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Anhang


WOLFGANG S. HEINZ
VORÜBERLEGUNGEN ZUR ERRICHTUNG EINES MENSCHENRECHTSINSTITUTES (MIR) IN BONN


1. Ausgangslage

Im Unterschied zu Kanada, Österreich, England, Skandinavien und den Niederlanden existiert in der Bundesrepublik kein Menschenrechtsinstitut (MRI). Allerdings sind in den letzten Jahren einige Projekte und kleine Menschenrechtszentren entstanden, die im folgenden kurz vorgestellt werden sollen.

Das Menschenrechtsreferat des Diakonischen Werkes der EKD

Das Diakonische Werk hat 1977 das Referat "Hilfen für Opfer von Menschenrechtsverletzungen" ins Leben gerufen. Es soll die Partner der ev. Kirche im Einzelfall und besonders in Notfällen unterstützen, Ländersituationen mit massiven Menschenrechtsverletzungen als Thema aufnehmen (oft sind auch die Partner selbst bedroht) und Menschenrechtsorganisationen und -programme im Norden inhaltlich und finanziell fördern, da dies für die Partner in den Ländern des Südens unmittelbar Schutz und Unterstützung bedeutet.

In diesem Sinn wirkt das Referat als Scharnier zwischen den Erwartungen und Notsituationen der Partner einerseits und den konkreten Hilfsmöglichkeiten der Kirchen, ihrer Werke und Menschenrechtsorganisationen andererseits. Es finanziert u.a. Prozeßbeobachtungen, fact-finding- und Untersuchungs-Missionen, nimmt Beratungsfunktionen (z.B. Aus- und Fortbildung der Mitarbeiter von Menschenrechts-NROs) und Türöffnungsfunktionen für die Partner wahr.

Der Leiter des Referates, Werner Lottje, setzt sich seit langem für die Errichtung eines deutschen Menschenrechtsinstitutes ein. Anfangs stand für ihn vor allem die Schaffung eines Dokumentationszentrums im Vordergrund, das die kaum noch zu bewältigende Informationsfülle ordnen helfen soll. Nach 1991 und dem Beginn der Konditionalitätspolitik des BMZ wurde die Aufgabe einer kontinuierlichen Politikanalyse und des Entwurfes von NRO-Positionspapieren zu zentralen Themen der Menschenrechtsarbeit immer wichtiger.

Zwar waren die NROs an der Idee eines MRI interessiert, aber es fehlt(e) an einer ernsthaften institutionellen und damit auch finanziellen Selbstverpflichtung, ein MRI zu gründen und seine unabhängige Finanzierung sicherzustellen. [Vgl. Werner Lottje, Anknüpfungspunkte, Ansätze, Motive in der kirchlichen Entwicklungszusammenarbeit in: epd-Entwicklungspolitik Materialien 1/1992, S. 23f]

Das Projekt Institut zur Folterbekämpfung (Duisburg)

Das Ministerium für Wissenschaft und Forschung des Landes NRW hat das Institut für Entwicklung und Frieden (INEF) beauftragt, den Handlungs- und Forschungsbedarf im Bereich Folterbekämpfung zu ermitteln. In der Auftragsstudie von Prof. Franz Nuscheler und Ruth Klingebiel wurde die Einrichtung eines Institutes vorgeschlagen [Vgl. Franz Nuscheier Klingebiel, Bericht über die internationale Folterforschung, Duisburg o. J. (1991)], mit einer kleinen

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und einer großen Lösung: ein Rehabilitations-, Forschungs- und Dokumentationszentrum (6,5 hauptamtliche Mitarbeiter) und eine interdisziplinäre Forschungsinstitution an einer Hochschule in NRW (9 hauptamtliche Mitarbeiter). Das Ministerium konnte sich für keine der beiden Lösungen entscheiden. Prof. Nuscheler erhielt jedoch eine zusätzliche Vollzeitstelle für das INEF, die von Ruth Klingebiel wahrgenommen wird. Sie arbeitet zum Thema Frauen und Menschenrechte. 1994 fragte das Ministerium das INEF nach den Möglichkeiten, ein Therapiezentrum für Folteropfer einzurichten; Ergebnisse sind noch nicht bekannt.

