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[MANAGERKREIS DER FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG]
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Zu den wirtschaftspolitischen Positionen des Managerkreises der Friedrich-Ebert-Stiftung : Tagung des Managerkreises der Friedrich-Ebert-Stiftung ; Bonn, den 13. Oktober 1997 / Ulrich Pfeiffer. - [Electronic ed.]. - Bonn, 1997. - 5 S. = 20 KB, Text
Electronic ed.: Bonn: FES-Library, 1998

© Friedrich-Ebert-Stiftung


INHALT







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1.) Zum Managerkreis

Der Managerkreis ist jetzt fünf Jahre alt. Wir sind SPD-Mitglieder oder -Sympathisanten. Wir erleben ständig, daß Manager und andere Berufe, die von einer 50-Stunden-Woche nur träumen können, de facto von der aktiven Arbeit in einer Partei weitgehend ausgeschlossen sind. Die SPD ist in einer Zeit, in der die beruflichen und privaten Zeitbeanspruchungen immer ungleicher werden, zu einer Partei der Zeitreichen und der räumlich Immobilien geworden. Wer in der Partei wirksam sein will, muß über lange Zeit an einem Ort Monat für Monat, präsent sein. Dies schaffen große Berufsgruppen nicht mehr. Die Rekrutierungen und Realitätserfahrungen in der Partei werden immer einseitiger. Daraus entsteht ein starkes Motiv für unseren Zusammenschluß. Wir wollen konzentriert unsere Erfahrungen in die SPD einbringen ohne Unternehmerlobbyisten zu sein.

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2.) Blühende Scheinpolitiken

Unser zweites Motiv war ohne Zweifel die Misere der Wirtschaftspolitik. Wir werden von einem Kanzler regiert, der Machterhaltung bis zur Perfektion beherrscht doch gegenüber der wirtschaftlichen Entwicklung mit Blindheit und Ignoranz geschlagen ist. Wer mitten in einer brutalen Strukturkrise den Ostdeutschen als Irrealist blühende Landschaften prognostiziert und bei blühender Arbeitslosigkeit in Ost und West landet ohne sich dafür ernsthaft verantwortlich zu fühlen, leidet an intellektueller und emotionaler Verdorrung. Wer jetzt ein paar windigen Reformkonzepten eine Halbierung der Arbeitslosigkeit zutraut, der gedenkt Wanderdünen mit Eßlöffeln zu stoppen. Seit dem Beginn der Kanzlerschaft hat sich trotz aller Beschäftigungspakte oder -initiativen die Arbeitslosigkeit in Westdeutschland von 1,8 Mio. auf rd. 2,9 Mio. erhöht. (Ein Kanzlerjahr Kohl gleich 70.000 zusätzliche Arbeitslose). Die Wirtschaftspolitik hat die Trainerbank verlassen und schaut der eigenen Niederlage von der Tribüne aus zu. Der Wirtschaftsminister ist nicht einmal mehr im Stadion.

Wir wissen, beschäftigungspolitische Wunder kann es nicht geben, weil die Ursachen der Arbeitslosigkeit so komplex sind wie unsere Welt selbst. Es gibt keine einfachen Beschäftigungsprogramme. Leider gibt es unendliche Möglichkeiten unwirksame Scheinprogramme abzuwickeln. Arbeitszeitverkürzung wäre gegenwärtig genauso Scheinprogramm und unverantwortlich, wie es die wahnwitzigen Abschreibungserleichterungen für die Bauwirtschaft in Ostdeutschland waren. Aus jedem halbleeren Büroturm in Dresden oder Berlin wurde ein Schuldenturm für den Staat, der Ausgabenkürzungen erzwang. Was diese Beschäftigungspolitik wert war wissen die arbeitslosen Bauarbeiter. Das einzig Erstaunliche ist das gegenwärtige Erstaunen über die ausbleibenden Einnahmen der veranlagten Einkommensteuer. Wer den Steuervermeidern regelrechte Autobahnen baut, darf sich nicht wundern, wenn die Einkommensteuerzahler den Finanzministern davonfahren.

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3.) Was ist zu tun ?

