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7. Neue Wege beschreiten

Mitte der 90er Jahre stand die Kultur im Osten und im Westen der Republik aus der Sicht von Kulturfunktionären und KulturpolitikerInnen an einem vielzitierten „Scheideweg". Da gab es den veranstaltungs- und verlautbarungserprobten „Hilferuf" oder „Notschrei Kultur", oft verknüpft mit der Anregung, unkonventionelle Wege zu gehen oder beispielsweise den der DDR-Kultur so gut bekommenen „Kulturgroschen" als Sonderabgabe dem Steuerbürger aufzudrücken. Meist spricht kein Entscheidungsträger gern über Sonderwege, es sei denn, er sinniert über Kommerzialisierung und Sponsoring.

Bei politischen Entscheidungsträgern im Osten der Republik zeichnet sich seit der Wende eine Vorliebe für gesetzliche Eingriffe in den Lauf der Dinge ab, auch wenn Kulturgesetze bislang neben dem obligaten Denkmalschutz die Ausnahme bilden. Gelingt eine gesetzliche Absicherung der Kulturförderung oder spezieller Bereiche (etwa des Musikschulwesens), sind Haushaltsdebatten zweifelsohne eine gewisse Zeit lang leichter zu bestehen. In Krisenzeiten sinkt aber auch die Hemmschwelle, gesetzliche Hürden zu beseitigen, in ungeahnter Geschwindigkeit.

Allerliebstes Diskussionsthema bundesdeutscher Kulturpäpste ist die Forderung, Kultur von der „freiwilligen" Aufgabe des kommunalen Wirkungskreises und der Landespolitik zur „Pflichtaufgabe" zu befördern. Die „Neue Kulturpolitik" hat sich über den Begriff „freiwillige Pflichtaufgabe" langsam an den entscheidenden Punkt herangerobbt. Nicht ohne Erfolg, bedenkt man beispielsweise, daß die Gemeinde- und Landkreisordnung des Landes Brandenburg im § 24 zur Förderung der Kultur eine Aussage triff, die diese Aufgabe kaum noch von einer kommunalen Pflicht abhebt:

„Die Gemeinde fördert das kulturelle Leben und die Vermittlung des kulturellen Erbes in ihrem Gebiet und ermöglicht ihren Einwohnern die Teilnahme am kulturellen Leben sowie den Zugang zu den Kulturgütern."

Unabhängig von diesem verhaltenen Imperativ bleibt auch in Brandenburg die schmerzliche Erkenntnis, daß Sparpolitik den fast freiwilligen Aufgaben wie den Pflichtaufgaben zunehmend drastische Beschränkungen verordnet und auch hier zwischen unabwendbaren Rechtsverpflichtungen und Wünschenswertem differenziert.

Darüber hinaus birgt das Lieblingskind Pflichtaufgabe Kultur einige gravierende Probleme, mit denen wir uns kurz auseinandersetzen müssen. Vor allem ist in diesem Zusammenhang auf die grundgesetzlich garantierte „Kunstfreiheit" zu verweisen, die uns schon eingangs beschäftigt hat. Wenn Kunstfreiheit nicht die Freiheit der Kunst von unternehmerischer Entscheidung bedeutet, also von einer politischen Willensbekundung über die öffentliche Finanzierung künstlerischer Spiel- und Entfaltungsräume, so sieht es mit der juristischen Unbedenklichkeit im Falle einer „Pflichtaufgabe Kultur" und ihrer Sicherung weitaus problematischer aus. Wer Kultur-Gesetze, gleich welcher Art, will, kommt nicht umhin, zu definieren, was Kunst ist oder sein kann. Die Verabschiedung der Denkmalschutzgesetze für die neuen Länder, die rund zwei Jahrzehnte nach der Novellierung der entsprechenden gesetzlichen Bestimmungen der Altländer erfolgte, hat Parlamentariern einen Vorgeschmack darauf gegeben. Während hier immerhin wissenschaftlich nachvollziehbare Grundlagen die Beschreibung des Denkmalbegriffes einigermaßen erleichtern, dürfte dieses Unterfangen im Falle der Definition von Kunst von subjektiven Empfindungen nur schwer zu trennen und eine „neutrale" Definition undenkbar sein. Spezialgesetze können die Kunst nicht, wie das Grundgesetz, indirekt definieren, beispielsweise mit dem Hinweis, Kunst sei alles, was irgendwer dafür halte, es sei denn, diese künstlerische Manifestation richte sich gegen unser Staatswesen oder verunglimpfe Personen oder Verfassungsorgane.

Wenn es im Kultursektor weniger Fördergesetze als Förderrichtlinien und einigermaßen „unabhängige" Kommissionen gibt, so hat das seine Ursache in der fehlenden Definierbarkeit künstlerischer Inhalte. Deutlich wird diese Gesamtproblematik auch am Beispiel des „Gesetzes über die Kulturräume in Sachsen (Sächsisches Kulturraumgesetz – SächsKRG)" vom 20. Januar 1994 (SächsGVBl, S. 175) und seiner Umsetzung, das wir hier kurz vorstellen und bewerten, auch weil die Debatte über die Sicherung der Kultur in der Auseinandersetzung mit diesem „genuin sächsischen" Sonderweg an Konturen nur gewinnen kann.