Menschenrechtszentrum der Universität Potsdam

An der Universität Potsdam wurde 1994 am Lehrstuhl für Verfassungs-, Völker und Europarecht von Prof. Eckart Klein das Menschenrechtszentrum der Universität Potsdam ins Leben gerufen. Prof. Klein ist ab 1995 Mitglied des UN-Menschenrechtsausschusses, ein Komitee mit 18 unabhängigen Experten, die die Berichte der Unterzeichnerstaaten des UN-Bürgerrechtspaktes von 1966 prüfen.

Das Zentrum ist im wesentlichen eine Dokumentationsstelle für völkerrechtliche und europarechtliche Literatur.

Im Institut arbeiten ein wissenschaftlicher Mitarbeiter (volle Stelle), eine wissenschaftliche Hilfskraft (halbe Stelle), ein studentische Hilfskraft und eine Sekretärin (beides halbe Stellen) [Universität Potsdam, Menschrechtszentrum der Universität Potsdam: Jahresbericht 1994, Potsdam o. J.]. Es erhielt Zuwendungen des Bundesministeriums für Justiz in Höhe von DM 10.000.

Das Zentrum konzentriert sich auf die Aufgabe der Dokumentation juristischen Schrifttums und hat einen klaren Schwerpunkt auf Europa und europarechtliche Fragen gelegt.

Im Dezember 1994 veranstaltete es ein Kolloquium zum Thema "Die Institution des Menschenrechts- und Minderheitenkommissars als Möglichkeit des präventiven Menschenrechtsschutzes". Für den Herbst 1995 wird ein Kolloquium mit dem Thema "Stille Diplomatie oder Publizität? / Wechselseitige Erwartungen an Menschenrechtsorganisationen und Wissenschaft" angekündigt.

Arbeitsstelle für Menschenrechte (Deutsches Institut für Menschenrechte) an der Universität des Saarlandes

Dieses Menschenrechtszentrum ist bei Prof. Georg Ress, Lehrstuhl für öffentliches Recht, Völkerrecht und Europarecht, angesiedelt. Die Lehrveranstaltungen befassen sich mit dem Rechtsschutzsystem der Europäischen Menschenrechtskommission, der Arbeit des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte und dem Verhältnis zwischen dem europäischen Menschenrechtsschutz und der deutschen Rechtsordnung.

Das Programm des Institutes ist in das Europa-Institut der Universität integriert. Prof. Ress arbeitet daran, es zu einem ständigen Informationszentrum auszubauen, das vor allen Dingen für junge Juristen und Rechtsanwälte nützlich sein soll [Schreiben von Prof. Ress an den Vf., 8. Juni 1995]. Auch hier, wie in Potsdam, liegt der Schwerpunkt auf den juristischen Aspekten der Menschenrechte.

2. Die deutschen Menschenrechts-NROs

Obwohl es in der Bundesrepublik eine ganze Reihe von Menschenrechts-NROs gab, kam es über Jahre hinweg nicht zu einem regelmäßigen Austausch von Informationen und Erfahrungen. Die Kontakte verliefen sporadisch und waren oft personengebunden. Politisch gab es wenigstens zwei Richtungen innerhalb der Szene, die sich über Jahre hinweg eher feindlich gegenüberstanden, die (Internationale) Gesellschaft für Menschenrechte auf der einen, amnesty international Bundesrepublik Deutschland auf der anderen Seite. Diese Spannungen sind heute abgeklungen.

Schon im Vorfeld und während der Wiener UN-Menschenrechtskonferenz von 1993 hatte es zwischen einer Reihe von NROs eine gemeinsame Arbeit gegeben, u.a. die gemeinsame Durchführung eines zweitägigen Hearings zur deutschen Men-schenrechtspolitik im Frühjahr 1993. 1994 kam

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es zur Gründung des Forums Menschenrechte, eines Zusammenschlusses von unterdessen 31 Menschenrechts- und menschenrechtsorientierten NROs. [Vgl. Forum Menschenrechte, Jahresbericht 1994, Bonn 1995]

Das Forum dient

  • der Informationsvermittlung und dem Erfahrungsaustausch unter den Mitgliedsorganisationen;

