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TEILDOKUMENT:




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    II. Mehr Beschäftigung und Wachstum durch einen flexiblen Arbeitsmarkt



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    1. Zum Zustand des Arbeitsmarkts und der Politik

    Die Arbeitslosen in Europa erlebten in den letzten Jahren eine Flut von Versprechungen. Gleich mehrere Regierungschefs versprachen eine Halbierung oder massive Senkung der Arbeitslosigkeit bis zum Jahr 2000. Die Realität blieb mit 18 Mio. Arbeitslosen in Europa unverändert. Die Bundesrepublik erreicht den 5-Millionen-Rekord. Weil keine wirksamen Mittel verfügbar oder durchsetzbar sind, treten die gleichen Versprechungen oder Hoffnungen in immer neuem Gewand auf. Gleichzeitig machen sich resignative Positionen breit: Ein Modesatz lautet: „Durch Wachstum wird keine Vollbeschäftigung entstehen". Dennoch: mehr Wachstum wäre zumindest hilfreich.

    Unabhängig davon ist es offensichtlich schwieriger geworden, für die ständig durch Nachfrageverschiebungen oder Rationalisierungen freigesetzten Arbeitskräfte bei gegebenen Qualifikationen, neue Beschäftigungsmöglichkeiten zu finden. (Innerhalb von 4 Jahren stieg die Quote der Langzeitarbeitslosen von 26 Prozent auf rund 32 Prozent.) Leider entspricht die historisch überkommene Qualifikationsstruktur heute nicht der Struktur der nachgefragten Qualifikationen. Vor allem wächst die Zahl der niedrig qualifizierten Arbeitnehmer, die bei den herrschenden hohen Abgaben nicht in der Lage wären, ein ausreichendes Einkommen zu verdienen, selbst wenn sie einen Arbeitsplatz hätten. Schließlich wird unser Bruttosozialprodukt zu wenig arbeitsintensiv erzeugt. Diese Aufzählung der Gründe dürfte bei weitem nicht vollständig sein. Sie macht jedoch die Schwierigkeiten einer Politik für mehr Beschäftigung deutlich.

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    2. Umfang und Struktur der Arbeitslosigkeit – einige wesentliche Befunde

    Arbeitslosigkeit „wandert", wenn sie länger anhält, immer eindeutiger zu den niedrig Qualifizierten und zu den Ausländern. Die Arbeitslosenquote bei Arbeitnehmern ohne Ausbildung liegt bei 20 Prozent. In fünf Jahren hat sich die Zahl der Erwerbstätigen ohne Berufsausbildung um fast 600.000 verringert. Die Zahl der erwerbstätigen Akademiker erhöhte sich um gut 400.000. Bei steigender Quote der Arbeitslosen erhöht sich der Anteil der Ausländer ständig. Zum Vergleich: Arbeitnehmer mit Fachschulabschluß haben eine Arbeitslosenquote von unter 3 Prozent.

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    3. Flexibilisierungsrechte für die Betriebsparteien

    Die veränderten Entwicklungsbedingungen zwingen zu neuen gesetzlichen Rahmenbedingungen auch in der Arbeitsmarktpolitik. Dabei muß sie sich von dem Grundsatz leiten lassen: Wirtschaftliche Beschäftigungssicherheit für viele ist mehr wert als rechtliche Arbeitsplatzsicherheit für immer weniger Arbeitnehmer.

    Die Expansion der Arbeitsplätze kann die Arbeitsplatznachfrage seit langer Zeit nicht mehr ausgleichen. Die Arbeitsmarktpolitik und die Konzepte der Tarifpartner befinden sich noch in einem mühsamen Umbruch. Rechtliche Arbeitsplatzsicherheit war ein herausragendes Ergebnis bisheriger Politik. Dafür haben die Gewerkschaften mit Recht jahrzehntelang und erfolgreich gekämpft. Sie konnten sich auf die Arbeitsplatzsicherheit konzentrieren, weil Beschäftigungssicherheit gegeben war. Heute ist Arbeitsplatzsicherheit eher zu einer Quelle wirtschaftlicher Beschäftigungsunsicherheit geworden. Sie bietet einen zweifelhaften Schutz für die Arbeitsplatzbesitzer, und den Arbeitsuchenden gaukelt sie ein Sicherheitsversprechen vor, das für immer weniger Menschen faktisch wirksam wird. Unternehmen stellen erst dann neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ein, wenn sie keine anderen Möglichkeiten mehr haben, diese dauerhafte Kostenverpflichtung zu vermeiden.