Unsere grundlegende Analyse ist einfach. Die Beschäftigungs- und Wachstumsprobleme der deutschen Wirtschaft sind in der Masse Probleme auf der Angebotsseite. Wir arbeiten an einer Angebotspolitik von links. Wir behaupten nicht, daß wir ein geschlossenes Konzept entwickelt haben An Beispielen wird deutlich, worauf sich nach unserer Auffassung die Politik konzentrieren sollte:

Wachstumsschwäche und Arbeitslosigkeit bleiben das Thema eins. Die demografische Schwindsucht steht in ihren Auswirkungen auf die Transfersysteme, auf den sozialen Frieden in einem Einwanderungsland oder auf die langfristige Innovationsfähigkeit an Bedeutung kaum nach.

Glücklicherweise ist die Politik trotz allen Globalisierungsgeredes nicht ohnmächtig. Notwendig ist die Bereitschaft zu einer wirklichen Erneuerung der Sozialen Marktwirtschaft. Die SPD hat hier mit ihrem neuen wirtschaftspolitischen Konzept einen großen Sprung nach vorn gemacht. Wir freuen uns darüber, denn unser zentrales Selbstverständnispapier zur Renaissance der sozialen Marktwirtschaft aus dem Jahre 1995 deckt sich in weiten Bereichen. Allerdings wird die Umsetzung nicht einfach.

Mehrbeschäftigung und erst recht Vollbeschäftigung wird es nicht ohne dramatische Verhaltensänderungen von Millionen Menschen geben. Wer die vested interests von Beamten, Bauern, Einzelhändlern oder Bergarbeitern schon am Anfang des Reformweges zum Tabu erklärt und allenfalls bereit ist die Wähler der Konkurrenzpartei zu belasten, der hat schon verloren. Eine Koalition für mehr Beschäftigung muß es schaffen, daß die Beteiligten akzeptieren als Autofahrer oder ÖV-Nutzer, als Krankenversicherte oder Staatsbedienstete gewisse Einbußen hinzunehmen, damit Ressourcen für neue, bessere Verwendungen frei werden, und der Wachstumsgewinn Einbußen überkompensiert. Es muß eine Bereitschaft geweckt und durchgesetzt werden, immer mehr Bereiche einem Leistungswettbewerb zu unterwerfen. Der Staat kann Beschäftigung nicht schaffen. Er kann nur die Bedingungen für mehr Beschäftigung verbessern. Leider haben sich Politiken für mehr Beschäftigung inhaltlich aufgefächert.

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4.) Drei Beispiele, die hundertfach variiert werden können.

Eine echte Steuerreform muß aufräumen mit Abschreibungserleichterungen die in vielen Fällen nur in die Kapitalvernichtung führen, die aufhört mit dem Irrglauben, hohe Spitzensteuersätze hätten irgend etwas mit Mehrbelastungen der Reichen zu tun. Die SPD verteidigt mit Löwenmut den Papiertiger Spitzensteuersatz. Dabei kommt es verteilungspolitisch nur darauf an, daß nach einer Steuerreform das obere Fünftel der Einkommmenbezieher einen höheren Anteil, das untere Fünftel einen geringeren Teil an der Einkommensteuer tragen als vorher. Je niedriger die Progression und der Spitzensteuersatz und je breiter die Bemessungsgrundlage um so besser. Die Nachfrage d.h. Märkte und Preise und weniger die Paragraphen müssen über Investitionsentscheidungen regieren.