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7.1 Das sächsische Kulturraum-Modell

Das Kulturraumgesetz ist einmalig in der bundesrepublikanischen Geschichte. Und das Besondere muß auch den Abgeordneten in Dresden bewußt gewesen sein. Sie stellten dem Gesetz eine Präambel voran, nicht unbedingt üblich bei Gesetzeswerken:

„In der Überzeugung, daß die Freiheit des geistigen Lebens und die Freiheit der Künste Ausdruck der 1989 friedlich errungenen Freiheit der Bürger Sachsens sind und für die Zukunftsfähigkeit unserer Gesellschaft unverzichtbar bleiben,

im Bewußtsein, wieviel Sachsen der gewachsenen Vielfalt und Offenheit seiner Regionen verdankt, die in Zeiten des Übergangs einer Sicherung des kommunalen Gestaltungsspielraums bedürfen,

in der Erkenntnis, daß nach Abschluß der Übergangsfinanzierung Kultur gemäß Artikel 35 Einigungsvertrag eine ergänzende Förderung kommunaler kultureller Einrichtungen und Maßnahmen auf landesgesetzlicher Grundlage zur Herstellung neuer, finanzierbarer Organisations- und Leistungsstrukturen unverzichtbar ist,

in der Erwartung, daß die Kulturräume bürgernahe, effiziente und wandlungsfähige Strukturen schaffen,

beschließt der Landtag (...) das nachstehende Gesetz über die Kulturräume in Sachsen (Sächsisches Kulturraumgesetz)."

Mit der Übernahme des (alt)bundesrepublikanischen Gesellschaftssystems befanden sich die für Kulturförderung Verantwortlichen in einer Lage, die der jetzige Koordinator der sächsischen Kulturräume, Matthias Theodor Vogt, kurz vor Verabschiedung des Gesetzes so beschrieb:

„Die derzeitige Situation muß als schizophren beschrieben werden: mit der rechten Hand unterstützt der Freistaat durch seinen eigenen Haushalt die kommunale Kulturpflege. Mit der linken Hand aber drosselt er – über die Regierungspräsidien als Rechtsaufsichtsbehörde und damit Haushaltsgenehmigungsbehörde – den Elan der Kommunen, sich kulturell zu engagieren. Der Grund hierfür liegt in der aus dem Westen übernommenen Haushaltsordnung. Ihr zufolge dürfen die sogenannten freiwilligen Leistungen wie Kulturförderung erst erfolgen, nachdem die sogenannten Pflichtaufgaben wie Straßenbau etc. absolviert und dieser Haushaltsteil durch ausreichende Mittel geschlossen ist. Durch diese Regelung geht in der sächsischen Kommunalwirklichkeit der kulturelle Gestaltungsspielraum tendenziell gegen Null: entweder sie wollen, aber können nicht, oder sie wollen, aber dürfen nicht. Teilweise können sie auch die für eine Landesmitfinanzierung notwendigen Komplementärmittel nicht erbringen. Durch die unangemessene und für das Theater X tödliche Übernahme einer westdeutschen Verwaltungsvorschrift ist das Gebot des Artikels 35 Einigungsvertrag verletzt, demzufolge die kulturelle Substanz im Beitrittsgebiet keinen Schaden erleiden darf." („Modell einer Landeskulturpolitik im Systemwandel" in „Dresdner Neueste Nachrichten" v. 6./7. 11. 1993)

Die von Vogt beschriebene Situation ist auch in anderen Bundesländern keineswegs unbekannt. Aufgrund der Verteilung des Steueraufkommens und der Finanzierungslasten, häufig aber auch durch hausgemachte Faktoren bedingt, befinden sich die meisten kommunalen Gebietskörperschaften auch der alten Bundesländer in der Situation, ihre unverantwortlichen Haushaltsdefizite zu Lasten ihrer freiwilligen Aufgaben – darunter insbesondere auch die kulturellen Aufgaben – einzugrenzen. Wer mangelndes kulturelles Engagement der Kommunen kritisiert, muß deshalb diese Kritik vor allem auch an diejenigen richten, die für Kommunalaufsicht und Finanzausstattung der Kommunen zuständig sind.