    Die Politik befindet sich im Dilemma zwischen den erforderlichen Maßnahmen für eine Expansion der Beschäftigung und den Interessen der Arbeitsplatzinhaber. Sie wollen Schutz in ihren Arbeitsplätzen und erschweren dadurch die Schaffung neuer Arbeitsplätze. Aber nur Politik für die Arbeitslosen rechtfertigt Beschäftigungspakte. Der Dreh- und Angelpunkt solcher Pakte ist Flexibilisierung. Die üblichen ideologischen Überhöhungen haben es mit sich gebracht, daß Flexibilisierung vielfach als Entlassung der Arbeitnehmer in einen schutzfreien Raum mißverstanden wird. In Wirklichkeit brauchen Arbeitgeber und Arbeitnehmer eine definierte Dispositionsfreiheit über geltende allgemeine Regelungen, die sie durch Vereinbarung an ihre Erfordernisse anpassen oder zeitweise außer Kraft setzen können. Es bedeutet keine Schwächung, sondern eine Stärkung der Verantwortung der Tarifpartner, wenn der Gesetzgeber ihnen dabei hilft, daß zwischen denen, die ihren wirtschaftlichen Verhältnissen, dem Markt und dem Unternehmen am nächsten sind, maßgeschneiderte Anpassungsvereinbarungen getroffen werden können. Die Politik muß den Mut aufbringen, solche Freiheitsgrade so zu definieren, daß ein Ausgleich zwischen individuellen Interessen und Unternehmensinteressen vereinbart werden kann. Viele kleine Beschäftigungspakte müssen möglich werden. Es ist klar, daß eine solche Politik neue individuelle Risiken zuläßt. Zugleich steigen aber auch die Beschäftigungschancen und damit die wirtschaftliche Beschäftigungssicherheit.

    Dabei geht es nicht darum, soziale Schutzrechte prinzipiell weiter zu reduzieren. Hier ist in den vergangenen Jahren eher genug geschehen. Das Grundmuster der Flexibilisierung, die wir meinen, folgt einem einfachen Prinzip, das zum Teil bereits in Tarifverträgen umgesetzt worden ist: Unternehmensleitungen und Belegschaftsvertretungen erhalten das Recht, bestimmte Regelungen zeitweise außer Kraft zu setzen, wenn dies der Sicherung der Arbeitsplätze und neuen Beschäftigungsmöglichkeiten dient. Allerdings muß es eine Grenze geben, die zum Schutz der Arbeitnehmer vor einseitigen Machtverhältnissen nicht überschritten werden darf. Wo es keine Belegschaftsvertretungen gibt, kann es keine Rechte zur Flexibilisierung geben.

    Die vordringlichsten Flexibilisierungsrechte sind:

    • Die Betriebsparteien können den tariflichen Kündigungsschutz vorübergehend einschränken und Sozialpläne vereinbaren, damit Maßnahmen, die dem Übergang der Betroffenen auf einen neuen Arbeitsplatz dienen, möglich sind und die Kosten zu einem wesentlichen Teil mit Abfindungen verrechnet werden.

    • Die Betriebsparteien können für einen begrenzten Zeitraum für gefährdete oder im Aufbau befindliche Betriebsteile oder Betriebe einen Verzicht auf Tarifentgelte vereinbaren. Die Betriebsvertretungen dürfen ihre Zustimmung nur geben, wenn in der Vereinbarung Regelungen enthalten sind, die eine Beteiligung der betroffenen Arbeitnehmer an späteren Gewinnen vorsehen. Die Überwachung der Gewinnbeteiligung wird dem Abschlußprüfer übertragen.

    • Die gleiche Regelung gilt für die Vereinbarung niedriger Einstellungslöhne oder übertariflicher Arbeitszeiten.