Die Bundesrepublik hält den Weltrekord in den Baukosten. Angesichts der ständigen Kapitalvernichtung am Bau ist eine Deregulierung dringlich, damit auf den Baustellen ein qualifikationssparender technischer Fortschritt möglich wird und man, wie in Amerika, mit angelernten Kräften aus vorgefertigten Teilen Häuser nur noch zusammenbaut und nicht Stein auf Stein mit hoher Wertschöpfung und hohen Qualifikationsanforderungen vor Ort erstellt. In der Bundesrepublik kämpft man gegen eine Hydra, wenn man solche Konzepte realisieren will. Durch Aufhebung der HOAI müßten staatliche Preisregulierungen verschwinden. Baubeamte würden an Einfluß, die Wohnungspolitiker ihre Subventionsprogramme und einen großen Teil ihrer Berechtigung verlieren. Die Handwerksordnung wäre zu entrümpeln. Deshalb bleibt der Status Quo mit einem Rattenschwanz an Überregulierung und überzogenen Qualifizierungsanforderungen, an Baulandrationierung und überteuerter Erschließung weitgehend erhalten. Arbeitslosigkeit und Wohnungsmangel sind die Folge. Dies weckt einen hohen Subventionsbedarf. Der bequemste Weg sind Steuererleichterungen, die wiederum eine riesige Vermögenskonzentration erzeugen und die SPD aus Sorge um die Wohnungsinvestitionen zu Verteidigern der Interessen von Spitzenverdienern und zum Vorkämpfer für Vermögenskonzentration machen. Allein das Wohnungsvermögen dürfte 5.000 Mrd. DM erreichen. Hohe Abschreibungen und Verlustverrechnung bringen massive Wettbewerbsverzerrungen zugunsten der Spitzenverdiener. Es reicht nicht mehr gordische Knoten durchzuhauen. Man muß ganze Gestrüppe roden.

Ein Paradebeispiel für verschlafene Reformen zeigt die Misere der Bildungspolitik. Die jetzt beschlossenen Hochschulreform wird rundum als Erfolg gefeiert. Die ganz große Koalition aller Parteien scheint zu funktionieren. Doch die Neigung der deutschen Politik aus der Schwere einer Geburt auf die Qualität des Ergebnisses zu schließen, ist irrational. Schwergeburten bringen nicht deshalb Beckenbauers und Einsteins hervor. Das Ergebnis der Hochschulreform bleibt gemessen an den Erfordernissen niederschmetternd.

Erforderlich ist eine drastische Veränderung der Steuerung. Universitäten sollten stärker durch die Nachfrage von Studenten gesteuert werden und miteinander im Wettbewerb stehen. Dies erfordert kreditfinanzierte Studiengebühren, damit die Studenten auf die Universitäten wirtschaftlichen Einfluß bekommen und die Bürokraten und auch die Politiker entmachten. Die Studiengebühren könnten einkommensorientiert zurückgezahlt werden, damit Einkommensschwächere nicht abgeschreckt werden. Welche dramatischen Änderungen dies für die Verhaltensweisen der Professoren und Universitäten haben würde, weiß jeder, der amerikanische Universitäten von innen erlebt hat. Ohne daß der Staat sich um Details kümmern muß, würden Studienzeiten verringert, Ausbildungen effizienter und praxisorientierter. Im Ergebnis könnten Akademiker, nachdem die unsinnige Wehrpflicht abgeschafft ist und das Abitur mit 18 möglich wird, mit 22 oder 23 Jahren in den Beruf eintreten. Die Risikofähigkeit junger Berufsanfänger würde steigen. Ihre Familienfähigkeit würde zunehmen. Die volkswirtschaftlichen Schäden der Ausbildungen im Schneckentempo sind unerträglich, sind ein Beitrag zur Risikoscheu, zur Verringerung von Mobilität, zur Erstarrung, zur Arbeitslosigkeit und Ineffizienz in der Bundesrepublik.

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5.) Einige Regeln im Telegrammstil, die verdeutlichen in welche Richtung wir denken.

• Rentenreichtum zu versprechen macht eine Volkswirtschaft eher arm- genauso wie die Erwartung hoher Erbschaften. Die Sozialpolitiker des Jahres 1997 können einem 30jährigen für das Rentenalter nicht einmal einen Hosenknopf garantieren, denn alle seine Konsumbedürfnisse müssen realwirtschaftlich durch Konsumverzicht der Erwerbstätigen der Jahre nach 2030 erwirtschaftet werden.

• Die Aufrechterhaltung einer Rentenformel ist weniger wichtig als die Aufrechterhaltung eines ständigen Produktivitätswachstums. Es ist wichtiger den 30-jährigen klar zu machen daß ihre Rente davon abhängt wieviel sie in den nächsten Jahren selbst sparen, lernen und investieren, als ihnen Beruhigungserklärungen zu verabreichen, die sie glücklicherweise sowieso nicht mehr glauben.