In Sachsen sagt das Kulturraumgesetz lapidar als Lösung dieses Problems: „Im Freistaat Sachsen ist die Kulturpflege eine Pflichtaufgabe der Gemeinden und Landkreise." (§ 2 Abs. 1) Was diese Aussage jedoch für die praktische Politik bedeutet, muß die Zukunft zeigen. Derzeit halten sich positive Kommentare mancher Nutznießer und negative Äußerungen noch die Waage. Insbesondere ist offen, was denn nun alles zur Kulturpflege gehört, welche Mindeststandards erfüllt sein müssen, damit der Pflichtaufgabe genüge getan ist und vieles mehr. Das Gesetz selbst relativiert an anderer Stelle (§ 7 Abs. 5, 2) seine Aussage, indem es einen Rechtsanspruch auf Kulturförderung ausdrücklich ausschließt. Abgesehen von dieser Aussage ist das Kulturraumgesetz Bestandteil einer grundsätzlichen Neuordnung der Kulturförderung im Freistaat Sachsen, die wir zum Verständnis kurz streifen müssen (Darstellung nach Vogt, „Modell..." a.a.O.):

  • Die Staatlichen Schlösser und Gärten, die in Sachsen aufgrund der Geschichte sehr zahlreich sind, werden in einer eigenen Schlösserverwaltung direkt vom Finanzministerium unterhalten.

  • Musik- und Kunstschulen werden ebenso wie jugendkulturelle Aktivitäten, z. B. Rockmusik und die Heimatpflege aus dem Etat des Kultusministeriums mit maximal 50 % der zuwendungsfähigen Kosten gefördert, sofern die Kommunen entsprechende Mittel komplementär einsetzen. Diese Inhalte sind nicht durch das Kulturraumgesetz berührt.

  • Das Ministerium für Wissenschaft und Kunst ist zuständig für kulturelle Landeseinrichtungen, die zu 100 % vom Land gefördert werden. Dazu gehören z. B. Staatsoper, Staatskapelle und Staatsschauspiel Dresden, die Landesbühnen Sachsen und die Staatlichen Kunstsammlungen. Außerhalb des Kulturraumgesetzes fördert das Ministerium Künstler sowie kulturelle Vereine und Verbände, sofern es sich um regional bedeutsame handelt, nur dann, wenn die Kommunen sich finanziell beteiligen.

  • Außerdem werden Einzelprojekte, die nicht über das Kulturraumgesetz oder andere Stellen des Freistaates gefördert werden, über die Sächsische Kulturstiftung mit maximal 50 % des Zuschußbearfes gefördert. Die Stiftung ist mit Haushaltsmitteln des Ministeriums ausgestattet. Als Beratungsgremium hat sich das Ministerium zudem einen Kultursenat geschaffen, in dem z. Zt. 23 erlauchte Persönlichkeiten aus dem Kulturleben versammelt sind, und deren Kompetenz auch von Kommunen angerufen werden darf.

Und wofür nun das Kulturraumgesetz? Aufgrund der Empfehlungen der sogenannten „Naumann-Kommission", die über die dauerhafte Absicherung der zahlreichen Theater und Orchester beraten und vorgeschlagen hatte, die finanziellen Lasten des Unterhalts von bedeutsamen Kultureinrichtungen auf alle Kommunen einer Region zu verteilen, sagt das Gesetz:

„Zur Erhaltung und Förderung kultureller Einrichtungen und Maßnahmen werden Kulturräume als Zweckverbände gebildet." (§ 1 Abs. 1) Alle sächsischen Landkreise und kreisfreien Städte werden mit Ausnahme von Chemnitz, Dresden und Leipzig im Wege einer Zwangsmitgliedschaft einem der acht ländlichen Kulturräume zugordnet. Die drei genannten Städte werden zu eigenen urbanen Kulturräumen erklärt. Die räumliche Aufteilung des Landes in die Kulturräume wurde mit den kommunalen Spitzenverbänden abgestimmt. Dieser Abstimmung ist auch der Mangel geschuldet, daß die drei großen Städte nicht in eine Beziehung zu ihrem Umland gesetzt werden konnten.

Jeder ländliche Kulturraum richtet eine Kulturkasse ein, in die im Wege einer Kulturumlage die Gebietskörperschaften einzahlen. Welche Höhe diese Kulturumlage hat, ist zum einen noch durch in das Finanzausgleichsgesetz aufzunehmende Bestimmungen zu regeln, zum anderen bestimmt sie sich nach den durch Satzung festzulegenden Aufgaben und Erfordernissen. Das Land verpflichtet sich für die zehnjährige Laufzeit des Gesetzes den Kulturräumen jährlich mindestens 150 Millionen zur Verfügung zu stellen, von denen 60 Millionen aus dem Finanzausgleich abgezweigt werden.

Für die Gremien der ländlichen Kulturräume hat das Gesetz Vorgaben gemacht: Das Entscheidungsorgan ist der Kulturkonvent, dem als stimmberechtigte Mitglieder die hauptamtlichen Oberbürgermeister und Landräte der kreisfreien Städte bzw. Landkreise sowie beratend jeweils zwei von den Kreistagen beziehungsweise Stadträten gewählte Vertreter angehören. Aus dem Kreis der stimmberechtigten Mitglieder wird ein Vorsitzender gewählt, bei dessen Kulturamt die Geschäftsstelle des Kulturraums, genannt Kultursekretariat, eingerichtet wird. Zur Unterstützung seiner Arbeit beruft der Kulturkonvent einen Kulturbeirat aus Sachverständigen möglichst aller Kultursparten, die im Kulturraum gefördert werden. Der Vorsitzende des Beirats gehört mit beratender Stimme dem Kulturkonvent an. Der Beirat darf Vorschläge für die Mittelverwendung machen, an die der Kulturkonvent allerdings nicht gebunden ist. Bei abweichenden Entscheidungen sind diese jedoch schriftlich zu begründen.