  • der Durchführung gemeinsamer Vorhaben zur Verbesserung des Menschenrechtsschutzes in unserem Land und durch unser Land;

  • der Abstimmung und Vertretung der Interessen der deutschen mit den mit Menschenrechtsschutz befaßten NROs auf internationaler Ebene (insbesondere in der globalen Koordination der Menschenrechts-NROs nach der Konferenz in Wien);

  • der kritischen Begleitung der Menschenrechtspolitik der Bundesregierung und des Deutschen Bundestages auf nationaler und internationaler Ebene sowie der Arbeit deutscher Experten in weiteren internationalen Menschenrechtsschutzinstrumenten;

  • der Bekämpfung von Wahrnehmungsdefiziten gegenüber Menschenrechtsproblemen im eigenen Land;

  • der Unterstützung der Bewußtseinsbildung in Deutschland über Universalität und Komplexität der Menschenrechte und

  • der Nacharbeit und Umsetzungskontrolle des von der Wiener Menschenrechtskonferenz verabschiedeten Dokumentes.

Das Forum hat Arbeitsgruppen zu den Themen Hearing zur Asylpraxis, Europäische Union und Menschenrechte, Stellungnahme zum zweiten Menschenrechtsbericht der Bundesregierung [Vgl. Forum Menschenrechte, Stellungnahme zum 2. Menschenrechtsbericht der Bundesregierung, Bonn 1995.] und Umsetzung der "Wiener Beschlüsse und des Aktionsprogramms " (VN-Menschenrechtskonferenz von 1993) gebildet.

Das Forum versteht sich nicht als eine "Super-NRO", sondern als ein Koordinationsorgan für die Mitgliedsorganisationen. Es wäre sicher der zentrale Ansprechpartner für eine Bedarfsanalyse im Menschenrechtsbereich.

Werner Lottje vom Menschenrechtsreferat des Diakonischen Werkes hat 1994 vier Punkte genannt, die auch heute noch zentrale Defizite der Menschenrechtsarbeit in der Bundesrepublik darstellen (von der Analyse ist amnesty international auszunehmen, die einzige NRO, die über erhebliche, auch internationale, Ressourcen verfügt). Es fehlt an:

  • Forschungskapazitäten, bei der Menschenrechtspraxis und -forschung handlungsbezogen dauerhafte Verbindungen eingehen,

  • systematischer Informations- und Dokumentationsarbeit i.S. einer aktionsorientierten Dokumentationsstelle, die für die wenigen Menschenrechtsarbeitsstellen eine wirksame und verläßliche Unterstützung sicherstellt,

  • an hinreichend professionellen Organisationen und Mitarbeitern. Zuverlässige Menschenrechtsarbeit benötigt Erfahrung, großes Wissen, andauernden Dialog mit Opfern von Repression sowie kontinuierliche Auseinandersetzung mit Entscheidungsträgern in Ländern, in denen die Menschenrechte verletzt werden, und mit Entscheidungsträgern in der Bundesrepublik,

  • an präventiver Diplomatie. Für Menschenrechtsorganisationen genügt es nicht mehr, nur nach den zahllosen Opfern zu suchen, um anzuklagen und um humanitäre Hilfe zu ermöglichen. Die Konflikte und ihre Ursachen müssen angegangen werden, um politische Lösungen zu finden, die die andauernden Menschenrechtsverbrechen beenden können. [Werner Lottje, Deutschland – ein Entwicklungsland. Mängel der Menschrechtsarbeit in der Bundesrepublik, in: Der Überblick 3/1994, S. 123]

Die staatlichen Ansprechpartner

Die wichtigsten staatlichen Ansprechpartner für das Forum Menschenrechte sind das Auswärtige Amt und das BMZ, in zweiter Linie die Bundesministerien der Justiz, der Verteidigung und des Innern (das sich meist weigert, Vertreter zu menschenrechtsbezogenen Veranstaltungen zu entsenden). Mit den Bundesministerien für Finanzen und Wirtschaft ist

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im Blick auf die Verbindung zwischen Menschenrechts- und Entwicklungsfragen bisher nur selten gesprochen worden.