• Eine Generation, die eine demografische Schwindsucht hervorruft, kann nur schwer erwarten im Alter sehr reich zu sein. Wenn im Jahre 2030 30% aller Rentner ohne Kinder und Familie alt werden, weil Kinderlosigkeit zu einem Massenphänomen geworden ist, entwertet sich eine noch so klug ausgedachte Pflegeversicherung, weil es nicht ausreicht, Kaufkraft umzuverteilen, wenn Produktionssysteme ihre Basis verlieren.

• Es ist wirksamer, die Frühpensionierung der Lehrer zu verhindern und denjenigen, die nicht mehr voll berufsfähig sind, zuzumuten, jungen Aussiedlern Nachhilfe zu erteilen, als später ziemlich unwirksame ABM-Maßnahmen mit zu hohem Aufwand zu praktizieren.

• Es ist wichtiger, 16-jährigen Bauernsöhnen zu ihrem und der Steuerzahler Vorteil klarzumachen, daß auf vielen Familienbetrieben langfristig keine ausreichenden Einkommenschancen bestehen, um sie dazu anzuregen, den Hof zu verpachten und andere Berufe zu ergreifen, statt mit absurden Subventionsprogrammen Scheinchancen vorzugaukeln. Eine bessere Kapitalverwendung und Mehrbeschäftigung wäre die Folge.

• Es wäre wirksamer, in Bergbauregionen den Barwert der Subventionen als eine regionale Kapitalhilfe zu gewähren, die für unterschiedliche Projekte verwendet werden können. Erhaltungssubventionen jeder Art erzeugen Arbeitslosigkeit.

• Es ist unfair, den Steuerzahlern insgesamt die Kosten des witterungsabhängigen Bauens aufzubürden. Nutzer und Bauherren müssen die Kosten tragen. Schlechtwettergeldzahlungen auf Staatskosten genauso wie Subventionierung von Nachtarbeit aus Staatskassen, begünstigen im Ergebnis die Endverbraucher und Nutzer und sind unsozial.. In einer Wettbewerbswirtschaft haben die Arbeitnehmer davon kaum etwas, auch wenn sie unter Vernachlässigung der ökonomischen Zusammenhänge dies anders sehen.

• Es untergräbt die Moral der Sozialhilfeempfänger, daß sie bei Teilzeitarbeit, die ihnen noch am ehesten angeboten wird, durch entsprechende Kürzungen der Leistungen de facto einen Grenzsteuersatz von 100% tragen. Die Armutsfalle zwingt schon fast zur Schwarzarbeit und zum Betrug. Der soziale Friede wird gestört. Es ist beschäftigungspolitisch wahrscheinlich wichtiger, die Armutsfalle zu beseitigen, als die Lohnnebenkosten zu senken.

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6.) Erst mehr ökonomisches Denken macht Politik solidaritätsfähig

Was wir brauchen, ist mehr kritisches ökonomisches Denken in der Politik. Leider wird dies gleichgesetzt mit einer Ökonomisierung der Politik selbst. Gute Motive und ein Festhalten an gewohnten Konzepten können in der Politik wichtig sein, doch am Ende zählen die Ergebnisse. Mehr Gleichheit wird es nicht durch mehr Umverteilung sondern durch bessere Ausbildung und funktionsfähige Arbeitsmärkte geben. Mehr Beschäftigung entsteht aus mehr qualifizierter und innovativer Arbeit und nicht durch Umverteilung. Das Veränderungstempo in den Programmen und im Bewußtsein der Parteien ist zu langsam. Sie dümpeln im Schlepptau der Realitätsveränderungen vor sich hin statt aus eigener Kraft auf die Überholspur zu kommen.

Wir leben in einer Zeit, in der die Bauern vor den Agrarpolitikern, die Gymnasiasten vor den Kulturpolitikern oder die Mieter vor den Wohnungspolitikern geschützt werden müssen. Die Bundesrepublik benötigt gemessen an ihren Erwartungen und Ansprüchen und den Erfordernissen der Zukunft einen neuen Typus Entwicklungspolitik für ein entwickeltes Land. Eine solche Politik im Detail auszuarbeiten und umzusetzen wird ein gewaltiges Stück Arbeit für mehr als eine Legislaturperiode. Jetzt kommt es darauf an wirklich anzufangen. Lähmung und Lethargie dauern schon zu lange an.


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