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    4. Beschäftigungsorientierte Lohnbildung

    Zusätzliche Arbeitsplätze gibt es nur, wenn Unternehmer durch den Verkauf der zusätzlich erzeugten Produkte Gewinne erzielen. Verwertbare Produkte bleiben immer die erste Beschäftigungsvoraussetzung. Arbeitslose sind auf Unternehmerleistungen angewiesen. Unternehmer können im Rahmen ihrer Produktionsvorgänge Arbeit nur anbieten, wenn die Bruttolöhne und sonstigen Kosten einen Spielraum für Gewinne lassen und den Produktivitätsrahmen nicht sprengen. Der Arbeitsmarkt schrumpft in verschiedenen Bereichen in seine produktiven Bereiche hinein. Die dadurch hervorgerufene Produktivitätssteigerung bei den verbleibenden Arbeitsplätzen kann nicht zum Maßstab der Lohnerhöhung werden, weil zu diesen hohen Produktivitäten keine ausreichende Zahl von neuen Arbeitsplätzen entsteht. Beim Abbau unterdurchschnittlich produktiver Arbeitsplätze steigt die Produktivität rasch, ohne daß diese Steigerungen Maßstab für eine beschäftigungsorientierte Lohnpolitik werden können.

    Die Lohnstrukturen entsprechen in vielen Bereichen wahrscheinlich nicht den Strukturen der Produktivität. Die Politik der Sockelbeträge hat Lohnstrukturen gegen die Produktivitätsentwicklung entstehen lassen. Die bittere Wahrheit lautet: Der technische Fortschritt und die wachsende Komplexität von Märkten, Organisationen und Lebensbeziehungen, lassen für niedrig qualifizierte Arbeitskräfte immer weniger Beschäftigungsmöglichkeiten offen, weil ihre Produktivität nicht ausreicht, bei den gegebenen Preisrelationen und hohen Abgaben ein ausreichendes Einkommen zu erwirtschaften.

    Tariflohnsysteme sollen den einzelnen vor Ausbeutung schützen und versuchen, in der Bundesrepublik die Lohnspreizung möglichst gering zu halten. Das mag für Insider gelingen, erschwert jedoch die Entwicklung neuer Beschäftigungsfelder. Soll der Widerspruch zwischen mehr Gleichheit und mehr Beschäftigung entschärft werden, dann müssen durch entsprechende Gestaltung der Abgaben Brutto- und Nettolöhne entkoppelt werden. Dort, wo Bruttolöhne aus Gründen der Beschäftigungsexpansion sinken, müssen gezielte Abgabensenkungen einer entsprechenden Verringerung der Nettoeinkommen entgegenwirken oder einen Ausgleich aus öffentlichen Kassen schaffen.

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    5. Mehr Beschäftigung für Niedrigqualifizierte

    Lange Zeit wurde bei der Erwähnung des amerikanischen Jobwunders dessen Bedeutung mit dem Hinweis auf die große Zahl der „Billigjobs" negiert. Inzwischen wird immer deutlicher: Die Art des technischen Fortschritts, die fehlgeschlagenen Qualifizierungen in den letzten 20 Jahren und verschiedene andere Faktoren haben dazu geführt, daß ein erheblicher Teil der Arbeitskräfte kaum in der Lage sein wird, bei niedriger Produktivität zu Marktlöhnen ein angemessenes Einkommen zu erwirtschaften. Diese Situation wird verschärft durch hohe Abgaben, die schon bei niedrigen Löhnen fällig werden. Bei einfachen Dienstleistungen entstehen oft prohibitive Mindestlöhne.