Nach dem Urteil des Sächsischen Staatsministeriums für Wissenschaft und Kunst hat das Kulturraumgesetz nach kleineren Anlaufschwierigkeiten sein Ziel, die kulturelle Infrastruktur in Sachsen zu sichern, erfüllt (siehe Antwort der Staatsregierung auf eine Große Anfrage der SPD-Landtagsfraktion vom 4. 8. 1995, Drucksache 2/0802). Die Förderbedarfsanmeldungen für das Jahr 1995 beliefen sich auf insgesamt ca. 158,4 Mio. DM, wovon 77,9 Mio. DM auf die ländlichen, 80,5 Mio. DM auf die urbanen Kulturräume entfallen sollten. Diesem Fördervolumen entsprächen vorgesehene Gesamtausgaben in den Kulturräumen von ca 623 Mio. DM, ca. 273,5 in den ländlichen und ca. 349,4 in den urbanen Kulturräumen.

Grundsätzlich, so das Staatsministerium, sei eine Tendenz zu beobachten, möglichst viele kulturelle Einrichtungen und Maßnahmen für regional bedeutsam zu erklären und der Landesförderung zugänglich zu machen. An anderer Stelle der Antwort äußert sich das Ministerium dazu unmißverständlich: „Grundsätzlich ist festzustellen, daß es nur jenen Einrichtungen gelingen wird, eine langfristige Sicherung über ihren jeweiligen Kulturraum zu erreichen, die einen hohen Rang in ihrer Sitzgemeinde und im gesamten Kulturraum erringen bzw. bewahren." (a.a.O, S. 19)

Unsere eigenen Vorbehalte sind grundsätzlicher Natur und bestätigen sich bei Arbeitskontakten in Sachsen zunehmend:

Positiv ist festzuhalten: Das Kulturraumgesetz stärkt den Stellenwert der Kulturförderung. Durch den Zweckverband wird die gemeinsame Verantwortung gegenüber den kulturellen Einrichtungen in einer Region zweifellos befördert. Über die landesseitig vom Kulturraumgesetz geförderten Bereiche hinaus besteht die Möglichkeit, weitere gemeinsame kulturelle Aufgaben zu definieren.

Kritisch ist anzumerken, daß die Verantwortung für die kostenträchtigen kulturellen Einrichtungen landesseitig delegiert wurde, ohne sich auf Zusagen hinsichtlich einer finanziellen Beteiligung für zukünftige Kostensteigerungen, z. B. im Wege der Tarifanpassung an Westniveau, einzulassen. Bestimmte Bereiche, in denen sich regionale Kooperation anbietet, wie z. B. Musikschulen oder in denen sich regionale Identität äußert oder herausbilden können, wie z. B. Elemente der Künstlereinzelförderung oder die Heimatpflege sind zwar nicht ausdrücklich ausgespart, bleiben jedoch bestenfalls regionalen Initiativen überlassen. Landespolitisch gesehen ist das Kulturraum-Modell ein perfekter Rückzug des Freistaates Sachsen aus eigener unternehmerischer und staatlicher Verantwortung. Ob die staatliche Zuschußdeckelung auf zehn Jahre Bestand haben kann, scheint uns mehr als fragwürdig.

Die „Pflichtaufgabe Kultur" ist im Kulturraumgesetz verankert, nicht in der Kommunalverfassung. Streng genommen gilt sie damit auch nur für diejenige Kultur, die durch Kulturräume getragen oder finanziert wird. Obwohl dieses Problem der konkurrierenden Gesetzgebung gutachterlich auf Eis gelegt wurde, muß abgewartet werden, welche konkreten Erfahrungen bei der Bestandssicherung der kulturellen Infrastruktur außerhalb der Kulturraumförderung zu verzeichnen sind und wie sich die Kommunalaufsicht bei Finanzierungsengpässen gegenüber kulturellen Bestrebungen der Kommunen verhält. Die Ausklammerung bestimmter Kulturbereiche aus dem Wirkungskreis des Gesetzes schwört diesbezügliche Probleme geradezu herauf. Sie ist auch unter sachlichen Gesichtspunkten fragwürdig, beispielsweise bei den Musikschulen, für die sich regionale Kooperationen in den neuen Ländern geradezu aufdrängen.

