prozesses / diese Thesen wurden erarb. von Christoph Dänzer Vanotti ... Unter Federführung von Michael Domitra ... Managerkreis der Friedrich-Ebert-Stiftung. - [Electronic ed.]. - Bonn, 1995. - 9 S. = 30 Kb, Text
Electronic ed.: Bonn: FES Library, 1998

© Friedrich-Ebert-Stiftung


INHALT






EUROPÄISCHE INTEGRATION: STAND DES BINNENMARKTES UND MAASTRICHT-PROZESSES

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Vorbemerkung und zentrale These

Wenn der Managerkreis das Thema Europäische Integration aufgreift, so sollte man annehmen, daß Wirtschafts- und Finanzfragen im Vordergrund stehen. Doch es geht neben Binnenmarkt und Wirtschafts- und Währungsunion auch um die Politische Union. Es ist nämlich fraglich, ob eine Währungsunion - wie sie die EU spätestens zum 1.1.1999 einführen will - ohne eine wirksame Politische Union von dauerhaftem Bestand sein kann. Und dies ist auch die zentrale These dieses Papiers: Neben einer effektiven Wirtschaftsunion im Sinne einer koordinierten Wirtschafts- und Finanzpolitik ist für eine funktionierende Währungsunion der parallele Aufbau einer politischen Union zwingend geboten. Das Junktim, das die deutsche Bundesregierung zwischen Währungsunion und Politischer Union für den Maastricht-Vertrag formulierte, war - wie wir alle wissen - nicht von Erfolg gekrönt. Gelegenheit zur Nachbesserung gibt es: bei der Regierungskonferenz 1996 zur Revision des Vertrages von Maastricht müssen substantielle Fortschritte bei der Entwicklung der Politischen Union erzielt werden und diese müßten bei Einführung der Währungsunion in Kraft sein.

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Gründe für eine europäische Integration

1.
Da die 90er Jahre gekennzeichnet sind von einer Renaissance des Nationalismus und die Gefahr besteht, daß die Fähigkeit zu übernationalen Organisations- und Staatenbildungsprozessen abnimmt, ist es angebracht, sich die Gründe für eine europäische Integration in Erinnerung zu rufen. Die Europäische Gemeinschaft war nicht lediglich als "gehobene Freihandelszone" konzipiert, sondern als eine "Schicksalsgemeinschaft", die neben der ökonomischen Verflechtung auch die politische Zusammenarbeit anstrebte. In diesem Sinne hat der Vertrag von Maastricht Fortschritte gebracht - die aber nicht ausreichen (s.w.u.). Gerade aus der Interessenlage Deutschlands heraus lassen sich drei Gründe für die europäische Integration aufführen:

  • Die exponierte Lage Deutschlands in der Mitte Europas hat in der Vergangenheit immer wieder zu kriegerischen Auseinandersetzungen geführt. Das "Projekt Europa" hat in erster Linie zum Ziel, eine stabile Friedensordnung aufzubauen. Dabei sollen die Verflechtung und Interdependenzen zwischen den beteiligten Nationen so weit getrieben werden, daß bei auftretenden Konflikten nur zu innerstaatlichen bzw. innergesellschaftlichen Lösungsmechanismen gegriffen wird. Der Krieg als "ultima ratio" scheidet aus. Auf diesem Weg ist die Europäische Union schon weit vorangeschritten und ist eine historisch beispiellose Erfolgsstory. Es hat sich eine europäische politische Kultur entwickelt. Doch ob diese ein tragfähiges, dauerhaftes Fundament für Europa abgibt, ist schwer zu sagen.

  • Gerade für Deutschland war die Europäische Gemeinschaft eine Erfolgsstory mit beträchtlichen Wohlstandszuwächsen. Der Binnenhandel gewann volkswirtschaftlich für die EG-Mitgliedstaaten eine immer stärkere Bedeutung. Die EG-Staaten steigerten den Handelsaustausch von rund 30% (1958) auf rund 60% (1991/92), wobei der Binnenhandel im Zeitraum 1958-1992 um das 40-fache zunahm. Die hochproduktiven und wettbewerbsfähigen deutschen Unternehmen profitierten von dieser Entwicklung überproportional. Diesen großen Markt auf Dauer zu sichern und auszubauen, stellt eine hohe Priorität deutscher Politik dar.