Im Auswärtigen Amt wurde 1995 eine neue Abteilung 9 "Vereinte Nationen, Menschenrechte und Humanitäre Hilfe" eingerichtet (Leitung Dr. Günther Pleuger). Staatsminister Schäfer ist seit 1995 Koordinator für Menschenrechtsfragen. Das Forum Menschenrechte, amnesty international und andere NROs führen zunehmend Gespräche mit dem AA zu Länderfragen, allgemeinen Menschenrechtsthemen und auch zur Vorbereitung der Tagung der VN-Menschenrechtskommissionen in Genf.

Im BMZ hat sich vor allem UAL Klemens van de Sand für die Themen Konditionalität und positive Maßnahmen [Vgl. Wolfgang S. Heinz, Positive Maßnahmen zur Förderung von Demokratie und Menschenrechten als Aufgabe der Entwicklungszusammenarbeit, Berlin 1994 und Federal Ministry for Economic Cooperation and Development (BMZ), Poverty Reduction, Self-Help Promotion of Participation and Human Rights, o. O., o. J. [1995].] interessiert. Zu den BMZ-Ländergesprächen werden interessierte NROs, darunter auch Menschenrechts-NROs, in der Regel eingeladen. Hier werden die Länderkonzept-Entwürfe des BMZ diskutiert.

3. Die internationalen Menschenrechts-NROs

Unter den internationalen Menschenrechts-NROs ist zunächst einmal zwischen den Menschenrechts-NROs wie Human Rights Watch, Internationale Juristenkommission, Internationale Liga für Menschenrechte, amnesty international und den nationalen und internationalen Menschenrechtsinstituten zu unterscheiden.

Bei der großen Zahl internationaler NROs sind es vor allem zwei Organisationen, die in der Öffentlichkeit auf dem Gebiet des fact-finding zu Meinungsführern wurden, Human Rights Watch und amnesty international:

  • Human Rights Watch besteht aus Asia Watch, Africa Watch, Americas Watch, Helsinki Watch für Europa, Middle East Watch und dem Fund for Free Expression, mit Büros in London, Los Angeles, Washington, D.C. und New York. Es bezeichnet sich als die führende US-Menschenrechtsorganisation und bemüht sich besonders um den Einfluß auf die US-Außenpolitik. Der Schwerpunkt liegt auf Forschung und Publikationen sowie öffentlichen Appellen. Es wird durch private Spendengelder finanziert und arbeitet ohne ehrenamtliche Mitgliedschaft. [Human Rhights Watch, Questions and Answers, Washington, D.C. u. a. o. J.]

  • amnesty international ist eine weltweite NRO mit 1,1 Millionen Mitgliedern und Unterstützern in mehr als 150 Ländern und einem Stamm von mehr als 300 hauptamtlichen Mitarbeitern im Internationalen Sekretariat in London, in dem auch die Ermittlungsabteilung ihren Sitz hat. Kontinuierlich wird zu über 140 Ländern gearbeitet und ca. 3.500 Fälle, die 8.960 Einzelpersonen betreffen, werden von den Aktionsgruppen betreut. [amnesty international, Jahresbericht 1994, Frankfurt/M. 1994.]

Auf dem rechtspolitischen Gebiet hat sich die Internationale Juristenkommission eine führende Stellung erworben. Sie ist auch aktiv bei der Fortbildung von Juristen in den Weltregionen des Südens.

Bei den Dienstleistungen in der Menschenrechtsarbeit spielen vier NROs eine wichtige Rolle:

  • Der International Service for Human Rights hilft bei der Koordination der NROs bei den VN. [Die Zeitschrift Human Rights Tribüne von Human Rights Internet (Sitz: Ottawa/Kanada) informiert über das kaum noch zu übersehende VN-Geschehen.]

  • Das Human Rights Information and Documentation System International (HURIDOCS) hat ein weltweites computerisiertes, standardisiertes Informationssystem zu Menschenrechtsverletzungen entwickelt und veranstaltet Trainingsseminare in Afrika, Asien, Lateinamerika und dem Nahen Osten.

  • Human Rights Internet in Ottawa/Kanada bietet in größeren Zeitabständen eine umfassende Übersicht über menschenrechtsrelevante Litera-

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    tur, Aufsätze und Bücher, die nach Themen und Ländern geordnet sind.