Für äußerst bedenklich halten wir die demokratischen Defizite:

Alle Entscheidungen im Kulturraum werden von Hauptverwaltungsbeamten getroffen, denen hierfür keine demokratische Kontrollebene zugeordnet ist. Vertreter der parlamentarischen Ebene wirken zwar in einigen Kulturäumen beratend mit, jedoch führt ihre zahlenmäßige Begrenzung auf jeweils zwei Personen fast zwangsläufig dazu, zumal unter den gegebenen Mehrheitsverhältnissen in den sächsischen Kommunen, daß Vertreter kleinerer Parteien – die häufig auch durch Künstler in den Räten vertreten sind, die wesentlich zur Wende 1989 beigetragen haben – vom Willensbildungsprozeß ausgeschlossen bleiben. Da zudem über wesentliche Teile der Kulturhaushalte in den Ratsgremien nicht mehr gestritten werden kann, droht eine Verarmung des kulturpolitischen Diskurses bzw. wird dieser zwangsläufig ins Außerparlamentarische abgedrängt.

Zur kulturellen Infrastruktur selbst bleibt zu sagen, daß politische Entscheidungen über die Zukunft zahlreicher Angebote bzw. über Strukturveränderungen zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Gesetzes keineswegs schon im erforderlichen Umfange getroffen waren, sondern jetzt anstehen. Die Tatsache, daß die Kulturräume eine fünfjährige Finanzplanung in Abstimmung mit einem „Kulturentwicklungsplan" (!) vorzulegen haben, stimmt uns keineswegs erwartungsfroher. Ob das Kulturraummodell mit seiner erzwungenen Zweckverbandsstruktur und der oben beschriebenen Einbettung in eine spezifisch sächsische Förderproblematik bessere Ergebnisse zeitigt, bleibt fraglich. Sinnvolle Pakete, insbesondere ein „Lastenausgleich" zwischen den künstlich isolierten „urbanen Kulturräumen" und ihrem Umland, sind so sicherlich nicht zu erreichen.

Dem Hammer des Zuwendungsrechts und der Kompliziertheit der Zuschußbemessung ist man mit dem Kulturraumgesetz nicht entronnen – im Gegenteil. Dazu, mehr als kabarettistische Einlage, die Berechnungsformel für die aktuelle „Relative Kulturraumbedarfsmeßzahl" (aus „VV-Kulturäume 1998"):

zk = [ Z * [(gk/G + ek/E -uk/U) *G – 1/2 * nk] * 1/B]

Ist doch einfach, oder? Die ursprüngliche Formel war jedenfalls noch viel länger! Sicher, es wäre unfair, dazu nicht die Legende (mit Original-Abkürzungen) zu liefern:

zk = Zuwendung an den Kulturraum
gk = notwendiger Zuschußbedarf des Kulturraumes
ek = Einwohner
uk = Umlagegrundlagen
nk = Gesamtausgaben der nutzbaren zentralen Angebote
Z = Summe Zuwendungen KR 01 – 11
G = Summe Gesamtausgaben KR 01 -11
E = Summe Einwohner von KR 01 -11
U = Summe Umlagegrundlagen KR 01 – 11
B = abs. Summe KR-Bedarfsmeßzahl KR 01 – 11

Eines ist sicher: Kulturräume garantieren Vollbeschäftigung – wenigstens in den mit der Umsetzung ihrer Verwaltungsgrundlagen befaßten Stellen.

Nach nun mehr als drei Jahren Erfahrung mit dem Kulturraumgesetz läßt sich folgendes als Zwischenbilanz resümieren:

Unsere Befürchtung, daß die „Pflichtaufgabe Kultur" trotz des Kulturraumgesetzes unter Finanzierungsvorbehalt stehe, hat sich leider bestätigt. Bereits zum dritten Jahr des Gesetzes reduzierte der Landtag die für die laufende Kulturförderung zur Verfügung stehende Summe um 15 Mio. DM. Dieser Betrag wurde nunmehr für Investitionen zweckgebunden. Desweiteren wird seitens der sächsischen Staatsregierung und der sie tragenden parlamentarischen Mehrheit eine Aufstockung der Kulturraummittel, um etwa die inzwischen erfolgten Tarifsteigerungen aufzufangen, ausgeschlossen.

In vielen Kulturräumen hat der reduzierte finanzielle Spielraum in den kommunalen Kassen dazu geführt, die Kulturumlage, d. h. den kommunalen Finanzierungsanteil der Kulturräume, nicht zuletzt auf Veranlassung der Kommunalaufsicht zu reduzieren. Dabei fällt auf, daß diese Kürzungen ausschließlich fiskalisch begründet werden.

Bei den ländlichen Kulturräumen hat die Kulturraumförderung zunächst eine Vielzahl von Förderanträgen provoziert. Nach einer Aufstellung des Sächsischen Rechnungshofes wurden allein im Jahr 1995 1.126 Einrichtungen und Projekte über die Kulturräume gefördert. Allerdings bemängelt der Rechnungshof zugleich, daß das Kriterium regionaler Bedeutsamkeit vielfach von den Kulturräumen nicht beachtet worden sei.