  • Deutschland und die anderen europäischen Nationalstaaten sind nicht in der Lage, als "global player" mitzuwirken. Lediglich ein vereintes Europa ist dazu in der Lage. Deshalb ist z.B. eine Europäisierung von Unternehmen erwünscht und zu fördern. Darüberhinaus verlangen globale, die Grenzen überschreitende Probleme wie Armutswanderung, Klima-Katastrophe, Bevölkerungsexplosion etc., auch globale Antworten. Dies gilt nicht zuletzt für Wirtschafts-, Handels- und Währungsfragen.


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Binnenmarkt

2.
Nach einer Krise der Weltwirtschaft und zwei Ölschocks in den 70er Jahren nahm die Integrationsbereitschaft in der EG ab. Die europäische Befindlichkeit zu Beginn der 80er Jahre war durch Begriffe wie "Europessimismus" und "Eurosklerose" gekennzeichnet. Das Projekt Binnenmarkt brachte einen neuen europäischen Aufschwung. Ziel war es, die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Wirtschaft vor allem gegenüber den USA und Japan zu steigern, indem über eine angebotsorientierte Strategie der Deregulierung Marktkräfte an Dynamik gewinnen sollten. Die Vollendung des großen einheitlichen Marktes setzte voraus, daß die Mitgliedstaaten alle Arten von Schranken abschaffen, ihre Regeln harmonisieren und ihre Rechtsvorschriften und Steuerstrukturen angleichen. Freizügigkeit sollte herrschen für Güter, Dienstleistungen, Personen und Kapital.

Sind nun die Schranken im Binnenmarkt 1994 abgebaut? Ende 1993 hatte die Gemeinschaft ca. 95% der geforderten Anpassungen verabschiedet und ca. 84% der von der EG getroffenen Rechtsakte waren im EG-Durchschnitt in nationales Recht umgesetzt. Dennoch existieren auch heute noch eine Reihe von Hindernissen für ein "grenzenloses" Europa. Diese betreffen drei Bereiche:

  • a) Die Abschaffung der materiellen Grenzen beinhaltet die Beseitigung aller Waren- und Personenkontrollen an den innergemeinschaftlichen Grenzen. Warenkontrollen gibt es nicht mehr, doch Personen werden noch sporadisch und im Stichproben-Verfahren kontrolliert. Die im sogenannten "Schengener Abkommen" zusammengeschlossenen EG-Staaten beabsichtigten, spätestens 1993 gänzlich auf Personenkontrollen an den Grenzen zu verzichten. Bedingung war, daß ber ein EDV-Verbundsystem der insbesondere zur Verbrechensbekämpfung notwendige Datenaustausch funktioniert. Bisher scheint den mit dieser Aufgabe betrauten Computer-Firmen die Lösung nicht gelungen zu sein. Die Hoffnung ist, daß bis Mitte 1995 der Durchbruch gelingt.

  • b)Die Abschaffung technischer Schranken bedeutet die Angleichung der nationalen Normen, Vorschriften und Sicherheitsstandards, die Liberalisierung des öffentlichen Auftragswesens, Freizügigkeit für Arbeitnehmer und Selbständige, einen gemeinsamen Markt für Dienstleistungen und freier Kapitalverkehr. Dabei stellte es sich als langwierig und schwierig heraus, alle wichtigen Rechtsnormen der 12 EG-Staaten zu harmonisieren. Stattdessen wurde nach dem Prinzip der "gegenseitigen Anerkennung" vorgegangen. Seither wird das "Prinzip Vertrauen" überwiegend nach dem Maßstab praktiziert: Harmonisierung, wo unbedingt notwendig, gegenseitige Anerkennung von nationalen Vorschriften und Regeln, wo möglich.

    Die Freizügigkeit für Arbeitnehmer und Selbständige ist durch die Anerkennung der Ausbildungsgänge und Hochschulabschlüsse grundsätzlich erreicht, doch erschweren die Unterschiede der historisch gewachsenen und kulturell verankerten Bildungssysteme ihre praktische Akzeptanz in der Arbeitswelt. Deshalb ist die Europäisierung insbesondere der mittleren Funktionseliten voranzutreiben, weil diese Humanressource für Europa einen strategischen Wettbewerbsvorteil bedeutet.