  • Das Human Rights Information Centre des Europarates konzentriert sich auf den Aufbau eines human rights mailing System, einer human rights reference library, von human rights data bases, human rights documentation and publications und eines human rights education programme. Es unterstützt besonders die Länder Zentral- und Osteuropas.

Weltweit gibt es vor allem im Norden eine große Zahl von Menschenrechtsinstituten. [Im folgenden stütze ich mich auf einige Angaben in der Studie Australian National University, The Centre for International an Public Law, Towards the Establishment of an International Institute for Applied Policy Research in the Human Rights Field, Australia 1994.] In den Mitgliedsstaaten des Europarates wurden 1994 z.B. 33 Menschenrechtsinstitute gezählt. [Council of Europe, Directory of Human Rights Institutes in Member States of the Council of Europe, Strasbourg 1994.] Zu ihren Hauptarbeitsgebieten gehören:

  • allgemeine Information (human rights awareness),

  • Menschenrechtserziehung in formalen und nicht-formalen Institutionen sowie für bestimmte Zielgruppen (Juristen, Polizei, Militär, Lehrer usw.),

  • Information, Dokumentation, Publikationen,

  • Kontaktpflege, national und international, einschließlich Konferenzen (networking),

  • Forschung zur Menschenrechtslage im eigenen Land und

  • Forschung/Politikberatung zu allgemeinen Menschenrechtsthemen.

Besonders gut organisiert sind die skandinavischen Institute in Dänemark, Finnland, Norwegen und Schweden. [Vgl. The Nordic Institutes of Human Rights, o. O.1993.] Sie geben zusammen seit 1986 das Jahrbuch Human Rights in Developing Countries heraus (später kamen als Mit-Herausgeber die Institute in Kanada und den Niederlanden hinzu).

Im Bereich Forschung existieren weltweit mindestens ca. 800 Forschungsinstitute und think tanks in 80 Ländern. [Alan J. Day (Hrsg.), Think Tanks: An International Directory, Harlow, Essex 1993.] Bei ihren Forschungsthemen spielen Menschenrechte kaum eine Rolle.

Eine Studie der National Australian University kommt zu dem Ergebnis: "It is notable, however, that few research institutes appear to incorporate human rights issues into their work, although they are often working in areas which have a direct impact in human rights and which may be the subject of considerable debate within the human rights community." [Australian National University, a.a.O., S. 8.]

Bisher existiert jedoch keine internationale Institution der angewandten Menschenrechtsforschung. Die entsprechende akademische, oft auch interdisziplinäre, Forschung ist besonders stark in den USA vertreten.

Seit 1994 arbeitet eine Gruppe von Menschenrechtsaktivisten an einem Projektvorschlag, ein "International Institute for Applied Policy Research in the Human Rights Field" ins Leben zu rufen.

In dem Vorschlag wird "applied policy research" folgendermaßen definiert: "It is essentially research of a practical nature that seeks to put forward proposals for concrete action by policy- and decicison-makers at all levels, including NGOs. It aims to bridge the gap between the theorist and research specialist on the one hand and the practitioner or activist on the other. The latter group might consist equally of governmental or United Nations officials äs of international or national NGO representatives and grassroots activists." [Australian National University, a.a.O., S. 5. Bei den Mitgliedern des Steering Committees handelt es sich um Philip Aiston, Abdullahi An-Na'im, Ligia Bolivar, Thomas Hammarberg und Hina Jilani.]

Es soll sich auf folgende Arbeitsbereiche konzentrieren:

  • applied policy research,

  • evaluation of intergovernmental efforts to protect and promote human rights,

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  • eine Plattform oder ein Forum "which would attract those wishing to engage in forthright, but rigorous and constructive discussions on current issues", und

  • "a harnessing or catalytical function." Die Politikimplikationen bereits existierender oder sich in Arbeit befindlicher Studien sollen weiter ausgearbeitet und unter den Interessenten besser verteilt werden.

Der Projektvorschlag befindet sich noch in der Anfangsphase und soll demnächst verschiedenen Geberorganisationen vorgelegt werden.