In den Kulturräumen führt der nun eingetretene Sparzwang zu einem Verdrängungswettbewerb der verschiedenen kulturellen Sparten. Die ursprüngliche Absicht des Gesetzes, gerade die kostenintensiven Einrichtungen wie Theater, Orchester und Museen einer strukturellen Reform zu unterziehen und sie zugleich langfristig abzusichern, wird vielerorts nicht erreicht.

Die Förderentscheidungen der Kulturräume unterliegen keiner parlamentarischen Kontrolle mehr: Zwar hat der Sächsische Landtag sich zwischenzeitlich mehrfach mit der Ausführung des Kulturraumgesetzes befaßt, jedoch hat er – außer bei haushaltsrechtlichen Verstößen – keine Möglichkeit, die Entscheidungen der als kommunalen Zweckverbände verfaßten Kulturräume zu korrigieren. Bei den Zweckverbandsmitgliedern selbst sind die Kulturausschüsse mangels fehlenden Entscheidungsbedarfes weitgehend abgeschafft worden. Wenn überhaupt finden parlamentarische Auseinandersetzungen zur Kultur nur noch in den Finanz- oder Haushaltsausschüssen statt, wenn es um die kommunalen Anteile an den Kulturraumkassen geht. Um Inhalte geht es bei diesen Auseinandersetzungen nicht.

Da das Sächsische Staatsministerium für Wissenschaft und Kunst den Kulturräumen zur Auflage gemacht hat, die Verwaltungsausgaben auf maximal ein Prozent der Förderhöhe zu begrenzen, ist eine sachgerechte Bearbeitung von Anträgen und Verwendungsnachweisen nur unzureichend gegeben. Die vorhandenen Arbeitskapazitäten der Kulturraumsekretariate werden zudem durch regelmäßig eingeforderte Zuarbeiten für das Ministerium weiter eingeschränkt. So ist es nicht verwunderlich, daß der Sächsische Rechnungshof in seiner Beratenden Äußerung vom April 1997 zwar den Kulturräumen ein redliches Bemühen bescheinigt, jedoch insgesamt zu der Schlußfolgerung kommt: „Mit der bisherigen Praxis wird den Zielen des Gesetzgebers nicht genügend Rechnung getragen und ein Großteil der Zuwendungsmittel ineffektiv oder zweckwidrig verwendet."

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7.2 Solidarpakt Kultur?

Trotz aller Vorbehalte bleibt das Kulturraum-Modell ein wichtiges Experiment – in der Hoffnung, daß es unter dem Strich doch mehr nutzen als schaden möge. Mit Blick auf die Spezifika anderer neuer und alter Bundesländer halten wir es nur schwerlich für übertragbar. Unstrittig hingegen ist in der bundesweiten Diskussion, daß Kultur eines Solidarpaktes bedarf. Zur Lösung dieser schwierigen Aufgabe sind Kommunen und Länder gleichermaßen aufgerufen.

In den aktuellen Diskussionen schälen sich zwei generelle Verfahrensansätze heraus, zwischen denen für uns auch Kombinationen denkbar sind:

a) der freiwillige oder gesetzlich verordnete Zusammenschluß von Gebietskörperschaften (ggf. auch privatrechtlichen Körperschaften) zum Zwecke der gemeinsamen Finanzierung und Trägerschaft. Dazu gehören auch diverse Spielformen der Finanzierung und Steuerung durch öffentlich-rechtliche Verträge.

b) der finanzielle „Lastenausgleich" über zweckgebundene Sonderzuweisungen im Rahmen der Finanzausgleichsgesetze. Einen Ansatz dazu gibt es in der Theaterförderung des Landes Brandenburg, in den Altbundesländern beispielsweise auch in Schleswig-Holstein.

Zusammenschlüsse erfordern eine Antwort auf die Frage, wie „Kulturräume" oder „Regionen" zu definieren seien. Die Maastrichter Verträge greifen mit ausdrücklichem kulturellen Bezug den Begriff der Region auf – für die Bundesrepublik sind das in der Praxis die Bundesländer. Dies ist konsequent im Hinblick auf die verfassungsmäßige Kulturhoheit der Bundesländer. Da diese fast ausnahmslos als zu großräumig begriffen werden, bedarf es anderer Kriterien. Wenn also für die Kulturpolitik Region eine Handlungsebene ist, muß damit offensichtlich flächenmäßig weniger – inhaltlich vielleicht mehr – als ein Regierungsbezirk und mehr als ein Landkreis gemeint sein. Doch wie ist eine solche Region einzugrenzen? Genügt eine (in der Gegenwart ggf. nicht mehr tragfähige) historische Zuordnung?

Uns bleibt nicht der Platz, an dieser Stelle eine gedankliche Deutschlandreise zu unternehmen und die vielen unterschiedlichen Beispiele der Kulturfinanzierung und -organisation in der Bundesrepublik zu skizzieren. Aus deren Kenntnis und der eigenen Erfahrung in der Organisation und Moderation regionaler Willensbildungsprozesse beschränken wir uns auf folgende Thesen zu diesem Komplex:

  1. Es gibt keine ausgereiften und vor allem übertragbaren Modelle für die Aktivierung der in einer Region vorhandenen Potentiale, für die Förderung regionalspezifischer kultureller Inhalte, für den Abbau der in einer Region vorhandenen kulturellen Defizite oder für spezifische regionale Organisationsstrukturen.