    Viele Nachfrager, insbesondere im Dienstleistungssektor, stöhnen über zu hohe Bruttolohnkosten, die sie selbst aus hochversteuerten Nettoeinkommen bezahlen. Die Anbieter fühlen sich ausgeplündert, denn es bleibt zu wenig übrig, um davon leben zu können. Schwarzarbeit wird zur gemeinsamen „Notwehr". Besonders betroffen ist, wer den Übergang aus der Sozialhilfe in eine niedrig bezahlte Erwerbstätigkeit schaffen will. Bei gering bezahlten Tätigkeiten oder bei Teilzeitbeschäftigung z.B. von alleinerziehenden Müttern, die eine Kombination von Sozialhilfe und Erwerbseinkommen erforderlich machen, besteht de facto ein Grenzsteuersatz von 100 Prozent, weil die Sozialhilfe bei steigenden Einkommen entsprechend gekürzt wird. Die derzeitige Ausgestaltung der Sozialhilfe lädt zur Schwarzarbeit ein. Dabei ist nicht der Umfang des Mißbrauchs erstaunlich, sondern die Tatsache, daß ein großer Teil der Empfänger gegen die eigenen materiellen Interessen so rasch wie möglich wieder auf eigenen Füßen stehen will und eine Arbeit aufnimmt, obwohl es sich nicht lohnt.

    Hier müssen gezielte Kombinationen aus Transferzahlungen und Arbeitseinkommen oder eine Absenkung der Abgaben im unteren Einkommensbereich zu einer Ausweitung der Arbeitsplätze führen. Auch ökonomisch macht das in einer hochentwickelten Wirtschaft Sinn. Die Volkswirtschaft produziert Computer und Bratwurst. Sie braucht die Leistungen von Bademeistern und Internetsurfern, von CAD-Arbeitern und Taxifahrern. Die Masse der Erwerbstätigen wird langfristig für lokale Märkte – und nicht auf globalen Märkten für international gehandelte Güter und Leistungen – arbeiten. Deshalb ist Arbeitslosigkeit auch immer, gegenwärtig sogar in erster Linie, hausgemacht und kann verringert werden, wenn die Märkte für lokale Güter und Dienste funktionsfähiger gemacht werden.

    Die Überwindung der Armutsfalle erhält eine Schlüsselstellung, denn die gegenwärtige Verknüpfung von Sozialhilfe und hohen Abgabenbelastungen bei niedrigen Einkommen verhindert eine Ausschöpfung der Beschäftigungspotentiale bei einfachen Dienstleistungen oder anderen Tätigkeiten. Gemessen an dem Schaden dieser Fehlkonstruktion des Sozialstaats war die politische Aufmerksamkeit, die das Thema erhielt, gering. In der kommenden Legislaturperiode muß ein Einstieg in eine dauerhafte Lösung gefunden werden. Der Aufwand wird hoch sein. Bisher gibt es keinen Konsens über die beste Lösung, doch die Schäden des Status quo wachsen von Jahr zu Jahr. Es lohnt sich, dieses Thema möglichst rasch aufzuarbeiten.

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    6. Den Keil zwischen Bruttoeinkommen und Nettoeinkommen verringern

    Die Kumulation aus Einkommensteuer und Sozialabgaben führt zu abschreckenden Belastungen. Die Arbeitnehmer werden so über den Wert der Arbeit getäuscht, denn sie sehen nur, was auf dem Gehaltskonto übrig bleibt und vergessen allzu leicht, daß Arbeit auch Ansprüche an das Renteneinkommen oder Deckungsbeiträge für Infrastruktur erwirtschaftet. Eine solche Konstellation verringert Anreize und reduziert die Anpassungsflexibilität. Lösungen können vor allem im Rahmen der Steuerreform gefunden werden, wenn die Bemessungsgrundlage verbreitert und die Tarife abgesenkt werden. Die Gesamtbelastung der Einkommen über alle Einkommensstufen muß verringert werden.

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    7. Die Qualifikationslücke schließen

    Aus- und Weiterbildung allein lösen das Beschäftigungsproblem nicht. Allerdings gilt auch: ohne ein umfassendes und modernes Lehrstellenangebot und ohne ganz erhebliche Weiterbildungsanstrengungen für Arbeitslose und von Arbeitslosigkeit Bedrohte werden bei steigender Nachfrage schon lange vor jeder Vollbeschäftigung Engpässe am Arbeitsmarkt auftreten und als Wachstumsbremse wirken.