4. Mögliche Schwerpunkte eines MRI

Wie bereits im vorigen Abschnitt ausgeführt, lassen sich die Arbeitsbereiche allgemeine Information, Menschenrechtserziehung, Dokumentation, Kontaktpflege, Forschung zur Menschenrechtslage im eigenen Land und Forschung/Studienarbeit zu allgemeinen Menschenrechtsthemen unterscheiden.

Aufgrund der bereits bestehenden Aktivitäten wäre es nicht sinnvoll, die Bearbeitung von völkerrechtlichen und generell juristischen Themen als Aufgabe eines MRI in den Vordergrund zu stellen. Auch das Thema Menschenrechtserziehung ist unterdessen von einigen NROs wirksam aufgenommen worden, obwohl es sicher noch weiter ausbaubar ist. Für das MRI sollte auf dieses Aufgabenfeld vorläufig verzichtet werden.

Zwar arbeiten Menschenrechtsorganisationen wie z.B. amnesty international, die Gesellschaft für bedrohte Völker und die Internationale Gesellschaft für Menschenrechte auf den Gebieten der Informationsbeschaffung, Aktionen und Öffentlichkeitsarbeit, aber es fehlt vor allem eine zentrale Informations- und Dokumentationsstelle, Forschung und Politikberatung zu allgemeinen Menschenrechtsthemen.

Jedoch wird erst eine genaue Aufstellung über Defizite und Bedarf beim Forum Menschenrechte und seinen Mitgliedsorganisationen ein genaues Bild über die dringendsten Aufgaben eines MRI ergeben.

* Aufbau einer zentralen Informations- und Dokumentationsstelle

In Deutschland gibt es fünf Typen von Instituten/Arbeitsstellen für Information und Dokumentation, die hier relevant sind:

  • das Deutsche Übersee-Institut und seine vier Regionalinstitute zu Afrika, Asien, Ibero-Amerika und dem Orient,

  • Institute für Völkerrecht und UN-Depots für den Bereich internationale Organisationen, Völker- und Europarecht

  • Informationsstellen der Aktionsgruppen, die durch die Kürzungen der BMZ-Unterstützung erheblich gelitten haben (ila, Verein für entwicklungsbezogene Bildung zu Südostasien, issa, u.a.) und

  • die DSE-Dokumentationsstelle zu Entwicklungsländern.

Zu Lateinamerika existiert darüber hinaus in Nürnberg ein Dokumentations- und Informationszentrum Menschenrechte in Lateinamerika (DIML).

Die Zentrale Dokumentationsstelle der Freien Wohlfahrtspflege für Flüchtlinge (ZDWF) in Bonn ist ein gutes Beispiel für ein Dokumentationszentrum im Bereich politische Flüchtlinge (Informationen zu Herkunftsländern, Gesetzentwürfen, Gerichtsbeschlüssen u.a.).

Aus der Vielzahl des Informationsangebots wäre es wichtig, gezielt eine aktuelle Informationsbasis, möglichst mit online-Nutzung, zu schaffen, die besonders folgende Themenbereiche aufnehmen sollte:

  • Länderinformationen mit dem Schwerpunkt auf der Durchsetzung der Menschenrechte (Institutionen, lokale Organisationen, Menschenrechtsverletzungen),

  • die Arbeit multilateraler Organisationen mit Bezug zum Menschenrechtsthema, besonders Vereinte Nationen, EU, ASEAN, OAS, OAU, einige Spezial-Organisationen der VN,

  • Veröffentlichungen privater internationaler und nationaler Menschenrechtsorganisationen und

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  • Durchsetzung der Menschenrechte in Ländern des Südens (Konzepte, kulturelle, ökonomische, juristische, politische und soziologische Aspekte, Ablehnung von Menschenrechten und Demokratie in einigen islamischen und konfuzianisch geprägten Gesellschaften).

Besonders wichtig ist die sogenannte Graue Literatur, die von den akademischen Einrichtungen nur unvollständig erfaßt wird.

Ein weiteres Kriterium wäre die Sammlung policy-orientierter Dokumente staatlicher und privater Stellen, die Vorstellungen über Handlungskonzepte enthalten.