    Die Realisierung eines gemeinsamen Dienstleistungsmarkts erweist sich als ungleich schwieriger als der freie Warenverkehr. Ein gemeinsamer Markt für Banken, Versicherungen, Telekommunikation, Informationsleistungen und Verkehr etabliert sich nur allmählich. Es gibt z.T. massiven Widerstand der betroffenen Branchen, die ihre abgeschalteten Heimatmärkte dem frischen Wettbewerbs-Wind ausgesetzt sehen. Ähnliches gilt für die traditionell national ausgerichteten Märkte des öffentlichen Auftragswesens. Zwar gelten die Dienstleistungsrichtlinien der EG für öffentliche Aufträge als vorbildlich, doch in der Praxis ist davon noch wenig zu spüren. So beklagen z.B. die deutschen Anbieter von Telekommunikations-Leistungen, daß mit SEL-Alcatel Frankreich ca. 30% des deutschen öffentlichen Auftragsvolumens an sich zieht, während auf dem französischen Markt die deutschen Anbieter nirgendwo "den Fuß in die Tür" bekommen haben. Deshalb sollte Deutschland eine eigene Marktöffnung an parallele reale Fortschritte auch in den anderen Mitgliedsländern knüpfen.

  • c)Bei der Beseitigung der Steuerschranken, eine der wichtigsten und schwierigsten Bereiche für einen funktionierenden Binnenmarkt, sind die Ergebnisse eher bescheiden bis enttäuschend. Da die Steuersysteme Teil gewachsener Traditionen und Ausdruck praktischer Kultur und Prioritäten sind, verzichtete man auf harmonisierte Steuersätze; stattdessen wurden „Steuerkorridore" eingegeführt, die z.B. für die Mehrwertsteuer einen Mindestsatz von 15% festlegten. Zwar sind seit dem 1.1.1993 die Grenzkontrollen innerhalb der Gemeinschaft weggefallen, Jedoch wird die Mehrwertsteuer weiterhin ausschließlich im Bestimmungsland erhoben. Die Neuregelung schafft die Erstattung der Mehrwertsteuer (bei der Ausfuhr) und Neubelastung (bei der Einfuhr) an den Grenzen der Mitgliedsstaaten nicht ab, sondern verlegt lediglich die Schnittstelle weg von den physischen Grenzen in die Unternehmen hinein, die dadurch mit einem erheblichen Verwaltungs–Mehraufwand und zusätzlichen Haftungsrisiken belastet werden. Ob dieses umständliche und aufwendige System wie geplant zum 1.1.1997 durch das Ursprungsland-Prinzip abgelöst werden kann, ist noch völlig offen. Neue Regelungen bedürfen der Einstimmigkeit. Das Vereinigte Königreich bestreitet bisher deren Notwendigkeit.

    Die Angleichung der direkten Steuern ist bisher komplett ausgeklammert worden. Da die direkten Steuersätze einen wichtigen Bestimmungsfaktor für die Standortwahl für Unternehmen darstellen, besteht die Gefahr, daß sich ein Wettlauf in Richtung auf immer niedrigere Steuersätze durchsetzt. Deshalb brauchen wir letztlich auch eine Angleichung der direkten Steuern, weil sonst ein letztlich ruinöser Standortwettbewerb über zu niedrige Steuerquoten die Leistungsfähigkeit der Staaten gefährdet.

3.
Eine Bilanz des Binnenmarktes ergibt ein gemischtes Bild. Einerseits sind noch eine Reihe von Defiziten für einen funktionierenden Binnenmarkt zu konstatieren, doch sind auch beträchtliche Fortschritte eingetreten. Allen Beteiligten war im übrigen klar, daß mit dem Stichtag 1.1.1993 nicht sämtliche Probleme zu lösen waren. Im großen und ganzen ist das "Projekt Binnenmarkt" positiv zu bewerten. Es hat der Gemeinschaft neue Dynamik eingeflößt, die Unternehmen zu beträchtlichen Modernisierungs- und Rationalisierungs-Anstrengungen veranlaßt und die gegenseitige Marktdurchdringung vorangetrieben.

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Wirtschafts- und Währungsunion (WWU)

4.
Kernelement der im Vertrag von Maastricht vorgesehenen Wirtschaftsunion ist die Forderung nach einer strikten Haushaltsdisziplin der Nationalstaaten. Der Vertrag fordert: Keine Zentralbankkredite an öffentliche Haushalte der Gemeinschaft oder in den Mitgliedsstaaten, Haftungsausschluß der Gemeinschaft und der Mitgliedstaaten für die öffentlich–rechtlichen Verbindlichkeiten anderer Gemeinschaftsländer und die explizite Verpflichtung der Mitgliedstaaten auf eine solide Haushaltspolitik. Wird die Haushaltsdisziplin verletzt, wird ein besonderes Prüfverfahren eingeleitet. Der Europäische Rat kann Empfehlungen an das entsprechende Land aussprechen, diese gegebenenfalls auch veröffentlichen.
Festzuhalten gilt, daß im Gegensatz zur Geldpolitik die Finanzpolitik weder vergemeinschaftet noch effektiv koordiniert wird. Die Gemeinschafts-Praxis macht es äußerst unwahrscheinlich, daß z.B. Italien vom Europäischen Rat öffentlich gerügt und an den Pranger gestellt wird.