    Die Diskrepanz zwischen angebotenen Qualifikationen und benötigten Qualifikationen hat offensichtlich zugenommen. Deshalb wird berufliche Weiterbildung immer wichtiger. Daraus müssen endlich Schlußfolgerungen gezogen werden, um die riesigen Kosten der Arbeitslosigkeit durch Investitionen, die einen positiven Return on Investment aufweisen, zu verringern. Die Bundesanstalt für Arbeit beziffert die Kosten der Arbeitslosigkeit im Jahr 1997 auf 180 Mrd. DM pro Jahr (Arbeitslosengeld, Arbeitslosenhilfe, Sozialhilfe für Erwerbsfähige) und liegt dabei vermutlich noch an der unteren Grenze. Der Aufwand für die Qualifizierung von Arbeitslosen, also der investive Teil in der Verwendung dieser Mittel, liegt – rechnet man das Unterhaltsgeld nicht mit, das ohnehin als Arbeitslosengeld oder –hilfe zu zahlen wäre – im Jahr 1998 bei 4 Milliarden DM oder 2,2 Prozent dieser gigantischen Summe.

    Eine grobe Modellrechnung liefert einen Hinweis auf den Weg zu einer Beantwortung der Frage, wie hoch die Investitionsquote in Weiterbildung und Qualifizierung sein sollte, um die wirtschaftlichen Kosten der Arbeitslosigkeit so niedrig wie möglich zu halten. Wenn für einen Langzeitarbeitslosen um 50 Prozent höhere Aufwendungen (gegenüber den Unterhaltskosten) für ein Jahr anfallen, weil er qualifiziert wird, so ergibt sich schon ein beachtlicher positiver Return on Investment innerhalb eines Jahres nach Abschluß der Qualifizierung, wenn 50 Prozent der Qualifizierten eine Tätigkeit im ersten Arbeitsmarkt finden. In Wirklichkeit ist die Rechnung weit komplizierter, weil Verdrängungseffeke berücksichtigt werden müssen, es in der Regel einige Monate dauert, bis nach Abschluß der Qualifizierung ein Arbeitsplatz gefunden werden kann und die Vermittlungsquoten in den ersten Arbeitsmarkt höchst unterschiedlich sind, teilweise bis zu hundert Prozent erreichen, in strukturschwachen Gebieten aber auch schon Vermittlungsquoten unter fünfzig Prozent interessant sind.

    Jedenfalls gilt: Zu niedrige Investitionen in Weiterbildung und Qualifizierung reduziert die Zahl der Menschen, die im ersten Arbeitsmarkt eine neue Chance bekommen und belastet damit die Arbeitslosenversicherung oder die öffentlichen Haushalte, welche die Arbeitslosen- und Sozialhilfe finanzieren. Eine zu hohe Investitionsquote ist zwar sozial vielleicht wünschenswert, aber erhöht ebenfalls die Kosten für die Arbeitslosenversicherung und die öffentlichen Haushalte.

    Warum können nicht auch in diesem Bereich marktwirtschaftliche Mechanismen zur Optimierung der Investitionsquote genutzt werden? Weiterbildungsträger erhalten nach einem marktwirtschaftlichen Modell für Arbeitslose, die sie qualifizieren, nicht mehr einen festen Zuschuß pro Lehrgang und Teilnehmer, wie bisher üblich, sondern eine Art „Kopfgeld" für jeden von ihnen qualifizierten Arbeitslosen, der im ersten Arbeitsmarkt wieder dauerhaft Fuß faßt. Das „Kopfgeld" wäre je nach Dauer der Arbeitslosigkeit (die ja auch höhere Kosten verursacht hat) zu variieren, um nicht nur den Leichtvermittelbaren, sondern auch schwervermittelbaren Langzeitarbeitslosen eine Chance zu geben.

    Die Bundesrepublik verfügt über eine vielfältige und an Wettbewerb gewöhnte Bildungsträgerlandschaft zur Qualifizierung von Arbeitslosen. Für sie würde in diesem Modell auch die Vermittlung von Arbeitslosen zu einer marktwirtschaftlichen Aufgabe, denn die Bildungsträger würden sich bemühen, nicht nur marktgerecht zu qualifizieren, sondern zugleich die Arbeitsvermittlung zu optimieren.