Drittens wären Dokumente zur besseren Vernetzung unter den NROs von großer Bedeutung, um Selbstorganisation und Entwicklung der deutschen Menschenrechts-NROs voranzutreiben.

* Forschung

Ein dringender Bedarf ergibt sich in der politologischen, soziologischen und psychologischen Grundlagenforschung und aus der Notwendigkeit professioneller politischer Beratung.

Im Forschungsbereich gibt es in Deutschland keine koordinierten Bemühungen, sondern einzelne Forscher arbeiten an den von ihnen gewählten Themen; Menschenrechte sind oft Nebenaspekte umfassenderer Fragestellungen.

Bei einigen Forschungsstudien gibt es Bezüge zur Menschenrechtsfrage, z.B. in der Demokratieforschung von Prof. Tetzlaff und der Studie der Deutschen Bischofskonferenz zum Verhältnis zwischen Christentum und Islam. Es ist nicht klar, welcher Forschungsbedarf z.Z. in der Bundesrepublik zum Thema Menschenrechte besteht, außer in dem prioritären Bereich Entwicklungen bei den VN.

Die zunehmende Bedeutung der Menschenrechte in der deutschen und EU-Außen- und Entwicklungspolitik erfordert die Schaffung einer professionellen Institution, die gleichzeitig zum Kern einer Interessengruppe von Verbänden und Experten, wie dem Forum Menschenrechte, werden könnte, die langfristig am Thema arbeiten möchten.

* Politikberatung

Bisher haben die großen NROs ihre policy-Beratung durch hauptamtliche Mitarbeiter, Werkverträge an Externe und selten durch ein größeres Studienprojekt durchgeführt. Ein gutes, aber seltenes Beispiel ist die Zusammenarbeit zwischen MISEREOR, Diakonisches Werk, terre des hommes und anderen NROs zur Diskussion der neuen Entwicklungskonditionalität der Bundesregierung. Es entstanden drei Länderstudien zu Kenia, Peru und Sri Lanka und ein vorläufiges Positionspapier. [Vgl. epd-Dokumentation 34-36/1993] Den NROs fehlt es an Möglichkeiten aktionsorientierter Forschung, die zu Handlungsstrategien führt. Hierzu würde auch das langfristige monitoring von Problemländern auf einem hohen Informationsniveau gehören, so daß fundierte Handlungsoptionen kurzfristig vorgeschlagen und bewertet werden können.

In der aktuellen Menschenrechtsdiskussion gibt es einige besonders wichtige policy-bezogene Themen, die bearbeitet werden müssen. Eine unvollständige Liste umfaßt die folgenden Themen:

  • ethno-religiöse Konflikte, Minderheiten und indigene Völker

  • Früherkennung, Vermittlung, Kriegsbeendigung und Friedenskonsolidierung von bewaffneten Konflikten

  • UN-Reform und Ausbau des UN-Menschenrechtsschutzsystems

  • wirtschaftliche und soziale Menschenrechte

  • Frauenrechte und Menschenrechte

  • Entwicklung und Menschenrechte

  • Kultur und Menschenrechte

  • Entwicklungspolitik, Außenpolitik und Menschenrechte.

NROs benötigen professionelle Beratung bei der Begleitung dieser Themen, der Ausarbeitung von Positionspapieren und der kritischen Beobachtung der Politik der Bundesregierung. Allerdings müßte ein Koordinationsmechanismus eine Prioritätenliste bei der Bearbeitung dieser und anderer Themen entwickeln, so daß knappe Ressourcen effizient genutzt werden können.

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5. Schlußfolgerungen

Es wird empfohlen, ein MRI mit den Schwerpunkten Dokumentation, Politikberatung und eventuell Forschung ins Leben zu rufen.

Es stellt sich aber die Frage: Warum soll das MRI in Bonn angesiedelt werden?

Eine Dienstleistungsfunktion im Bereich Information/Dokumentation könnte aufgrund der technischen Möglichkeiten von vielen Städten aus wahrgenommen werden. Sollte es vor allem Lobby-Aufgaben gegenüber der Bundesregierung wahrzunehmen haben, müßte man wohl eher für Berlin plädieren. Da aber der Kontakt mit entwicklungspolitischen Einrichtungen einschließlich des BMZ für die Mehrzahl der NROs im Vordergrund steht, ist Bonn als Sitz eines solchen Instituts besonders geeignet. Diese beabsichtigen zum großen Teil nicht, nach Berlin umzuziehen, sondern werden dort Liaison-Stellen einrichten.