5.
Im Gegensatz zur Finanzpolitik haben die Regelungen für die Währungsunion eindeutig einen bundesstaatlichen Zuschnitt. Die Beitrittsvoraussetzungen für die Währungsunion sind:

- Die Inflationsrate eines Mitgliedstaates darf um nicht mehr als 1 1/2% über derjenigen in den drei preisstabilsten Ländern liegen.

- Eine tragbare Finanzlage der öffentlichen Hand wird gefordert: diese wird unterstellt, wenn die öffentliche Nettoneuverschuldung p.a. 3% und der öffentliche Schuldenstand eines Landes 60% des BIP nicht übersteigt.

- Ein potentielles Teilnehmerland muß mindestens 2 Jahre ohne größere Spannungen und ohne Abwertung die "normale Bandbreite" des Wechselkursmechanismus im EWS einhalten.

- Schließlich soll die Dauerhaftigkeit der von einem Mitgliedstaat erreichten wirtschafts- und währungspolitischen Konvergenz auch im Urteil der Märkte zum Ausdruck kommen. Als Indikator dient der Zinsabstand im langfristigen Kapitalmarktbereich gegenüber den drei preisstabilsten Ländern, der während des Jahres vor der Prüfung nicht mehr als 2 Prozentpunkte betragen darf.

Wenn bis Ende 1996 eine Mehrheit der Partnerländer die vier Konvergenzkriterien erfüllen, können diese Länder nach einen Beschluß des Europäischen Rates die Währungsunion zum 1.1.1997 starten. Ist dies nicht der Fall, beginnt die Währungsunion auf jeden Fall am 1.1.1999. Jedes Land, das die Kriterien erfüllt, muß teilnehmen. Es kann also geschehen, daß der Ministerrat mit qualifizierter Mehrheit und ggf. gegen die Stimme Deutschlands die Qualifikation der Bundesrepublik feststellt. Deutschland muß dann mitmachen, auch wenn sich Bundestag und Bundesrat mit Resolutionen dagegen wenden sollten. Andererseits erscheint es als sehr unwahrscheinlich, daß die Bundesrepublik gegen ihren ausdrücklichen Willen in die WWU gezwungen wird.

Wie sind nun die Regelungen der Heu im Sinne einer "Stabilitätsgemeinschaft" zu beurteilen?

6.
Es wird kritisiert, daß die Konvergenzkriterien zu weich seien.

- Es sollte nicht eine relative, sondern eine in absoluten Werten definierte Preieniveaustabilität als Konvergenz–Kriterium gefordert werden. So hat z.B. die Bundesbank in Form einer Selbstbindung eine 2%ige Inflationsrate p.a. als kritische Grenze definiert. So könnten die drei relativ stabilsten Währungen der EU unser Verständnis von Preis-niveaustabilität übersteigen, so daß eine „Inflationsgemeinschaft" nicht sicher ausgeschlossen werden kann. Anderseits, wer absolute Freistabilität fordert, will mehr für Europa, als bisher in Deutschland oder in anderen Ländern Maßstab ist. Auch der Bundesbank schreibt der Gesetzgeber keine absolute Grenze vor.

- Verfehlt ein Land die vorgesehenen Defizit- und Schuldenstandquoten, dann kann bereits eine "hinreichende Annäherung n an die vorgegebenen Zielwerte bzw. ein Wert in deren "Nähe" für eine Qualifizierung ausreichen. Um Diskriminierungen einzelner Länder zu vermeiden, kann sehr wohl der sich aus den Staats- und Regierungchefs zusammensetzende Europäische Rat mit qualifizierter Mehrheit die strikten Konvergenzkriterien aufweichen. Die Diskussion z.B. in Italien und Spanien, bloß nicht in die "Zweite-Liga" abzusteigen, also nicht gleich bei der 1. Runde der Währungsunion dabei zu sein, unterstreicht, welcher Druck dann auf dem Europäischen Rat lasten wird. Es wird sich dann zeigen, ob das Prinzip des "Europa der zwei Geschwindigkeiten" realisiert werden kann, also keinen Gleichschritt der Beitrittswilligen zur Währungsunion - so wie es der Vertrag vorsieht.