    Es geht in diesem Optimierungsprozeß nicht nur um die Zurückführung von Arbeitslosen in den ersten Arbeitsmarkt. Man muß nicht untätig warten, bis die Menschen arbeitslos geworden sind, sondern vorher tätig werden. Es geht auch um die Vermeidung von Arbeitslosigkeit. Deshalb ist das Instrument der qualifizierungsorientierten Sozialpläne, die durch den neuen § 254 des Sozialgesetzbuchs III aus Mitteln der Bundesanstalt für Arbeit gefördert werden können, ein Schritt in die richtige Richtung. Besser ist es, bei Umstrukturierungsprozessen von Unternehmen oder bei Unternehmensübernahmen, die zu Entlassungen führen, dafür zu sorgen, daß Sozialplanmittel für Qualifizierungsprozesse genutzt werden, die Arbeitslosigkeit vermeiden helfen, als durch Abfindungen einen Reichtum vorzugaukeln, der keiner ist, sondern erst richtig in die Arbeitslosigkeit hineinführt.

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    8. Keine überzogenen Erwartungen an eine Arbeitszeitverkürzung

    Im Nachhinein ist es immer zwingend, daß eine kürzere Arbeitszeit rein rechnerisch dazu geführt hat, daß sich mehr Menschen die insgesamt geleisteten Arbeitsstunden teilen. Daraus kann man jedoch in der Umkehrung keine allgemeingültige Strategie machen und den einzelnen Arbeitnehmern die Arbeitszeit rationieren, um ein gegebenes Volumen besser (auf mehr Personen) zu verteilen. Die Fixkosten der Einstellung sind hoch. Die inneren Koordinierungskosten steigen. In jeden neu eingestellten Arbeitnehmer müssen mehr oder weniger große Investitionen getätigt werden. Diese Investitionen werden teurer, wenn die Arbeitszeit des einzelnen sinkt.

    Folgende Punkte sind zu beachten:

    • Es gibt Situationen, in denen verkürzte Arbeitszeiten z.B. Schichtarbeitsregeln, erleichtern. Arbeitszeitverkürzung als Anpassung an bestimmte Produktionsprozesse ist anders zu beurteilen als z.B. erstreikte Arbeitszeitverkürzung, die zu komplizierten Arrangements zwingt, um die Maschinenlaufzeiten zu verlängern oder aufrechtzuerhalten.

    • Arbeitszeitverkürzung wirkt regional unausgewogen. In Regionen mit weit überdurchschnittlicher Arbeitslosigkeit wirkt sie nur begrenzt. In anderen Regionen kann sie auf ein unelastisches Angebot stoßen und Überstunden erzwingen.

    • Arbeitszeitverkürzung, die mit hoher Flexibilität einhergeht, kann zu Effizienzgewinnen führen. Die einzelnen Arbeitnehmer erhalten einen Bonus dafür, daß sie unregelmäßig oder zu „verschobenen" Zeiten arbeiten.

    • Arbeitszeitregelungen sollten in den einzelnen Unternehmen ausgehandelt werden, denn sie müssen an die individuellen Zeitprofile der Beanspruchung angepaßt werden. Die Konstellationen werden immer vielfältiger. Dementsprechend werden auch die Regelungen immer vielfältiger werden. Die Fortschritte der letzten Jahre sind erst ein Anfang.

    Einfache Überlegungen machen deutlich, wer Arbeit durch Arbeitszeitverkürzung umverteilen will, der muß auch Einkommen umverteilen. Wer Arbeit abgibt muß dadurch bisher verdientes Einkommen mit abgeben. Dies wird voll akzeptiert bei Jobsharing und Teilzeitarbeit, aber wie man gegenwärtig an der Diskussion in Frankreich erlebt, weit weniger bei Arbeitszeitverkürzungen. Arbeitszeitverkürzung läuft auf einen freiwilligen Einkommensverzicht zugunsten von mehr Freizeit hinaus. Damit wird Arbeitszeitverkürzung durch die unvermeidbare Lohnkürzung begrenzt. Die historische Erfahrung hat gezeigt, daß vor allem Perioden hohen Wachstums auch Perioden hoher Arbeitszeitverkürzung waren. Die Wachstumsschwäche erschwert Arbeitszeitverkürzung, weil sie alle Umverteilungen schwieriger macht.


©Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Juli 1998

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