Ein MRI läßt sich gut verbinden mit den Vorschlägen der Universität Bonn zur Errichtung eines Nord-Süd-Zentrums. Unter den vier Themen des Zentrums findet sich neben Intercultural Communication and Cooperation, Environmental Potentials and Ecology, Effects of Technical and Scientific Change/Sustainability auch der recht allgemein formulierte Bereich "Political and Socio-economic Problems". [A Concept for Developing the City of Bonn as a Focal Point of Research Activity, submitted by the University of Bonn. Preliminary Version, Bonn, 11.2.1993.] Eines der dort genannten Einzelthemen ist "human rights and human rights related problems". Hier könnten Verbindungen mit dem Forschungsbedarf des MRI hergestellt und eine sinnvolle Arbeitsteilung vereinbart werden (Es ist zu prüfen, ob diese Schwerpunktsetzung der Universität Bonn weiterhin besteht).

Abschließend muß betont werden, daß zuerst durch eine umfassende Bedarfsanalyse die möglichen Aufgaben eines MRI geklärt werden sollten; dazu gehört auch, zu prüfen, welche Aufgaben sich durch bereits bestehende Einrichtungen abdecken lassen. Dann müßte daran gearbeitet werden, eine solide Trägerstruktur aufzubauen und eine mittelfristige Finanzierung über 3-5 Jahre hinweg sicherzustellen.

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Die Autoren

Winfried Böll, Jg. 1924, Ministerialdirektor a.D. im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit (BMZ), lehrt am Institut für Entwicklung und Frieden der Mercator-Universität Duisburg. Vor seiner BMZ-Tätigkeit war er Geschäftsführer der Carl-Duisberg-Gesellschaft (CDG) und des Deutschen Entwicklungsdienstes. Er ist Mitglied der deutschen Kommissionen von UNESCO, UNICEF und IDNDR.

Dr. Dieter Danckwortt, Jg. 1925, arbeitet als freier Journalist für verschiedene entwicklungspolitische Organisationen. Er war als Sozialwissenschaftler Leiter einer Forschungsgruppe der Universität Hamburg zur Zeit der Vorbereitung deutscher Nord-Süd-Politik in den fünfziger Jahren und danach dreißig Jahre Leiter der Bonner Zentralstelle der Deutschen Stiftung für internationale Entwicklung in Bonn.

Dr. Wolfgang S. Heinz, Jg. 1953, Lehrbeauftragter am Fachbereich Politische Wissenschaft der Freien Universität Berlin und entwicklungspolitischer Gutachter. Seit 1970 in der Menschenrechtsarbeit tätig. Zahlreiche Veröffentlichungen zu Menschenrechts- und anderen Themen der internationalen Politik.

Prof. Dr. Uwe Holtz, Jg. 1944, lehrt Politische Wissenschaft an der Universität Bonn. Von 1972 bis 1994 gehörte er als SPD-Abgeordneter dem Deutschen Bundestag an; er war Vorsitzender des Bundestagsausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit von 1974 bis 1994 und des Wirtschafts- und Entwicklungsausschusses der Parlamentarischen Versammlung des Europarats von 1992 bis 1995. Er ist Board-Mitglied des Internationalen Forschungsinstituts für Agrar- und Ernährungspolitik IFPRI in Washington D.C., Vorsitzender der Gesellschaft für internationale Entwicklung SID, Chapter Bonn, und stellv. Kuratoriumsvorsitzender der Stiftung Entwicklung und Frieden in Bonn.

Hans Pakleppa, Jg. 1930, ist seit 1958 Mitarbeiter der Carl-Duisberg-Gesellschaft (CDG) in Köln. Von 1980 bis 1994 war er Mitglied der CDU-Fraktion im Rat der Stadt Bonn und von 1984 bis 1994 Vorsitzender des Kulturausschusses, dem er weiterhin angehört.


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