Auf der anderen Seite ist im Hartwährungsblock des EWS der Stabilitätskonsens bereits Realität. Diese Länder werden es sich sehr überlegen, ob sie den Start einer Währungsunion durch zu große Rücksichtnahme auf den Nationalstolz der Weichwährungsländer so belasten, daß massive Transfers eines horizontalen Finanzausgleichs notwendig werden. Dies würde mit Sicherheit den Europa-Konsens in den Geberländern, die diesen Transfer leisten müßten, überstrapazieren. Das Festhalten an den Konvergenzkriterien erlaubt es den Weichwährungsländern auch, ihren Bevölkerungen leichter die notwendigen Anpassungslasten aufzubürden. Etwa nach dem Motto "Europa schreibt es uns vor und da wir dabei bleiben wollen, müssen wir es umsetzen". Im übrigen hat das Bundesverfassungsgericht der Bundesregierung untersagt, an einer Aufweichung der Konvergenzanforderungen mitzuwirken. So gesehen könnte Maastricht durchaus als Stabilitätsprogramm für Europa wirken und tendenziell zur Ausbreitung einer allgemeinen "Stabilitätskultur" beitragen.

Würde der Europäische Rat aus sachfremden Gründen auch Länder aufnehmen, die die Stabilitätskriterien nicht erfüllen - so wäre ein schneller Zusammenbruch der Währungsunion wahrscheinlich. Bei einer strikten Stabilitätspolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) würden auch in den Schwachwährungsländern mit tendenziell höheren Inflationsraten gesamtwirtschaftliche Anpassungskosten in Form größerer Arbeitslosigkeit entstehen. Aus "Solidaritätsgründen" dürfte der Druck auf die Starkwährungs-Volkswirtschaften wachsen, durch Finanztransfers die gesellschaftlichen Kosten mitzutragen - mit der oben skizzierten Gefahr der Aufkündigung des Europa-Konsens bei den EU-Bürgern dieser Länder.

7.
Der wichtigste Kritikpunkt an der WWU ist die asymmetrische Rollenverteilung In der Wirtschaftspolitik. Die geldpolitische Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank und ihr Stabilitätsauftrag sind keine hinreichenden Bedingungen für einen Stabilitätserfolg der Union. Ein Erfolg wird sich nur dann einstellen, wenn Finanz-, Wechselkurs- und Geldpolitik zusammenwirken und sich am Ziel der Preisniveaustabilität orientieren. Während die Geld- und Wechselkurspolitik supranational gesteuert werden, verbleiben die übrigen Bereiche der Wirtschafts- und Finanzpolitik im wesentlichen auf der nationalen Ebene.

Es fehlen auf europäischer Ebene Mitstreiter mit hinreichender Verantwortungs-Qualität und Durchsetzungsfähigkeit, die ein ehrgeiziges Stabilitäts-Programm der EZB mittragen. Europäisches Parlament und Europäische Kommission sind dies (noch?) nicht. Die EZB sieht sich 15 unterschiedlichen Wirtschaftspolitiken gegenüber, bei einem Ausbau des Europa der Regionen einer Vielzahl von Akteuren. Wie soll die EZB stabilitätswidriges Verhalten einzelner Politikbereiche in den Mitgliedsländern korrigieren, und wie soll sie den vielfältigen Pressionen mächtiger gesellschaftlicher Gruppen trotzen? Eine solche Herkules-Aufgabe ist nicht zu schaffen. Wenn es nicht weitere substantielle Fortschritte auf dem Wege zur Politischen Union gibt, dürfte eine so konzipierte Währungsunion bald auf der Strecke bleiben.

Die Termine für die Währungsunion rücken näher. Der Beginn der Währungsunion zum 1.1.1997 ist wenig wahrscheinlich, da die Mehrheit der beitrittswilligen Länder kaum die Konvergenz-Kriterien erfüllen wird. Außerdem ist es auch nicht wünschenswert, bevor nicht die Regierungkonferenz 1996 stärkere bundesstaatliche Elemente auch für die anderen Politikbereiche verabredet hat.