  2. Welche Funktion Regionen bei der Gestaltung des Kulturlebens zukommt, bestimmt sich danach, welchen Stellenwert Landes- und Kommunalpolitik ihr zubilligen bzw. ihnen abgerungen wird. Konkret wird der Stellenwert durch die Höhe der bereitgestellten Haushaltsmittel oder sonstiger Ressourcen definiert.

  3. Regionen müssen sich konstituieren, d.h. sie müssen ihre gemeinsamen, aber auch ihre unterschiedlichen Anliegen und Interessen formulieren und definieren. Unterschiedliche politische und inhaltliche Handlungsfelder dürfen dabei nicht separiert werden. So ist nicht einzusehen, weshalb trotz entsprechender Vorgaben in Raumordnungsgesetzen u. ä. bisher noch nirgendwo Wirtschafts- und Kulturentwicklung vernetzt wurde.

  4. Regionale Zusammenarbeit darf nicht allein der Verwaltungsebene überlassen bleiben.

  5. Regionale Zusammenarbeit bedarf der Kontinuität. Diese ist nur dann gewährleistet, wenn Instanzen – z. B. ein Regionalbüro – geschaffen werden, die Kommunikation und gemeinsame Projekte organisatorisch ermöglichen können. Damit diese Instanzen sich nicht verselbständigen, bedürfen sie einer tatsächlichen, lebendigen Kontrolle.

  6. Regionen bedürfen des regelmäßigen gemeinsamen Gespräches der in ihr Handelnden. Solche Gespräche müssen ergebnisorientiert sein und bedürfen der Moderation. Die Moderation sollte von Personen übernommen werden, die nicht in regionale Interessenlagen eingebunden sind. Bei der Zusammensetzung der Teilnehmer sollte darauf geachtet werden, daß die Fachleute nicht unter sich bleiben. Bei Kulturgesprächen sollten Unternehmer und Gewerkschafter ebenso selbstverständlich dabei sein, wie bei Wirtschaftsgesprächen Künstler.

Die moderative Entwicklung von Kooperation auf regionale Ebene oder auch nur zwischen wenigen Kommunen setzt Anreize und unternehmerische Mitwirkung der Länder voraus, die aber oft sehr dazu neigen, unter scheinheiligem Verweis auf die eigenständige Gestaltung kommunaler Wirkungskreise sich dieser landesplanerischen Moderation zu entziehen. Das Auftreten des Staates ist hierbei zweischneidig und inkonsequent: einerseits verteilt er über die Kultusbürokratie nach mehr oder minder nachvollziehbaren Kriterien des „Landesinteresses" Mittel an die Kommunen, andererseits wirkt die Kommunalaufsicht dort, wo keine vertraglichen Schutzräume bestehen, über den Rotstift der Haushaltskonsolidierung vehement in die kulturpolitische „Gestaltungsfreiheit" der Kommune ein. Die Länder müssen lernen, hier abgestimmte Vorgehensweisen zu entwickeln. Dies setzt auch voraus, staatlicherseits ebenso wie in den Kommunen den Handlungsrahmen hinsichtlich der längerfristigen finanziellen Möglichkeiten, der Dauer und Qualität öffentlich-rechtlicher Fördervereinbarungen und des Handlungsfreiraumes von Kulturbetrieben zu einheitlichen Aussagen und Handlungsweisen zu gelangen. Geschieht dies in Abgleich mit den Kommunen nicht, sind neue Verwerfungen in der kulturellen Infrastruktur und schwelende Konflikte unausweichlich. Solche Wege setzen – dies sei noch einmal wiederholt – transparente qualitative und quantitative Bemessungsgrundlagen voraus, die wir in den meisten Fällen vermissen. So wird es schwer sein, gemäß den Glaubenssätzen der Verwaltungsreform zu einer Steuerung über Controlling zu gelangen, die unter diesem Begriff eigentlich mehr versteht als die mehr oder minder kompetente Prüfung von Verwendungsnachweisen auf rechnerische Richtigkeit.

Darüber hinaus bleiben fünf Fragen, die an die Landespolitik, aber auch an die Kommunen in der Regionen gestellt werden müssen:

  1. Zunächst stellt sich die Frage der Aufgabenteilung: Was sind Landesaufgaben, die sinnvollerweise auch solche bleiben sollten? In diesem Zusammenhang ist auch die Frage zu beantworten, wie und durch wen die Qualifizierung hauptamtlicher und freiwilliger Mitwirkender in den einzelnen kulturellen Sparten erfolgen soll. (Landes)Verbände können hierbei nach unseren Erfahrungen nur sehr bedingt mitwirken, vor allem aufgrund ihrer sehr unterschiedlichen Mitgliederbasis.

  2. Als zweites stellt sich Frage nach dem Zuschnitt der Regionen. Wenn wir uns auf Landkarten ansehen, welche Grenzen für welche Regionen je nach politischem Aufgabengebiet bestehen, stellt sich die Frage, ob es nicht sinnvoller ist, Wirtschafts- und Kulturregionen kongruent zu machen, um die viel beschworenen Synergieeffekte und Vernetzungsabsichten in Realität umzusetzen.

  3. Drittens muß gefragt werden, ob das in der kommunalen Verfassungswirklichkeit in West und Ost meistens vorhandene Defizit an Kulturfachleuten in den Kommunalverwaltungen allein über regionale Zusammenarbeit zu kompensieren ist. Hier wäre etwa zu prüfen, ob mit Landesunterstützung bei den bzw. mit den kommunalen Spitzenverbänden kulturelle Kompetenz anzusiedeln ist, die von den Gebietskörperschaften genutzt werden kann.

  4. Viertens sollte bei den Überlegungen zur Reform von Landesverwaltungen geprüft werden, inwieweit bisher von Landesebenen wahrgenommene Aufgaben bei der Kulturförderung der Länder nicht zumindest teilweise in kommunale Zuständigkeiten übergehen können. Dies setzt jedoch unverzichtbar voraus, daß derart übertragene Aufgaben auch tatsächlich wahrgenommen werden und die Mittel nicht der Sanierung kommunaler Haushalte zum Opfer fallen. Die Mittel müssen außerhalb des kommunalen Finanzausgleiches zur Verfügung gestellt werden.

Es wird deutlich geworden sein, daß wir aus unseren Erfahrungen zu Sicherungsmodellen für die Kulturlandschaft neigen, die auf regionalen Kooperationen und Vereinbarungen sowie auf öffentlich-rechtlichen Verträgen auch mit den Ländern beruhen. Zweifel haben wir an der Zweckmäßigkeit sonstiger Gesetzeswerke. Hingegen lassen viele Förderrichtlinien der Kultusministerien Kriterien vermissen, die regionalen Unausgewogenheiten entgegensteuern und Kooperationsmodelle „belohnen".

Zweckgebundene Zuweisungen über die Finanzausgleichsgesetze können sinnvoll sein, wenn sie, ebenso wie die Förderung über öffentlich-rechtliche Verträge, unumgängliche Aufwüchse (z. B. aus Tarifanpassungen und allgemeinen Kostensteigerungen) beinhalten und nicht dem Irrtum anhängen, Kulturinvestitionen seien ausschließlich aus den allgemeinen Zuweisungen an Kommunen zu bestreiten. Hier sei noch einmal auf Schleswig-Holstein verwiesen, das in den zweckgebundenen Theaterzuweisungen sowohl eine angemessene Dynamisierung der Betriebskosten verankert hat als auch eine längerfristige Investitionspauschale.

Trotz allem birgt ein FAG-Fördermodell die Gefahr, daß sich die Landesseite unter einmaliger Bestimmung von Bemessungsgrundlagen aus einer aktiven Gestaltung der Infrastruktur wieder zurückzieht auf die Spielwiesen von Festivals und dergleichen. Verfassungspolitisch ist „unternehmerische Enthaltsamkeit" und Gestaltungsverzicht im Kulturbereich jedenfalls nicht zu begründen.

Statt der beliebten Katz-und-Maus-Spiele (z. B. zwischen kommunalen Spitzenverbänden und Landesregierungen) sollten die dringend notwendigen Lösungsszenarien in einem organisierten, moderativen kulturpolitischen Diskurs entwickelt werden, dem durch Selbstverpflichtung der Beteiligten Verbindlichkeitscharakter zukommt. Unsere Planungserfahrung lehrt, daß dabei allerdings eine zeitliche und finanzielle Begrenzung solcher „(Be)Denkzeiten" überaus hilfreich sein kann und daß die Finanzminister und Kämmerer keineswegs immer den „Schwarzen Peter" in diesem Spiel haben.

Wenn man die neuen Bundesländer nicht durch den Import von Billigrezepten überfordert und die zum Handeln Gewählten abgewogenes Handeln nicht scheuen, dann bietet sich im sogenannten „Beitrittsgebiet" ein überaus interessantes Innovationsfeld, aus dem der größere „Rest" der geeinten Republik durchaus kompetenzerweiternde Erkenntnisse gewinnen kann. Dies ist es, was für uns den Spagat zwischen West und Ost – trotz aller Wirrnisse und Ärgernisse – nach wie vor zu einem spannenden Erlebnis macht. Wenn schon der föderale Aufbau der alten Republik kaum dazu geführt hat, die Modellvielfalt kreativ und zugleich selbstkritisch auf ihre Eignung für die neuen Länder zu prüfen, dann sollte mit geringfügiger Verspätung deutlich werden, welche Chancen in der Gleichzeitigkeit von Ungleichzeitigkeiten in einem vereinten Staatswesen gerade für Kunst und Kultur liegen.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | April 1999

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