Seit dem 1. Januar 1994 bereitet das Europäische Währungsinstitut in Frankfurt die Währungsunion vor. Nach den Turbulenzen im Europäischen Währungsystem im Jahr 1993 und der Ausweitung der Schwankungsbreiten von + 2,25% auf + 15% ging man davon aus, daß der Zeitplan zur Einführung der Währungsunion revidiert werden müsse. Doch zur Überraschung vieler nutzten die Partner Deutschlands im stabilen Kern der EU die erweiterten Bandbreiten unter den Währungen nicht. Es gab keinen Abwertungs-Wettlauf, keine "beggar-my-neighbour-policy". Freiwillig sorgen die Zentralbanken jener Länder, die schon vor den Schwierigkeiten im EWS ihre Währung eng an die Mark gebunden hatten, jetzt dafür, daß es auch so bleibt. Dies hat gezeigt, daß der fundamentale Zusammenhalt der Gemeinschaft eine höhere Qualität hat, als unter dem EWS-Regime angenommen wurde.

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Politische Union

8.
Welche Forderungen sind an eine Politische Union zu stellen, die in die Regierungskonferenz eingebracht und parallel zur Etablierung der Währungsunion umgesetzt werden müßten?

  • Vollendung des Binnenmarktes, insbesondere im Hinblick auf den freien Personenverkehr, den Ausbau des einheitlichen Dienstleistungemarktes und der Angleichung der Steuersysteme. Weiterentwicklung des Binnenmarktes zu einer echten Umwelt- und Sozialunion.

  • Schaffung einer mit Handlungsvollmachten ausgestatteten finanz- und wirtschaftspolitischen Zentralinstanz auf EU-Ebene, die eine effiziente Koordinierung und Disziplinierung der Finanzpolitik in den Mitgliedsländern möglich macht. Dies setzt die Bereitschaft der Partnerländer zu weitreichenden Souveränitätsverzichten sowie zur Stärkung und Demokratisierung der EU-Institutionen voraus.

  • Eine Europäische Union ist nur vorstellbar mit dem Leitbild der Subsidiarität und der föderalen Balance zwischen EU, Nationalstaaten und Regionen. Die EU ist nur als Föderation der Mitgliedstaaten vorstellbar. Die Nationalstaaten werden auf lange Zeit auch in der Europäischen Union der eigentliche Schutz und Hort ihrer Bürger im Sinne des Rechtsstaates wie auch der primären gesellschaftlich-staatlichen, kulturellen Identität bleiben. Deshalb muß der föderale, subsidiäre Aufbau - so wie er in den Bundesrepublik praktiziert wird - in der zukünftigen europäischen Verfassungsentwicklung verankert werden.

  • Zur Demokratisierung und Effizienzverbesserung der EU-Einrichtungen sollten folgende Veränderungen umgesetzt werden:

    - Der Rat sollte künftig in der Rechtssetzung grundsätzlich mit Mehrheit abstimmen. Die Einstimmigkeit bleibt auf wenige Ausnahmefälle u.a. Finanzierungsfragen, Steuerharmonisierung, beschränkt.

    - Das Europäische Parlament muß in der Rechtssetzung immer dann, wenn der Rat mit Mehrheit abstimmt, gleichberechtigt neben dem Rat an den Entscheidungen mitwirken.

    - Die Europäische Union erhält in der Sozial- und Umweltpolitik eindeutige Befugnisse zum Erlaß von Rahmengesetzen.

  • Zügige Umsetzung der Vorschlüge des Weißbuches "Wachstum, Wettbewerbsfähigkeit, Beschäftigung". Der Ausbau und die Stärkung der transeuropäischen Netze sind für die Konsolidierung des Binnenmarktes unerläßlich. Ober die bisher bekannten Projekte hinaus müssen Hochgeschwindigkeits-Schienenverbindungen, Straßen, kombinierter Verkehr, Fluß- und Kanalwege, Häfen, Flughäfen Gas- und Elektrizitätsversorqungen sowie insbesondere Telematikverbindungen, die den Bereich der Datenverarbeitung mit der Telekommunikation verbinden, ausgebaut werden.

  • Die beschäftigungspolitische Absicht des Weißbuches, 15 Millionen Arbeitsplätze bis zum Jahr 2000 zu schaffen, mag zu ehrgeizig sein, doch die Vorschläge zum Abbau der Massenarbeitslosigkeit müssen wieder in die politische Diskussion gebracht werden.

Die Zeit drängt. Wir brauchen im Vorfeld der Regierungs-Konferenz 1996 einen breiten, offenen Dialog zu den Fragen der Weiterentwicklung der Europäischen Union. Wir dürfen den Fehler des Maastricht-Vertrages nicht wiederholen, bei dem die Bevölkerung nicht involviert wurde.


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